Bremerich-Vos et al. 2009 Chapter 5: Writing PDF

Summary

Chapter 5 of Bremerich-Vos et al. 2009, focuses on the writing skills of primary-school students in German. It presents different writing aspects and how skills develop throughout primary school, providing the necessary components that help in writing development and learning outcomes. This analysis of writing within the broader context of educational standards emphasizes the importance of writing in education and the nuances within the learning process for young students. The document provides a methodical explanation of the theoretical foundations relating writing skills and pedagogical methodology.

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75 5 Schreiben – Texte verfassen Jürgen Baurmann/Thorsten Pohl 5.1 Der Kompetenzbereich Schreiben – Texte verfassen in den Bildungsstandards Die Bildungsstandards gliedern den Kompetenzbereich Schreiben in drei grundlegende Felder: „über Schreibfertigkeiten verfügen“, „richtig schreiben“ und „Tex...

75 5 Schreiben – Texte verfassen Jürgen Baurmann/Thorsten Pohl 5.1 Der Kompetenzbereich Schreiben – Texte verfassen in den Bildungsstandards Die Bildungsstandards gliedern den Kompetenzbereich Schreiben in drei grundlegende Felder: „über Schreibfertigkeiten verfügen“, „richtig schreiben“ und „Texte verfassen“ (KMK 2005, S. 10 f.). Hier wird nur der dritte Aspekt erörtert, nämlich die Fähigkeit, ganze Texte oder Textteile verfassen zu können. Das Vorgehen, die Kompetenzaspekte in dieser Weise getrennt voneinander zu behandeln, scheint insofern berechtigt, als es sich beim Rechtschreiben um eine in Anteilen eigenständige Entwicklung handelt. Wir sprechen infolgedessen von Textproduktionskompetenz sowie von deren Aneignung. In der Darstellung der Standards überlagern sich im Feld „Texte verfassen“ zwei Perspektiven, die wir in diesem einführenden Abschnitt getrennt voneinander besprechen wollen: Mit „Texte planen“, „Texte schreiben“ und „Texte überarbeiten“ wird das Kompetenzfeld unterteilt nach grundlegenden Teilkomponenten des Schreibprozesses (Planen, Formulieren, Überarbeiten). Auf diese Weise werden Prozesskompetenzen angesprochen, die zu einem gelungenen Schreibprodukt führen (vgl. dazu unten). Innerhalb von „Texte schreiben“ werden jedoch zentrale Eigenschaften von Schreibprodukten sowie bestimmte Textfunktionen und Schreibanlässe thematisiert. Hier haben wir es mit Kompetenzaspekten zu tun, bei denen sich erst am fertigen Schreibprodukt, am erstellten Text, ablesen lässt, ob – und wenn ja inwieweit – die Schüler und Schülerinnen über die betreffenden Fähigkeiten verfügen. Wir beginnen mit der zuletzt genannten Perspektive auf das Schreibprodukt. Mit den Textattributen „verständlich, strukturiert, adressaten- und funktionsgerecht“ wird in den Bildungsstandards eine extrem hohe Kompetenzerwartung zum Ausdruck gebracht (KMK 2005, S. 10 f.). Bei näherem Hinsehen handelt es sich um Qualitätsmerkmale, die mit der gleichen Berechtigung von Autoren eingefordert werden müssen, die in ihrer Schreibentwicklung deutlich weiter fortgeschritten sind, mehr noch: Es sind Eigenschaften, die mit jeglicher optimaler Textproduktion zusammenfallen. In Anbetracht des jungen Schreibalters von Grundschülern (verstanden als lesend wie schreibend mit Texten gewonnenes Erfahrungswissen) scheint es geboten, die Kompetenzerwartungen an ein für Grundschüler angemessenes Niveau anzupassen. Schreiben – Texte verfassen 76 „Verständlichkeit“ ist eine Textqualität, die nicht absolut gegeben ist bzw. eingelöst werden kann, sondern immer nur in Beziehung zu einem speziellen Adressaten entsteht. Die Antizipation eines konkreten Lesers mit dessen individuellem Vorwissen und speziellen Verständnisbedürfnissen kann von Grundschülern nur zu einem gewissen Grad eingefordert werden; eine Überforderung wäre z. B. die Antizipation einer in vielerlei Hinsicht unterschiedlichen Leserschaft. Was aber die Viertklässler erworben haben sollten, ist die grundlegende Einsicht, dass Texte überhaupt Leser haben, verbunden mit einem Bewusstsein dafür, dass Texte von Lesern miss- oder anders verstanden werden können und dass der Schreibende den Verstehensprozess und auch die Wirkungsweise durch die Textgestaltung beeinflussen kann. Darstellungsfunktion Gegenstände und Sachverhalte Erfahrungen und Sachverhalte Erlebtes und Erfundenes Gedanken und Gefühle Ausdrucksfunktion Sender (Autor) Bitten, Wünsche, Aufforderungen, Vereinbarungen Appellfunktion Empfänger (Leser) „Strukturiertheit“ ist ebenfalls eine Textqualität, die isoliert betrachtet wenig aussagekräftig ist, denn allein aufgrund z. B. syntaktischer Strukturen erweisen sich Texte per se als „strukturiert“. Erst im Zusammenhang mit einzelnen Textfunktionen und mehr noch mit konkreten Textsorten lässt sich sinnvoll von angemessenen Textstrukturen und Textgliederungsverfahren sprechen. In den Bildungsstandards werden keine Textsorten explizit genannt, die Der Kompetenzbereich Schreiben – Texte verfassen in den Bildungsstandards 77 die Grundschüler beherrschen sollten. Stattdessen werden verschiedene Schreibanlässe (z. B. über „Erlebtes und Erfundenes“ schreiben) oder einzelne Sprachhandlungen (z. B. „Bitten, Wünsche“) genannt. Auf diese Weise wird auf grundlegende Textfunktionen verwiesen, die ihrerseits mit typischen Textsorten verbunden sind. Wenn wir der in der Textlinguistik und Schreibdidaktik gängigen Auffächerung des funktionalen Spektrums von Textsorten folgen – sie orientiert sich am Organon-Modell von Bühler –, ergibt sich für die in den Standards genannten Schreibanlässe das unten stehende Bild, wobei die verschiedenen Schreibanlässe nur der Tendenz nach bzw. als dominante Phänomene einer der drei Funktionen zugeordnet werden können. Man erkennt, dass die Standards für alle drei grundlegenden Funktionen (Ausdrucks-, Darstellungs- und Appellfunktion) Schreibanlässe vorsehen. Dies ist auf jeden Fall zu begrüßen, da wir aus der Forschung wissen, dass bei Grundschülern Entwicklungspotenzial im gesamten Spektrum von Textfunktionen gegeben ist (vgl. Augst et al. 2007) und nicht etwa nur – wie es das schreibdidaktische Brauchtum in der Grundschule lange tradierte – bei Schreibanlässen, die eine erzählte Geschichte verlangen. Dass die Standards explizit keine konkreten Textsorten vorschlagen, greift unseres Erachtens insbesondere im Blick auf die Praxis zu kurz. Konkrete Textsortenkonzepte halten wir durchaus für hilfreich; solche wollen wir hier ergänzend vorschlagen: Textfunktion (dominant) Textsorte und Schreibanlässe Ausdrucksfunktion Erzählung: ■ Erlebniserzählung ■ Nacherzählung ■ Reizwortgeschichte ■ Fantasiegeschichte usw. Darstellungsfunktion Beschreibung: ■ Personen-, Orts-, Bildbeschreibung usw. Anleitung: ■ Spiel-, Bastel-, Gebrauchsanleitung, Kuchenrezept usw. Bericht: ■ Ereignisbericht, Protokoll usw. Appellfunktion Argumentation: ■ z. B. in Briefform: Bitten, Wünsche, Übereinkünfte, Meinungsäußerung mit ansatzweise begründender Struktur usw. 78 Schreiben – Texte verfassen Zwei weitere Schreibanlässe werden in den Bildungsstandards gesondert hervorgehoben: ■ Lernergebnisse geordnet festhalten und auch für eine Veröffentlichung verwenden, ■ nach Anregungen (Texte, Bilder, Musik) eigene Texte schreiben (KMK 2005, S. 14 f.). Mit dem ersten Eintrag (Lernergebnisse geordnet festhalten …), für den die Darstellungsfunktion von besonderer Relevanz ist, verdeutlichen die Standards die übergreifende Bedeutung