Leitprogramm Europa zwischen Demokratie und Diktatur PDF

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This document is a guide, or study material, for students. It outlines a program for learning about the period between the two world wars in Europe. This covers the political and economic impacts of World War I, leading to the conflicts of the 1930s and 1940s. The document appears to be a learning tool or study resource rather than a test paper itself.

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Leitprogramm Europa zwischen Demokratie und Diktatur t Leitprogramm Europa zwischen Demokratie und Diktatur Die Zeit zwischen den Weltkriegen ) Name: Leitprogramm...

Leitprogramm Europa zwischen Demokratie und Diktatur t Leitprogramm Europa zwischen Demokratie und Diktatur Die Zeit zwischen den Weltkriegen ) Name: Leitprogramm Europa zwischen Demokratie und Diktatur t· Vorwort Das Thema der nächsten Wochen wird die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen sein. Dabei wird mit einem Leitprogramm gearbeitet. Ein Leitprogramm ist ein Heft, welches durch das Thema leitet. Alles Wissenswerte und alle Arbeitsaufträge stehen in diesen Unterlagen. Das Leitprogramm „Europa zwischen Demokratie und Diktatur" besteht aus sechs Kapiteln. Jedes Kapitel ist gleich aufgebaut: Nach einer kurzen Kapitelübersicht (mit A bezeichnet) sind die Lernziele (8) aufgeführt, welche mit der Bearbeitung des Stoffes erreicht werden sollen. Dann folgt die Vermittlung des Stoffes (C) mit den dazugehörenden Fragen (D). Ganz am Schluss hat es jeweils noch zusätzliche Hinweise (E). Diese Aufträge müssen jedoch nicht unbedingt durchgearbeitet werden - sie sind freiwillig. Wenn die eigenen Lösungen der Fragen (D) mit denjenigen des Leitprogramms verglichen wurden und der Lerninhalt verstanden ist, kann der Kapiteltest gelöst werden. Der Kapiteltest wird bei der Lehrperson oder bei einer Mitschülerin, bei einem Mitschüler gemacht. Das er- folgreiche Abschliessen des Kapiteltests wird durch die Unterschrift des Examinators bestätigt. In sieben Lektionen müssen die sechs Kapitel durchgearbeitet sein, welche mit einem Test geprüft werden. Wichtig ist, dass die Arbeit auf die vorgegebene Dauer aufgeteilt wird. Die Kapiteltests müssen in der Schule gelöst werden. Arbeitshinweise: 1. Lies das Leitprogramm immer mit Schreibmaterial durch und markiere wichtige Stellen. 2. Verstehst du etwas nicht, blättere zurück und versuche, das Problem selber zu lösen. Natürlich helfen dir auch die Mitschüler/innen und die Lehrperson jederzeit gerne. 3. Achte darauf, dass du während der Stunde ruhig und konzentriert arbeitest, damit du schneller vorwärts kommst und die Mitschülerinnen und Mitschüler nicht gestört werden. Inhaltsverzeichnis Einführung 3 1. Unzufriedenheit der Besiegten - Unsicherheit der Sieger 4 2. Die Weltwirtschaftskrise 9 3. Die faschistische Bewegung 15 4. Deutschland 1933 - Die Nationalsozialisten ergreifen die Macht 21 5. Das nationalsozialistische Deutschland: So wurde regiert - die Regierten 28 6. Das nationalsozialistische Deutschland: Die Opfer 36 Lösungen 43 2 Leitprogramm ~ Europa zwischen Demokratie und Diktatur J Einführung Auf den folgenden Seiten wird einiges über die bewegten Zeiten zwischen den beiden Weltkriegen berichtet. Die ganze Zwischenkriegszeit stand eigentlich unter den Folgen des Ersten Weltkrieges, seines Ausgangs und der darauf folgenden Friedensregelung. In den Versailler Friedensverträgen diktierten die Sieger den Besiegten sehr harte Friedensbe- dingungen und schufen eine neue Ordnung für Europa. Das Deutsche Reich verlor Gebiete, wurde weitgehend entwaffnet und musste grosse Reparationszahlungen entrichten. Öster- reich-Ungarn wurde aufgelöst. In Osteuropa entstand zwischen Deutschland und Russland ein Gürtel neuer und vergrösserter Staaten. Durch die Gründung des Völkerbundes sollten künftige Kriege verhindert werden. Das Ziel, die dauerhafte Sicherung des Friedens, wurde jedoch nicht erreicht. Die Spannungen zwischen den Mächten konnten nie entscheidend abgebaut werden, sondern nahmen nach 1930 wieder zu und führten schliesslich in den Zweiten Weltkrieg. Die Gründe dafür liegen wahrscheinlich darin, dass die Besiegten - allen voran Deutschland - die in den Friedensver- trägen festgelegte neue Ordnung als sehr ungerecht empfanden. Sie strebten deshalb eine Verbesserung ihrer Situation an. Die Siegermächte jedoch waren unsicher, ob und wie sie den Wünschen entgegenkommen sollten. Zudem verfolgte jedes Land eine eigene Politik, gemein- sames Handeln war nicht gefragt. Dies war schliesslich auch mit ein Grund für das Scheitern des Völkerbundes. ) 3 Leitprogramm Europa zwischen Demokratie und Diktatur , , 1. Unzufriedenheit der Besiegten - Unsicherheit der Sieger A) Kapitelübersicht Dieses Kapitel enthält die Reaktionen, welche die Versailler Friedensverträge bei den Besiegten und den Siegern auslösten und wie die besonderen Situationen in verschiedenen Ländern waren. Am Ende des Ersten Weltkrieges hatten die besiegten. Staaten zwar nicht bedingungslos ka- pituliert, sondern Waffenstillstandsverträger abgeschlossen. Trotzdem diktierten die Sieger- mächte sehr harte Friedensbedingungen, die von den Besiegten als sehr ungerecht empfunden wurden. Der Türkei unter ihrem Führer Atatürk gelang es bereits bald, bessere Friedensbe- dingungen auszuhandeln. In Deutschland war die Empörung über den als äusserst ungerecht empfundenen Frieden gross. Nach dem Waffenstillstand wurde der Kaiser gestürzt und die Weimarer Republik ausgerufen. Bald verschlechterte sich die Situation in Deutschland zu- sehends, denn eine unkontrollierbare Geldentwertung lähmte die wirtschaftliche Entwicklunp und führte in der Bevölkerung zu noch grösserer Verbitterung über das Friedensdiktat von Paris, denn dort wurde das Grundübel für die missliche Situation gesehen. Der Unzufriedenheit der Besiegten stand die Unsicherheit tler Sieger gegenüber. Die USA und Grossbritannien distanzierten sich von der europäischen Politik, weil sie mit eigenen Proble- men beschäftigt waren. Frankreicli, das durch die Schwächung Deutschlands zur stärksten Macht in Europa geworden war, war von einem tiefen Misstrauen gegenübeti dem Erzfeind Deutschland erfüllt. Es fehlte somit an einem gemeinsamen Vorgehen, um die Vorgaben der Versailler Friedensverträge umzusetzen, zu fest waren die einzelnen Staaten mit sich selber beschäftigt. B) Lernziele 1. Du erkennst, dass die Friedensordnung nach dem Ersten Weltkrieg von den besiegten Staaten nicht akzeptiert und als ungerecht empfunden wurde. 2. Du weisst, wie sich die Situation in den Ländern der Besiegten entwickelte. 3. Du kannst erklären, vor welchen Problemen die verschiedenen Siegermächte standen und du erkennst, dass die unterschiedlichen Einzelinteressen eine gemeinsame internationale Politik verhinderten. 