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This chapter introduces the concept of marketing, highlighting its evolving nature and fundamental principles. It delves into the definition of marketing, tracing its evolution and emphasizing its role as a dynamic and crucial element of business strategy.

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14 Teil A : Grundlagen Kapitel 1 Kapitel 1 Was ist Marketing? Brian Rüeger Unser Leben und unsere Gesellschaft verändern sich stetig. Wir ändern Gewohn-...

14 Teil A : Grundlagen Kapitel 1 Kapitel 1 Was ist Marketing? Brian Rüeger Unser Leben und unsere Gesellschaft verändern sich stetig. Wir ändern Gewohn- heiten, nutzen neue Kommunikationsmöglichkeiten, informieren uns über unter- schiedliche Kanäle und verändern mit der Zeit auch unser Verständnis davon, was uns wichtig und wertvoll ist. Dieses Kapitel zeigt auf, wie sich Marketing über die Zeit entwickelt hat und was unter modernem Marketing zu verstehen ist. Zusätzlich werden die Grundbegriffe des Marketings geklärt. 1.1  Der Marketingbegriff Die American Marketing Association (AMA), der amerikanische Verband für Marketing, definiert Marketing folgendermassen: «Marketing is the activity, set of institutions, and processes for creating, com- municating, delivering, and exchanging offerings that have value for customers, clients, partners, and society at large.» (AMA, 2017a) Marketing beschäftigt sich also mit Aktivitäten, Institutionen und Prozessen, die mit der Werterstellung, Wertvermittlung und Wertauslieferung zu tun haben ( Abb. 2). Kapitel 1: Was ist Marketing? 15 Aktivitäten, Institutionen, Prozesse Wert aus Sicht: von Kunden, Wert- Wert- Wert- Unternehmen, erstellung vermittlung auslieferung externen Entitäten, Staat, Gesellschaft  Abb. 2 Der Inhalt von Marketing Dieser Wert wird von Kunden, Nutzern, anderen Akteuren und sogar von der Gesellschaft wahrgenommen. Verändert sich die Gesellschaft, so verändert sich auch das Marketing, wobei dies nicht nur eine einseitige Wirkung ist, denn auch Marketing kann Veränderungen in der Gesellschaft beeinflussen. Damit wird klar, dass sich Marketing auch in einem stetigen Wandel befindet. Das macht Marketing zum dynamischsten und spannendsten Gebiet der ganzen Betriebs- wirtschaftslehre. Mit den beschriebenen Veränderungen unserer Lebensweise und unserer Gesellschaft verändern sich natürlich auch ganze Märkte. Unterneh- men sind diesem Wandel permanent ausgesetzt. Neue Märkte entstehen, ändern sich oder schrumpfen. Will ein Unternehmen langfristig überleben, so ist es ent- scheidend, dass das Unternehmen Marktveränderungen rechtzeitig erkennt, für sich nutzt und sich selbst und seine Leistungen anpassen kann. Diese Aufgabe kommt stark dem Marketing zu. Marketing muss also nicht nur Leistungen aus dem Unternehmen heraus nach aussen tragen und sichtbar machen (Inside-out), sondern auch äussere Veränderungen rasch erkennen, von aussen nach innen bringen und in Leistungen umwandeln (Outside-in). Damit hat das Marketing eine zentrale strategische Aufgabe für das ganze Unternehmen. Die Leistung des Marketings wird langfristig entscheiden, nämlich in der Frage, ob das Unternehmen erfolgreich agieren kann. Je stärker die Dynamik und Komplexität des Umfelds zunehmen, desto wichtiger wird die Outside-in- Aufgabe des Marketings. Verschiedene Experten verstehen Marketing deshalb auch als «die marktgerichtete unternehmerische Führung». Vor diesem Hinter- grund definiert beispielsweise Bruhn (2016a) Marketing wie folgt: Marketing ist eine unternehmerische Denkhaltung. Sie konkretisiert sich in der Analyse, Planung, Umsetzung und Kontrolle sämtlicher interner und externer Un- ternehmensaktivitäten, die durch eine Ausrichtung der Unternehmensleistungen am Kundennutzen im Sinne einer konsequenten Kundenorientierung darauf abzie- len, absatzmarktorientierte Unternehmensziele zu erreichen (Bruhn, 2016a, S. 14). 16 Teil A : Grundlagen Diese Marketingdefinition beinhaltet verschiedene Elemente, welche die um- fassende unternehmerische Ausrichtung des Marketings unterstreichen. So wird Marketing als ein Managementprozess definiert, der sich in die klassischen Ma- nagementphasen «Analyse, Planung, Umsetzung und Kontrolle» gliedert. Weiter wird dem Marketing eine zentrale Stellung im Unternehmen zugeschrieben, denn in das Tätigkeitsfeld von Marketingabteilungen fallen alle «internen und externen Unternehmensaktivitäten», sofern sich diese an den Kundeninteressen und am Kundennutzen orientieren. Aufgabe des Marketings ist es entsprechend, diese Kundeninteressen in die Unternehmen hineinzutragen und mittels dieser Kenntnisse auch interne Strukturen und Aktivitäten so anzupassen, dass den Kundenbedürfnissen konsequent Rechnung getragen werden kann. Schliesslich definiert Bruhn (2016a) die Zielsetzungen des Marketings in der Erreichung «absatzmarktorientierter Unternehmensziele», womit höhere Absätze und Um- sätze für Unternehmen gemeint sind. Hier wird ein Unterschied zur Definition der AMA (2017a) ersichtlich, die wesentlich mehr Stakeholder-Interessen als Ziel des Marketings definiert und unter anderem auch die Gesellschaft als solche einschliesst. Insbesondere Ansätze des Nachhaltigkeitsmarketings stellen den Beitrag eines Unternehmens zur Nachhaltigkeit in den drei Bereichen Ökologie, Ökonomie und Soziale Gleichheit in den Fokus und unterstreichen damit die strategische Bandbreite der Marketingaufgaben. 1.2  Entwicklung des Marketings Marketing hat sich in den letzten Jahrzehnten laufend verändert. Getrieben vom Zeitgeist wurden dem Marketing dabei laufend neue oder sich verändernde Auf- gaben zugeschrieben (siehe  Abb. 3). In den Nachkriegsjahren (1950er Jahre) bestand vor allem eine grosse Nachfrage nach Produkten. Marketing hatte ent- sprechend eine mehrheitlich produktorientierte Aufgabe, denn der Absatz der Produkte war aufgrund der Nachfrage schon gegeben. Mit zunehmenden Werbe- möglichkeiten in den 1960er Jahren (z. B. Printwerbung, Radiowerbung oder TV-Werbung) richtete sich der Fokus des Marketings sodann auf den Vertrieb. Es galt, die Produkte auch zu den Konsumenten zu bringen. In den 1970er und 1980er Jahren gewann Marketing an strategischer Bedeutung, indem vermehrt Märkte und deren Wettbewerb im Fokus standen (z. B. Porters 5-Forces-Analyse, siehe Abschnitt 4.3). Es galt, sich von der Konkurrenz abzusetzen und sich stra- tegisch auf ausgewählten Teilmärkten zu positionieren. Kapitel 1: Was ist Marketing? 17 Produkte & Verkauf & Markt & Wettbewerb/ Umfeld und Beziehung & Netzwerk/ Outside-in Produktion Vertrieb Zielgruppen Konkurrenz Ressourcen CRM Social Media Agilität 1950er 1960er 1970er 1980er 1990er 2000er 2010er 2020er Nachfrage- Stärkerer Analyse von Analyse der Ausweitung Fokus auf die Nutzung von Perspektiven- überhang Fokus auf Märkten. Konkurrenz des Fokus strukturierte Social Media wechsel. Von nach dem dem Vertrieb Fokus auf und der auf alle Kundenent- in der Kom- Inside-out zu 2. Weltkrieg. der Pro- Märkte, Frage, wie Stakeholder wicklung munikation. Outside-in. Fokus auf dukte. Suche Teilmärkte, man sich und auf (Akquise, E-Business, Tranformation Auf- und nach neuen Marktseg- differenzieren interne Bindung, Direkt- des ganzen Ausbau der Vertriebs- mente und kann. Ressourcen. Retention). vertrieb. Unterneh- Produktion. wegen. Zielgruppen. mens.  