Hoheitliches Handeln im demokratischen Rechtsstaat PDF

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This document contains lecture notes on administrative law in Germany, focusing on the legal aspects of government actions and administrative proceedings. The notes cover topics like administrative acts, legal principles, processes, and possible legal challenges within administrative law procedures. WiSe 2024/25, lecture notes.

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Hoheitliches Handeln im demokratischen Rechtsstaat Dr. iur. Andreas Berg [email protected] Foliensatz 5 WiSe 2024/25 B. Handlungsformen der Verwaltung I. Verwaltungsakt und Allgemeinverfügung 1. Funktionen und Arten des VA 2. Definition und Tatbes...

Hoheitliches Handeln im demokratischen Rechtsstaat Dr. iur. Andreas Berg [email protected] Foliensatz 5 WiSe 2024/25 B. Handlungsformen der Verwaltung I. Verwaltungsakt und Allgemeinverfügung 1. Funktionen und Arten des VA 2. Definition und Tatbestandsmerkmale 3. Nebenbestimmungen 4. Rechtswirksamkeit, Bekanntgabe und Bestandskraft 5. Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit 6. Aufhebung von VA II. Realakt III.Öffentlich-rechtlicher Vertrag IV.Rechtsverordnungen, Satzungen, Verwaltungsvorschriften, Pläne 2 B. I. 5. Rechtmäßigkeit - Übersicht 1. Ermächtigungsgrundlage des Verwaltungsaktes ( kein Handeln ohne Gesetz) 2. Formelle Rechtmäßigkeit d. VA (Verfahrensvorschriften) 3. Materielle Rechtmäßigkeit d. VA (Tatbestand / Rechtsfolge) Die Behörde erlässt einen Verwaltungsakt 3 B. I. 5. Rechtmäßigkeitsprüfung VA 1. Vorliegen einer Ermächtigungsgrundlage zum Erlass VA (EGL) 2. Formelle Rechtmäßigkeit des VA ◦ Zuständigkeit der Behörde (örtlich, sachlich, instanziell) ◦ Verfahrensvorschriften, vor allem: Anhörung, § 28 VwVfG (beachte ggf. Möglichkeit der Heilung, § 45 VwVfG), Bekanntgabe ◦ Formvorschriften, insb. § 37 II-IV VwVfG, Begründung, § 39 I VwVfG 3. Materielle Rechtmäßigkeit des VA Vereinbarkeit (formell und materiell) der Ermächtigungsgrundlage mit höherrangigem Recht, Art. 20 III GG ◦ Vereinbarkeit des VA mit der Ermächtigungsgrundlage ◦ Beachtung von Ermessens- und Beurteilungsgrenzen ◦ Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ◦ Bestimmtheitsgrundsatz 4 5 Rechtmäßigkeitsprüfung § 25 Abs. 4 Nr. 2 LJagdG-NRW Abs. 4: Die zur Ausübung des Jagdschutzes berechtigten Personen sind befugt Nr. 2. Hunde außerhalb der Einwirkung ihrer Führerin oder ihres Führers abzuschießen, wenn a) diese Wild töten oder erkennbar hetzen und in der Lage sind, das Wild zu beißen oder zu reißen, b) es sich um keine Blinden-, Behindertenbegleit-, Hirten-, Herdenschutz-, Jagd-, Polizei- oder Rettungshunde handelt, soweit sie als solche kenntlich sind und solange c) andere mildere und zumutbare Maßnahmen des Wildtierschutzes, insbesondere das Einfangen des Hundes, nicht erfolgversprechend sind. 6 B. Handlungsformen der Verwaltung I. Verwaltungsakt und Allgemeinverfügung 1. Funktionen und Arten des VA 2. Definition und Tatbestandsmerkmale 3. Nebenbestimmungen 4. Rechtswirksamkeit, Bekanntgabe und Bestandskraft 5. Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit 6. Aufhebung von VA II. Realakt III.