Qualitative Methoden PDF
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Universität Wien
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This document discusses qualitative methods, focusing specifically on qualitative interviews. It explores different types of interviews, their characteristics, and the theoretical frameworks behind them. The document also describes the process of conducting these interviews and the importance of understanding narrative and experience within the research.
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# Qualitative Methoden ## 3. Vorlesung ### Qualitative Interviews * **Das qualitative Interview** * Gängigstes qualitatives Verfahren. * Diskrepanz zwischen Häufigkeit und Qualität. * Basiert auf alltäglichen Verständigungsmethoden (Ethnomethoden). * Aber: reflektiert & methodisch...
# Qualitative Methoden ## 3. Vorlesung ### Qualitative Interviews * **Das qualitative Interview** * Gängigstes qualitatives Verfahren. * Diskrepanz zwischen Häufigkeit und Qualität. * Basiert auf alltäglichen Verständigungsmethoden (Ethnomethoden). * Aber: reflektiert & methodisch kontrolliert. * Braucht spezifisches theoretisches Wissen & spezifische praktische Kompetenzen. * "Datengewinnung ist eine kommunikative Leistung". * **Interview = Kommunikations- und Interaktionsprozess (gemeinsam)** * Produkt = empirisches Datenmaterial. * Interview ≠ Instrument zur Info-Abfrage. * Unverzerrtes/unbeeinflusstes Interview unmöglich. * "Man kann nicht nicht kommunizieren". * Implizite Gesprächsrahmungen (unausgesprochene Regeln, Erwartungen, Kontexte, Dynamiken, die Gespräche nonverbal beeinflussen) ≠ Störfaktoren. * Konstitutiv/grundlegender Bestandteil eines qualitativen Interviews. * Sackgasse der Wahrheitsfrage. * Wahrheit ist relativ standpunktabhängig. * **Ziel der qualitativen Forschung: Rekonstruktion subjektiver "Wahrheiten" als standortgebunden & perspektivisch.** * **Notwendige Fähigkeiten beim qualitativen Interview** * Erhebungssituation bewusst angemessen gestalten. * Einbezug von spezifischem theoretischem Wissen. * Kommunikative Areflexive Kompetenzen. * Unbeabsichtigte/unkontrollierte Interventionen unterlassen. * Wenn sie den Kommunikationsprozess stören. * Wenn sie nicht zum Ziel beitragen. ### Qualitative Interviews - Ein Überblick * **Narratives Interview** * (Narratives) Biografisches Interview * Ereigniszentriertes Interview * Ethnografisches Interview * Paarinterview * **Dimensionen der Unterscheidung** * Forschungsinteresse * Steuerung/Strukturierungsprinzipien: offen-restriktiv. * Rollen: monologisch-dialogisch. * Einfluss eigener Deutungen/Fremdheit. * **Kriterium bei der Wahl der Interviewart:** Gegenstand angemessenheit. ### Das narrative Interview * **Definition** * Annahme: Menschen organisieren/drücken ihre Erfahrungen/Weltansichten in Form des qualitativen Interviews. * Ziel: Erzählungen generieren, möglichst ungefiltert. * Formale Struktur: * Erzählaufforderung/Erzählstimulus. * Eingangserzählung. * Immanente (erzählgenerierende) Fragen. * Abstrahierende & erklärende Nachfragen (optional, exmanente Nachfragen). * **(Meta-)Theoretische Verortung (Schütze)** (Forschungsfragen/Rahmen). * Symbolischer Interaktionismus (Entstehung von Bedeutung in sozialer Wirklichkeit durch Interaktion). * Sociolinguistik (Zusammenhang zwischen Sprache & Gesellschaft). * Ethnomethoden (Interesse an den Alltagsmethoden der Verständigung). * **Methodische Konsequenz:** Forschung muss kommunikativ sein. Forschung muss Raum lassen für alltägliche