Abb. 3 Entwicklungsphasen des Marketings (adaptiert von Lucco et al., 2017, S. 18) Dieser Fokus wurde in den 1990er Jahren zum Umfeld ausgeweitet, wobei nicht nur Marktteilnehmer, sondern alle Stakeholder betrachtet wurden. In den 2000er Jahren verschob sich der Fokus stärker auf das Beziehungsmarketing und die systematische Gewinnung und Bindung von Kunden, begleitet durch neue technologische Möglichkeiten (v. a. Customer-Relationship-Marketing-Sys- teme). Mit den Möglichkeiten von Social Media trat in den 2010er Jahren die Netzwerkorientierung des Marketings in den Vordergrund. Die grössten Verände- rungen erlebt Marketing jedoch heute. So hat sich ein Perspektivenwechsel über die letzten Jahre angebahnt (siehe  Abb. 4). Unternehmen haben bis anhin aus ihrer Sicht auf Kunden geschaut und versucht, die gläsernen Kunden in ihren Systemen und Datenbanken abzubilden. Im Fokus stand der Verkauf und alle Prozesse, die bis zu einem erfolgreichen Verkauf führen (Value in Transaction). Diese Sichtweise hat sich fundamental geändert. So steht heute die Perspektive, wie Unternehmen und ihre Leistungen aus Kundensicht wahrgenommen werden, im Vordergrund. Dabei wird auch betrachtet, warum und wie Kunden kaufen, aber Unternehmen interessieren sich auch viel mehr dafür, wie sich der Wert ih- rer angebotenen Leistungen über die Zeit hinweg bei den Kunden entwickelt (Value in Use). Das aktuelle Zeitalter könnte darum als Outside-in-Zeitalter be- zeichnet werden (siehe Abschnitt 1.4). Vorkaufsphase Kauf Nachkaufsphase Transaktionswert Nutzungswert (Value in Transaction) (Value in Use)  Abb. 4 Transaktions- und Nutzungswert 18 Teil A : Grundlagen 1.3  Ausrichtung, Interdisziplinarität und Jobprofile im Marketing Marketing ist Teil der Wirtschaftswissenschaften und wird dabei insbesondere der Betriebswirtschaftslehre zugeordnet. Ziel des Marketings ist es, auf eine systematisch fundierte Art und Weise Problemstellungen anzugehen, die sich in einem Unternehmen ergeben und deren Lösung wirtschaftliche, aber auch öko- logische oder gesellschaftliche Vorteile mit sich bringt. Geleitet vom wissen- schaftlichen Prinzip der Falsifizierbarkeit (Popper, 1935), verwendet Marketing wissenschaftliche Methoden, um bestimmte Annahmen (Hypothesen), die sich aus grösseren Theorien ergeben, zu testen. Im Rahmen der Marktforschung (siehe Kapitel 3) werden Daten erhoben, die dann mittels einer Vielzahl an Methoden im Hinblick auf die Fragestellungen analysiert werden. Methoden der Datenerhebung können auf eine lange Geschichte zurück- blicken (siehe Wedel & Kannan, 2016). Bereits in den 1820er-Jahren führte Gallup die ersten Umfragen in den Vereinigten Staaten durch und gut hundert Jahre später wurden die ersten Marktforschungsunternehmen gegründet. Dabei setzten die Unternehmen zunächst auf Panel-Daten, also Umfragen unter der immer gleichen Personenauswahl. Dies ermöglichte ihnen, Veränderungen im Konsumentenverhalten zu dokumentieren und darauf zu reagieren. Immer mehr wurden auch interne Kundendaten in die Analysen mit einbezogen, indem bei- spielsweise Daten in CRM-Systemen systematisch ausgewertet wurden. Während Umfragedaten auch heute noch relevant sind, wuchs die Daten- grundlage für die Analysen stetig weiter ( Abb. 5): Auf Umfragedaten folgten Eye-Tracking-Erhebungen, bei welchen die Augenbewegungen von Probanden dokumentiert werden, um festzustellen, wo sie beispielsweise bei einem Werbe- plakat zuerst hinschauen. In Tagebuchstudien halten Probanden fest, wie sie in ihrem Alltag mit Unternehmen oder Unternehmensleistungen interagieren. Diese schriftlichen Dokumentationen werden dann von Forschenden ausgewertet. Mit der Verbesserung der technologischen Möglichkeiten setzten die Markt- forschungsunternehmen sodann auf die Auswertung von grösseren Mengen an Transaktionsaufzeichnungen, bei welchen effektive Kaufinformationen von be- stimmten Produkten gesammelt werden. Sogenannte Point-of-Sales-Scanning- Daten erlauben, den Verkauf bestimmter Produkte an bestimmten Verkaufsstand- orten zu messen, während Scanner-Panels das Kaufverhalten einer bestimmten, stets gleichbleibenden Gruppe an Kunden erheben. Mit der Digitalisierung kamen Unmengen an Datenspuren aus dem Internet hinzu. So zeigen Click- stream-Daten, wie sich ein Online-Käufer beispielsweise durch eine Webseite manövriert, welche Informationen also vor dem eigentlichen Kauf angeschaut werden. Ebenfalls kann das Suchverhalten der User dokumentiert werden. Die Ansicht von Videos, Beiträgen und Kommentaren auf Social Media oder Infor- mationen zum Standort von Kunden bei bestimmten Handlungen liefern eben- falls eine Unmenge an Daten über Kundenpräferenzen und -verhaltensweisen. Kapitel 1: Was ist Marketing? 19 All diese Datenquellen werden mit immer präziseren und komplexeren statis- tischen Modellen ausgewertet. Heute steht Forschenden also eine Vielzahl an Methoden der Datenerhebung zur Verfügung, die je nach Fragestellung eingesetzt werden können. Einzelne Daten geben dabei eine Indikation über Käuferbedürfnisse und -verhaltens- weisen, sind jedoch in ihrer Aussagekraft oftmals auch sehr beschränkt. Entspre- chend wichtig ist die Verbindung verschiedener Daten über die Zeit, spezifische Lebensumstände oder Standorte hinweg. Durch die Verbindung unzähliger Da- tenpunkte (teilweise auch Data Mining genannt) zeigen sich Systematiken des Kundenverhaltens, die dann als sinnvolle Entscheidungsgrundlagen für Unter- nehmen dienen können. Wie Daten verknüpft werden, belegt das Beispiel der amerikanischen Super- marktkette Target. So berichtete die New York Times 2012 von einem Fall, bei dem sich ein Vater darüber aufregte, dass seine Tochter Werbematerial für Mut- terschaftsprodukte erhielt, obschon sie noch auf der High School war. Während der Vater noch nicht wusste, dass seine Tocher in der Tat schwanger war, war Target aufgrund der Analyse ihres Kaufverhaltens bereits zu diesem Schluss gekommen (Corrigan, Craciun & Powell, 2014). Die systematische Erhebung von Kundendaten geschieht heute vielfach über die Verwendung von Kundenkarten. So führte beispielsweise die Sportartikel- kette Ochsner Sport gegen Ende der Nullerjahre eine Club-Karte für ihre Kun- den ein. Aufgrund von Verkaufsdaten wussten die Verantwortlichen bereits zu- vor, welche Produkte in welchen Filialen wie oft verkauft wurden (Transaktions- daten). Um zu wissen, wer die Produkte aus welchen Gründen kauft, war der Händler aber auf aufwändige Kundenbefragungen angewiesen. Mit der Kunden- karte konnten bestimmte Käufe in bestimmten Filialen nun einem Kundenprofil zugeordnet werden. Hierdurch konnte ein tieferes Kundenverständnis aufgebaut werden, denn in der Verbindung der Daten zeigten sich Muster des Kaufverhal- tens, aber beispielsweise auch die Relevanz bestimmter Sportarten. Erst durch die Sammlung und die Verbindung der Daten begann Ochsner Sport, seine Kundschaft auch wirklich zu verstehen. Entsprechend überrascht es nicht, dass heute zahlreiche Händler auf solche Kundenkarten setzen. 1900 1925 1950 1975 2000 2025 Data POS Search Social Scanning Eye Diary Trans- Scanner Click- Survey Video Location Tracking Panels action Panel stream  Abb. 5 Entwicklung der Marktforschungsmethoden seit 1900 (Wedel/Kannan, 2016) 20 Teil A : Grundlagen Jobtitel Jobbeschreibung Customer Insights Manager Customer Insights Manager versorgen Produkt-, Preis- und Key Account Manager mit kundenbezogenen Informationen (Customer Insights) und sind oftmals in der Marktforschung angesiedelt. Produkt-Manager Produkt-Manager analysieren Märkte und planen und ent- wickeln Produkte. Nach der Produkteinführung stellen sie den Erfolg der Produkte sicher und kontrollieren den weite- ren Verlauf. Pricing Manager Pricing Manager analysieren Preise, legen sie fest, setzen sie durch und kontrollieren deren Einhaltung. Key Account Manager Key Account Manager priorisieren Kunden aufgrund ihres Werts für das Unternehmen und analysieren, entwickeln und kontrollieren Geschäftsbeziehungen. Social Media Manager Social Media Manager bewirtschaften, analysieren, planen und kontrollieren die Social-Media-Kanäle eines Unterneh- mens und stellen dabei ein einheitliches Unternehmensi- mage gemäss der Kommunikationsstrategie sicher. Etc.  