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399   27. Persuasions- und Botschaftsstrategien...

399   27. Persuasions- und Botschaftsstrategien Matthias R. Hastall Definitionen des Begriffs Gesundheitskommuni- die Änderungen von Einstellungen zum Risiko- kation beinhalten häufig den Aspekt der Beein- und Schutzverhalten flussung einer Zielgruppe durch Botschaften, um die Intention zur weiteren Informationssuche positive gesundheitliche Effekte zu bewirken die Intention zur Änderung des Gesundheits- (Schiavo, 2007). Solche strategisch initiierte Kom- verhaltens munikation mit dem Ziel, «beim Empfänger einer die Änderung des Gesundheitsverhaltens (z. B. Botschaft Einstellungen beziehungsweise Verhal- reduzierte Ausübung von Risikoverhalten, Aus- tensweisen gegenüber einem Thema (Einstel- führung von Schutzverhalten, Erwerb gesund- Fernfachhochschule Schweiz Brig / 83.150.44.84 (2024-06-14 09:09) lungsobjekt) zu formen, zu verstärken oder zu än- heitsförderlicher Produkte oder Dienstleistun- dern», wird als Persuasion bezeichnet (Janetzko, gen). 2007, S. 298; siehe auch Wirth & Kühne, 2013). Die Frage, wie Botschaften gestaltet sein müssen, Als nichtintendierte Effekte sind insbesondere um überzeugend zu sein, wird seit Jahrhunderten ­Abwehrreaktionen wie z. B. Reaktanz, Botschafts- debattiert. In diesem Kapitel werden wichtige bot- vermeidung oder Bumerangeffekte zu nennen schaftsbasierte Persuasionsstrategien vorgestellt (Hastall, 2012), die eine Verschlechterung des und Empfehlungen für ihren Einsatz in der Praxis Gesundheitsverhaltens bewirken können. Eine ­ herausgearbeitet. Zuvor jedoch erfolgen einige Vermeidung negativer Effekte sollte explizites Ziel einleitende Überlegungen zur effektiven Persuasi- jeder Kommunikationsplanung sein und ins­ on mittels Gesundheitsbotschaften. besondere bei der Wahl der Botschaftsstrategie ­berücksichtigt werden. Botschaftswirkungen: Zuwendung als Grundlage persuasiver Arten und Randbedingungen Botschaftswirkungen Grundsätzlich lässt sich unterscheiden, ob mit ei- Damit eine Botschaft ihr persuasives Potenzial ner Gesundheitsbotschaft eine vom Kommunika- entfalten kann, muss sie zunächst von der Zielper- tor intendierte gesundheitsrelevante (d. h. persua- son wahrgenommen werden. Es bedarf also eines sive) Wirkungsabsicht verbunden ist und ob der initialen Kontakts zwischen Botschaft und Emp- Kontakt mit der Botschaft keine, gesundheitsförder­ fänger, was eine sorgfältige Mediaplanung erfor- liche, gesundheitsschädliche oder sowohl gesund­ dert (Unger et al., 2007). Der reine Kontakt reicht heitsförderliche als auch -schädliche Wirkungen allerdings nicht, da Menschen vielfältige Möglich- auf die Rezipientinnen und Rezipienten hatte keiten haben, unangenehmen oder irrelevanten (Fromm, Baumann & Lampert, 2011, S. 122). Zu Botschaften auszuweichen und davon bei der täg- den wichtigsten intendierten Wirkungen der Ge- lichen Medienzuwendung intensiv Gebrauch ma- sundheitskommunikation, die eine jeweils ange- chen. Aufmerksamkeit von der Zielgruppe zu er- passte Botschaftsstrategie erfordern können, zäh- halten ist oft herausfordernd, da «jene, die (noch) len insbesondere: keine gesundheitlichen Probleme haben, kein aus- die Sensibilisierung für Gesundheitsrisiken geprägtes Interesse an gesundheits- und krank- die Wissenszunahme bezüglich Risiken und heitsbezogenen Themen aufweisen» (Fromm, Schutzmöglichkeiten Baumann & Lampert, 2011, S. 128). Aufmerksam- © 2014 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Klaus Hurrelmann, Eva Baumann; Handbuch Gesundheitskommunikation. 1. Auflage. 400 Teil 5: Anbieter- und Angebotsperspektiven der Gesundheitskommunikation keit und persuasive Wirkung stehen zueinander beitung von Botschaften, bereichsspezifisches oft in einem gewissen Spannungsverhältnis – in- Vorwissen, bisheriges Gesundheitsverhalten, haltlich überzeugende Botschaften sind nicht subjektive Bedeutung des Risikoverhaltens, automatisch aufmerksamkeitsstark und auf­ ­ Mediennutzungsverhalten sowie Einschätzung merksamkeitsstarke Botschaften wie drastische der Handlungskompetenz Furchtappelle nicht zwangsläufig persuasiv. Eine Merkmale der Rezeptionssituation: zum Beispiel effektive Gesundheitsbotschaft im Sinne dieses Ka- normative Sichtweisen auf die Ausübung von pitels ist damit eine, die aufgrund ihrer spezifi- Risiko- und Schutzverhalten, Verfügbarkeit schen inhaltlichen und formalen Gestaltung (1) von Möglichkeiten zur Umsetzung des emp- ein Mindestmaß an selektiver Zuwendung und fohlenen Verhaltens, Anzahl und Art parallel mentaler Verarbeitung durch die Zielgruppe er- verfügbarer Botschaften sowie sozialer Druck fährt, und als Resultat hiervon (2) die intendierten zur Umsetzung oder Nichtbeachtung empfoh- gesundheitsförderlichen Effekte auslöst, (3) ohne lener Verhaltensänderungen dabei nennenswerte negative Effekte hervorzuru- Merkmale des Gesundheitsrisikos: zum Beispiel Fernfachhochschule Schweiz Brig / 83.150.44.84 (2024-06-14 09:09) fen. Konsequenterweise sollten diese drei Aspekte die Art des Risikos oder die Wahrscheinlichkeit als separat zu testende beziehungsweise zu berück- und Schwere kurz- und langfristiger Konse- sichtigende Aspekte der Effektivität von Bot- quenzen schaftsmerkmalen betrachtet werden, was bislang Merkmale des propagierten Schutzverhaltens: aber kaum erfolgt. zum Beispiel Einfachheit, soziale Akzeptanz, Effektivität und aufzubringende Kosten. Sichtweisen auf Botschaftswirkungen Streng genommen sind verallgemeinernde Aussa- gen über die