Baustofflehre 1: Schadstoffe und Ökobilanzierung von Bauprodukten PDF
Document Details
Uploaded by AdjustableNitrogen881
Hochschule 21, Buxtehude
Prof. Dr.-Ing. Helmut Marquardt, Prof. Dr.-Ing. Holger Stehr
Tags
Summary
This document, Baustofflehre 1, covers topics related to building materials, environmental impact, and ecological assessments. It discusses harmful substances, environmental awareness, and strategies for ecological building. The document is part of a course at hochschule 21, Buxtehude.
Full Transcript
Prof. Dr.-Ing. Helmut Marquardt bearbeitet von Prof. Dr.-Ing. Holger Stehr hochschule 21, Buxtehude Baustofflehre 1 3 Schadstoffe und Ökobilanzierung von Bauprodukten 3 ___________________________________________________________________________ 4 Schadstoffe und Ökobilanzierung von Bauprodukte...
Prof. Dr.-Ing. Helmut Marquardt bearbeitet von Prof. Dr.-Ing. Holger Stehr hochschule 21, Buxtehude Baustofflehre 1 3 Schadstoffe und Ökobilanzierung von Bauprodukten 3 ___________________________________________________________________________ 4 Schadstoffe und Ökobilanzierung von Bauprodukten................................................. 2 4.1 Umweltbewusstsein in Gesellschaft und Politik........................................................ 2 4.1.1 Ökologisches Bauen?..................................................................................... 2 4.1.2 Ökologie als Wissenschaft und als politisches Ziel......................................... 4 4.1.3 Ist ökologische Qualität messbar?................................................................ 11 4.2 Für Gesundheit und Umwelt schädliche Stoffe und Strahlung............................... 14 4.2.1 Überblick....................................................................................................... 14 4.2.2 Arbeitsstoffe (Gefahrstoffe)........................................................................... 15 4.2.3 Risikobewertung........................................................................................... 27 4.2.4 Innenraumbelastungen................................................................................. 31 4.2.5 Umweltschadstoffe....................................................................................... 43 4.2.6 Schädliche Strahlung.................................................................................... 48 4.3 Ökobilanzen nach ISO 14040 ff.............................................................................. 59 4.3.1 Vom Rohstoff zum Rückbau......................................................................... 59 4.3.2 Sachbilanz.................................................................................................... 61 4.3.3 Wirkungsabschätzung zur Bewertung der Sachbilanz.................................. 66 4.3.4 Quantifizierung der Wirkungen..................................................................... 75 4.3.5 Auswertung der Ökobilanz............................................................................ 80 4.4 Vereinfachte ökologische Beurteilung von Bauprodukten...................................... 80 4.4.1 Positivlisten................................................................................................... 80 4.4.2 Umweltkennzeichnungen und -deklarationen............................................... 84 4.5 Zertifizierung der Nachhaltigkeit von Gebäuden als Ganzes.................................. 90 ________________________________________________________________________. Dieses Skript ist ausschließlich zum internen Gebrauch im Rahmen der Lehre an der hochschule 21 bestimmt. Insbesondere eine Veröffentlichung 3 auch in Auszügen 3 ist ausdrücklich untersagt. Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 -2- 4 Schadstoffe und Ökobilanzierung von Bauprodukten 4.1 Umweltbewusstsein in Gesellschaft und Politik 4.1.1 Ökologisches Bauen? Bereits 1982 findet sich bei Krusche u.a. [4.1] (Hervorhebungen nicht im Original): >Jedes Gebäude, jede Siedlung ist ebenso wie etwa ein Auto oder eine Industrieanlage ein umweltbelastendes Objekt. Herstellung und Transport der Baumaterialien verursachen ebenso wie der Bauvorgang selbst und die anschließende Benutzung der Gebäude Rohstoff- und Energieverbrauch, Luft- und Wasserverschmutzungen, Lärm, Abfälle, mikroklimatische und landschaftliche Veränderungen, Bodenversiegelung und Flächeninanspruchnahme. Die Summe aller Gebäude, aller Siedlungen hat wesent- lichen Anteil an der Ressourcenverknappung und der Umweltbelastung." Die menschliche Bautätigkeit stellt also immer einen Eingriff in den Naturhaushalt und damit in ein vorhandenes Ökosystem dar; das häufig so genannte >ökologische" Bauen kann es daher nicht geben. Im Rahmen des seitdem gewachsenen Umweltbewusstseins wird von Baukunden zunehmend nachhaltiges und damit auch ökologisches Bauen erwartet, so dass die Bauwirtschaft 3 wie alle anderen Wirtschaftszweige auch 3 häufig mit der Frage konfrontiert wird, inwieweit - ihre Produkte am besten natürlich (>bioökoÖkologie" wird allerdings sehr verschieden gebraucht, daher folgt nun eine kurze Einführung in die Ökologie als Wissenschaft und als politisches Ziel. 4.1.2 Ökologie als Wissenschaft und als politisches Ziel In der Wissenschaft werden unter Ökologie folgende Begriffe verstanden [4.1]: - Die Ökologie als Zweig der Naturwissenschaften (im engeren Sinne) ist die Lehre vom Naturhaushalt, die die Wechselbeziehungen (Bild 4.2) - zwischen Organismen untereinander sowie - zwischen Organismen und ihrer anorganischen Umwelt (= unbelebte Natur) untersucht. Damit stellt die Ökologie eine Verbindung zwischen den >klassischen" Naturwissenschaften Biologie, Physik und Chemie her. - Auch die Wechselbeziehungen des Menschen und seiner künstlich geschaffenen Umwelt mit dem Naturhaushalt gehören zu einem erweiterten Ökologieverständnis, das die technischen und Humanwissenschaften mit einbezieht und das daher im erweiterten Sinne als Humanökologie bezeichnet wird. Bild 4.2: Definition des Begriffs Ökologie [4.5] Die genannten Wechselbeziehungen ergeben in ihrer Summe ein komplexes System, in dem alle Organismen - mit Hilfe der Energiezufuhr von der Sonne - und durch ständigen Austausch mit der Biosphäre Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 -5- ihren Lebensraum schaffen und erhalten. Dabei entsteht ein sog. dynamisches Gleichge- wicht, d.h. alle Organismen verändern sich zwar ständig, in seiner Gesamtheit bleibt aber 3 nach menschlichem Maßstab 3 das Ökosystem über lange Zeiträume stabil. Betrachtet man allerdings die Erdgeschichte, so gab es nie ein über längere Zeit stabiles Gleichgewicht zwischen den Organismen: ständig wurden bestimmte Pflanzen und Tiere durch andere, erfolgreichere zurückgedrängt 3 und zur Zeit scheint der Mensch ein besonders erfolgreicher Organismus zu sein. Für die Ökologie als passiv-beschreibende Wissenschaft stellt das auch kein Problem dar; sollte die Menschheit ihr Zerstörungspotential nutzen, z.B. - mit längerfristiger Wirkung (wie sie durch verschiedene sog. Weltmodelle simuliert werden kann [4.6], s. z.B. Bild 4.3) oder - kurzfristig durch Zündung sämtlicher Atomwaffen, so werden beispielsweise im zweiten Fall voraussichtlich alle >höheren Lebewesen" vernichtet, nicht jedoch die Natur ganz und gar zerstört. Dazu Hubert Markl [4.7]: >Mit irgendwelchen Lebensformen wird irgendeine Natur gewiß weiterexistieren. An unserem Untergang wäre nichts Widernatürliches." Diese pessimistische Zukunftsvision ruft jedoch politische Vordenker auf den Plan, die der Menschheit eine solch düstere Zukunft ersparen möchten und daher Ökologie als politisches Ziel formulieren, vereinfacht z.B. (in Anlehnung an Hubert Markl [4.7]): - Der zunehmende Verbrauch endlicher Rohstoffvorräte bei gleichzeitig negativer Veränderung des menschlichen Lebensraums ist baldmöglichst drastisch ein- zuschränken, um wieder einen langfristigen Gleichgewichtszustand des Ökosystems Erde zu erreichen. Dieser Gleichgewichtszustand soll nicht gesellschaftlichen oder ökonomischen Stillstand bedeuten, es wäre dann aber nur noch eine sog. nachhaltige Entwicklung (englisch sustainable development) möglich 3 ein der Forstwirtschaft entlehnter Begriff; nachhaltige Bewirtschaftung bedeutet dort, dass nicht mehr Holz geschlagen wird als nachwächst [4.8]. Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 -6- a) b) Bild 4.3: Qualitative Verläufe des Weltmodells des :Club of Rome' (nach Meadows [4.6]) a) unter der Annahme praktisch unbegrenzter Rohstoffvorräte und Umweltverschmutzung b) unter der Annahme praktisch unbegrenzter Rohstoffvorräte, jedoch kontrollierter Umwelt- verschmutzung Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 -7- Zu diesem globalen Ziel können Unterziele formuliert (z.B. hinsichtlich Bevölkerungsent- wicklung oder Energiewirtschaft) und Strategien zu ihrer Durchsetzung entwickelt werden, wie z.B. - im Faktor-Vier-Bericht an den :Club of Rome' von Weizsäcker, Lovins und Lovins [4.9], in dem Vorschläge zur Verdoppelung des Wohlstandes bei halbiertem Natur- verbrauch gemacht werden, bzw. - im Bericht :Konzept Nachhaltigkeit9 der Enquete-Kommission :Schutz des Men- schen und der Erde9 des 13. Deutschen Bundestages von 1998 [4.10], in dem die in Tabelle 4.1 zusammengestellten Grundregeln zum Management von Stoff- strömen genannt werden. Tabelle 4.1: Grundregeln zum Manage- ment von Stoff- strömen [4.10] Deshalb sollen im Rahmen dieses Skriptes stattdessen die Begriffe >nachhaltiges< oder >umweltbewusstes" Bauen verwendet werden, die besser beschreiben, dass alle im Bau- wesen Tätigen immer versuchen sollten, sich die Umweltwirkungen der Bauwerke und Bau- verfahren bewusst zu machen und als Konsequenz daraus möglichst nachhaltig zu bauen 3 dazu sollen die folgenden, beim Bauen zu verfolgenden Unterziele beitragen: A. Erstes Unterziel: Kreislaufwirtschaft Um die o.g. nachhaltige Entwicklung zu erreichen, müssen der Material- und Energie- haushalt im Bauwesen geändert werden: Der Verbrauch endlicher Rohstoffvorräte Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 -8- ist zu verringern (und schließlich zu beenden), d.h. die seit Jahrzehnten übliche lineare Materialwirtschaft (Bild 4.4a) muss weitestgehend in eine Kreislaufwirtschaft (d.h. einen Gleichgewichtszustand) überführt werden (Bild 4.4b, s. auch Abschnitt 5.2). Bild 4.4: Lineares Wirtschaften und Kreislaufwirtschaft (nach [4.11]) a) lineares Wirtschaften von Rohstoffgewinnung über Baustofferzeugung, Bauwerkserstel- lung, Nutzung, Abbruch (Zerstörung) zur Entsorgung (= Deponierung) b) Kreislaufwirtschaft mit vollständigem Recycling, d.h. minimiertem Rohstoffeinsatz und nur noch verrottenden Stoffen als zu entsorgendem Anteil B. Zweites Unterziel: Verringerung von Schadstoffemissionen und sonstigen Gefährdungen Tabelle 4.1 Nrn. 3 bis 5 folgend gehört zur o.g. nachhaltigen Entwicklung auch die Verringerung möglicher Schadstoffemissionen (d.h. für Umwelt und Gesundheit schäd- licher Stoffe) und sonstiger Gefährdungen (d.h. schädlicher Strahlung). Die Betrach- tung von Schadstoffemissionen und schädlicher Strahlung bei Rohstoffgewinnung, Baustofferzeugung, Transport, Verarbeitung, Nutzung und Wiederverwendung bzw. Entsorgung der Baustoffe folgt in Abschnitt 4.2. Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 -9- C. Drittes Unterziel: Verringerung der CO2-Emissionen Ein besonders hoher Rohstoffverbrauch während der Nutzung von Gebäuden und ein Beitrag zur negativen Veränderung des menschlichen Lebensraums 3 dem sog. Treibhauseffekt 3 ergibt sich durch die Verbrennung fossiler Energieträger mit dem dabei entstehenden Kohlendioxid CO2. Daher muss beim nachhaltigen, umweltbe- wussten Bauen angestrebt werden, dass nicht nur bei der Herstellung, sondern auch während der Nutzungszeit der Gebäude - in erster Linie drastisch Energie gespart und - der verbleibende Energiebedarf durch regenerative Energie gedeckt werden. Dabei ist die Betrachtung des Energiebedarfs nicht nur für den Stoffkreislauf der Baustoffe, sondern auch während der i.d.R. langen Nutzungsdauer des Bau- werks 3 auch Lebenszyklus genannt 3 notwendig, da in dieser Zeit i.d.R. der größte Energiebedarf entsteht (Bild 4.5, s. auch Abschnitt 4.5 und das Modul :Bauphysik und Technischer Ausbau A99). Bild 4.5: Primärenergieaufwand (nicht erneuerbarer Anteil) für Erstellung und Nutzung eines Mehrfamilienhauses (Beispielgebäude in Betonbauweise, Erstellung ohne Installationen und ohne bezugsfertige Bearbeitung von Wänden und Böden, Stand vor 2001) [4.12] Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 10 - Bild 4.6: Ausgewählte Zieldimensionen für den Bereich :Bauen und Wohnen9 [4.10] Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 11 - Ergänzen lassen sich die bisher genannten Bewertungsmaßstäbe noch durch weitere Anfor- derungen an das nachhaltige, umweltgerechte Bauen wie - flächensparendes Bauen, - Begrünung von Gebäuden und Wohnumfeld oder - teilweiser Ersatz von Trinkwasser durch Regen- oder Grauwasser. Diese gehören in den Bereich der Stadt- oder Objektplanung und sollen im Modul :Baustoff- lehre 19 nicht näher behandelt werden. Eine über die ökologische Dimension hinausgehende Zieldefinition für den Bereich :Bauen und Wohnen9 mit einer umfangreichen Darstellung der Stoffströme in diesen Berei- chen und den zugehörigen ökologischen Dimensionen wird auch im o.g. Enquete-Bericht :Konzept Nachhaltigkeit9 [4.10] gegeben (Bild 4.6). 4.1.3 Ist ökologische Qualität messbar? Der Begriff Ökobilanz enthält das Wort >Bilanz", das abgeleitet ist vom lateinischen bilanx gleich >zwei Waagschalen habend" [4.13]. Seit langem schon wird die Handelsbilanz zur Gegenüberstellung der Aktiva (der Kapitalverwendung) und der Passiva (der Kapitalher- kunft) eines Unternehmens verwendet (Tabelle 4.2) 3 auftretende Differenzen beschreiben Gewinn oder Verlust im Betrachtungszeitraum. Tabelle 4.2: Struktur einer Handelsbilanz; der Jahresüberschuss bzw.-fehlbetrag be- schreibt die Speichereffekte Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 12 - Verhältnismäßig einfach lässt sich der Begriff >Bilanz" zur Bewertung des umweltgerechten Bauens auf die sog. Sachbilanz als Summe - der Energiebilanz für den gesamten Energiehaushalt sowie - aller Stoffbilanzen für die jeweiligen, einzelnen Stoffkreisläufe übertragen, da auf Grund - des Erhaltungssatzes der Energie bzw. - des Prinzips der Massenerhaltung in gleicher Weise die Energie- bzw. Stoffherkunft (input) und die Energie- bzw. Stoff- verwendung (output) in [kWh/a] bzw. [t/a, kg/a, g/a] gegenübergestellt werden können 3 eine eventuelle Differenz kann nur aus Speichereffekten herrühren (Bild 4.7a). Bild 4.7: Vergleich von Sachbilanzen (Energie-/Stoffbilanzen) und Ökobilanz (nach [4.13]) a) Energie oder Stoffbilanz (aufgrund der Bilanzbedingung >Energieerhaltung" bzw. >Massenerhaltung" ist die Waage immer im Gleichgewicht) b) Ökobilanz (im allgemeinen ist die Waage nicht im Gleichgewicht) Solche klar definierten Bilanzen, wie sie z.B. als Energiebilanzen gemäß VDI 4600 [4.14] für sämtliche Herstellungsprozesse aufgestellt werden können, sind nun begrifflich auf die ge- samtheitliche Beurteilung aller umweltrelevanten Einflussfaktoren 3 also auch der in Abschnitt 4.2 folgenden schädlichen Emissionen und sonstigen Gefährdungen 3 übertragen worden als sog. Ökobilanz. Hierfür gibt es aber keine physikalische Gleichgewichtsbedin- gung, da in eine Ökobilanz - sowohl die gesamte Energiebilanz - als auch verschiedene Stoffbilanzen eingehen müssen, deren Gewichtung subjektiv ist. Die Reduktion auf eine Waage (Bild 4.7b) 3 letztendlich das Ziel jeder Ökobilanz 3 stellt ein nicht gelöstes Bewertungsproblem dar, wie beispielhaft an der unbewerteten Ökobilanz in Bild 4.8 erkennbar wird [4.13]: ist hier Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 13 - z.B. die Abnahme des Kohlendioxid- und Schwefeldioxideintrags in die Atmosphäre höher zu bewerten als die Zunahme des Kohlenmonoxid- und Stickoxideintrags oder umgekehrt? Bild 4.8: Zur Beurteilung, ob der Ersatz einer Heizölfeuerung (195 000 t/a) durch eine Feuerung mit Restholzschnitzeln (1 Mio. m3/a) ökologisch sinnvoll ist, wurden für beide Alternativen jeweils für neun Schadstoffe Stoffbilanzen aufgestellt; die Differenzen zur Heizölfeuerung sind hier als unbewertete Ökobilanz zusammengestellt (nach [4.13]) Im internationalen Sprachgebrauch spricht man deshalb auch nicht von Ökobilanzen, sondern von LCA = Life Cycle Assessment (Lebenszyklusbewertung). Vor Bewertung von Ökobilanzen muss geklärt werden, welche Umwelt- und Gesundheits- schäden die in Bild 4.8 genannten (sowie weitere) Schadstoffe bewirken. Vor der näheren Be- trachtung des o.g. Bewertungsproblems sollen deshalb zunächst im folgenden Abschnitt 4.2 Grundkenntnisse über die Bewertung der für Gesundheit und Umwelt schädlichen Stoffe sowie möglicherweise gesundheits- und umweltgefährdende Strahlung vermittelt werden, da ohne Kenntnis darüber keine Bewertung einer unbewerteten Ökobilanz möglich ist (zur Fortsetzung s.u. Abschnitt 4.3). Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 14 - 4.2 Für Gesundheit und Umwelt schädliche Stoffe und Strahlung 4.2.1 Überblick Gemäß Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist Gesundheit der Zustand des vollkom- menen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens. Diverse Einflüsse können diesen Zustand stören, u.a. schädliche Stoffe und Strahlung. Tabelle 4.3: Schadstoffkategorien im Bauwesen; die Schadstoffe treten während des Lebenszyklus von Bauwerken (oben) in verschiedenen Zeiträumen auf (nach [4.15]) Lebenszyklus des Gebäudes Innenraum- belastungen Arbeitsstoffe (Gefahrstoffe) Umwelt- schadstoffe Bei der Betrachtung von gesundheits- und umweltschädlichen Stoffen sowie schädlicher Strahlung sind als Schadstoffkategorien gemäß Tabelle 4.3 - gesundheitsschädliche Innenraumbelastungen, - gesundheitsschädliche Arbeitsstoffe und - Umweltschadstoffe (in der politischen Diskussion auch Umweltgifte genannt) in verschiedenen Phasen des Gebäudelebenszyklus zu unterscheiden [4.15]. Dabei ist Folgendes zu beachten: - Erstens (vgl. Tabelle 4.3) Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 15 - - treten dem Gebäude zuzuordnende Innenraumbelastungen während der i.d.R. langen Nutzungszeit des Gebäudes auf, - während Arbeitsstoffe und Umweltschadstoffe nur während der Baustoff- herstellung, dem Bauprozess, evtl. Umbau/ Sanierung sowie Abbruch/ Entsorgung erfasst werden; durch die Nutzer (z.B. durch Möbel oder beim Heimwerken) eingebrachte Schad- stoffe sind praktisch nicht zu erfassen und müssen daher unberücksichtigt bleiben. - Zweitens - sind Arbeitsstoffe und Innenraumbelastungen nur von lokaler Bedeutung, - während Umweltschadstoffe i.d.R. von globaler Bedeutung sind. 4.2.2 Arbeitsstoffe (Gefahrstoffe) Bis 2004 gab es in Deutschland für gewerbliche Arbeitsplätze aus Gründen des Arbeitsschutzes für mehr als 400 chemische Substanzen die Maximalen Arbeitsplatzkonzentrationen (MAK) als 3 auf dem Chemikaliengesetz (ChemG) [4.16] und der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) von 1993 [4.17] basierende 3 rechtlich verbindliche Grenzwerte für toxische Arbeitsstoffe; diese MAK-Werte wurden von der >Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe" der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ständig aktualisiert in der sog. MAK-Werte-Liste zusammengestellt. Tabelle 4.4: Gegenüberstellung einiger Begriffe in der alten [4.17] und der neuen Gefahrstoff- verordnung [4.18][4.19] GefStoffV 1993 GefStoffV 2004/05 und 2010/11 Abk. Begriff Abk. Begriff MAK maximale Arbeitsplatzkonzentration AGW Arbeitsplatzgrenzwert TRK technische Richtkonzentration - (entfallen) BAT biologischer Arbeitsstofftoleranzwert BGW biologischer Grenzwert Mit der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) von 2004/05 [4.18] (novelliert 2010/11 [4.19]) wurden auf Grund entsprechender EU-Richtlinien neue Begriffe eingeführt (Tabelle 4.4). Die ergänzenden nationalen Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) wurden inzwischen Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 16 - angepasst (v.a. TRGS 900 [4.20], ältere TRGS können aber weiterhin zur Auslegung heran- gezogen werden, sofern sie nicht im Widerspruch zur neuen Verordnung stehen [4.21]). Die MAK-/AGW-Werte ergeben sich i.d.R. aus Tierversuchen mit Hochrechnungen unter der Annahme, dass nur - gesunde Personen mittleren Alters und