Abb. 6 Ausgewählte Jobprofile im modernen Marketing (Müller, 2015) Als Wissenschaft stützt sich Marketing oftmals auf Grundlagenforschung an- derer Wissenschaftsdisziplinen. Die Psychologie beispielsweise liefert wichtige Erkenntnisse darüber, wie Konsumenten und Kunden auf bestimmte Reize reagie- ren und so ihre Kaufentscheidung treffen. Die Soziologie erklärt, wie sich Men- schen in Gruppen verhalten und was sie voneinander erwarten. Diese Erkennt- nisse sind bei der Ausgestaltung der Beziehung zwischen einem Unternehmen und seinen Kunden äusserst wichtig. Grundlagen der Informationstechnologie können im Rahmen der Datenauswertung (Analytics), aber auch bei der Daten- sammlung und Informationsgewinnung dem Marketing äusserst dienlich sein. So erlaubt die systematische Auswertung von Standort- oder Nutzerdaten die Her- stellung personalisierter und zielgerichteter Daten. Marketing ist demnach eine stark interdisziplinär orientierte Wissenschaft, die nicht nur theoretische Berüh- rungspunkte zu einer Vielzahl anderer Wissenschaften aufweist, sondern deren Erkenntnisse auch aktiv zur Beantwortung ihrer eigenen Fragestellungen nutzt. Aus dieser Interdisziplinarität ergeben sich vielfältige Spezialisierungen, die Marketingverantwortliche im Unternehmensumfeld verfolgen können. Die Band- breite reicht dabei von stark mathematisch getriebenen Bereichen wie beispiels- weise Big Data und Analytics zu eher soziologischen Themen der Kundenkom- munikation und Interaktion. Tätigkeiten im Marketing sind von einer grossen Vielfalt geprägt und bieten somit Platz für vielfältige Persönlichkeitsprofile. Wer Freude an Daten, Logarithmen und am Programmieren hat, fühlt sich wohl am Kapitel 1: Was ist Marketing? 21 ehesten im Bereich der Analytics zu Hause. Personen, deren Stärken im Bereich der Kreation von Inhalten und dem Erzählen von Geschichten liegen, sind im Storytelling und Content Marketing gut aufgehoben. Und Personen, die sich für verhaltenswissenschaftliche Erkenntnisse interessieren, dürften sich am ehesten im Bereich der Beziehungsgestaltung mit Kunden wiederfinden. Selbstverständ- lich sind hier auch vielfältige Kombinationen denkbar. Das moderne Marketing weist eine Vielzahl an Jobprofilen aus (siehe  Abb. 6). 1.4  Outside-in Im modernen Marketing dominiert das Denken und Handeln aus der Kunden- und Benutzerperspektive. Dieser Perspektivenwechsel zeigt sich in allen Marke- tingaktivitäten bis hin zum klassischen Vorgehensmodell. Klassische Lehrbücher sind vielfach noch nach dem reinen Inside-out-Ansatz strukturiert und schlagen ein bewährtes Vorgehen vor: Unternehmen müssen zuerst analysieren, dann sorgfältig planen, dann das Geplante umsetzen und am Schluss kontrollieren, ob die umgesetzten Massnahmen die Zielsetzungen erreicht haben (Analyse, Pla- nung, Umsetzung, Kontrolle: klassischer Managementprozess). Dieser klassische Ansatz ( Abb. 7), welcher die Marketinglehrbücher der letzten Jahrzehnte dominiert hat, funktioniert nur in Märkten, die sich nicht allzu schnell verändern, d. h. nahezu stabil sind, und deren Entwicklungen der nächs- ten fünf bis zehn Jahre gut abschätzbar und prognostizierbar sind. In einer dyna- mischen und komplexen Welt genügt dieser Inside-out-Ansatz (oftmals auch Deming-Kreis genannt) jedoch nicht mehr. Unternehmen brauchen viel zu lange in der Analyse- und Planungsphase, sodass sie viel zu spät zur Umsetzung ge- langen oder Dinge umsetzen, die nicht mehr passend sind, weil sich die ana- lysierte Ausgangslage in der Zwischenzeit komplett verändert hat. Ein Beispiel für die Veränderung in Richtung Outside-in liefert das schwedi- sche Möbelhaus IKEA (IKEA, 2020). 2021 hat IKEA beschlossen, nicht mehr nur den Fokus auf die Erhöhung der Transaktionen zu setzen (Value in Transaction), sondern ein besseres Verständnis für die Nutzung ihrer Produkte und Leistungen aufzubauen (Value in Use). Dies hat Konsequenzen bis zur Angebotsgestaltung. Bisher hat IKEA Kunden in ihre Filialen eingeladen, damit sie dort über mög- lichst lange Laufwege an vielen Produktangeboten vorbeigeschleust werden. Ein kurzfristiger Aufenthalt bei IKEA wurde damit fast unmöglich. Kunden haben oft Dinge gekauft, die sie gar nicht auf ihrer Liste hatten. Nun stellt IKEA um und richtet verschiedene IKEA-Filialen neu aus. Im Zentrum steht jetzt das bessere Kundenverständnis, die Möglichkeit von Interaktionen und Dialogen mit Kunden und unter Kunden. Ziel ist es, den Value in Use besser zu verstehen und zu er- höhen. IKEA nutzt hier auch neue Konzepte wie Pop-ups, bei welchen nicht Pro- dukte ausgestellt werden, sondern Beratungen angeboten werden. IKEA rechnet 22 Teil A : Grundlagen damit, dass Kunden vermehrt online kaufen werden und es eine gewisse Verlage- rung weg von den Einrichtungshäusern hin zu Online-Shopping gibt. Mit einer App und Augmented Reality können Kunden bei sich zu Hause sehen, wie die Gegenstände in ihrem Zuhause aussehen, bevor sie gekauft wurden. IKEA kann über die Nutzung der App viel mehr Informationen über die Interessen ihrer Kun- den gewinnen als in den Einrichtungshäusern. In den eigentlichen Einrichtungs- häusern werden die Kundeninteraktionen erhöht. Kunden können lernen, wie intelligenter, nachhaltiger oder einfacher gewohnt werden kann, und IKEA lernt mehr über die aktuellen und zukünftigen Kundenbedürfnisse. Analyse Unternehmens- und Marketingsituation Interne Analyse – Externe Analyse – Stärken und Schwächen Chancen und Risiken Planung Strategische Marketingplanung Marktwahl und Definition des Festlegung von Zielen Segmentierung Markenversprechens Strategische Marketingaufgaben Leistungspotenziale und Kundenpotenziale und Bedürfniserfüllung Beziehungsmanagement Marketingintegration Klassische und digitale Marketinginstrumente Kundenbeziehungs- Marketing-Mix Customer Journey lebenszyklus Umsetzung Operatives Marketing Durchsetzung bei Mitarbeitenden Steuerung Key Performance Indica- Kennzahlensysteme Strategisches Controlling tors (KPIs)  Abb. 7 Klassischer Marketing-Management-Prozess (Lucco et al., 2017, S. 28) Kapitel 1: Was ist Marketing? 23  Ambition, den Lead zu über-  Close the delivery gap nehmen, sichtbar  Begeisterung und  Führend aus Kunden- Serviceorientierung sicht im Vergleich mit der  Konsistente Leistung Lead Perform Konkurrenz aus Kundensicht  Experimente  Zuhören, Analysieren,  Transformation Learn Engage Dialog  Adjustierung  Co-Creation mit Kunden  Absorptive Fähigkeiten  Co-Creation und Colla-  CEM-Fähigkeiten verbessern boration im Wertsystem  Abb. 8 Marketingführung nach dem Outside-in-Ansatz Moderne Marketingansätze setzen deshalb auch im Vorgehensmodell auf einen Outside-in-Ansatz ( Abb. 8). Wenn Unternehmen langfristig erfolgreich sein wol- len, müssen ihre Leistungen aus Kundensicht führend sein. Unternehmen müssen also wissen, wie und wo sie den Lead übernehmen und behalten können, wenn sie nachhaltig im Markt bestehen wollen. Wenn sie noch nicht dort angekommen sind (z. B. bei Start-ups), müssen Unternehmen wenigstens die Ambition haben, den Lead zu übernehmen und diesen sichtbar zu machen. Die Kundenperspektive fliesst also schon in der ersten Phase in das unternehmerische Denken und Han- deln ein. Mit dem Versprechen zum Lead ist es aber noch nicht getan. Unterneh- men müssen performen, quasi ihr Versprechen einhalten – und dies wieder aus Kundensicht. Wird