des Verfassens von Texten für das schulische Lernen insgesamt; daher ist diese Teilkompetenz in ihrer integrativen Funktion zu begreifen, die weit über die Grenzen des Deutschunterrichts hinaus- und in die anderen Schulfächer hineinreicht. Mit dem zweiten Eintrag (nach Anregungen … schreiben) wird in erster Linie auf ein Arrangement verwiesen, das die Produktion von Erzähltexten erleichtern will. Nur in Einzelfällen werden hierbei weitere Textfunktionen mitberücksichtigt. Orientierungen am Schreibprozess finden sich sowohl in der grundlegenden Beschreibung des Kompetenzbereichs als auch bei den Standards (KMK 2005, S. 8 bzw. S. 10). Insgesamt sollen Schülerinnen und Schüler „den Schreibprozess selbstständig gestalten“, wobei „die Teilprozesse … Texte planen, aufschreiben und überarbeiten ineinandergreifen“ (Umstellung durch Verf.). Zwei Unsicherheiten, die einer Klärung bedürfen, sind mit dieser Formulierung verbunden: Mit dem Terminus „aufschreiben“ ist offensichtlich nicht das motorische Ausführen der Schreibhandlung gemeint. Wie ist die Feststellung zu verstehen, dass die Teilprozesse „ineinandergreifen“? Die Antwort, die sich aus den konkreten Standards ableiten lässt, bleibt aus schreibtheoretischer Sicht begrenzt, wird doch an dieser Stelle der Dreischritt „planen, schreiben, überarbeiten“ eingeführt, der aufeinanderfolgende Phasen des Unterrichts anspricht. Dadurch wird allerdings der komplexe Prozess des Verfassens von Texten nicht vollends erfasst und vor allem dessen Dynamik abgeschwächt, ja verkürzt. Innerhalb der Schreibforschung werden Planen, Formulieren, Ausführen und Überarbeiten als Teilprozesse unterschieden. Diese Teilprozesse zeichnet gewiss auch jene Sukzessivität aus, die in den Bildungsstandards betont wird. Es gibt jedoch weitere Merkmale, die den komplexen Schreibprozess bestimmen: das Moment des Interaktiven (zwischen den Teilprozessen bestehen vielfältige Wechselwirkungen), des Iterativen (alle Teilprozesse können sich während der Textproduktion wiederholen) und die Tatsache, dass sich Schreiber bei der Textproduktion ihrer Teilhandlungen bewusst werden. Die in den Bildungsstandards genannte Abfolge (Planen, Aufschreiben, Überarbeiten) ist demnach bestenfalls als Gerüst möglicher Unterrichtspha- Die Bedeutung des Schreibens für die Schüler der Primarstufe 79 sen zu begreifen, das in der Praxis flexibel und schreibtheoretisch reflektiert zugleich zu handhaben ist. 5.2 Die Bedeutung des Schreibens für die Schüler der Primarstufe Viele Kinder werden bereits vor Schulbeginn auf das Schreiben aufmerksam. Kritzelbriefe und erste Schreibversuche ermöglichen vielfältige, dabei unterschiedliche Erfahrungen mit Schrift und Schriftlichkeit. Lehrkräfte können davon ausgehen, dass Kinder schon früh ihre Eltern als Schreiber wahrnehmen, etwa beim Unterschreiben, beim Beschriften von Disketten, beim Tippen am Computer bis hin zum Verfassen von Gutachten und Predigten (so Mitteilungen von Kindern). Beim frühen Schreiben von Texten stehen dann bei sechs- bis siebenjährigen Kindern Geschichten im Vordergrund. Kinder schreiben gern über Besuche, Spiele, Unterwegssein, Sport und Natur. Was die Wahl der Inhalte betrifft, zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen. Mädchen schreiben gern über Tiere und Krankheit, während Jungen Technik und Spiele bevorzugen (Röhner 1997, S. 212). Für den Unterricht in der Grundschule ist es hilfreich, etwas über die Vorstellungen oder Konzepte zu wissen, die Grundschulkinder zum Schreiben entwickeln. Die Ergebnisse der Schreibforschung unterscheiden sich hinsichtlich dieses Zusammenhangs. Während bei Baurmann (1996) lediglich knapp über 20 % der Befragten eine Vorstellung haben, die beim Textschreiben über das „Vordergründig-Technische“ hinausreicht (Baurmann 1996, S. 249), fallen die Ergebnisse bei Weinhold (2005) differenzierter aus. Ihre Erhebungen auf der Grundlage offener Fragen bei 120 Kindern des ersten bis vierten Schuljahrs fördern wichtige Antworten zutage. Auf die Frage „Wie schreibst du einen Text?“ sprechen rund ein Viertel der Befragten normative Aspekte des Schreibens an (vornehmlich zum Rechtschreiben), während etwa 60 % der Kinder mit zunehmendem Alter konzeptionelle Belange zum Textschreiben thematisieren. Bei den weiteren Fragen („Worauf achtest du, wenn du einen Text schreibst?“ und „Findest du es schwer, einen Text zu schreiben?“) treten mediale bzw. normative Gesichtspunkte in den Vordergrund, nur 25 % der Kinder äußern sich konzeptionell. Dieses Ergebnis kann so gedeutet werden, dass Kinder beim schulischen Schreiben vor allem Schreibmotorisches und Schreibnormen im Blick haben, noch nicht so sehr Gedanken darüber, wie man eine Textwelt aufbaut. Kinder verbinden mit dem Verfassen von Texten einen „subjektiven Sinn“. Dass sich Kinder in dieser Hinsicht unterscheiden, lässt sich aus drei Fallstu- 80 Schreiben – Texte verfassen dien ableiten, die Röhner (1997, S. 120 ff.) durchgeführt hat. Die Beschreibungen zu Mustafa, Katja und Nicole zeigen, dass sich Zugänge und Möglichkeiten je nach bereits vorhandenen schriftsprachlichen Fähigkeiten und sozialem Umfeld deutlich unterscheiden. So ist Mustafa – im Unterschied zu vielen seiner Altersgenossen – im Unterricht erst dabei, „den Sinn der Schriftsprache für sich zu entdecken“ (Röhner 1997, S. 123 ff.), während Katja aus intakten häuslichen Verhältnissen „mit Lust schreibt“ (Röhner 1997, S. 133 ff.). Für Nicole, die sich auf vergleichbare Startbedingungen wie Katja stützen kann, hat das ausgiebige Schreiben einen anderen Sinn: Texte zu produzieren, bedeutet für sie, in einer schwierigen Situation (Trennung der Eltern) für sich das Schreiben „als Selbstvergewisserung und Selbstverwirklichung“ zu nutzen (Röhner 1997, S. 147 ff.). Es spricht einiges dafür, dass Mustafa, Katja und Nicole keine Einzelfälle darstellen. Schreibanfänger, begeisterte Schreiber und Kinder, die das Schreiben nutzen, um sich über sich selbst klar zu werden, wird es wohl in vielen Grundschulklassen geben. Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass die Beobachtungen vieler Lehrkräfte den Ergebnissen der einschlägigen Untersuchungen entsprechen. Viele Kinder in der Grundschule schreiben gern. Wie geht es nun nach der Grundschule weiter? Soweit es die Schülersicht betrifft, ergeben sich Antworten aus der umfänglichen Untersuchung von Merz-Grötsch (2001). Die Befragung von Schülerinnen und Schülern aus Gymnasien, Real- und Hauptschulen zeigt, dass die Heranwachsenden die Anforderungen des Textschreibens im Deutschunterricht als hoch einschätzen (hierzu und zum Folgenden Merz-Grötsch 2001, S. 133 ff.). Diese Einschätzung wirkt sich auch auf die Neigung zum Schreiben aus: Während über die Hälfte der befragten Mädchen gern schreibt, nimmt die Begeisterung bei Jungen deutlich ab. Dieser gegenüber der Grundschule offensichtliche Rückgang mag auch darin begründet sein, dass hauptsächlich vertraute Textmuster Gegenstand des Unterrichts sind und zudem den Jugendlichen die Betonung der Ergebnisse des Schreibens sowie die vorherrschende Orientierung an formalen Ansprüchen (bis hin zum Abschreiben) auffällt. Das Verfassen von Texten in der Schule – so ein Zwischenergebnis – stellt sich damit als komplex dar. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Anforderungen an schriftsprachliche Fähigkeiten künftig gesamtgesellschaftlich noch höher und vielfältiger sein werden, kann die beschriebene Entwicklung nicht zufriedenstellen, zumal sich im Kontext der neuen Medien neue „Texttypen“ und „Formen der Vernetzung“ herausbilden. Zu den vertrauten „linearen“ kommen vor allem „listenförmige“, „modulare“ und „multimediale Texte“ hinzu (z. B. Hypertext und Hypermedia-Angebote; Weingarten 1994, S. 578 ff.). Auf diese „neuen Formen des Schreibens“ werden Heranwachsende intensiv vorzubereiten sein, was hier und da ja bereits geschieht. Diese Kompetenzaufbau im Schreibunterricht 81 Entwicklung wird das Spektrum vertrauter Textsorten erweitern, umfangreiche Schreibvorhaben (Geschichtenbücher, Erläuterungen von Sachverhalten), Textverarbeitung und Recherche am PC zunehmend voraussetzen. 5.3 Kompetenzaufbau im Schreibunterricht 5.3.1 Entwicklungsphänomene als Basis und Ausgangspunkt kompetenzfördernden Schreibunterrichts Entwicklung zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass die Lernenden zu Beginn nicht alle notwendigen Teilkompetenzen einbringen können bzw. erworben haben. Sie tun das, was für sie „machbar“ ist und was ihrem Zugang zum Lerngegenstand am nächstliegenden ist. Mit den weiteren Entwicklungsschritten erfolgt eine immer stärkere Annäherung an die geforderte Kompetenz, wobei sich diese Lernfortschritte oftmals durch bestimmte und eben durch den Entwicklungsvorgang bedingte Auffälligkeiten, Abweichungen und Übergangsphänomene auszeichnen. Ein kompetenzorientierter Schreibunterricht muss diese von den Lernenden erbrachten Teilleistungen erkennen und an sie mittels entsprechender Schreibarrangements, -aufgaben und Fördermaßnahmen didaktisch sinnvoll anschließen. In einer jüngst erschienenen Studie zur Textkompetenzentwicklung während der Grundschuljahre wurden Schülertexte aus der zweiten, dritten und vierten Klasse zu fünf unterschiedlichen Schreibanlässen bzw. Textsorten untersucht (Augst et al. 2007). Die Studie, die vielfältige weitere Ergebnisse aus der Schreibentwicklungsforschung zu integrieren versucht, zeigt für alle fünf untersuchten Textsorten (Erzählung, Bericht, Anleitung, Beschreibung und Argumentation) vergleichbare Entwicklungsschritte und -phänomene auf, die in diesem Abschnitt als Basis und Ausgangspunkt kompetenzfördernden Schreibunterrichts vorgestellt werden (die Phasen werden gegenüber Augst et al. 2007 abweichend benannt). 1. Entwicklungsphase: Assoziative Texte Die ersten Schreibversuche der Kinder sind sehr stark von ihrem persönlichen Zugang zum Schreibgegenstand geprägt. Im Sinne eines reinen knowledge telling (Bereiter/Scardamalia 1987) bringen die Schülerinnen und Schüler assoziativ unmittelbar das zu Papier, was ihnen durch den Kopf schießt. Dies führt in der Regel zu vielfältigen inhaltlichen Brüchen, die für den Außenstehenden nicht unbedingt nachvollziehbar sind. Zudem zeichnen sich die Texte oftmals durch eine besondere emotionale Qualität aus, mit der die Autoren ihre Begeisterung für das Thema zum Ausdruck bringen. Ein für dieses An- 82 Schreiben – Texte verfassen fangsstadium typischer Text wäre etwa Christophers Klassenzimmerbeschreibung („//“ steht für eine Leerzeile, „/“ steht für einen Zeilenwechsel, ferner: die Texte sind rechtschriftlich korrigiert): Unser Klassenraum // Wir haben eine Tafel in unserem / Klassenraum. Unser Klassenraum / ist sehr schön. Wir haben sehr / schöne Bilder in unserem / Klassenraum. Wir haben 23 Kinder / in unserer Klasse. Wir machen / sehr viel Rechnen. Wir haben / sehr viele Poster. (Christopher, 2. Kl.). Wir können an Christophers Text eine weitere typische Erscheinung ablesen: Aufgrund des assoziativen Schreibmodus scheren die Autoren oftmals aus der angestrebten Textfunktion (hier: zu beschreiben) aus („Wir machen sehr viel Rechnen.“) 2. Entwicklungsphase: Verkettende Texte Das assoziative Moment geht in dieser Phase bereits sehr stark zurück. Stattdessen versuchen die Kinder, sich an einer für den Schreibgegenstand zentralen Sachverhaltsbeziehung zu orientieren und richtiggehend an dieser entlangzuschreiben, also z. B. in einer chronologischen Folge (u. a. beim Erzählen) oder mittels eines räumlichen Nebeneinanders (oft beim Beschreiben). Damit geht einher, dass die Autoren jetzt ihre Texte an der sprachlichen Oberfläche mit entsprechenden Bindewörtern verknüpfen (u. a. mit „und dann“oder auch mit „und daneben“). Wir zitieren wiederum ein typisches Beispiel, dieses Mal handelt es sich um einen Text über den Ablauf des familiären Weihnachtsfestes: Unser schönes Weihnachtsfest // Wir stellen unsern Weihnachtsbaum auf / und schmücken ihn und dann / machen wir Fotos und dann / müssen wir ins Zimmer und / warten bis mein Papa uns / holt und dann packen wir unsere / Geschenke aus und dann spie- / len wir damit und dann / gehen wir ins Bett. (Sabrina, 2. Kl.) Man erkennt, dass es mit dieser Strategie der Textproduktion den Autoren viel besser gelingt, beim Thema zu bleiben und für den Schreibauftrag angemessene Inhaltselemente auszuwählen. Insgesamt erscheinen die Verkettungstexte deutlich geordneter und daher auch verständlicher, gleichzeitig wirken sie aber aufgrund der wiederkehrend eingesetzten Bindewörter (hier: „und dann“) auf den versierten Leser sehr monoton. 3. Entwicklungsphase: Gegliederte Texte Dieses monotone Moment wird in der dritten Phase dadurch aufgehoben, dass die Autoren jetzt versuchen, in einzelne Textteile in besonderer Weise einzu- Kompetenzaufbau im Schreibunterricht 83 leiten und diese explizit sprachlich zu gestalten. Im folgenden, gekürzten Beispiel einer Erzählung wird auf diese Weise ein friedlicher Normalzustand („Spaziergang in den Bergen“) von einem zunächst nur ungewöhnlichen Ereignis („pfeifende Geräusche“) geschieden, bevor schließlich mit „plötzlich“ ein unerwartetes Ereignis eintritt. Auf diese Weise gelingt es Jaquelin, narrative Spannung zu erzeugen: Der kleine Zwerg // Der kleine / Zwerg Hobbel / machte einen / Spaziergang / in den Bergen. / Als er an eine / Höhle kam aus / dieser Höhle / kamen / seltsame pfeifende Geräusche. Der / Zwerg sah an der Wand eine brennende / Kerze. Er nahm all seinen Mut / zusammen und ging langsam / in die Höhle. Die Geräusche wurden / immer lauter umso weiter er / hineinging. Plötzlich sah er […]. (Jaquelin, 4. Kl.) In den anderen untersuchten Textsorten lassen sich vergleichbare Gliederungsbemühungen aufzeigen; so wird z. B. beim Anleiten ein Spielvorbereitungsteil vom eigentlichen Regelteil abgetrennt (vgl. zu Details Augst et al. 2007, S. 249 ff.). 