Effektivität von Botschaftsstrategien Frühe Forschungsarbeiten der Persuasionsfor- ohne exakte Spezifizierung der jeweiligen Randbe- schung basierten oft auf der Annahme eines «me- dingungen unzulässig, zumindest potenziell irre- chanistischen Stimulus-Response-Modell[s] von führend. Allerdings liegen bislang für kaum eine unidirektionalen Medienwirkungen» (Bonfadelli, Strategie ausreichend Forschungsarbeiten vor, um 2000, S. 103). Dieser Sichtweise zufolge rufen Bot- entsprechend spezifische Aussagen treffen zu kön- schaften bei allen Botschaftsempfängern direkt – nen. Vor dem Einsatz der nachfolgend diskutier- also ohne zwischengeschaltete Prozesse – identi- ten Strategien ist daher stets zu prüfen, inwieweit sche und starke Effekte hervor. Schnell zeigte sich, verfügbare Untersuchungen tatsächlich dafür dass Menschen unterschiedlich auf identische Bot- sprechen, dass der jeweilige persuasive Ansatz bei schaften reagieren, weswegen heute überwiegend der Zielgruppe, dem thematisierten Gesundheits- «multiple, komplexe, mediatisierende und mode- risiko und dem kommunizierten Zielverhalten er- rierende Prozesse» als entscheidend für Bot- folgversprechend ist. schaftswirkungen angesehen werden (Wirth & Kühne, 2013, S. 314). Die Nutzung, Verarbeitung und Wirkung von Botschaften lässt sich als dyna- Zugänge zum strategischen Botschaftsdesign mische Interaktion mehrerer Einflussfaktoren auffassen: Gesundheitsbotschaften können sehr unterschied­ Merkmale der Botschaft: zum Beispiel inhaltli- liche Formen annehmen – das Spektrum reicht von che und formale Eigenschaften der Botschaft Broschüren, Aufklebern, Newslettern, Plakaten sowie Spezifika des Distributionskanals oder Informationsbriefen über Zeitschriftenarti- Merkmale der Rezipientinnen und Rezipienten: kel, Fernsehspots, virale Internetvideos und Fern- zum Beispiel demografische Merkmale, dispo- sehserien bis hin zu Arzt-Patient-Gesprächen und sitionelle Persönlichkeitsmerkmale wie Ängst- Informationsständen. Jeder Distributionskanal lichkeit, Fähigkeit und Motivation zur Verar- bietet spezifische Vor- und Nachteile, die bei der © 2014 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Klaus Hurrelmann, Eva Baumann; Handbuch Gesundheitskommunikation. 1. Auflage. 27. Persuasions- und Botschaftsstrategien 401 Gestaltung der Botschaft berücksichtigt werden kurz vorgestellt. Unterstellt wird bei der Diskussi- sollten (Salmon & Atkin, 2003). Eine Gesund- on stets, dass grundlegende Qualitätskriterien von heitsbotschaft besteht zudem aus vielen formalen Botschaften wie die Korrektheit der Rechtschrei- und inhaltlichen Elementen, deren komplexes bung, der Grammatik, des Ausdrucks und der dar- ­Zusammenspiel über die Selektion und Wirkung gestellten Fakten gegeben sind und die Botschaft entscheidet. Slogans, Jingles, Logos, Schriftarten, insgesamt glaubwürdig und professionell gestaltet Farben, Bildmotive, Wortwahl, Attraktivität und anmutet. Zudem sollte jede Botschaft möglichst so Glaubwürdigkeit abgebildeter Personen, Über- zielgruppenspezifisch wie möglich gestaltet sein schriften, nonverbale Signale, Vertrauenswürdig- (Kreuter & Wray, 2003), was allerdings substan- keit der Botschaftsquelle, Musikuntermalung, zielles Wissen über relevante Eigenschaften der Größe und Anordnung der Elemente – viele As- Rezipienten voraussetzt. Hierzu zählt auch eine pekte können die Zuwendung, Verarbeitung und realistische Einschätzung der Zielgruppe bezüglich persuasiven Wirkungen einer Botschaft beeinflus- deren Motivation zur Abwehr des Kontakts oder sen (Armstrong, 2010; Larson, 2013). Grundsätz- zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Fernfachhochschule Schweiz Brig / 83.150.44.84 (2024-06-14 09:09) lich bietet sich daher ein ganzheitlicher – also ein Botschaftsinhalt (Hastall, 2012). alle potenziell einflussreichen Elemente und ihre spezifischen Interaktionen berücksichtigender – Blick auf persuasive Botschaftsstrategien an. In konzeptioneller Hinsicht ist es zudem wichtig, klar Klassische Botschaftsstrategien zwischen Merkmalen einer Botschaft und den der Gesundheitskommunikation (intendierten, antizipierten oder tatsächlichen) ­ ­Effekten bei den Rezipientinnen und Rezipienten Die bislang vorliegenden Systematisierungen zu zu ­unterscheiden (O’Keefe, 2003). Merkmale von Botschaftsstrategien (z. B. Cho, 2011; Keller & Botschaften sind in der Regel eindeutig bestimm- Lehmann, 2008; Maibach & Parrott, 1995; Sellnow bar. Ein direkter Schluss von Botschaftseigen- et al., 2009; Witte, Meyer & Martell, 2001) sind schaften auf Effekte der Rezipienten ist jedoch un- überwiegend stark disziplinär geprägt. Nachfol- zulässig – die tatsächlich ausgelösten Muster aus gend wird zunächst ein Überblick über Strategien Emotionen und Kognitionen sind kaum sicher gegeben, die bislang am häufigsten im Kontext der prognostizierbar. Aussagenlogisch sowie für die Gesundheitskommunikation sowie der Gesund- Kommunikationspraxis am relevantesten er- heitspsychologie erforscht wurden. Im Anschluss scheint es daher zu analysieren, welche klar defi- werden Zugänge aus anderen Disziplinen ange- nierbaren Merkmale der Botschaften unter wel- sprochen, deren stärkere Berücksichtigung im chen Randbedingungen bei welchen Rezipienten Kontext der Gesundheitskommunikation vielver- welche intendierten sowie unbeabsichtigten Wir- sprechend erscheint. kungen auslösen. Nachfolgend stehen inhaltliche Botschaftsstra- tegien im Vordergrund, die aber durchaus durch Konsequenzen des Gesundheitsverhaltens formale Merkmale der