Öffentlich-rechtlicher Vertrag IV.Rechtsverordnungen, Satzungen, Verwaltungsvorschriften, Pläne 7 Was wäre, wenn… …. Sie eine Geldleistung der Familienkasse erhalten, obwohl Sie kein Kind haben, oder … Sie eine staatliche Corona- Subvention erhalten, obwohl Sie bewusst unwahre Angaben im Antrag gemacht haben, oder … Sie auf Widerruf verbeamtet wurden, allerdings die Laufbahnprüfung nicht schaffen, oder … Sie ein Auflage seitens der Behörde auferlegt bekommen, obwohl die Behörde dies rechtswidrig veranlasst hat… …und nun der Verwaltungsakt aber bestandskräftig ist. 8 §§ 48,49 VwVfG-Bund §§ 44 SGB X ff. §§ 48,49 VwVfG-Länder §§ 130, 131 Abgabenordnung § 4 Abs. 5 LHundG-NRW § 15 Gaststättengesetz - NRW § 21 Bundesimissionssschutzgesetz 9 B. I. 6. Grundlagen zur Aufhebung von VA (1) Die Verwaltung darf (auch bestandskräftige!) Verwaltungsakte unter bestimmten Voraussetzungen wieder aufheben; Bürger sollen aber grds. auf Bestandskraft vertrauen können Die Aufhebung durchbricht die Klarstellungsfunktion des VA Aufhebung ist der Oberbegriff für ◦ Rücknahme rechtswidriger VA (z.B. lex generalis in § 48 VwVfG oder legi speciali z.B. in § 33d IV 1 GewO, § 15 I GastG, § 44 f. SGB X, …) ◦ Widerruf rechtmäßiger VA (z.B. lex generalis in § 49 VwVfG oder legi speciali z.B. in § 33d IV 2 GewO, § 15 II, III GastG, § 46 f. SGB X, …) Um einen schonenden Interessenausgleich zu schaffen, wird zudem zwischen der Aufhebung (Rücknahmen bzw. Widerruf) von begünstigenden und belastenden VA differenziert. 10 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) § 44 Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes (1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. (2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden. 11 Gaststättengesetz § 15 Rücknahme und Widerruf der Erlaubnis (1) Die Erlaubnis zum Betrieb eines Gaststättengewerbes ist zurückzunehmen, wenn bekannt wird, daß bei ihrer Erteilung Versagungsgründe nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 vorlagen. (2) Die Erlaubnis ist zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die die Versagung der Erlaubnis nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 rechtfertigen würden. (3) Sie kann widerrufen werden, wenn 1. der Gewerbetreibende oder sein Stellvertreter die Betriebsart, für welche die Erlaubnis erteilt worden ist, unbefugt ändert, andere als die zugelassenen Räume zum Betrieb verwendet oder nicht zugelassene Getränke oder Speisen verabreicht oder sonstige inhaltliche Beschränkungen der Erlaubnis nicht beachtet, 2. der Gewerbetreibende oder sein Stellvertreter Auflagen nach § 5 Abs. 1 nicht innerhalb einer gesetzten Frist erfüllt, 12 Bundesimissionsschutzgesetz § 21 Widerruf der Genehmigung (1)Eine nach diesem Gesetz erteilte rechtmäßige Genehmigung darf, auch nachdem sie unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft nur widerrufen werden, …. 