4 Leitprogramm Europa zwischen Demokratie und Diktatur ' C) Lernkapitel: Unzufriedenheit der Besiegten - Unsicherheit der Sieger Die Friedensverträge nach dem Ersten 2. Die Siegerstaaten sind durch Zahlungen der Weltkrieg: Vor dem Krieg - nach dem Krieg Besiegten für die angerichteten Kriegsschä- Die Verhandlungen unter den Siegern (Entente- den zu entschädigen. Begünstigt werden Mächte GB, F, R, USA) fanden in Versailles bei dadurch vor allem Frankreich und Belgien. Paris statt. Einwände der Besiegten wurden nur 3. Das Deutsche Reich soll so geschwächt in geringem Mass berücksichtigt. Man spricht werden, dass es nicht mehr imstande ist, von den Pariser Friedensverträgen oder auch von einen Revanchekrieg zu führen. Die Friedens- den Versailler Verträgen. bedingungen dürfen aber auch nicht Oberhart sein, damit sich die Deutschen auf die Dauer Durch diese Friedensverträge wurde die politi- mit ihrer Lage abfinden können. sche Landkarte Europas im Vergleich zur Vor- 4. Die Ausbreitung der Rommunistischen kriegszeit stark verändert. Das österreichisch- Revolution von der Sowjetunion in andere ungarische Kaiserreich bestand nicht mehr. Die Länder soll verhindert werdeti. Daher wird die Sowjetunion hatte die Westgebiete des früheren Selbständigkeit der zum Teil neu entstandenen Zarenreiches eingebüsst und das Deutsche Staaten in Osteuropa anerkannt und gefördert. ~eich verlor 13% seines Territoriums und 10% Diese sollen einen Damm gegen eine seiner Einwohner, von denen gut die Hälfte sowjetisch-kommunistische Expansion bilden. deutschsprachig war. Das Saargebiet kam unter die Verwaltung des Völkerbundes und sollte nach Die Unzufriedenheit der Türken fqnf Jahren selber entscheiden, ob sie zu Die in Paris festgelegte Friedensordnung wurde Deutschland oder zu Frankreich gehören wollten. von den Besiegten als ungerecht empfunden. Die deutschen Kolonien wurden unter Frankreich Der erste und erfolgreiche Widerstand gegen sie und Grossbritannien verteilt. erhob sich in der Türkei. Der Sultan von Istanbul Ausser den Gebietsverlusten musst das Deut- musste zwar machtlos hinnehmen, wie sein sche Reich noch weitere Beschränkunge Reich zerstückelt wurde und wie griechische hinnehmen: Sein Heer wurde auf 100'000 Mann Truppen von der kleinasiatischen Küste ins mit beschränkter Bewaffnung (keine Flugzeuge, Landesinnere vordrangen. Im Inneren Kleinasiens keine Panzer) reduziert, was gerade genügte, die aben sammelte General Mustafa Kemal ein Heer. Ordnung im eigenen Land aufrechtzuerhalten. Es gelang ihm die griechische Invasionsarmee zu Vor allem aber hatte das Deutsche Reich die schlagen; etwa eine Million Griechen, deren Hauptlast der Kriegsentschädigungen (Repara- Vorfahren seit langem an der Westküste Klein- tionen) zu tragen. Die enorme Summe von 132 asiens oder in Istanbul gelebt hatten, mussten Jv1illiarden Goldmark sollte in 66 Jahresraten überstürzt nach Griechenland fliehen. Gleich- bezahlt werden. Begründet wurde dies damit, zeitig erklärte Kemal den Sultan für abgesetzt, dass das Deutsche Reich mit seinen Verbünde- rief die Republik aus, machte ~nkara zur neuen ten den Krieg verursacht hätten. Hauptstadt und wurde selbst Staatspräsident. Der Bestand der durch die Versailler Verträge Mustafa Kemal, der später den Ehrennamen geschaffenen Ordnung hing von zwei Fragen ab: „Atatürk" (Vater der Türken) erhielt, wollte jedoch - Würden die Besiegten diese Ordnung auf die nicht das Osmanische Reich frühere Zeiten Dauer hinnehmen? wieder aufrichten. Es ging ihm nur darum, die - Wie würden sich die Sieger beim Versuch eines von Türken bewohnten Gebiete in einem Staat zu Besiegten, diese Ordnung zu ändern, verhal- einigen; allerdings zählte er auch die Kurden und ten? die Armenier im Osten Kleinasiens zum türki- schen Volk. Wegen dieser Selbstbeschränkung Die wichtigsten Ziele der Siegermächte waren die Siegermächte Grossbritannien und 1. Künftige Kriege sollen durch den Zusammen- Frankreich ziemlich rasch bereit, im Vertrag von schluss aller Staaten in einem Völkerbund Lausanne (1923) die Friedensbedingungen für verhindert werden. Die Mitglieder bleiben zwar die Türkei zu verbessern. selbständig, schlichten aber ihre Konflikte im Nach diesem Erfolg ging es Kemal vor allem Rahmen dieses Bundes friedlich. Sitz des darum, die Türkei aus äusseren Konflikten Völkerbundes wurde Genf. herauszuhalten und im Inneren zu modernisieren. 5 Leitprogramm Er führte die westeuropäische Schrift statt der arabischen ein. Er fördel1e die Schulen, be- Europa zwischen Demokratie und Diktatur Die wirtschaftliche Entwicklung nach dem Krieg steigerte die Empörung. Zunächst litt Deutsch- t r kämpfte den Analphabetismus und gab auch den land unter der Wirtschaftsblockade, die bis zur Frauen, die nicht mehr den traditionellen Schleier Unterzeichnung des Friedensvertrages fortge- tragen mussten, eine selbständigere Stellung. setzt wurde. Vor allem auf dem Land hatte die Bevölkerung oft Mühe, seine Massnahmen zu verstehen. Im Ein amerikanischer Bericht über die Wirkungen Ganzen aber gelang es Kemal, einerseits die der Wirtschaftsblockade gegen Deutschland Folgen der Niederlage im Ersten Weltkrieg zu (Februar 1919): mildern, andererseits aus dieser Niederlage die „Die Verhältnisse in den Krankenhäusern waren Konsequenzen zu ziehen. erschreckend. Während der Kriegsjahre waren von den Patienten ständig durchschnittlich ein Zehntel infolge Mangels an Fett, Milch und gutem Mehl gestorben... Im Kinderkrankenhaus sahen wir schreckliche Bilder, so die „Hunger- babies" mit grässlichen geschwollenen Köpfen... Natürlich drängte unser Bericht auf sofortige Öffnung der Grenzen für Fett, Milch und Mehl... aber die schreckliche Blockade wurde, weil die Franzosen darauf bestanden, aufrechterhalten." Die Deutsche Mark fällt ins Bodenlose Bald setzte eine verheerende Geldentwertung ein. Der Krieg hatte das Deutsche Reich enorme Summen, 100 Milliarden Goldmark, gekostet. Finanziert wurde er einerseits durch Darlehen der Bürger an den Staat (,,Kriegsanleihen"), anderer- Die Unzufriedenheit der Deutschen seits dadurch, dass man mehr Geldscheine In Deutschland wurden die Versailler Friedens- druckte. Nach dem Sieg, so hatte die Regierung verträge mit grosser estürzung aufgenommen. gedacht, würden die Gegner genügend Entschä- Das galt sowohl für die Anhänger der alten digungen leisten müssen, so dass der Staat die Ordnung unter dem gestürzten Kaiser wie auch Darlehen zurückzahlen und die Bürger mit dem für die Befürworter der neu gegründeten Repu- vielen Geld etwas kaufen könnten. Nun hatte blik. Die einen wandten sich vor allem gegen die man aber den Krieg verloren und musste selbst „Kriegsschuldlüge" - das Deutsche Reich habe Kriegsentschädigungen in Goldmark oder Gütern den Krieg nicht gewollt, sondern sei von seinen (Kohle, Stahl, landwirtschaftliche Produkte) Feinden eingekreist worden. Die anderen entrichten. Um die sonstigen