mittleren Körpergewichts - bei bis zu 40 Stunden Wochenarbeitszeit den entsprechenden Schadstoffen bei wiederholter und langfristiger Einwirkung ausgesetzt sind [4.4][4.22]. Als Beispiele von AGW-Werten für toxische (giftige) Arbeitsstoffe aus der TRGS 900 (Stand 2024) [4.20] seien genannt: - Kohlenmonoxid: AGW-Wert 20 ppm = 20 ml/m³ (= 23 mg/m³) - Styrol: AGW-Wert 20 ppm = 20 ml/m³ (= 86 mg/m³) - Schwefelhexafluorid: AGW-Wert 5000 ppm = 5000 ml/m³ (= 30000 mg/m³) Einschub: Schadstoffe oder schädigende Strahlung werden in der Toxikologie bzw. Umweltmedizin zum Begriff Noxe (= krankheitserregende Ursache) zusammengefasst [4.23][4.24], die nach folgenden drei grundlegenden Wirkmechanismen von Schadstoffen oder schädlicher Strahlung unterschieden werden [4.24][4.25]: - Bei toxischer (giftiger) Wirkung einer Noxe besteht eine Dosis-Wirkungs-Bezie- hung, die die Angabe einer Schwellendosis ermöglicht, unterhalb der keine Schäden zu erwarten sind (Bild 4.9). - Bei allergieauslösender = sensibilisierender Wirkung einer Noxe können 3 so- fern eine Sensibilisierung bereits stattgefunden hat 3 kleinste Dosen eine Reaktion hervorrufen, daher ist eine Angabe einer Schwellendosis nicht möglich. - Bei krebserzeugender, erbgutverändernder oder fruchtbarkeitsgefährdender Wirkung einer Noxe (sog. KEF-Stoff, international CMR-Stoff = cancerogen, mutagen, reproduktionstoxisch [4.26]) können ebenfalls kleinste Dosen wirksam sein, auch hier ist die Angabe einer Schwellendosis nicht möglich, sondern nur eine Dosis-Häufigkeits-Beziehung (Bild 4.10). Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 17 - Bild 4.9: Beispielhafte Schädigungsfunktion eines Schadstoffes mit Schwellenwert, erst oberhalb dieses Schwellenwertes ist eine (hier fett dargestellte) Dosis-Wirkungs- Beziehung nachweisbar (nach [4.25]) Bild 4.10: Beispielhafte Schädigungsfunktion eines krebserzeugenden (kanzerogenen) Schadstoffes ohne Schwellenwert, die (hier fett dargestellte) Dosis-Häufigkeits-Beziehung endet dort, wo im Tierversuch kein Effekt mehr beobachtet wurde (nach [4.25]) Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 18 - Tabelle 4.5: Beispiele für die Einstufung und Kennzeichnung von Gefahrstoffen aus dem Anhang der EU-Verordnung 1272/2008 [4.28] Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 19 - Neben der AGW-Liste für toxische Arbeitsstoffe (TRGS 900 [4.20]) gibt es für krebserzeu- gende Arbeitsstoffe 3 bei denen prinzipiell jede noch so geringe Konzentration eine Krebs- gefährdung beinhaltet 3 im Anhang VI der EU-Verordnung 1272/2008 [4.28] (früher Anlage I der Richtlinie 67/548/EWG [4.27]) folgende Klassifizierung nach erwiesener oder vermuteter Kanzerogenität [4.23][4.25][4.27] (Mutagenität und Reproduktionstoxizität analog): - Carc. 1A = Kanzerogenität Kategorie 1A: Stoff verursacht nachweislich (früher Carc. Cat. 1, vormals national III A1) beim Menschen Krebs, - Carc. 1B = Kanzerogenität Kategorie 1B: Stoff verursacht nachweislich (früher Carc. Cat. 2, vormals national III A2) im Tierversuch Krebs, - Carc. 2 = Kanzerogenität Kategorie 2: begründeter Verdacht auf (früher Carc. Cat. 3, vormals national III B) krebserzeugendes Potential. Einige Beispiele aus der EU-Verordnung 1272/2008 nennt Tabelle 4.5. Hinweis: In der nationalen TRGS 905 [4.29] finden sich weitere krebserzeugende Stoffe sowie Stoffe, für die der Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) eine abweichende Einstufung beschlossen hat! Für krebserzeugende Arbeitsstoffe der früheren Klassen III A1, III A2 und III B, für die wegen fehlender Schwellendosis keine MAK-Werte aufgestellt werden konnten, wurden teilweise 3 ebenfalls auf dem Chemikaliengesetz [4.16] und der alten Gefahrstoffverordnung [4.17] beru- hende 3 Technische Richtkonzentrationen (TRK) in den TRGS 102 [4.30] festgelegt; die TRK-Werte orientierten sich an den technischen Möglichkeiten in den betroffenen Betrieben und stellten Anhaltswerte für die zu treffenden Schutzmaßnahmen und deren Überwachung am Arbeitsplatz dar [4.22]. Eigentlich sollten die TRK-Werte so weit wie möglich unterschritten werden; in der Praxis wurden sie aber wie Grenzwerte gehandhabt [4.4]. In der Gefahrstoff- verordnung 2004/05 [4.18][4.21] bzw. 2010/11 [4.19] sind Richtwerte für KEF-Stoffe ent- fallen (vgl. Tabelle 4.4), bei ihrer Nutzung ist die höchste Schutzstufe 4 einzuhalten (s.u.), sofern sie nicht besonderen Herstellungs- und Verwendungsbeschränkungen unterliegen. Diese besonderen Herstellungs- und Verwendungsbeschränkungen finden sich im Anhang XVII der EU-Verordnung 1907/2006/EG 3 der sog. REACh-Verordnung 3 (REACh = Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) [4.34]; zur Registrierungspflicht von Stoffen bzw. Zubereitungen s. Tabelle 4.6. Bei jedem Stoff stehen in der REACh-Verordnung eine Index-Nummer, eine (alte) EG-Nummer und die international verbreitete CAS-Nummer (CAS = Chemical Abstracts Service). Nationale Ergänzungen sind geregelt in § 16 mit Anlage II GefStoffV 2010/11 [4.19] 3 solche gibt es für Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 20 - - Asbest, - die aromatischen Amine 2-Naphtylamin, 4-Aminobiphenyl, Benzidin, 4-Nitrobiphenyl, - Pentachlorphenol und seine Verbindungen, - nitrosierende Kühlschmierstoffe und Korrosionsschutzmittel, - biopersistente künstliche Mineralfasern (KMF) sowie - einige weitere besonders gefährliche krebserzeugende Stoffe. Da eine EU-Regelung fehlte, gab es in der GefStoffV 2004/05 deutlich mehr nationale Herstellungs- und Verwendungsverbote. Tabelle 4.6: Registrierungspflicht nach REACh [4.35] Im Zuge des Inkrafttretens der Biostoffverordnung (BioStoffV) [4.36] im Jahre 1999 sind als weitere Kennwerte der Technische Kontrollwert (TKW) und der Biologische Arbeitsstoff- toleranzwert (BAT) für Mikroorganismen (Bakterien, Pilze) und Viren eingeführt worden (näheres zu biologischen Noxen s. im folgenden Abschnitt 4.2.3) 3 in der GefStoffV 2004/05 [4.18] bzw. 2010/11 [4.19] ersetzt durch den Biologischen Grenzwert (BGW) (vgl. Tabelle 4.4). Unterschieden werden vier Risikogruppen (Tabelle 4.7) [4.31]; biologische Arbeitsstoffe der Risikogruppen 3 und 4 gelten als besonders gefährlich gemäß Anlage 2 der Baustellen- verordnung [4.32][4.33]. Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 21 - Tabelle 4.7: Risikogruppen beim Umgang mit biologischen Arbeitsstoffen (nach [4.31]) Gruppe 1 Biologische Arbeitsstoffe, bei denen es unwahrscheinlich ist, dass sie beim Menschen eine Krankheit hervorrufen Gruppe 2 Biologische Arbeitsstoffe, die eine Krankheit beim Menschen hervorrufen können, bei denen eine Verbreitung des Agens in der Bevölkerung jedoch unwahrscheinlich ist, eine wirksame Vorbeugung oder Behandlung ist normalerweise möglich Gruppe 3 Biologische Arbeitsstoffe, die eine schwere Krankheit beim Menschen hervor- rufen und eine ernste Gefahr für Arbeitnehmer darstellen können; die Gefahr einer Verbreitung in der Bevölkerung kann bestehen, eine wirksame Vor- beugung oder Behandlung ist normalerweise möglich (z.B. bacillus anthracis, der Erreger des Milzbrandes [4.33]) Gruppe 4 Biologische Arbeitsstoffe, die eine schwere Krankheit beim Menschen hervor- rufen und eine ernste Gefahr für Arbeitnehmer darstellen können; die Gefahr einer Verbreitung in der Bevölkerung ist unter Umständen groß, eine wirk- same Vorbeugung oder Behandlung ist nicht möglich (z.B. Ebola-Viren [4.33]) Einer der Hauptinhalte der Gefahrstoffverordnung 2004/05 [4.18] bzw. 2010/11 [4.19] ist die Gefahrstoffinformation, die auf folgenden Säulen ruht: A. Inverkehrbringer gefährlicher Stoffe oder Zubereitungen (Hersteller, Importeure) müssen den Abnehmern ihrer Produkte ein Sicherheitsdatenblatt gemäß REACh- Verordnung 1907/2006/EG [4.34], Anhang II, zur Verfügung stellen, in dem bis 2010 (Übergangsfrist für Zubereitungen aus Chemikalien bis 2015) genannt wurden - bestimmte vorgegebene Kennbuchstaben und Gefahrensymbole, - besondere Gefahrenhinweise für Mensch und Umwelt aus vorgegebenen, sog. R-Sätzen sowie - standardisierte Sicherheitsratschläge, sog. S-Sätze. Welche Kennbuchstaben/Gefahrensymbole, R-Sätze und S-Sätze anzubringen sind, war für sämtliche Gefahrstoffe in Anlage I der Richtlinie 67/548/EWG [4.27] geregelt. Gemäß dem Globally Harmonized System (GHS) der Vereinten Nationen sind durch die EU-Verordnung 1272/2008 [4.28] 3 die sog. CLP-Verordnung (CLP = Classification, Labelling and Packaging of substances and mixtures) 3 seit 2010 ersetzt worden (mit Übergangsfristen bis 2015) - die alten, europäischen Gefahrensymbole durch neue Symbole (Tabelle 4.8), - die früheren R-Sätze durch H-Sätze (engl. hazard, Tabelle 4.9) und - die früheren S-Sätze durch P-Sätze (engl. precaution, Tabelle 4.10). Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 22 - Tabelle 4.8: Gegenüberstellung der bisherigen Gefahrensymbole und der neuen GHS-Pikto- gramme [4.41] Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 23 - Tabelle 4.9: Einige H-Sätze (von engl. hazard) nach EU-Verordnung 1272/2008 [4.41] Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 24 - Tabelle 4.10: Einige P-Sätze (von engl. precaution) nach EU-Verordnung 1272/2008 [4.41] Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 25 - Auf Baustellen gelten Stoffe, die als - explosionsgefährlich (z.B. Peroxide). - hochentzündlich (z.B. Acetylen, Propan, Butan), - krebserzeugend, erbgutverändernd oder fortpflanzungsgefährdend (sog. KEF- Stoffe wie z.B. Asbest, Cadmiumverbindungen, PCB 3 vgl. Tabelle 4.6) oder - sehr giftig (z.B. chromhaltige Holzschutzmittel) eingestuft sind, als besonders gefährlich gemäß Anlage 2 der Baustellenver- ordnung [4.32][4.33]. B. Arbeitgeber müssen im Rahmen der betriebsärztlichen und sicherheitstechnischen Betreuung für ihre Beschäftigten eine Gefährdungsbeurteilung erstellen und die erforderlichen Schutzmaßnahmen treffen; sie müssen hierfür den Sachverstand von Fachkundigen (Betriebsärzte, Fachkräfte für Arbeitssicherheit) einbeziehen [4.39]. Für die Schutzmaßnahmen gilt das Konzept gemäß Tabelle 4.11 [4.18][4.21]. Über das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung ist eine Unterrichtung der Beschäf- tigten in Form einer schriftlichen Betriebsanweisung erforderlich, ferner hat der Arbeitgeber für eine