13 B. I. 6. Grundlagen zur Aufhebung von VA (2) Begünstigende VA sind prinzipiell schwieriger aufzuheben rechtmäßig rechtswidrig - - Rechtmäßige VA begünstigend begünstigend Rechtswidrige VA sind prinzipiell sind prinzipiell schwieriger einfacher aufzuheben rechtmäßig rechtswidrig aufzuheben - - belastend belastend Belastende VA sind prinzipiell einfacher aufzuheben 14 B. I. 6. Grundlagen zur Aufhebung von VA (3) Der Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßig/- widrigkeit eines VA ist der Zeitpunkt seines Erlasses; ist der Widerspruchsbescheid nach § 73 VwGO ergangen, kommt es auf dessen Erlass an (Ausgangs- und Widerspruchsbescheid bilden dann Einheit, § 79 I Nr. 1 VwGO) Ein Dauer-VA kann nach der Rspr. des BVerwG bei Änderung der Sach- oder Rechtslage ab diesem Zeitpunkt rechtwidrig/rechtmäßig werden 15 B. I. 6. Rücknahme rechtswidriger VA (1) a) Belastende VA Die Rücknahme rechtwidriger belastender VA steht zumeist im Interesse des Bürgers und ist damit am einfachsten durchführbar; einschlägig ist § 48 I 1 VwVfG Rechtswidrige Verwaltungsakte ◦ können (Ermessensentscheidung, d.h. Behörde muss nicht zurück nehmen) ◦ auch nachdem sie unanfechtbar geworden (d.h. unabhängig von Bestandskraft und ggf. eingelegten Rechtsbehelfen von Bürgern) ◦ ganz oder teilweise ◦ mit Wirkung für die Zukunft (ex nunc) oder die Vergangenheit (ex tunc) zurückgenommen werden.  Die Frist aus § 48 Abs. 4 gilt für belastende VA nicht (vgl. § 48 I 2 VwVfG) 16 B. I. 6. Rücknahme rechtswidriger VA (2) b) Begünstigende VA Rechtswidrig begünstigende VA können gem. § 48 I 2 VwVfG nur zurück genommen werden, wenn die Voraussetzungen der Abs. 2-4 der Vorschrift erfüllt sind Grund: Erhöhter Vertrauensschutz Begünstigend ist ein Verwaltungsakt, wenn er ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (§ 48 I 2 VwVfG) VA mit Doppelwirkung (begünstigend und belastend zugleich) sind geteilt zurückzunehmen; ist dies nicht möglich, kommen Vorschriften für begünstigende VA zur Anwendung, um deren Vorgaben nicht zu umgehen 17 B. I. 6. Rücknahme rechtswidriger VA (3) Begünstigende VA nach § 48 II VwVfG Ein grds. Rücknahmeverbot besteht für VA, die  eine einmalige Geldleistung (Zahlung von bsp. 10.000 € Forschungssubvention),  eine laufende Geldleistung (z.B. monatliche Ausbildungsförderung),  eine teilbare Sachleistung (z.B. Kleidung für Bedürftige) gewährt oder  der Voraussetzung dafür ist (z.B. behördliche Bescheinigung, die Voraussetzungen für steuerliche Vorteile bestätigt) Rücknahmeverbot greift allerdings nur, soweit ◦ der Begünstigte auf den Bestand des VA vertraut hat (ausgeschlossen z.B. bei entsprechenden Nebenbestimmungen (Vorbehalt)) und ◦ sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öff. Rücknahmeinteresse schutzwürdig ist (z.B. bei nicht erfolgter Vermögensdisposition oder Unionsinteresse an Rückforderung einer rechtswidrigen Beihilfe) 18 B. I. 6. Rücknahme rechtswidriger VA (4) Schutzwürdiges Vertrauen ist regelmäßig gegeben (§ 48 II 2 VwVfG)  wenn der Begünstigte die Leistungen verbraucht (Forschungssubvention ist aufgebraucht)  oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (Forschungsverträge sind rechtskräftig unterschrieben und Zahlungspflichten unumkehrbar entstanden). Schutzwürdiges Vertrauen ist gem. § 48 II 3 VwVfG ausgeschlossen ◦ wenn der VA durch Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt wurde, ◦ der VA durch i.W. falsche oder unrichtige Angaben erwirkt wurde oder ◦ der Begünstigte die Rechtswidrigkeit (positiv) kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit (gebotene