4. Entwicklungsphase: Textsortenfunktionale Texte Obschon die jungen Autoren bereits auf dem dritten Entwicklungsniveau zentrale Eigenschaften der verschiedenen Textsorten zu realisieren vermögen, gelingt es ihnen erst hier, ihre Texte insgesamt derart zu gestalten, dass sie mit ihnen die betreffende Textfunktion tatsächlich einlösen, also z. B. beim Anleiten den Leser vollständig über Spielutensilien, Spielaufbau, Spielregeln und Spielsieger so zu orientieren, dass dieser das Spiel spielen kann. Elisas Text lässt sich dieser Entwicklungsphase zuordnen: Hüpfspiel, man braucht: ein Seil, einen / Reifen und viele Kinder, die mitspielen. / Zuerst bindet man den Reifen an ein / Ende des Seils. Wenn man das gemacht / hat, fängt das Spiel an. Alle Kinder / stellen sich in einen Kreis, aber nur / einer geht in die Mitte. Derjenige, / der in der Mitte steht, bekommt das / Seil. Er muss das Seil aber am / anderen Ende in die Hand nehmen. / Nun muss er das Seil drehen, als / ob er etwas zeigen möchte (also / im Stuhlkreis). Alle anderen müssen / über’s Seil springen. Und wer hängen- / bleibt muss raus (also darf nicht mehr / mitspielen). Der, der als letzter drinbleibt / hat gewonnen ist also der Hüpfkönig. (Elisa, 4. Kl.) Das Einlösen einer der Textsorte adäquaten Funktion stellt an die Autoren insbesondere hinsichtlich der Planungsaktivitäten noch einmal gestiegene Anforderungen. Der Text muss gewissermaßen von seinem funktionalen Ziel aus geplant werden, wie man es sich besonders deutlich an der narrativen Pointe oder der argumentativen Konklusion klarmachen kann. 84 Schreiben – Texte verfassen Die Autoren der Studie (Augst et al. 2007) gehen davon aus, dass sich die vorliegende Entwicklung als eine integrative Phasenfolge beschreiben lässt, dass also die auf einer niedrigeren Kompetenzstufe erworbenen Teilfähigkeiten in die jeweils höheren Kompetenzstufen eingehen, wie wir es in der folgenden Tabelle zu verdeutlichen versuchen: Entwicklungsphase sprachlich-textuelle Leistung 1. Assoziative Texte Auswahl an Inhaltselementen 2. Verkettende Texte sachlogische Verknüpfung von Inhaltselementen 3. Gegliederte Texte Ausbildung verschieden gestalteter Textteile 4. Textsortenfunktionale Texte Einlösen einer textsortenadäquaten Textfunktion Drei Ergebnisse der Studie sollen abschließend besonders hervorgehoben werden, da sie für einen Schreibunterricht in der Primarstufe von besonderer Relevanz sind: 1. Die unterschiedlichen Textsorten werden weitgehend unabhängig voneinander erworben, d. h., ein Schreiber kann sich zu einem Zeitpunkt z. B. mit seinen Erzählungen in Phase 4 befinden, während seine Anleitungstexte nur Phase 2 zuzuordnen sind. Daraus muss die didaktische Konsequenz gezogen werden, dass alle Schreibanlässe gleichermaßen mit den Kindern zu üben sind. 2. Eingedenk des gerade zu Beginn der Grundschulzeit weit gefächerten Entwicklungsstandes der Lernenden geben Augst et al. bewusst keine Altersoder Klassenstufenangaben an. Es ist in Ausnahmefällen durchaus möglich, dass ein Kind sich bei einer Textsorte noch in der vierten Klasse in der zweiten Entwicklungsphase befindet. Kompetenzorientiertes Unterrichten erfordert demnach individualisiertes Unterrichten – etwa im Sinne eines schreiber-differenzierten Unterrichts (vgl. 5.2.3). 3. Im Sinne einer angemessenen Kompetenzerwartung ist darauf hinzuweisen, dass in derjenigen Textsorte, bei der die Schülerinnen und Schüler am besten abgeschnitten haben, nämlich beim Erzählen (wahrscheinlich, weil es die literale Umwelt der Kinder stark prägt und in der Grundschule besonders geübt wird), nur knapp die Hälfte aller getesteten Kinder die vierte Entwicklungsphase erreichen; ein Ergebnis, das die hohe, in den Bildungsstandards geäußerte Kompetenzerwartung (vgl. 5.1) deutlich relativiert. Kompetenzaufbau im Schreibunterricht 85 5.3.2 Das Grundmuster kompetenzfördernden Schreibunterrichts Wie bereits im vorhergehenden Abschnitt deutlich wurde, muss sich ein kompetenzorientierter Schreibunterricht gewissermaßen an den Entwicklungsvorgang „anschmiegen“ und die Kinder auf diese Weise genau dort zu fördern suchen, wo sie sich im Erwerb gerade befinden. Für diesen wie den sich anschließenden Abschnitt wollen wir daher folgenden Orientierungsrahmen zugrunde legen: Welche Teilkompetenzen haben die Schüler bereits erworben? Welche Teilkompetenzen erwerben die Schüler gegenwärtig? Welche künftigen Teilkompetenzen können angebahnt werden? Die zentrale Idee ist die, dass man zu jedem Zeitpunkt des Kompetenzaufbaus danach fragt, welche Teilfähigkeiten bereits erworben sind und dementsprechend durch die eingesetzten Schreibaufgaben gefordert werden dürfen (und auch sollten). Dass man ferner danach fragt, worauf sich Schreiber aktuell im Entwicklungsprozess besonders konzentrieren und ihnen genau in diesem Punkt entsprechende Hilfestellung bietet (u. a. durch angepasste Schreibarrangements). Und dass man schließlich, sobald eine Teilkompetenz gefestigt ist, den nächsten Abschnitt der Entwicklung (Wygotzky 1964) antizipierend, bestimmte neue, noch nicht erworbene Teilkompetenzen bei den Schreibenden zu evozieren versucht. Für dieses Vorgehen bilden die zuvor vorgestellten Entwicklungsphasen sinnvolle Orientierungspunkte didaktischen Handelns. Zunächst aber – in Absehung von einer speziellen Entwicklungsphase – ist an Schreibaufgaben in einem kompetenzorientierten Unterricht generell die Forderung zu stellen, dass sie für die Schreiberinnen und Schreiber – wenigstens ansatzweise – kommunikativ plausible Arrangements aufspannen. Dies betrifft zunächst das Medium: Dass geschrieben wird – und nicht gesprochen –, muss „Sinn machen“ (vgl. dazu auch 5.3.3). Dies berücksichtigt ferner einen konkreten Adressaten, dessen Vorwissen einigermaßen von den Schreibenden eingeschätzt werden kann. Und dies betrifft schließlich auch den Schreibgegenstand oder das Thema: Es muss den Kindern so weit zugänglich sein (entweder durch ihr vorhandenes Weltwissen oder ggf. durch Nutzung externer Wissensspeicher), dass sie es kognitiv „im Griff“ haben; denn erst auf der Basis von Wissen – und dies gilt für das Schreiben generell – können sich Autoren sinnvoll schriftlich äußern. Da die frühen Phasen der Entwicklung noch relativ stark durch die Bedingungen des Schriftspracherwerbs eingeschränkt werden, sind zunächst freie Schreibaufträge (besser: Schreibimpulse) angemessen. Diese sollten eine Integration von ikonischen Darstellungsformen zulassen, sodass sich Geschrie- 86 Schreiben – Texte verfassen benes und Gemaltes in ihrer Ausdrucksfunktion ergänzen. (Freilich darf es nicht zu extremen Ausweichbewegungen zugunsten der grafischen Darstellung kommen.) Bedenkt man den emotional und subjektiv geprägten Zugang der Kinder zum Text (Phase 1: Assoziative Texte), sollten Schreibaufträge eng an die individuellen Interessen der Lernenden anknüpfen und deren Engagement für den Schreibgegenstand stimulieren; z. B. Schreiben zu ansprechenden Figuren aus ihrer Lebenswelt (wie bei Weinhold 2000). Wahrscheinlich wird in dieser Phase ein Adressatenbezug lediglich in Ansätzen realisiert werden, gleichwohl ergeben sich auch hier Möglichkeiten, an jemanden zu schreiben (z. B. mittels einer Postkarte, eines Briefchens für den Klassenpostkasten, eines Wunschzettels usw.). Und in diesen Fällen sollte dann unbedingt die kommunikative Funktion und Wirkung des Geschriebenen für die Kinder erfahrbar werden (etwa durch ein entsprechendes Antwortschreiben). Die für die zweite Entwicklungsphase verbreiteten stereotypen Satzanfänge werden oftmals durch das schreibdidaktische Brauchtum der Variation des Satzanfangs „bekämpft“. So verständlich dies ist, muss man sich doch zunächst die spezifischen Leistungen vergegenwärtigen, die von den Schülerinnen und Schülern in dieser Phase (Verkettende Texte) erbracht werden: Die Verkettungsstrukturen, wie sie für diese Phase typisch sind, führen – verglichen mit den Texten des ersten Entwicklungsniveaus – zu erstens deutlich geordneteren und zweitens stärker auf den Schreibgegenstand bezogenen Texten. Das sind beides Kompetenzaspekte, die zuvor noch nicht zu realisieren waren. So stellt auch eine schlichte „und dann“-Strategie für eine gewisse Zeit des Erwerbs ein durchaus probates Mittel dar. Angebahnt werden kann dieses Stadium beispielsweise durch kooperative Kettenerzählungen, die zunächst mündlich im Sitzkreis und evtl. mittels entsprechender Leitfragen („Was passiert dann?“, „Was kommt als Nächstes?