Regelbewusstsein: Was Wissen Kinder und Jugendliche (PDF)
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Universität Erfurt
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Zusammenfassung über Regelverständnis von Kindern und Jugendlichen.
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4 Regelbewusstsein: Was wissen Kinder und Jugendliche über Regeln und deren Geltung? 4 Regelbewusstsein: Was wissen Kinder und Jugendliche über Regeln und deren Geltung? Textgrundlage: Piaget, J.: Das moralische Urteil beim Kinde. Stuttgart 1983, S. 49-80 (Abschnitt...
4 Regelbewusstsein: Was wissen Kinder und Jugendliche über Regeln und deren Geltung? 4 Regelbewusstsein: Was wissen Kinder und Jugendliche über Regeln und deren Geltung? Textgrundlage: Piaget, J.: Das moralische Urteil beim Kinde. Stuttgart 1983, S. 49-80 (Abschnitt IV. Das Regelbewusstsein). Kinder richten sich bis zum 7. Lebensjahr kaum nach regeln Regelbewusstsein = Regelverständnis → Was verstehen Kinder unter Regeln? Woher kommen sie? Warum soll ich mich danach richten? Darf man Regeln ändern? Wer darf Regeln ändern? moralisches Bewusstsein schließt Denken über Regeln ein → Denken über Regeln muss kognitiv bearbeitet werden 4.0 Zusammenfassung Der Begriff des Regelbewusstseins bezieht sich auf Gedanken (Kognitionen) über die Herkunft (autonomes (Selbstgesetzgebung, Regeln kommen von uns) vs. heteronomes (Regeln werden außen gegeben, wir unterwerfen uns einer anderen Macht) Regelbewusstsein), Veränderbarkeit und Geltung von Regeln (moralische Normen) Die Entwicklung des Regelbewusstseins verläuft in Phasen o Regelbewusstsein bis zum 9. Lebensjahr = heteronorm 4.1 Untersuchungen und Befunde zur Entwicklung des Regelbewusstseins (Regelverständnis) Hypothesen zum Ursprung des Regelbewusstseins nach Piaget 1. Tagesabläufe der Kinder sind hochgradig strukturiert → Kinder entwickeln Bewusstsein für Regelmäßigkeit 2. Kinder führen selbst rituelle Handlungen aus, erzeugen spontane regelmäßige / regelhafte Wiederholungen o nach Piaget jedoch ausschlaggebend: das Entstehen eines Gefühls der Verpflichtung → Beginn des Regelbewusstseins beim Auftreten eines sozialen „sollen oder müssen“ → Verstöße führen zu einem schlechten Gewissen 27 4 Regelbewusstsein: Was wissen Kinder und Jugendliche über Regeln und deren Geltung? Die Befunde Piagets im Überblick Alter Regelpraxis = Regelverständnis Verantwortlichkeit Vergeltende Austeilende Regelbeachtung Gerechtigkeit (Strafe) Gerechtigkeit 1 Motorisch, ohne 2 Regeln - 3 Äußerliche 4 Nachahmung Heteronom Nach objektiven Sühnestrafen Gehorsam 5 (vorsozial) → Kriterien 6 Assimilation (Schadenshöhe) 7 Regelkonformes 8 Verhalten 9 (sozial) Nach subjektiven Ausgleichs- und Gleichheit 10 Kriterien (Absicht) Wiedergutmachungs- 11… Konstruktiver Autonom strafen Umgang mit Gleichheit Regeln Tadel und Billigkeit von Heteronomie zur Autonomie Kinder vollziehen einen Einstellungswechsel → werden autonom Übergangspunkt: Wir können Regeln selbst machen und unter bestimmten Bedingungen (Gemeinschaftsbeschluss) gelten diese Untersuchungsmethode Gelegenheitsstichprobe = zufällige Auswahl des Befragten (nicht repräsentativ) von etwa 20 Kindern (5 bis 14 Jahre) Befragung (Interview) Wie sind die Regeln des Murmelspiels entstanden? Sind die Regeln immer so gewesen wie heute? Kann man die Regeln des Murmelspiels ändern? 