Arbeits- und Organisationssoziologie WiSe 2024/25: Arbeit und Technik PDF

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This document is a lecture or presentation on Arbeits- und Organisationssoziologie WiSe 2024/25, focusing on the topic of "Arbeit und Technik". The outline includes discussions on past and present technology's impact on work relationships, the role of algorithms in management, and the broader socio-technological context.

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Einführung in die Arbeits- und Organisationssoziologie WiSe 2024/25 Arbeit und Technik Prof. Dr. Hajo Holst Fachbereich für Sozialwissenschaften [email protected] Aufbau 1. Rückblick: Arbeitsbeziehungen und Mitbestimmung 2. Kon...

Einführung in die Arbeits- und Organisationssoziologie WiSe 2024/25 Arbeit und Technik Prof. Dr. Hajo Holst Fachbereich für Sozialwissenschaften [email protected] Aufbau 1. Rückblick: Arbeitsbeziehungen und Mitbestimmung 2. Konjunkturen von Technik in der Arbeits- und Industriesoziologie 3. Klassisch: Technikbilder von Industriearbeitern (1960er Jahre) 4. Algorithmisches Management 5. Fazit Fazit – Arbeitsbeziehungen und Mitbestimmung Duale System der Interessenvertretung eines Besonderheit des deutschen Modells (international divergente Systeme der Interessenvertretung) Aber: Seit Jahren sinken gewerkschaftliche Organisationsgrade, der tarifvertragliche Deckungsgrad und auch die Existenz von Betriebsräten Durch Erosion der Mitbestimmung und der Tarifbindung wird auch die demokratische Qualität der Mitbestimmung fragil Treiber: Organisationale Fragmentierung, Globalisierung und Standortkonkurrenz (und veränderte Legitimationsmuster wirtschaftlichen Handelns) Aufbau 1. Rückblick: Arbeitsbeziehungen und Mitbestimmung 2. Konjunkturen von Technik in der Arbeits- und Industriesoziologie 3. Klassisch: Technikbilder von Industriearbeitern (1960er Jahre) 4. Algorithmisches Management 5. Fazit 2. Konjunkturen von Technik in der Arbeits- und Industriesoziologie 1950er und 1960er Jahre: Technikdeterminismus und -optimismus In der Wissenschaft dominierte eine evolutionär-deterministische Sicht auf Technik: vom Handwerk zur Mechanisierung zur Automatisierung (Fokus: Industriearbeit) Technikzentrierter Fortschrittsoptimismus: Technikentwicklung als Treiber von Produktivitätssteigerungen und Wohlstandsmehrung Vision: Technikentwicklung als Versachlichung von Politik und Herrschaft (u.a. Schelsky 1961) Für die Arbeit: evolutionäre Sicht (vom autonome*r Handwerker*in zur fremdbestimmte*r Fließbandarbeiter*in zur körperlich entlaste qualifizierte Arbeitskraft), u.a. Touraine (1955) Automatisierung als Hoffnung: Entlastung von körperlich belastender und monotoner Arbeit, Emanzipation von entfremdeter Erwerbsarbeit und willkürlicher Herrschaft im Betrieb https://www.youtube.com/watch?v=ycarJ- LH4Qc Automobilproduktion bei Volkswagen in den 1960er Jahren 2. Konjunkturen von Technik in der Arbeits- und Industriesoziologie 1970er und 1980 Jahre: Gestaltbarkeit von Technik Drei-Phasen-Modell der Technikentwicklung (Handwerk – Mechanisierung – Automatisierung) wird von empirischer Realität überholt: – Belastende und monotone Arbeiten nicht verschwunden durch technische Entwicklung (im Gegenteil: zum Teil sogar Wachstum von Einfacharbeit) – Ungleichzeitigkeiten in der technischen Entwicklung (parallele Prozesse der Automatisierung und De-Automatisierung, unterschiedlicher Technikstand in verschiedenen Branchen und in verschiedenen Bereichen einer Fabrik) Organisation gewinnt an Bedeutung in der Analyse von Technik: – Sozio-technischer Ansatz untersucht die Wechselwirkungen zwischen dem technischen und dem sozialen System (Tavistock-Institut) – Münchner Ansatz: „Betrieb als Strategie“ (Altmann/Bechtle 1980). Technik nur ein möglicher Rationalisierungsansatz unter vielen Politische Hoffnungen: „Humanisierung der Arbeit“ (politische Initiative und Förderprogramm) 2. Konjunkturen von Technik in der Arbeits- und Industriesoziologie Seit den 2010er Jahre: Digitalisierung und neue Impulse I Beschleunigte Digitalisierung setzt Technik wieder auf die Forschungsagenda der soziologischen Arbeitsverständnis Umkämpftes Technikverständnis in der Forschung (Gleichzeitigkeit : – Digitalisierung als neue Qualität der technischen Entwicklung: Wiederkehr technikdeterministischer Perspektiven („digitaler Taylorismus“) => Fokus: individuelle Folgen – Ähnlich: Neue Automatisierungswelle? Diskussion über unvermeidliche/Arbeitsplatzverluste (einfachere, kognitive Tätigkeiten) => Arbeitsmarktfolgen – Aber trotzdem: Dominanz sozio-technischer Perspektiven in der deutschen Forschung: Ungleichzeitigkeiten und Gestaltbarkeit digitaler Technologien https://www.youtube.com/watch?v=78P8kTAEs Oc Neue Robotik in der Automobilmontage 2. Konjunkturen von Technik in der Arbeits- und Industriesoziologie Seit den 2010er Jahre: Digitalisierung und neue Impulse II Intensive Diskussionen um die materielle Qualität von Technik: neue