“) evoziert werden. Im Sinne einer Stützfunktion lassen sich betreffende Leitfragen zudem in Schreibaufgaben sinnvoll integrieren. Hinzu kommt ein Kompetenzaspekt, der oft übersehen wird: Die Auswahl passender Inhaltselemente stellt für sich genommen bereits eine Leistung dar. So werden z. B. beim Erzählen gerade nicht jegliche oder alle denkbaren Handlungsschritte versprachlicht und ebenso wenig werden sämtliche Einrichtungsgegenstände innerhalb der Beschreibung eines Zimmers genannt. Um die Kinder hierin zu unterstützen, bieten sich gemeinsame Reflexionsphasen über diejenigen Inhaltselemente an, die zum Schreibauftrag passen, und solche, die dies nicht tun. Hinsichtlich der dritten Entwicklungsphase (Gegliederte Texte) sollte es darum gehen, die Verkettungsstrukturen zugunsten besonders gestalteter Textteile aufzulösen. Es ist denkbar, dass in diesem Zusammenhang auch die Variation des Satzanfangs ihren Beitrag leisten kann; dann aber nicht im Wechsel von „und dann“ zu „danach“ und „nachdem“ – wie im Falle des Erzählens –, Kompetenzaufbau im Schreibunterricht 87 sondern in einem Wechsel von „und dann“ zu „plötzlich“ oder „auf einmal“. Wichtiger aber sind kommunikativ-funktionale Ziele. Für das dritte Entwicklungsniveau bieten sich daher u. a. Schreibaufgaben mit Projektcharakter an (siehe dazu 5.5.2), die einzelnen Autorenteams bestimmte Textteile überantworten. So ließe sich im Falle einer Spielanleitung an das Projekt „Klassenturnier gegen die Parallelklasse“ denken, bei dem die einzelnen Teams einzelne Textteile, wie Spielinventar/-vorbereitung, Spielregeln, Spielziel/-sieger, Tipps und Tricks, Austragungsmodalitäten des Turniers usw., zu verfassen hätten. Ein solches Vorgehen macht die Ausdifferenzierung einzelner Textteile für die Autoren geradezu „sinnfällig“. Ab dieser Phase der Entwicklung ist es dann auch didaktisch sinnvoll, über sprachliche Gestaltungsmöglichkeiten für einzelne Textteile nachzudenken, entsprechende Sammlungen sprachlicher Gestaltungsmittel gemeinsam anzulegen (etwa zu wörtlicher Rede oder bestimmten Formulierungsoptionen beim Erzählen) und zu ihrer Realisierung im Rahmen des Schreibauftrags zu ermuntern. Wichtig dabei ist, dass derartige Sammlungen sprachlich-textueller Mittel immer in Bezug auf konkrete Textsorten und ihre Textteile erfolgen. Schließlich gilt für dieses Entwicklungsstadium: Spätestens ab jetzt müssen die Schülertexte die kommunikative Rückmeldung eines konkreten Lesers erhalten; z. B. durch jemanden, der die Anleitung im handelnden Nachvollzug prüft, bevor sich Überarbeitungsversuche anschließen. In ganz erheblichem Maße wird die gesamte Entwicklung von der Fähigkeit getragen, vor Beginn des eigentlichen Schreibaktes den Text als ganzheitliches Gebilde zu antizipieren. Besonders wichtig wird dies auf dem vierten Entwicklungsniveau (Textsortenfunktionale Texte). Entsprechende Schreibaufträge sollten deshalb unbedingt eine Planungsphase vorsehen, wobei mit geeigneten Übungsformen sichergestellt werden sollte, dass die Schreiber eine solche Planungsphase tatsächlich zu nutzen wissen. Ferner gilt es, die Schreibaufträge für diese Entwicklungsphase hinsichtlich ihres kommunikativen Arrangements so zu gestalten, dass die Schreibenden sinnvoll mit geschlossenen Ganztexten reagieren können (eine Einkaufsliste verfassen zu lassen, machte hier keinen Sinn mehr). Schließlich gilt auch hier, dass die kommunikative Einbindung des Geschriebenen, z. B. im Rahmen einer Schreibkonferenz (vgl. Becker-Mrotzek 2000) oder mittels einer Textlupe (vgl. Böttcher/Wagner 1993), didaktisch besonders wichtig ist (vgl. dazu 5.3.3). 5.3.3 Merkmale des kompetenzfördernden Schreibunterrichts Vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen kann nun auch beschrieben werden, was kompetenzfördernden Schreibunterricht auszeichnet. Fünf Aussagen dazu sollen im Folgenden erläutert werden. 88 Schreiben – Texte verfassen (1) Kompetenzfördernder Schreibunterricht beachtet besonders das Wissen der Schreiber. „Schreibkompetenz ist aufs Engste mit der Sachkompetenz verknüpft.“ (Becker-Mrotzek/Böttcher 2006, S. 59) Der Blick auf die Praxis des schulischen Schreibens belegt dies: Texte gelingen Kindern vor allem, wenn sie sich bei der Textproduktion auf eigenes Wissen stützen können. Doch was mit Wissen gemeint ist, kann nicht eindimensional beantwortet werden. Schon Grundschüler haben Wissensbestände, die unterschiedlichen Wissenstypen zuzuordnen sind und die sie beim Verfassen von Texten nutzen (sollten). Häufig unterschätzt wird die Bedeutung des inhaltlichen Wissens (Weltwissens). So gelingen Kindern etwa dann lesenswerte Texte zu Katzen, wenn sie über eigene Erfahrungen mit Katzen verfügen oder zumindest vor dem Schreiben Haustiere beobachtet haben. Texte werden dabei noch sehr unterschiedlich ausfallen: Entweder wird vorhandenes oder vermitteltes Wissen einfach wiedergegeben oder Erfahrungen/Gelerntes wird – der Aufgabe entsprechend – umgeformt. Solche anspruchsvolleren „Übersetzungen“ werden begünstigt, wenn Kinder mit (einfachen) Textmustern vertraut sind und auch über orthografische und grammatische Kenntnisse verfügen. Inhaltlich-thematisches Wissen reicht nun aber nicht: Schreiber benötigen ebenso prozedurales Wissen, um die Teilprozesse beim Schreiben angemessen zu koordinieren. Die damit verbundenen hohen Anforderungen werden gemildert, wenn durch vermehrtes Schreiben (im Unterricht) vertraute Vorgehensweisen (Schreibstrategien) gefördert und gefestigt werden. Aus Beobachtungen und Selbstaussagen versierter Schreiber hat Ortner (2000) insgesamt zehn verschiedene Schreibstrategien abgeleitet, die er drei Bereichen zuordnet. Im Blick auf vertraute Schreibaufgaben und den jeweiligen Stand der Schreibentwicklung werden in der Grundschule folgende Vorgehensweisen im Vordergrund stehen (Bezeichnungen nach Ortner 2000, S. 256 ff.): Bereich I: „(scheinbar) nichtzerlegendes Schreiben“ Schreibstrategie: Schreiben in einem Zug Beispiel: erste kleine Erzählungen, erste Mitteilungen (Briefe) (vgl. die Hinweise zu den Entwicklungsphasen 1 und 2 in Kap. 5.3.2) Bereich II: „produktzerlegendes Schreiben“ Schreibstrategie: moderat zerlegendes Schreiben von Textteilen Beispiel: Schreiben einer Abenteuergeschichte als Fortsetzungsgeschichte durch Schreibgruppen, die sich auf einen Plan als Vorgabe stützen (vgl. die Hinweise zu Entwicklungsphase 3 in Kap. 5.3.2) Bereich III: „aktivitätszerlegendes Schreiben“ Schreibstrategie: Herstellen von Texten über die Arbeit an Textfassungen Beispiel: Schreiben und Überarbeiten führen zur Endfassung (vgl. die Hinweise zu Entwicklungsphase 4 in Kap. 5.3.2) Kompetenzaufbau im Schreibunterricht 89 Es wird deutlich, dass die Dreiteilung mit der in diesem Beitrag vorgenommenen Unterscheidung (prozessorientiert – produktorientiert) korrespondiert: Es werden Schreibstrategien praktiziert, die entweder produkt- oder stärker prozessorientiert geprägt sind (Bereiche II und III). Gerade beim frühen Textschreiben werden allerdings häufig weder der Prozess noch das Produkt zerlegt (Bereich I). Wo Texte entwickelt und bei Bedarf überarbeitet werden, bleiben den Schreibern Unsicherheiten und mehr oder minder schwierige Entscheidungen nicht erspart: Zumindest Textteile müssen überlegt werden, zwischen alternativen Formulierungen ist eine Wahl zu treffen oder Auffälligkeiten bedürfen einer Überprüfung. Die damit verbundenen Anforderungen erfordern schon in der Grundschule ein gewisses Maß an „Problemlöse-Wissen“. Sprachproben stellen in dieser Hinsicht ein erprobtes