Sorgfalt in besonders schwerer Weise verletzt) nicht kannte. VA sind dann i.d.R. Vergangenheitswirkung zurückzunehmen (§ 48 II 4 VwVfG) 19 B. I. 6. Rücknahme rechtswidriger VA (5) Begünstigende VA nach § 48 III VwVfG Fällt ein begünstigender VA nicht unter § 48 II VwVfG, d.h. beinhaltet er keine Geld- oder Sachleistung (Bsp.: Baugenehmigung, die gegen Bebauungsplan verstößt), richtet sich die Rücknahme nach § 48 III VwVfG Die Regelung des § 48 III VwVfG ergänzt, dass die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen hat, den dieser aufgrund seines Vertrauens erleidet Der auszugleichende Vermögensnachteil wird gem. § 48 III 4 VwVfG durch die Behörde selbst festgesetzt 20 B. I. 6. Rücknahme rechtswidriger VA (6) Voraussetzungen:  Anspruch reicht nur soweit, wie Vertrauen des Begünstigten unter Abwägung mit öffentlichem Interesse schutzwürdig ist, § 48 III 1 VwVfG  es gelten gem. § 48 III 2 VwVfG die Regelbeispiele für nicht schutzwürdiges Vertrauen aus § 48 II 3 VwVfG  Vermögensnachteil darf nicht über den Betrag des Interesses hinaus ersetzt werden, das der Betroffene an dem Bestand des VA hat (§ 48 III 3 VwVfG).  Anspruch auf Festsetzung des Vermögensnachteils kann gem. § 48 III 5 nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat 21 B. I. 6. Rücknahme rechtswidriger VA (7) Rücknahmefrist, § 48 IV VwVfG Beträgt ein Jahr ab dem Zeitpunkt, zu dem die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhalten hat, welche die Rücknahme eines Verwaltungsakts rechtfertigen Gilt nur für begünstigende VA, d.h. für § 48 II, III VwVfG Nochmal:  für belastende VA gilt diese Frist nicht Gilt gem. § 48 IV 2 VwVfG nicht in den Fällen des § 48 II 3 Nr. 1 VwVfG (Täuschung, Drohung, Bestechung) Entscheidungsfrist, die erst beginnt, wenn Behörde Rechtswidrigkeit des VA erkannt hat und die für Ausübung des Rücknahmeermessens erheblichen Tatsachen vollständig kennt (im Einzelnen aber strittig!) 22 B. I. 6. Widerruf rechtmäßiger VA (1) a) Belastende VA Widerruf rechtmäßiger belastender VA: § 49 I VwVfG Geringe Voraussetzungen, da Bürger i.d.R. Interesse an Widerruf einer ihn belastenden Maßnahme hat Rechtmäßige belastende Verwaltungsakte ◦ können (Ermessensentscheidung, Behörde muss nicht widerrufen) ◦ auch nachdem sie unanfechtbar geworden (d.h. unabhängig von Bestandskraft und ggf. eingelegten Rechtsbehelfen von Bürgern) ◦ ganz oder teilweise ◦ mit Wirkung für die Zukunft (ex nunc) zurückgenommen werden. Ausnahme ◦ Es müsste ein VA gleichen Inhalts neu erlassen werden (z.B. aufgrund Selbstbindung der Verwaltung) ◦ Widerruf ist aus anderen Gründen unzulässig 23 B. I. 6. Widerruf rechtmäßiger VA (2) b) Begünstigende VA Rechtmäßige, begünstigende VA sind aufgrund entgegenstehenden Vertrauensschutzes nur unter speziellen, im Einzelnen festgelegten Voraussetzungen widerrufbar  Vertrauensschutz hier am höchsten Auch hier ist zu differenzieren zwischen VA, die einmalige oder laufende Geld- oder Sachleistungen zum Gegenstand haben (§ 49 III VwVfG) sowie allen den übrigen Fällen (§ 49 II VwVfG) i) Begünstigende VA nach § 49 II 1 VwVfG Dürfen ( Ermessen) auch nach Unanfechtbarkeit ganz / teilweise nur mit Wirkung für die Zukunft und nur in festgelegten Fällen widerrufen werden: (Nr. 1): Widerruf durch Rechtsvorschrift zugelassen oder im VA vorbehalten (z.B. Entlassung eines „Beamten auf Widerruf“ durch Widerruf nach § 37 BBG) 24 B. I. 6. Widerruf rechtmäßiger VA (3) (Nr. 2): Nichterfüllung einer Auflage ◦ Behörde muss in Ausübung ihres Widerrufsermessens stets prüfen, ob die isolierte Durchsetzung der Auflage (s.o. zu Nebenbestimmungen) nicht milderes Mittel darstellt ◦ Bsp.: Erst dann, wenn die Durchsetzung einer Auflage ggü. einem Gastwirt, mit Musik einen bestimmten Lärmpegel nicht zu überschreiten, fehlschlägt, kommt erst ein Widerruf in Betracht (Nr. 3): Nachträgliche Änderung der Sachlage ◦ es muss sich eine entscheidungserhebliche Tatsache (z.B. Verhalten des Betroffenen, aber auch äußere Umstände) geändert haben, die die Behörde dazu berechtigen würde, den entsprechenden VA gar nicht erst zu erlassen und ◦ es muss eine Gefährdung des öffentlichen Interesses (z.B. drohender Schaden für wichtige Gemeingüter) drohen 25 B. I. 6. Widerruf rechtmäßiger VA (4) (Nr. 4): Nachträgliche Änderung der Rechtslage ◦ es muss sich eine Rechtsvorschrift derart geändert haben, dass die Behörde berechtigt wäre, den entsprechenden VA gar nicht erst zu erlassen, soweit ◦ der Begünstige noch keinen Gebrauch von der Leistung gemacht oder aufgrund eines VA noch keine Leistungen empfangen hat, ◦ wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet wäre ◦ Bsp.: Kurz, nachdem A eine Baugenehmigung erhält, ändert sich die BauO NRW derart, dass er danach keine Baugenehmigung mehr erhalten würde; nur, wenn A noch nicht mit dem Bau begonnen hat und öffentliches Interesse gefährdet wäre, dürfe widerrufen werden (Nr. 5): Um schwere Nachteile für das Allgemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen Auf seltene Ausnahmefälle beschränkt  Auffangtatbestand 26 B. I. 6. Widerruf rechtmäßiger VA (5) Für Nr. 2-5 gilt wiederum eine Entschädigungspflicht wie bei der Rücknahme (vgl. § 49 VI 1, 2 VwVfG); bei Nr. 1-2 gilt diese nicht, weil schutzwürdiges Vertrauen gar nicht erst entstanden ist; hier ist der Zivilrechtsweg einzuschlagen (§ 49 VI 3 VwVfG) Die Jahresfrist aus § 48 IV VwVfG gilt entsprechend, vgl. § 49 II 2 VwVfG ii) Begünstigende VA nach § 49 III VwVfG Gilt für VA, die eine zweckgebundene einmalige oder laufende Geld- oder Sachleistung oder die Voraussetzungen dafür beinhalten 27 B. I. 6. Widerruf rechtmäßiger VA (6) Widerruf möglich, auch nachdem VA unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise, auch mit Wirkung für die Vergangenheit (ex tunc), wenn  die Leistung nicht alsbald nach der Erbringung für den in dem Verwaltungsakt bestimmten Zweck verwendet wird, oder  wenn mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist erfüllt hat. 28 B. I. 6. Widerruf rechtmäßiger VA (6) Wirksamkeit des Widerrufs, § 49 IV VwVfG mit dem Wirksamwerden des Widerrufs, wenn Behörde keinen anderen Zeitpunkt bestimmt hat Ist ein Widerruf nur für die Zukunft zugelassen, kann die Behörde nur einen späteren Wirksamkeitszeitpunkt bestimmen Örtliche Zuständigkeit (§ 49 V VwVfG) Örtlich zuständig für den Erlass des Widerrufs ist nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 VwVfG zuständige Behörde. 