Botschaft umgesetzt oder unterstützt werden können. Basis derartiger kom- Viele Gesundheitskampagnen werden mit dem munikativer Interventionen ist die Erkenntnis, Ziel initiiert, eine Gesundheitsbedrohung abzuwen- dass bereits kleine inhaltliche Änderungen an Bot- den oder deren Folgen zu minimieren. Dement- schaften Unterschiede in der Zuwendung und sprechend naheliegend mag es sein, diese Gefahr Überzeugungskraft bewirken können. Der Begriff in der Botschaft klar zu kommunizieren; ein Ex­ Framing bezeichnet eine solche «Betonung be- tremfall hiervon wird später unter dem Stichwort stimmter thematischer Aspekte der Realität auf Furchtappell noch separat diskutiert. Die Frage, Kosten anderer» (Schemer, 2013, S. 157). Mehrere welche Arten von Verhaltenskonsequenzen auf entsprechende Strategien werden nachfolgend welche Weise kommuniziert werden sollten, wird © 2014 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Klaus Hurrelmann, Eva Baumann; Handbuch Gesundheitskommunikation. 1. Auflage. 402 Teil 5: Anbieter- und Angebotsperspektiven der Gesundheitskommunikation in verschiedenen Forschungstraditionen kontro- Zustände (z. B. Angst, Besorgnis, Stolz, Wohlbefin- vers diskutiert. den), den sozialen Status (z. B. Ablehnung vs. Be- Gewinn-Verlust-Framing. Eine grundsätzliche wunderung durch andere Personen), Freiheit und Unterscheidung betrifft die Frage, ob Gesund- Mobilität (z. B. Einschränkungen durch Kranken- heitsbotschaften (1) drohende Verluste eines hausaufenthalte oder Verbesserungen durch er- ­Ignorierens der empfohlenen Verhaltensänderung höhte Fitness), den rechtlichen Status (z. B. Verur- oder stattdessen (2) mögliche Gewinne bei deren teilungen oder Vorstrafen für bestimmte Arten des Befolgen betonen. Relativ viele Untersuchungen Risikoverhaltens), zeitliche und finanzielle Ressour­ haben die relative Effektivität von Botschaften mit cen, das Aussehen und die körperliche Attraktivität einem Gewinnframe (Gain-Frame, z. B. «Nichtrau- beziehungsweise die Attraktivität für potenzielle Se­ cher sind fitter!») und einem Verlustframe (Loss- xualpartner sowie das Selbstwertgefühl. Bislang feh- Frame, z. B. «Raucher sterben 15 Jahre früher») len noch Forschungsarbeiten, in denen die Wirk- verglichen. Die Befunde mehrerer Metaanalysen samkeit einer Betonung dieser Konsequenzen für (O’Keefe & Jensen, 2006, 2007, 2008, 2009; verschiedene Zielgruppen und Gesundheitsrisiken Fernfachhochschule Schweiz Brig / 83.150.44.84 (2024-06-14 09:09) O’Keefe & Nan, 2012) sprechen dafür, dass keiner systematisch verglichen wurden. Häufiger kontras- der Frames dem jeweils anderen generell überle- tiert wurden lediglich die Betonung körperlicher gen ist. Die Wirksamkeit scheint stattdessen vom versus sozialer Konsequenzen; hier zeigen die Be- Gesundheitsrisiko, der Art der propagierten Ver- funde, dass insbesondere bei jugendlichen Ziel- haltensänderung und von Persönlichkeitsmerk- gruppen eine Betonung sozialer Konsequenzen malen der Rezipientinnen und Rezipienten ab­ wirksamer sein kann als der alleinige Fokus auf zuhängen. Verlustframes erscheinen persuasiver, körperliche Gefahren (Keller & Lehmann, 2008; wenn ein Detektionsverhalten (z. B. Früherken- Reifegerste, 2013). nung) empfohlen wird. Gewinnframes sind über- Vermeidungstendenzen und Konsequenzen zeugender, wenn Präventionsverhalten (z. B. ge- der Rezeption. Nicht nur die Übernahme bezie- sündere Ernährung) motiviert werden soll und hungsweise Nicht-Übernahme der empfohlenen scheinen auch eine stärkere Beschäftigung mit Verhaltensänderung hat relevante Konsequenzen ­Gesundheitsbotschaften zu bewirken. Relativ gut für die Rezipientinnen und Rezipienten, sondern bestätigt ist, dass Gewinnframes überzeugender als bereits die vorgelagerte Stufe einer Entscheidung Verlustframes sind bei Rezipienten mit einer über die Rezeption oder Vermeidung der Gesund­ ­hohen Sensitivität für belohnende Reize – und vice heitsbotschaft. Hierbei können insbesondere anti- versa (Mann, Sherman & Updegraff, 2004; Yan, zipierte Kosten (z. B. Zeitaufwand, mentale Ener- Dillard & Shen, 2012). Zudem scheint ihre gie), Kognitionen (z. B. Sorgen bezüglich des Wirksamkeit von den Ausprägungen anderer ­ Gesundheitszustandes, Abwägen der Risiken) oder ­Botschaftsmerkmale abhängig zu sein (Hastall & Gefühlszustände (Furcht, Ekel, Gefühle der Ver- Sukalla, 2013). letzlichkeit oder Manipulierbarkeit) eine Rolle Arten der dargestellten Konsequenzen. Ange- spielen. In der Summe ergeben sich so individuelle sichts der bei vielen Akteuren der Gesundheits- und komplexe Konstellationen antizipierter Chan- kommunikation anzutreffenden biomedizinischen cen und Gefahren, deren Kenntnis für ein Ver- Sichtweise auf Gesundheit und Krankheit (Lippke ständnis des Umgangs mit strategischen Botschaf- & Renneberg, 2006) überrascht kaum, dass sich die ten essenziell erscheint. in Botschaften betonten Konsequenzen überwie- gend auf körperliche beziehungsweise biologische Zu­ stände beziehen. Das Spektrum möglicher – positi- Determinanten von Verhaltensänderungen ver wie negativer – Konsequenzen ist allerdings wesentlich umfangreicher. Zu nennen wären bei- Im Rahmen der stark gesundheits- beziehungs- spielsweise Konsequenzen für kognitive Zustände weise verhaltenspsychologisch geprägten For- (z. B. Unsicherheit, Wissenszuwachs), emotionale schung zu Determinanten des Gesundheitsver­ © 2014 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Klaus Hurrelmann, Eva Baumann; Handbuch Gesundheitskommunikation. 1. Auflage. 