ein Versprechen nicht eingelöst, wird sich das in einer vernetz- ten Welt rasch herumsprechen und Schaden anrichten. Diese Leistung muss täg- lich wiederholt werden und kann nicht auf Vorrat «gebunkert» werden. Da in der Welt nichts konstant bleibt ausser dem Wandel, müssen Unterneh- men permanent zuhören, analysieren und den Dialog führen, um möglichst früh- zeitig zu verstehen, wenn sich etwas im Umfeld stark verändert. Diese Phase kann als «Engage» bezeichnet werden. Die erkannten und relevanten Verände- rungen müssen dann im Unternehmen rasch umgesetzt und vielleicht mit Expe- rimenten zuerst getestet werden, bevor sie Bestandteil des neuen Leadverständ- nisses werden. In dieser Phase lernt das Unternehmen aus Outside-in-Impulsen, seine Leistungen oder sein Leistungsangebot anzupassen und zu verändern. In jeder der Phasen ist die Kundenperspektive sehr präsent. Ein Verständnis des Kundenverhaltens ermöglicht die Ausrichtung der Unternehmensleistung am Kundenbedürfnis. Dabei gilt es nicht nur, den korrekten Mehrwert zu eruieren, sondern auch mit einzubeziehen, wie Menschen gewisse Dienstleistungen wahr- nehmen. Die Inanspruchnahme der Dienstleistung wird als eine Customer Ex- perience begriffen, die konkret gestaltet werden muss. Hiermit beschäftigt sich 24 Teil A : Grundlagen unter anderem das Feld des Behavioral Designs. Ziel des Behavioral Designs ist es, positive Erlebnisse zu kreieren, welche Kunden nachhaltig binden. Die Herausforderung dabei ist, dass verschiedene Kunden die gleiche Dienstleistung anders wahrnehmen können. Unternehmen müssen sich also die Frage stellen, wie sie die entsprechenden Perzeptionen messen und die Interaktionsprozesse mit den Kunden besser gestalten können. Idealerweise schaffen sie es, diese Be- ziehung zu emotionalisieren und durch Kundenzentriertheit eine empathische Bindung zum Unternehmen als Unternehmenswert aufzubauen. Um dies zu erreichen, setzen verhaltensbezogene Innovationsprozesse auf eine abduktive Logik, bei der die Kunden – im Rahmen von Experimenten – systematisch beob- achtet und befragt werden und prototypische Produkte und Dienstleistungen im Austausch mit ihnen in einem iterativen Verfahren ständig weiterentwickelt wer- den. Dies erfordert ein spezifisches Skill-Set, das interdisziplinär verhaltenspsy- chologische, betriebswirtschaftliche und methodische Kenntnisse voraussetzt. Zusammenfassend ermöglich der agile Outside-in-Ansatz, flexibel und rasch auf sich dauernd ändernde Marktumgebungen und Kundenbedürfnisse reagieren zu können, was mit dem Ansatz des klassischen Managements erschwert ist, weil dort ein lineares Vorgehen angewendet wird. Die Grundelemente des klassischen Managementprozesses sind natürlich auch im agilen Outside-in-Ansatz vorhanden, jedoch werden die einzelnen Schritte nicht streng linear durchgeführt, sondern kreisförmig mit dauernden Feedback- Loops und entsprechenden Anpassungen. Erst diese Flexibilität ermöglicht es, der Outside-in-Perspektive gerecht zu werden. Der klassische Managementansatz ist dafür hingegen zu starr und besser für die (veraltete) Inside-out-Perspektive geeignet. Das Zusammenspiel zwischen Unternehmens- und Kundenperspektive ist in  Abb. 9 dargestellt. Wenn nur noch auf Kundenwünsche reagiert wird (rechte, blaue Seite) und aus Kundensicht nützliche, anwenderfreundliche und wün- schenswerte Lösungen entwickelt werden, dann wird das Unternehmen langfris- tig nicht überleben, weil die Kosten die Einnahmen übersteigen werden. Wollen Unternehmen langfristig erfolgreich in ihren Märkten agieren, so müssen sie effektiv (im Sinne von «Doing the right things»), effizient (im Sinne von «Doing the things right») und auch differenzierend gegenüber der Konkurrenz sein. Es darf also trotz Fokussierung auf die Kunden die Unternehmensperspektive (linke, rote Seite) nicht aus den Augen verloren werden. Die beiden Zielperspek- tiven sind oft gegenläufig und die Aufgabe des Marketings ist es, eine ausge- wogene Balance zu finden. Um die rechte Seite (blau) besser erfassen zu können, sind in den letzten Jah- ren zahlreiche neue Werkzeuge und Methoden entwickelt worden, die helfen, die Kundenperspektive sichtbar zu machen und in den Werterstellungsprozess ein- fliessen zu lassen. Dieses Lehrbuch geht auf die wichtigsten Werkzeuge und Methoden ein, um ein modernes Marketing aufzubauen und auch zu führen. Zu- erst sollen jedoch die wichtigsten Begriffe geklärt werden. Kapitel 1: Was ist Marketing? 25  effektiv Kunde  nützlich  effizient Unternehmen (Individuum oder  anwenderfreundlich  differenzierend Unternehmen)  wünschenswert  Abb. 9 Unternehmens- und Kundenperspektiven 1.5  Grundbegriffe des Marketings In diesem Abschnitt werden die Grundbegriffe des modernen Marketings kurz erläutert, wobei die vertiefte Auseinandersetzung mit den hier definierten Kon- zepten in späteren Kapiteln erfolgt. Dieser Abschnitt kann somit als eine Art Glossar verstanden werden, das sich zum Nachschlagen eignet. Doch neben der reinen Definition der Begriffe soll hier auch auf die Art und Weise eingegangen werden, wie diese Konzepte in diesem Lehrbuch Anwendung finden und wie sie im Rahmen des modernen Marketings zu verstehen sind. 1.5.1  Arten des Marketings: B2C und B2B Die grundlegendste Unterscheidung im modernen Marketing liegt in der Art der Kunden, die ein Unternehmen bedient. Business-to-Customer-Marketing (B2C- Marketing) richtet sich an individuelle Endkunden. Wahlweise werden diese als «Customer» (Kunden) oder «Consumer» (Konsumenten) bezeichnet, wobei die an sie verkauften Leistungen materielle (z. B. Möbelstücke) oder immaterielle Güter (z. B. Software) oder aber Dienstleistungen (z. B. Versicherungen) sein können. Die Aufgabe von B2C-Marketing ist, die Bedürfnisse der Endkunden zu verstehen, Leistungen zu entwickeln und diese adressatengerecht zu transportie- ren und kommunizieren. Im Rahmen des Business-to-Business-Marketings (B2B-Marketing) stellen nicht einzelne Konsumenten die Nachfrager von Unternehmensleistungen dar, sondern Organisationen. B2B-Marketing beinhaltet die Vermarktung von Gütern und Dienstleistungen gegenüber Industriepartnern (Industriegütermarketing), gegenüber dem Handel oder gegenüber anderen organisationalen Kunden (Hom- burg, 2020, S. 310). Kunden im B2B-Marketing können somit staatliche Ein- richtungen, privatwirtschaftliche Unternehmen oder öffentliche Institutionen sein (siehe  Abb. 10). 26 Teil A : Grundlagen Kunden im Business- to-Business-Marketing staatliche privatwirtschaftliche öffentliche Einrichtungen Unternehmen Institutionen Original Equipment Verwender Händler Manufacturer (OEM)  Abb. 10 Kunden im B2B-Marketing (Homburg, 2020, S. 310) Während die Unterscheidung zwischen B2B- und B2C-Marketing ein all- gemeingültiges, strukturelles Merkmal darstellt, sind heutzutage viele Unter- nehmen in beiden Märkten tätig. Eine Ausnahme sind grosse Industriefirmen, die als Zulieferer bestimmter Teile anderer Firmen dienen, sogenannte Original Equipment Manufacturer (OEM). Hierbei handelt es sich beispielsweise um Un- ternehmen, die einen bestimmten Scheinwerfer für ein Automodell eines ande- ren Unternehmens herstellen. In der Regel bedienen Unternehmen sowohl End- kunden als auch Unternehmen mit ihren Leistungen. Ein Unternehmen, das bei- spielsweise Zahnbürsten herstellt, kann diese sowohl über den stationären Handel an Einzelpersonen verkaufen als auch an Hotels ausliefern, welche diese den Gästen dann zur Verfügung stellen. Grössenklasse Anzahl Unter- % Unternehmen Anzahl Be- % nehmen (gerundet) schäftigte Beschäftigte Mikrounternehmen 531 499 89,5 1 161 669 25,7 (1 – 9 Beschäftigte) Kleine Unternehmen 50 311 8,5 969 120 21,5 (10 – 49 Beschäftigte) Mittlere Unternehmen 9 206 1,5 908 537 20,1 (50 – 249 Beschäftigte) KMU 591 016 99,5 3 039 326 67,3 Grosse Unternehmen 1 679 0,5 1 481 693 32,7 (über 250 Beschäftigte) Total 592 695 100,0 4 521 019 100,0  Abb. 11 Marktwirtschaftliche Unternehmen und Beschäftigte in der Schweiz 2018 (Quelle: Bundesamt für Statistik, Statistik der Unternehmensstruktur, 2020) Kapitel 1: Was ist Marketing? 