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HeroicPearl8096

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Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

2024

Dr. Christina-Marie Juen

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Wahlsysteme Politikwissenschaft Demokratie Deutschland

Summary

This document is a lecture on election systems. It discusses different types of electoral systems, their advantages and disadvantages, and their effects on political systems. The lecture notes cover topics on election systems, such as majority and proportional representation.

Full Transcript

EINFÜHRUNG IN DIE POLITIKWISSENSCHAFT Wahlsysteme Dr. Christina-Marie Juen 12.11.2024 Aktuelles https://www.zeit.de/politik/deutschland/2024-11/neuwahlen-bundestagswahl-termin-organisation- rechtslage Seite 2 Ziele und Inhalt – Welche Wahlsyst...

EINFÜHRUNG IN DIE POLITIKWISSENSCHAFT Wahlsysteme Dr. Christina-Marie Juen 12.11.2024 Aktuelles https://www.zeit.de/politik/deutschland/2024-11/neuwahlen-bundestagswahl-termin-organisation- rechtslage Seite 2 Ziele und Inhalt – Welche Wahlsysteme unterscheiden wird? – Welche Effekte haben die unterschiedlichen Wahlsysteme... – auf Wähler:innen? – auf Parteien? Seite 3 Welche Wahlsysteme gibt es? Wahlen und Wahlsysteme – Warum führen Demokratie überhaupt Wahlen durch? – Wahlen sind das zentrale Kennzeichen von Demokratien – Über Wahlen bestimmten Bürger:innen an wen sie ihre Stimme und somit Entscheidungsmacht delegieren – Wahlen daher auch ein Mittel um Kontrolle über gewählte Repräsentant:innen auszuüben – Große Bedeutung für das politische System, wie die Auszählung von Stimmen und Verteilung von Sitzen geregelt ist – Wahlsysteme sind daher essentiell Seite 4 Wahlsysteme “Electoral systems are defined as those rules which govern the processes by which preferences are articulated as votes and by which these votes are translated into the election of decision-makers.” (Blais 1988) “Electoral System determine the means by which votes are translated into seats in the process of electing politicians into office.” (Farrel 2011) Seite 5 Wahlsysteme – Entscheidung für ein bestimmtes Wahlsystem: – Machtkampf zwischen Parteien (viele europäische Staaten) – Bestes Wahlsystem für Bevölkerung des Landes (post-kommunistische Staaten) – In manchen Ländern entstand es einfach aufgrund der Gegebenheiten (USA) – Wahlsysteme lassen sich relativ einfach verändern und anpassen – Electoral engineering sehr üblich, daher gibt es keine Länder mit identischen Wahlsystemen Seite 6 Typen von Wahlsystemen 3 große Typen an Wahlsystemen: – Mehrheitswahlsystme (majoritarian systems) – Verhältniswahlsysteme (proportional systems) – Mischwahlsysteme (mixed-member systems) Die verschiedenen Wahlsysteme beruhen auf unterschiedlichen Zielsetzungen von Wahlen und wirken unterschiedlich auf das politische System (Powell, 2000). Seite 7 Übersicht aus Norris (1997) Seite 8 Mehrheitswahlsysteme Mehrheitswahlsysteme – Absolute Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen (single member districts) – Pro Wahlkreis wird je ein Mandat vergeben – Kanditat:in mit den meisten Stimmen in einem Wahlkreis gewinnt diesen – Aber: Absolute Mehrheit muss hierfür gewonnen werden (Stimmenanteil > 50% aller abgegebenen Stimmen) – Gelingt dies nicht im ersten Wahlgang, kommt es zu einer Stichwahl – Nennt man auch “two round system” – Beispiele: Frankreich Präsidentschaftswahl Seite 9 Frankreich Präsidentschaftswahl 2022 1. Wahlgang: 27.8% 1. Wahlgang: 23.2% → 2. Wahlgang: 58.5% → 2. Wahlgang: 41.5% Seite 10 Mehrheitswahlsysteme – Relative Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen (single member districts) – Pro Wahlkreis wird je ein Mandat vergeben – Kanditat:in mit den meisten Stimmen in einem Wahlkreis gewinnt diesen – Einfache Mehrheit reicht hierfür (Stimmenanteil muss nur höher sein als jener der andere Kandidierenden) – Nennt man auch “first past the post” oder “single member