27. Persuasions- und Botschaftsstrategien 403 haltens wurden viele Botschaftsmerkmale Emotionale Appelle identifiziert, die adaptive Verhaltensänderungen fördern. Gleich mehrere Ansätze stimmen darin Emotionale Appelle setzen zur Erreichung ihres überein, dass die (1) Einschätzung der Bedrohlich­ persuasiven Zieles nicht primär auf Einsicht oder keit eines Risikos und die (2) Einschätzung der eige­ Wissen der Rezipientinnen und Rezipienten, son- nen Bewältigungsmöglichkeiten – neben weiteren dern auf das Erzeugen spezifischer Gefühlszustän- Faktoren – hierfür entscheidend sind (z. B. Laza- de. Abgesehen von Arbeiten zu Furchtappellen ge- rus & Folkman, 1984; Maddux & Rogers, 1983; langten emotionale Appelle erst jüngst wieder Schwarzer, 2008; Witte, 1992). Dem Extended verstärkt in den Fokus der Gesundheitskommuni- ­Parallel Process Model (EPPM; Witte, 1992) sowie kation – nicht zuletzt, weil der große Einfluss af- der revidierten Protection Motivation Theory fektiver Zustände auf Entscheidungen und Ver- (PMT; Maddux & Rogers, 1983) zufolge ist die haltensweisen immer deutlicher wird (Das, 2012; Bedrohlichkeit eine Funktion des wahrgenomme­ Keer et al., 2013). Ein grundsätzliches Problem ist, nen Schweregrads einer Bedrohung und der wahr­ dass es selbst für Expertinnen und Experten so gut Fernfachhochschule Schweiz Brig / 83.150.44.84 (2024-06-14 09:09) genommenen persönlichen Betroffenheit davon. Die wie unmöglich ist, sicher zu prognostizieren, wel- Bewältigungseinschätzung wiederum ist als Funk- che Botschaft welche emotionalen Reaktionen – tion der Selbstwirksamkeitserwartung (d. h. der oder welche parallelen Emotionen – in welcher Überzeugung der Rezipienten, die empfohlene Stärke auslöst, was ganz besonders für negativen Verhaltensänderung ausführen zu können) und Affekt zu gelten scheint (Dillard & Peck, 2000; Dil- der Ergebniserwartung (d. h. der wahrgenomme- lard et al., 1996). nen Effektivität der empfohlenen Verhaltensän- Negativer Affekt. Für Rezipientinnen und Re- derung zur Abwendung der Bedrohung) konzi- zipienten ist die Konfrontation mit einem Ge- piert. Ohne Wahrnehmung einer Bedrohung sundheitsrisiko oder einer Krankheit fast immer kommt es dem EPPM zufolge zu keiner Reaktion. eine unangenehme Information. Entsprechend Adaptive Verhaltensänderungen wiederum sind sind negative emotionale Reaktionen auf Risiko- nur zu erwarten, wenn eine Bedrohung wahrge- informationen (d. h. Botschaften über ein poten- nommen wird und die Einschätzung der eigenen ziell relevantes Gesundheitsrisiko) wahrschein­ Selbstwirksamkeit zur Bewältigung positiv aus- licher als positive Reaktionen. Viele strategische fällt. Werden die Bewältigungsmöglichkeiten hin- Botschaften versuchen, negative Emotionen her- gegen als ungenügend beurteilt, sind Botschafts- vorzurufen oder zu verstärken, um ihr persuasives abwehrprozesse wahrscheinlich. Die empirischen Ziel zu erreichen. Fünf damit verbundene Proble- Befunde stützen die Annahmen des EPPM, insbe- me seien gleich vorab angesprochen: Erstens wer- sondere die Bedeutung einer hohen Selbstwirk- den negative Emotionen als unangenehm und be- samkeitswahrnehmung für adaptive Verhaltens- lastend erlebt, wodurch Botschaftsvermeidung änderungen (Peters, Ruiter & Kok, 2013; Witte & wahrscheinlicher wird (Case et al., 2005). Zwei- Allen, 2000). Überdies zeigen Metaanalysen zum tens können stark emotionale Botschaften als zu Health Belief Model, dass die wahrgenommenen manipulativ erlebt werden, was ebenso Ableh- Vorteile (Benefits) und Barrieren ebenso sehr star- nung (Brehm, 1966) oder Bumerangeffekte ke Prädiktoren zur Übernahme von Verhaltens- ­(Byrne & Hart, 2009) bewirken kann. Drittens änderungen sind (Carpenter, 2010; Janz & Becker, gibt es Hinweise darauf, dass stark negative 1984), weswegen sie bei der Konstruktion strate- ­emotionale Appelle wie Furchtappelle psychische gischer Gesundheitsbotschaften berücksichtigt Probleme bei den Rezipienten verursachen oder werden sollten. verstärken können (z. B. Hyman & Tansey, 1990). Viertens sind negative Abstrahlungseffekte auf das Image der kommunizierenden Institution zu ­erwarten. Und fünftens können rechtliche Ein- schränkungen für das Erzeugen von Furcht und © 2014 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Klaus Hurrelmann, Eva Baumann; Handbuch Gesundheitskommunikation. 1. Auflage. 404 Teil 5: Anbieter- und Angebotsperspektiven der Gesundheitskommunikation Angst zu Werbezwecken zu beachten sein (Gelb- Sonstige negativ-emotionale Appelle. Ver- rich & Schröder, 2008). gleichsweise selten wurden im Kontext der Ge- sundheitskommunikation Appelle untersucht, Furchtappelle. Furchtappelle sind die bei den Botschaftsempfängern Scham- oder Schuldgefühle, Ekel, Verärgerung, Wut oder Hass persuasive Botschaften, die Einstellung und Verhal­ auslösen sollen. Auch hier gilt, dass der Einsatz ten zu beeinflussen versuchen, indem sie – durch An­ vorsichtig erfolgen sollte, da unerwünschte Bot- drohung negativer Konsequenzen – die Emotion schaftseffekte möglich sind. Schuldgefühle haben Furcht hervorrufen und dann eine Handlungsempfeh­ sich insbesondere zur Motivation altruistischen lung zur Abwendung der Bedrohung aussprechen Verhaltens als hilfreich erwiesen, Scham hingegen (Gelbrich & Schröder, 2008, S. 2). scheint eher negative Effekten wie Verärgerung oder eine Bewertung der Botschaften als stark Die Überzeugung durch Furcht gehört zu den äl- ­manipulativ zu bewirken (Armstrong, 2010; Bou- testen Überzeugungsstrategien, allerdings auch dewyns, Turner & Paquin, 