angemessene arbeitsmedizinische Vorsorge zu sorgen. Tabelle 4.11: Schutzmaßnahmen des Arbeitgebers Schutzstufe 1 Tätigkeiten mit geringer Gefährdung: Regelmäßige Kontrolle der Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen Schutzstufe 2 Tätigkeiten mit mittlerer Gefährdung: Über Schutzstufe 1 hinaus sind Grundmaßnahmen zum Schutz der Beschäftigten erforderlich (Schutzausrüstung) Schutzstufe 3 Tätigkeiten mit hoher Gefährdung: Über Schutzstufe 2 hinaus sind ergänzende Schutzmaßnahmen erforder- lich; ferner ist die Herstellung und Verwendung der Gefahrstoffe in ge- schlossenen Systemen sowie eine beschränkte Zugänglichkeit zu den Gefahrstoffen sicherzustellen Schutzstufe 4 Tätigkeiten mit KEF-Stoffen: Über Schutzstufe 3 hinaus sind regelmäßige Gefahrstoffmessungen sowie die Einhaltung spezieller Wartungs- und Instandhaltungsmaßnahmen zu gewährleisten. Schutzstufe 4 gilt nur in den Fällen, in denen für die je- weiligen Gefahrstoffe keine AGWs festgelegt sind 3 das sind die Stoffe, für die früher TRK-Werte galten (vgl. Tabelle 4.4), sofern sie nicht gemäß GefStoffV sowieso verboten sind (vgl. Tabelle 4.6) Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 26 - Zur Unterstützung der Bauwirtschaft gibt es das Gefahrstoff-Informationssystem der Berufsgenossenschaften der Bauwirtschaft (GISBAU) [4.42] mit dem EDV-Programm WINGIS [4.43] (heute online nutzbar [4.44]), mit dessen Hilfe Arbeitgeber der Bauwirtschaft - relativ einfach die notwendigen Betriebsanweisungen erstellen können und - ggf. detaillierte Informationen zu allen relevanten Gefahrstoffen erhalten. Ferner werden dort im Rahmen einer Branchenlösung alle für die Bauwirtschaft relevanten Sicherheitsdatenblätter gesammelt und gemäß REACh-Verordnung archiviert, so dass die zehnjährige Archivierungsfrist in den Bauunternehmen entfällt [4.45]. Ebenfalls auf die Berufsgenossenschaften der Bauwirtschaft gehen die GISCODEs zurück 3 Schlüssel zur vereinfachten Beurteilung von Produkten, die sich häufig in den Produkt- bzw. Sicherheitsdatenblättern finden. Je höher die GISCODE-Nummer, desto gefährlicher 3 z.B.: - RE0 Epoxidharzdispersionen - RE1 Epoxidharzprodukte, lösemittelfrei, sensibilisierend - RE2 Epoxidharzprodukte, lösemittelarm, sensibilisierend - RE & - RE9 Epoxidharzprodukte, krebserzeugend, lösemittelhaltig, sensibilisierend Der Arbeitsschutz auf Baustellen (und damit auch das sichere Arbeiten mit Gefahrstoffen) gehört gemäß Baustellenverordnung zu den Pflichten des Bauherrn [4.32], er fällt i.d.R. (d.h. wenn mehr als ein Arbeitgeber auf der Baustelle tätig ist) in den Aufgabenbereich des vom Bauherrn zu bestellenden Sicherheits- und Gesundheitskoordinators (SiGeKo). Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 27 - 4.2.3 Risikobewertung Der Prozess der Risikoermittlung und -bewertung einer Noxe ist in Bild 4.12 dargestellt: A. Der meist unerwartete erste Schritt ist das Erkennen eines Problems für Gesundheit oder Umwelt durch die Wissenschaft und eine entsprechende Publikation zuerst in Fach- zeitschriften und dann in den allgemein zugänglichen Medien. Bild 4.12: Schema der Risikoermittlung und Entscheidungsfindung bei der Beurteilung von Schadstoffen oder schädlicher Strahlung (mit Zuordnung der häufig verwendeten englischen Bezeichnungen, nach [4.46]) Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 28 - B. Die nun für das Problem sensibilisierte Öffentlichkeit sorgt i.d.R. dafür, dass zuerst die betroffenen Industriezweige und schließlich die politischen Entscheidungsträger wissen- schaftliche Studien in Auftrag geben, mit deren Hilfe - zum einen die Exposition festgestellt werden soll, d.h. ein wie großer Teil der Be- völkerung der zu prüfenden Noxe überhaupt in welchem Umfang ausgesetzt ist, - zum anderen das mögliche Schädigungspotenzial der zu prüfenden Noxe 3 so- wohl für den Menschen als auch für die Umwelt 3 ermittelt werden soll. C. Mit der anhand dieser Studien möglichen Risikoermittlung kann z.B. das Risiko abge- schätzt werden, mit dem Teile der Bevölkerung an dieser Noxe sterben können (näheres hierzu s. z.B. in [4.24]). Damit ist der medizinisch-naturwissenschaftliche Bereich der Risikoermittlung abge- schlossen (Bild 4.12 oben); es folgt der sozioökonomisch-politische Bereich der Risiko- bewertung und der Entscheidung über eine geeignete Schutzstrategie (Bild 4.12 unten): D. Verhältnismäßig einfach zu beurteilen sind solche toxischen Wirkungen, bei denen die Angabe eines Schwellenwertes möglich ist (vgl. Bild 4.9) 3 ein Beispiel wäre die Wirkung von Alkohol auf den Menschen. Die Schwelle resultiert auf Abwehrkräften des Körpers oder auf Redundanz (von vielen parallel arbeitenden Organen wird nur ein unerheblicher Teil geschädigt) [4.25]. Die Schwellendosis ist individuell variabel (vgl. als Beispiel die Normalverteilung in Bild 4.9); zur Bestimmung eines medizinischen Grenz- wertes verringert man daher den i.d.R. anhand von Tierversuchen beobachteten Schwellenwert >nach guter Toxikologenpraxis" durch einen Sicherheitsfaktor von min- destens 100 und erhält daraus den ADI-Wert (= acceptable daily intake). Bei der Beur- teilung dieses Sicherheitsfaktors stellt sich u.a. das bisher ungelöste Problem des i.d.R. gleichzeitigen Vorhandenseins mehrerer Schadstoffe und der entsprechend kombi- nierten Wirkung [4.47]. Schwieriger zu beurteilen sind solche Wirkungen, bei denen die Angabe eines Schwel- lenwertes nicht möglich ist; das sind vor allem die krebserzeugenden (kanzerogenen) Stoffe. In diesem Fall endet die Dosis-Häufigkeits-Beziehung dort, wo im Tierversuch kein Effekt mehr beobachtet wurde (vgl. Bild 4.10), so dass eine der dort dargestellten Risiko-Extrapolationen notwendig wird [4.25]. Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 29 - E. Da technisch der Grenzwert Null nicht realisierbar ist, stellt sich nun die Frage nach einem gesellschaftlich akzeptablen, realistischen Grenzwert für krebserzeugende Stoffe (s. dazu auch [4.48]). Eine Möglichkeit der Risikobewertung bei krebserzeugenden Wirkungen ist es, die tödlichen Risiken durch Noxen mit anderen für Menschen töd- lichen Risiken zu vergleichen (Tabelle 4.12): - Z.B. hat eine Bund/Länder-Arbeitsgruppe ein akzeptables Krebsrisiko von einem zusätzlichem Toten auf 1000 Einwohner durch die Gesamtheit der krebserzeu- genden Luftschadstoffe vorgeschlagen, - während beim Strahlenschutz ein akzeptables Krebsrisiko von einem zusätz- lichem Toten auf 1500 Einwohner angesetzt wird [4.25][4.47] (das gilt in den USA auch bei einzelnen Schadstoffen, vgl. die entsprechende Risikowahrscheinlichkeit 1035 = 1 : 100 000 = 1 von 1500 ÷ Lebenszeit in Bild 4.10). Tabelle 4.12: Akzeptanz von tödlichen Risiken für den Menschen in Abhängigkeit von bestimmten Schadensereignissen sowie Einordnung des vorgeschlagenen maximalen Krebsrisikos durch sämtliche Luftschadstoffe (nach [4.47]) Tödliches Risiko = Unit Life Time Risk (ULTR) /a = 0,3 mSv/a Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 30 - Tabelle 4.13: Mittleres Todesrisiko unter verschiedenen Randbedingungen (links und Mitte) sowie Kosten für die Rettung eines Menschenlebens (rechts, in Schweizer Franken) [4.48] Solche Risikoabschätzungen kann aber der Anwender im Bauwesen nicht selber durchführen, er ist auf von Toxikologen und Umweltmedizinern angegebene Werte ange- wiesen, die sinnvoller Weise mit anderen Risiken verglichen werden (Tabelle 4.13). Bei Arbeitsstoffen, Innenraumbelastungen oder Umweltschadstoffen kann es sich durchaus um dieselben Noxen handeln, sie müssen nur in den o.g. Schadstoffkategorien verschieden bewertet werden: - Die Arbeitszeit ist in Deutschland im Vergleich zur gesamten Lebenszeit kurz, ferner arbeiten nur gesunde Menschen mittleren Alters, so dass an gesundheitsschädliche Arbeitsstoffe (Gefahrstoffe) vergleichsweise geringe Anforderungen gestellt werden können (vgl. vorigen Abschnitt 4.2.2). - In Deutschland werden 75 bis 90 % der Lebenszeit in geschlossenen Räumen verbracht [4.49], so dass an die Innenraumbelastungen höhere Anforderungen zu stellen sind (s. folgenden Abschnitt 4.2.4). - Umweltschadstoffe sind ganz anders zu betrachten, da sie die Gesundheit von Menschen erst indirekt über nachteilige Veränderungen von Boden, Wasser, Luft oder Klima beeinträchtigen und ihnen im Falle der Luftschadstoffe kein Mensch entgehen kann (s. nachfolgenden Abschnitt 4.2.5). Schädliche Strahlung wie elektromagnetische oder radioaktive Strahlung soll im Anschluss daran gesondert behandelt werden (s. Abschnitt 4.2.6). Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 31 - Tabelle 4.14: Mögliche Luftverunreinigungen in Innenräumen und ihre Quellen [4.50] 4.2.4 Innenraumbelastungen Als Innenräume werden alle Räume bezeichnet, die nicht einer spezifischen arbeitsmedizini- schen Überwachung unterliegen, d.h. Privaträume, Theater, Kindergärten usw. [4.46]. Die möglichen Luftverunreinigungen in Innenräumen und ihre Quellen sind vielfältig (Tabelle 4.14). Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 32 - Die Vielzahl an möglichen Schadstoffen mit ihren häufig unerforschten Kombinationswirkungen führt dazu, dass eine genaue Zuordnung von gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Befindlichkeitsstörungen zu bestimmten Schadstoffen im Innenraum nicht möglich ist 3 in der Umweltmedizin haben sich dafür (v.a. bei klimatisierten Gebäuden) die nicht genau definierten Begriffe Sick Building Syndrom (SBS) bzw. Building Related Illness (BRI) eingebürgert [4.4][4.46][4.51]. Bild 4.13: Schematische Dar- stellung der bauphysikalischen Vorgänge in einem Innenraum, welche die Innenluftqualität beeinflussen (nach [4.46]) Bild 4.13 zeigt eine schematische Darstellung der die Innenluftqualität beeinflussenden bau- physikalischen Vorgänge [4.46]: - Stoffliche Emissionen gasförmiger Stoffe und ggf. Aerosole werden von raumum- schließenden Bauteilen, Einrichtungsgegenständen oder Nutzungsprodukten frei- gesetzt (z.B. Formaldehyd-Emissionen aus Holzwerkstoffen oder Konservierungsstoff- Emissionen aus Farben, Lacken oder Klebern). - Radioaktive Exhalationen entstehen, wenn Bauteile, Möbel usw. radioaktive Gase abgeben (praktisch nur Radon-Exhalationen aus Granit und anderen Gesteinen). Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 33 - - Konvektion der Raumluft kann zu Ablösungen von Feststoffen wie Fasern oder Stäuben führen (z.B. Asbest-Ablösungen aus schwach gebundenen Spritzasbest- Ummantelungen zum Brandschutz von Stahlträgern). - Viele gasförmige Schadstoffe stehen 3 analog zur Raumluftfeuchte 3 physikalisch- chemisch durch Sorption in einem Gleichgewichtszustand mit den umgebenden porösen Baustoffen, wobei - die Anlagerung eines Schadstoffes an einen Baustoff als Adsorption und - die Freigabe eines Schadstoffes durch einen Baustoff als Desorption bezeichnet wird. - Die Zu- und Abfuhr der o.g. Emissionen und Exhalationen (und auch ihre Speiche- rung durch Sorptionsvorgänge) hängt entscheidend von der Lüftung ab, gleichgültig ob sie natürlich oder mechanisch erfolgt. Gerade hier hat sich jedoch in den letzten Jahren durch die (energetisch gewünschten) dichteren Gebäude 3 hinsichtlich der Schadstoffkonzentrationen 3 eine merkliche Verschlechterung ergeben. Die Innenluftkonzentration einer Noxe kann durch Lüftung (ohne spezielle Filterung) nie geringer als die Außenluftkonzentration sein; die stationäre Innenluftkonzentration cstat des betrachteten Schadstoffes 3 d.h. ohne Betrachtung von Adsorptions- und Desorptionsvor- gängen 3 berechnet sich dann nach folgender Gleichung [4.46]: Q ù mg ù cstat ý û ce ú m3 ú ( 4.1) n ÷V û û mit Q = Quellstärke der betrachteten Noxe, die im Innenraum von einer Quelle emittiert, exhaliert bzw. abgelöst wird [mg/h] n = Luftwechselrate des Raumes [h31] V = Raumvolumen [m³] ce = Außenluftkonzentration der Noxe [mg/m³] Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 34 - Tabelle 4.15: Beispielhafte biologische Noxen in Innenräumen mit ihren Quellen und daraus resultierenden möglichen Erkrankungen [4.24] Die in Innenräumen auftretenden Noxen lassen sich unterteilen in - biologische Noxen (s. z.B. Tabelle 4.15), - chemische Noxen (s. z.B. Tabelle 4.16) und - physikalische Noxen wie elektromagnetische oder radioaktive Strahlung (s. Abschnitt 4.2.6). Aus praktischen Gründen werden folgende Klassen chemischer Noxen zusammengefasst [4.37][4.52][4.53]: - sehr flüchtige organische Verbindungen (VVOC = very volatile organic compounds) mit einem Siedepunkt bis ca. 50 bis 100 °C, - flüchtige organische Verbindungen (VOC = volatile organic compounds) mit einem darüber liegenden Siedepunkt bis ca. 240 bis 260 °C, - schwerflüchtige organische Verbindungen (SVOC = semivolatile organic compounds) mit einem darüber liegenden Siedepunkt bis ca. 380 bis 400 °C sowie - gesamte flüchtige organische Verbindungen (TVOC = total volatile organic compounds) als Summe aus den drei vorgenannten. Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 35 - Darüber hinaus gibt es noch staubgebundene organische Verbindungen (POM = particulate organic matter) mit einem Siedepunkt > 380 bis 400 °C. Tabelle 4.16: Beispielhafte chemische Noxen in Innenräumen mit ihren Quellen und möglichen Gesundheitsrisiken [4.24] Als Beispiel biologischer Noxen gibt es ferner 3 analog zusammengefasst 3 mikrobiell ver- ursachte flüchtige organische Verbindungen (MVOC), die für bestimmte Geruchsbelastun- gen verantwortlich sind (>muffiger< Schimmelgeruch in feuchten Räumen z.B.). Eine exakte toxikologische Beurteilung der VOC ist z.Z. nicht möglich, sie werden jedoch in ihrer Summe u.a. für das o.g. Sick Building Syndrom verantwortlich gemacht [4.55]. Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 36 - Tabelle 4.17: Maximal duldbare Raumluftkonzentra- tionen (MRK-Werte) einiger Holzschutzmittel [4.47] Gesetzliche Regelungen mit verbindlichen Höchstwerten für die Konzentration von Noxen in der Innenraumluft gibt es in Deutschland erst ansatzweise 3 die Gefahrstoffver- ordnung [4.18] gilt nach § 1 (5) ausdrücklich nicht in Haushalten. Es bestehen daher nur folgende Beurteilungsmöglichkeiten für Innenraumbelastungen: A. Verbindliche Grenzwerte für einige Holzschutzmittel wurden bereits 1983 von einer Kommission im damaligen Bundesgesundheitsamt (BGA) als maximal duldbare Raum- luftkonzentrationen (MRK) festgelegt (Tabelle 4.17) [4.25][4.47]. Diese Holzschutzmittel sind nicht mehr zulässig; die MRK-Werte sind somit nur noch im Bestand von Interesse. Tabelle 4.18: Grenzwerte der Raumluft- konzentration [4.53] Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 37 - Tabelle 4.19: nicht verbindliche Richtwerte (RW) des Ausschusses für Innenraumrichtwerte (AIR) des Umweltbundesamtes (UBA) für bestimmte Innenraumschadstoffe (Ausschnitt) [4.54] - RW I = keine gesundheitliche Beeinträchtigung bei lebenslanger Exposition zu erwarten (Zielwert bei Sanierung) - RW II = Eingriffswert, bei Unterschreitung Kontrollen, bei Überschreitung Maßnahmen erforderlich Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 38 - Weitere solche Grenzwerte der Raumluftkonzentration wurden zwischenzeitlich für einige wenige Innenraumschadstoffe festgelegt (Tabelle 4.18), darunter - für Formaldehyd, das aus Holzwerkstoffen entweichen kann (s. Abschnitt 10.5.3), - für Polychlorierte Biphenyle (PCB) in der PCB-Richtlinie [4.56] (durch die LTB bzw. VV TB bundesweit eingeführt, vgl. Abschnitt 3.3), - für das radioaktive Edelgas Radon (s. Abschnitt 4.2.6) und - für Tetrachlorethen (PER) in einer Verordnung zum BImSchG für Räume, die an chemische Reinigungen angrenzen [4.53]. B. Einige nicht verbindliche Richtwerte werden vom Ausschuss für Innenraumrichtwerte (AIR) des Umweltbundesamtes (UBA) empfohlen (Tabelle 4.19). Von der Innenraum- lufthygiene-Kommission des UBA wurde zur Beurteilung von Schimmelpilzen in Innen- räumen (als biologischen Noxen) der Schimmelleitfaden des Umweltbundesamtes [4.57] herausgegeben (s. auch das Modul :Bauphysik und Technischer Ausbau A9). Richtwerte für TVOC wurden in fünf Stufen erarbeitet und Empfehlungen für diese Stufen gegeben (Tabelle 4.20). Tabelle 4.20: Richtwerte für den Gesamtgehalt flüchtiger organischer Verbindungen in der Raumluft (TVOC-Konzept 2007) mit Empfehlungen für die hygienische Bewertung [4.54] Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 39 - Mit Einführung des Bauproduktengesetzes auf Basis der europäischen Bauprodukten- richtlinie (vgl. Abschnitt 3.2) entstand die Notwendigkeit, Bauprodukte allgemein zuzulassen - nicht nur hinsichtlich Stand- und Brandsicherheit, - sondern auch bezüglich der wesentlichen Anforderung >Hygiene, Gesundheit und Umweltschutzübliche, durchschnittlich existierende< Schadstoffbelastung darstellen. Eine Überschreitung der 90- oder 95-%-Fraktile weist dann auf eine unübliche Belastung hin [4.59]. Insgesamt betrachtet sind diese wenigen, kaum vergleichbaren Grenzwerte für umweltbewusst handelnde Planer/innen unbefriedigend. Aber: Man kann davon ausgehen, dass - zumindest die Unterschreitung der von Experten beim UBA aufgestellten Richtwerte, - wenn nicht sogar die Einhaltung der statistischen Obergrenze der Orientierungswerte der AGÖF als allgemein anerkannte Regel der Technik (a.a.R.d.T.) gelten und daher Sachverständi- gengutachten zugrunde gelegt werden. Ausblick 1: Zwar sind die wenigen, kaum vergleichbaren Grenzwerte für Planer/innen unbe- friedigend, aber sie können sich zumindest informieren: Das - vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) und - von der Bayerischen Architektenkammer Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 41 - gemeinsam getragene Ökologische Baustoffinformationssystem WECOBIS [4.61] nennt eine Vielzahl von Baustoffdaten für die Produktgruppen - Bauplatten (aus Gips, Holz, Kunststoff und Zement), - Bodenbeläge (u.a. hölzerne, elastische, textile 3 s. z.B. Tabellen 4.23 und 4.24), - Dämmstoffe (mineralische, nachwachsende und synthetische), - Dichtungen/Abdichtungen (aus Kunststoff oder Bitumen, auch Dichtmassen), - Holz/Holzwerkstoffe (u.a. Massivholz, Faserwerkstoffe, Tropenholz, Holzschutzmittel), - Klebstoffe (u.a. Dispersions-, Epoxidharz-, Lösemittel-, Polyurethan-), - Mörtel/Estriche (Mauermörtel, Putzmörtel und Estriche), - Massivbaustoffe (Beton, Porenbeton, Kalksandstein, Lehmbaustoffe und Ziegel), - Oberflächenbehandlungen (Farben/Lacke/Lasuren, Holzschutzmittel, Verzinken) und - Verglasungen (Baugläser und Funktions-Flachgläser) sowie für die Grundstoffe - Bindemittel (mineralische/organische), - Gesteinskörnung (natürliche/leichte), - Kunststoffe (diverse) und - Metalle (Aluminium/Blei/Gusseisen/Kupfer/Stahl/Zink). Tabelle 4.23: Ausschnitt aus den WECOBIS-Daten für PVC-Bodenbeläge [4.61] Rohstoffe / Ausgangsstoffe Hauptbestandteile PVC-Bodenbelag PVC-Bodenbelag CV-Bodenbelag homogen 2 mm heterogen 2 mm heterogen 3 mm Hauptbestandteile nach 45-55 % PVC 40-60 % PVC 40-45 % PVC Rohstoffherkunft 15-20 % 10-20 % 15-20 % Weichmacher Weichmacher Weichmacher 25-35 Füllstoffe 20-40 Füllstoffe 35-40 Füllstoffe 2-5 % Pigmente, 3-10 % Pigmente, 2-5 % Pigmente, Stabilisatoren, Stabilisatoren, Stabilisatoren, Additive Additive Additive gebräuchliche 10-30 g/m² 10-30 g/m² 10-30 g/m² Oberflächenbehandlungen (z.B. PU) (z.B. PU) (z.B. PU) Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 42 - Tabelle 4.24: Ausschnitt aus den WECOBIS-Daten für PVC-Bodenbeläge [4.61] Umwelt- und Gesundheitsrisiken bei bestimmungsgemäßer Nutzung Schadstoffabgabe / Emissionen in den Innenraum PVC-Bodenbeläge zeigen je nach Qualität ein unterschiedliches Emissionsverhalten. Generell gibt es keine Substanzen, die typisch für PVC-Emissionen sind. Aufgrund von Einzelmessungen und der chemischen Zusammensetzung ist eine Abgabe von Bestandteilen des PVC über größere Zeiträume in die Luft nicht auszuschließen. Eine Abgabe des in der Herstellung verwendeten Vinylchlorids ist nicht zu erwarten. Unter bestimmten Bedingungen kann der Weichmacher DEHP zersetzt werden und als Abspal- tungsprodukt 2-Ethylhexanol freisetzten, das gelegentlich auch in höheren Konzentrationen in der Innenraumluft gefunden werden kann. Wenn die Stabilisatoren durch jahrelanges Reinigen aus den Bodenbelägen ausgewaschen wurden, kann in den späten Nutzungsphase auch ein Zersetzen der Bodenbeläge stattfinden, das sich an der Bildung von dunklen Flecken zu erkennen gibt und an der Freisetzung von aromatischen Kohlenwasserstoffen auch messtechnisch nachgewiesen werden kann. Eine Entfernung der Bodenbeläge ist dann