district plurality” - System – Beispiele: USA, UK Seite 11 Vor- und Nachteile – Vorteile: – Hohe Verantwortlichkeit (accountability) der regierenden Partei gegenüber den Wähler:innen – Enge Bindung zwischen Wahlkreisabgeordneten und Wähler:innen – Starke geographische Repräsentation – Nachteile: – Unterrepräsentation bestimmter Gruppen und somit fehlende responsiveness – Disproportionalität von Wählerpräferenzen und Parteistimmen – ‘Verschwendung’ von Stimmen durch fehlen von Wahlalternativen Seite 12 Beispiel: USA Seite 13 https://source.wustl.edu/2020/02/the-divide-between-us-urban-rural-political-differences-rooted-in-geography/ Politische Realität – Wahlverhalten: – aufrichtiges Wählen (sincere voting), wenn in jedem Fall meistpräferierte Kandidat:in gewählt wird – strategisches Wählen (strategic voting), wenn aufgrund von zielgerichteten Überlegungen (bzgl. Wahlausgang, Regierungsbildung usw.) nicht meistpräferierte Kandidat:in gewählt wird – Strategisches Wählen findet vor allem in Mehrheitswahlsystemen statt – Angst, Stimme zu verschwenden, wenn präferierte Kandidat:in sowieso nicht gewinnen kann (Duverger, 1959) Seite 14 Politische Realität – Strategisches Verhalten nicht nur von Seiten der Wähler:innen – Parteien können in manchen Wahlsystemen Wahlkreise zuschneiden und neu gestalten – Das ist vor allem in den USA gängig und bekannt: – Parteien können Grenzen der Wahlbezirke alle 10 Jahre neu ziehen (gerrymandering) – Zuschneidung von Wahlbezirken führt zu Bezirken, die sehr homogen in Hinblick auf Ideologie, Parteipräferenz und daher oft sozio-demographischer Merkmale sind (McCarty, Poole und Rosenthal, 2009) – Weniger Wettbewerb und weniger Wahlbeteiligung Seite 15 Gerrymandering Seite 16 Beispiel: USA Seite 17 https://www.nytimes.com/interactive/2022/01/11/opinion/redistricting-gerrymandering-reform.html Beispiel: USA Seite 18 https://www.nytimes.com/interactive/2022/01/11/opinion/redistricting-gerrymandering-reform.html 5 Minuten Pause Seite 19 Verhältniswahlsysteme Verhältniswahlsysteme – Listenwahl – Proportionale Berechnung von Stimmenanteile in Sitze – Häufig gibt es aber eine Sperrklausel – Soll Fragmentierung des Parlaments verhindern – Quoten und Divisoren zur Verrechnung von Stimmen auf Sitze im Parlament – ‘Highest average’: Anzahl der Stimmen pro Partei wird durch Divisoren geteilt (bspw. D’Hondt oder Sainte-Lague) um so Sitze zu ermitteln – ‘Largest remainder’: Quoten werden berechnet (bspw. Hare oder Droop) – Wahl von Kandidat:innen über eine von den Parteien aufgestellte Liste Seite 20 Verhältniswahlsysteme – Wahl von Kandidat:innen über eine von den Parteien aufgestellte Liste – “open list”: Reihung der Kandidierenden ist nicht festgelegt – hier gibt es die Möglichkeit einer preference vote (Vorzugsstimme) – “closed list”: Reihung der Kandidierenden ist festgelegt, somit ziehen nur die ersten Personen auf der Liste ins Parlament ein – Art der Liste ist besonders entscheidend für das Verhalten von Abgeordneten (Parteidisziplin, Repräsentation Wahlkreis) – Beispiel: Österreich, Niederlande, Israel usw. Seite 21 Beispiel: closed list Stimmzettel Bundestagswahl Deutschland Seite 22 Beispiel: open list Seite 23 Stimmzettel Nationalratswahl Österreich Vor- und Nachteile – Vorteile: – Hohe Proportionalität zwischen Stimmen- und Sitzverteilung – Repräsentation unterschiedlicher Gruppen der Bevölkerung (responsiveness) – meisteine etwas höhere Wahlbeteiligung – Nachteile: – fragementiertes Parteiensystem – Oft Koalitionsregierungen und dadurch geringere Verantwortlichkeit (accountability) der regierenden Partei(en) gegenüberden Wähler:innen – weniger Bindung zwischen Abgeordneten und Wähler:innen Seite 24 Mischwahlsysteme Mischwahlsysteme – Kombination aus Merheitswahl und Verhältniswahl (‘best of both worlds’) – Soll im Idealfall zu starker Verantwortlichkeit der Parteien sowie stabilen Mehrheiten und einem hohen Grad an Repräsentation führen – Sitzvergabe in Teilen über Wahlkreise und in