2013). Ein Auslösen Fernfachhochschule Schweiz Brig / 83.150.44.84 (2024-06-14 09:09) zu den umstrittensten (siehe Hastall, in Druck). von Ekel gilt in der Werbung als problematisch, Furchtappelle werden zwar intuitiv von vielen scheint aber in einigen Fällen die Persuasionskraft Personen für überzeugend gehalten (ten Hoor von Furchtappellen zu erhöhen (Morales, Wu & et al., 2012), die seit den 1950er-Jahren aktive Fitzsimons, 2012). Ein strategisches Auslösen von Furchtappellforschung kommt aber zu einem Verärgerung, Wut oder Hass gilt zwar in der poli- weniger eindeutigen Fazit. Ihre Wirksamkeit tischen Kommunikation als effektiv (Armstrong, scheint von einer Reihe weiterer Einflussfaktoren 2010; Larson, 2013), ist im Kontext der Gesund- abzuhängen und ist relativ schwierig prognosti- heitskommunikation aber kaum untersucht und zierbar. Positive Wirkungen auf gesundheitliche vermutlich nur für wenige Anwendungsfälle sinn- Einstellungen und Verhaltensweisen sind am voll einsetzbar (z. B. bei Protestkampagnen gegen wahrscheinlichsten, wenn bei den Rezipientinnen Genitalverstümmelungen). und Rezipienten eine sehr starke Selbstwirksam- Positiver Affekt. Das Erzeugen positiver Emoti- keitswahrnehmung bezüglich des empfohlenen onen und Assoziationen ist in der kommerziellen Schutzverhaltens vorliegt. Ist dies nicht der Fall Werbung weit verbreitet, mag im Kontext der oder werden die Appelle aus anderen Gründen Kommunikation bedrohlicher Gesundheitsrisiken für zu bedrohlich, abstoßend oder manipulativ jedoch zunächst schwierig umsetzbar oder kontra- gehalten, sind negative Wirkungen wie Reaktanz, produktiv anmuten. Bei näherer Betrachtung Botschaftsabwehr und Bumerangeffekte sehr ­finden sich jedoch mehrere Ansatzpunkte dafür, wahrscheinlich (Peters et al., 2013; Witte & Allen, beispielsweise durch ein Betonen der vielfältigen 2000). Da sowohl negative wie positive Wirkun- kurz- wie langfristigen positiven Konsequenzen gen gut dokumentiert sind, sollte der Einsatz nur des Ausübens vieler Schutzverhalten. Positive nach sorgfältiger Kosten-Nutzen-Abwägung er- Emotionen gerieten erst jüngst wieder verstärkt in folgen und idealerweise von einem fortlaufenden den Fokus der Gesundheitskommunikation und Monitoring zur schnellen Identifikation uner- erscheinen hier aus mehreren Gründen interes- wünschter Effekte begleitet sein. In konzeptionel- sant. Positive affektive sowie insbesondere Hu- ler Hinsicht herausfordernd ist zudem, dass mor-Appelle erzielen relativ viel Aufmerksamkeit Furchtappelle eine ganze Reihe von Emotionen und wenig Abwehr, zudem werden die entspre- anstelle oder zusätzlich zu Furcht auslösen kön- chenden Inhalte eher an andere Personen weiter- nen (Witte & Allen, 2000, S. 604 f.) und dass geleitet oder in interpersonalen Gesprächen auch Gesundheitsbotschaften Furcht auslösen, ­thematisiert (Campo et al., 2013). Eine positive die von Expertinnen und Experten nicht als Stimmung fördert auch eine weniger kritische In- Furchtappell klassifiziert worden wären (Dillard formationsverarbeitung – die Rezipientinnen und & Peck, 2000). Rezipienten werden «weniger zwischen stichhal­ © 2014 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Klaus Hurrelmann, Eva Baumann; Handbuch Gesundheitskommunikation. 1. Auflage. 27. Persuasions- und Botschaftsstrategien 405 tigen und weniger stichhaltigen Argumenten diffe- und Relevanz eines Gesundheitsrisikos, die Wahr­ renzieren; insgesamt besteht eine Tendenz zur scheinlichkeit einer Betroffenheit oder die Effektivität Vereinfachung kognitiver Verarbeitungsprozesse» empfohlener Schutzmaßnahmen illustriert oder argu­ (Becker, 1998, S. 11). Das Erzeugen positiver mentativ unterstützt (Hastall, 2011, S. 141). Stimmungen beziehungsweise Emotionen erwies sich zudem als hilfreich, um im Anschluss eine Viele der nachfolgend genannten Evidenzarten weniger verzerrte und weniger defensive Verarbei- bieten sich zudem für eine kulturelle Adaption der tung bedrohlicher Gesundheitsbotschaften zu er- Botschaft an Spezifika der Zielgruppe an (Kreuter, reichen (Das, 2012). Allerdings gilt auch hier, dass 2008) sowie für die Demonstration, dass das emp- Menschen sehr individuell auf vermeintlich positi- fohlene Verhalten sozialer Konsens ist: «Show that ve oder amüsante Botschaften reagieren können. many, many people are doing it, thinking it, wan- In der Summe spricht jedoch viel dafür, das ting it» (Knowles & Linn, 2004, S. 120). Potenzial positiver beziehungsweise emotional ­ Statistiken versus Fallbeispiele. In der kommu- ­bestärkender affektiver Strategien anstelle oder ge- nikationswissenschaftlich geprägten Gesundheits- Fernfachhochschule Schweiz Brig / 83.150.44.84 (2024-06-14 09:09) gebenenfalls in Ergänzung negativer emotionaler kommunikation werden zumeist zwei Klassen von Schlüsselreize weiter zu explorieren. Evidenz unterschieden: Statistische Evidenz wie «Zahlen, Daten und Fakten» (Daschmann & ­Brosius, 1997, S. 487) gilt als vergleichsweise valide Normative Appelle Informationsquelle, da sie auf Basis größerer Fall- zahlen Sachverhalte repräsentiert, andererseits Da menschliches Verhalten stark von gesellschaft- aber auch als wenig ansprechend und leicht fehlin- lichen Normen geprägt ist, erscheint es nahelie- terpretierbar. Fallbeispiel-Evidenz wie «Zitate oder gend, passende soziale Normen zum Erzielen ad- Schilderungen von Einzelfällen, deren Präsentati- aptiver Verhaltensänderungen in Botschaften zu on dazu dient, eine über die Einzelfälle hinausge- betonen. Dabei sollten injunktive