29 B. I. 6. Übungsfall Aufhebung - Sachverhalt A ist seit 2002 Eigentümer eines Hausgrundstücks im Außenbereich mit Sickergrube. Die Stadt S errichtet 2011 einen öffentlichen Schmutzwasserkanal, ordnet einen Anschluss- und Benutzungszwang auf der Grundlage ihrer Entwässerungssatzung an, befreit aber den A hiervon, weil eine Klärung der vom Grundstück des A herrührenden Abwässer nur bei Anschlusskosten von „mindestens 25.000 €“ möglich sei. In dem entsprechenden Bescheid ist ausgeführt, dass A aufgrund der gegeben Umstände auf Dauer befreit werde, weil die hohen Anschlusskosten für ihn eine unbillige Härte darstellen würden. Anfang 2020 nimmt die Stadt eine zentrale Kläranlage in Betrieb und errichtet Verbindungssammler. Sie hebt den Befreiungsbescheid auf der Grundlage ihrer Satzung auf und fordert A auf, sein Grundstück an den Schmutzwasserkanal anzuschließen; nun würden lediglich Kosten in Höhe von 5.000 € anfallen. A meint, dass sich die in 2005 getätigten Investitionen in die Sickergrube noch nicht ausgezahlt hätten, damit habe die Behörde seinem Vertrauensschutz nicht hinreichend Rechnung getragen. Erfolgte die Aufhebung zu Recht? 30 B. I. 6. Übungsfall Aufhebung – Lösung Ermächtigungsgrundlage des Aufhebungsbescheids (VA) ? Formelle Rechtmäßigkeit (des VA)? Materielle Rechtmäßigkeit (des VA) ? 31 B. I. 6. Übungsfall Aufhebung – Lösung Herangehensweise: § 48 VwVfG (Rücknahme; beg. oder bel.?) oder § 49 VwVfG (Widerruf; beg. oder bel.?)  Genaue EGL finden (Absatz, Nr. etc) 32 B. I. 6. Übungsfall Aufhebung – Lösung (1) Es könnte ein Widerruf auf der Grundlage von § 49 II 1 Nr. 3 VwVfG möglich sein. Das setzt voraus, dass die Behörde auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, und dass ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde (Änderung der Sachlage). Der Umstand, dass durch die Inbetriebnahme einer zentralen Kläranlage und eines Verbindungssammlers die Möglichkeit einer Vollklärung der vom Grundstück des A herrührenden Abwässer geschaffen worden ist, ist eine nachträglich eingetretene Tatsache i. S. des § 49 II 1 Nr. 3 VwVfG. Diese nachträglich eingetretene Tatsache würde die Stadt zum heutigen Zeitpunkt auch berechtigen, die von A gewünschte Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang zu versagen. Der Anwendung des § 49 Abs. 2 S. 1 S. 1 Nr. 3 VwVfG könnte jedoch entgegenstehen, dass der Befreiungsbescheid von einer Befreiung „auf Dauer“ spricht. 33 B. I. 6. Übungsfall Aufhebung – Lösung (2) Auch bei dieser Formulierung kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass der Befreiungsbescheid unabhängig von einer Änderung der tatsächlichen Umstände nicht mehr widerrufen werden sollte. Außerdem müsste „ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet“ sein. Dabei genügt es nicht, dass der Widerruf im öffentlichen Interesse liegt. Erforderlich ist vielmehr, dass der Widerruf zur Abwehr einer Gefährdung des öffentlichen Interesses, d. h. zur Beseitigung oder Verhinderung eines sonst drohenden Schadens für wichtige Gemeinschaftsgüter geboten ist. Davon ist hier auszugehen. Schutzgut der öffentlichen Abwasserbeseitigung ist im Interesse des Allgemeinwohls, insbesondere der Volksgesundheit, nicht zuletzt die Sauberkeit des Grundwassers. 