27 Das Unternehmensumfeld in der Schweiz ist insbesondere durch kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) geprägt. Hierzu zählen gemäss der Definition des Bundesamts für Statistik Betriebe mit weniger als 250 Beschäftigten. Von den rund 592 000 Unternehmen in der Schweiz haben nur knapp 1700 Unternehmen mehr als 250 Mitarbeitende, sind also Grossunternehmen (siehe  Abb. 11). Die grosse Mehrheit von ihnen ist im tertiären Sektor (Dienstleistungen) aktiv. 1.5.2  Leistung und Produktlebenszyklus Unternehmen schaffen durch ihre Leistungen einen Wert für einen Kunden (siehe Kapitel 5 und Kapitel 11). Eine Leistung bezeichnet dabei «ein Bündel tech- nisch-funktionaler Eigenschaften, welches dem Kunden einen Nutzen stiftet. Eine Leistung kann daher sowohl ein physisches, fassbares Produkt als auch eine Dienstleistung sein» (Meffert et al., 2015, S. 362). Neben den in dieser Defini- tion angesprochenen physischen, fassbaren Produkten (tangiblen Leistungen) können Unternehmensleistungen auch immateriell sein (teilweise auch «intan- gibel» genannt), also aus immateriellen Gütern wie Patenten oder Software be- stehen. Beispiele für tangible Leistungen sind alle in einem Supermarkt erhält- lichen Produkte. Beispiele für intangible Leistungen sind beispielsweise Ver- sicherungsdienstleistungen oder Abonnemente für Online-Streaming-Dienste wie Netflix oder Amazon Prime. Umsatz Gewinn Entwicklung Einführung Wachstum Reife Schrump- Nach- fung lauf Umsatz Zeit Gewinn/ Verlust Leistungs- Leistungsinnovation Leistungspflege elimination  Abb. 12 Produktlebenszyklus (Lucco et al., 2017, S. 117, nach Bruhn & Hadwich, 2006, S. 63) 28 Teil A : Grundlagen Die Entwicklung von neuen Leistungen und die Bewirtschaftung bestehender Leistungen ist die Hauptaufgabe des Produktmanagements, das dabei eng mit anderen Unternehmensbereichen zusammenarbeitet. Es gilt, die Kundenbedürf- nisse zu verstehen und in Leistungen zu überführen (siehe Kapitel 5). Ein Modell des Produktmanagements ist der 1965 von Theodore Lewitt eingeführte Produktlebenszyklus (Lewitt 1965). Dieser geht von der Annahme aus, dass jedes Produkt – bzw. jede auf dem Markt eingeführte Leistung – einen bestimmten Zyklus durchläuft, der sich anhand der Kosten-, Absatz- und Umsatzstruktur abbilden lässt ( Abb. 12). In der Entwicklungsphase eines Produkts wird die Leistung so weit ent- wickelt, dass sie auf dem Markt eingeführt werden kann. Da die Leistung noch nicht auf dem Markt erhältlich ist, entstehen für die Unternehmen in dieser Phase in erster Linie Innovationskosten. In der Einführungsphase wird die Leis- tung auf dem Markt eingeführt und es werden bereits erste Erlöse erwirtschaftet. Entsprechend steigt die Umsatzkurve langsam an, während die Investitionskos- ten teilweise kompensiert werden können. Im Rahmen der Leistungseinführung entstehen aber auch zusätzliche Kosten, beispielsweise durch die Promotion der neuen Leistung oder Marktstrategien. So kann eine Produkteinführung mit gros- sen Werbemassnahmen begleitet werden oder das Produkt kann zu einem tie- feren Einführungspreis angeboten werden, wodurch ebenfalls neue Kosten ent- stehen können. Ob das neu eingeführte Produkt das Kundenbedürfnis erfüllt, zeigt sich, wenn der Einführungsphase eine Wachstumsphase folgt. In dieser steigt der Absatz des Produktes, es kommt aufgrund von zufriedenen Kunden zu Wiederholungskäufen und es werden immer neue Kunden angesprochen. Ent- sprechend steigt der Umsatz, und die Gewinne sind nun in der Lage, die vorher- gehenden Kosten zu kompensieren, wodurch der Break-even-Point erreicht wird. In der anschliessenden Reifephase werden zwar zunächst immer noch mehr Pro- dukte verkauft, aber die Wachstumsraten des Umsatzes nehmen langsam ab. Ist dieser Rückgang kräftig, sinken Umsätze und Gewinne entsprechend stark und das Produkt tritt in die Schrumpfungsphase ein. Es kann sinnvoll sein, Produkte, die sich in dieser Phase befinden, vom Markt zu nehmen. Im Rahmen der Nach- laufphase müssen Lagerbestände entsorgt oder die für die Leistung notwendige Infrastruktur abgebaut werden, wodurch wieder Kosten für das Unternehmen entstehen. In allen diesen Phasen kommt dem Marketing und den Marketingmassnah- men eine entscheidende Bedeutung zu (siehe Abschnitt 1.5.5). Im Rahmen der Leistungsinnovation versorgt das Marketing die Produktentwickler mit entschei- denden Informationen zum Kundenbedürfnis und stellt sicher, dass die Leistung auf die Kundenwünsche ausgerichtet ist. Im Rahmen der Leistungseinführung definiert das Marketing nicht nur die Promotionsstrategie, sondern auch die Preis- und Distributionswege oder stellt die zielgerichtete Schulung der Mitar- beitenden sicher. Bei der Wachstumsphase unterstützt es die Absatzbemühungen Kapitel 1: Was ist Marketing? 29 durch den effizienten Einsatz verschiedener Marketinginstrumente. In der Reife- phase werden verschiedene preisliche Optionen ausgereizt, um das Produkt möglichst lange gewinnbringend auf dem Markt zu halten. Auch können spe- zielle Kampagnen zu diesem Zweck lanciert werden, oder es können Leistungs- anpassungen vorgeschlagen werden. 1.5.3  Kunden Kunden sind für das Marketing zentral, denn Marketing stellt das Bindeglied zwischen den Kunden und dem Unternehmen dar. Es definiert die Kunden, liefert Erkenntnisse zu deren Bedürfnissen und Verhalten, entwickelt ein Wertangebot für sie, definiert und managt die Beziehung zu ihnen und spricht sie mit be- stimmten Kommunikationskanälen und über bestimmte Vertriebskanäle an. Im Rahmen des Outside-in-Ansatzes sind die Kunden zudem teilweise direkt an der Leistungsgestaltung beteiligt, arbeiten teilweise auch bei der Leistungsentwick- lung mit und treten über die verschiedenen Kommunikationskanäle in einen ech- ten Dialog mit den Unternehmen ein. Unternehmenserfolg hängt heute in einem hohen Masse von der Kenntnis der Kunden und der Ausgestaltung der Bezie- hung zur Kundschaft ab. Das Denken in Kundenbeziehungen hat sich seit den 1990er-Jahren stark etabliert und gehört heute zu den Hauptaufgaben des Customer Managements (CM, siehe Kapitel 12). Grundannahme ist dabei, dass der Kunde nicht nur als Zielobjekt des Leistungsmanagements verstanden wird und die Beziehung mit ihm mit dem Kauf der Leistung endet, sondern dass diese effektiv ausgebaut und vertieft wird. Analog zum Produktlebenszyklus kann dabei von einem Kunden- beziehungslebenszyklus gesprochen werden, bei welchem die Kunden in repe- titive Interaktionen mit den Unternehmen treten. Je nach Phase, in welcher diese Interaktion stattfindet, gestalten sich die Aufgaben des Customer Managements unterschiedlich ( Abb. 13). Im Rahmen der Akquisitionsphase konzentriert sich das Unternehmen darauf, potenzielle neue Kunden anzusprechen. Es gilt, neue Kundenpotenziale zu erschliessen, indem Interessenten identifiziert, sogenannte Leads (Kontakte von potenziellen Kunden) generiert und Neukunden effektiv akquiriert werden. In dieser Phase des Interessentenmanagements verursachen die Akquisitionsanstrengungen in erster Linie Kosten für die Unternehmen (siehe Kurve in  Abb. 13). Konnte der Kunde erfolgreich akquiriert werden, gilt es in der Bindungs- und Entwicklungsphase, die Kundenpotenziale