Ausgaben klagten, die Bestimmungen stünden im (Beamtenlöhne, Kriegsopferversorgung, Zins- Widerspruch zu dem vom amerikanischen zahlungen usw.) zu begleichen, wurden einfach Präsidenten versprochenen „gerechten Frieden" noch viel mehr Banknoten gedruckt. Eine enor- und verschlechtere die Startchancen der neuen me Geldentwertung setzte ein. Die Löhne holten deutschen Republik. die Preise nicht mehr ein. Wer Geld hatte, muss- Besondere Verbitterung löste die Grenzziehung te es sofort ausgeben, weil es tags darauf nur zwischen dem Deutschen Reich und Polen aus. noch die Hälfte wert war. Man hielt es für unerträglich, dass in Zukunft Ende 1923 führte die Regierung eine neue etwa zwei Millionen Deutsche unter: polnischer Währung ein. Für eine Billion „alter Mark" erhielt Herrschaft leben sollten (allerdings hatten vor man eine neue Mark. Das bedeutete, dass Er-1 dem Krieg wesentlich mehr Polen unter deut- sparnisse in Geldform (Sparhefte, Darlehen usw.) scher Herrschaft gelebt). Kritisiert wurden auch aus der Vorkriegszeit völlig wertlos geworden die räumliche Trennung Ostpreussens vom waren. Betroffen waren vor allem Angehörige des übrigen Reich und die Verselbständigung der Mittelstandes - Arbeiter besassen meist ga~ Stadt Danzig. So war die Meinung verbreitet, nichts , reiche Leute dagegen Grundbesitz oder dass die Grenzen im Osten früher oder später Industriebetriebe. verändert werden müsste. 6 Leitprogramm Europa zwischen Demokratie und Diktatur ~ nicht erreicht; die europäischen Verbündeten hätten die Amerikaner bei der Ausarbeitung der J Friedensbedingungen überspielt. Der Senat ver- weigerte die Zustimmung zum Friedensvertrag und zum Eintritt in den Völkerbund. Von nun an distanzierten sich die Vereinigten Staaten von den Vorgängen in der europäischen Politik. Sie verzichteten jedoch nicht auf das Geld, das sie ihren europäischen Verbündeten zur Bestreitung der Kriegskosten geliehen hatten. Um diese Darlehen zurückzubezahlen, waren Wer jedoch Schulden hatte - vor allem der Staat Grossbritannien und Frankreich wiederum auf die selbst, aber auch geschickte Spekulanten - hatte deutschen Entschädigungszahlungen angewie- diese auf dem Höhepunkt der Geldentwertung sen. leicht bezahlen können. Die Bevölkerung führte diese Katastrophe einerseits auf die Unfähigkeit Unsicherheit der Sieger: Grossbritannien der Regierung zurück, andererseits auf den Für Grossbritannien brachte die Nachkriegszeit Zwang, Kriegsentschädigungen n die Sieger- grosse Schwierigkeiten. Es lebte vom Export p ächte zu zalilen. Die Aussicht, noch über seiner Industrieprodukte und von seinem sechzig Jahre lang solche Reparationen leisten Kolonialreich. Nun fehlten ihm aber die Abneh- zu müssen, war bedrückend. Da das Deutsche mer: Erankreich war vom Krieg schwer mitge- Reich aber militärisch machtlos war und keine nommeh , das Deutsche Reich hatte kein Geld, Verbündeten hatte, konnte es an den bestehen- die Vereinigten Staaten natten ihre eigene, den Verhältnissen nichts ändern. modernere Industrie entwickelt. Die Arbeitslosig- keit lag nie unter zehn Prozent der Arbeitenden Ungarn und Österreich - Restposten der und stieg nach 1930 auf über zwanzig Prozent. In Donaumonarchie den Kolonien aber, vor allem in Indien, entwickel- Unzufriederi waren auch Ungarn und Österreich, ten sich Unabhängigkeitsbestrebungen. die als „Restposten" des aufgelösten Kaiser- Mit solchen Sorgen im eigenen Reich beladen, reiches Österreich-Ungarn übrig geblieben wa- wollte Grossbritannien möglichst wenig in die ren. Aus dem Grossteil von dessen deutschspra- Probleme auf dem europäischen Kontinent ver- chigen Gebieten wurde die Republik Österreich wickelt werden. Wenn sich die dortigen Staaten mit der Hauptstadt Wien gebildet. Die Kriegsfol- verständigten und Frieden hielten, so war dies gen, eine enorme Inflation und eine ungünstige wichtiger als die lupenreine Einhaltung der Ver- wirtschaftliche Lage sprachen nicht für die sailler Verträge in alle Ewigkeit. Die Bereitschaft J ebensfähigkeit dieses Staates. Viele Österrei- der Briten, noch einmal grosse Opfer in einem cher hätten sich lieber dem Deutschen eich europäischen Krieg zu bringen, war gering. angeschlossen während das westliche Land Vorarlberg um Aufnahme in die Schweizerische Unsicherheit der Sieger: Frankreich Eidgenossenschaft ersuchte. Die Friedensver- Frankreich war zur stärksten Macht in Europa träge untersagten jedoch beides. Die Grenzen geworden. Diese Vorrangstellung beruhte auf der Ungarns waren so gezogen worden, dass nun Schwäche des Deutschen Reiches. Wenn sich viele Menschen ungarischer Sprache in Nach- dieses erholte, konnte es wegen seiner grös-. barländern lebten (Tschechoslowakei, Rumänien , seren Einwohnerzahl und der wirtschaftlichen Jugoslawien) und dort als Minderheiten zweit- Leistungsfähigkeit die französische Position klassig behandelt wurden. wieder gefährden. Frankreich war nun unsicher, ob es auf seiner jetzigen Stellung beharren oder Unsicherheit der Sieger: USA die Verständigung mit Deutschland anstreben Der Unzufriedenheit der Besiegten stand die sollte. Das Beharren erforderte einen hohen Unsicherheit der Sieger gegenüber, wie es nun militärischen 7\ufwand und verewigte die weitergehen solle. In den Vereinigten Staaten ver- Spannungen. Bei einem Entgegenkommen breitete sich das Gefühl, man habe die Kriegs- wusste man nicht, ob das Deutsche Reich dies ziele - Verbreitung der Demokratie, gerechter nur benutzen würde, um Frankreich zu über- , Friede, Selbstbestimmungsrecht aller Völker - flügeln und Revanche für die Niederlage zu nehmen. Da die französische Regierungen häufig 7 Leitprogramm Europa zwischen Demokratie und Diktatur t ,' wechselten, änderte sich auch die politische Linie recht oft. In der Bevölkerung blieb das Unsicherheit der Sieger: Italien Misstrauen gegenüber dem deutschen Nachbarn Italien hatte sich vom Kriegseintritt grosse Ge- gross. Man hoffte, dass der Bau einer gewaltigen bietsgewinne erhofft, etwa die Ostküste des Festungsanlage an der gesamten deutsch- Adriatischen Meeres oder deutsche Kolonien. französischen Grenze, der „Maginot-Linie", Nun fand man, der Krieg habe viele Opfer gefor- Frankreich davor bewahren werden, erneut dert, aber wenig eingebracht. Die einen zogen Kriegsschauplatz zu werden. daraus den Schluss, die Kriegsteilnahme sei ein Fehler gewesen, die andern, man müsse das Entgangene nachträglicli noch holen und Italien zur wahren Grossmacht erheben. Mit Benito Mussolini kam 1922 ein Vertreter dieser Richtung an die Macht. Das Wichtigste in Kürze: Die in den Verträgen von Versailles festgelegte Ordnung wurde von den Besiegten als ungerecht empfunden. Diese strebten eine Verbesserung ihrer Lage an. Die Siegermächte waren unsicher, ob und wie weit sie diesen Wünschen entgegen- kommen sollten. Da jede von ihnen eine beson- dere Politik verfolgte, zerfiel die Einigkeit unter ihnen rasch. D) Fragen zum Thema: Unzufriedenheit der Besiegten - Unsicherheit der Sieger 1a) Zähle die Friedensbedingungen auf, die von den Deutschen als besonders hart empfunden wurden. 