Normen (Über- hende quantitative oder probabilistische Aussage zeugung, was moralisch richtig bzw. falsch ist) über einen realen Sachverhalt zu formen oder zu und deskriptive Normen (Überzeugung, was die veranschaulichen» (Daschmann, 2001, S. 85) sind meisten Menschen tun bzw. was normal oder üb- naturgemäß keine repräsentativen Abbilder der lich ist) unterschieden werden (Paek, Oh & Hove, Realität, dafür aber konkreter, emotionaler und 2012). Die empirischen Befunde zur persuasiven leichter verständlich als statistische Informatio- Wirksamkeit normativer Appelle sind allerdings nen. Trotz nicht völlig konsistenter Forschungs­ inkonsistent, weswegen ihre generelle Effektivität lage wird überwiegend davon ausgegangen, dass und die dafür förderlichen Randbedingungen sich Fallbeispiele besser als Statistiken eignen, noch debattiert werden (Paek et al., 2012; White & Menschen auf Risiken aufmerksam zu machen Simpson, 2013; siehe auch Bonfadelli & Friemel, und zu einer Verhaltensänderung zu motivieren 2010). (Covello, 2003; Zillmann, 2006). Narrationen und Anekdoten. Als weitere Form von Evidenz lassen sich Narrationen beziehungs- Art der Evidenz weise Anekdoten auffassen. Im Unterschied zu Fallbeispielen, die lediglich aus einem Zitat einer Eine Botschaft wird normalerweise persuasiver, betroffenen Person bestehen können, wird hier die wenn sie belastbare Belege für ihre Aussagen an- Geschichte einer betroffenen Person erzählt. Dies führt. Der Begriff Evidenzart bezieht sich auf erlaubt intensivere Einblicke in die Welt, Motive spezifische und Gefühle der Charaktere, die zudem als Rol- lenmodelle dienen können, und bewirkt oft eine Belege für Aussagen, mit denen eine Gesundheits­ deutlich stärkere Identifikation und Involviertheit. botschaft beispielsweise Aspekte wie die Schwere Aufgrund der Immersion (Transportation) in die © 2014 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Klaus Hurrelmann, Eva Baumann; Handbuch Gesundheitskommunikation. 1. Auflage. 406 Teil 5: Anbieter- und Angebotsperspektiven der Gesundheitskommunikation Geschichte werden persuasive Absichten schlech- Direktheit und Explizitheit ter bemerkt, wodurch es zu weniger Abwehrpro- der Manipulationsabsicht zessen kommt. Da die Rezeption von Geschichten als unterhaltsam erlebt wird, wird dieser Evidenz- Direkte, explizite Aufforderungen zur Verbesserung form ein sehr großes Potenzial zur Beeinflussung des Gesundheitsverhaltens erzeugen oft automa- von gesundheitsrelevanten Einstellungen und tisch Reaktanz (Brehm, 1966). Durch mehrere Stra- Verhaltensweisen zugesprochen (Green, 2006; Hi- tegien lässt sich erreichen, dass die Rezipientinnen nyard & Kreuter, 2007). Im Rahmen von Enter- und Rezipienten sich länger kognitiv mit der Bot- tainment-Education-Ansätzen finden strategisch schaft auseinandersetzen und dadurch idealerweise konzipierte Geschichten bereits intensiv Verwen- deren Empfehlungen annehmen (Armstrong, 2010; dung (Singhal & Rogers, 2001). Larson, 2013). Insbesondere beim Vorliegen star- Testimonials. Personen, die eine direkte Emp- ker Argumente für das empfohlene Verhalten, einer fehlung für ein kommuniziertes Produkt oder ein intensiven Botschaftsdistribution und einer höher Gesundheitsverhalten geben, werden als Testimo- gebildeten Zielgruppe bieten sich Strategien der in­ Fernfachhochschule Schweiz Brig / 83.150.44.84 (2024-06-14 09:09) nials bezeichnet. Drei Gruppen lassen sich unter- direkten Schlussfolgerung an. Anstelle einer Aussage scheiden: Prominente, Experten und Vertreter der kann die Hauptbotschaft auch als Frage formuliert Zielgruppe (z. B. Armstrong, 2010; Becker, 1998). werden. Eine Auseinandersetzung mit der Bot- Aus Befunden der Werbeforschung lässt sich ab- schaft wird auch dadurch gefördert, dass die leiten, dass (glaubwürdige) Expertinnen und Ex- Hauptaussage unklar oder doppeldeutig bleibt perten die Überzeugungskraft einer Botschaft er- (strategische Vagheit bzw. strategische Ambiguität). höhen können. Vertreter der Zielgruppe (z. B. der Beide Strategien erhöhen allerdings die Gefahr, typische Kunde) können die wahrgenommene Re- dass die zentrale Botschaft nicht oder falsch ver- levanz der Botschaft stärken. Prominente Testi- standen wird. Rechtlich nicht erlaubt und bezüg- monials wiederum erhöhen zwar die Aufmerk- lich ihrer Effektivität kontrovers diskutiert sind sub­ samkeit für Botschaften, aber nicht unbedingt die limale Beeinflussungsversuche, also unterschwellige Persuasion: Der Einsatz prominenter Testimonials Botschaften, die von den Rezipienten nicht bewusst wird nur empfohlen, wenn diese glaubwürdig so- wahrgenommen werden. Eine andere Strategie zur wie relevant für das Produkt wie für den Zielmarkt Minimierung der Nachteile expliziter Aufforderun- sind, bei starken Argumenten wird vom Einsatz gen besteht in einem Wechsel des Bezugspunktes be- potenziell ablenkender Prominenter sogar eher ziehungsweise Einbezug des Umfelds: Beispielsweise abgeraten (Armstrong, 2010). Systematische Ver- können Kampagnen zum Schutz von Nichtrau- gleiche der Effektivität verschiedener Arten von chern oder Kindern vor den Gefahren des Rau- Testimonials für Gesundheitsbotschaften fehlen chens erfolgreicher sein als Kampagnen, die sich allerdings noch. direkt an Raucher wenden, um sie zum Nichtrau- Weitere Formen von Evidenz. In der Werbeli- chen zu motivieren (Bonfadelli & Friemel, 2010). teratur finden sich weitere Strategien zur Präsen- tation von Evidenz, die im Kontext strategischer Gesundheitsbotschaften allerdings noch