auszuschöpfen und die Kunden- beziehungen auszubauen und zu vertiefen. Dies kann beispielsweise durch Cross-Selling geschehen, bei dem Kunden einer Leistung zusätzliche andere Leistungen des Unternehmens angeboten werden. So kann beispielsweise ein 30 Teil A : Grundlagen Telekom-Unternehmen der Kundschaft neben einem Telefonanschluss auch ein Mobiltelefon- oder ein Fernsehabonnement anbieten. Eine andere Möglichkeit ist das Up-Selling, bei welchen bestehenden Kunden bessere und teurere Varian- ten ihrer bestehenden Leistung verkauft werden. So kann einem Mobilfunkkun- den beispielsweise ein leistungsstärkeres Abonnement angeboten werden. In die- ser Phase der Kundenbindung nimmt der Umsatz mit den Kunden zu, was sich positiv auf den Unternehmensgewinn auswirkt. Sind die Kunden mit einer Leistung oder einem Unternehmen nicht mehr zufrieden, verzichten sie auf den weiteren Kauf von Leistungen und künden beispielsweise ihre Abonnements. Aus Unternehmenssicht beginnt dann die Rückgewinnungsphase, bei welcher versucht wird, eigentlich «verlorene» Kun- den wieder zurückzugewinnen und die Beziehung aufrechtzuerhalten. Dies kann durch das Unterbreiten von besseren Leistungsangeboten oder speziellen Ver- günstigungen geschehen. Einem Mobilfunkkunden, der den Anbieter wechseln möchte, kann beispielsweise ein neues Smartphone geschenkt oder ein spezieller Nachlass auf die monatlichen Kosten gewährt werden. Kann der Kunde nicht überzeugt werden, muss er verabschiedet werden und die Kundenbeziehung findet ein Ende. Lebenszyklus- Akquisition Bindung/Entwicklung Rückgewinnung phase  Interessenten Ziel identifizieren Ausbau von Aufrechterhalten von Kunden-  Leads generieren Kundenbeziehungen, beziehungen  Neukunden akquirieren Cross- und Up-Selling  Neukunden stabilisieren Kundenpotenziale Kundenpotenziale Kundenpotenziale binden und erschliessen ausschöpfen zurückgewinnen, evtl. verabschieden Gewinn mit dem Kunden Kosten/Ge- winn-Kurve Zeit CRM- Potenzielle Kunden Aktuelle Kunden Verlorene Kunden Problemfelder (Beispiele) Interessentenmanagement Kundenbindungsmanagement Rückgewinnungsmanagement  Abb. 13 Kundenbeziehungen als Zyklus aus Unternehmenssicht (in Anlehnung an Kreutzer, 2017) Kapitel 1: Was ist Marketing? 31 Insbesondere in der ersten Phase der Kundenakquisition ist es für Unterneh- men besonders wichtig zu verstehen, wie die Kunden eine Leistung wahrnehmen bzw. wie sie zu einem Unternehmen kommen. Ein einfaches Konzept, die Kauf- entscheide von Kunden zu modellieren, bietet der Sales-Trichter, der manchmal auch AIDA-Modell genannt wird ( Abb. 14). Er modelliert eine einmalige Kauf- entscheidung basierend auf einseitigen Kundeninteraktionen, weswegen er auch teilweise kritisiert wird. Dennoch geniesst er in der Praxis nach wie vor eine weite Verbreitung (Jansen & Schuster, 2011). Das AIDA-Modell modelliert die Kaufentscheidung als vierstufigen Prozess, der sich mit Hilfe eines Werbeplakats schön veranschaulichen lässt. Stellen wir uns vor, das Plakat wird in einer belebten Innenstadt aufgestellt. Ziel des Plaka- tes ist zunächst, Aufmerksamkeit (Attention) zu generieren und von den Passan- ten wahrgenommen zu werden. Von der Vielzahl an Personen, die das Plakat wahrnehmen werden, wird es bei einigen Interesse (Interest) für die beworbene Leistung wecken. Ist das Interesse geweckt und der Kunde mit den Grundzügen der Leistung vertraut, gilt es, ein Bedürfnis (Demand) hierfür zu wecken. Auch dies gelingt wiederum bei einer geringeren Anzahl an Personen als in der vor- hergehenden Phase. In einem letzten Schritt schliesslich besteht das Ziel darin, eine spezifische Handlung (Action) auszulösen, in der Regel der Kauf der bewor- benen Leistung. Dieser Kaufentscheid ist schematisch und modelliert eine Kaufentscheidung auf idealtypische Weise. Im digitalen Zeitalter wird teilweise auch von einem AIDAA-Modell gesprochen, wobei das letzte A für Advocacy steht, also das Wei- terverbreiten des positiven Kundenerlebnisses durch Mund-zu-Mund-Propaganda oder insbesondere die sozialen Medien. Kritisch anzumerken ist, dass das Modell den gesamten Prozess sozusagen von einem Startpunkt aus modelliert, während viele Kaufentscheide in Zyklen stattfinden. Diese Kritik hat zu einer Modellie- rung des Prozesses geführt, der als Customer Decision Journey bekannt ist. Attention Interest Demand Action  Abb. 14 Kaufentscheidung im AIDA-Modell (Lucco et al., 2017, S. 42) 32 Teil A : Grundlagen Die Customer Decision Journey verbindet die schematische Darstellung des AIDA-Modells mit Erkenntnissen der Verhaltenspsychologie und modelliert re- petitive Kaufentscheidungen. Dabei wird der Tatsache Rechnung getragen, dass Kaufentscheide in der Regel in spezifischen Zyklen ablaufen, die ebenfalls als Phasen dargestellt werden können (Court, Elzinga, Mulder & Vetvik, 2009). Demnach erstellen Kunden in einer Vorkaufphase zunächst einmal ein relevantes Set an Produkten, das ihren Bedürfnissen entspricht. Dieses wird anschliessend bewertet, gewisse Produkte werden ausgesondert, andere hinzugenommen. Am Ende der Evaluationsphase steht die Kaufentscheidung, bei der der Kunde die Leistung effektiv erwirbt. In der Nachkaufsphase erbringt die Leistung einen Wert für den Kunden, wobei sich zeigt, ob diese Wertschöpfung die Erwartungen erfüllt. Ist dies der Fall, führt dies wahrscheinlich zu einem erneuten Kauf. Ist dies nicht der Fall, wird der Kunde andere Leistungen oder Leistungen anderer Anbieter suchen, wodurch der Kaufentscheidungsprozess von vorne beginnt. Der Kaufentscheidungsprozess unterscheidet sich je nach Kundentyp und Situation zum Teil stark. Als moderierende Faktoren kommen auch persönliche Vorlieben wie beispielsweise der Wunsch nach Abwechslung (Variety Seeking) hinzu. 1.5.4  Customer Journey Die Customer Journey wird definiert als Summe aller direkten und indirekten Kontaktpunkte, die ein Kunde von der Vorkauf- über die Kauf- bis zur Nachkauf- phase mit einem Unternehmen hat (vgl. Lemon und Verhoef 2016). Customer Journeys sind also Kundenreisen und stellen den Weg dar, den ein Kunde vom ersten Impuls bis zu einer Zielhandlung geht. Dabei stellt die Zielhandlung nicht immer einen Kauf dar, sondern kann beispielsweise auch die Anmeldung für einen Newsletter beinhalten. Customer Journeys finden online oder offline oder als hybride Reisen statt, in welchen Kunden zwischen der Online- und Offline- Welt hin- und herwechseln (Plottek & Herold, 2018, S. 149). In  Abb. 15 ist die Bedeutung der Customer Journey gemäss dem Modell von Verhoef und Lemon (2016) dargestellt. Im Zentrum wird dabei zwischen der Vorkauf-, der Kauf- und der Nachkaufphase unterschieden. In jeder dieser Pha- sen interagiert der Kunde mit dem Unternehmen über bestimmte Touchpoints. Unter einem Touchpoint kann «jede Form eines Kontaktpunktes innerhalb der Customer Journey zwischen einem potenziellen Kunden mit dem Unternehmen bzw. der Marke verstanden werden» (Plottek & Herold, 2018, S. 149). Touch- points sind beispielsweise klassische oder digitale Werbemassnahmen (Anzei- gen, TV- oder Radio-Spots, Werbebanner etc.), aber auch Meinungen von Freun- den oder Beurteilungen auf Social Media. Jeder Kontaktpunkt wird von den Konsumenten einzeln wahrgenommen und individuell beurteilt, wirkt sich aber in der Summe auf die wahrgenommene Qualität des Handelsunternehmens aus Kundensicht aus (Plottek & Herold, 2018, S. 149). Kapitel 1: Was ist Marketing? 