Teilen über Parteilisten – Vebundsysteme: Verhältniswahl dominiert und Mandate aus der Mehrheitswahl werden mit den Mandaten der Verhältniswahl verrechnet – Grabenwahlsystem: Mehrheitswahlmandate werden nicht auf Verhältniswahlmandate angerechnet (zwei unabhängige “Säulen”) – Beispiele: Deutschland (Verbundsystem), Italien (Grabenwahlsystem) Seite 25 Wahlsystemeffekte Wahlsystemeffekte – Empirisch sind wir nicht neben der Ausgestaltung des Wahlsystems vor allem an Effekten der unterschiedlichen Systeme interessiert – Wahlsystem daher oft als unabhängige, erklärende, Variable – Effekte von Wahlsystemen auf Miko- und Makroebene – Makroebene: Parteien(system), Proportionalität von Stimmen und Sitzen, Stabilität von Demokratie, Repräsentation von Minderheiten – Mikroebene: gewählte Abgeordnete, Wähler:innen Seite 26 Parteien – Anzahl der Parteien in einem politischen System durch Wahlsystem bestimmt – Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen führt zu Zweiparteiensystemen – Verhältniswahlsysteme führen eher zu Mehrparteiensystemen – Dieser Zusammenhang wird als Duverger’s Gesetz bezeichnet (Duverger, 1959) – Hierbei spielen zwei Mechanismen eine Rolle: der mechanische und psychologische Effekt Seite 27 Parteien – Mechanischer Effekt: – Mehrheitswahlsysteme lassen keine kleinen Parteien zu, da deren Unterstüzer:innen häufig verstreut über Wahlkreise wählen und somit keinen Wahlkreis gewinnen können – Verhältniswahlsysteme hingegen fördern aufgrund von proportionaler Verrechnung von Stimmen und Sitze auch kleine Parteien – Psychologischer Effekt: – Wähler:innen in Mehrheitswahlsysteme wissen, dass nur große Parteien gewinnen können, agieren daher strategisch und wollen keine Stimme verschwenden (wasted votes) – Wähler:innen in Verhältniswahlsysteme agieren hingegen kaum strategisch Seite 28 Wähler:innen – Wissen um Mechanischen Effekt wirkt sich z.B. auch auf die Wahlbeteiligung aus – Verhältniswahlsysteme werden oft als ‘fairer’ erachtet: – Wähler:inner empfinden seltener eine “Verschwendung” ihrer Stimme, weil sie mehr als zwei Parteien mit einer Chance auf den Sieg wählen können – Seltener entfremdet von Institution der Wahl – Führt zu mehr Anreizen um wählen zu gehen Seite 29 Wähler:innen – Mehrheitswahlsysteme setzen weniger Anreize: – Wähler:innen empfinden oft eine “Verschwendung” ihrer Stimme – Präferenzen stimmen oft nicht mit denen der beiden Parteien mit einer realistischen Chance auf den Sieg überein – Kosten für Wahlbeteiligung zu hoch, wohingegen der Nutzen zu gering ist (Riker und Ordeshook, 1968) – Manche Mehrheitswahlsysteme, wie bspw. USA, haben weitere Hürden für Wahlbeteiligung: – Wahl über Electoral College gilt als undemokratisch – Registrierung für die Wahl vor der Wahl zwingend notwendig Seite 30 Abschließend... Diskussionsfragen – Welche Bedeutung haben sowohl die geografische Repräsentation als auch jene von Minderheiten in Deutschland, und wie scha t es das Wahlsystem diese zu erfüllen? Seite 31 Woche 6, 19.11.2024 Parteiensysteme – Welche Funktion haben Parteien und welche Typen an Parteien gibt es? – Was sind Parteiensysteme? – Was ist ‘Parteienwettbewerb’? Seite 32 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Seite 33 Literatur Duverger, Maurice. 1959. Political parties: Their organization and activity in the modern state. Metheun & Co. Ltd. McCarty, Nolan, Keith T Poole und Howard Rosenthal. 2009. “Does gerrymandering cause polarization?” American Journal of Political Science 53 (3): 666–680. Norris, Pippa. 1997. “Choosing electoral systems: proportional, majoritarian and mixed systems.” International political science review 18 (3): 297–312. Powell, G Bingham. 2000. Elections as instruments of democracy: Majoritarian and proportional visions. Yale University Press. Riker, William H und Peter C Ordeshook. 1968. “A Theory of the Calculus of Voting.” American political science review 62 (1): 25–42. Seite 34

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