28 4 Regelbewusstsein: Was wissen Kinder und Jugendliche über Regeln und deren Geltung? Die Befunde Senso Formal- motor Egozentrische Konkret- operation Stufen der Egozentrische Phase Konkret-operationale ische Phase operationale ale Phase Intelligenzenz Phase. Phase Phase. entwicklung 4-5 J. bis etwa 9 J. 5-6, 7 J. ab ca. 10 J. ab ca. 12- 0-2 J. 14 J. heteronom autonom Bewusstsei n bezüglich Regelur- (Regeln = von höherer (= nach sprungs des Gewalt gemacht, heteronom heteronom eigenen nach fremdem Gesetzen Gesetzgeber lebend) lebens) keit von Regeln wird affirmiert/bejaht Veränderbar- wird negiert (= Kinder wissen, dass (= Regeln können wird wird negiert Regeln veränderbar sind, nicht verändert affirmiert wollen dies aber nicht werden) zugeben) liberal Veränderungen (= Scheinliberalismus, ablehnend verbal ablehnend, faktisch Reaktion auf Kinder erfinden selbst (= keine neuen kooperativ Regeln neu und Regel n werden (= selbst wenn es alle kooperativ erklären diese als akzeptiert/können anders machen, wird dies allgemeingültig/bereit gelten) verbal abgelehnt) s existent) regelkonform regelfrei (motorisch) willkürlich/beliebig (Regelbeachtung) (= Kinder sind faktische (= werden ständig willkürlich/beliebig kooperativ, Bewusstsein geändert, Praxis (= ständiges Ändern über Regeln hinkt Kontrolle, was regelkonform der Regeln nach Spielpraxis hinterher; gegeben ist und eigenem Belieben) Veränderung von regeln bei was selbst Erlaubnis, wissen aber, dass erfunden ist ) man es nicht darf) Formal-operationale Phase wird nicht von allen Erwachsenen erreicht = abstraktes Denken, Hypothesenbildung Entwicklung in Stufen folgt der Idee des Konstruktivismus Sensomotorische Phase 0-2 J. Egozentrische Phase 4-5 J. o erst ab hier kann man interviewen o heteronorm: Regeln sind von anderen gemacht o Erfindung der Regeln wird anderen Personen zugeschrieben o heteronorme Moralvorstellung: Kinder unterwerfen sich einer fremden Gesetzgebung o Entwicklung der Autonomie ist stark themenabhängig → deshalb gibt es immer noch Diktaturen o Negierung der Veränderbarkeit der Regeln o aber Veränderung von Regeln wird praktisch akzeptiert und selbst extrem häufig durchgeführt o hohe Diskrepanz zwischen Wissen und Handeln o „Wir haben Regeln verändert, dürfen das aber eigentlich nicht“ → Kinder selbst spielen vollkommen willkürlich → liberal Egozentrische Phase 5-6, 7 J. o Hochphase des Egozentrismus o spielen regelkonform o Erfindung der Regeln wird anderen Personen zugeschrieben o heteronorme Moralvorstellung: Kinder unterwerfen sich einer fremden Gesetzgebung 29 4 Regelbewusstsein: Was wissen Kinder und Jugendliche über Regeln und deren Geltung? o Kinder denken, dass das Verändern von Regeln nicht sein darf; wissen aber, dass man sie ändert (sie bewerten es jetzt anders o „Wie wäre es, wenn alle so spielen?