Inhaltliches Skript zum Kurs Theologische Profile des AT

Summary

Dieses Skript bietet einen umfassenden Einblick in den Kurs "Theologische Profile des Alten Testaments". Es erläutert die Fragestellung einer Theologie des Alten Testaments und diskutiert den Theologiebegriff im Kontext alttestamentlicher Exegese. Der Fokus liegt auf der Relevanz und den verschiedenen theologischen Perspektiven im Alten Testament.

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**[Inhaltliches Skript zum Kurs Theologische Profile des AT -- Theologische Brennpunkte]** **[Legende]** - Interaktives Lehrvideo - Interaktives H5P-Element - Podcast - Diskussionsvideo 1. **Elementarisierender Einstieg** - Begrüßung und Einführung - Worum geht es in diesem Kurs...

**[Inhaltliches Skript zum Kurs Theologische Profile des AT -- Theologische Brennpunkte]** **[Legende]** - Interaktives Lehrvideo - Interaktives H5P-Element - Podcast - Diskussionsvideo 1. **Elementarisierender Einstieg** - Begrüßung und Einführung - Worum geht es in diesem Kurs? - Wozu das relevant? Alltagsbeispiele finden! (AT nicht eine Einheit, aus mehreren ganz verschiedenen „Zutaten" zusammengesetzt, es gibt keine EINE Theologie des ATs, sondern ganz verschiedene Theologien (Themen und Perspektiven), dennoch Ordnung dieser Themen auf eine bestimmte Systematisierung, auf einen bestimmten Gestaltungswillen hin - Beispiel Salatschüssel: Der Salat besteht aus ganz verschiedenen Zutaten, die erst einmal für sich angeschaut und besorgt werden müssen; dann müssen sie jedoch auch in ihren Zusammenhängen gesehen werden, denn nur im Zusammenhang werden sie zum Salat; dennoch bleiben sie auch als Einzelzutaten erkennbar und behalten dadurch auch ihren Eigenwert - **Stellen Sie sich vor, die Themen seien Salatzutaten!** Herzlich Willkommen zum Kursmodul „Theologische Profile des Alten Testaments". In diesem Kursmodul werden wir uns einige zentrale theologische Schwerpunkte des Alten Testaments anschauen. Wie spricht das Alte Testament über Gott? Ganz wichtig ist dabei: Es gibt nicht die EINE Theologie des Alten Testaments, sondern dieses ist in seinem theologischen Reden sehr vielfältig und komplex. Stellen Sie sich zu Beginn daher zunächst einmal vor, das Alte Testament sei eine große und bunte Salatschüssel. Warum dieser Vergleich? Klicken Sie dafür oben rechts einfach auf die nächste Seite dieses Interactive Books! 2. **Einführung** 1. [Die Fragestellung einer Theologie des Alten Testaments] Die Theologie des Alten Testaments ist eine seit dem späten 18. Jahrhundert gut eingebürgerte Teildisziplin der christlichen Theologie. Jedoch hat sie Wandlungen und Entwicklungen der alttestamentlichen Wissenschaft sowie der Theologie insgesamt mitgemacht, und entsprechend lässt sich die Fragestellung einer Theologie des Alten Testaments nur historisch aufgeklärt umreißen, was zugleich die kritische Anerkennung einer Vielzahl von Möglichkeiten der Herangehensweise an ein solches Projekt impliziert. Traditionell entstanden Theologien des Alten Testaments zunächst als Folge des Auseinandertretens und dann der weitgehenden Trennung von Dogmatik und Exegese (vgl. Christlicher Kanon und hebräische Bibel). Die so verlorengegangene Einheit von Schrift und christlicher Lehre sollte mit einem solchen Unterfangen kompensiert werden. Heute ist dies nicht mehr möglich und sinnvoll, denn die Texte des Alten Testaments lassen sich nicht auf eine bestimmte „biblische" Lehre hin synthetisieren, denn dazu sind sie sowohl historisch als auch konzeptionell zu unterschiedlich. Die Theologie als Fach benötigt keine systematisierte Theologie des AT, denn diese wäre nicht mehr als eine „vorläufige Dogmatik", die dann durch eine Theologie des NT und die systematische Theologie zu ergänzen, zu korrigieren und schließlich zu überholen wäre. Gleichwohl greift eine vorschnelle Verabschiedung der Teildisziplin „Theologie des AT" sowie der Vorschlag ihrer Ersetzung durch eine Disziplin wie „Religionsgeschichte des antiken Israels" zu kurz. Das Alte Testament bzw. die Hebräische Bibel bieten zwar keine systematischen Lehrgebäude, wohl aber unterschiedliche, zum Teil sich überlagernde oder konkurrierende Systematisierungen und Ordnungen, die einen theologischen Gestaltungswillen der biblischen Autor:innen und Redaktor:innen zeigen. Zum anderen ist das AT Fortschreibungsliteratur und es kann rekonstruiert werden, dass seine Texte und Bücher erst nach und nach durch innerbiblische Kommentierungen und Erweiterungen auf ihre vorliegende Gestalt hin angewachsen sind. Aufgrund dieser Eigenschaft ist das AT eine Literatur sui generis, es ist theologische Reflexionsliteratur. Dass das AT auf seine Theologie (also auf seine theologischen Profile) hin befragbar ist, ergibt sich unschwer aus dem Umstand, dass seine Texte in mannigfacher Weise von Gott sprechen. Ebenfalls zeigt es auch übergreifende literarische Gestaltungselemente, die es bis zu einem gewissen Grad als textliche Einheit ausweisen. Natürlich wäre so eine Theologie des AT auch bis zu einem gewissen Grad als Konglomerat seiner Theologien beschreibbar und der Titel „Theologien des AT" ist so auch möglich und hier in diesem Kurs ja auch durch den Titel „Theologische Profile des AT" auf gewisse Art und Weise aufgegriffen worden. Tatsächlich ist das AT aber durch beides, also die Vielzahl seiner Positionen sowie deren literarische Vermittlung, geprägt und ein Oberbegriff wie „Theologie des Alten Testaments" behält so daher ebenfalls seine Berechtigung. Wenn so die Fragestellung einer Theologie des AT nicht um den Preis eines unhistorischen Zugangs verfolgt werden kann, dann legt es sich nahe, Literatursammlungen des AT in ihren literarischen Gestaltungen, konzeptionellen Zuspitzungen, historischen Differenzierungen und inhaltlichen sowie redaktionellen Verknüpfungen zum Gegenstand dieser Fragestellung zu machen. Die Aufgabe einer Theologie des AT und so auch dieses Kurses ist also die Rekonstruktion und Präsentation der Gedankenwelt der alttestamentlichen Literatur, die insofern als theologisch gelten kann, als ihre Weltsicht im Wesentlichen von ihrem Gottesbezug her konstituiert oder doch beeinflusst ist. Ebenfalls theologisch relevant sind im AT aber auch die interpretatorischen Dynamiken, die seine Texte untereinander verbinden. In diesem Kurs werden wir uns insbesondere einzelnen zentralen Themen dieser (theologischen) Gedankenwelt widmen und dies mit einer die einzelnen Kanonteile übergreifenden Perspektive tun. Theologischen Grundlinien einzelner Kanonteile bzw. biblischer Bücher, haben wir uns ja bereits im Kurs zur Literaturgeschichte des AT gewidmet. 2. [Der Theologiebegriff und seine Relevanz im Kontext alttestamentlicher Exegese] Doch inwiefern kann überhaupt der Begriff „Theologie" im Kontext des Alten Testaments Verwendung finden? An dieser Stelle kann nun keine detaillierte Geschichte des Theologiebegriffs erfolgen. Es sollen jedoch knappe Grundlinien nachgezeichnet werden, um dann zu schauen, in welcher Hinsicht der Begriff „Theologie" definitiv nicht mit Blick auf das AT Verwendung finden darf und in welcher Hinsicht vielleicht (zunächst auf widersprüchlicher Weise) eben doch. Der Theologiebegriff stammt dabei aus der Philosophie. Er findet sich zum ersten Mal bei Platon in der Bedeutung von „Göttersage" bzw. „Mythos". Das Nomen bezeichnet dabei bei ihm die kritisch zu beurteilenden Mythen, deren Verwendung innerhalb der Erziehung nur selektiv erfolgen soll. Aristoteles bezeichnet mit Theologie dann zwar neben der Mathematik und der Physik auch eine der drei „theoretischen Philosophien", auf der anderen Seite bezieht sich Theologie bei ihm aber im Wesentlichen auch auf Mythologie. Auf die Gesamtheit der Sagen und Überlieferungen über die griechischen Göttinnen und Götter. Auch bei den antiken jüdischen Schriftstellern Flavius Josephus und Philo von Alexandrien finden wir den Begriff „Theologia". So verwendet Josephus ihn mit Blick auf die Jüdische Religion und Philo bezeichnet Mose entsprechend als Theologen. Weder das griechische AT noch das NT verwenden jedoch den griechischen Begriff „Theologia". Zwar lassen sich bei Paulus und im Johannesevangelium gedankliche Anstrengungen herausarbeiten, die die Entwicklung des späteren Theologiebegriffes sehr geprägt haben. Jedoch hatte der Theologiebegriff auch in den christlichen Kirchen der ersten Jahrhunderte noch keine zentrale Bedeutung erlangt. Seine erstaunliche Karriere trat er dann erst in der Folgezeit (Spätantike -- Hochmittelalter) an und besonders wichtig war dabei die Übernahme des philosophischen Gottesbegriffs im 2. Jahrhundert n. Chr. in die christliche Lehre. Gott wurde immer mehr als ein abstraktes Konzept definiert und weniger als ein Gott der Erfahrung. Von formativer Bedeutung für die Begriffsgeschichte war dann noch die mittelalterliche Entwicklung. Erst im Hochmittelalter lässt sich das Aufkommen der Konturen der späteren neuzeitlichen Begriffsdimensionen beobachten. Es kam zu einer Aufweitung des Theologiebegriffes und dieser umfasste nun nicht mehr alleine die Gotteslehre, sondern das gesamte Lehrgebäude des Christentums. Dies hing im Wesentlichen mit der damals zeitgenössischen Aristotelesrezeption im Christentum zusammen, der erst in dieser Zeit mit seinen Schriften wiederentdeckt worden war. Die christliche Lehre wurde erstmals systematisch reflektiert. Damit war der Grundstein für den weiteren Erfolg des Theologiebegriffs innerhalb der Geschichte des Christentums gegeben und der Begriff erhielt eine akademische Konnotation. Er bezeichnet einen Vorgang, der den Gebrauch von Vernunft und systematischer Reflexion involviert und den Prinzipien der Kritik und des Zweifels folgt. Er bezieht sich auf die Metaebene der gelebten Religion. Durch die Epoche der Scholastik und die frühe Universität erhielt der Begriff dann seine weitere Prägung und es wurde die Grundlage für die weitere Begriffsgeschichte gelegt. Theologie beruhte nun im Wesentlichen auf der Intellektualisierung und Systematisierung des christlichen Glaubens. Was hier nun nur in Kürze dargelegt werden konnte, macht jedoch dennoch eindeutig klar, dass der Begriff Theologie im Blick auf seine heutige Prägung sich erst weit nach der alttestamentlichen Zeit entwickelte. „Theologie" im Bedeutungshorizont des Begriffs, der sich seit der Scholastik etabliert hat, gibt es im Alten Testament nicht. Die Redeweise von Theologie im Alten Testament ist also prinzipiell ein Anachronismus. So naheliegend der Schluss daher auch liegen könnte, auf den Theologiebegriff in Anwendung auf alttestamentliche Texte zu verzichten, so problematisch ist diese Option allerdings auch. Denn das Alte Testament enthält zwar keine Theologie, es enthält aber gleichzeitig auch nicht einfach keine Theologie. Norbert Lohfink fasst das wie folgt zusammen: „Die Textsorte ‚Theologische Abhandlung' ist erst später und in anderen Kulturzusammenhängen entstanden. Die alttestamentlichen Texte gehören ihr gattungsmäßig nicht an. Daher kommt ‚Theologie' in ihnen nur implizit, indirekt oder zugeschnitten zur Sprache" (Norbert Lohfink, Alttestamentliche Wissenschaft als Theologie? 