33  Abb. 15 Customer Journey nach Verhoef/Lemon (2016) Ein Unternehmen verfügt in der Regel über eine Vielzahl an Touchpoints zu seinen Kunden. Ein Beispiel hierfür liefern die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB). Wer von einem Ort an einen anderen reist, braucht ein Billett. Dieses kann am Automaten (Touchpoint), am Schalter (Touchpoint) oder auch online gelöst werden (Webseite als Touchpoint). Kommt der Kunde am Bahnhof an, nimmt er den Bahnhof (Touchpoint), aber beispielsweise auch die Wegweiser zum Gleis (Touchpoints) war. Im Zug nimmt er den Zustand des Abteils (Touchpoint) wahr und interagiert unter Umständen mit dem Billett-Kontrolleur (Touchpoints). Da- zwischen gibt es noch eine Unmenge an Punkten, an denen der Kunde mit den SBB interagiert, und all diese Punkte werden vom Kunden in einer bestimmten Weise wahrgenommen. Die Gesamtheit dieser Wahrnehmungen entscheidet dann über die Qualität und Zufriedenheit des Kunden. Customer Journeys unterscheiden sich von Kunde zu Kunde (gewisse ziehen Online-Käufe vor, andere präferieren den stationären Handel) und von Situation zu Situation. Das Verständnis für die Reise, die ein Kunde unternimmt, bevor er das Produkt kauft und nachdem er das Produkt gekauft hat, hilft den Unterneh- men, die einzelnen Interaktionspunkte so kundengerecht wie möglich zu gestal- ten. Dies ist die Aufgabe des Customer Experience Managements. Dieses geht davon aus, dass Kunden an jeden Touchpoint eine bestimmte Erwartung haben. Wird diese erfüllt, sind sie zufrieden. Entsprechend wichtig ist es für Unterneh- 34 Teil A : Grundlagen men, Kundenerwartungen zu kennen und die einzelnen Touchpoints, soweit diese von ihnen beeinflussbar sind, so zu gestalten, dass sich Kunden wohlfühlen und ein positives Erlebnis bleibt. Der Begriff der Customer Experience (oftmals als CX abgekürzt) ist als über- geordnet zu verstehen und beschreibt die Gesamtheit der vergangenen Erfah- rungen, die ein Kunde mit einem Anbieter und dessen Unternehmensleistung ge- macht hat, sowie alle Erlebnisse, die der Kunde im Verlauf der Interaktion mit den Leistungen eines Unternehmens macht. Die Massnahmen zur Erreichung und Pflege von Customer Experience finden im Customer Experience Manage- ment statt. Das Konzept des Kundenerlebnisses erlaubt es, aus der Kundenwahrnehmung heraus zu denken. Denn Begrifflichkeiten wie Leistung, Nutzen oder Wert sind für Kunden wenig greifbar und beschreiben nicht das, was ein Kunde in Inter- aktionen mit einem Unternehmen – wie der Begriff Kundenerlebnis schon sagt – erlebt. Kunden erleben Leistungen nicht als Leistung, sondern als Ereignis, als Erlebnis. Die Gestaltung positiver Kundenerlebnisse wird als entscheidender Faktor für Unternehmenserfolge angesehen (Lemon & Verhoef, 2016, 69 f.; Kuehnl, Jozic & Homburg, 2019, S. 551 f.). Darüber hinaus können Kunden- erlebnisse als ein multidimensionales Konstrukt verstanden werden, das die Ge- samtheit von Reaktionen auf verschiedenen Erlebnisdimensionen eines Kunden beinhaltet, die sich in Interaktionen mit dem Anbieter in einer Customer Journey ergeben. Gentile, Spiller & Noci (2007, S. 398) zählt folgende Erlebnisdimen- sionen auf (ergänzt durch Kreutzer, 2018, S. 98 f.):  Sensorische Erlebnisse: Menschliche Sinne werden adressiert (Sehen, Rie- chen, Hören, Fühlen, Schmecken). Beispiele: ein Springbrunnen im Shop- ping-Center, der Geruch im Seifenshop Lush.  Emotionale bzw. affektive Erlebnisse: Bestimmte Emotionen werden hervor- gerufen. Beispiel: eine personalisierte Einladung zu einem exklusiven Shop- ping-Event.  Kognitive Erlebnisse: Hier steht die Informationsaufnahme und -verarbeitung im Zentrum. Beispiel: Kampagnen zur gesundheitlichen Aufklärung oder die Forderung kreativen Einsatzes seitens der Kunden wie beispielsweise Na- mensvorschläge für neue Produkte.  Verhaltensbezogene Erlebnisse: Kunden sollen zu bestimmten Verhaltenswei- sen oder alternativen Lebensweisen motiviert werden. Beispiel: Kauf veganer Lebensmittel, Nutzung einer Smartwatch beim Sport.  Lifestyle-Dimension: Diese Dimension bestätigt Werte und Meinungen von Konsumenten und Kunden. Beispiel: nachhaltige Produkte und Dienstleistun- gen.  Beziehungsdimension: Soziale Erlebnisse in Form von Interkationen und Kon- taktpflege spielen wie erwähnt, eine grosse Rolle. Nur so kann auch ein Zuge- hörigkeitsgefühl entstehen. Beispiel: H&M-Club, Apple-Käufer fühlen sich einer Community zugehörig und würden keine Nicht-Apple-Produkte kaufen. Kapitel 1: Was ist Marketing? 35  Pragmatische Ebene: Diese Ebene beschreibt, wie gut ein Konsument oder Kunde mit einer Leistung umgehen kann (Usability). Beispiel: Apple-Pro- dukte, die bereits im Apple-Shop leicht auszuprobieren sind und somit die CX positiv beeinflussen. 1.5.5  Marketing-Mix: Die 7 P Marketing bedient sich zur Zielerreichung spezifischer Instrumente, die als «Werkzeuge» verstanden werden können. Sie erlauben es den Unternehmen, «auf Märkte gestaltend einzuwirken» (Bruhn, 2019, S. 29), also diese zu beein- flussen und sich auf diesen zu positionieren. Die Kombination der verschiedenen Instrumente wird als Marketing-Mix bezeichnet. «Unter Marketingmix versteht man die für eine bestimmte Periode getroffene Aus- wahl von Marketinginstrumenten in qualitativer, quantitativer und zeitlicher Hin- sicht» (Gutting, 2020, S. 27) bzw. «die von einem Unternehmen zu einem bestimm- ten Zeitpunkt eingesetzte Kombination von marketingpolitischen Instrumenten» (Weis, 2018, S. 117). Historisch gesehen fokussierte sich der Marketing-Mix zunächst auf das Pro- duktmarketing, weswegen die ersten vier darin erhaltenen Instrumente sich in erster Linie auf Produkte und nicht auf Dienstleistungen beziehen. Den eng- lischen Bezeichnungen folgend werdend die ersten vier Instrumente als die 4 P des Marketing-Mixes bezeichnet (McCarthy 1964):  Product (Produkt): Unternehmen müssen entscheiden, mit welchen Produkten sie auf welchen Märkten tätig sind. Sie müssen die Breite (wie viele verschie- dene Produkte sie haben) wie auch die Tiefe (wie viele verschiedene Varian- ten eines Produkts sie haben) ihres Leistungsprogramms definieren. Ebenso müssen sie die Qualitätsanforderungen, die Verpackungen und die Produkt- services (z. B. Garantieleistungen) festlegen. Die Kombination dieser Ele- mente wird als Produkt-Mix bezeichnet.  Price (Preis): Pricing «beschäftigt sich mit der Festlegung der Art von Gegen- leistungen, die die Kunden für die Inanspruchnahme der Leistungen des Un- ternehmens entrichten» (Bruhn, 2016a, S. 169). Im Rahmen des Pricings wer- den die Konditionen, zu welchen Kunden Leistungen beziehen können, defi- niert und zwar auf eine ganzheitliche Art. So legen Unternehmen beispielsweise fest, wie sie sich preislich auf dem Markt positionieren wollen, ob sie also eine Hochpreis-, Mittelpreis- oder Tiefpreisstrategie fahren. Eben- falls können sie festlegen, wie sie Preise nach verschiedenen Gruppen diffe- renzieren (z. B. Studentenrabatte) oder wie sie verschiedene Produkte preis- lich zusammen bündeln (z. B. das Handyabonnement mit dem Festnetz-Tele- fon- und dem Fernsehabonnement verbinden). Auch können sie Rabatte gewähren oder Coupons ausstellen. 36 Teil A : Grundlagen  Place (Distribution): «Die Distributionspolitik beschäftigt sich mit sämtlichen Entscheidungen, die sich auf die direkte und/oder indirekte Versorgung der Kunden mit materiellen und/oder immateriellen Unternehmensleistungen be- ziehen» (Bruhn, 2019, S. 253). Im Rahmen der Distribution wird festgelegt, wie das Produkt zum Kunden kommt. Die englische Bezeichnung «Place» kommt daher, dass hier quasi festgelegt wird, an welchen Orten ein bestimm- tes Produkt erhältlich sein soll. Entschieden wird beispielsweise, ob das Unternehmen die Produkte in eigenen Läden, über den Grosshandel oder über Fach- und Spezialgeschäfte vertreibt. Im digitalen Zeitalter kommen Möglich- keiten der eigenen Webshops oder der Online-Marktplätze wie Amazon hinzu.  