“ → Kind sagt nein, weil man die Regeln nicht ändern darf, Beschluss zur Regeländerung zählt nicht → Überzeugung dessen, dass man sich fremder Gesetzgebung zu unterwerfen hat Konkret-operationale Phase bis etwa 9 J. o Regeländerungsvorschläge werden zwar verbal abgelehnt, aber die Kinder beugen sich der Änderung = faktisch kooperativ (Übergangsphase) o Diskrepanz: viele Widersprüche in der Reaktion auf Regeländerung o es werden keine eigenen Regeln aufgestellt; „das ist mogeln“/ „eine falsche Regel“ o wollen ihre Zustimmung von allen Teilnehmern & ewige Geltung o spielen regelkonform o gewinnen und verlieren wird unterschieden o wissen, ob Regel eingehalten wurde oder verletzt o Kinder sind in der Praxis weiter vorangeschritten als in der Theorie (kooperative Praxis geht dem Denken voraus) Konkret-operationale Phase ab ca. 10 J. o Kinder gehen nicht vom „Heiligen“ aus, haben Verständnis dafür, dass Regel neu erfunden wurde → realistische Vorstellung o Defizite sind weitestgehend überwunden o Kinder sind durchweg kooperativ o Kooperation: Über Sinn eines Spieles verhandeln o Sozialer Aspekt: Spaß steht im Vordergrund o Erkennen Mehrheitsargument an → demokratisches Kriterium o Haben vorher die Tradition höher geschätzt o Jetzt: gegenseitige Achtung; wirkliche Kooperation o können selbst feststellen, ob eine Regel etwas taugt oder nicht; Regel muss Spiel spielbar oder interessanter machen o neue Regeln werden akzeptiert → alle müssen das wollen/müssen zustimmen (demokratisches Prinzip) o Kinder geben einseitige Achtung auf → Kooperation o Regel stellt sozialen Zusammenhang her (dadurch, dass man mit dieser Regel zusammen Spaß hat) o Bewusstseinswandel zeigt sich in mehreren Punkten o Regeln sind nicht mehr fremd, anerkannt durch historische Übereinkunft o Regeln müssen nicht mehr als was Gegebenes betrachtet werden, können modifiziert werden o Vorstellungen vom Ursprung des Spiels sind realistisch o Kinder verhandeln über den Sinn einer Regel: was ist wichtig; was macht Spaß o alle Veränderungsvorschläge sind diskutierbar für sie; am Ende steht Einigung darüber, wonach gespielt wird o Kinder spielen zwar noch regelkonform; geistige Einstellung dazu kommt nach (1 Jahr später) Formal-operationale Phase ab ca. 12-14 J. ➔ Rückschlüsse auf Erziehungsverhalten: Intervention von außen hilft nichts bei moralischer Entwicklung, man kann diese nicht beschleunigen, sondern nur begleiten ➔ Irrtum: Nach Einführung der Regeln halten sich alle Kinder daran. → geht nicht da die Diskrepanz zwischen Regelwissen und Regelbeachtung zu groß ist 30 4 Mögliche Prüfungsfragen „Regelbewusstsein: Was wissen Kinder und Jugendliche über Regeln und deren Geltung?“ 4 Mögliche Prüfungsfragen „Regelbewusstsein: Was wissen Kinder und Jugendliche über Regeln und deren Geltung?“ Welche Folgenden Merkmale treffen auf Spielverhalten des egozentrischen Kindes zu? → 4 Lösungen Die Kinder spielen nicht nach Regeln Die Kinder spielen miteinander Die Kinder spielen nebeneinanderher Die Kinder einigen sich darauf wer gewonnen hat Die Kinder stören sich daran das andere gegen Regeln verstoßen Die Kinder spielen nach Regeln Die Kinder spielen, dass sie gewinnen Die Kinder spielen teilweise nach Regeln Die Kinder spielen nach phantasierten Regeln Die Gewinner stellen sich über die Verlierer Die Kinder fragen ältere, um zu wissen wer gewonnen hat Die Kinder führen neue Regeln ein Die Kinder führen keine neuen Regeln ein, weil man Regeln nicht ändern darf In der zweiten Phase in der Entwicklung des Regelbewusstsein haben die Kinder nach Piaget ein bestimmtes Regelverständnis. Sie fassen Regeln aus als: zufällige Vorgaben Resultat eines Einigungsprozesses Eine Fremde Gesetzgebung → heteronorm: Regeln sind von anderen gemacht individuelle Normen 31