44 Thesen) Die Unterscheidung von impliziter und expliziter Theologie im Blick auf das Alte Testament scheint hier hilfreich zu sein. Implizit meint dabei, dass Theologie im Alten Testament indirekt betrieben wird, in dem Sinne, dass die ganze Lebens- und Erfahrungswelt der Menschen damals zwar mit Gott in Verbindung stand und auf Gott hin gedeutet wurde, dies jedoch meist nicht explizit in Form einer wissenschaftlichen systematischen Metareflexion, sondern vielmehr intuitiv und unbewusst aus der Erfahrungswirklichkeit selbst heraus geschah. Andersherum lassen sich in alttestamentlichen Texten auch definitiv Prozesse der Reflexion des eigenen Gottesglaubens nachvollziehen und auch ein explizites Nachdenken über Gott und seine Beziehung zum Menschen/dem Volk ist den alttestamentlichen Texten so nicht komplett fremd. Auch wenn die Theologiebegrifflichkeit den alttestamentlichen Texten so nicht angemessen ist -- selbst dort, wo sie deutlich reflexiven Charakter haben -- so besteht kein Anlass, sie völlig von ihnen fernzuhalten. Das Alte Testament kennt Vorformen von Theologie von denen keine Notwendigkeit besteht, sie unabhängig von den jeweiligen Texten vorweg zu klassifizieren. Die inneralttestamentlichen Reflexionspassagen können als „theologisch" bezeichnet werden, da ihr Reflexionscharakter sie zu den zugrundeliegenden „religiösen" Aussagen so als „theologisch" erscheinen lässt, wie sich jede Wissenschaft auf ihren Gegenstand bezieht. Entsprechend diesem impliziten Charakter der Theologie alttestamentlicher Texte würde es auch eine gewisse Engführung bedeuten, die Rekonstruktion theologischer Aussagen auf die Erfahrungen, Wahrnehmungen, Vorstellungen und Konzeptualisierungen Gottes im Alten Testament zu beschränken. Diese werden wir uns in diesem Kurs auch anschauen, jedoch kommt im Alten Testament ebenso sehr das Nachdenken über Mensch, Volk, Welt, das entsprechend der Maßgabe des Denkens im antiken Israel und in Juda immer im Horizont des Nachdenkens über Gott erfolgt, als theologische Aussage in Frage. Nachdenken über Gott geschah in alttestamentlicher Zeit intuitiv und unbewusst im Kontext der gesamten Erfahrungswirklichkeit. Aufgrund dessen werden wir uns im Folgenden daher nun die zentralen Themen dieser Erfahrungswirklichkeit anschauen. Dabei werden auch Wahrnehmungen und Wirkungen Gottes thematisiert werden, jedoch sind auch Themen zentral (Recht, Anthropologie, Königtum etc.), die sich auf den ersten Blick nicht direkt auf Gott beziehen, auf den zweiten Blick im Kontext der alttestamentlichen Wirklichkeit aber immer nur mit Blick auf Gott verstanden und gedeutet werden können. Starten wir nun also unsere Erkundung dieser Themen! 2.3.) [Literarische Genres und Gestaltungen theologischer Aussagen im Alten Testament] - [Einleitung] Eine theologische Annäherung an das Alte Testament nimmt am besten ihren Anfang bei einer Klärung dessen, was das Alte Testament selbst unter „Theologie", dem Reden von Gott, versteht. Welche Formen haben die alttestamentlichen Texte und Schriften gewählt, um von Gott zu sprechen, und welche theologischen Entscheidungen verbergen sich dahinter? Als ein allgemeiner Grundsatz soll hier zu Beginn direkt herausgestellt werden, dass das Alte Testament zwar zahlreiche als Gottesworte markierte Textpassagen beinhaltet, diese jedoch alle in interpretative Kontexte eingebettet sind, die das Gotteswort immer als vermitteltes Gotteswort kennzeichnen. Gotteswort außerhalb des Menschenworts bezeugt das Alte Testament nicht. Bezeichnend ist in dieser Hinsicht der Umstand, dass die Schöpfungserzählung der Bibel in Genesis 1 von allem Anfang an und in aller Konsequenz von Gott in der 3. Person berichtet. Das Alte Testament ist also gerade auch seinem Selbstzeugnis nach nicht einfach identisch mit Gottes Wort, sondern versteht sich als Zeugnis, Interpretation und Weitergabe desselben. Entsprechend hat es verschiedene literarische Genres benutzt oder ausgebildet, um von „Gott" zu sprechen. Diese werden im Folgenden vorgestellt. Wobei die Aufzählung dabei nicht erschöpfend aber dennoch repräsentativ ist. - [Erzählungen] Am Beginn der Hebräischen Bibel herrscht die Gestaltung ihrer Texte als Erzählung vor. Im hebräischen Bibelkanon zieht sich diese formale Prägung von Genesis bis zum Ende des 2. Königebuchs, so dass die Bibel durch eine große, im Wesentlichen kontinuierliche und so zusammenhängend lesbare Erzählung von der Schöpfung der Welt bis zum Untergang Judas und Jerusalems eingeleitet wird, die als Gründungsgeschichte Israels fungiert. Daneben bietet die Hebräische Bibel in den Chronikbüchern und in Esra-Nehemia eine zweite, im Gesamtaufriss ähnliche Gründungsgeschichte, die von den ersten Menschen (1Chr 1) bis zum Edikt des Kyros (2Chr 36) bzw. bis zur Restauration Judas (Esr--Neh) reicht und ganz andere Akzente setzt. Die thematisch-erzählerische Ausrichtung von Genesis bis 2. Könige ist zunächst sozio-politischer Natur. Nur schon durch den Umstand, dass diese Großerzählung mit dem Verlust von Königtum, Staat und Tempel endet, begründet sie die Existenz Israels als einer im politischen Sinn „exilischen" Größe. Es geht darum, weshalb Israel kein Volk mit eigenem Land und Herrscher und lokal verankertem Kult mehr ist. Dennoch geht es in dieser Großerzählung immer oder sogar gerade darum, wie Gott in agierender und reagierender Weise zu demjenigen Gott Israels geworden ist, der sowohl für die exilische Existenz Israels als auch für die nachexilische Existenz Israels verantwortlich ist. Es geht darum, wie der Gott Israels zu Israel in Beziehung steht und wie gerade eben diese Beziehung die Identität Israels grundlegend bestimmt. Weshalb aber können Erzählungen überhaupt als Formen des Redens von Gott in Frage kommen? Diese Frage stellt sich zunächst allein aus neuzeitlicher Perspektive, denn in der Antike wäre sich gar nicht aufgekommen. Dies liegt zum einen daran, dass eine theoretische Annäherung an Gott der altorientalischen Welt grundsätzlich fremd ist, da sie von diesem Blick auf dessen Wirkungen und Erfahrbarkeit berichtet. Zum anderen benutzen antike Literaturen für grundlegende Fragen in der Regel mythische Kategorien, die Wesensfragen als Ursprungsfragen behandeln und so naturgemäß auf geschichtliche Darstellungsformen zurückgreifen. - [Rechtssätze] Der Pentateuch enthält eine Vielzahl von Rechtssammlungen, vor allem im Bereich Exodus bis Deuteronomium. Warum kann denn aber mittel Rechtssätzen von Gott gesprochen, fragen wir uns vermutlich aus unserer heutigen Perspektive. Auch im altorientalischen Kontext ist dies außergewöhnlich, da Recht üblicherweise Königsrecht ist und die spezifische Darstellung des alttestamentlichen Rechts als Gottesrecht stellt auch unter den altorientalischen Rechtskorpora ein Spezifikum dar. Gemeint ist mit dieser Eigenart aber der Gedanke, dass die Gottesbeziehung Israels als eine rechtsförmige Beziehung aufgegriffen wird: Gott verhält sich zu Israel gemäß der von ihm gestifteten Rechtsordnung. Dabei ist die Präsentation des alttestamentlichen Rechts als Gottesrecht weder ein literarisches noch theologisches Urgestein, sondern beruht vielmehr auf Interpretation. In ihrer ursprünglichen Form scheint die ältere Rechtsüberlieferung des antiken Israel noch nicht in theologisierter Form bestanden zu haben, sondern ist in der üblichen Gestalt von kausalen „wenn-dann"-Sätzen gehalten, wie vor allem aufgrund von Ex 21,2--22,16 gut zu erkennen ist. Eben diese Theologisierung des Rechts, dürfte einer der ausschlaggebenden Gründe gewesen sein, weshalb die Rechtssätze zum integralen Bestandteil der maßgeblichen Schriften des antiken Israels werden konnten: In den Rechtssätzen spiegelt sich nicht einfach der Ordnungswille der Gesellschaft, sondern (so die Selbstpräsentation) Gottes Wille für die Ordnung bzw. (so die historische Rekonstruktion) die theologisch aufgeklärte und vermittelte Selbstdeutung der sozialen Organisation Israels. - [Prophetie] Die Prophetie ist im hebräischen Bibelkanon den erzählenden Büchern nachgeordnet. Dies hängt vor allem mit der chronologischen Ordnung der Szenerie zusammen, die im Blick ist, da die Prophetenbücher erst im 8. Jahrhundert v. Chr. einsetzen. Dennoch ist die Prophetie naturgemäß von herausragender Bedeutung für das alttestamentliche Reden von Gott, denn in ihr ist, entsprechend ihrer Prägung vom antiken Botenwesen her, die Rede von Gott am tiefsten verankert. Die Prophetie war dabei kein auf das antike Israel und Juda beschränktes Phänomen, sondern eine im ganzen Alten Orient verbreitete Erscheinung. Besonders ist bei ihr dennoch, dass sie zu einer epochenübergreifenden Tradierung und Aktualisierung gefunden hat und so kontinuierlich fortgeschrieben worden ist. Die durch die Propheten übermittelten Gottesbotschaften konnten auf unterschiedliche Zeiten bezogen werden und wurden auch über die Lebzeiten der historischen Propheten hinaus als maßgeblich angesehen. Auch die Prophetenbücher unterscheiden dabei sorgfältig zwischen Prophetenwort und Gotteswort, denn die Anklage ist in der Regel Prophetenwort, die Ankündigung Gotteswort. Ein Beispiel für ein prophetisches Gerichtswort ist Jer 22,13--19. Dieser Text beinhaltet ein Orakel gegen den König Jehojakim, dem der Prophet Jeremia im Anklageteil (v. 13--17) vorwirft, auf unrechtmäßige Weise Prunkbauten erstellt zu haben, dafür aber Recht und Gerechtigkeit zu vernachlässigen. Auf die Anklage des Propheten folgt dabei ein hartes Gerichtswort, das nun ausdrücklich aus Gottesrede eingeführt wird (v. 18). Das Prophetenwort ist also nie supranaturales Damoklesschwert zu interpretieren, sondern resultiert aus einem Zusammenspiel von prophetischer Analyse, Imagination und empfangenem Gotteswort. Die Verkündigungen Jeremias entspringt nicht seinem eigenen Willen. An Jer 22,18--19 lässt sich desweiteren ein anderes grundlegendes Merkmal der alttestamentlichen Prophetie beschreiben, nämlich die Logik ihrer langzeitigen Überlieferung, die sich selbst im Falle von nicht in Erfüllung gegangener Prophetenworte beobachten lässt. Dies lässt sich über Jer 22,18--19 mit Sicherheit sagen, denn 2Kön 24,6 berichtet über Jehojakims Tod das komplette Gegenteil. Warum haben die Tradenten dann aber eine Falschprophetie wie Jer 22,18--19 bewahrt und weiterüberliefert? Die Antwort liegt wahrscheinlich darin, dass die Tradenten die Substanz des Prophetenwortes, also die Anklage an den König, seine Untergebenen nicht zu unterdrücken und sich stattdessen um Recht und Gerechtigkeit zu kümmern, für wichtiger hielten als das Eintreffen der damit verbundenen Gerichtsankündigung. Die alttestamentliche Prophetie war also in den Augen ihrer Tradenten weit mehr und anderes als bloßes Rätselraten über die Zukunft. Es gibt jedoch auch Fälle, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zeigen, dass es echte prophetische Weissagungen gegeben hat, die sich tatsächlich erfüllt haben. Ein Beispiel findet sich dabei in Am 1. Diese Überschrift des Amosbuches datiert die Worte des Amos einerseits mittels der Angabe einer Dauer, andererseits aber auch mit einem punktuellen Datum („zwei Jahre vor dem Erdbeben"). Beides kann nicht zusammenpassen und man würde eigentlich davon ausgehen, dass ein bestimmtes Ereignis auch nur mit einem entsprechenden Jahr in der Königschronologie identifiziert werden würde (z.B. im 15. Jahr des Ussija, des Königs von Juda). Dies ist aber nicht der Fall und es ist daher vielmehr damit zu rechnen, dass „zwei Jahre vor dem Erdbeben" die ursprüngliche Datierung einer ersten Ausgabe von Amosworten war, die sich auf dieses Ereignis bezog. So findet sich das Erdbebenmotiv nämlich prominent in der Verkündigung des Amos (Am 2,13; 9). Die Tradenten der Amosprophetie haben das benannte Erdbeben also vermutlich als eine frühe Verifizierung der Verkündigung des Propheten Amos verstanden. Die Verkündigung mit dem Erdbebenmotiv muss also eben vor diesem Ereignis stattgefunden haben, wobei das Erdbeben selbst historisch (archäologisch und geologisch) gut greifbar ist und um ca. 760 v. Chr. stattgefunden haben dürfte. Wir können also vermuten, dass die Amosprophetie ante factum die Ankündigung oder zumindest die Motivik eines Erdbebens enthielt. Ein entsprechendes Ereignis dürfte die Verifikation für dieses erste Prophetenbuch abgegeben und damit wohl eine zentrale Rolle auch für die Wirkung der nachfolgenden Propheten gespielt haben, die sich zum Teil auf diese Amosprophetie bezogen und ihre eigenen Worte als Fortsetzung der Amosprophetie verstanden haben. Die Interdependenz der Prophetenbücher untereinander ist auch aus dem Umstand erkennbar, dass die alttestamentlichen Prophetenbücher Überschriften besitzen und zwar bis zu einem gewissen Maß vergleichbare Überschriften. Anhand dieser soll gezeigt werden, dass das Wort JHWHs zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedliche Propheten erging und in der durch ihre Bücher dokumentierten Form dem Studium zugänglich ist. Der Wille JHWHs ist dabei aber nie klar formuliert, sondern vielmehr versteht sich das prophetische Material als Gegenstand von immer weiterer, notwendiger Auslegung und Applikation, ohne diese selber zu bieten. - [Hymnen, Klage- und Danklieder] Die vielleicht erstaunlichsten Genres des Redens von Gott im Rahmen der alttestamentlichen Literatur sind die Hymnen, Klage- und Danklieder im Psalter. Sein