unumgänglich. PVC-Bodenbeläge enthalten in der Regel eine Reihe von Hilfsstoffen, deren Umweltrelevanz geprüft werden muss und die während der Nutzungsdauer auch an die Umwelt abgegeben werden können. Als umweltrelevante Bestandteile kommen in Frage: ÷ ca. 10-20 % Weichmacher als Phthalsäureester (Phthalsäuredibutylester) ÷ ca. 1-2.5 % Stabilisatoren, in der Regel Barium- und Zinkstabilisatoren ÷ ev. spez. Farbpigmente auf der Basis von Schwermetallverbindungen. Zur Frage der Weichmacher-Migration gibt es zahlreiche Untersuchungen. Sie beziehen sich fast ausschließlich auf PVC-Dachbahnen, wo in den heutigen Produkten zwei Maßnahmen zur Reduktion der Weichmacher-Migration getroffen werden. Es werden Weichmacher eingesetzt, die den Phthalsäureester sehr ähnlich sind, jedoch einen deutlich höheren Siedepunkt und Dampfdruck haben. Zusätzlich werden die PVC-Dachbahnen mit einer Beschichtung versehen, damit das Austreten von Weichmacher verhindert werden kann. Über die Zweckmäßigkeit der Maßnahmen gibt es noch keine Langzeiterfahrungen. Aufgrund der chemischen Zusammensetzung dürfen diese Erkenntnisse auch auf Bodenbeläge angewandt werden. Auch bei diesen ist eine Tendenz zur werkseitigen Oberflächenbeschichtung festzustellen. Sie wird für eine bessere Beständigkeit und Reinigung aufgebracht. Die anderen Additive können durch den Abbau und das Diffundieren der Weichmacher oder durch Abrasion (Abrieb, Abtrag) ebenfalls in die Umwelt gelangen. Dass bei gewissen Stabilisatoren heute noch Blei- und Cadmium sowie bei Pigmenten schwermetallhaltige Verbindungen zum Einsatz kommen, ist eher unwahrscheinlich, können aber bei der Kreislaufführung der Materialien auch in Rezyclatmaterialien eingeschleppt werden. Umwelt- und Gesundheitsrisiken im Schadensfall Brandfall Im Brandfall entstehen aus PVC-Produkten insbesondere Kohlenmonoxid, Dioxin und korrosiv wirkender Chlorwasserstoff, das saure Löschwasser greift die Bewehrung von Beton an, was zum Abriss von Gebäuden führen kann. Die Rauchentwicklung ist oft beträchtlich, was die Flucht von Personen aus dem Gebäude schwierig gestalten kann. Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 43 - Ausblick 2: Nach der EU-Bauproduktenverordnung müssen seit Juli 2013 Bauprodukte mit CE-Kennzeichnung im Rahmen der Leistungserklärung über eine Stoffdeklaration verfügen, die besonders gefährliche Stoffe ausweist. Ferner kann die EU-Kommission dann - Schwellenwerte für gefährliche Stoffe festlegen, die aus Bauprodukten in die Innenraumluft oder die Umwelt entweichen können, und - Emissionsklassen für verschiedene Gebäudetypen definieren [4.62]. Bild 4.14: Überlegungen zur Integration gesund- heitsbezogener Aspekte in das KfW-Förderpro- gramm >Energieeffizien- tes Bauen< [4.63] Ausblick 3: Weiter gibt es die von Peter Bachmann entwickelten sog. Sentinel-Häuser (engl. sentinel = Wache, Wächter), die für Menschen mit Allergien und v.a mit Multi Chemical Sensitivity (MCS) = vielfache Chemikalienunverträglichkeit entwickelt wurden und sich durch extrem geringe Schadstoffkonzentrationen in der Raumluft auszeichnen 3 näheres dazu s. z.B. in [4.54]. Ausblick 4: Die Sentinel-Häuser sind jedoch auf privater Basis entwickelt worden, weshalb das Umweltbundesamt (UBA) zusammen mit der KfW-Förderbank das >Gesunde Bauen< fördern möchte (Bild 4.14) [4.63]. 4.2.5 Umweltschadstoffe Umweltschadstoffe sind in der Umwelt vorkommende Stoffe, - von denen schädliche Wirkungen auf Lebewesen und Sachgüter ausgehen können und - denen der einzelne Mensch unfreiwillig ausgesetzt ist [4.64]. Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 44 - Bei den Umweltschadstoffen sind Schadstoffe zu unterscheiden (Tabelle 4.25), die - die Gewässer (die Hydrosphäre), - den Boden (die Lithosphäre) und - die Luft (die Atmosphäre) belasten. Tabelle 4.25: Mögliche Schadstoffquellen in verschiedenen Umweltbereichen [4.64] Die gesetzlichen Regelungen für diese drei Bereiche finden sich vor allem - im Wasserhaushaltsgesetz (WHG) [4.65], - im Bundes-Bodenschutzgesetz (BBodSchG) [4.66] sowie - im Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) [4.67], die im Folgenden näher betrachtet werden sollen: A. Wassergefährdende Stoffe sind Chemikalien (Stoffe und Stoffgruppen), die bei ihrer Herstellung, während oder nach ihrer Anwendung in die Umwelt gelangen und Lebewesen, insbesondere den Menschen, gefährden oder schädigen können. Zum Schutz von Umwelt und Gesundheit werden Chemikalien auf ihre Gefährlichkeit hin untersucht und eingestuft; unterschieden werden drei Wassergefährdungsklassen (WGK) [4.68][4.69] - WGK 1: schwach wassergefährdend (z.B. ungelöschter Kalk, Zement), - WGK 2: wassergefährdend (z.B. Dieselkraftstoff) und Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 45 - - WGK 3: stark wassergefährdend (z.B. Vergaserkraftstoff, ölige Holzschutzmittel). Die Einstufung erfolgt nach der Verwaltungsvorschrift wassergefährdende Stoffe (VwVwS) [4.70]. Die Einstufung eines Stoffes in Wassergefährdungsklassen kann erfolgen durch - Nennung des Stoffes in Anhang 1 oder 2 der VwVwS, - WGK-Dokumentation nach Anhang 3 der VwVwS, - Beschluss der >Kommission Bewertung wassergefährdender Stoffe" (KBwS) zur Aufnahme in Anhang 1 oder 2 bei der nächsten VwVwS-Novelle. Die WGK eines Stoffgemisches kann nach Anhang 4 der VwVwS - entweder über eine Rechenregel mit der WGK der Komponenten oder - auf Basis von Prüfdaten am Stoffgemisch ermittelt werden [4.68], sie ist bei Arbeitsstoffen im Sicherheitsdatenblatt (vgl. Abschnitt 4.2.2) anzugeben. Für das Bauwesen interessant ist nicht nur die eingeschränkte Verwendung wassergefähr- dender Stoffe, sondern auch der Bau - von Anlagen zum Lagern, Abfüllen, Herstellen und Behandeln sowie - von Anlagen zum Verwenden wassergefährdender Stoffe (z.B. bei Tankstellen) 3 s. dazu die Bundes-Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen (AwSV) [4.71] sowie v.a. die entsprechenden Verordnungen der Bundesländer. B. Zur Bewertung von Bauprodukten hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Boden und Grund- wasser dient die Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung (BBodSchV) [4.72], darüber hinaus kann das entsprechende DIBt-Merkblatt herangezogen werden [4.73]. Weitere Angaben zur Behandlung von Bauabfällen finden sich im Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz (KrW-/AbfG, s. Abschnitt 5.2). C. Von den Umweltschadstoffen bedürfen die Luftschadstoffe einer besonders strengen Begrenzung, da jeder Mensch atmen muss und ihnen daher niemand entgehen kann 3 sie stellen auch den bei üblichem Lüften (ohne Filterung) nicht unterschreitbaren unteren Grenzwert der Innenraumbelastungen dar (vgl. Gl. (4.1) in Abschnitt 4.2.4) und sollen im Folgenden näher betrachtet werden: Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 46 - Dem Schutz vor Luftverunreinigungen und Lärm dient seit 1974 das o.g. Bundes-Immiss- ionsschutzgesetz (BImSchG) [4.67], in dessen § 1 es heißt (Hervorhebungen und Spiegelstriche nicht im Original): >Zweck dieses Gesetzes ist es, Menschen, Wild- und Nutztiere und Pflanzen, den Boden, das Wasser, die Atmosphäre, das Klima sowie Kultur- und sonstige Sachgüter vor - schädlichen Umwelteinwirkungen zu schützen und - dem Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen vorzubeugen." Dieses Gesetz bildet die Grundlage für Durchführungsverordnungen und allgemeine Ver- waltungsvorschriften, von denen hier vor allem die Technische Anleitung zur Rein- haltung der Luft 3 TA Luft [4.74] interessiert. Bild 4.15: Zur Unter- scheidung der Be- griffe Emission, Transmission und Immission (nach [4.75]) Vor der Betrachtung bestimmter Grenzwerte sind folgende Begriffe zu unterscheiden (Bild 4.15) [4.74] [4.75]: - Emissionen sind die von einer Anlage ausgehenden Luftverunreinigungen 3 bei Schornsteinen z.B. die Luftschadstoffe an der Schornsteinmündung. Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 47 - - Als Transmissionen bezeichnet man die Transportvorgänge von Luftverunreini- gungen über längere Strecken 3 bei hohen Schornsteinen und Wind können sich lange Transportwege ergeben. - Immissionen sind auf Menschen, Tiere usw. einwirkende Luftverunreinigungen 3 durch Transmission können sie am Entstehungsort der Emissionen verringert werden. a) Tabelle 4.26: Im- missionswerte der TA Luft [4.74][4.74]a a) für Stoffe zum Schutz der menschlichen Gesundheit b) für Staub- niederschlag zum Schutz vor erheblichen Belästigungen oder erhebli- chen Nachtei- len c) für Schwefel- dioxid und b) Stickstoffoxide zum Schutz von Ökosyste- men und der Vegetation c) d) für Fluorwas- serstoff zum Schutz vor erheblichen Nachteilen d) Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 48 - Die Immissionswerte der TA Luft werden unterschieden in Grenzwerte - zum Schutz der menschlichen Gesundheit (Tabelle 4.26a), - zum Schutz vor erheblichen Belästigungen oder erheblichen Nachteilen (Tabelle 4.26b), - zum Schutz von Ökosystemen und der Vegetation (Tabelle 4.26c) und - zum Schutz vor erheblichen Nachteilen (Tabelle 4.26d). Das Ziel des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, die Immissionen zu minimieren, soll gemäß TA Luft [4.74] vor allem durch Begrenzung der Emissionen erreicht werden 3 näheres siehe dort oder in den zugehörigen Duchführungsverordnungen wie z.B. der 13. BImSchV = Verordnung über Großfeuerungs- und Gasturbinenanlagen [4.76]. Bild 4.16: Das elektromagnetische Spektrum; Frequenz- und Wellen- längenbereiche mit Anwendungs- beispielen (nach [4.77]) 4.2.6 Schädliche Strahlung Bei der für Menschen und Tiere möglicherweise schädlichen elektromagnetischen Strahlung sind zu unterscheiden (Bild 4.16) Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 49 - - optische Strahlung, bestehend aus - Sonnenstrahlung als natürlicher optischer Strahlung und - Laserstrahlung als künstlicher optische Strahlung, deren Begrenzung in der EU kontrovers diskutiert wurde (hier nicht näher betrachtet), - nicht ionisierende elektromagnetische Strahlung niedrigerer Frequenzen (sog. >Elektro- smog"), die organische Moleküle nur erwärmt, und - ionisierende û radioaktive Strahlung als elektromagnetische Strahlung höherer Frequen- zen, die zur Zerstörung von organischen Molekülen führen kann (Röntgen- und ÷-Strahlung, hier einschließlich ñ- und ò-Strahlung betrachtet) [4.77]. Bild 4.17: Maximale Magnet- feldstärken in nächster Nähe einiger Quellen sowie Schwellen- wertkurven ver- schiedener biologischer Wirkungen (n = 1 bedeutet eine Belastungszeit von einer Schwingungs- periode, n = > eine sehr viel längere Belastungszeit, nach [4.77]) Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 50 - Zur nicht ionisierenden und ionisierenden Strahlung im Einzelnen: A. Die Schädlichkeit nicht ionisierender elektromagnetischer Strahlung wird 3 bei niedrigen Feldstärken 3 in der Wissenschaft kontrovers diskutiert. Zu unterscheiden sind dabei verschiedene Frequenz- bzw. Wellenlängenbereiche (Bild 4.16) und Feldstärken- bereiche [4.77]: - Im Niederfrequenzbereich mit f ó 30 kHz sind vor allem physiologische Reize durch stärkere Magnetfelder bekannt (Bild 4.17) wie - sog. Phosphene und Muster = durch ein Magnetfeld hervorgerufene Licht- erscheinungen, - visuell evozierte Potentiale (VEP) = im Elektroenzephalogramm (EEG) messbare Potentiale, die durch Lichtreize im Magnetfeld hervorgerufen werden, - Stimulationen von Herzmuskel oder anderen Muskeln oder - subjektive Missempfindungen wie Kopfschmerz oder Übelkeit. Die vieldiskutierte magnetische Feldstärke unter Hochspannungs-Freileitungen liegt mit f 15 µT (= Mikrotesla) im unkritischen Bereich [4.77][4.78]. Auch die im Rahmen der Untersuchung von Leukämie bei Kindern gemessene magnetische Feldstärke in Wohnungen liegt in Deutschland im Mittel bei 0,025 µT und in 98,6 % der Fälle unter 0,2 µT; eine signifikante Abhängigkeit der Leukämiefälle von solch geringen Magnetfeldern konnte nicht nachgewiesen werden (zum Vergleich: das natürliche, statische Magnetfeld der Erde liegt bei 40 µT) [4.65]. - Im Übergangsbereich von Nieder- zu Hochfrequenz können elektromagnetische Unverträglichkeiten technischer Systeme, vor allem von Herzschrittmachern auftreten; heutige Herzschrittmacher sind jedoch in der Lage, übliche Störsignale als solche zu erkennen und in diesem Fall auf Festfrequenzbetrieb umzuschalten. - Im Hochfrequenzbereich mit f > 30 kHz können thermische Effekte auftreten: - Bildschirmgeräte und Mobilfunk mit ihren niedrigen Leistungsdichten geben nur Anlass zu Vermutungen über schädliche Wirkungen (die vielzitierte schwedische Studie über die Gefährdung von Schwangeren durch Bildschirmgeräte wird häufig fehlerhaft ausgewertet, die Zahl der Fehlgeburten ist bei allen berufstätigen Frauen höher als bei nicht berufstätigen). - Mikrowellenherde mit ihren höheren Leistungsdichten können bei Leckagen zu deutlicher Erhöhung der Körpertemperatur führen, so dass eine entsprechende Abschirmung notwendig (und vorgeschrieben) ist. Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 51 - Der Schutz vor elektrischer, magnetischer und elektromagnetischer Strahlung wird in Deutschland in DIN VDE 0848 [4.80] geregelt; darin werden folgende Einwirkungsbereiche unterschieden (zitiert nach [4.77]): - Zum Expositionsbereich 1 gehören alle Räume, in denen mit elektromagnetischer Strahlung gerechnet werden muss, wie - zum einen kontrollierte Bereiche wie Betriebsstätten und - zum anderen allgemein zugängliche Bereiche, in denen aufgrund der Betriebsweise oder der Aufenthaltsdauer eine nur kurzzeitige Einwirkungsdauer (ó 6 Stunden) sichergestellt wird. Im Expositionsbereich 1 sollen Kontrollmessungen routinemäßig erfolgen. - Zum Expositionsbereich 2 gehören alle Räume, in denen nicht nur mit Kurzzeit- einwirkung zu rechnen ist, wie Wohn- und Gesellschaftsbauten, Sportanlagen und Arbeitsstätten, in denen eine Felderzeugung nicht erwartet wird. Routinekontrollen werden hier nicht durchgeführt. Jeweils für die beiden Expositionsbereiche sind entsprechende Grenzwerte 33 zum einen im Niederfrequenzbereich und zum anderen im Hochfrequenzbereich (in dem die schädigende Wirkung auf einer ausschließlich thermischen Belastung des Menschen beruht) in [4.77] zu finden. B. Zur ionisierenden Strahlung gehört neben Teilen der UV-Strahlung und der Röntgen- strahlung (vgl. Bild 4.16) auch die radioaktive Strahlung, bestehend aus [4.81] - ñ-Strahlung, d.h. positiv geladenen Atomkernen des Heliums von meist sehr geringer Energie, - ò-Strahlung, d.h. negativ geladenen Elektronen, und - ÷-Strahlung, d.h. sehr energiereicher, ionisierender elektromagnetischer Strahlung. Von der radioaktiven Strahlung ist vor allem die letztgenannte ÷-Strahlung infolge ihrer großen Eindringtiefe in den menschlichen Körper bei entsprechender Restenergie für den Schutz vor radioaktiver Strahlung von Bedeutung (Tabelle 4.27). Zur Beurteilung von radioaktiver Strahlung dienen folgende Begriffe und Maßeinheiten [4.81]: Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 52 - Tabelle 4.27: Wegstrecken und Restenergie radioaktiver Strahlen mit unterschiedlicher Anfangsenergie im Körpergewebe [4.81] - Die Aktivität A gibt an, wie viele Kernumwandlungen pro Zeit stattfinden, gemessen wird sie in Becquerel [Bq] (1 Bq = 1 Zerfall pro Sekunde). - Die spezifische Aktivität a ist die auf die Masse bezogene Aktivität, sie wird in Becquerel pro Kilogramm [Bq/kg] angegeben. - Die Energiedosis D beschreibt die Übertragung der Energie radioaktiver Strahlung auf lebendes Gewebe (vgl. Tabelle 4.27), ihre Maßeinheit heißt Gray [Gy]. - Die Äquivalentdosis H kennzeichnet die biologische Wirkung radioaktiver Strahlen beim Menschen, sie wird in Sievert [Sv] angegeben. - Die Äquivalentdosisleistung h ist ein Maß für die biologische Wirkung radioaktiver Strahlen beim Menschen, wenn eine Äquivalentdosis H = 1 Sv während eines Jahres einwirkt; sie wird in Sievert pro Jahr [Sv/a] angegeben. Die Vergleichsgröße für außergewöhnliche natürliche oder künstliche radioaktive Belastun- gen ist die mittlere natürliche Radioaktivität, die von der Meereshöhe und dem Gestein des Siedlungsgebietes abhängt (Bild 4.20). Die natürliche Radioaktivität in Gebäuden liegt deutlich höher; zusammen mit - der Inhalation von Radon (mit Folgeprodukten) und - der Ingestion durch Nahrungsaufnahme ergibt sich für die natürliche Radioaktivität eine mittlere effektive Äquivalentdosis- leistung in Deutschland von ca. 2,1 mSv/a (= Milli-Sievert pro Jahr, Tabelle 4.28 oben). Daran hat der Aufenthalt in Gebäuden einen überragenden Anteil! Die zusätzliche Ein- wirkung der künstlichen (zivilisatorischen) Radioaktivität ist mit ca. 1,9 mSv/a etwas Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 53 - geringer und fast nur von der 3 schwer zu verallgemeinernden 3 medizinischen Anwen- dung abhängig (Tabelle 4.28 unten). Bild 4.20: Natürliche Radioaktivität im Freien (nach [4.81][4.82]) Tabelle 4.28: Effektive Jahresdosis einer Person durch ionisierende Strahlung im Jahr 2011 gemittelt über die Bevölkerung Deutschlands und aufgeschlüsselt nach Strahlenursprung [4.83] Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 54 - Warum hat der Aufenthalt in Gebäuden daran einen so großen Anteil? Alle natürlichen Gesteine sowie die daraus hergestellten Baustoffe enthalten die Radionuklide Radium (Ra-226), Thorium (Th-232) und Kalium (K-40), die für die Beurteilung der natürlichen Radioaktivität von Baustoffen ebenso herangezogen werden wie die Exhalationsrate des beim Zerfall von Radium und Thorium gemäß Bild 4.22 entstehenden Edelgases Radon (Rn-222 bzw. Rn-220 = >Thoron"). Bild 4.22: Umwandlungsreihe von Radium 226 über Radon 222 mit seinen kurzlebigen Folgeprodukten (in Klammern sind jeweils die Halbwertszeiten angegebenen und an den Pfeilen die Art der freige- setzten Strahlung, nach [4.84]) Die in Tabelle 4.29 genannten Werte der natürlichen Radioaktivität einiger Massivbaustoffe lassen in dieser Form noch keine Beurteilung der radioaktiven Belastung zu; diese erfolgt i.d.R. getrennt nach Radionukliden und Radonbelastung: - Die Wirkung der drei o.g. Radionuklide wird durch die sog. Leningrader Formel zusammengefasst, deren Summe für eine medizinisch unbedenkliche zusätzliche ÷-Strahlenexposition (entspricht einer zusätzlichen Äquivalentdosisleistung von ôh ó 1,5 mSv/a) unter 1 bleiben muss [4.3][4.81][4.82]: a Ra ý 226 a a û Th ý232 û K ý40 ó 1 ( 4.2) 370 259 4810 Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 55 - mit aj = spezifische Aktivität [Bq/kg] des entsprechenden Radionuklids j (vgl. Tabelle 4.29) Für alle üblichen, künstlichen Baustoffe wird diese Leningrader Formel eingehalten. Mit Gl. (4.3) wird jedoch die von den Baustoffen tatsächlich ausgehende Strahlen- belastung überschätzt, denn sie geht von unendlich dicken Bauteilen aus dem betrachteten Baustoff ohne Fenster oder Türen aus; nicht berücksichtigt ist darin allerdings der Radongehalt der Luft (s.u.) [4.81]. Tabelle 4.29: Natürliche Radioaktivität einiger Massivbaustoffe [4.83] - Gemessene Radon-Exhalationsraten von Baustoffen sind nur bedingt aussage- kräftig, da die Radonkonzentration vom Luftwechsel im Gebäude abhängt, wie bei- spielhaft in Bild 4.23 dargestellt ist. Die deutsche Strahlenschutzkommission (SSK) definierte 1988 Radonaktivitätskonzentrationen bis 250 Bq/m³ in der Raumluft als >Normalbereich" [4.64][4.82][4.85] (vgl. Tabelle 4.18). Da Radon und seine radio- aktiven Folgeprodukte eingeatmet werden, ist mit einem erhöhten Lungenkrebsrisiko zu rechnen. Aus epidemiologischen Studien an Untertage-Uranbergarbeitern kann abgeschätzt werden [4.73], dass Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 56 - - bei einer mittleren Radonaktivitätskonzentrationen von 50 Bq/m³ in der Raumluft das Lungenkrebsrisiko um 3 bis 15 % und - bei einer mittleren Radonaktivitätskonzentrationen von 300 Bq/m3 in der Raumluft das Lungenkrebsrisiko um 10 bis 45 % erhöht ist. In Gebäuden wurden in Einzelfällen Höchstwerte von bis zu 10 000 Bq/m³ festgestellt. Bereits bei Radonaktivitätskonzentrationen über 100 Bq/m³ zeigt sich eine signifikante Erhöhung des Lungenkrebsrisikos um etwa 10 % pro 100 Bq/m³. Welche Radonaktivi- tätskonzentrationen in einzelnen Gebäuden anzutreffen sind, hängt vom geologischen Untergrund am Gebäudestandort und der Radondichtheit der Gebäudehülle ab, da in den überwiegenden Fällen das in der Bodenluft vorkommende und durch erdberüh- rende Wände und die Bodenplatte in das Haus eindringende geogene Radon die Ursache