Sozialstruktur Woche Bildung PDF
Document Details
Uploaded by AdmirableDiscernment6251
Universität Konstanz
Prof. Dr. Claudia Diehl
Tags
Related
- EDUC198 GenEd (Social Studies) - Life and Works of Rizal PDF
- Lesson 3 Social and Political Structure in the 19th Century Caraga State University PDF
- Social Class Mobility in Modern Britain PDF
- Philippine Political Ideologies PDF
- Soc 101 Final Test Fall 2024 PDF
- Sociología 1º Educación Social - Copia de Cuaderno
Summary
Lecture notes on social structure and education, focusing on social inequality and the educational system. The lecture, given by Professor Dr. Claudia Diehl, is from the Winter Semester of 2024/25 at the University of Konstanz.
Full Transcript
Sozialstrukturanalyse 5. Woche: Soziale Ungleichheit – Das Bildungssystem Prof. Dr. Claudia Diehl WS 2024/2025 Universität Konstanz Was ist soziale Ungleichheit? (Rössel 2009) Strukturebenen sozialer Ungleichheit: Ursache (Mechanismus) D...
Sozialstrukturanalyse 5. Woche: Soziale Ungleichheit – Das Bildungssystem Prof. Dr. Claudia Diehl WS 2024/2025 Universität Konstanz Was ist soziale Ungleichheit? (Rössel 2009) Strukturebenen sozialer Ungleichheit: Ursache (Mechanismus) Determinanten (Input) Dimensionen (Output) Auswirkungen 11/19/2024 Universität Konstanz Dimensionen sozialer Ungleichheit Heute: Bildungsungleichheiten nach Geschlecht, sozialer Herkunft und Ethnizität 1. Bildung: zentrale Determinante von Einkommen, Arbeitsmarkt etc. 2. Rolle der Bildung resultiert aus ihren indirekten und direkten Effekten 3. direkt: Erwerb von allgemeinen und spezifischen Fähigkeiten, Faktenwissen, Sozialisation (z.B. soft skills) 4. indirekt: Bildungszertifikate, bildungsabhängige Erfahrungen 5. Messung: Bildung in Jahren, Bildungsklassifikationen (CASMIN oder ISCED, letztere berücksichtigt schulische und berufliche Bildung) 11/19/2024 Universität Konstanz Vorschulische Bildung 1. Vorschulische Bildungseinrichtungen in Westeuropa sehr verbreitet, in Deutschland besuchen 97% aller Kinder eine vorschulische Bildungseinrichtung 2. in Deutschland nicht obligatorisch 3. Determinanten: Ostdeutschland (+), wenige Geschwister (+), hohes Einkommen (+) 4. Auswirkungen: v.a. bei Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern positiv, längerer Besuch eine vorschulischen Bildungseinrichtung senkt Hauptschulrisiko (Büchner und Spieß 2007) 11/19/2024 Universität Konstanz Vorschulische Bildung 11/19/2024 Universität Konstanz Vorschulische Bildung 11/19/2024 Universität Konstanz Schulische Bildung 1. Besonderheit des deutschen Bildungssystems: frühes „tracking“ nach 4. Klasse 2. Abschluss in Sekundarstufe wichtige Voraussetzung für Studium und Ausbildung 3. Bildungsexpansion: starker Rückgang des Anteils an Hauptschülerinnen und -schülern aber: ist unser Bildungssystem auch gerechter geworden (Bildung für alle!?) 11/19/2024 Universität Konstanz Schulische Bildung 1. Schulische Bildungsungleichheiten existieren v.a. nach (Region), Geschlecht, Ethnizität und sozialem Hintergrund 2. Problematisch wegen meritokratischem Anspruch des Bildungssystems 3. Warum (Mechanismen!) hängen Determinanten sozialer Ungleichheit mit Ungleichheitsdimension Bildung zusammen? 4. Bildungsexpansion ging mit Verringerung von Bildungsdisparitäten einher 11/19/2024 Universität Konstanz Schulische Bildung https://www.bildungsbericht.de/de/bildungsberichte-seit- 11/19/2024 2006/bildungsbericht-2018/pdf-bildungsbericht-2018/kapitel-d- Universität Konstanz 2018.pdf Schulische Bildung Schulische Bildungsdisparitäten nach Geschlecht 1. Bildungsdisparitäten nach Geschlecht: Verringerung im Zeitverlauf 2. Mädchen: häufiger aufs Gymnasium, seltener auf Haupt- und Förderschule, bei gleichen Leistungen bessere Noten, eher Gymnasialempfehlung 3. Vermutete Ursache: hoher