hebräischer Name lautet תהלים „Tehilim", was sich mit „Lobgesänge" übersetzen lässt. Natürlich enthält der biblische Psalter auch andere Gattungen als Loblieder, zum Beispiel Klagelieder oder Danklieder, es ist jedoch bezeichnend, dass sich in der hebräischen Tradition jene Bezeichnung durchgesetzt, die das Lob Gottes als dessen Inhalt ins Zentrum rückt. Die Psalmen sind dabei explizit als Menschenwort, nämlich als Lieder und Gebete, die sich an Gott richten, formuliert, und man kann dabei schon ihre Existenz in der Bibel als einen theologisch wie auch literarisch auffälligen Befund bezeichnen. Mit den Psalmen hat also eine Literaturgattung Eingang in den Bibelkanon gefunden, die sich in einer gewissen Distanz zum Rest der Bibel befindet, gleichwohl sie zu den beliebtesten und meistverwendeten Texten der jüdischen und der christlichen Bibel gehören. Der Psalter als Teil des Bibelkanons verdankt sich also der Überzeugung, dass von Gott in legitimer und angemessener Weise nicht nur in Offenbarungsschriften gesprochen werden kann, sondern auch in Zeugnissen von Liedern und Gebeten, mit denen sich Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen an Gott gewendet haben. - [Weisheitliche Formen] Wie für die Psalmen, so ist auch zunächst für die weisheitliche Literatur festzuhalten, dass sie keineswegs selbstverständlich als Genre alttestamentlicher Theologie in Frage kommt. Natürlich gibt es weisheitliche Texte, die extensiv und explizit von Gott sprechen (Spr 1--9, Hi etc.), doch offenbar hat das AT auch die traditionellen Weisheitstexte, die keine explizite theologische Dimension haben, als theologisch relevant eingestuft. Das hinter der Weisheitsliteratur stehende Ordnungsdenken ist, ob Gott nun explizit erwähnt wird oder nicht, von theologischer Natur und kann als impliziter Grund dafür angesehen werden, weshalb das weisheitliche Schrifttum Eingang in den Kanon gefunden hat. Vor allem die Spruchweisheit stellt lebenspraktisches Erfahrungswissen gedrängt in literarischen Formen dar, die den Tun-Ergehen-Zusammenhang behandeln und dieser kann immer direkt, indirekt oder eben auch gar nicht mit Gott in Verbindung gebracht werden. So oder so wird im biblischen Kanon die Beschreibung und das Bedenken der sozialen Mechanismen des Zusammenlebens als theologisch relevant angesehen und das Erkennen oder zumindest Erahnen Gottes geschieht nicht losgelöst von menschlichem Erfahrungswissen. Viele Texte des Alten Testaments, die nicht der Weisheitsliteratur im engeren Sinne zugerechnet werden, besitzen zudem dennoch eine weisheitliche Substruktur, die als Teil einer theologischen Reflexion interpretiert werden kann, der wiederrum den Texten eine besondere Tiefendimension verleiht. Schließlich ist ein besonderes Merkmal weisheitlicher Wirklichkeitsinterpretation die Wertschätzung und Anerkennung einer multiperspektivischen Wahrnehmung der Welt, wie sie beispielsweise in Spr 26,4--5 zum Ausdruck kommt. - [Kommentare und Fortschreibungen] Sind Genres alttestamentlicher Theologie eher formgeschichtlich und inhaltlich orientiert, so ist hier auf ein formales Charakteristikum aufmerksam zu machen: Das Alte Testament ist Fortschreibungsliteratur. Es ist auf weite Strecken hin Text und Kommentar in einem. Im Blick auf die theologische Aussage eines Textes ist dies von großer Bedeutung, denn es kommt so zum Ausdruck, dass ein Text mit der Zeit gehen muss, wenn er seine Bedeutung bewahren will. Er bedarf der aktualisierenden Auslegung, um auch in künftige Zeiten hineinsprechen zu können. Die alttestamentlichen Texte sind daher als Traditionsliteratur zu charakterisieren, die durch Fortschreibungen ihre frühen Kommentare in sich selbst aufgenommen haben. Dieser Umstand ist der Bibel dabei selbst bekannt und wird von ihr auch explizit thematisiert. Ein besonders deutliches Beispiel findet sich in der Erzählung Jer 36, die von der Herstellung einer zweiten Rolle mit Worten von Jeremia berichtet, nachdem der König Jojakim eine erste Rolle verbrannt hatte. Im Jeremiabuch kann man also nachlesen, dass dieses nicht von Jeremia allein stammt, sondern später in beträchtlichem Ausmaß weiter fortgeschrieben worden ist. Nicht nur das Jeremiabuch, sondern die Bibel insgesamt blickt auf eine lange Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte zurück, wobei sich diese beiden Phasen erstaunlicherweise überschneiden. Sobald die ersten Vorstufen biblischer Texte vorlagen, wurden sie auch schon rezipiert, und zwar literarisch produktiv rezipiert, so dass diese ersten Kommentare selbst Teil des biblischen Textes wurden. Noch radikaler ist die rezeptionsgeschichtliche Prägung der Entstehungsgeschichte biblischer Texte einzustufen bei Textgut, das auf mündliche Vorstufen zurückgeht. Schon die Erstverschriftlichung solch mündlichen Traditionsguts ist ein Rezeptionsvorgang mit hohem interpretativem Anteil, bei dem entscheidende theologische Profilierungen vorgenommen werden können. Die Wahrnehmung der Bibel als interpretative Literatur hat fraglos die historische Bibelkritik zu ihrer Voraussetzung, denn ohne diachronen Zugriff auf die Bibel ist es nur schwer möglich, Text und Kommentar in ihr zu unterscheiden. Zwar ist die Erkenntnis von Fortschreibungen innerhalb biblischer Bücher so alt wie die historische Bibelkritik überhaupt, jedoch wurde diese vor allen in theologischer Hinsicht zunächst eher negativ bewertet: Wo Hinzufügungen und Kommentare erkennbar wurden, trachtete man danach, den originalen Text von ihnen zu reinigen und so in seiner ursprünglichen Schönheit zu präsentieren. Man hat es bei den Personen hinter den Ergänzungen aber nicht mit stümperhaften Glossatoren, sondern mit schriftgelehrten Redaktoren zu tun, die die ihnen vorliegenden Traditionen im Lichte ihrer eigenen Erfahrung uminterpretieren. Der Bibelwissenschaft der letzten Jahrzehnte ist es dabei gelungen, deutlich zu machen, dass diese Fortschreibungen nicht eine Qualitätsminderung bedeuten, sondern diese den Texten vielmehr eine interpretatorische und theologische Dichte verliehen haben. Damit einher ging eine grundlegend veränderte Einschätzung der persischen und hellenistischen Epoche der Literaturgeschichte der Hebräischen Bibel, die nun zur maßgeblichen Periode der Formierung der Hebräischen Bibel aufgestiegen ist. Die Hebräische Bibel ist zu weiten Teilen ein Produkt der intellektuellen Anstrengungen des nachexilischen Judentums und auch wenn manche Textanteile noch in die Königszeit zurückreichen mögen, so liegt doch kein Buch der Hebräischen Bibel in einer anderen als seiner nachexilischen Gestalt vor. 3. **[Themen alttestamentlicher Theologie]** - Bei der Beschäftigung mit den theologischen Profilen des Alten Testaments steht es außer Frage, dass eine Rekonstruktion und Analyse dessen, wie das Alte Testament Gott thematisiert, ein sehr zentraler Teil davon ist. Zunächst ist hierbei jedoch zu betonen, dass das Alte Testament nur sehr bescheidende Ansätze der Entwicklung einer „Gotteslehre" zeigt. Ansätze hierzu können höchstens in hymnischen Prädikationen oder etwa in der sogenannten Gnadenformel (z.B. Ex 34,6--7) gefunden werden, doch sind diese nicht von einem lehrhaften, sondern eher einem liturgischen Interesse geprägt. Vielmehr kommt Gott im Alten Testament vorranging im Blick auf seine Wahrnehmungen und Wirkungen zur Sprache: Nicht wer oder was Gott ist, sondern wie er als an der Welt, seinem Volk und einzelnen Menschen Handelnder erkannt und beschrieben wird steht im Zentrum des Redens von Gott im Alten Testament. Dann ist des Weiteren von entscheidender Bedeutung, dass der biblische Gott eine Geschichte hat, genauer, dass die biblischen Gottesvorstellungen eine Geschichte haben und es ist so zentral, dass es religionsgeschichtliche Wandlungen innerhalb der Gottesvorstellung gegeben hat. So ist im Folgenden die religionsgeschichtliche Entwicklung der Gottesvorstellung im antiken Israel und Juda zu berücksichtigen, die ihren Deutungen in der alttestamentlichen Literatur zugrunde liegt. Ein Spezifikum der biblischen Gottesvorstellung ist dabei ihre Bildlosigkeit und dass Gott nicht in einem Kultbild dargestellt werden kann, bildet eine Ausnahme innerhalb der Religionsgeschichte der Antike. Oft hat dies in den antiken Kulturen zu Staunen und Bewundern, aber genauso auch zu Ablehnung geführt. Darf man sich also gemäß der Bibel kein Bild von Gott machen? Dies ist in zweierlei Weise zu relativieren. Zum einen bezieht sich das Verbot auf kultische Bilder und hat kein Verbot von Kunst, noch von Sprach- und Denkbildern Gottes im Blick. Zum anderen ist die Bildlosigkeit des Judentums Resultat einer religionsgeschichtlichen Entwicklung, die nicht auf historischem Urgestein beruht. Im Gegenteil: Sie hat von einem alten Bilderkult in Israel zur Bildlosigkeit geführt. Dass es Gottesbilder im antiken Israel und Juda der Königszeit gegeben hat, ist unumstritten. Die Göttin Aschera ist in zahlreichen Siegelabdrucken und sogenannten Pfeilerfigurinen bezeugt. Die Überlieferung der Stierbilder in Bethel und Dan lässt darauf schließen, dass man sich JHWH auch stiergestaltig vorstellen konnte und eine assyrische Inschrift von Sargon II. setzt voraus, dass es auch im Heiligtum von Samaria Kultbilder gegeben hat. Für Juda ist vor allem das Heiligtum in Arad zu nennen, dessen Allerheiligstes zu erkennen gibt, dass dort JHWH, möglicherweise mit seiner Aschera, in Gestalt einer Mazzebe verehrt worden ist. Mit der Solarisierung der Gottesvorstellung vor allem in Jerusalem abstrahierte sich die Wahrnehmung Gottes mehr und mehr. Vollständig entweltlicht gedacht und deshalb auch nicht darstellbar als Abbild wurde der biblische Gott aber erst in und nach der Zeit des babylonischen Exils, als sich der Monotheismus mit seiner strikten Trennung zwischen Gott und Welt und dem daraus logisch folgenden Bilderverbot durchsetzen konnte. Das Verbot von Kultbildern führte dazu, dass dasjenige, was nicht gegenständlich dargestellt werden kann, sprachlich umschrieben wurde. Es bleibt aber zu bedenken, dass die im Alten Testament bezeugte und konstruierte Religion nicht als Gottesglaube zu charakterisieren ist, da sie im Wesentlichen von unter her gedacht ist und menschliche Erfahrungen mit Gott thematisiert, aber nicht Gott selbst. Es ist also angebracht, nicht alles zu thematisieren, was das AT mit Gott in Zusammenhang bringt, sondern einen breiteren und thematischen Zugang zu verfolgen. - Die Aufhellung der religionsgeschichtlichen Ursprünge einer Gottheit ist zwangsläufig ein schwieriges Unterfangen, da solche Anfänge kaum je durch Quellen dokumentiert sind. Und wenn bestimmte Texte diese Ursprünge thematisieren, dann sind sie in keiner Weise daran interessiert, diese historisch aufzuhellen. Im Gegenteil: In der Regel handelt es sich um Rückprojektionen, die die entwickelten Formen einer bestimmten Religion in ihren ursprünglichen Anfängen mythisch verankern wollen. In bestimmten Texten, deren Alter allerdings umstritten ist, werden die Ursprünge JHWHs als Wetter- und Berggottheit angesprochen und mit Edom und dem edomitischen Gebirge Se'ir in Verbindung gebracht (Ri 5,4f.; Dtn 33,2; Ps 68,8f.; Hab 3,3). Die ältesten inschriftlichen Erwähnungen für Y-h-w finden sich in ägyptischen Texten der Spätbronzezeit (Soleb, Amara-West), bei denen jedoch unklar ist, ob sie eine Stammes-, Landschafts- oder Siedlungsbezeichnung sind. Im 9. Jahrhundert v. Chr. ist der Gottesname auf der Mescha-Stele sowie in den Inschriften aus Kuntillet Agrud belegt, bemerkenswerterweise in der in der Bibel gebräuchlichen Langform JHWH (und nicht als Jh oder Jhw, wie man vielleicht aufgrund der ägyptischen Belege und des Onomastikons in Israel und Juda erwartet hätte). In Kuntillet Agrud ist der Ausdruck „JHWH und seine Aschera" belegt, der darauf hindeutet, dass JHWH damals eine Partnerin haben konnte, die ihm allerdings -- wie das Pronominalsuffix zeigt -- untergeordnet war. Die „Aschera" ist auch aus dem Alten Testament bekannt (z.B. Dtn 16,21), wird dort aber, im Umkreis und Gefolge der deuteronomistischen Theologie, ausschließlich perspektivisch verzerrt und abgelehnt. Die geschlechtliche Differenzierung JHWHs ist im Verlauf der Religionsgeschichte des antiken Israel aufgegeben worden, trotzdem können in der