für eine erhöhte Radoninnenraumkonzentration ist [4.83]. Tabelle 4.30 zeigt die auf der Radonaktivitätskonzentration in der Bodenluft beruhende Abschätzung (Stand 2007) der Anzahl von Ein- und Zweifamilienhäusern mit Radonaktivitäts- konzentrationen in Aufenthaltsräumen > 100 Bq/m³. Hinweis: Es soll künftig ein euro- päisches Radongesetz geben mit einem Grenzwert (nicht Normalbereich!) von 300 Bq/m³ [4.86]! Bild 4.23: Radonaktivitätskonzentration der Raumluft in einem Beispielraum mit Betondecken und Bimsbetonwänden in Abhängigkeit von der Luftwechselrate (nach [4.81][4.82]) Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 57 - Tabelle 4.30: Geschätzte Anzahl der Ein- und Zweifamilienhäuser mit Radonaktivitätskonzen- trationen über ver- schiedenen Schwellen- werten in Aufent- haltsräumen [4.83] Tabelle 4.31: Grenzwerte der Körperdosen pro Kalenderjahr für beruflich strahlenexponierte Personen nach der Strahlenschutzverordnung [mSv/a] (die Kategorien be- treffen verschiedene Schutzbereiche, nach [4.87]) Gesetzliche Grenzwerte für radioaktive Strahlung gibt es in Deutschland bisher nur für den Arbeitsschutz: Nach der Strahlenschutzverordnung (StrSchV) [4.74] gelten die in Tabelle 4.31 genannten 3 von den betroffenen Organen abhängigen 3 Grenzwerte pro Kalenderjahr. In Deutschland werden beruflich strahlenexponierte Menschen mit Personen- dosimetern überwacht; dadurch ist bekannt, dass z.B. 1982 in Industrie, Gewerbe und For- schung mit einer Äquivalenzdosisleistung von h = 5,6 mSv/a im Mittel nur ein Bruchteil des Ganzkörpergrenzwertes tatsächlich erreicht wurde [4.64]. Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 58 - Bei in der Oberpfalz, im Fichtel- oder Erzgebirge bzw. im Hunsrück oder Schwarzwald gele- gentlich vorkommenden Radonkonzentrationen von g 10 000 Bq/m³ (vor allem in Kellern) durften somit zwar keine Uran-Bergarbeiter mehr arbeiten, aber Menschen wohnen, da bei Überschreitung des o.g. Normalbereiches (ó 250 Bq/m³) lediglich geprüft werden sollte, ob Sanierungsmaßnahmen mit vertretbarem Aufwand durchführbar sind [4.85]. Allerdings waren neue strengere EU-Grenzwerte spätestens bis 06.02.2018 in nationales Recht umzusetzen. Diese Grenzwerte gelten ab dann im Jahresmittel als zulässiger Höchstwert: - Eingriffswert 400 Bq/m³ für Gebäude, die vor 1996 gebaut wurden, bzw. - Planungsrichtwert 200 Bq/m³ für Gebäude, die nach 1996 gebaut wurden. Bei Verkauf oder Vermietung von Wohnungen müssen diese Werte auf Verlangen vom Vermieter oder Verkäufer attestiert werden. Bild 4.24: Relative Anteile verschie- dener Krebsur- sachen; unten (bis einschließlich >Medikamente") auf Fall- beobachtungen beruhend, oben mit konservativen mathematischen Modellen berechnet (nach [4.88]) Im Mittel aller Einwohner ist das Krebsrisiko durch natürliche Radioaktivität in Deutsch- land eher gering: In Bild 4.24 sind die relativen Anteile verschiedener Krebsursachen dar- gestellt; dabei zeigt sich, dass der Anteil der natürlichen Strahlenbelastung (einschließlich Radon) 3 mit konservativen mathematischen Modellen berechnet (vgl. Bild 4.10 in Ab- schnitt 4.2.2) 3 weit hinter Überernährung und Rauchen mit nur 1,5 % abgeschätzt wird. Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 59 - (Näheres zur Radionuklid- und Radonbelastung durch Gebäude s. in Abschnitt 5 bei den entsprechenden Baustoffen.) 4.3 Ökobilanzen nach ISO 14040 ff. 4.3.1 Vom Rohstoff zum Rückbau Die in Abschnitt 4.1.2 genannten umweltpolitischen Ziele 3 als Unterziele Kreislaufwirtschaft, Verringerung von Schadstoffemissionen und sonstigen Gefährdungen sowie Verringerung der CO2-Emissionen 3 erfordern eine entsprechend umweltbewusste Bauproduktauswahl, die häufig an Hand von Ökobilanzen vorgenommen wird. Grundlage hierfür ist eine Lebenszyklusbetrachtung (engl. life cycle thinking) bestehend aus [4.89] - der eigentlichen Ökobilanz, engl. Life Cycle Assessment (LCA) und - der Betrachtung der Lebenszykluskosten, engl. Life Cycle Costing (LCC). Im Folgenden soll nur die eigentliche Ökobilanz, das. Life Cycle Assessment (LCA) näher betrachtet werden. Bild 4.25: Vereinfachtes Lebenszyklus-Modell des Bauprozesses (nach [4.90]) Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 60 - Bild 4.25 zeigt ein vereinfachtes Modell des Bauprozesses mit dem Gebäude-Lebenszyklus - von der Entnahme von Rohstoffen (= Ressourcen) aus der Natur - bis hin zum Rückbau und der Entsorgung von Abfällen und ggf. Umweltschadstoffen in die Natur. Die Herausforderungen der Ökobilanzierung liegen nun darin, dass - zum einen eine Energiebilanz und eine große Anzahl von Stoffbilanzen benötigt wird, um die wesentlichen Stoffströme zu erfassen, sowie - zum anderen die daraus resultierende unbewertete Ökobilanz (vgl. Bild 4.8) für umweltbewusste Bauherren und Planer sinnvoll bewertet werden muss. Am einfachsten wäre eine sog. Einzahlangabe, d.h. eine einzige Vergleichszahl zur ökolo- gischen Bewertung von Gebäuden. Auf Grund der Komplexität der Umweltauswirkungen der Gebäude ist dies jedoch nicht sinnvoll möglich. International hat man sich deshalb darauf verständigt, für Produkt-Ökobilanzen nicht die Bewertungskriterien als solche, sondern nur die Vergleichbarkeit in der Methode ihrer Aufstellung zu normen, und zwar in der Normenreihe DIN EN ISO 14040 ff. [4.91] mit folgenden Teilen (Hervorhebungen nicht im Original): - DIN EN ISO 14040: 2021-02: Umweltmanagement 3 Ökobilanz 3 Grundsätze und Rahmenbedingungen, - DIN EN ISO 14041: 1998-11: Umweltmanagement 3 Ökobilanz 3 Festlegung des Ziels und des Untersuchungsrahmens sowie Sachbilanz (zurückgezogen), - DIN EN ISO 14042: 2000-07: Umweltmanagement 3 Ökobilanz 3 Wirkungsab- schätzung (zurückgezogen), - DIN EN ISO 14043: 2000-07: Umweltmanagement 3 Ökobilanz 3 Auswertung (zurückgezogen), - DIN EN ISO 14044: 2021-02: Umweltmanagement 3 Ökobilanz 3 Anforderungen und Anleitungen (Ersatz für DIN EN ISO 14041 bis 14043), - DIN-Fachbericht 107 : 2001: Umweltmanagement 3 Ökobilanz 3 Anwendungs- beispiele zu ISO 14041 zur Festlegung des Ziels und des Untersuchungsrahmens sowie zur Sachbilanz (Deutsche Fassung ISO/TR 14049 : 2000). In DIN EN ISO 14040 : 2009-11 ist der Begriff Ökobilanz wie folgt definiert: >Zusammenstellung und Beurteilung der Input- und Outputflüsse und der potentiellen Umweltwirkungen eines Produktsystems im Verlauf seines Lebensweges.< Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 61 - Allerdings: Ökobilanzen sind nicht geeignet für die Bewertung von Risiken und Wirkungen auf Nutzer und Umwelt an einem bestimmten Standort (sog. lokale Umwelt)! Bild 4.26: Gliederung einer Ökobilanz nach ISO 14040 [4.92] Bild 4.26 zeigt die Gliederung einer Ökobilanz nach ISO 14040. Hier wird davon ausgegan- gen, dass das Untersuchungsziel (z.B. >Einbeziehung von Umweltaspekten in die Gebäude- planungSchaumglas< in Bild 4.27). Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 62 - Bild 4.27: Prozesskette bei der Herstellung von Schaumglas (nach [4.93]) Anhand einer solchen Prozessbilanz sind Energie- und Stoffbilanzen von Bauprodukten im Prinzip leicht zu erstellen (vgl. in Abschnitt 4.1.3 den Erhaltungssatz der Energie und das Prinzip der Massenerhaltung), aufwändig wird das Verfahren jedoch auf Grund der Komple- xität des Bauprozesses (vgl. Bild 4.25). Dies soll im Folgenden anhand von Energiebilanzen näher erläutert werden, denen z.B. der kumulierte Energieaufwand KEA eines Produkts gemäß VDI 4600 [4.14] zugrunde gelegt werden kann: KEA ý KEAH û KEAN û KEAE ûMJ ý ( 4.3) mit KEAH = kumulierter Energieaufwand für die Herstellung [MJ] KEAN = kumulierter Energieaufwand für die Nutzung [MJ] KEAE = kumulierter Energieaufwand für die Entsorgung [MJ] Grundlage aller Energiebilanzen ist der Primärenergieaufwand, um die Umwandlungsverluste auf dem Weg von der Energiequelle zur Energienutzung mit zu erfassen (Tabelle 4.32). Marquardt , Bearb. Stehr: Baustoffl. 1 3 Schadstoffe u. Ökobilanzierung Bauprodukte 3 - 63 - Tabelle 4.32: Bearbeitungsstufen der Energie 3 unabhängig vom Energieträger 3 in Anlehnung an VDI 4600 (nach [4.14]) Primärenergie (Rohenergie): Energieinhalt von Energieträgern, die noch keiner Umwandlung unterworfen wurden 3 z.B. der Energieinhalt von Rohöl, Naturgas oder Steinkohle Sekundärenergie: Energieinhalt aller Energieträger, die der Verbraucher bezieht (i.d.R. aus Primärenergieträgern umgewandelt) 3 z.B. Heizöl, (gereinigtes) Erdgas oder Strom Endenergie: Sekundärenergie, die ggf. noch um Umwandlungsverluste und den Eigenbedarf bei der Stromeigenerzeugung des Verbrauchers reduziert wurde Nutzenergie: nur der von der Endenergie tatsächlich für den jeweiligen Zweck genutzte Anteil wie Wärme, Bewegung, Licht 3 d.h., dass - zum einen z.B. bei Heizöl oder Erdgas nur die Raumwärme genutzt wird, während die (ver- gleichsweise geringen) Abgas- und Kesselverluste ungenutzt bleiben, - zum anderen vom Strom nur ein geringer Anteil tatsächlich in das z.B. gewünschte Licht umgewandelt wird, während der große Rest zu nicht genutzter Abwärme wird Bei den o.g. Teilsummen KEAH, KEAN und KEAE ist jeweils zu überlegen (und anzugeben), welche Vor- und Nebenstufen einbezogen wurden: A. Der kumulierte Energieaufwand für die Herstellung KEAH eines bestimmten Bau- produktes muss nicht nur den Primärenergieaufwand für die Herstellung selbst ent- halten, sondern auch den primärenergetisch bewerteten Energieaufwand für den Transport der Rohstoffe zum Herstellungs- und Bauort sowie den Einbau. Entspre- chend Bild 4.28 müssen aber neben den Fertigungsstoffen auch noch Betriebsstoffe und Betriebsmittel berücksichtigt werden. Dabei stellt sich die Frage, bei welchen Vor- und Nebenstufen der Produktion die Untersuchung aus praktischen Gründen abgebrochen wird; wird die Bilanzgrenze z.B. - bei Bestandteilen unter 3 % Anteil im Endprodukt oder - bei den Bleistiften in der Verwaltung eines Zulieferbetriebes angesetzt? Letzteres ist praktisch nicht leistbar 3 üblich sind daher folgende sog. Abschneidekriterien: - Input-Flüsse mit > 1 % der gesamten Input-Masse oder die zu > 1 % zum Primärenergieverbrauch beitragen, - Output-Flüsse (Emissionen), deren Umweltauswirkungen > 1 % der gesamten Umweltauswirkungen betragen sowie - Summe der vernachlässigten Stoffströme ó 5 % [4.94].