1b) Erkläre, weshalb die Deutsche Mark nach dem Ersten Weltkrieg jeden Wert verlor. 2) Erkläre, aus welchen Gründen viele Amerikanerinnen und Amerikaner mit den Friedensverhandlungen nach dem Ersten Weltkrieg nicht zufrieden waren. STOPP Wenn du deine Lösungsvorschläge mit denjenigen am Ende dieses Heftes verglichen hast und überzeugt bist, dass du alles in diesem Kapitel begriffen hast, dann meldest du dich bei der Lehrperson oder einer Mitschülerin oder einem Mitschüler (siehe Tafel) zum Kapiteltest. Wenn du den Kapiteltest bestehst, erhältst du hier eine Unterschrift. Anschliessend beginnst du mit dem nächsten Kapitel oder arbeitest noch Abschnitt E) durch. E) Zusatzstoff für schnelle Lernerinnen und Lerner und Interessierte - Lies im Buch „Durchblick, Band 2" die Seiten 192-195 zur Situation in der Schweiz (1914-1918) durch. 8 Leitprogramm Europa zwischen Demokratie und Diktatur 2. Die Weltwirtschaftskrise {Von 1929 bis zum Ende der dreissiger Jahre) t ';,/- A) Kapitelübersicht In diesem Kapitel wird beschrieben, wie die Weltwirtschaftskrise gegen Ende der zwanziger Jahre die ganze Welt in tiefen Pessimismus stürzte. Im Jahr 1902 führte der Amerikaner Henry Ford in seiner Autofabrik eine revolutionäre Neuerung ein: das Fliessband. Bald wurden auf den Fliessbändern auch Gegenstände des täglichen Lebens produziert, dadurch wurden sie billiger und liessen sich viel besser verkaufen. Neue Fabriken wurden gebaut, brachten Arbeit und steigende Löhne. Dieser wirtschaftliche Aufschwung wirkte sich zum Teil auch auf Deutschland aus, denn die deutschen Betriebe liehen sich Geld von Banken und verbesserten ihre Betriebe. Die Hoffnung täuschte jedoch. 1929 konnten einzelne amerikanischer Firmen ihre Waren nicht r ehr absetzen. Sie hatten mehr produziert, als sie verkaufen konnten und mussten deshalb ihre Arbeiterinnen und Arbeiter entlassen. Diese hatten ihre Autos, Kühlschränke etc. mit Krediten gekauft, die sie nun nicht mehr zurückzahlen konnten. Dadurch fehlte den Banken das Geld, um es anderen Leuten für Kredite zu geben. Folglich blieben noch mehr Firmen auf ihren Produkten sitzen und mussten Arbeiterinnen und Arbeiter entlassen. Die Krise sprang auch auf Deutschland und den Rest Europas über, als die amerikanischen Banken das ausgeliehene Geld zurückforderten, die Firmen es aber nicht mehr zurückzahlen konnten. Viele Firmen wurden in den Konkurs (Zahlungsunfähigkeit) getrieben. Nun standen auch viele europäische Arbeiterinnen und Arbeiter auf der Strasse. Weil sie nur noch wenig Geld besassen, schränkten sie ihren Konsum massiv ein. Aus diesem Grund konnten die Produzentinnen und Produzenten (Bauern, Handwerker etc.) noch weniger Produkte verkaufen. In Kanada wurden ganze Weizenladungen, in Brasilien Tonnen von Kaffee zerstört, weil es keinen Absatz mehr gab, während auf der ganzen Welt Millionen von Menschen nicht mehr wussten, wovon sie leben sollten. / Diese Weltwirtschaftskrise traf Fabrikanten, Handwerker und Bauern, die nicht mehr verkaufen, Arbeiter und Angestellte, die nicht mehr kaufen konnten. B) Lernziele 1. Du kennst den Verlauf und die wesentlichen Merkmale der Weltwirtschaftskrise und weisst, wie grosse Teile der Bevölkerung auf die Krise reagierten. 2. Du kannst erklären, was eine „Aktie" und ein „Börsenkrach" ist. 3. Du erkennst, dass die einzelnen Staaten trotz internationaler Verflechtung der Weltwirtschaft nicht zu einem gemeinsamen „Krisenmanagement" {Vorgehen) fähig waren. 9 Leitprogramm Europa zwischen Demokratie und Diktatur t· C) Lernkapitel: Die Weltwirtschaftskrise Der Börsenkrach Die Entwicklung des Durchschnittswertes der an der Aus einem Bericht der Wiener «Neuen Freien New Yorker Börse gehandelten Aktien: Presse» über das Börsengeschehen in New York am 24. Oktober 1929: 210 Oktober 1929 1 «In den Büros der Börsenmakler löste eine auf- regende Szene die andere ab. Zahlreiche Personen, 180 besonders weibliche Spekulanten, fielen in Ohn- macht, als sie erfuhren, dass sie ihr Kapital verloren 150 hatten. Verzweiflungs- und Wutausbrüche waren an der Tagesordnung. Auch im Inseratenteil der Zei- 120 tungen machte sich bereits der Börsenzusammen- bruch bemerkbar. Zahlreiche Luxusautomobile der 90 teuersten ausländischen Marken und wertvoller 60 Schmuck werden zum Verkauf angeboten von Leu- ten, die noch gestern Millionäre waren... Sogar in 30 den Strassen der Stadt ist der Eindruck der Börsen- katastrophe deutlich bemerkbar. Überall sieht man 0 ~----,---,-----,----,-------,----,-~~-~----,----,~ verzweifelte und niedergeschlagene Gesichter.» 1926 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 Warum entstand die Panik unter den New Yorker Aktienhändlern? Viele hatten ihre Aktien mit Geld bezahlt, das sie von den Banken geliehen hatten. Da nun die Aktien ständig an Wert verloren, konn- ten sie diese Darlehen nicht mehr zurückzahlen. Viele mussten anderen Besitz verkaufen oder sogar den Konkurs anmelden. Vom Börsenkrach zur Bankenkrise Nun gerieten die Banken in Schwierigkeiten. Viele Kunden wurden unruhig und wollten oder mussten ihr Geld von ihrem Bankkonto oder Spar- heft abheben. Weil aber die Banken ihr Geld von den Börsenspekulanten nicht zurückerhielten und zudem oft auch selbst an der Börse Verluste er- litten hatten, fiel ihnen die gewünschte Auszahlung schwer. Manche Bank schloss ihre Tore. Von der Bankenkrise zur Industriekrise Um die drängenden Kunden zu befriedigen, ver- langten die Banken nun Darlehen (Kredite) zurück, die sie Unternehmern gewährt hatten. Die ameri- kanische Industrie hatte sich in den zwanziger Jah- ren stark entwickelt; 1929 produzierte sie 75 Pro- zent mehr als 1913. Die Amerikaner leisteten sich Kühlschränke, Autos, Radios und Einfamilienhäuser - oft allerdings auf Abzahlung. Die Konkurrenz zwischen den einzelnen Unternehmern war jedoch gross. Daher wurden die Preise so tief wie möglich gehalten. Viele Firmen konnten trotz eines guten Geschäftsgangs nur wenig ersparen und erweiterten ihren Betrieb vor allem durch Bankkredite. Als die Bankkrach in New York: Erregtes Publikum vor der Trust Banken diese nun plötzlich zurückforderten, gerie- Company of America in der Wall Street ten sie ebenfalls in Zahlungsschwierigkeiten. 