nicht sys- Einseitige versus zweiseitige Argumentation tematisch untersucht sind. So können sich kon- krete Vergleiche beziehungsweise Kontrastierungen Sollte eine Botschaft lediglich auf die Vorteile des anbieten, mit denen die Überlegenheit eines Pro- empfohlenen Verhaltens eingehen (einseitige Argu­ dukts oder Schutzverhaltens im Vergleich zu Al- mentation) oder zusätzlich mögliche Nachteile the- ternativen veranschaulicht wird. Genauso kann es matisieren (zweiseitige Argumentation), oder vice Szenarien geben, in denen kostenlose Produktpro­ versa? Die Präsentation von Gegenargumenten ben, unverbindliche Tests und belastbare Garantien kann die Überzeugungskraft einer Gesundheitsbot- wie z. B. Geld-zurück-Garantien sinnvoll sind schaft schwächen, weswegen zweiseitige Argumen- (Armstrong, 2010). tationen nur in bestimmten Konstellationen einen © 2014 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Klaus Hurrelmann, Eva Baumann; Handbuch Gesundheitskommunikation. 1. Auflage. 27. Persuasions- und Botschaftsstrategien 407 persuasiven Vorteil haben. Hierzu zählen Situatio- gen, dass es einen großen Unterschied machen nen, in denen die Gegenargumente der Zielgruppe kann, ob Botschaften die Möglichkeit des Todes bereits bekannt sind, in denen diese schlüssig wi- der Rezipientinnen und Rezipienten thematisie- derlegt werden oder in denen eine vergleichsweise ren. Der Theorie zufolge lösen Gedanken an den intensive Informationsverarbeitung der Rezipien- eigenen Tod bewusste und unbewusste Defensiv- tinnen und Rezipienten zur Abwägung der Argu- prozesse aus, mit denen Rezipienten Gedanken an mente erwünscht ist (Allen, 1998). die Sterblichkeit und daraus resultierende Bedro- hungen für das Selbstwertgefühl abwehren. In Übereinstimmung mit den theoretischen Annah- men wurde wiederholt gezeigt, dass ein Drohen Weitere persuasionsstrategische mit dem Tod für Risikoverhalten, das eng mit dem Ansätze Selbstwertgefühl einer Person verknüpft ist, das Gegenteil des intendierten Ziels erreicht – nämlich In diesem Abschnitt werden einige ausgewählte eine Verschlechterung des Gesundheitsverhaltens Fernfachhochschule Schweiz Brig / 83.150.44.84 (2024-06-14 09:09) Zugänge zur Persuasion vorgestellt, die bislang (z. B. noch riskanteres Autofahren; Goldenberg & vergleichsweise selten in Arbeiten der Gesund- Arndt, 2008; Jessop et al., 2008). Die Annahmen heitskommunikation Erwähnung oder Anwen- und Befunde der Terror Management Theory ver- dung fanden. Sowohl die dahinter liegenden theo- deutlichen damit die Problematik persuasiver retischen Annahmen als auch die Befunde können Strategien, die auf bedrohlichen Motiven und dem jedoch Hinweise auf effektive und kontraproduk- Auslösen negativen Affekts beruhen und liefern tive Überzeugungsstrategien liefern. damit auch einen wichtigen Beitrag zur Erklärung der inkonsistenten Befunde für Furchtappelle und Verlustframes. Entwicklungs- und Wachstumsmotivation Die humanistisch geprägte Self-Determination The­ Konsonanz- und Dissonanz-Informationen ory (Deci & Ryan, 2000) zählt zu den einflussreichs- ten modernen Motivationstheorien und sieht drei Dissonanztheoretische Ansätze wie die Theorie angeborene, universale Grundbedürfnisse als ent- der kognitiven Dissonanz (Festinger, 1957) scheidend dafür an, dass Menschen sich zu Verhal- postulieren, dass Menschen eine gewisse Über­ ­ tensänderungen und deren Aufrechterhaltung mo- einstimmung (Konsonanz) zwischen ihren Ge- tivieren können: Ein Bedürfnis nach (1) Autonomie danken, Einstellungen, Gefühlen und Verhaltens- im Sinne einer Selbstbestimmung des eigenen Han- weisen anstreben. Widersprüche (Dissonanzen) delns, nach (2) Kompetenz im Sinne von wahrge- hingegen werden hiernach als unangenehm erlebt nommener Selbstwirksamkeit oder Handlungser- und rufen eine Motivation zur Beendigung dieser folgen sowie nach (3) sozialer Eingebundenheit. Zustände hervor. Im Falle eines Rauchers, der mit Mehrere Studien zeigen, dass eine Befriedigung be- den negativen Konsequenzen des Rauchens kon- ziehungsweise Adressierung dieser drei Bedürfnisse frontiert wird, könnte das beispielsweise in eine durch eine entsprechende Botschaftsstrategie adap- Veränderung des Verhaltens (z. B. reduzierter tive Veränderungen des Gesundheitsverhaltens ­Zigarettenkonsum) münden, um das durch die motivieren kann (Ryan et al., 2008). Dissonanz zwischen seinem Verhalten und der Information ausgelöste Unbehagen zu reduzieren. Wesentlich weniger aufwendig und dementspre- Todessalienz chend wahrscheinlicher sind allerdings Versuche der Konsonanzherstellung durch Anpassungen Forschungsarbeiten im Rahmen der Terror Ma­ der Kognitionen (z. B. Selbstversicherung, dass nagement Theory (Goldenberg & Arndt, 2008) zei- man schon nicht an Lungenkrebs erkranken wer- © 2014 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Klaus Hurrelmann, Eva Baumann; Handbuch Gesundheitskommunikation. 1. Auflage. 