Mensch-Technik-Verhältnisse, auch angeregt durch Innovationen außerhalb der Arbeitsforschung (wie interagieren Technik und Mensch?) – Digitale Tools als Assistenzsysteme (Werkzeugcharakter der Technik) – Digitale Systeme als Kontrolltechnologien (automatische Datensammlung zur Überwachung von Arbeitsverhalten) – Digitale System als Automatisierungstechnologien („intelligent automation“, flexible und anpassungsfähige Automatisierung vs. „alter“ starrer Automatisierung) – Digitale Systeme mit eigener Agency (kollaborative Roboter, artifical intelligence) => neue Interaktionsformen zwischen Technik und Mensch (distributed agency, Rammert/Schulz- Schaeffer) Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Techniknutzungen als Herausforderung für die soziologisches Digitalisierungsforschung (gibt es einen allgemeinen Entwicklungstrend der Digitalisierung von Arbeit?) 3. Technikbilder von Industriearbeitern Heinrich Popitz (1925-2002), Professor für Soziologie in Basel und Freiburg Hans Paul Bahrdt (1918-1994), Professor für Soziologie und Begründer des SOFI, Göttingen. Popitz/Bahrdt (1954): Das Gesellschaftsbild des Arbeiters: Soziologische Untersuchungen in der Hüttenindustrie. Tübingen: Mohr & Siebeck. 3. Technikbilder von Industriearbeitern [Empirische Analysen, 600 Interviews mit westdeutschen Hüttenarbeitern] – Überraschung: Zwischen konkreter Arbeitserfahrung und gesellschaftlichem Denken der Industriearbeiter besteht kein nachweisbarer Zusammenhang. – Gesellschaft als etwas Entferntes, Distanziertes (von dem man sich nur ein diffuses Bild machen kann). – ABER: Dominanz eines „dichotomen Gesellschaftsbild“ (Gesellschaft als eine dichotomes Oben und Unten). – Arbeiterliches Selbstbewusstsein trotz Ungleichheit: Überzeugung, dass die Gesellschaft von ihrer körperlichen Arbeit abhängig ist. Horst Kern/Michael Schumann (1970er Jahre): Das gesellschaftliche Denken der Industriearbeiter. Suhrkamp. – Dichotomes Gesellschaftsbild nicht mehr nachweisbar (fragmentiertes Arbeitsbewusstsein) 3. Technikbilder von Industriearbeitern Forschungsprogramm zu Arbeiterperspektiven auf technischen Wandel: Wie sehen Arbeitende die Zukunft der Arbeit? Unmittelbare Auswirkungen: Welche Folgen hat der technische Wandel am eigenen Arbeitsplatz? Mittelbare Auswirkungen: Welche Folgen hat der technische Wandel für die Gesellschaft und die Arbeiterschaft als Ganzes? Treiber: Was treibt den technologischen Wandel an? Gestaltbarkeit: Welchen Einfluss hat die Arbeiterschaft auf den technischen Wandel und die Zukunft der Arbeit? Vier Gruppen (=> Gesamtgesellschaftlich: Technikoptimismus): (1) Technik- und Fortschrittsoptimisten (Positive Effekte auf Lebensstandard, Produktivität, Arbeitsbedingungen; kein Anstieg der Arbeitslosigkeit), 13% (2) Abwägende Optimisten (grundsätzlich positive Einstellung zum technischen Fortschritt mit einzelnen Kritiken), 7% (3) Ambivalente (Positive und negative Effekte des technologischen Wandels, keine klare Positionsbetsimmung), 33% (4) Skeptiker (Vermeidung negativer Effekte braucht Eingriff), 5% (5) Pessimisten (negative Effekte des technischen Wandels auf Gesellschaft und Arbeiterschaft sind unvermeidlich), 18% 4. Algorithmisches Management Seit den 2010er Jahren: Neue technische Formen der Arbeitssteuerung („software algorithms assuming managerial functions“) (z.B. Uber, Essensauslieferung) (Möhlmann et al. 2021, Lee et al. 2021, Wood 2024) – Algorithmisches Matching: Algorithmus verbindet Angebot und Nachfrage (z.B. Transport- und Personaldienstleistungen) – Algorithmische Verhaltenssteuerung: Daten über Arbeitsverhalten werden für automatisierte Bewertung und Disziplinierung genutzt (z.B. Rider in der Essensauslieferung, Pflege, Montage) Algorithmisches Management besitzt hohe Skalierbarkeit (Reduktion von Personalaufwand und –kosten, Geschwindigkeit) Ambivalente Folgen für Arbeitende: – Kontrolle: dichte Daten ermöglichen lückenlose Überwachung von Arbeitsleistung – Unterstützung: Sicherheit in „kritischen“ Situationen – Transparenz von Bewertungspraktiken (im Vergleich zu personalem Management) – Aushebelung von institutionellen Regelungen über Plattformen (formale Selbständigkeit) Fazit – Technik Technik seit jeher integraler Bestandteil der soziologischen Arbeitsforschung: Technik als Gegenstand der Arbeit (individuelles Arbeitsverhalten) und als gesellschaftliche Bedingung (Arbeitsmarktdynamik) Konjunkturen der soziologischen Beschäftigung entwickeln sich mit gesellschaftlich dominanten Technikformen und soziologischen Paradigmen: – Vom Technikdeterminismus (Technik als gesellschaftliche Entwicklungskraft) zur Gestaltbarkeit von Technik (Fokus auf Organisation zur ??? (Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen im Zeitalter der Digitalisierung) Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen im Zeitalter der Digitalisierung: Heterogene Techniknutzung als Herausforderung für die Forschung Neue materielle Qualität von Technik (Technik als Aktant/Akteur)?