10 Leitprogramm Europa zwischen Demokratie und Diktatur ~ J Der Fall der Aktienkurse und die Konkurse vieler Lage der Landwirtschaft hat sich noch verschärft... Börsenhändler, Banken und Unternehmen führten Die Wettbewerbsschwierigkeiten auf den Ausland- zu allgemeinem Pessimismus. Die Industriellen märkten haben zugenommen.» schränkten ihre Produktion ein. Sie verzichteten auf neue Maschinen und Fabriken: einerseits fehlte In den Wintern 1931/1932 und 1932/33 zählte man ihnen das Geld, anderseits hielten sie die Absatz - im Deutschen Reich über 6 Millionen Arbeitslose möglichkeiten für gering. Arbeiter und Angestellte (Einwohnerzahl: 66 Millionen), in den Vereinigten wurden in Massen entlassen. Wer seine Stelle Staaten zur gleichen Zeit 13 Millionen (Einwohner- behielt, musste Lohneinbussen in Kauf nehmen. zahl: 124 Millionen). Weitere Millionen leisteten Arbeitslose waren aber schlechte Kunden; je mehr Kurzarbeit. Zahlreiche Bauern und Gewerbetrei- die Arbeitslosigkeit zunahm, desto mehr sanken die bende standen wegen der sinkenden Preise und der Produktion und der Verkauf der Waren. Auch die geringen Kauflust vor dem Ruin. Preise sanken, doch nützte dies all jenen wenig, die Sehr stark betroffen wurden auch die südameri- gar kein Geld mehr hatten. kanischen Staaten und die Kolonien in Afrika und Asien. Diese lebten von der Ausfuhr von Rohstof- Von der amerikanischen Krise zur Weltwirt- fen und Nahrungsmitteln. Die Krise in den Indu- schaftskrise striestaaten bewirkte, dass die Nachfrage nach sol- Die Krise blieb nicht auf die Vereinigten Staaten chen Gütern zurückging. Das führte zu einem beschränkt. Geriet die bedeutendste Wirtschafts- Preiszusammenbruch. So deckte der Preis für brasi- macht der Welt - in den USA wurden damals 45 lianischen Kaffee zeitwe ise niclit einmal mehr die f rozent aller Industriegüter der Welt hergestellt - Transportkosten nach Europa, so dass Schiffe und in Schwierigkeiten, so hatte dies auch für die übri- Dampflokomotiven mit Kaffee geheizt wurden. gen Staaten Konsequenzen. Eine Zusammenarbeit zwischen den Staaten zur Lösung der Krise kam nicht zustande. Jeder ver- Aus einem Bericht der «Neuen Zürcher Zeitung» vom suchte, seine eigene Wirtschaft so gut wie möglich 29. Oktober 1929: zu schützen, indem er Einfuhren verhinderte. Dies «Die ersten weltwirtschaftlichen Rückwirkungen geschah vor allem durch die Erhöhung der Zölle. der New Yorker Börsenkatastrophe sind mit Daher ging der internationale Handel ganz beson- unheimlicher Geschwindigkeit zutage getreten. Wall ders stark zurück. Street hatte das akute Stadium der Krise noch nicht einmal hinter sich, als schon Hunderte von Diaman- Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit: tenschleifern in Amsterdam sich von einem Tag auf 30% den andern auf das Pflaster geworfen sahen... Ungefähr zur gleichen Zeit... liefen im schweizeri- schen Jura die Telegramme ein, die die üblichen hohen amerikanischen Aufträge bei unserer Uhren- 20% industrie beschnitten... Nicht weniger überra- schend haben die New Yorker Ereignisse das Hotel- geschäft an der Riviera verdorben... » 10% / USA _,.,Die wirtschaftliche Lage der europäischen Länder / war schon vorher ungünstiger gewesen als in den Schweiz 0% USA. Vor allem in Grossbritannien und Deutschland 1927 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 bestand immer eine beträchtliche Arbeitslosigkeit. Die deutsche Wirtschaft hatte sich nach dem ver- 1. Die Arbeitslosigkeit war im Winter höher, im Sommer tiefer lorenen Krieg und der katastrophalen Inflation vor als im Jahresdurchschnitt. allem mit Hilfe amerikanischer Darlehen wieder ein 2. Als arbeitslos werden Menschen bezeichnet, die sich um eine Arbeitsstelle bemühen und daher bei den Arbeitsämtern regi- wenig entwickelt. Reserven für schlechtere Zeiten striert sind. Nicht eingesch lossen sind Kinder, Hausfrauen, waren aber kaum vorhanden. Als nun die ameri- Rentner, Menschen, die mit der Zeit die Arbeitssuche aufgaben kanischen Geldgeber unter dem Druck der Krise oder keine Unterstützung mehr bezogen (z.B. berufstätige diese Darlehen zurückforderten, gerieten viele Ehefrauen) sind meist statistisch nicht mehr erfasst. Die offiziel- len Arbeitslosenzah len sind also eher zu niedrig. Firmen und Stadtverwaltungen in grosse Zah lungs- 3. Die Menge der Arbeitslosen wird in Prozent der Erwerbstäti- schwierigkeiten. Sehr rasch trat in Europa die glei- gen wiedergegeben. Eine Arbeitslosigkeit von 30 Prozent che Entwicklung wie in Amerika ein. bedeutet, dass auf zehn Arbeitstätige drei Arbeitslose kommen. Aus dem Bericht des deutschen Konjunkturinstituts von Die Schweiz in der Krise Ende Februar 1930: Die überall wachsenden Handelsschranken trafen i «Die Wirtschaftslage ist durch einen ausseror- auch die Schweiz schwer. A ls rohstoffarmes Land dentlich hohen Stand der Arbeitslosigkeit gekenn- war sie auf Exportmöglichkeiten angewiesen. Der zeichnet. Die industrielle Produktion ist im ganzen Rückgang der Nachfrage, die hohen Zölle und die weiter zurückgegangen. Die Bautätigkeit ist relativ hohen Preise ( der Schweizer Franken war im beträchtlich eingeschränkt worden. Die schwierige Verhältnis zu anderen Währungen «teuer») liessen 11 Leitprogramm die Ausfuhr schrumpfen und die Arbeitslosigkeit ansteigen. Auch die Bautätigkeit und der Tourismus gingen stark zurück. 1936 zählte man durchschnitt- lich 93 000 Arbeitslose (Einwohnerzahl: 4 Millionen). Leben in der Krise Die Krise liess viele Menschen verzweifeln; es schien kein Mittel gegen sie zu geben. Die Aussicht, Arbeit zu bekommen, war gering. Die Unterstüt- zung der Arbeitslosen reichte kaum für das Aller.- nötigste. Aus einem Bericht des amerikanischen Journalisten Hubert Knickerbocker über die Lage der Arbeitslosen in Berlin (1932): 44 «Nach den Angaben des Arbeitsamtes in Berlin- Neukölln beträgt der Reichsdurchschnitt der Unter- stützung, die ein beschäftigungsloser Arbeiter mit Frau und Kind bezieht, 51 Mark im Monat. Gemäss den Berechnungen dieser offiziellen Stelle kommen Miete, Beleuchtung, Beheizung und unvermeidliche Nebenausgaben auf ein Minimum von 32,50 Mark im Monat. Für die Ernährung dreier Menschen bleiben also 18,50 Mark im Monat übrig... Auf Grund dieser Berechnung habe ich in meiner eigenen Küche die Tagesverpflegun.g einer Person ausgewogen. Das Rohmaterial für die drei Mahlzei- ten findet auf einem Fleischteller bequem Platz. Es besteht aus sechs kleinen Kartoffeln, fünf mittel- dicken Scheiben Brot, einem Stückchen Kohl das ungefähr faustgross ist, und einem Stückchen Mar- garine von etwa 16 Kubikzentimetern. Das ist die Wochentagsration, und an drei Sonntagen im Monat kann jeder Erwachsene ausserdem noch einen Hering essen, während das Kind jeden Sonn - tag einen Hering essen und wohl täglich einen halben Liter Milch bekommen kann... » Viele Menschen fragten sich, ob nicht die Wirt- schafts- und Gesellschaftsordnung geändert werden müsse, um bessere Lebensbedingungen zu schaffen. Aus einer Rede des deutschen Reichskanzlers Heinrich Brüning (1932) : 3 4s «Sechs Millionen Arbeitslose, deren Geschick die gleiche Zahl von Angehörigen trifft, also rund ein Fünftel unseres Volkes! Unter diesen sechs Millio- nen Arbeitslosen zwei Millionen unter 25 Jahren. Von diesen zwei Millionen ist eine Million unter 21 Jahren. Eine Million junger Menschen also, die das Leben vor sich haben, ohne eine Arbeitsstätte zu finden... Wundert Sie, dass in den Herzen und Sinnen dieser Million jugendlichen ein Radikalismus aufquillt, der nur vom Untergang und der Zerschla- gung alles Bestehenden Besserung erwartet und auf ihn seine Hoffnungen setzt?» Überproduktion: Zwei holländische Bauern sitzen inmitten unverkäuflicher Kartoffeln. 