Mittel dar, das zur Verbesserung von Formulierungen und bereits Geschriebenem beiträgt. So hilft lautes Lesen, sich zwischen möglichen Formulierungen zu entscheiden oder eine Alternative im Text auf ihre Eignung zu überprüfen (Klangprobe). Bei Absätzen, Satzpaaren und Sätzen kann es angebracht sein, durch Verschieben einzelner Sätze, Satzglieder, Wendungen oder Wörter den Textzusammenhang (die Kohärenz) zu stärken (Verschiebeprobe). Geschriebenes kann des Weiteren dadurch verbessert werden, dass man Wörter oder Wendungen ersetzt (Ersatzprobe) oder dass durch Weglassen von Wörtern oder Wortgruppen das Geschriebene gestrafft wird (Abstrichprobe). Erweiterungsproben helfen dabei, einzelne Textstellen durch Hinzufügen von Wörtern und Sätzen anzureichern oder zu präzisieren. Wiederkehrende Herausforderungen, inhaltlich-thematisches Wissen, prozedurales Wissen und Problemlöse-Wissen zu aktivieren, macht Schreibern bewusst, dass sie beim Verfassen von Texten inhaltlich Gewusstes auswählen und ordnen, dass sie sich für geeignete Verfahren entscheiden und vertraute Instrumente wie die Sprachproben gezielt einsetzen. Das Verfassen von Texten regt also das Nachdenken über das Vorgehen beim Schreiben und dessen Ergebnisse an. Das Verfassen von Texten in der Schule fördert somit bereits auch metakognitives Wissen. (2) Kompetenzfördernder Schreibunterricht beachtet besonders die Motivation der Schreiber. Darüber hinaus ist es Lehrerinnen und Lehrern besonders wichtig, dass Textschreiben in der Schule für die Kinder motivierend ist. Motivation als eine „milde Form der Besessenheit“ (de Charms) entsteht und trägt Schreiber aber nicht schon dann durch den gesamten Prozess und über alle Unsicherheiten, Schwierigkeiten, Zweifel und Entmutigungen hinweg, wenn für das Verfassen eines Textes zu Beginn ein zündender Impuls gesetzt wird. Es ist nicht auszu- 90 Schreiben – Texte verfassen schließen, dass eine solche Initialzündung in vielen Fällen rasch verpufft. Wenn also von Motivation beim Schreiben oder von motivierenden Schreibaufgaben gesprochen wird, dann stellt sich nicht nur die Frage, wie Lehrerinnen und Lehrer das Verfassen von Texten initiieren, sondern auch, wie die Lust am Schreiben über einen längeren Zeitraum gesichert, gegen ein Nachlassen der ersten Begeisterung, auch gegen aufkommende Schwierigkeiten und Widerstände beim Schreiben gehalten werden kann. Eine Motivation, die den gesamten Prozess trägt und die unterrichtlichen Bemühungen stützt, setzt nach den Erfahrungen der Motivationspsychologie voraus, dass ■ eine Situation besteht, die für Kinder das Verfassen eines Textes erforderlich macht oder herausfordert; ■ es Schreiberinnen und Schreibern einleuchtet, dass ihr Schreiben zu einem Ergebnis führt; ■ diese Tätigkeit Folgen zeitigt, die für den einzelnen Schreiber bedeutsam sind. Texte, die für alle in der Klasse oder Schule veröffentlicht werden, erfüllen jedenfalls diese Bedingungen ebenso wie Schreibvorhaben, die über die Schule hinaus etwas bewirken wollen. (3) Kompetenzfördernder Schreibunterricht beachtet die Unterschiede von Schreiberinnen und Schreibern. Bereits recht früh wird bei Grundschülern deutlich, dass es geübte und weniger geübte Schreiber gibt, dass zudem geschlechtsspezifische Unterschiede hinsichtlich des Vorwissens bestehen. Studien zeigen überwiegend, dass sich Geübtere und weniger Geübte darin unterscheiden, ■ wie sie eine Schreibaufgabe verstehen und wie sie damit umgehen, ■ wie sie Schreibziele erreichen, ■ auf welche Weise und wie beharrlich sie das eigene Vorgehen beim Schreiben koordinieren und überwachen. Mit diesen Ergebnissen korrespondieren Einschätzungen, die ältere Schülerinnen und Schüler mit Blick auf heranwachsende Schreiber äußern. Danach haben geübte Schreiberinnen und Schreiber weniger Mühe, Einfälle sprachlich umzusetzen. Sie können sich stärker „auf den Inhalt konzentrieren“. Ferner spricht einiges dafür, dass viele Mädchen eine besonders positive Einstellung zu Schreiben und Schrift entwickeln. Sie stellen sich – häufiger als Jungen – zu Hause selbst Schreibaufgaben. Sie wählen persönlichere Themen und bevorzugen bei ihren Texten die Ich-Perspektive. Mädchen, die schreiben, erfahren häufig, dass ihr Tun positiv beurteilt wird. Folglich werden sie – vor allem dann, wenn sie sauber und ordentlich arbeiten – ausgewählt, um Einladungen zu gestalten, Tafelbilder und Folien zu schreiben oder Klassentagebü- Kompetenzaufbau im Schreibunterricht 91 cher zu führen. Das alles fördert die Entwicklung schriftsprachlicher Fähigkeiten und erhöht in vielen Fällen die Erfolgszuversicht. Für Jungen – so hat es den Anschein – ist Schreiben seltener eine attraktive Tätigkeit (möglicherweise auch deshalb, um sich von Mädchen abzugrenzen). Die Folgen sind häufig geringere Schreiberfahrungen, verbunden mit größeren Unsicherheiten, was die Einschätzung des Erfolgs betrifft (vgl. Baurmann 2006, S. 72 ff.). Schreiberinnen und Schreiber unterscheiden sich des Weiteren darin, über wie viel und wie gut strukturiertes Wissen sie verfügen, wie sie dieses Wissen im Schreibprozess generieren und wie sie es umsetzen können. Die Anforderungen an das vorhandene Wissen sind dabei hoch und vielfältig (siehe oben). Schreiben verlangt ■ Wissen um die inhaltlich-thematischen Zusammenhänge sowie deren Entfaltung im Text; ■ Wissen um die Beziehungen des Erzählten, Beschriebenen oder Erörterten zu eigenen Vorkenntnissen und Erfahrungen; ■ Wissen über Ziele und Adressaten des Schreibens, über Textstrukturen und stilistische Varianten; ■ Wissen um Vorgehensweisen, um Möglichkeiten des Koordinierens, des Einschränkens oder Ausweitens von Teilprozessen beim Verfassen eines Textes. Die Vielfalt des Wissens und die gegebenenfalls daraus resultierenden Folgen sind nicht zu unterschätzen. Wenn Schülerinnen und Schüler über Erlebtes oder persönlich Bedeutsames schreiben, dann werden fast alle auf eine gut strukturierte Wissensgrundlage zurückgreifen können. Wenn Fiktives oder Problemerörterungen, die wenig mit der Erfahrungswelt von Kindern und Jugendlichen zu tun haben, verlangt werden, dann muss die vorhandene Wissensbasis häufig ergänzt, verändert und mit neu erworbenem Wissen vernetzt werden. Die didaktischen Folgen, die sich daraus ergeben, liegen auf der Hand. Um die zunächst vorhandene Freude am Schreiben zu sichern und gezielt auszubauen, liegt ein „schreiber-differenzierter Unterricht“ nahe (Baurmann/ Müller 1998), der vorhandene und denkbare Unterschiede berücksichtigt. Während ein (großer) Teil der Kinder nach umsichtiger unterrichtlicher Vorbereitung in der Lage sein wird, zumindest erste Fassungen recht selbstständig zu erstellen, werden insbesondere ungeübtere Schreiber hierbei binnendifferenzierend zu fördern sein. Das kann durch die freie Wahl einer Schreibaufgabe oder durch Schreibaufträge, die beispielsweise Jungen besonders ansprechen, ebenso geschehen wie durch eine intensivere Vorbereitung und durch eine behutsame Begleitung während des Schreibens. Einzelnen Kindern kann (und sollte) geholfen werden, wenn sich zunächst noch Schreiben – Texte verfassen 92 keine Idee für den Text einstellt, wenn sie den „roten Faden“ verlieren oder wenn ihre Konzentration nachlässt. Kinder schreiben, wie Befragungen zeigen, am liebsten zu Hause. So gesehen sollte das, was die schreibenden Kinder dabei schätzen (vertraute anregende Umgebung, bei Bedarf ungestört zu sein und nicht beobachtet zu werden), möglichst auf das Schreiben