408 Teil 5: Anbieter- und Angebotsperspektiven der Gesundheitskommunikation de), eine selektive Informationszuwendung (z. B. gleich zu anderen Reizen als relativ universell, also selektive Vermeidung von Informationen über unabhängig von Eigenschaften der Botschafts- Lungenkrebs durch das Abdecken der Warnhin- empfänger. Allerdings besteht insbesondere bei weise auf Zigarettenschachteln sowie Suche nach erotischen Reizen die Gefahr, dass sie von der bestärkenden Informationen) oder durch eine se- ­eigentlichen Botschaft ablenken (Kroeber-Riel & lektive Interpretationen entsprechender Botschaf- Gröppel-Klein, 2013). ten. Die Theorie der kognitiven Dissonanz hat Eine Auseinandersetzung mit evolutionären eine sehr hohe Zahl an Untersuchungen inspi- Motiven erscheint auch sinnvoll, um den Umgang riert. Obgleich sich die Ursprungsannahmen als mit Risikoinformationen insbesondere von Hoch- zu simpel erwiesen, ließen sich viele der postulier- risikogruppen besser verstehen und beeinflussen ten Effekte nachweisen (Cooper, 2007; Smith, Fa- zu können (Reifegerste, 2012). Aus evolutionärer brigar & Norris, 2008). Für die Gesundheitskom- Perspektive lassen sich mehrere adaptive Proble- munikation scheinen dissonanz- beziehungsweise me unterscheiden, deren Lösung eine erfolgreiche konsonanztheoretische Überlegungen in mehrfa- Reproduktion fördert (Buss, 2008, S. 66) und de- Fernfachhochschule Schweiz Brig / 83.150.44.84 (2024-06-14 09:09) cher Hinsicht relevant. Einerseits verlangen viele ren Adressierung in strategischen Gesundheitsbot- strategische Gesundheitsbotschaften von ihrer schaften daher sinnvoll sein kann: Zielgruppe Veränderungen der Einstellungen Probleme des Überlebens und Wachstums, um oder Verhaltensweisen, was Dissonanzen hervor- reproduktionsfähig zu werden. rufen kann, die eine Vermeidung der Botschaft Probleme der Paarung, wozu die Auswahl, die motivieren können. Andererseits lässt sich das Anziehung und die Sicherung eines Partners Wissen nutzen, um mögliche Dissonanzen argu- sowie die erfolgreiche Reproduktion zählen. mentativ zu minimieren oder um eine Überein- Probleme der Nachwuchspflege, um das Überle- stimmung der empfohlenen Verhaltensänderung ben und Wachstum eigener Nachkommen zum mit dem Selbstbild der Zielgruppe zu betonen – Erreichen von deren Reproduktionsfähigkeit zu als mutmaßliches Beispiel sei die Präventions- sichern. kampagne «Echte Männer sind Checker!» des Probleme der Unterstützung naher Verwandter, BKK-Landesverbandes Baden-Württemberg ge- um dadurch die Reproduktion der eigenen nannt. Genauso lassen sich Dissonanzen strate- Gene zu unterstützen. gisch nutzen, etwa indem man Jugendlichen – also einer Personengruppe mit einem starken Aus der evolutionspsychologischen Forschung Streben nach Unabhängigkeit – verdeutlicht, in lassen sich somit Hinweise auf Signalreize ablei- welchem Ausmaß sie durch die Tabakindustrie ten, die je nach Geschlecht und Alter der Rezipi- manipuliert und abhängig gemacht werden (Bon- enten einen evolutionären Vorteil suggerieren fadelli & Friemel, 2010). (z. B. körperliche Attraktivität, sozialer Status, Res­ sourcen, Stärke, Mut, Verlässlichkeit, aber auch Ge­ sundheit; Buss, 2008). Diese Aspekte lassen sich in Evolutionäre Signalreize Gesundheitsbotschaften beispielsweise als mögli- che Gewinne oder Ver­luste thematisieren. Diese In der kommerziellen Werbung finden sich oft Perspektive kann auch erklären, warum insbeson- Schlüsselreize, die bei den Rezipientinnen und Re- dere im Jugendalter das Ausüben von Risikover- zipienten «biologisch vorprogrammierte Reaktio- halten funktional sein kann (z. B. zur Erhöhung nen» auslösen (Kroeber-Riel & Gröppel-Klein, des sozialen Status in der Peergruppe sowie der 2013, S. 81), insbesondere Aufmerksamkeit und Attraktivität für potenzielle Sexualpartner) und Aktivierung. Die bekanntesten Schlüsselreize sind gibt Hinweise auf spezifische Gewinne und Ver- das Kindchenschema sowie Abbildungen der Augen luste, deren Erwähnung effektiver sein kann als und Mimik von Personen sowie des weiblichen der klassische Verweis auf rein gesundheitliche ­Busens. Ihre Wirkung auf Erwachsene gilt im Ver- Vor- oder Nachteile (Reifegerste, 2012). © 2014 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form vervielfältigt und an Dritte weitergegeben werden. Aus: Klaus Hurrelmann, Eva Baumann; Handbuch Gesundheitskommunikation. 1. Auflage. 27. Persuasions- und Botschaftsstrategien 409 Strategien der Werbe- und ein Euro, also ein Schnäppchen»; Schönbach, Verkaufspsychologie 2013, S. 133). Die I-owe-you-Taktik nutzt das Be- dürfnis nach Reziprozität, der Motivation zu einer Die im Folgenden angeführten Strategien finden Gegenleistung als Reaktion auf beispielsweise eine sich in vielen Überblickswerken der Werbe- und kostenlose Hilfeleistung oder Produktprobe. Bei Verkaufspsychologie (z. B. Armstrong, 2010; Lar- der Scarcity-Technik wird den Rezipienten sugge- son, 2013; Schönbach, 2013) und gelten als relativ riert, dass eine bestimmte Option nur zeitlich oder effektiv. In der Werbung und in Verkaufsgesprä- mengenmäßig begrenzt verfügbar ist, wodurch sie chen finden sie häufig Verwendung, in der Ge- attraktiver erscheint. Angesichts der erwiesenen sundheitskommunikation hingegen kaum – was Effektivität dieser Strategien in spezifischen Wer- auch ihrem oftmals offensichtlicheren Manipula- be- und Verkaufskontexten erscheint eine stärkere tionsansatz geschuldet sein mag. Detaillierte Be- Auseinandersetzung mit ihrem Potenzial für ver- schreibungen ihrer Effektivität für spezifische Per- schiedene Kontexte der Gesundheitskommuni­ suasionsszenarien finden sich in den genannten kation sehr vielversprechend. Fernfachhochschule Schweiz Brig / 83.150.44.84 (2024-06-14 09:09) Überblickswerken, nachfolgend soll lediglich die Grundidee expliziert werden. Bei der Foot-in-the-door-Technik werden die Rezipientinnen und Rezipienten zunächst um Fazit und Ausblick ­einen relativ kleinen und leicht ausführbaren Ge- fallen gebeten, der die Wahrscheinlichkeit erhöht, Das persuasive Potenzial einer Botschaft bezie-

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