2 Arbeitslose beim Stempeln im Zürcher Arbeitsamt 3 Versteigerung eines Bauernhofes in Buttisholz LU, 1934 4 «Hungermarsch» von Arbeitslosen aus Nordfrankreich in Paris 12 0:,.... Cl) V) :::, ;:;- '- 2.7cr ,)> CT -- , c::, n o -u 0 cii" r CD ;::;: "O..... ~ ::!. Cl) ro :::, ~~~ Cl) ;:;.· ;:;- a.. OQ C: ~ ro 0 CO CT V, a.. Cl) "ä-~& V, I» :::,.... ;:;- V, ro..... !l) V, ,a--.ls} 0 OQ - · ::s n r :) C:"' ~- 0 :::, M 3 ::::r 3 Cl) Q: ::::r --~ OQ ;:;- V, c:: n· ::r- Cl) "'"' C: :::,. Cl) ;;· CT , Cl) ro ::s :::, OQ Cl) ~- :::, "'::::r n 3:: ro :::, ;:;- c:: ~ ?- Cl) :::, "'"' Cl) 3 Cl a.. 0 Cl) C: ni"' :::, :::, ;:;- ,C: ,-u Cl) a.. Cl. ro..... "' "' ,-u Cl) Cl) 0 a.. C ;:;- l M.... ~..... - o· :::, M "'g.. "' 1 Cl -;::, "';,;-- :::!. V, ro -1. c,::, ::::s C..... r"'IOQ < -· r"'I N -·tD"""'--~.:"~ ~;_.;..-~. \ ~~ r1.. - f }~~u- ~f~. :f ,.:!k,·-~ ~ i, ::;. -t ' ,,.._-_· OQ i o,c --~ c. N,!11 ::::s- ~ ; tD :::, 0 CD mässig eine Dividende zu erhalten. Viele Leute kau- , _,... ·; C.: ";~3,·v '...-.~ ~ (l)C -r;c.tDO ::::S- -r;:;:' 3.~~ ·~ ' ' ~~~~~/- g- fen Aktien in der Erwartung eines Kursanstiegs. 0 Sie hoffen, zu einem späteren Zeitpunkt die Aktien 4' - ~ ' - -.:.'.:.c-~;:. ,:::3 ;·111 ::::s l!: 7' ~-:-~ ~~ : -~· -~:,~;-~ ~ ~:.; ;.;./"~' "'l ,-III C ::::S-..._ i 1. zu einem höheren Preis verkaufen zu können und _,✓~,..~ ~ ·_-~,- ~; iii 3 III ::::s ::::S ~ III 0 äi" so einen Gewinn zu erzielen. ' ,. ·,....-t···,...,. -~--,1l "''- -~;. r ~. '. ~lloi'- (l)(l)OQ~C.(I)&_ Ein «Börsenkrach», das heisst ein allgemeiner und rascher Kursrückgang, kann eintreten, wenn - / ~,.. ; _-,\. -. --. ,"" C ~ - I ' ;:y '· ' :e. t'-'.""'.-- :..~~ ·........ '( : ~ !'- -·~ ,' , \\; ~, ~ ~ J,#..._::::stD::::s:t:;;JtD ~ ~ c. · 111::::s::::S Q.O"!! ::::S III C :J Q. 0 die Aktienkurse zuvor während längerer Zeit stark C. -· gestiegen sind und viele Aktionäre nun den Zeit- (1) -· tD n ~... - ::::s- ~ C..... ~ Leitprogramm Europa zwischen Demokratie und Diktatur t· D) Fragen zum Thema: Die Weltwirtschaftskrise 1) Erkläre, was eine Aktie ist und weshalb sie gekauft werden. 2) Erläutere, wie und weshalb die anfängliche amerikanischefrise zur Weltwirtschaftskrise wurde. '2.) D;~ 1 l."- ~-t '"' t \J\f'O~V.. A'-l J~-- '..,_____ '.., __ _ Der Dichter Bert Brecht: «Wie kam Hitler zur Macht?». 64 «Der Anstreicher kam zur Macht nicht durch einen Staatsstreich, sondern auf gesetzmässige ~;:~;;·>~~-:'.'f~:. '.~:;:;:;;;:~;.;; Weise. Seine Partei war plötzlich die grösste aller Parteien, so dass ihm die Bildung der Regierung nach dem Gesetz zustand. Im Volk herrschte grösste Verwirrung... Es gab die vielen Unzufrie- denen, clie mit bestimmten Parteien unzufrieden i ::r~~t~sr;mfr,~y:~i~~ 2 waren, nämlich den vorhandenen, und auf die Partei Das Wichtigste in Kürze: des Anstreichers blickten als auf eine, die noch Die Weltwirtschaftskrise führte in Deutsch- nicht regiert, also noch nicht versagt hatte. Die Käl- land zum Aufstieg der Nationalsozialistischen ber, unzufrieden mit ihren Scherern und Futter- Partei zur stärksten politischen Kraft. Wesent- meistern und Hütern, entschieden, nun einmal den lich für den Erfolg waren die Rednergabe Metzger ausprobieren zu wollen.» Adolf Hitlers, die geschickte Propaganda, die Fähigkeit, ganz verschiedene soziale Gruppen vor allem auf der gefühlsmässigen Ebene anzusprechen, und die verbreitete Unzufrie- denheit und Angst. Ein Bündnis mit den Kon- servativen erlaubte es Hitler, 1933 die Regie- rungsgewalt zu übernehmen und zur Diktatur Kommunistische (1) und nationalsozialistische Presse (2) - sechs Tage vor der nationalsozialistischen Machtergreifung auszubauen. 26 Leitprogramm Europa zwischen Demokratie und Diktatur t D) Fragen zum Thema: Deutschland 1933 - Die Nationalsozialisten ergreifen die Macht 1) Erkläre, worauf die nationalsozialistischen Erfolge hauptsächlich zurückzuführen sind. 2) Erkläre, wie die Nationalsozialisten an die Macht kamen und welche Folgen dies hatte. ~;"~ \)O-ld( ' 'WCA~f(A,\cl cJ.w Je,.,v,.()~(p\' _;(.,~ Otd.lAV\"'j 'II~ A'{\~°'V\~ ~c,v,,VVll¼V'I ) vw G ((./v-rhd,- """'e,l A-"'t->\. \je,{bve,,\.el """'J ~V>>t, PQ of°'-~ o..v-..ck- \'?~, oie110, meoer0, t11e!'0, IR&1,J1ihat fa.) IBV DAr fdt: Welche Art von Strafen gab es im Zellenbau? 10. IAitgfüb (1'Nl,11u,!!11,D,f1nb f.): - - - - - - -- - fdt : _ _ _ ---- Eccarius: 11. Oil§rnftdlung in btt !JU5il'1!1J, einn QUiebtrung obn Organifalion: ---===------- - 12. !IJ:~~\tt!dti/!'~t, ~~~~J:t~tr:i~rffim unb 1!ogtnangt~örtgtdt !!!:, bn illadjtil&tma~mt: Es gab alle im Lager gebräuchlichen Strafen: Prügeln auf dem Bock, Aufhängen am Pfahl, verschiedene lS. i:~lifra~ ~~~ll~~r1a~b~~t~~~Q~::~~ ::~~°::fu~:t'~~i:htQ:~:tg:~~ ~ - n Arreststrafen, Hinrichtungen. d:er lteuUgen Relhr:ft ülefflleftd: gegenüber. lf ateht 1om1t n t J ~ H. -ttffld~~h 0 ~i!f! Staate,. Staatsanwalt: 16, &umunb 1 -----11-ieA,1 »aehh U.lge I llelEMn.t. 16. l)omillmoc~llniffr, - -;ier4AM- - - - -- - -- - - - - - - Erklären Sie dem Gericht die einzelnen Strafen. 17. illlrtfon !Jte-@)tf)ri~tum: ne=ln~ - - - -- - - - - - - - -- 21. q~mann/ll~tfrou B»itglhb bt : ---. ___ _ _ _ ftit : _ _ __ und Freitag, Gerichtstag. Häftlinge, die sich irgend 22. 1,lolllifd}t auonUl8Jg!tit: iat nicht a:epbi!!n_ _ -. etwas zuschulden kommen liessen, wurden verprü- 28. !illtft R3eurtdlung &tat,~t fiel;, auf bit a,u 0011 ·~ _ _ ___,,_ 19~30 bii: beute_ _._ - lllfffnt: illt i3ta:ntniortung ~t mit grö&tn Glttnlfftn~aftigftlt au nfofgrn. !IDtilm ilulfil~tungtn !inb gelt oder am Pfahl aufgehängt. Bei Prügelstrafen auf bn 9Hlcfftlte tu>tau tn. wurden sie auf dem Bock angeschnallt und beka- 11u-Iaepbul'g men bis zu 25 Schläge mit einem Haselnussstecken. Staatsanwalt: 11111 Gab es nicht mitunter mehr Schläge? Eccarius: Die Partei überwacht die Bürger: Wilhelm B. hatte um ein Nein. Stipendium für seinen Sohn, der studieren wollte, ersucht. Staatsanwalt: Ausschlaggebend für den Entscheid war die Beurteilung seiner politischen Einstellung durch die Partei. Sein Gesuch wurde Kam es nicht vor, dass Häftlinge mitzählen mussten, abgelehnt. und wenn sie sich verzählten, dass sie mit dem Zählen von vorn beginnen mussten? Eccarius: Häftlingsappell im Konzentrationslager Sachsenhausen Das war allerdings üblich...-. 