alttestamentlichen Literatur auch in monotheistischen Kontexten männliche wie weibliche Metaphern für Gottes Wirken benutzt werden (Jes 66,13). Weshalb bieten aber die eben besprochenen alttestamentlichen Texte Auskünfte über diese fremden Ursprünge des biblischen Gottes außerhalb Israels? In theologischer Hinsicht ist bemerkenswert, dass das AT mit solchen Angaben die religionsgeschichtliche Dimension JHWHs nicht verschleiert, sondern zur Sprache bringt. Gott ist geschichtlich wahrzunehmen und die Bibel gibt so Einblick in den geschichtlich differenzierten Prozess, wie Gott zu denken sei. Mit ihrer Feststellung der Herkunft JHWHs aus dem Süden, aus dem edomitischen Bergland, scheinen sich diese Texte also mit den meisten heutigen religionsgeschichtlichen Rekonstruktionen zu treffen. In dieser Hinsicht noch einmal prominenter ist die Sinaiperikope Ex 19--24 und 32--34. Sie beschreibt JHWHs zentrale Offenbarung auf dem Berg Sinai. Auch wenn die Sinaiüberlieferung wohl vor allem literarische Natur ist, so ist doch bezeichnend, dass die Weise, wie Gott sich auf dem Sinai zeigt, sachlich den oben zitierten Theophanieschilderungen entspricht, die ebenfalls eine explizite oder implizite Bergmetaphorik verwenden. Ihr literarisches Alter ist dabei nicht unbedingt entscheidend, da sie auch vorstellungsgeschichtlich ältere Motive in einem jüngeren literarischen Gewand bewahrt haben können. Festzuhalten bleibt aber, dass die Frage, wie Gott sich offenbart, in gewissen Grenzen religionsgeschichtlich bestimmt ist und nicht völlig neu entworfen wird. - Der biblische Gott trägt den Namen „Jahwe" (konsonantisch יהוה YHWH \"JHWH\"). In den zurückliegenden Kursen und Kursabschnitten wurde schon häufiger das sogenannte Tetragramm JHWH verwendet, und im Blick auf das Alte Testament ist dies auch die angemessene und korrekt Schreibweise für den biblischen Gott. Dennoch war und wird auch weiterhin an manchen Stellen einfach von „Gott" die Rede sein, beides wird aber als Äquivalent verwendet und ist nicht mit einer Rangordnung oder ähnlichem verbunden. JHWH ist nicht nur der Gott der Bibel und des Judentums, sondern er ist der eine Gott, der alle drei monotheistischen Religionen miteinander verbindet. Dieser Gottesname wird dabei wohl vom 3. Bzw. 2. Jahrhundert v. Chr. an nicht mehr ausgesprochen, wie die LXX als auch die Handschriftenlage aus Qumran nahelegen. In der LXX wird das sogenannte Tetragramm (wörtlich „vier Buchstaben", gemeint sind j, h, w, h) konsequent mit Kyrios (also „der Herr") wiedergegeben, in einigen Qumranhandschriften wird es entweder in paläohebräischer Schrift oder mittels vier Punkten von der sonst verwendeten Quadratschrift abgesetzt und so aus dem Lesezusammenhang ausgeklammert. Der Gottesname ist in seinem Konsonantenbestand „JHWH" überliefert. Die Aussprache als „Jahwe" wird gestützt durch Nachrichten einiger frühchristlicher Schriftsteller, die die ausgeschriebene Wiedergabe als Iaoue oder Iabe bezeugen und sie lässt sich auch aus den Wortspielen in Ex 3,14 und Hos 1,9 erschließen. Was bedeutet der Gottesname? Besonders im Anschluss an die biblische Aussage in Ex 3,14 „Ich bin, der ich bin" oder genauer übersetzt „ich werde sein, der ich sein werde", entfaltete sich ein langer, Jahrhunderte überspannender theologiegeschichtlicher Diskurs, der nicht zuletzt über die griechische Übersetzung von Ex 3,14 „Ich bin der Seiende" noch entscheidend befeuert wurde. Doch zum einen ist die Bedeutung eines Namens zu relativieren (nicht jede Irene ist friedlich), zum anderen ist für Ex 3,14 zu fragen, ob es hier überhaupt um die Bedeutung des Gottesnamens geht. Wahrscheinlicher scheint es zu sein, dass die Aussage die aus Ex 3,12 aufnimmt und bekräftigt, „Ja ich werde mit dir sein". Philologisch-historisch ist die Etymologie des JHWH-Namens bis heute ungeklärt. Einigermaßen sicher lässt sich nur festhalten, dass sie mit dem hebräischen Verb sein (היה) wohl nichts zu tun hat. Wenn es bei sich beim Gottesnamen überhaupt um eine Verbalform handelt, dann dürfte sie eher von dem südsemitischen hwh „fällen, wehen" stammen und einen weiteren Hinweis auf die religionsgeschichtlichen Ursprünge JHWHs als einer Wettergottheit enthalten. Dennoch ist der Umstand, dass der biblische Gott einen Namen trägt, sowohl religionsgeschichtlich als auch theologisch von grundlegender Bedeutung. Dann dass der biblische Gott „JHWH" heißt, zeigt also zunächst einmal an, dass er aus einem religionsgeschichtlichen Umfeld stammt, dass auch andere Gottheiten kannte und so zu der Notwendigkeit führte ihn zu benennen. Das Hebräische kennt nämlich auch weitere Begriffe für Gott/Götter. Die theologische Überlieferungsbildung hat also die polytheistischen Rahmenbedingungen der Ursprünge des biblischen Gottes nicht verdrängt, sondern bewahrt. Besonders hervorzuheben ist in dieser Hinsicht der theologische Entwurf der Priesterschrift, in der sich Gott mit unterschiedlichen Gottesnamen offenbart. Die Identität Gottes hängt also nicht an seinem Namen, denn dieser kann je nach seiner kontextbedingten Funktion variieren. - Die religionsgeschichtlichen Verhältnisse über die Ursprünge JHWHs sind zwar notgedrungen unklar, hinreichend deutlich ist aber, dass JHWH nicht von allem Anfang an mit Israel verbunden gewesen ist. Die geographischen Wurzeln der JHWH-Verehrung liegen außerhalb Israels und der Name „Israel" ist aus dem theophoren Element „el" und nicht aus „jah" gebildet. Die biblisch zentrale und häufig bezeugte Zuordnung von JHWH und Israel ist daher eine historisch gewordene und hängt davon ab, wie man die Ethnogenese Israels bestimmt. Heute sieht man dabei das aus biblischer Perspektive als „Landnahme Israels" Bezeichnete als einen komplexen Prozess der Identitätsbildung eines Volkes in Kanaan und dieses Volk ist wohl zu großen Teilen endogenen Ursprungs. Die ersten epigraphischen Belege für Israel finden sich schließlich in der Merenptah-Stele (1208 v. Chr.) und in der Mescha-Stele (ca. 850 v. Chr.), wobei letztere neben der Erwähnung Israels auch JHWH als Nationalgott Israels, d.h. des Nordreichs unter Omri bezeugt. Zwischen dem 11. Und 9. Jahrhundert v. Chr. muss sich die Beziehung zwischen JHWH und Israel also etabliert haben. Genaueres über diesen Prozess lässt sich aber nicht mehr nachvollziehen. Theologisch bedeutsam ist das gewordene und letztlich arbiträre Verhältnis von Israel und JHWH als seinem Gott im Blick auf die universalen Bestimmungen, die das AT mit Bezug auf Gott vornimmt. Wenn JHWH nicht schon immer der Gott Israels war, kann er auch mehr und anderes sein als der Gott Israels -- er ist der Gott der ganzen Welt. - Eine der wichtigsten und nachhaltigsten Entwicklungen der Gottesvorstellung im antiken Israel betrifft ihre Solarisierung. Sie hängt vor allem mit der Religionsgeschichte der Stadt Jerusalem zusammen. Das kanaanäische Jerusalem war kultisch mit der Sonnengottheit verbunden, wie nur schon der Name Uru-Salim „Stadt des Salim" (Salim bezeichnet die Abendröte) verrät. Die Sonnengottheit war im Alten Orient mit der Aufgabe betraut, Recht und Gerechtigkeit zu gewährleisten. Die zeigt etwa die Stele Hammurapis: Der Sonnengott Samas überreicht Hammurapi Ring und Stab, was man in der Regel als göttliche Autorisierung des Königs interpretiert. Mit der Solarisierung der Gottesvorstellung wandelte sich der biblische Gott im Laufe der Religionsgeschichte Judas von einem Wettergott zu einem Gerechtigkeit schaffenden und gewährleistenden Gott. Diese solarisierte Vorstellung kann man etwa anhand von Zeph 3,5. Gottes Schaffen von Recht ist eine Tätigkeit, die mit dem Morgen, der aufgehenden Sonne und dem Tageslicht verbunden ist. Die Sonne symbolisiert den göttlichen Rechtswillen. Die neuassyrische Religion war dabei stark vom Astralkult her bestimmt und insofern konnten die Tendenzen zur religiösen Akkulturation in Juda, vor allem im 7. Jahrhundert v. Chr. die endogenen Elemente der JHWH-Religion unschwer verstärken. Die Solarisierung der Gottesvorstellung war dabei gleichzeitig Ausdruck und Vehikel der Universalisierung der Gottesvorstellung, denn ein durch die Sonne repräsentierter Gott kann auf die gesamte Erde blicken, Natürlich sind diese religionsgeschichtlichen Hintergründe nur noch mittelbar greifbar in den entsprechenden Gottesaussagen der Bibel. - Mit dem Beginn der assyrischen Vorherrschaft im Vorderen Orient kamen Israel und Juda in den Einflussbereich einer imperialen Großmacht, die einen außerordentlich starken politischen und militärischen, mehr und mehr aber auch religiösen und kulturellen Druck ausübte. Die Assyrer dürfen als eine der ersten Mächte gelten, die dezidiert die politische, wirtschaftliche und militärische Kontrolle über die damals bekannte Welt anstrebten. In das 8. Jahrhundert v. Chr. fällt nach neueren Erkenntnissen auch die erste Ausbildung eines gewissen Grades von Staatlichkeit in Israel und Juda, so dass das Nordreich und das Südreich in dieser Hinsicht von Anfang an unter assyrischem Einfluss gestanden haben. Für das NR Israel war es nach wenigen Jahrzehnten allerdings auch der militärische Druck aus Assur, der diesen erst jungen Staat 722 v. Chr. zum Untergang brachte und eben diese Katastrophe dürfte in geistesgeschichtlicher Hinsicht von erheblicher Bedeutung gewesen sein. Das Nachdenken darüber hat in verschiedenen Bereichen stark überlieferungsbildend gewirkt. Im SR war es dann im ausgehenden 7. Jahrhundert v. Chr. vor allem die Ausbildung und Abgrenzung einer eigenen kulturellen und religiösen Identität gegenüber dem im Niedergang begriffenen assyrischen und traditionell sehr propagandastarken Macht, die sich in der zeitgenössischen Literatur niederschlug. Es bildeten sich in dieser Zeit dezidiert antiassyrische Konzeptionen, die die assyrischerseits geforderten Loyalitätsbezeugungen nun auf das eigene Gottesverhältnis transponierten. Hier ist besonders das Buch Dtn zu nennen, das als eine subversive Rezeption des neuassyrischen Vasallenvertragswesens gedeutet werden kann. Gott wird in Gestalt eines altorientalischen Großkönigs gezeichnet. - Wie bereits bemerkt, weist schon der Umstand, dass der biblische Gott einen Namen trägt darauf hin, dass er aus einem polytheistischen Kontext stammt. Doch die Lage ist komplizierter: In den achtziger Jahren sind Inschriften aus einer Karawanserei im südlichen Negev, aus Kuntillet Agrud, zutage getreten, die sich in das 9. Jahrhundert v. Chr. datieren lassen und „JHWH von Samaria" oder „JHWH von Teman" erwähnen. Diese Belege zeigen, dass JHWH in unterschiedlichen Erscheinungsformen bekannt war und neben dem JHWH vom Jerusalem, der sich im Zuge der joschijanischen Reform gegen andere Ausprägungen durchsetzen konnte, gab es offenbar auch weitere JHWHs. Wenn man will kann man hier vom „Polyjahwismus" sprechen. Die Inschriften führen dabei somit ein Bild der Religion des königzeitlichen Israel vor, das in der Bibel nur noch als negative Hintergrundfolie erkennbar ist und der „Polyjahwismus" der Inschriften hat sein Gegenstück in der Behauptung der Einheit JHWHs im Shema Ysrael (Dtn 6,4). Explizit monotheistische Konzeptionen finden sich in der alttestamentlichen Literatur erst in der P und bei DeutJes. Wenn aber erst die P als diejenige literarische Schicht im Pentateuch gelten kann, die die zentralen theologischen Syntheseleistungen im Pentateuch vorgenommen hat, dann sind diese nicht vor der frühen Perserzeit anzusetzen. Und in der Tat findet man auf der Ebene der P theologische Argumentationen, die darauf hinweisen, dass weder die Einheit noch die Einzigkeit Gottes, die sie vertritt, ihrem damaligen Publikum ohne weiteres geläufig waren (Ex 6,3). Die P entwirft in Ex 6,3 dabei eine gestufte Offenbarungstheorie, um zu zeigen, dass der Gott der Väter und der Gott des Exodus ein und derselbe sind. Und ebenfalls werden Texte wie Gen 1, Gen 9 und Ex 1 so miteinander verknüpft, dass immer deutlich wird, dass in all diesen Situationen derselbe Gott handelt. Die P unternimmt also enorme Anstrengungen, die ihr vorgegebene Überlieferung hinsichtlich des Gottesbegriffs zu synthetisieren. Nicht nur die Einheit, sondern insbesondere die Einzigartigkeit Gottes prägt und bestimmt die Theologie der P. Die „monotheistische" Argumentation in der P lässt sich vor allen an