34 B. I. 6. Übungsfall Aufhebung – Lösung (3) Möglicherweise könnte A aber geltend machen, dass er von der ihnen gewährten Vergünstigung im Sinne des § 49 II 1 Nr. 4 VwVfG Gebrauch gemacht hat. Das Vorliegen eines Tatbestandsmerkmals des § 49 II 1 Nr. 4 VwVfG schließt einen Widerrufsgrund nach § 49 II 1 Nr. 3 VwVfG aber nicht aus. Außerdem liegt ein „Gebrauchmachen“ nicht vor. Der Begriff ist im Sinne eines „Ins-Werk-Setzens“ zu verstehen. Daran fehlt es hier aber, weil die auf dem Grundstück des A befindliche Sickergrube bereits vor der Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang installiert war. Diese Anlage und die Investitionen (im Jahr 1991) wurden also nicht erst im Vertrauen auf den Befreiungsbescheid von 2011 errichtet, so dass sie sich nicht als "Ausführungshandlung" der gewährten Vergünstigung darstellt 35 B. I. 6. Übungsfall Aufhebung – Lösung (4) In dem Widerruf könnte schließlich noch ein Ermessensfehler liegen. Zu Recht legt jedoch das BVerwG das der Behörde in § 49 II 1 Nr. 3 - 5 VwVfG eingeräumte Ermessen im Hinblick auf das öffentliche Interesse an einem Widerruf der Vergünstigung als in Richtung auf einen Widerruf „intendiert“ aus: Der Regelung des § 49 II 1 VwVfG liegt nämlich insgesamt der Gedanke zugrunde, dass in den Widerrufsfällen der Nr. 1-5 das öffentliche Interesse an der Beseitigung oder Änderung des Verwaltungsaktes allgemein schwerer wiegt als das Interesse des Betroffenen am Bestand des Verwaltungsakts und ein damit einhergehendes Vertrauensinteresse. (Die Richtung der Entscheidung liegt quasi vor.) Ergebnis: Der Widerruf erfolgte rechtmäßig. 36 B. I. 6. Erstattung und Verzinsung (1) Bereits erbrachte Leistungen sind nach § 49a I 1 VwVfG vom Bürger zu erstatten, soweit ein VA mit Wirkung für die Vergangenheit ◦ zurückgenommen (§ 48 VwVfG) oder ◦ widerrufen (§ 49 VwVfG) worden oder ◦ infolge Eintritts einer auflösenden Bedingung (§ 36 II Nr. 2 VwVfG) unwirksam geworden ist. Fall des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs, gilt aber im Gegensatz zu diesem nur im Verhältnis Behörde gegen Bürger Rückforderung (nicht zu verwechseln mit Rücknahme!) nach § 49a I 2 VwVfG) schriftlich festzusetzender (eigenständiger) VA  wichtig für Klausuren, es müssen z.B. bei Aufhebung und Rückforderung einer Subvention zwei Klagen (gegen zwei Bescheide) geprüft werden, die aber mittels objektiver Klagehäufung (§ 44 VwGO) zusammen geprüft werden können 37 B. I. 6. Erstattung und Verzinsung (2) Umfang der Erstattungspflicht (§ 49a II-IV VwVfG) ◦ für die gesamte Erstattung mit Ausnahme der Zinsen gilt Bereicherungsrecht des BGB (§ 812 ff. BGB) ◦ Konsequenz: Einwand der Entreicherung (§ 818 III BGB) möglich; § 49a II 2 VwVfG setzt dem Grenzen, da hiernach der Einwand nicht möglich ist, wenn der Begünstigte die Umstände kannte oder hätte kennen müssen, die zur Aufhebung eines begünstigenden VA geführt haben ◦ Für Zinsen gilt § 49a III VwVfG: jährlich mit 5 % über dem Basiszinssatz (§ 247 BGB); auf Zinsen kann unter den Voraussetzungen von § 49a III 2 VwVfG verzichtet werden Verjährung der Ansprüche nach Regelverjährung in 3 Jahren (§§ 195, 199 I BGB analog), beachte aber § 53 VwVfG 38

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