Promotion (Kommunikation): In den Rahmen des Kommunikations-Mixes fällt «die Gesamtheit der Kommunikationsinstrumente und -massnahmen eines Unternehmens (…), die eingesetzt werden, um das Unternehmen und seine Leistungen den relevanten Zielgruppen der Kommunikation darzustellen und/ oder mit den Anspruchsgruppen eines Unternehmens in Interaktion zu treten» (Bruhn, 2016a, S. 56). Einerseits werden hierunter also konkrete Werbemass- nahmen verstanden (z. B. Medienwerbung, Werbekampagnen etc.), anderer- seits auch die breite Unternehmenskommunikation, die sich unter anderem dem Unternehmensimage oder der Markenbekanntheit widmet. In diesen Be- reich fallen auch Massnahmen des Brandings, also beispielsweise die Festle- gung der einheitlichen Kommunikation durch Corporate-Design-Richtlinien. Diese vier klassischen P sind nach wie vor eine «dominante Grösse» (Osborne & Ballantyne, 2012) in der Marketingtheorie, sie sind jedoch nicht unumstritten. Insbesondere zwei Kritikpunkte werden gegen sie eingewandt. Der erste ist, dass sie gewisse für das Dienstleistungsmarketing wichtige Instrumente nicht berück- sichtigen. Aus diesem Grund wurden drei zusätzliche P vorgeschlagen:  People (Personal):Dienstleistungen, im Gegensatz zu Produkten, sind in ihrer Wahrnehmung und der Qualität ihrer Leistungserbringung personenabhängig. Sind in einem Coiffeur-Salon mehrere Mitarbeitende angestellt, so unterschei- den sich die Leistungen dieser Mitarbeitenden in der Regel und nicht jeder Haarschnitt sieht am Schluss gleich aus. Entsprechend ist die Personalschu- lung und Personalführung entscheidend, um gleichbleibende und qualitativ hochwertige Dienstleistungen eines Unternehmens sicherzustellen. Zusam- menfassend gesagt, beinhaltet der Personalmix alle Massnahmen, mittels wel- cher Mitarbeitende vornehmlich mit direktem Kundenkontakt beim Schaffen von Kundenerlebnissen gemanagt werden (Personalmanagement). Die Kun- denorientierung spielt dabei eine zentrale Rolle und beschreibt die Fähigkeit von Unternehmen, bei ihren Entscheidungen die Kundenperspektive einzu- nehmen und die Kunden ins Zentrum zu stellen, mit dem Ziel, den Kundenbe- dürfnissen sowohl auf Service- als auch auf Prozessebene möglichst nahe zu kommen. Kapitel 1: Was ist Marketing? 37  Process (Prozesse): Neben der Leistung der Mitarbeitenden, welche eine Leis- tung erbringen, bewerten Kunden auch Prozesse, die im Rahmen der Leis- tungserbringung durchlaufen werden. Zentral für die Beurteilung eines Res- taurants ist beispielsweise, wie lange der Gast auf sein Essen warten musste. Für das Restaurant ist es deshalb wichtig, die Prozesse von der Bestellung über die Zubereitung bis zum Service des Essens optimal auszugestalten. Pro- zesse sind dabei die Summe aller Vorgänge, die aufeinander einwirken (Bruhn, Meffert, Hadwich, 2018, S. 13). Hierzu gehören neben Prozessen, die der Kunde wahrnimmt, auch im Hintergrund ablaufende Prozesse wie bei- spielsweise die Zahlungsabwicklung (besonders wichtig bei Onlineshops) oder die Personalführung.  Physical Evidence (Ausstattung): In einem Restaurant nehmen die Kunden aber nicht nur die Mitarbeitenden und die Prozesse wahr, sondern auch die Aus- stattung des Restaurants. Damit positioniert sich ein Unternehmen, weckt Erwartungen und sendet spezifische Botschaften aus. Zur Ausstattungspolitik gehört einerseits das tangible Umfeld, das wie folgt umschrieben werden kann: «Die Dimension tangibles Umfeld beinhaltet alle wahrgenommenen physischen Gegebenheiten, die in unmittelbarer Beziehung mit dem Ort ste- hen, an dem die Dienstleistung erbracht wird. Das tangible Umfeld beschreibt damit den materiellen Anteil einer Dienstleistung» (Walsh, Deseniss & Ki- lian, 2020, S. 509). Im digitalen Zeitalter gehört auch die Ausgestaltung der Website oder des Webshops zu den wichtigsten Elementen des Ausstattungs- mixes. Die Gesamtheit des Marketing-Mixes unter Verwendung der 7 P ist in  Abb. 16 dargestellt. Diese erlaubt einen Überblick über eine Auswahl an möglichen Mar- ketinginstrumenten, die zur Ansprache einer bestimmten Zielgruppe zum Ein- satz kommen können. Dadurch werden auch Synergien zwischen den einzelnen Instrumenten sichtbar. Der Marketing-Mix sollte für jedes Kundensegment unterschiedlich ausgestaltet werden, sodass eine optimale Zielerreichung sicher- gestellt wird. Auch ist der Mix nicht statisch, sondern beispielsweise vom Pro- duktlebenszyklus abhängig. Die zweite Kritik gegenüber dem Marketing-Mix besteht in seiner grundsätz- lichen Inside-out-Orientierung. Zumindest in der klassischen Konzeption legen die Unternehmen die Produkte fest, definieren die Preisstrategie, entscheiden über die Distributionskanäle und planen die Promotionskampagnen. Wie bereits aufgezeigt, ist diese klassische Form des Marketings nicht mehr zeitgemäss, denn das moderne Marketing setzt vor allem auf die Outside-in-Perspektive. So werden Produkte heute beispielsweise durch Service-Design-Prozesse gemein- sam mit Kunden entwickelt, die auch die Distributionskanäle weitestgehend be- stimmen. Der Marketing-Mix ist also heutzutage viel dynamischer und nicht mehr nur auf die unternehmensinternen Strukturen, sondern zunehmend auch auf die unternehmensexternen, kundenzentrierten Abläufe abgestimmt. 38 Teil A : Grundlagen Während alle Instrumente des Marketing-Mixes nach wie vor eine Daseins- berechtigung haben, darf dieser nicht als starres Konstrukt verstanden werden, sondern ist auf ständige Anpassung ausgelegt. In diesem Lehrbuch werden wir alle Marketinginstrumente behandeln, jedoch nicht als Block, wie gerade hier dargestellt, sondern im Rahmen unserer Grundmodelle, die in Kapitel 4 und Ka- pitel 10 dargestellt werden. Wir wollen so aufzeigen, wie die Marketinginstru- mente im Gesamtkontext zwischen Unternehmen und Kunde gedacht werden müssen. Klassische Marketinginstrumente (4 P) Erweiterte Marketinginstrumente (7 P) Physical Product Price Place Promotion People Process Evidence  Programm-  Positionie-  Physische/ak-  Mediawerbung  Personal-  Kern-, Unter-  Kunden- tiefe rung quisitorische  Verkaufs- auswahl stützungs- erfahrungs-  Programm-  Preisabfolge Distribution förderung  Personal- und management breite  Differenzie-  Vertriebs-  Direct planung Führungs- (CEM)  Qualitäts- rung mitarbeiter Marketing  Aus- und prozesse  Touchpoint- politik  Preis-  Verkaufsstellen  Public Relations Weiterbil-  Closed-Loop- Analyse  Verpackungs- bündelung  Digitale  Sponsoring dung Kunden-  Physische/ politik  Preisnachlass Distribution  Persönliche  Personal- prozesse Online-  Servicepolitik  Preis-  Grosshandel Kommunikation führung Touchpoints zuschläge  Fach- und  Messen und  Kunden- Spezial- Ausstellungen orientierung geschäfte  Multimedia- in Verhalten  Discounter kommunikation und Ein-  Boutiquen (digitale, On- stellung  Waren- und line- und Social Kaufhäuser Media Kommu- nikation)  Digitale Güter  Affiliate  Webshops  Digital-out-of-  Avatars/CAS  Virtual World  Prozess- Marketing  Online-Rubri- Home  Crowd- Web Software  Couponing kenmärkte  E-Mail-Marke- sourcing  Virtual Reality  Marketing- ting  Augmented Automatisa-  Websites Reality tion  Display-Wer-  UI Design bung  Suchmaschi- nenmarketing  Content Marketing  Online-Dialog- Instrumente  Soziale Medien Instrumente des digitalen Marketings Produkt- Preis- Distributions- Kommunikations- Personal- Prozess- Ausstattungs- Mix Mix Mix Mix Mix Mix Mix  Abb. 16 Der Marketing-Mix mit analogen und digitalen Marketinginstrumenten (Lucco et al., 2017, S. 174)

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