der ihr eigentümlichen Begrifflichkeit, Gott als אלהים (Elohim) zu bezeichnen, erkennen. Dieses ist ein hebräisches Nomen mit der Bedeutung „Gott" oder „Götter". Es wäre also ohne Artikel grundsätzlich zu übersetzen mit „ein Gott" oder „Götter". Letztere Bedeutung hat es in der P aber an dieser Stelle wohl kaum, da seine Prädikate immer singularisch formuliert sind und man so hier vermutlich von einem sogenannten „Hoheitsplural" ausgehen kann. Obwohl es keinen Artikel führt, wird Elohim in der P also singularisch und wie ein Eigenname verwendet. Der Einzige der nach ihrer theologischen Konzeption also Elohim ist, kann deshalb gleichzeitig auch so heißen. Die hier in Gen 1 verfolgte Koinzidenz von Gattung und einzigem Element lässt sich weiter profilieren, wenn man sie etwa mit dem Gebrauch von Elohim in den nur wenig älteren DtJes-Texten vergleicht. In Jes 45,5 heißt es: „Ich bin JHWH und keiner sonst, außer mir ist kein Elohim". Hier ist Elohim deutlich eine Gattungsbezeichnung, und ganz wie in der P hat diese Gattung auch hier nur ein einziges Element -- dieses heißt aber nun JHWH und nicht Elohim. Gattung und einziger Inhalt koinzidieren hier also nicht, sondern bleiben unterschieden. Die P entwickelt also eine inklusive Theologie (hinter allen göttlichen Manifestationen steht Gott schlechthin), wogegen DtJes eine streng exklusive Theologie vertritt (es gibt keinen Gott außer JHWH und alle anderen Götter sind Nichtse). Die Exilszeit und der aufkommende Monotheismus brachten grundlegende, in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzende Veränderungen der Gottesvorstellung in Israel und Juda mit sich, denn es ging nicht nur um die Reduzierung der Anzahl Gottheiten auf seins. Zunächst lässt sich eine gewisse Uranisierung der Gottesvorstellung beobachten. Die mutmaßlich königszeitlichen Texte aus Jerusalem schweigen noch weitgehend über den „Himmel" im Zusammenhang mit der Wohnstatt Gottes und diese kam erst nach dem Verlust des Ersten Tempels auf: die enge Beziehung zwischen Gott und Kultort wurde im Zuge der religionsgeschichtlichen Transformationen modifiziert und Gottes Wohnstatt befand sich nun im Himmel. Die in der P auszumachende Gottesvorstellung geht aber noch einen Schritt weiter und entkleidet den Himmel des Numinose: Er ist lediglich ein Bauwerk, das das Wasser oberhalb der Lebenswelt von dieser selbst trennt (Gen 1,9). Gott selber wird kein Wohnort in der Schöpfung zugewiesen und wird grundsätzlich transzendent gedacht. Eine unmittelbare Folge, Gott als Gott allein zu denken, bestand darin, Gott nunmehr für alles, was in der Welt geschieht, als zuständig anzusehen. Alle Widerfahrnisse der Menschen sind auf Gott allein zurückzuführen (Jes 45,6f.). Die Rückführung von Gut und Böse, von Heil und Unheil auf Gott selber transzendiert aber auch diese Kategorien: Wenn Gott Heil und Unheil schaffst, sind sie dann wirklich in jeder Hinsicht als gut bzw. böse zur charakterisieren? Vielmehr scheinen Texte wie Jes 45,6f. damit zu rechnen, dass Gut und Böse vor Gott etwas anderes ist als vor den Menschen. Diese Argumentation zeigt, dass die Transformation von Gottesvorstellungen auch Eckpunkte ethischer Orientierungen verändern können. [3.3.) Schöpfung] - Der theologische Themenbereich „Schöpfung" ließe sich mit Blick auf das Alte Testament prinzipiell besser mit dem Titel „Von der Gegenwelt zur Lebenswelt" beschreiben. Zum einen ist der Schöpfungsbegriff nicht alttestamentlich und das dazu gehörende hebräische Substantiv בריאה (Beriah) ist in erst ab den in Qumran gefundenen Texten belegt. Zum anderen richten die beiden bekannten Schöpfungserzählungen Gen 1 und Gen 2--3 ihren Fokus gerade nicht auf den Zustand der Welt, wie sie anfänglich von Gott geschaffen wurde („Gegenwelt"), sondern auf denjenigen Zustand, zu dem sie sich im weiteren Fortlauf der Erzählung entwickelt haben („Lebenswelt"). Von der Gegenwelt zur Lebenswelt -- hinter dieser erzählerischen Bewegung steht ein funktional mythisches Denken und nach diesem werden die grundlegenden Strukturen der Lebenswelt genetisch erklärt, also Wesensfragen als Ursprungsfragen abgehandelt. Vergleicht man die biblischen Texte mit der literarischen Hinterlassenschaft der großen Kulturnationen aus Israels Umwelt, so fällt ein Doppeltes auf: Zum einen, dass die Zahl der biblischen Texte, die ausführlich von der Schöpfung handeln begrenzt ist, zum anderen, dass die Mehrzahl dieser Texte vergleichsweise spät entstanden ist, d.h. im Exil oder danach. Im Unterscheid dazu reden die großen Kulturnationen in Israels Umwelt von allem Anfang an von Schöpfung. Insbesondere in Mesopotamien sind die ältesten religiösen Texte, weithin Schöpfungsmythen. Wie über Gott recht zu reden ist, entnahmen diese Völker unmittelbar ihrer Welterfahrung im Alltag, indem sie diese Erfahrung religiös in Mythen deuteten. Primäres Anliegen dieser Schöpfungsmythen war dabei das Bemühen, die Ordnung der Welt zu erkennen, sie sich in ihren positiven Kräften nutzbar zu machen und möglichst alle Verletzungen dieser Ordnung zu vermeiden. Um das bekannteste Beispiel zu nennen: Wenn zu biblischer Zeit am babylonischen Neujahrsfest der zum Epos ausgeweitete Schöpfungsmythos Enuma Elish rezitiert und dramatisch aufgeführt wurde, in dem der Gott der Ordnung Marduk, die Chaosmacht Tiamat besiegt und aus ihrem Leichnam die Welt entstehen lässt, dann wurde mit Rezitation und Drama die Ordnung der Welt neu in Kraft gesetzt und heilvoll als gültige Grundlage des Lebens von den Kultteilnehmern erfahren. Diese Ordnung spiegelt allerdings insofern ein fortgeschrittenes Stadium der Geschichte wider, als das genannte Epos zu verschiedenen Gelegenheiten rezitiert wurde. Da es im Bericht vom Bau des Marduktempels in Babylon gipfelt, wird am Neujahrsfest mit der rituellen In-Kraft-Setzung der Weltordnung sowohl die innere Gesellschaftsgliederung als auch die äußere Weltherrschaft Babylons neu als göttlich garantierter Schöpfungsordnung erfahren. Gleichzeitig können das Epos und verwandte Schöpfungstexte aber auch im privaten Bereich anlässlich der Geburt eines Kindes oder für Beschwörungen bei Krankheitsfällen rezitiert und so die Kräfte der Schöpfung in der Erfahrung des Individuums neu belebt werden. Naturordnung, Staatsordnung und Ordnung des individuellen Lebens sind nur spezifische Aspekte der mit der Schöpfung gesetzten umfassenden Weltordnung. Am Aspekt der Staatsordnung wird die Differenz zwischen diesen mesopotamischen Vorstellungen und alttestamentlichem Denken am deutlichsten greifbar. Für das Weltschöpfungsepos Enuma Elish ist die Hierarchie der Gesellschaft ebenso wie die Weltherrschaft Babylons mit der Schöpfung gegeben und als unablösbarer Teil der Schöpfungsordnung sakrosankt. In einer Umwelt mit solchen Denkvoraussetzungen musste es als revolutionär erscheinen, wenn das biblische Israel von sich selber sagte, es sei am Anfang ohne Königtum gewesen, und damit Schöpfungsordnung und geschichtlich gewordene Staatsordnung programmatisch voneinander trennte. Eine derartig bewusste Trennung von Schöpfung und Geschichte impliziert, dass die geschichtlich entstandenen Ordnungen als grundsätzlich überholbar galten. Diese fundamentalen Unterschiede zwischen altorientalischer und alttestamentlicher Weltdeutung hängen mit dem oben genannten Sachverhalt zusammen, dass die großen umfassenden Schöpfungstexte im Alten Testament relativ spät entstanden sind. Es gehört zu den Eigenarten des biblischen Israel, dass es lange Zeit gewartet hat, bis es sich an die Deutung der Welt als ganzer begab. Es wagte diese Deutung erst, als es schon vielfältige Erfahrungen mit Gott im Raum der Geschichte gemacht hatte. Es sprach zuerst von Gottes Führung auf seinem Weg, von Gottes Versorgung mit Lebensnotwendigen, auch von seiner Strafe für Schuld etc. und hatte auf diese Weise andere, sicherere Maßstäbe für seine Rede von der Welt und dem Menschen gefunden als seine Nachbarn. Dennoch setzt es sich immer auch mit den zentralen Texten seiner Nachbarn adaptierend bis kritisch auseinander. Im Folgenden werden wir uns die zwei zentralen Schöpfungstexte im AT, also Gen 1,1--2,4a und Gen 2,4b--3,24 etwas näher anschauen bevor dann auch noch Stimmen aus anderen Textbereichen zu Wort kommen sollen. - Gen 1,1--2,4a (im Folgenden Gen 1) ist wohl einer der bekanntesten Texte nicht nur der Bibel, sondern der Weltliteratur überhaupt. Sein Verständnis wird aber oft durch zwei grundlegende Fehleinschätzungen behindert. Zum einen wird Gen 1 oft so ausgelegt, als handle es sich dabei um eine für sich stehende Größe. Tatsächlich aber war Gen 1 nie ein Text für sich, sondern es war immer der Beginn eines größeren literarischen Zusammenhangs. Deshalb ist bei der Auslegung auf die Vernetzung mit dem nachfolgenden Kontext zu achten. Zum anderen wird Gen 1 mit seiner eigentümlichen Weltordnung mitunter gerne als moralischer Appell verstanden. Gen 1 ist aber ein erzählender Text und keine Aufforderung an die Adresse der Leserinnen und Leser. Gen 1 berichtet davon, wie Gott innerhalb von sieben Tagen die Welt geschaffen hat, wobei der siebte Tag eine deutliche Sonderposition innehat: An ihm wird nichts geschaffen, auch nicht der Sabbat, denn diesen hat Gott durch sein Ruhen urzeitlich geformt. In den ersten sechs Tagen erschafft Gott acht Werke. Die Anzahl der Werke ist an den Benennungsvorgängen und an der Verteilung der Billigungsformel („und Gott sah, dass es gut war") zu erkennen: 1. Die Scheidung von Licht und Finsterniss, die zu „Tag" und „Nacht" führt 2. Die Erstellung der Feste, die dann als „Himmel" benannt wird 3. Das Sammeln des Wassers unter der Feste, das „Land" und „Meer" entstehen lässt 4. Die Erschaffung der Pflanzen 5. Die Erschaffung der Lichter an der Feste, nämlich Sonne, Mond und Sterne 6. Die Erschaffung der Wassertiere und der Vögel 7. Die Erschaffung der Landtiere 8. Die Erschaffung der Menschen - Seit den Anfängen der historischen Bibelkritik ist bemerkt worden, dass nach Gen 1,1--2,3 eine zweite Schöpfungserzählung folgt, nämlich Gen 2,4--3,24, die mit der ersten nicht in organischer Verbindung steht, sondern erst sekundär mit ihr verbunden worden sein muss. Diese gehört ebenfalls zu den bekanntesten und meistausgelegten Texten der Bibel mit einer vielfältigen Rezeptionsgeschichte. Dabei muss bei der Interpretation dieser Erzählung darauf geachtet werden, dass ihr eigentlicher Aussagegehalt nicht mit ihrer Rezeption verwechselt wird. So haben sich aus Gen 2--3 dem wirkungsgeschichtlichen Gedächtnis vor allem das Paradies, Adam, Eva, der Apfel und der Sündenfall eingeprägt, obwohl von ihnen eigentlich nur Eva wirklich im Text vorkommt und viele bekannte Deutungslinien sich durch (falsche) Übersetzungen eingeprägt haben. So lässt sich das Wort „Paradies" auf den griechischen Begriff parádeisos zurückführen, der in der LXX das eigentliche hebräische Wort Gan-Eden (Garten Eden) ersetzt. Die Paradieserzählung setzt ein mit der Pflanzung des Gartens Eden durch Gott sowie der Erschaffung des Menschen, der in diesen Garten gesetzt wird. Dass der Mensch aus „Staub" (Gen 2,7) geformt wird, stellt hinlänglich klar, dass er von vornherein sterblich geschaffen ist: „Staub" ist eine gängige Vergänglichkeitsmetapher im Alten Testament (Vgl. z.B. Koh 3,20). In theologischer Hinsicht bemerkenswert ist dabei, wie pointiert die Reflexion auf die Sterblichkeit des Menschen in Genesis 2--3 dargestellt wird: Seine ursprüngliche Sterblichkeit bleibt eine Konstante vor und nach dem Fall. Dass die Menschen sterben müssen, ist nach Genesis 2--3 nicht das Resultat von Strafe für Schuld, sondern ist Teil von Gottes ursprünglicher Schöpfung. Problematisch ist nicht der Tod an sich, sondern die Möglichkeit des unsterblich Werdens, die der Baum des Lebens offeriert. In der Mitte dieses Gartens stehen zwei Bäume, der „Baum des Lebens" und der „Baum der Erkenntnis" (Gen 2,9). Der „Baum des Lebens" ermöglicht ewiges Leben, wogegen es beim „Baum der Erkenntnis" um die Erkenntnis von Gut und Böse geht. Bei der Erkenntnis von Gut und Böse handelt es sich dabei um eine unabdingbare menschliche Fähigkeit, auf die jeder erwachsene Mensch tagtäglich angewiesen ist. Bezüglich der Bäume des Gartens ergeht nun eine Anweisung vonseiten Gottes: Der Mensch darf