Lehrerinnenanteil in Schulen, bessere Passung der Mädchen in Bildungseinrichtungen („schulfreundliche Freizeitgestaltung“, Rössel 2009: 189) 4. Allerdings: danach sinkt der Frauenanteil über alle Bildungsstufen („leaky pipeline“) 11/19/2024 Universität Konstanz Schulische Bildung Schulische Bildungsdisparitäten nach Geschlecht (Datenreport 2021: 116) 11/19/2024 Universität Konstanz Schulische Bildung 11/19/2024 Universität Konstanz Schulische Bildung Bildungsdisparitäten nach sozialer Herkunft 1. ausgeprägt, haben sich aber im Zeitverlauf ebenfalls verringert 2. Kindern von Eltern mit niedrigem Bildungsabschluss: weitaus seltener auf die gymnasiale Oberstufe 3. "Kompositionseffekte" (Köller & Baumert, 2008) verstärken Bildungsungleichheiten: privilegierte Kinder besuchen häufiger Gymnasium. Aufgrund anspruchsvolleren Lehrplans, versierter Lehrkräfte, leistungsförderlichem Lernklima erzielen sie höhere Leistungszuwächse 4. Ursache: Aber warum?? 11/19/2024 Universität Konstanz Schulische Bildung Bildungsdisparitäten nach sozialer Herkunft: Besuchte Schultypen nach sozioökonomischem Status (HISEI=Einkommen und Bildung) der Eltern 11/19/2024 Universität Konstanz Schulische Bildungsungleichheiten: Ursachen Bildungsdisparitäten nach sozialer Herkunft 1. Boudon (1974): primäre und sekundäre Effekte der sozialen Herkunft 2. Primäre Effekte: Auswirkungen der sozialen Herkunft auf die Leistungen (Vorlesen, Bücherbesitz, außerschulische Aktivitäten) 3. Sekundäre Effekte: Auswirkungen der sozialen Herkunft auf die Bildungsentscheidungen (Statuserhaltmotiv, Vorbilder, Informationen, Benotungen und Empfehlungen) Raymond Boudon 1934-2013 11/19/2024 Universität Konstanz Schulische Bildungsungleichheiten: Ursachen Die Rolle der Eltern bei der Übergangsentscheidung: Dollmann 2011: 611 11/19/2024 Universität Konstanz Schulische Bildungsungleichheiten: Ursachen Die Rolle der Lehrpersonen: Solga 2008: 4 11/19/2024 Universität Konstanz Schulische Bildungsungleichheiten: Ursachen Was wäre wenn? 1. eigene Berechnungen auf der Grundlage von Maaz, K., F. Baeriswyl, U. Trautwein (2011): Leistungsdiagnostik und soziale Ungleichheiten in der Schule. Vodafone Stiftung Deutschland 11/19/2024 Universität Konstanz Von 100 Von 100 Akademikerkindern Arbeiterkindern gehen 56 aufs gehen 19 aufs Gymnasium Gymnasium 11/19/2024 Universität Konstanz Und wenn Arbeiterkinder die gleichen Kompetenzen aufwiesen wie Akademikerkinder? 11/19/2024 Universität Konstanz Von 100 Von 100 Akademikerkindern Arbeiterkindern gehen 56 aufs gehen 19 aufs Gymnasium Gymnasium 11/19/2024 Universität Konstanz Von 100 Von 100 Akademikerkindern Arbeiterkindern gehen gehen 56 aufs 34 aufs Gymnasium Gymnasium 11/19/2024 Universität Konstanz Und wenn die Eltern von Arbeiterkinder die gleichen Entscheidungen treffen würden wie die Eltern von Akademikerkindern? 11/19/2024 Universität Konstanz Von 100 Von 100 Akademikerkindern Arbeiterkindern gehen gehen 56 aufs 34 aufs Gymnasium Gymnasium 11/19/2024 Universität Konstanz Von 100 Von 100 Akademikerkindern Arbeiterkindern gehen 56 aufs gehen 45 aufs Gymnasium Gymnasium 11/19/2024 Universität Konstanz Und wenn Arbeiterkinder für ihre Leistungen auch noch die gleichen Noten und bekämen wie Akademikerkinder – und ebenso oft eine Gymnasialempfehlung? 