1 ~ ,. ,:- -, 1':.... ,t. ;aM ,¾: 38 Leitprogramm Europa zwischen Demokratie und Diktatur ~ J Staatsanwalt: senhafteste Staatsbürger zu sein, mag er sich völli- Was war das Aufhängen am Pfahl? ger Schuldlosigkeit bewusst sein - dass er nicht Eccarius: eines Tages aus seiner Wohnung geholt, seiner Frei- Den Leuten wurden die Arme auf dem Rücken heit beraubt, in den Kellern des Konzentrations- zusammengeschnürt, und dann wurden sie an einem lagers der Gestapo eingesperrt wird... Das Recht Pfahl, den sie vorher selber in den Boden hatten auf Leben, auf Unverletzlichkeit, auf Freiheit ist ein schlagen müssen, aufgehängt, wodurch ihnen die unentbehrlicher Grundteil jeder sittlichen Gemein- Arme ausgerenkt wurden. schaftsordnung. Der Staat, der die von Gott Staatsanwalt: gewollte Grenze überschreitet, untergräbt seine Wie lange wurden Häftlinge so aufgehängt? eigene Autorität und die Achtung vor seiner Hoheit Eccarius: in den Gewissen der Staatsbürger.» Gewöhnlich eine halbe Stunde. Um Geständnisse zu bekommen, bis zu zwei Stunden... Unter den protestantischen Kirchen und Pfarrern Staatsanwalt: herrschte keine Einigkeit. Ein Teil sympathisierte Gab es noch andere Misshandlungen? mit der nationalsozialistischen Herrschaft, eine Eccarius: mutige Minderheit wandte sich dagegen, viele ver- Von der Lagerleitung waren keine befohlen. suchten, durch Anpassung zu überleben. Staatsanwalt: Sehr viele Deutsche waren stark in ihrer Kirche Aber wurden nicht welche verübt? verwurzelt. Daher verzichtete die Regierung vor- Eccarius: läufig auf einen totalen Kampf gegen die Kirchen, Das haben die Blockführer von sich aus gemacht: um nicht eine allgemeine Missstimmung heraufzu- ) die Häftlinge mit Händen und Füssen getreten und beschwören. Viele einzelne protestantische und geschlagen, mit kaltem Wasser begossen, im Winter katholische Geistliche landeten jedoch im Konzen - nachts mit nackten Füssen um den Zellenbau trationslager; manche von ihnen überstanden die getrieben und so weiter... Haft nicht. Staatsanwalt: Stimmt es, dass die Bedingungen im Zellenbau so unmenschlich waren, dass sich Häftlinge freiwillig Die Unterdrückung der Juden das Leben nahmen, weil sie die Strafen nicht Die Juden galten ausnahmslos als Feinde des ertragen konnten? Nationalsozialismus und des deutschen Volkes Eccarius :. Zur Überraschung vieler Deut- Jawohl!» scher setzte die Regierung ihre antisemitische Pro- paganda in die Tat um. Die zahlreichen Massnahmen Die Kirchen gegen die Juden können in drei Gruppen zusam- In vielen Punkten, vor allem in seiner Rassen- mengefasst werden: theorie, widersprach der Nationalsozialismus der christlichen Lehre. Trotzdem versuchte die katholi - Boykottaktion gegen ein jüdisches Geschäft (1933) sche Kirche, durch einen Vertrag (1933) ihre Posi- tion so gut wie möglich zu sichern. Sie war bereit, die neue Ordnung anzuerkennen und sich aus der ) Politik herauszuhalten, wenn sie ihre religiöse Auf- gabe fortsetzen konnte. Die Regierung hielt sich in der Folge immer weniger an den Vertrag und ver- bot etwa die katholischen Jugendgruppen. Nun nahmen verschiedene Bischöfe in ihren Predigten gegen nationalsozialistische Massnahmen Stellung, so gegen die Allmacht der Polizei oder die plan- mässige Tötung geisteskranker Menschen. Aus einer Predigt des Bischofs von Münster, Clemens Graf von Galen (13. Juli 1941 ): ,s «Der physischen Übermacht der Gestapo steht jeder deutsche Volksbürger völlig schutzlos und wehrlos gegenüber... Keiner von uns ist sicher, und mag er sich bewusst sein, der treueste und gewis- 39 Leitprogramm 1. Zwischen den Juden und den übrigen Deutschen Europa zwischen Demokratie und Diktatur Aus den Erinnerungen Kurt Witzenbachers an die t· sollten möglichst deutliche Unterschiede geschaf- Zerstörungsaktion vom 9. und 10. November 1938 fen werden: («Reichskristallnacht»): - Zwischen Juden und Nichtjuden durften keine 96 «Am nächsten Morgen nach der Schule... lief ich Ehen mehr geschlossen werden (ab 1935). voller Neugier und auch voller Angst durch die - Juden mussten den Zweitvornamen «Sara» Zähringerstrasse. Für einen kleinen Jungen gab es oder «Israel» führen und erhielten in ihrem da mehr als genug zu sehen; in unserer Gegend leb- Pass den Stempelaufdruck «J» (ab 1938). ten viele jüdische Familien, und es gab eine Menge Ladengeschäfte, die Juden gehörten. Die Schaufen- - Juden durften nur besondere jüdische Schulen ster waren eingeschlagen, überall standen SA-Män- besuchen (ab 1938). ner herum... So gelangte ich in die Kronenstrasse - Juden mussten einen gelben Stern tragen zur Synagoge. Eine grosse Menschenmenge drängte (ab 1941). sich vor, SA-Männer trugen Thorarollen und einen 2. Die Rechtsstellung der Juden wurde ständig ver- noch schwelenden Polstersessel heraus und warfen schlechtert: alles auf einen Haufen... Für die meisten gab es - Juden durften nicht mehr als Beamte tätig sein allerdings bei der Synagoge bald nicht mehr allzu (ab 1933/35), viel zu sehen. Ich hörte einige sich zurufen: Und schon war noch jüdische Klienten annehmen (ab 1938). ich mittendrin im Strom der Menge... Mit ein paar - Juden durften nicht mehr an Hochschulen anderen Jungen kletterte ich auf den Brunnen vor studieren (schrittweise ab 1934). dem Rathaus. Und da sah ich, wie mehrere Lastwa- - Juden wurde die Tätigkeit im Grundstück- gen, auf denen dichtgedrängt Menschen standen,... handel und an der Börse untersagt (ab 1938). heranfuhren. Die Menschen, es waren alles Juden, - Juden durften keine Einzelhandelsgeschäfte wie ich später erfuhr, wurden von den Wagen und Handwerksbetriebe mehr führen gestossen und durch die johlende Menschenmenge (ab 1939). bis zum Polizeipräsidium hindurchgetrieben. Ich 3. Gewalttätige Massnahmen gegen die Juden: wusste damals natürlich nicht, was Spiessrutenlau- - Die Bevölkerung wurde davon abgehalten, in fen ist. Ich sollte es aber in jenen Augenblicken von jüdischen Geschäften einzukaufen ( erstmals erwachsenen Menschen... demonstriert bekom- 1933). men. Mit Taschen, Stöcken und Schirmen schlugen - Als ein Jude in Paris einen deutschen Bot- sie auf die Juden ein und bespuckten sie. Ich werde schaftsangestellten getötet hatte, wurden von ein Bild nie vergessen: Dicht an mir vorbei ging ein der SA und der SS umfassende «Vergeltungs- grossgewachsener, alter Herr mit Glatze und einem aktionen» durchgeführt. Zahlreiche jüdische langen grauen Vollbart. Mit stolzer und zugleich Geschäfte und Wohnhäuser sowie Synagogen verachtender Haltung schritt er aufrecht durch die wurden zerstört (9./10. November 1938; siehe prügelnde Menge, obwohl ihm aus unzähligen Platz- wunden das Blut über das Gesicht lief.» Quellentext 96). - Zunehmend wurden Juden in Konzentrations- Aus dem Bericht von Hans Winterfeldt (geboren 1926): lager eingeliefert (ab 1938). 