Prozeduren der Verständigung. ## Erzähltheoretische Grundlagen des narrativen Interviews (Textsorten). ### 1. Erzählung * Spezifisches kommunikatives Schema zur Sachverhaltsdarstellung. * **Textsorte:** Darstellung singulärer Handlungs- und Erfahrungsabläufe mit spezifischen Zeit- und Ortsbezügen. * **Merkmale:** * Zeitbezug Vergangenheit. * Chronologisch sequenzierte Darstellung einer zeitlich spezifisch strukturierten Ereignisabfolge (temporale Verknüpfung). * Spezifischer struktureller Aufbau. * **Subtypen:** * Berichtende Darstellungsform (ohne detailierter Beschreibung emotionalen Bezugs). * Szenisch-episodische Darstellungsform (detailiert, alltägliche direkte Rede, Similes etc.). * Chronikartige Darstellung (Abfolge von Ereignissen, keine Interpretation, kaum emotionale Tick). * **Doppelsinnigkeit des Begriffs "Erzählung":** * Überbegriff für die gesamte Handlung des Erzählens. (Also gesamtes narratives Interview inklusive v. Textsorten). * **Spezifische Textsorte siehe oben.** ### 2. Beschreibung * Darstellung statistischer Sachverhalte wiederkehrender Abläufe. * Ausgestaltung des Ereignisraums des Geschehens. * **Charakterisierung von:** * Personen * Erfahrungen * Verhaltensweisen * Milieus * Beziehungen * Gefühlen * **Merkmale:** * Zeitbezug Vergangenheit & Gegenwart. * Kein singulärer Ereigniszusammenhang dargestellt. * Mehr oder weniger starke Abstraktion von konkreten Handlungs/Erfahrungsabläufen. * Keine spezifische thematische Struktur. ### 3. Argumentation * Bewertung, Begründung, Erklärung, Rechtfertigung. * Alltags-theoretische, reflektierende Stellungnahmen. * **Merkmale:** * Zeitbezug: Gegenwart. * Kein singuläres Ereigniszusammenhang. * Starke Abstraktion von konkreten Handlungs- und Erfahrungsabläufen. * Keine spezifische temporale Struktur. * Nicht chronologisch sequenziert. * Direkte Adressierung der Zuhörer (in explizite Einleitung, expliziter Abschluss/Rückleitung zur Erzählung). * **Homologie von Erzähl- und Erfahrungskonstitution** * **Sinnstrukturen, die das faktische Handeln & Erleben anktios.** * **Sinnstrukturen, die die Darstellung des Handelns & Erlebens anleiten.** * **Erfahrungskonstitution.** * **Erzählkonstitution**. ### Textsorten & Modi des Wissens * **Erzählung/Beschreibung** * Orientierung am faktischen Handeln. * Implizites, atheoretisches, inkorporiertes, habituelldissoziiertes Wissen. * **Argumentation/Beschreibung** * Theorien über eigenes/fremdes Wissen. * Theoretisches, reflexives Wissen. ## Zugzwänge des Erzählers * Detaillierungszwang * Gestaltsschliessungszwang * Kondensierungszwang. ## Einsatz & Forschungsfelder des narrativen Interviews ### Voraussetzungen: * Keine Beschränkung auf bestimmte Gegenstandsbereiche. * Phänomene mit Prozesscharakter. * Erkenntnisinteressen mit narrativer Generierungskraft (Geschichtencharakter). * Prozesscharakter muss befragter Person zugänglich & von ihr darstellbar sein. * Befragte Person muss selbst involviert gewesen sein. * **MERKE:** Nur Prozesse lassen sich erzählen (nicht Zustände, Haltungen, Ansichten, Theorien). ### Grenzen: * Soziale Abläufe unterhalb Aufmerksamkeitsschwelle. * Phänomene ohne Geschichtlichkeit. * Darstellung wiederkehrender Routinen/Zustände * Darstellung abstrakter/hypothetischer Reflexionen. * Kollektive Phänomene. ### Forschungsfelder: * Biografische Forschung * Psychotherapieforschung * Coping- Forschung * Bildungsforschung * Entwicklungsforschung * Migrationsforschung * Politische Psychologie * Rekonstruktion von Lebensgeschichten. ## Vorteile: * Tieferen