11/19/2024 Universität Konstanz Von 100 Von 100 Akademikerkindern Arbeiterkindern gehen 56 aufs gehen 45 aufs Gymnasium Gymnasium 11/19/2024 Universität Konstanz Von 100 Von 100 Akademikerkindern Arbeiterkindern gehen 56 aufs gehen 56 aufs Gymnasium Gymnasium 11/19/2024 Universität Konstanz Schulische Bildungsungleichheiten Bildungsdisparitäten nach ethnischer Herkunft (Diehl et al. 2016) 1. Unterschiede verringern sich über Generationenfolge (Kind migriert, Eltern migriert, Großeltern migriert) 2. Ethnische Bildungsdisparitäten spielen im Vergleich zu sozialen Disparitäten untergeordnete Rolle Migrantenkinder haben v.a. als Unterschichtenkinder Probleme (siehe Folie 16) 3. Zusätzlich: primäre ethnische Effekte durch Sprachschwierigkeiten, Leistungsunterschiede schon in Vorschule und in gesamter Bildungskarriere sichtbar 4. Kompensatorisch: sekundäre ethnische Effekte durch hohe Bildungsaspirationen, die sich positiv auf Bildungsübergänge auswirken (sekundäre ethnische Effekte bei Übergang aufs Gymnasium) 11/19/2024 Universität Konstanz Schulische Bildungsungleichheiten Bildungsdisparitäten nach ethnischer Herkunft 1. Empirische Hinweise auf zusätzliche ethnische Diskriminierung durch Lehrende: bei Fähigkeitseinschätzungen, Notengebung (sehr geringe) und Übergangsempfehlung (keine) 2. Aber: Diskussion um institutionelle Diskriminierung (Gomolla und Radke 2007) 11/19/2024 Universität Konstanz Bildungsungleichheiten: Tertiäre Bildung Bildungsdisparitäten nach Geschlecht 1. Deutschland hat vergleichsweise geringen Frauenanteil an Studierenden im europäischen Vergleich (ca. 50% versus ca. 60% in Lettland, Eurostat 2005) 2. Geschlechtsspezifische Wahl von Studienfächern, relevant für spätere Lohn- und Statusunterschiede (Ochsenfeld 2012)! 3. Wahl des Ausbildungsberufs durch „elterliche Lenkungsprozesse“, diese spiegeln die „elterlich Wahrnehmung geschlechtlich konnotierter Fähigkeiten [wider, die] stärker von Stereotypen als von den realen Fähigkeiten ihrer Kinder geprägt sind“ (Buchmann und Kriesi 2012: 269) 11/19/2024 Universität Konstanz Bildungsungleichheiten: Tertiäre Bildung Bildungsdisparitäten nach Geschlecht: die „leaky pipeline“ in der Wissenschaft (Datenreport 2021: 116) 11/19/2024 Universität Konstanz Bildungsungleichheiten: Tertiäre Bildung Bildungsdisparitäten nach ethnischer Herkunft (Diehl et al. 2016) 1. Wichtige Unterscheidung: Internationale Studierende: zum Studium nach Deutschland, Hochschulzugangsberechtigung im Ausland erworben (Bildungsausländer) Studierende mit Migrationshintergrund: selbst im Kindes- oder Jugendalter nach Deutschland zugewandert, oder in Deutschland geboren als Kind mindestens eines zugewanderten Elternteils (Bildungsinländer) 2. Hohe Übergangsraten ins tertiäre Bildungssystem (54% der Eltern ohne Hochschulabschluss aber mit Migrationshintergrund möchten dass Kind studiert, nur 29% bei Eltern ohne Hochschulabschluss und ohne Migrationshintergrund, SVR 2017) 3. aber hohe Abbrecherquoten, Präferenz für traditionelle Universitäten und –fächer 4. 11/19/2024 Universität Konstanz Bildungsungleichheiten: Tertiäre Bildung Bildungsdisparitäten nach ethnischer Herkunft (SVR 2017) 11/19/2024 Universität Konstanz Wahrnehmung schulischer Bildungsungleichheiten Wahrnehmung von Fairness im Bildungssystem (Diehl et al. 2024) 1. Höhere Unfairnesswahrnehmungen bei Schüler*innen mit Migrationshintergrund 2. Spiegelt vor allem wider: - ex-post Rationalisierung von „Misserfolg“(schlechte Noten, niedriger Schulzweig) - hohe elterliche Erwartungen - Fehleinschätzung eigener Leistungsfähigkeit 11/19/2024 Universität Konstanz Fehleinschätzungen der leistungsmäßige Voraussetzungen Schüler*innen mit Migrationshintergrund: Unfairnisswahrnehmung auch bei Schüler*innen ohne Marginal predicted mean perc. track mismatch.4 unterdurchschnittlichen Migrationshintergrund: kog. Kompetenzen Unfairnisswahrnehmun nur.3 bei überdurchschnittlichen kog. Kompetenzen.2.1 0 -4.5 -3.5 -2.5 -1.5 -.5.5 1.5 2.5 Proxy for actual track mismatch (z-score) Majority student Schüler*in Minority student überdurchschnittliche Kompetenzen 36 19.11.2024 Perceived Track Mismatch among Minority Students in Germany Universität Konstanz Wahrnehmung schulischer Bildungsungleichheiten Höhere Wahrnehmung unfairer Behandlung durch Schüler*innen mit