in der Schule übertragen werden. Eine Schreibecke mit geeigneten Schreibgeräten und -materialien, das Verfügen über Hilfen (bis hin zu einem Rechner) wirken gewiss motivierend. Darüber hinaus sollte auf das Schreiben von Hausaufsätzen verstärkt Wert gelegt werden. (4) Kompetenzfördernder Schreibunterricht weist eine erkennbare, für die Kinder nachvollziehbare Struktur auf. Schulisches Schreiben als Problemlösung geht von dem aus, was Kinder beim Verfassen von Texten als aussichtsreich ansehen, welche Mittel und Wege ihnen dafür geeignet erscheinen. Vielfältige, gewiss unterschiedliche Schreibversuche sind zumeist Erfolg versprechender als das Abarbeiten deduktiv vorgegebener Merkmale einzelner Textsorten oder die Verpflichtung auf eine bestimmte Schreibstrategie. Wo immer es sich anbietet, wird schulisches Schreiben infolgedessen induktiv geprägt sein. Dass ein solches Vorgehen zum Schreiben motiviert und schriftsprachliches Lernen fördert, liegt auf der Hand, zumal dann, wenn die mit einer solchen Entscheidung verbundenen Vorgehensweisen in eine erkennbare, auch für Kinder nachvollziehbare Struktur eingebettet sind. Wie unter 5.1 erörtert wurde, stellen auch die Bildungsstandards eine Grundstruktur heraus, wobei allerdings Momente des Schreibprozesses zu schlicht auf den didaktisch-methodischen Kontext abgebildet werden. Angemessener ist eine an schreibtheoretischen Erkenntnissen ausgerichtete, didaktische Umsetzung in Unterrichtsphasen. Die folgende Übersicht deutet einen solchen Weg an: Vorbereiten Schreiben Abschließen Anknüpfen am Vorwissen der Schreiber; Erarbeiten und Sichern des notwendigen weiteren Wissens, ggf. Bereitstellen von Materialien; Klären der Schreibaufgabe, ggf. schriftsprachliche Vorübungen Schreiben und Überarbeiten von Entwürfen oder Teilfassungen bis hin zur Endfassung Besprechen und Beurteilen der Endfassung; Präsentieren, Veröffentlichen der Ergebnisse Kompetenzaufbau im Schreibunterricht 93 (5) Kompetenzorientierter Unterricht orientiert sich an didaktischen Prinzipien (Reduktion von Komplexität, Stufung der Schwierigkeiten). Allgemein geltende didaktische Prinzipien haben in der Didaktik eine lange Tradition. Sie können als Leitlinien für Unterricht aufgefasst werden. Für einen schreiber-differenzierten Unterricht kommen insbesondere die Reduktion von Komplexität und die Stufung von Schwierigkeiten (vom Einfachen zum Schwierigeren) in Betracht. Produktorientierte Formen der Reduktion sind beim Verfassen von Texten in der Grundschule hinreichend vertraut. So erleichtern es etwa Teiltexte (beispielsweise das Setting als Anfang eines Erzähltextes) den Schreibern, die Geschichte weiterzuschreiben; oder Aussparungen in der „Mitte“ der Erzählung konzentrieren die Arbeit auf die Gestaltung des Erwartungsbruchs. Des Weiteren können Vorgaben (wie Bilderfolge, die Reihung ausgewählter Geräusche, die Präsentation einzelner Gegenstände) Textproduktionen ebenso erleichtern wie abgschlossene Texte, die zu Paralleloder Gegentexten herausfordern. Unter prozessorientierter Sicht steht die Entlastung bei einzelnen Teilprozessen im Vordergrund: So kann innerhalb eines schreiber-differenzierten Unterrichts Kindern das schreibmotorische Ausführen dadurch erleichtert werden, dass Texte am PC geschrieben (oder von schwachen Schreibern versierten Schreibern diktiert) werden. Das Planen kann durch Mindmaps oder Cluster entlastet werden, das Formulieren (stilistisch, grammatisch und rechtschriftlich) durch Wörterbücher oder durch ein sogenanntes Wörterbüro. Mit dem zuletzt Genannten ist gemeint, dass sich die Lehrkraft während des Schreibens ausdrücklich als Anlaufstelle für Einzelfragen der Kinder zur Verfügung hält. Weit ist schließlich das Spektrum an Möglichkeiten hinsichtlich des Überarbeitens. Für die Grundschule ist dabei insbesondere auf die Verfahren Fragelawine, Textlupe und Schreibkonferenz hinzuweisen. Während bei der Textlawine und ersten Schreibkonferenzen als offeneren, weniger strukturierten Verfahren Kinder erst lernen, ihre Kommentare am Rand oder Redebeiträge im Gespräch über den Text aufeinander zu beziehen, gibt die Textlupe ein strukturiertes Vorgehen vor. Kinder tragen ihre Beobachtungen in eine Tabelle ein, die von konstruktiven Impulsen wie etwa den folgenden ausgeht: Das hat mir besonders gut gefallen. – Hier fällt mir etwas auf. – Hier habe ich noch Fragen. – Meine Tipps (zuletzt Böttcher/Becker-Mrotzek 2003, S. 116). Fragelawine und Textlupe werden in der Grundschule einen hohen Stellenwert haben, während bei den Schreibkonferenzen die kognitiven, sprachlichen, sozialen und emotionalen Ansprüche nicht unterschätzt werden sollten (vgl. zuletzt Fix 2006, S. 176). Die bisherigen Diskussionen über einen kompetenzorientierten Unterricht haben gezeigt, wie schwer es ist, Schreibaufgaben nach ihrem Schwierigkeitsgrad zu unterscheiden. Wir können dazu innerhalb dieses Beitrags lediglich 94 Schreiben – Texte verfassen erste Orientierungen entwickeln. Hilfreich und gewiss aussichtsreich ist dabei die Unterscheidung, die Böttcher/Becker-Mrotzek (2006, S. 60 ff.) vornehmen. „Einfache Schreibaufgaben“ sind dann jene, die „im Rückgriff auf vorhandenes Wissen“ gelöst werden können. „Schwierige Schreibaufgaben“ erfordern hingegen, dass bei der Textproduktion „Gewusstes … unter einer bestimmten Perspektive verändert wird“. Ob für die Grundschule darüber hinaus auch „komplexe Schreibaufgaben“ in Betracht kommen, bei denen „neues Wissen zu schaffen ist“, ist noch nicht geklärt. Die Beispiele, die Böttcher/Becker-Mrotzek anführen (u. a. Textanalyse, Rezension, Facharbeit, s. S. 62 ff.) verstärken eine solche Einschätzung. Einfacher und nachvollziehbarer ist hingegen eine Stufung nach Schwierigkeit im Bereich des Überarbeitens. Unterscheidet man Revisionen nach ihrer Komplexität, dann lassen sich einfache Formen des Überarbeitens (Nachträge, Korrekturen und einfache Verbesserungen auf der Textoberfläche) und aufwändigere Formen des Überarbeitens (Verbesserungen und Umsetzungen/ Neufassungen bis in die Tiefenstruktur) unterscheiden. Unter vorrangig prozessorientierter Sicht kann zusätzlich unter dem Aspekt differenziert werden, ob die Schreiber lediglich wenige oder bereits mehrere Teilprozesse des Schreibens bei der Textproduktion koordinieren. 5.4 Kompetenzmodell für den Bereich Schreiben – Texte verfassen Wer Schreibfähigkeiten von Kindern im Unterricht fördern will, tut sich leichter, wenn er Schreiben lernbereichsspezifisch (domänenspezifisch) als Kompetenz zu modellieren weiß. Bevor hier versucht wird, Schreibkompetenz und Teilkompetenzen zu erörtern, sollte auf zwei Sachverhalte hingewiesen werden, die zu denken geben – der gegenwärtig oft inflationäre, „freihändige“ Gebrauch des Begriffs Kompetenz (vgl. Ortner 2000, S. 106 f.) und die Tatsache, dass in der Schreibforschung unterschiedliche Ansätze bisher nicht vermittelt nebeneinanderstehen. Letzteres resultiert bereits aus der Tatsache, dass Schreiben als Verfassen von Texten äußerst komplex ist und dass die vorliegenden Darstellungen (Modellierungen) zur Schreibkompetenz unterschiedliche Zugänge wählen. Infolgedessen bietet es sich in diesem Beitrag an, zunächst einige Entwicklungslinien der Diskussion aufzugreifen. Einmütigkeit besteht in Didaktik und Schule darüber, dass Schreibkompetenz eine prozess- und eine produktorientierte Seite aufweist. Bislang für den Deutschunterricht entwickelte Modelle zur Schreibkompetenz betonen mehr oder minder eine der