von allen Bäumen essen, nur vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse nicht (Gen 2,16--17). Das aber heißt umgekehrt, dass der Genuss vom Baum des Lebens zu diesem Zeitpunkt noch erlaubt ist. Die Paradieserzählung handelt also nicht vom Verlust der ursprünglichen Unsterblichkeit, sondern vielmehr von der verpassten Chance, Unsterblichkeit zu erlangen. Der Mensch greift dann aber nach dem Baum der Erkenntnis, vermittelt durch die Schlange und die zuvor aus ihm erschaffene Frau (Gen 3,6). Die Menschen essen vom Baum der Erkenntnis und erlangen die Fähigkeit, zwischen „Gut und Böse" zu unterscheiden. Terminologisch wird die Verbotsübertretung dabei nicht mit der Sündenbegrifflichkeit in Verbindung gebracht. Mit dem sogenannten „Sündenfall" kommt biblisch gesehen noch nicht die Sünde in die Welt, sondern vielmehr erst die Voraussetzung dazu -- die Fähigkeit, Gut und Böse zu erkennen -- und damit die Verantwortlichkeit. Erst der Brudermord an Abel ist der eigentliche „Sündenfall", der auch terminologisch entsprechend fixiert wird (der hebräische Begriff für Sünde fällt zum ersten Mal in Gen 4,7). Bemerkenswert ist in Gen 3,1--7 weiter die erzählerische Präsentation der Motivation der Frau, als sie nach der Frucht greift. Dasjenige, was die Schlange in Aussicht gestellt hatte, nämlich dass die Menschen wie Gott werden (Gen 3,5), erscheint in Gen 3,6--7 mit keinem Wort wieder. Es ist lediglich davon die Rede, dass die Frau „klug werden" will. Die oft vertretene Hybris-Deutung von Gen 2--3 hat hier jedenfalls keinen Anhalt am Text: Das Essen vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse geschieht nicht mit dem Ziel einer hybriden Erhebung des Menschen über Gott. Die Frau will nicht an Gottes Stelle treten, sondern sie will Wissen erlangen. So gesehen dreht sich die Paradieserzählung also um den ursprünglichen Entzug und denn dann doch erfolgten Erwerb von notwendigem, lebenspraktischem Wissen durch den Menschen. Natürlich wird dieser Erwerb als Folge einer Gebotsübertretung dargestellt, doch es geht dem Text nicht darum zu sagen, dass Gott dem Menschen die Erkenntnisfähigkeit vorenthalten will, sondern darum, dass die Erkenntnisfähigkeit selbst als so ambivalent erfahren worden ist, dass die Verfasser von Gen 2--3 sie mit der Notwendigkeit von Gottferne verbunden haben. Am Ende der Erzählung besteht dann kein Zweifel: Der Mensch hat die Erkenntnis von Gut und Böse erlangt. Konstatiert wird dies in der Gottesrede in Gen 3,22: „Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner, dass er Gut und Böse kennt!" Die Bedeutung dieser Aussage wurde über die Jahrhunderte vielfach diskutiert, jedoch ist der Text selbst klar: Der Mensch hat sich ein besonderes Wissen erworben, und er ist, was dieses Wissen betrifft, gottgleich geworden. Eben dieser Erwerb von lebenspraktischem Wissen bringt es nun zwingend mit sich, dass der Mensch aus dem Paradies vertrieben werden muss. Denn würde er auch vom Baum des Lebens essen, dann würde er ganz wie Gott werden, wissend und unsterblich. Deshalb wird der Mensch nun aus der Nähe Gottes ausgeschlossen und muss jenseits von Eden sein Dasein fristen. Betracht man die Paradieserzählung nach diesem Durchgang noch einmal im Überblick, so wird schnell deutlich, dass hier nicht vom Verlust eines völlig positiv gezeichneten Urzustands zugunsten eines entsprechend negativen Jetztzustands erzählt wird, sondern dass der Weg von einer ambivalenten Situation in eine andere, ebenfalls ambivalente Situation führt. Der Mensch muss nun in der Gottferne leben, dafür aber ist er zur Fortpflanzung (Gen 4,1.17.25) und zu Kulturleistungen wie Ackerbau, Handwerk, Musik oder Kunst (Gen 4,17.20--22) fähig. Darauf läuft also die Paradieserzählung hinaus: Sie möchte erklären, weshalb es einen unauflöslichen Konnex gibt zwischen einer eigenständigen menschlichen Lebensführung und einer substantiellen Gottesferne. Blickt man von Gen 2--3 zurück auf Gen 1, so wird deutlich, dass diese Texte von ganz unterschiedlicher Geistigkeit geprägt sind. Gen 2--3 ist zwar auch deutlich monotheistisch geprägt, doch Gott begegnet den Menschen im Garten Eden noch sehr viel unmittelbarer und wird sehr anthropomorph gezeichnet. Zudem fokussiert Gen 2--3 ganz auf die conditio humana, die sehr viel problematischer gesehen wird, als in Gen 1: Menschliche Erkenntnisfähigkeit beruht auf einem Raub und führt nachgerade zwingend in die für menschliche Lebenserfahrung konstitutive Distanz zu Gott. In Gen 1 wird den Menschen dagegen die „Gottebenbildlichkeit" verliehen - sie gelten als Stellvertreter Gottes auf Erden. - Entgegen der uneschatologischen Ausrichtung von Gen 1--3 entwickelt die Theologie des dritten Teils des Jesajabuches, den man traditionellerweise als Tritojesaja bezeichnet (Jes 56--66), die Vorstellung einer neuen Schöpfung. Entgegen der herkömmlichen Auffassung der Forschung handelt es sich bei Jes 56--66 nicht um ursprünglich mündliche Prophetie aus dem Schülerkreis DtJes (Jes 40--55), sondern durchwegs um schriftgelehrte Auslegung dieser Prophetentexte. In Jes 40--55 wird zwar bereits das Handeln Gottes als Schöpfungshandeln qualifiziert, doch die deuterojesajanische Theologie steht -- entsprechend ihrer historischen Ursprungssituation am Ende des sogenannten „babylonischen Exils" und der erwarteten Heimkehr des Volkes Israel in sein Land -- ganz im Zeichen eines neuen „Exodus", der den heilsgeschichtlichen Auszug aus Ägypten weit übertreffen wird (Jes 43). Für Jes 40--55 hat der „alte" Exodus aus Ägypten keine Heilsqualität mehr. Er hatte ja offenkundig eine Unheilsgeschichte hervorgerufen, die im Verlust des eigenen Landes gipfelte. Auf ihn als stiftendes Gründungsereignis lässt sich die Beziehung zwischen Israel und seinem Gott nicht mehr stützen. Jes 40--55 setzt dagegen: Es wird einen neuen Exodus, nun aus Babylon, geben, der den alten weit überbieten wird. Dass der neue Exodus aus Babylon das neue Heilsdatum sein soll, auf das sich Israel verlassen können wird, erwies sich allerdings nicht als theologische Annahme von dauerhaftem Bestand. In einer strukturell ganz ähnlichen Argumentationsweise wird in Jes 56--66 nun nicht nur der alte gegenüber dem neuen Exodus ersetzt, sondern vielmehr die alte Schöpfung durch eine neue überboten (Jes 65). Im Bereich von Jes 40--66 lassen sich so die unmittelbaren literatur- und theologiegeschichtlichen Vorstufen wie auch die Nachgeschichte zu Gen 1 erkennen. Namentlich die älteren Texte in Jes 40--55 stehen in starker Auseinandersetzung mit den Erwählungstraditionen Israels, etwa der Erzväter und der Exodusüberlieferung, und die theologiegeschichtlich jüngere Schöpfungsthematik beginnt erst, sich als durchlaufender Tenor zu etablieren. Außerdem propagiert Jes 40--55 ein stark exklusives Gotteskonzept, während Gen 1 stärker inklusiv denkt. Vor allem in Jes 65--66 aber wird die Schöpfungstheologie von Gen 1 überholt, indem nun der Erwartung einer neuen Schöpfung das Wort geredet wird. Jes 65--66 vertritt dabei eine theologische Position, in der das Ideal der Einheit Gottes aufgegeben worden ist. Im Unterschied zu Jes 56--59 können Heilshindernisse, wie kultische und soziale Missstände im Gottesvolk, hier nun nicht mehr mit Umkehr beseitigt werden. Allein die Unterscheidung von Knechten und Frevlern ist für die kommende Heilswende relevant (Jes 65,13--15). Diese Unterscheidung ist von so fundamentaler Natur, dass die Gegenüberstellung von altem und neuem Exodus nicht mehr zureichend war. Die prophetische Position von Jes 65--66 hat aber in der weisheitlichen Literatur auch Widerspruch erfahren. Das Buch Kohelet erteilt weitgreifenden Hoffnungen auf ein künftiges eschatologisches Eingreifen Gottes in die Weltgeschichte eine klare Absage. Gegenüber Erwartungen eines „neuen Himmels" und einer „neuen Erde" betont Kohelet, dass es „nichts Neues" gibt (Koh 1). Ebenfalls gibt es für Kohelet keine theologisch relevante Scheidung zwischen Frevlern und Frommen. Wohl gibt es Weise und Tore, sowie Gerecht und Ungerechte, doch sie unterscheiden sich nicht in ihren Geschicken, namentlich im Tod (Koh 3,1). Deshalb sind die Menschen nach Kohelet auf die elementaren Lebensgewährungen und -ordnungen der Schöpfung angewiesen, die er als ambivalent einstuft und sich dabei dann auch mit der theologischen Ausrichtung von Gen 1--11 trifft. Anders als dies sonst im Alten Testament der Fall ist, vertritt das Buch der Weisheit, das in der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. in Alexandrien auf Griechisch verfasst wurde, die Auffassung von der Unsterblichkeit der Seele des Gerechten (Weish 3,1) und den Glauben an dessen Entrückung (Weish 4,10--11). Das Buch der Weisheit lässt seine Leserschaft sogar wissen, dass Gott den Tod nicht erschaffen habe (Weish 1,13--15), sondern dass dieser vielmehr durch den Neid des Teufels in die Welt gekommen sei (Weish 2,24), womit auf die Figur der Schlange in der biblischen Paradieserzählung (Gen 3) angespielt wird. Auch damit begibt sich das Buch der Weisheit in eine gewisse Distanz zu den übrigen biblischen Schriften. Man erkennt so, dass das Alte Testament zu bestimmten theologischen Fragen, und so auch zum Thema Schöpfung, nicht bestimmte eindeutige Positionen formuliert, sondern ein Geflecht von Positionen präsentiert, die untereinander zwar textlich interagieren, aber nicht mit jeweils höherer oder niederer Autorität ausgestattet sind. Die Bibel bezeugt so einen historisch und sachlich differenzierten Umgang mit den theologischen Fragen, die sie thematisiert. Nur für ein fundamentalistisches Bibelverständnis kann dieser Befund theologisch problematisch sein. [3.4.) Das Handeln Gottes in der Geschichte (Geschichtstheologie)] - [Die Jerusalemer Kulttheologie] - [Die Herrlichkeit Gottes und die Herrlichkeit Assurs] - [Deuteronomistische Geschichtstheologie] - [Prophetische Geschichtsdeutung] - [Weisheitliche Geschichtsdeutung] 1. Die Aussage in Gen 50,20 lautet nicht, dass Gott Böses in Gutes umgewandelt habe, sondern dass Gott von Menschen als Böses geplantes in Gutes umgeplant hat. Die Veränderung betrifft also die Ebene des Denkens und Planens. 2. Die Interpretation, dass Gott das Böse zum Guten umgeplant habe, stammt aus dem Munde Josephs. Dadurch legt sie die geschichtstheologische Deutung dem Protagonisten Joseph in den Mund und stellt damit klar, dass Geschichtstheologie eine Deutungsaufgabe ist. 3. Joseph ist nicht irgendein Protagonist der Josephsgeschichte, sondern er ist das Opfer des von ihm identifizierten bösen Plans der Brüder. Die in Gen 50,20 formulierte Geschichtstheologie nimmt damit nicht irgendeine, sondern eine ganz bestimmte, von unten erfolgende Deuteperspektive ein: Die führende Hand in dem Geschehen wird erkannt von demjenigen, der das Opfer der Irrungen und Wirrungen der Geschichte geworden ist. - [Die priesterschriftliche Entkonditionalisierung des göttlichen Heilswillens in der Geschichte] - [Das Weltgericht] - [Protodeterministische Geschichtstheologie im Danielbuch] [3.5.) Bund und Verheißung] - [Implizite Bundestheologie] - [Die Ausformulierung der Bundetheologie im Dtn] - [Die Verheißungstheologie der Erzelternerzählungen] - [Die politische Theologie der Priesterschrift] - [Renationalisierende Tendenzen in der makkabäischen Literatur ] [3.6.) Recht und Gesetz] - [Codex oder Rechtsbuch?] - [Die biblische Rechtsüberlieferung in ihrem altorientalischen Kontext] - [Die Rezeption der prophetischen Sozialkritik in der alttestamentlichen Rechtsliteratur] - [Vom Recht zum Gesetz: Das Dtn] - [Rechtsinterpretation im Heiligkeitsgesetz] [3.7.) Tempelkult und Opfer] - [Kultisch geprägte Psalmen] - [Das Opfer als religionsgeschichtliche Konstante] - [Opfer im Dtn] - [Die priesterschriftliche Kult- und Opfertheologie] - [Spiritualisierung der Opfertheologie und individuelle Speisevorschriften] - [Das Aufkommen der Synagoge und des Wortgottesdienstes] [3.8.) Staatsvolk, Gottesvolk und Individuum] - [Israel und Juda] - [Das Aufkommen der Identitätsfrage: Israel als Volk Gottes] - [Die Erfindung des „wahren" Israel: Die babylonische Exulantenschaft] - [Die Diasporatheologie] - [Die Entstehung des Judentums] - [Abrahamitische Ökumene] - [Die Scheidung von Frommen und Frevlern] [3.9.) Königtum, Theokratie