Migrationshintergrund! Perception of Unfair Treatment by Gender Perception of Unfair Treatment by SES Perception of Unfair Treatment by Immigrant Background Unfair grade German Unfair grade German Unfair grade German (N = 2892) (N = 2509) (N = 2980) Girls At least 1 Parent Abitur Majority student Boys No Parent Abitur Minority student 0 20 40 60 80 100 0 20 40 60 80 100 0 20 40 60 80 100 Unfair grade Math Unfair grade Math Unfair grade Math (N = 2897) (N = 2509) (N = 2981) Girls At least 1 Parent Abitur Majority student Boys No Parent Abitur Most students feel treated fairly! Minority student 0 20 40 60 80 100 0 20 40 60 80 100 0 20 40 60 80 100 Track mismatch Track mismatch Track mismatch (N = 1529) (N = 1167) (N = 1525) Girls At least 1 Parent Abitur Majority student Boys No Parent Abitur Minority student 0 20 40 60 80 100 0 20 40 60 80 100 0 20 40 60 80 100 Share (%) Share (%) Share (%) Unfair treatment Unfair treatment Unfair treatment Fair treatment Fair treatment Fair treatment 37 19.11.2024 PerFair - Perceptions of unfair treatment in school Universität Konstanz Bildungsungleichheiten: Zusammenfassung Bildungsdisparitäten nach askriptiven Merkmalen − Im Zeitverlauf Reduktion v.a. geschlechtsbasierter Ungleichheiten und moderate Abnahme herkunftsbedingter Ungleichheiten − Hinweis auf deutliche und erklärungsbedürftige Herkunftseffekte (nur knapp zur Hälfte durch herkunftsbedingte Kompetenzunterschiede zu erklären) − Ethnische Nachteile sind zu großen Teilen sozio-ökonomische Nachteile − Institutionelle Spezifika des deutschen Bildungssystems (eher geringe Bedeutung vorschulischer Bildung, frühe Selektion nach „Leistung“) 11/19/2024 Universität Konstanz / The Visibility of Social Inequality – An Alternative Way of Testing Beck’s Decoupling Thesis 2 Literatur - Siehe Syllabus - Boudon, R. 1974. Education, Opportunity, and Social Inequality. Changing Prospects in Western Society. New York: Wiley. - Buchmann, M. und I. Kriesi 2008. Buchmann, M; Kriesi, I (2012). Geschlechtstypische Berufswahl: Begabungszuschreibungen, Aspirationen und Institutionen. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 52:256-280. - Charlotte Büchner & C. Katharina Spieß, 2007. "Die Dauer vorschulischer Betreuungs- und Bildungserfahrungen: Ergebnisse auf der Basis von Paneldaten," Discussion Papers of DIW Berlin 687, DIW Berlin, German Institute for Economic Research. - Diehl, C., C. Hunkler, und C. Kristen, eds. 2016. Ethnische Ungleichheiten im Bildungsverlauf: Mechanismen, Befunde, Debatten. Wiesbaden: Springer VS. - Dollmann, J. 2011. Verbindliche und unverbindliche Grundschulempfehlungen und soziale Ungleichheiten am ersten Bildungsübergang. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 63 (4): 595–621. - Claudia Diehl, Katja Pomianowicz, Thomas Hinz. On the wrong track? Perceived track mismatch among ethnic minority and majority students in the German educational system. - Gomolla, M., und F.-O. Radtke. 2007. Institutionelle Diskriminierung. Die Herstellung ethnischer Differenz in der Schule, 2. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. - Maaz, K., F. Baeriswyl, U. Trautwein 2011. Leistungsdiagnostik und soziale Ungleichheiten in der Schule. Vodafone Stiftung Deutschland - Ochsenfeld, F. 2012. Gläserne Decke oder goldener Käfig: Scheitert der Aufstieg von Frauen in erste Managementpositionen an betrieblicher Diskriminierung oder an familiären Pflichten? KZfSS Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 64: 507-434. - Solga, H. 2009. Wie das deutsche Schulsystem Bildungsungleichheiten verursacht. WZB Policy Brief https://bibliothek.wzb.eu/wzbrief-bildung/WZbriefBildung200801_solga.pdf - SVR 2017: Allein durch den Hochschuldschungel. Berlin. 39 28.10.2014 Diehl, Vorlesung Sozialstrukturanalyse, WS 2014/15 Universität Konstanz