97 «Mein Vater, so wie die meisten anderen Juden, ,, hatte die Nazis noch immer nicht erkannt... sagte mein Vater und mit E l. ' SC H 1:: S H E I C II ihm viele Tausend andere Juden. , fuhr er ' ~ (Sl ·1npel u,,~ l L fort. Die meisten Übergriffe auf die jüdische Bevölkerung, besonders an kleineren I{E [ S 1~~ 'f) \ SR Orten, wurden als bezeichnet, von denen man in Berlin angeblich nichts wusste... -~#lf-(p Cf/ (- -; Hatte Hitler doch bestimmt etwas anderes zu tun, r. als sich um die paar Juden zu kümmern!» / 1 // ~ Von den 500 000 deutschen Juden wanderten bis Auswanderung war für die Juden möglich und 1941 270 000 aus, 90 000 davon in die USA, 50 000 wurde von der Regierung zeitweise sogar geför- in das heutige Israel. dert. Die Auswanderer mussten jedoch den gröss- ten Teil ihres Vermögens dem Staat abliefern oder in Deutschland zurücklassen. Auch waren sie im Ausland oft nicht willkommen. Zudem waren die meisten in Deutschland verwurzelt; der Entschluss, ihre Heimat zu verlassen, fiel ihnen schwer. 40 Leitprogramm Die Opfer und die Durchschnittsbürger Europa zwischen Demokratie und Diktatur ein Zwiespalt zwischen dem Wunschbild des Staa- t Die Existenz der Konzentrationslager und die tes... und einer oftmals hässlichen Alltagswirklich- Massnahmen gegen die Juden in Deutschland waren keit. Wir lösten das Dilemma mit der Formel: der Bevölkerung bekannt. Die meisten Deutschen Der Führer stand über jeder Kritik.» hielten, nicht direkt betroffen. Die Bemühungen der nationalsozialistischen Regie- Aus den Erinnerungen von lnge Scholl an ein Lager des rung, mögliche Gegner auszuschalten, das Volk zu Bundes Deutscher Mädel : kontrollieren und zu einer positiven Einstellung zu ,s «Einmal sagte eine fünfzehnjährige Kameradin im führen, war im ganzen ziemlich erfolgreich. Kritik Zelt, als wir uns nach einer langen Radtour unter richtete sich mehr gegen einzelne Missstände als einem weiten Sternenhimmel zur Ruhe gelegt hat- gegen das ganze System. Zudem waren die Macht- ten, ziemlich unvermittelt: Die Führerin sagte, dass Hitler schon Herrschaft nicht durch die deutsche Bevölkerung, wisse, was er tue, und man müsse um der grossen sondern durch die Niederlage im Zweiten Welt- Sache willen manches Schwere und Unbegreifliche krieg ein Ende bereitet. akzeptieren. Das Mädchen jedoch war mit dieser Antwort nicht ganz zufrieden, andre stimmten ihr bei... Es war eine unruhige Zeltnacht - aber Das Wichtigste in Kürze: schliesslich waren wir doch zu müde. Und der Durch die Geheime Staatspolizei wurde die ) nächste Tag war unbeschreiblich herrlich und voller deutsche Bevölkerung intensiv überwacht. Die Erlebnisse!» Widerstandsmöglichkeiten waren beschränkt. Gegner des Nationalsozialismus waren recht- Aus den Erinnerungen von Hans Günter Zmarzlik los und konnten in Konzentrationslager (geboren 1922): eingeliefert werden. Die Juden wurden ent- n «Nun gab es zwar Konzentrationslager, und in rechtet und waren gewalttätigen Aktionen Oranienburg eines der ersten. Es wurde bald nach ausgesetzt. Sachsenhausen verlegt, in die Nähe unseres Dorfes... Unser früherer Dorfbürgermeister, ein Sozialdemokrat, verschwand... 1933 in diesem Lager. Die offizielle Lesart lautete: die KZ's seien für unbelehrbare Kriminelle eingerichtet... , politi- sche Häftlinge würden nur vorübergehend dort festgehalten, zur eigenen Belehrung... Tatsächlich kehrte unser Mann nach etwa eineinhalb Jahren zurück. Er sprach nicht über die Zeit, die hinter ihm lag, und niemand fragte danach. Ich bin manch - mal in der Schule zu spät gekommen, weil die Strasse abgesperrt war, die vom Bahnhof zum Lager ) Sachsenhausen führte. Ich sah dann aus der Ferne, wie ein langer Zug von kahlgeschorenen Menschen über das Kopfsteinpflaster marschierte, alle in gestreifter Gewandung, auf der auffällig farbige Flecken erkennbar waren. Die Leute meinten, das gebe ein besseres Ziel bei Fluchtversuchen... An Kritik fehlte es nicht. Manches geschah, was schlechthin verurteilt wurde, so die im November 1938. Man schämte sich, dass dies in Deutschland möglich war. Man sagte sich: und dann:... Kritik richtete sich vor allem gegen die alteingesessene höhere Führer- schaft, gegen die Kreisleiter und Gauleiter... Viele von ihnen hielten sich ohne Bedenken für das küm- merliche Dasein schadlos, das sie im Jahrzehnt nach dem Weltkrieg durchgemacht hatten... So entstand 41 Leitprogramm Europa zwischen Demokratie und Diktatur t D) Fragen zum Thema: Das nationalsozialistische Deutschland: Die Opfer 1) Erkläre, wie es den Nationalsozialisten gelang, die Opposition zu unterdrücken. 2) Zähle die Massnahmen (3 Gruppen) gegen die Juden auf und mache für jede Gruppe ein Beispiel. STOPP Wenn du deine Lösungsvorschläge mit denjenigen am Ende dieses Heftes verglichen hast und überzeugt bist, dass du alles in diesem Kapitel begriffen hast, dann meldest du dich bei der Lehrperson oder einer Mitschülerin oder einem Mitschüler (siehe Tafel) zum Kapiteltest. Wenn du den Kapiteltest bestehst, erhältst du hier eine Unterschrift. E) Zusatzstoff für Interessierte - In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden Häuser und Geschäfte jüdischer Menschen von den Nationalsozialisten überfallen und zerstört. Schaue dir dazu den unten erwähnten Beitrag an: ,, 1938 Die Progromnacht" (im RZG-Kanal) 42 Leitprogramm Europa zwischen Demokratie und Diktatur t Lösungen 1. Die Unsicherheit der Besiegten - Unsicherheit der Sieger 1a) - Grenzziehung zwischen dem Deutschen Reich und Polen / - räumliche Trennung Ostpreussens - Verselbständigung der Stadt Danzig - Reparationszahlungen werden als Hauptursache für den Geldzerfall betrachtet J 1b) Während des Krieges hatte Deutschland zur Geldbeschaffung so genannten Kriegsanleihen gemacht oder einfach Geld gedruckt,✓dies in der Hoffnung, dass nach gewonnenem Krieg die Gegner genügend Entschädigungen leisten müssten, um dadurch die eigenen Schulden wieder zurückzahlen zu können. Der Krieg ging jedoch verloren und Deutschland musste selber Reparationen zahlen. Um die anderen Ausgaben zu begleichen, wurde einfach noch mehr Geld gedrückt. Je mehr Geld jedoch im Umlauf war, desto weniger Wert hatte es. Die Deutsche Mark verlor drastisch an Wert. ) J 2) In den USA herrschte das Gefühl vor, die Kriegsziele- Verbreitung der Demokratie, gerechter Friede, Selbstbestimmungsrecht aller Völker - seien nicht erreicht worden. Zudem glaubten die meisten Amerikanerinnen und Amerikaner, die europäischen Verbündeten (Grossbritannien, F~ankreich, Italien) hätten sie bei der Ausarbeitung der Friedensbedingungen überspielt. 2. Die Weltwirtschaftskrise 1) Besitzanteil an einem grösseren oder grossen Unternehmen - um regelmässige Dividenden zu erhalten - in Erwartung eines Kursanstiegs, um aus dem Verkauf einen Gewinn zu ziehen 2) USA produzierten 45% alles Industriegüter, deshalb hatte die Krise dort automatisch auch Auswirkungen auf den Rest der Welt ) Europa: Besonders in Deutschland mit Hilfe amerikanischer Darlehen leichter Aufschwung, als Amerikaner das Geld zurückfordern, geraten viele Unternehmer in Zahlungsschwierigkeiten, Folgen sind Betriebsschliessungen und Massenarbeitslosigkeit andere Gebiete: Südamerika und Kolonien lebten vor allem vom Expo

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