Einblick in individuelle Sichtweisen / Sinnkonstruktionen. * Authentische, zusammenhängende Darstellungen. * Wenig Beeinflussung durch Forschende. ## Herausforderungen: * Hohe Anforderungen an Forschende. * Geduld. * Konzentration. * Aktives Zuhören. * Subtile Gesprächssteuerung ohne Manipulation. * Analyseaufwand. * Zeitintensive & komplexe Auswertung. * Interpretative Kompetenzen. * Schlechte Erzähler. * Knappe Antworten. * Sensible Nachfragen, die Erzählfluss nicht stören. ## Merkmale: * Offenheit. * Wenig Steuerung. * Struktur, Reihenfolge & Gewichtung wird von Interviewten bestimmt. * Erzählforderung. * Soll umfassendes & zusammenhängendes Narrativ initiieren. * Episodisches Erzählen * Konkrete Ereignisse, Erlebnisse & deren Bedeutungen. * Erzählungen in situativen, sozialen Kontext. * Narrative Logik * Interne Logik. * Hinweis auf subjektive Deutung/Priorisierung. ### Ablaufschema & _Durchführungsprinzipien_ * Generell: Erzählgenerierende Fragen immer vor Aufforderungen zu Positionierung, Reflexion & Thematisierung. ### Joining & Rahmenbedingungen: * Arbeitsbündnis & tragfähige Vertrauensbeziehung. * Aufzeichnung ankündigen & Einverständnis einholen. * Vertraulichkeit der Daten, Formulare. * Erhebungsformat einführen. * Interviewziel erläutern, Fokus auf persönliche Sichtweise. ### _Smalltalk-Phase:_ * Am Ende des Joinings: Aufnahme starten. * Gewöhnungsminute: Letzter Teil des Joinings bereits aufgezeichnet. Weniger schon während eigentliche Erhebung. ### Erzählforderung/Erzählstimulus: * Offene (Frage) Aufforderung/Bitte, weniger wirkliche Frage. * Ziel: Generierung einer Erzählung. * Autonom strukturiert. * Breit & detailliert. * Kontextreich. * Abgeschlossen. * Formulierung: * Erzählgenerierend/narrativ. * Offen (nicht hypothesengeleitet, nicht interpretativ). * Allgemeine Hinweise zum Erkenntnisinteresse. * Strukturidentisch, aber frei gesprochen/unverkrampft (persönlich). * Hinweis auf Interviewformat & Vertraulichkeit. * Demonstrative Vagheit, methodische Fremdheit (Herantasten). * Interviewer ist Expert, nicht umgekehrt. * Aktiv zuhören & unterstützen (lächeln, nicken), aber: Nicht unterbrechen. * Hier nicht deuten/rekonstruieren Erzählung im Gang halten. ### Eingangsdarstellung * Autonom strukturierte Erzählung der interviewten Person. ### Nachfragenphase/Immanente, erzählgenerierende Nachfragen * Nach Abschlussmarker (Erzählkoda) * Unmittelbar bezogen auf Gesagtes. * Tangentielles Erzählpotential ausschöpfen. * Noch keine neuen Themen. ### Rückgriff-Fragestrategie: * Details (aber keine knappen Fragen nach Ort, Zeit, Personen). * Keine Warum- Fragen. * Konkrete Beispiele. * Füllen von Leerstellen in Chronologien. * Vervollständigung von Abbrüchen. * Genauere Ausführungen von Bezügen, Details & Unverständlichem. * Aktives Zuhören weiterer Notices. ### Nachfragephase & _Exmanente_ Fragen: * Abstrahierende Beschreibungen von Zuständen/wiederkehrenden Abläufen. * Argumentationen, Begründungen, Meinungen, Einschätzungen. * Warum- Fragen. * "Ehre Schutz". * Widersprüche & Auffälligkeiten thematisieren (Legitimationsantworten möglich) * Evtl. am Ende: Exmanente Nachfragen. * Kein entfernter Bezug auf Gesagtes. * Bezug auf spezifisches Erkenntnisinteresse. * Vorformuliert, aber frei & persönlich. ### Abschluss: * Interviewer in beendet Gespräch, bedankt sich, gibt Rückmeldung (Smalltalk) (Feststellung einer Reziprozitätsnorm). * _Off-the-record_: Beobachten & Dokumentieren, wenn zurück zu Thema. * Aufnahme wieder starten. * Hilfreich, Ziel greicht, Rückfragen ankündigen.