und Herrschererwartungen] - [Die altorientalische Königsideologie im Alten Testament] - [„Messianische" Weissagungen] - [Kyros und Nebukadnezar] - [Theokratie] [3.10.) Zion und Sinai] - [Einführung Zionstheologie: Was ist das?] - [Die königszeitliche Zionstheologie] - [Tochter Zion] - [Der Sinai als Berg der Offenbarung] - [Zion als Herrscherin und eschatologische Jerusalemvisionen] [3.11.) Deutungen des Menschen/Anthropologie] - [Einführung] - [König -- Freier -- Sklave] - [Konstellative Anthropologie] - [Gottferne und Erkenntnisfähigkeit] - [Gottes Zuwendung zu den „Armen"] - [Problematisierungen der menschlichen Handlungsfähigkeit] - [Visionen von der Neuschaffung des Menschen und ihre Bestreitungen] 4. **Brennpunkte alttestamentlicher Theologie** [4.1.) Wie können bzw. sollen wir uns zu alttestamentlichen Texten verhalten] In den zurückliegenden Kursabschnitten haben wir uns anhand einzelner Themen die wichtigsten und zentralsten theologischen Aussagen und Konzeptionen des Alten Testaments angeschaut und analysiert. Auch der folgende und letzte Abschnitt dieses Kurses wird daran anknüpfen, der Schwerpunkt wird aber nun auf einige konkrete Themen gelegt werden, die in der Rezeption und Wahrnehmung alttestamentlicher Texte besondere Brisanz haben und die daher vielfach die öffentliche Wahrnehmung des Alten Testaments prägen. Es sollen Brennpunkte alttestamentlicher Theologie anhand für diese zentrale Texte skizziert werden. Darf der Mensch als Ebenbild Gottes mit der Schöpfung machen, was er möchte? Wie versteht das Alte Testament Geschlecht und Sexualität? Und wie denkt es über Homosexualität? Ist der Gott des Alten Testaments nicht ein dunkler Gott der Gewalt, der Rache und des Krieges? Und wieso lässt Gott so viel Leid auf der Welt zu? Die folgenden Unterpunkte werden versuchen diese Fragen aufzugreifen um zu schauen, was alttestamentliche Texte zu diesen Themen sagen wollen und können. Wie kann eine historisch-kritische Untersuchung hierfür zentraler Textstellen differenzierte Perspektiven auf diese Fragen ermöglichen? Bevor wir in einzelne Themen einsteigen werden, sind an dieser Stelle aber noch einige Vorbemerkungen hermeneutischer Art anzuführen. Schon im Kurs „Christlicher Kanon und hebräische Bibel" haben wir uns das Vorurteil des bösen Gottes im AT angeschaut, der dem lieben Gott im NT diametral gegenübersteht. Wir haben gesehen, dass dieses Vorurteil auf einem extrem vereinfachten Gottesbild beruht und in keiner Weise der Komplexität des biblischen Gottesbildes gerecht wird. Beide, sowohl das AT als auch das NT, sprechen von Gott sowohl mit dunklen als auch mit hellen Bildern und geben dadurch der letztlichen Unbegreiflichkeit Gottes Raum. Das heißt nun aber nicht, dass wir alle Textstellen, deren Gottesbild (oder auch sonstige Darstellung) uns fremd ist oder sogar stört, manchmal sogar anwidert, einfach so hinnehmen und akzeptieren müssen. Fragen, Kritik und Ablehnung sind nicht nur erlaubt, sondern zwingend nötig, um mit einem Text auch in unserer heutigen Zeit umgehen und leben zu können. So ist (nicht nur) bei schwierigen Stellen zu überlegen wann, wozu, in welchem Kontext dieser Text verfasst wurde, was sein „Sitz im Leben" ist und welche Absichten den Autor/die Autorin leiteten. Kurz gesagt, es ist mit den Mitteln und Methoden der historisch-kritischen Exegese der Kontext und Hintergrund der Entstehung des Textes so gut wie möglich zu rekonstruieren. Manchmal eröffnen sich dadurch dann ganz neue Perspektiven und die Annahme des Textes in seiner Distanz zu unserem heutigen Leben kann vielfach den Kern seiner eigentlichen Aussage besser freilegen. Auch mit dieser reflektierten und wissenschaftlichen Herangehensweise an die Texte, lässt sich dabei nicht immer alles (auf)lösen und manches bleibt auch einfach fremd oder auch befremdlich. Die manchmal unhinterfragte und nicht kritisierte Darstellung von Vergewaltigungen, ist z.B. nicht nur von unserem heutigen Standpunkt aus gesehen falsch und nicht zu akzeptieren, sondern war das auch schon während der Entstehungszeit des Textes. Dann ist es aber auch vollkommen in Ordnung und legitim, solch einen Text, bzw. das was er darstellt, eben nicht nur nicht gut zu finden, sondern auch zu kritisieren. Auch dies ist Teil eines bewussten und verantworteten Umgangs mit den biblischen Texten. In diesem Kursabschnitt werden wir uns mit den Mitteln und Methoden, die uns die historisch-kritische Exegese bietet nun einigen schwierigen und strittigen Fragen zuwenden und versuchen manche Dinge besser einzuordnen. [4.2.) Der Mensch als Bild Gottes (Gen 1) in der Schöpfung] 1. Das Substantiv צלם bedeutet „Statue/Rundplastik". Damit kann ein Wandrelief oder eine Statue gemeint sein. Die bildende Kunst der Alten Orients zielt nicht auf eine detailgetreue Abbildung, sondern sie dient der Repräsentation des Dargestellten. Zum Beispiel repräsentiert eine Statue im Tempel die dargestellte Person als Beter vor der Gottheit. So war die Statue des Stadtfürsten Hadad-Jischi im Heiligtum des Gottes Hadad von Guzana aufgestellt. Oder die Statue des siegreichen Königs garantiert im Land des besiegten Feindes dessen machtvolle Anwesenheit auch ohne seine reale Gegenwart, so z.B. die Statue von Ramses III. aus dem 12. Jahrhundert v. Chr., die in Bet-Shean, einem ägyptischen Garnisionsort im kanaanäischen Palästina, dessen Anspruch und Macht vergegenwärtigte. Dass das Abgebildete in der Statue wirkmächtig präsent gedacht wird, diese also kein bloßes Abbild ist, ist auch eine Übersetzung mit „Repräsentationsbild" angemessen. Die Rede vom Bild bzw. der Statue Gottes gehört in den Kontext altorientalischer Königsideologie. Statue Gottes und damit Repräsentant der Gottheit ist der König. Diese Vorstellung findet sich v.a. in ägyptischen, aber auch neuassyrischen und persischen Texten und dient der Herrschaftslegitimation des Königs. Der König handelt stellvertretend für die Gottheit und sorgt insbesondere für die Abwehr des Chaos. Während im altorientalischen Kontext diese Funktion nur dem König zukommt, wird diese Herrschaftsvorstellung im alten Israel nach dem Ende des judäischen Königtums universalisiert und in der Urgeschichte auf alle Menschen bezogen. Das Menschenbild wird also gewissermaßen royalisiert. Das zweite Lexem zur Umschreibung der Gott-Bildlichkeit דמות ist von dem Verb damah „ähnlich sein/gleichen" abgeleitet. Im aramäischen Text der assyrisch-aramäischen Bilingue von Tell el-Fecherije wird mit beiden Lexemen ein assyrisches Wort für „Bild" wiedergegeben. Damit liegt nahe, dass es sich um Synonyme handelt. Somit ist das zweite Substantiv weder als Abschwächung noch Verstärkung zu verstehen, sondern beide Lexeme umschreiben pleonastisch die Vergleichbarkeit bzw. Ähnlichkeit, aber nicht Identität der beiden Größen „Bild" und „Abgebildetes", also von Gott und Mensch. Das Bild ist aber auch keine dritte Größe, die zwischen Gott und Mensch steht, sondern der Mensch repräsentiert als Bild Gottes ihm ähnlich Gott auf der Erde. 2. Im Verlauf der christlichen Rezeptionsgeschichte wurde die Präposition ב in Folge der griechischen Übersetzung und entsprechend der platonischen Urbild-Abbild-Lehre als sog. bet normae (bet bezieht sich auf die Präposition ב, lat. Norma „Richtschnur, Regel" mit Bezug auf das Urbild) „nach unserem Bild" verstanden. Die LXX gibt die Wortverbindung mit „nach unserem Bild und nach (der) Ähnlichkeit" wieder. Dies impliziert, dass zwischen Gott und dem Menschen als seinem Abbild ein Urbild steht, nach dem wiederrum der Mensch geschaffe ist. In der Auslegung des Christentums wird dann dieses Urbild mit Jesus Christus identifiziert. Grammatisch ist diese Verwendung im AT selten belegt, und die Präposition ב ist vor dem Hintergrund der altorientalischen Königsideologie eher als bet essentiae (essentiae=Wesen), nicht qualitativ als bet normae und damit als Wesensaussage zu verstehen. Der Mensch ist nicht nach einem Urbild erschaffen, sondern er ist das Bild Gottes. Um mit W. Groß zu sprechen, ist der Mensch „Gottes Bild, insofern er ermächtigt ist, über die Tiere zu herrschen", wie in v. 26 ausgeführt wird. Gemeint ist damit eine universale Ordnungsfunktion zur Aufrechterhaltung der gottgewollten gerechten Weltordnung, die der Mensch als verantwortlich handelnder Repräsentant Gottes wahrnimmt. 3. Kontrovers wird auch diskutiert, wie die göttliche Selbstaufforderung im Plural „Wir wollen Menschen machen" (v.26) zu verstehen ist. Handelt es sich um einen pluralis deliberationis, also einen Plural zur Selbstberatung, oder einen pluralis majestatis, einen Plural der Herrscher und Beherrschte einbezieht, oder religionsgeschichtlich um einen Verweis auf die Vorstellung vom Götterrat? Die göttliche Selbstaufforderung im Plural kann als bewusste Setzung einer traditionell mythischen Redeform im Kontext der Menschenschöpfung verstanden werden. Im Hintergrund steht dabei die polytheistische Vorstellung eines beratenden Thronrates, die hier funktionalisiert ist und unter den Anspruch des einen Schöpfergottes gestellt wird. So verstanden verweist der Plural auf ein Selbstgespräch Gottes, in dem das sich selber entschließende und ermunternde Ich bei seinem eigenen Ich Zustimmung einholt und die im Selbstgespräch entstehende scheinbare Doppelung in ein Wir umsetzt. So muss an dieser Stelle klar betont werden, dass es Gott ist, der den Menschen erschafft, und zwar nicht nach dem Bild der beratenden Götter, sondern nur nach seinem Bild. 4. Der Ausführungsbericht zur göttlichen Selbstaufforderung der Menschenschöpfung spricht zunächst von einem Menschen, der als Bild Gottes geschaffen wird: „Als Bild Gottes schuf er ihn" (v.27), wechselt dann aber gleich in den Plural „Männlich und weiblich schuf er sie" (v.27). In diesem Wechsel vom Singular zum Plural des geschaffenen Menschen zeigt sich die schöpfungsgemäße Gleichheit der Geschlechter. Der Mensch wird in geschlechtlicher Differenzierung männlich und weiblich geschaffen. Beide sind gleichermaßen Bild Gottes. Neuere Auslegungen, die nach Lektüren der Schöpfungserzählungen jenseits einer binären Ordnung fragen, verstehen „männlich und weiblich" als Merismus und damit das gesamte Genderspektrum als in der Schöpfung verankert. Dazu gleich in einem anderen Unterpunkt noch einmal mehr. 5. Wenn die Gott-Bildlichkeit nicht qualitativ im Hinblick auf das Wesen des Menschen gemeint ist, stellt sich die Frage, welche Funktion sie hat. Das Ziel der Menschenschöpfung wird in der göttlichen Selbstaufforderung als Herrschaft benannt: „damit sie herrschen" (v.26), und Gott fordert Mann und Frau zur Inbesitznahme der Erde und Herrschaft auf (v.28). Damit wird ein wesentlicher Unterschied zwischen Tier und Mensch gemacht. Für die beiden Verben כבש „in Besitz nehmen" und רדה „herrschen" wird kontrovers diskutiert, ob sie eher auf eine friedliche oder eine gewalttätige Herrschaft zielen. So wurde רדה mit dem akkadischen Verb redu(m) in Verbindung gebracht, das mit „führen" oder „leiten" positiv-friedliche Konnotationen hat. Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen ökologischen Krise ist es verlockend, diesem Verständnis zu folgen und so Orientierung für die globalen Herausforderungen von Umweltzerstörung und Klimakatastrophe zu erhalten. Für das Alte Testament ist die friedliche Bedeutung der Herrschaftsverben jedoch schwerlich nachzuweisen. Beide hebräischen Verben beziehen sich auf die Ausübung von Gewalt und Macht. Jedoch werden diese gewalttätigen Konnotationen in der ersten Schöpfungserzählung zum einen durch den literarischen Kontext, zum anderen durch die altorientalische Königsideologie relativiert. So steht erstens der Herrschaftsauftrag im Zusammenhang mit dem göttlichen Segen (Gen 1,28) und der Vorstellung von einer guten Schöpfung. Dem Menschen werden die Tiere nicht als Nahrung übergeben, sondern dies ist erst ein Zugeständnis nach der Flut (Gen 9,3). Im Alten Orient allgemein wird zweitens Herrschaft positiv verstanden, insofern es die Aufgabe des Königs ist, die Gesellschaft nach innen und außen zu sichern und das Chaos abzuwehren. Dies umgreift dabei selbstverständlich auch die Anwendung von Gewalt, wie ja auch die Tierwelt für den Menschen der Antike (und auch heute) eine Bedrohung darstellt. Dennoch kann die Funktion der Gott-Bildlichkeit insgesamt darin gesehen werden, Herrschaft in Verantwortung zu übernehmen und als Repräsentant Gottes für die Aufrechterhaltung der gottgewollten gerechten Weltordnung einzustehen. [4.2.) Geschlecht/Geschlechtlichkeit/Sexualität] - [Einleitung] - [Die Erschaffung des Menschen als männlich und weiblich (Gen 1) und das Verhältnis der Geschlechter (Gen 2--3)] - [Der weibliche und männliche Körper (Lev 15)] 1. Wesentlich für die Strukturierung der Wirklichkeit sind im Buch Lev die Grenzziehungen zwischen „heilig" (hebr. קדש) und „profan" (hebr. חל) einerseits und „rein" (hebr. טהור) und „unrein" (hebr. טמא). Heilig bezieht sich dabei auf Gott und alles, was der Gottheit zugehörig ist und der kultischen Verehrung dient. Es geht also zunächst um eine Eigenschaft Gottes, die sich dann aber auch auf Zeiten (z.B. Festtage), Orte (z.B. der Tempel oder das Land), Gegenstände (z.B. Tempelgeräte oder Speisen) und Personen (z.B. die Priester oder das ganze Volk Israel). Zwar stellt Lev 10,10 „heilig" das hebräische Wort für „profan" gegenüber, der eigentliche Gegenbegriff ist aber „unrein". Es geht dabei aber nicht um Reinheit oder Unreinheit im hygienischen oder ethischen Sinn, sondern um die Kult(un)fähigkeit von Gegenständen oder Personen. Als Normalzustand gilt dabei die Reinheit bzw. besser Kultfähigkeit, diese kann jedoch gefährdet und gestört sein, so dass keine Kommunikation mit Heiligen im Kult möglich ist. Unreinheit gilt dabei als übertragbar, das Kultunfähige kann andersherum aber nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums oder durch Waschungen auch wieder in den Zustand der Kultfähigkeit überführt werden. Opfer sind Mittel der Kommunikation von Mensch und Gott und in Lev 15 werden dabei zwei Opferarten erwähnt, das Brandopfer (hebr. עלה) und das Entsündigungsopfer (hebr. חטאת). Das Brandopfer dient dabei ganz ausschließlich der Kommunikation mit Gott, während das Entsündigungsopfer darum geht, was den Menschen von Gott trennt. Mit dem Opfer wird diese Trennung aufgehoben und der Mensch wieder in die Kultgemeinschaft eingegliedert. Das Buch Lev bezeichnet dieses Geschehen mit Versöhnung erwirken (hebr. כפר), wobei hier eine Störung des Gottesverhältnisses vorausgesetzt wird, die der Mensch nicht alleine beseitigen kann. Sühne ist als ein Heilsgeschehen zu verstehen und so wird auch der höchste jüdische Feiertag, der Versöhnungstag (auf hebr. יום הכפורים), mit der selben Verbwurzel bezeichnet. 2. Zum Verständnis des Buches Levitikus ist eine bibelkundliche Verortung im größeren Erzählkontext der Sinaierzählung in Ex 19,1--Num 10,11 hilfreich. Nach dem Auszug aus Ägypten erreicht das Volk Israel den Sinai, den Ort der Gottesoffenbarung. Mose wird die Tora, die Weisung, mitgeteilt, und er erhält Instruktionen zum Bau des Heiligtums, der Wohnung JHWHs (Ex 25,9), die auch Zelt der Begegnung (Ex 27,1) genannt wird. Nach Bundesbruch und Bundeserneuerung (Ex 32--34) wird das Heiligtum errichtet und das Zelt der Begegnung von der Herrlichkeit JHWHs erfüllt (Ex 40,34). Dem narrativen Setting von Levitikus zufolge spricht JHWH nun aus diesem Zelt der Begegnung zu Mose (Lev 1,1) und teilt ihm die dem Heiligtum entsprechende Ordnung mit. Die Texte des Buches Lev sind keine Ritualvorschriften, sondern erzähltes Ritual, von dem aus nicht ohne Weiteres auf eine kultische Realität geschlossen werden kann. In entstehungsgeschichtlicher Hinsicht dürften die Texte wohl eher die Praxis des zweiten Tempels widerspiegeln, die auf den scheinbar idealen Ur-Anfang Israels rückprojiziert wird. 3. Lev 15 gehört nun zu den Texten, die eine Ordnung entwerfen, wie auf die alltäglichen Gefährdungen der Reinheit (also der Kultfähigkeit) zu reagieren ist. Eine Möglichkeit des Zugangs zu diesem Text ist dabei zu schauen, wie in diesem der Körper durch die Art und Weise, wie wir darüber reden konstruiert wird. Ein solcher Zugang zu den biblischen Texten setzt Einsichten aus den Kulturwissenschaften und Gender Studies voraus. Breiter rezipiert wurden im Bereich der alttestamentlichen Exegese die kulturanthropologischen Arbeiten der Ethnologin M. Douglas (1921--2007). In Purity and Dager (1966) legte sie dabei dar, dass es keine vorgegebene Ordnung der Natur gibt, sondern diese immer sozial konstruiert ist. Im Bereich der Gender Studies bzw. der Queer Theology sind schließlich die Arbeite von J. Butler (\*1956) zu nennen. In ihrem Hauptwerk Gender Trouble (1990) stellt sie die Existenz einer binären Ordnung radikal in Frage und die Unterscheidung von Frauen und Männern wird nach ihr diskursiv hergestellt. Damit wird dann auch die Unterscheidung von sex als biologischem und gender als sozialem Geschlecht hinfällig. Der Körper, sex als biologisches Geschlecht, wird ebenso wie gender erst durch kulturelle Zuschreibungen erzeugt. Jede Rede vom Körper ist immer schon geprägt durch die Vorstellungen von weiblich und männlich, die eine Gesellschaft hervorbringt. 4. Auch Lev 15 lässt sich als ein Text verstehen, mit dem zum einen die symbolische Ordnung über die Vorstellungen von „rein" und „unrein" entsteht und aufrechterhalten wird und mit dem zum anderen der Körper in einer geschlechtlichen Dualität bestimmt wird. Den Text finden Sie auf einem separatem Textblatt und ich möchte Sie nun zunächst bitten, sich diesen einmal in Ruhe durchzulesen. Lev 15 ist kein Ritualtext, sondern wird als JHWH-Rede an Mose und Aaron als Anordnung für das ganze Volk Israel präsentiert (v.1--2b). Die Bestimmungen zu Ausflüssen beim Mann und bei der Frau sind dabei chiastisch angeordnet. Differenziert wird beim Mann dabei zwischen Ausfluss (2c--15) und Samenerguss (16--18) und bei der Frau zwischen der Blutung der niddah (19--24) und Blutungen außerhalb der niddah (25--30). Zwar wird der Geschlechtsverkehr aus der Perspektive des aktiven Mannes beschrieben, während die Frau als Objekt seiner Handlungen gilt (v. 18.24). Trotzdem ist Lev 15 in seinen Ausführungen weder misogyn noch werden Körper, Geschlechtlichkeit oder Sexualität abgewertet. Dau lassen sich mehrere Beobachtungen machen. i. Der Text beschreibt die Vorgänge neutral und ordnet sie in die Koordinaten des Rein-unrein-Systems ein. Der Körper ist der Ort der Kultfähigkeit. Es handelt sich um ein positiv besetztes Körperkonzept. ii. Die Anrede als Söhne Israels ist inklusiv zu verstehen. An anderer Stelle (Lev 6,11) wird explizit markiert, dass nur Männer angesprochen sind. iii. Die Bestimmungen zeigen Frauen als kultische Subjekte, da sie aufgefordert sind, die Opfertiere zum Priester zu bringen. iv. Dass Sexualität nicht abgewertet wird, zeigt auch die Selbstverständlichkeit, mit der Saul sich das Fernbleiben Davids beim Festmahl mit kultischer Unreinheit aufgrund eines Vorfalls, so die euphemistische Umschreibung des Samenergusses, erklärt (1 Sam 20,26). - [Liebe und Erotik als Kraft des Lebens (Hld 4)] 1. Im Blick des Hohelieds auf den weiblichen und männlichen Körper und in der Mehrdeutigkeit seiner Metaphern entsteht ein gegenseitiges erotisches Begehren, das realen Verhältnissen historisch nicht entsprach und vielerorts nicht entspricht. Das Hohelied wurde daher lange allein allegorisch-typologisch verstanden und die in Bezug auf Frau und Mann beschriebene Liebe auf Israel und JHWH bzw. die Kirche und Christus hin ausgelegt. Damit ginge es gar nicht um die Liebe zwischen Mann und Frau. Die Tatsache, dass Gott im Hohelied als Figur nicht auftritt und dass v.a. in prophetischen Texten das Verhältnis von JHWH und Israel explizit als Beziehung von Mann und Frau beschrieben wird, begünstigt diese Lektüre. Seit der Aufklärung und der Übersetzung des Hohelieds durch Johann Gottfried Herder (1778) gelten die „Lieder der Liebe", also das Hohelied, jedoch als Sammlung profaner Liebeslieder. Als solche wurden sie auch in der Exegese lange Zeit betrachtet, während in jüngerer Zeit diskutiert wird, ob der Text nicht schon zu seiner Entstehungszeit auf die Liebe von Gott und Israel bezogen wurde. 2. Unabhängig von dieser Frage kommen im Hohelied Vorstellungen über menschliche Sexualität und gegenseitige Zuneigung und Liebe zur Sprache. In diesem finden sich kein Verweis auf eine institutionelle Einbindung der Sexualität im Rahmen einer Ehe, kein Verweis auf die in einer patriarchalen Kultur dominante Figur des Vaters, kein Verweis auf eine auf Fruchtbarkeit und Fortpflanzung ausgerichtete Sexualität. Vielmehr wird der Text eröffnet mit der Rede der Frau: „Er küsse mich mit Küssen seines Mundes, denn deine Liebe ist besser als Wein" (Hld 1,2). Von Anfang an stehen weibliches Begehren und Handeln sowie die Rauschhaftigkeit und damit auch Unkontrollierbarkeit der Sexualität im Vordergrund. Der Übergang von ersehnter und erfolgter Begegnung ist dabei fließend. Während die legislativen Texte auf den Status-Erhalt des Mannes abzielen und eine hierarchische Sexualität kennen, beruht das Verhältnis der Liebenden im Hohelied auf Gegenseitigkeit: „Mein Geliebter ist mein, und ich bin sein, der in den Lilien weidet." (Hld 2,16; vgl. 6,3; 7,11). 3. Aufschlussreich für das Verständnis des Hohelieds sind ethnologische Forschungen im antiken und gegenwärtigen Mittelmeerraum und Mittleren Orient. Sie zeigen in Kulturen, in denen weibliche Sexualität patriarchal gesteuert wird, alternative weibliche Diskurse, die sich in erotischer Liebeslyrik widerspiegeln. Auf diese Wiese könnten Gefühle geäußert werden, die die vorherrschende Kultur nicht erlauben würde. Das Hohelied könnte so als alternativer Diskurs gegenüber der bestimmenden sozialen Ordnung verstanden werden. Es lässt sich als Ausdruck weiblicher Selbstbestimmtheit und der Sehnsucht nach einem ebenbürtigen Liebesverhältnis verstehen. Dennoch finden sich jedoch auch Hinweise auf männliche Dominanz und Gewalt, die durch das Kollektiv der Brüder und das der Wächter verkörpert wird. Die Brüder kontrollieren einerseits das Verhalten der Schwester, also das weibliche Ich (Hld 1,6; 8,8--10), andererseits sind sie die einzigen legitimen männlichen Kontakte einer Frau in der Öffentlichkeit (Hld 8,1). Die Wächter werden sogar dem weiblichen Ich gegenüber gewalttätig und schlagen es (Hld 5,7). Beide Diskurse, der dominierende öffentliche und der alternativ private Diskurs, finden sich folglich im Hohelied. Das Bild, das im Hohelied von Sexualität gezeichnet wird, darf also nicht verwechselt werden mit dem Verständnis von Liebe im alten Israel. Es kann vielmehr verstanden werden als „Sehnsuchtsliteratur" im doppelten Sinn: Es bringt die Sehnsucht der Geliebten nacheinander zu Sprache, und es drückt die Sehnsucht nach einem Liebesverhältnis aus, das gesellschaftlichen Konventionen widerspricht. Parallelen zum Hohelied lassen sich sowohl im mesopotamischen, im altägyptischen als auch im griechischen Raum finden, wobei die größte Nähe zu Liebesliedern aus dem alten Ägypten besteht. Einzelne Lieder des biblischen Hohelieds und auch die Sammlung der Lieder mögen schon in spätvorexilischer Zeit entstanden sein, letztlich kann als Argument für die Datierung jedoch nur die Sprache des Textes gelten, die in die hellenistische Zeit, in das 3. Jahrhundert v. Chr., verweist. - [Perversion von Sexualität und Gewalt (2 Sam 13)] 1. Bei 2 Sam 13 handelt es sich um zwei kunstvoll aufgebaute Erzählungen, die sich aus dem Erzählkontext von 1 und 2 Sam lösen, in dem der Übergang von der königslosen dezentralen Organisation hin zum Königtum beschrieben wird. Thema der ersten Erzählung (1--22) ist die Vergewaltigung Tamars, Thema der zweiten die Ermordung Amnons durch seinen Bruder Abschalom, die Jonadab damit begründet, dass dieser seine entehrte Schwester gerächt habe (23--29). 2. Auch wenn beide Erzählungen jeweils in sich und als Erzählfolge abgeschlossen sind, sind sie fest in den Kontext der David bzw. Abschalo-Erzählungen eingebunden. Bereits auf den ersten Blick lassen dies die Bezeichnungen der Figuren erkennen. Abschalom und Amnon, die beide bislang nur in einer Notitz, die die sechs Söhne Davids aufzählt, Erwähnung fanden (2 Sam 3,2--3), werden als Söhne Davids, des Königs, vorgestellt, und Jonadab als Sohn eines Bruders Davids. Was sich hier in einer Familie ereignet, hat politische Bedeutu

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