genannten beiden Seiten. Dass solche Versuche im Einzelfall den Unterricht unterschiedlich prägen, liegt auf der Hand. So ist Kompetenzmodell für den Bereich Schreiben – Texte verfassen 95 die „Annäherung an eine Definition von ‚Schreibkompetenz’“ bei Fix (2006, S. 24 ff.) relativ stark prozessorientiert fundiert; Teilkompetenzen entwickelt der Autor dabei von Fragen aus, deren Bedeutung für den Unterricht unbestritten ist (vgl. Fix 2006, S. 26 ff.): ■ Warum und für wen schreibe ich? (= Zielsetzungskompetenz) ■ Was schreibe ich? (= inhaltliche Kompetenz) ■ Wie baue ich einen Text auf? (= Strukturierungskompetenz) ■ Wie formuliere und überarbeite ich? (= Formulierungskompetenz) Eine ebenfalls prozessorientierte Ausrichtung prägt das Konzept von Abraham et al. (2007), wobei die Autoren die engen Beziehungen zwischen Schreiben und Lesen herausstellen möchten. Grundschulkinder müssen demnach erst lernen, dass es neben der Schreiberperspektive auch eine Lesersicht gibt und dass zunehmend versiertes Schreiben und Überarbeiten des flexiblen Wechsels zwischen beiden Perspektiven bedarf. Ausbau und Erweiterung der Schreibkompetenz wird im Rahmen dieses Ansatzes als zunehmend komplexere Verknüpfung schriftsprachlicher Teilfähigkeiten aufgefasst. Eine Folgerung, die sich daraus für das schulische Schreiben entwickeln lässt, ist bereits oben unter 5.3.3 Punkt 5 erörtert worden. So wichtig die Teilprozesse sind, so konsequent sind deren Folgen zu erörtern: Schreibhandlungen führen zu Produkten. Infolgedessen ist der prozessorientierten eine produktorientierte Sicht zur Seite zu stellen. Genau in diesem Sinne wollen wir mit unserem Kompetenzmodell gezielt danach fragen, welche Teilfähigkeiten exklusiv oder besonders spezifisch für das Schreiben von Texten sind. Sonst gerät man in Gefahr, Kategorien heranzuziehen, die für jegliche sprachlichen Kommunikationsvorgänge mit derselben Berechtigung gelten. Wir sondern dazu zunächst allgemeine kognitive Fähigkeiten sowie den Faktor „Motivation“ aus (vgl. jetzt und im Folgenden das Schaubild auf S. 96). Deklaratives, prozessuales, metakognitives und problemlösendes Wissen sind ohne Zweifel wichtige Grundvoraussetzungen für das Schreiben, aber eben nicht nur für dieses. Die Unterscheidung von Prozess- und Produktperspektive wollen wir beibehalten. Wir gehen aber zusätzlich davon aus, dass es sich tatsächlich um Perspektiven auf ein und dasselbe sprachliche Phänomen handelt. Bereits Bühler hat mit seinen Begriffen der „Sprechhandlung“ und des „Sprachwerks“ darauf hingewiesen, dass man ein und dasselbe sprachliche Phänomen einmal in einer subjektbezogenen Handlungsperspektive und zugleich in einer subjektentbundenen Werkperspektive betrachten kann (1982, S. 49). Genau dieses Verhältnis scheint uns mit der Unterscheidung von Schreibprodukt und -prozess gegeben zu sein und beide Perspektiven sind für einen kompetenzorientierten Unterricht relevant. Schreiben – Texte verfassen 96 Bei den schreibprozessbezogenen Teilkompetenzen gehen wir wie zuvor von den drei grundlegenden Komponenten des Schreibprozesses aus. Während man hier beim Formulieren unter Handlungsperspektive kaum weitere Teilfähigkeiten unterscheiden kann, muss man beim Planen mindestens zwei, beim Überarbeiten sogar vier Teilkompetenzen unterscheiden. Deklaratives Wissen Metakognitives und Problemlösewissen Prozessperspektive • Sprachhandlung • Medialität Produktperspektive • Sprachwerk • Konzeptualität Planungskompetenz (Auswahl und Strukturierung von Textinhaltselementen) Ausdruckskompetenz: (Ausgleich fehlender Ausdrucksqualitäten wie Mimik/Gestik durch lexikalische und syntaktische Mittel) Formulierungskompetenz (Verfügen über und Auswählen von für die Schreibintention und den Schreibauftrag angemessene(n) Formulierungs- und Gestaltungsoptionen) Kontextualisierungskompetenz: (Aufbau einer aus sich selbst heraus verständlichen Textwelt) Überarbeitungskompetenz (Distanzieren vom eigenen Text, Identifizieren von Auffälligkeiten, Diagnostizieren, Bewerten von Alternativen) Prozedurales Wissen (motorisch-technisch) Schreibkompetenz Antizipationskompetenz: (Einschätzung und Vorwegnahme möglicher Leserreaktionen) Textgestaltungskompetenz: (Aufbau und Strukturierung des Textes in einer nachvollziehbaren Ordnung; u. U. auf der Basis von Textsortenwissen) Motivation Die schreibproduktbezogenen Teilkompetenzen haben wir in Anlehnung an Überlegungen von Feilke und Augst entwickelt (vgl. 1989). Die Autoren nehmen an, dass Kommunikationsaspekte, die auch in der mündlichen Kommunikation relevant sind, in der schriftlichen Textproduktion besonders viru- Kompetenzmodell für den Bereich Schreiben – Texte verfassen 97 lent werden bzw. einen Autor vor besonders hohe Anforderungen stellen: Die in der Schriftlichkeit fehlenden Ausdrucksmöglichkeiten (u. a. Mimik und Gestik) müssen mit genuin verbalen Mitteln zurückgewonnen werden. Während sich ein Sprecher auf Kontextinformationen stützen kann, muss der Textproduzent solche für das Verstehen zentralen Informationen in seinem Text erst etablieren, also eine aus sich selbst heraus verständliche „Textwelt“ erschaffen. Die Reaktionen des Gesprächspartners sind dem Sprecher unmittelbar zugänglich, der Schreibende hingegen muss sie wenigstens ein Stück weit antizipieren und sich mit seinem Schreiben darauf einstellen. Und schließlich: Dadurch, dass es bei der Textproduktion um umfangreichere sprachliche Einheiten geht, bedarf es besonderer Verfahren der Textordnung. Für didaktisches Handeln ist nun die Frage extrem bedeutsam, wie die beiden Seiten des Kompetenzmodells (Prozess und Produkt) aufeinander bezogen sind. Hierzu ist festzustellen, dass es keine eineindeutigen Zusammenhänge zwischen speziellen Prozessteilkompetenzen und speziellen Produktteilkompetenzen gibt. Dies können wir an einem Beispiel verdeutlichen: Wenn ein Schülertext in Produktperspektive beispielsweise bestimmte Schwächen hinsichtlich der Leserantizipation aufweist, kann dies erstens in einem ungenügenden Planungsprozess, zweitens in der Wahl unangemessener Formulierungen und drittens in einer oberflächlichen Überarbeitungsphase seine Ursachen haben. Und ebenso gilt umgekehrt: Schwächen z. B. in der Planungsphase können zu einer misslungenen Textordnung, zu einer verunglückten Leserantizipation oder zu einer lückenhaften Kontextualisierung führen. Dies macht noch einmal sehr deutlich, dass wir es lediglich mit zwei unterschiedlichen Perspektiven auf das Phänomen Text zu tun haben. Was zunächst vielleicht als ein Nachteil erscheint, eröffnet einer Schreibdidaktik im gleichen Moment vielfältige Möglichkeiten, den Lernenden Zugänge zum Verfassen von Texten zu erschließen und ihnen gezielte Trainings- und Übungsmöglichkeiten zu verschaffen. So lassen sich verschiedene Produktqualitäten mit besonderem Augenmerk auf eine bestimmte Schreibprozessphase üben (z. B. mit der Aufgabenstellung, bei der Textplanung besonders auf die Bedürfnisse eines zu antizipierenden Lesers zu achten oder beim Vorgang des Überarbeitens den Fokus besonders auf einen aus sich selbst heraus verständlichen Text zu legen). Hier sind vielfältige Kombinationsmöglichkeiten nicht nur denkbar, sondern bei der individuellen Kompetenzförderung sogar wünschenswert. Kompetenzmodelle zeichnen sich in der Regel nicht nur dadurch aus, dass sie zentrale Teilkompetenzen ausweisen, sondern dass mit ihnen auch eine Stufung hinsichtli

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