🎧 New: AI-Generated Podcasts Turn your study notes into engaging audio conversations. Learn more

2-1 Gesundheitsförderung.pdf

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

Document Details

DesirableTantalum

Uploaded by DesirableTantalum

FernUniversität Hagen

Tags

health promotion health psychology public health

Full Transcript

B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 1 1 1 Gesundheitsförderung Lernziele Nach der Lektüre dieses Kapitels  wissen Sie, welcher Unterschied im deutschsprachigen Raum zwischen Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention vorgenommen wird, ...

B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 1 1 1 Gesundheitsförderung Lernziele Nach der Lektüre dieses Kapitels  wissen Sie, welcher Unterschied im deutschsprachigen Raum zwischen Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention vorgenommen wird,  können Sie die verschiedenen Handlungsebenen von Gesundheitsförderung benennen,  wissen Sie, was der Setting-Ansatz beinhaltet,  kennen Sie ein theoretisches Rahmenmodell zur Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention,  sind Sie in der Lage, das Gesunde-Städte-Projekt zu charakterisieren,  haben Sie die Notwendigkeit von Gesundheitsförderungsmaßnahmen reflektiert, die auf die Lebenswelt einer Zielgruppe zugeschnitten sind. 1.1 Zentrale Definitionen und Begriffsbestimmungen Zentrale Gegenstandsbereiche der Gesundheitspsychologie sind der Erhalt und die Förderung von Gesundheit sowie die Verhütung von Störungen und Krankheiten (Schwarzer, 2002). Dies wird bereits im Kapitel 1 „Einführung in die Gesundheitspsychologie“ des Kurses 1 im Zusammenhang mit den Themen und Grundhaltungen der Gesundheitspsychologie erläutert. Einige der dort eher kurz behandelten Aspekte werden im Folgenden aufgegriffen und vertieft. Die Gesundheitspsychologie geht dabei von dem umfassenden Gesundheitsverständnis der Weltgesundheitsorganisation (WHO; Grad, 2002) aus, demzufolge Gesundheit mehr ist als nur die Abwesenheit von Krankheit und Gebrechen, sondern ein Zustand völligen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens. Die Konzipierung, theoretische Einbettung und Evaluierung von Interventionsprogrammen zur Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention, durch die Gesundheit im Sinne dieses umfassenden Verständnisses gefördert oder wiederhergestellt wird, sind wichtige Anwendungsgebiete gesundheitspsychologischer Forschung und Anwendung. 1.1.1 Abgrenzung von Gesundheitsförderung zur Krankheitsprävention Krankheitsprävention wird im nachfolgenden Kapitel 2 „Krankheitsprävention“ von Kurs 2 ausführlich behandelt. An dieser Stelle werden jedoch bereits einige Merkmale von Krankheitsprävention hervorgehoben, die im Sinne einer Kontrastierung zur Begriffsbestimmung von Gesundheitsförderung hilfreich sind. Dies ist auch deshalb sinnvoll, da im deutschen Sprachraum eine deutliche Abgrenzung der beiden Begriffe vorgenommen wird, während im angloamerikanischen Sprachraum die Begriffe Gesundheitsförderung (engl.: health promotion) und Krankheitsprävention (engl.: disease prevention) in der Regel bedeutungsgleich verwendet werden. Gemeinsames Ziel von Maßnahmen beziehungsweise Interventionen zur Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention ist die Verbesserung und Erhaltung von Gesundheit auf individueller und kollektiver Ebene durch die Reduktion von Krankheitsrisiken sowie die Förderung gesundheitlicher Ressourcen. Die Unterschiede der beiden Zugangswege liegen in ihren grundlegenden Ansätzen, dem Krankheitsparadigma (siehe Kurs 1, Kapitel 1 B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 1 2 „Einführung in die Gesundheitspsychologie“), den Kernfragen und dem Gesundheits- und Krankheitsbegriff (siehe Tabelle 1.1). Tabelle 1.1 Gesundheitsförderung und Prävention Konzepte Gesundheitsförderung Prävention Salutogenese (Antonovsky) Pathogenese Betonung von protektiven Identifizierung von Risikofaktoren, Ansatz Faktoren/Ressourcen, Resilienz, gesundheitsschädlichen Kohärenzgefühl und Selbstwirksamkeit Verhaltensweisen Krankheitsmodell biopsychosozial biomedizinisch Was erhält Menschen gesund (trotz Was macht Menschen krank Kernfrage Belastungen)? (Risikofaktoren)? Gesundheit und Krankheit befinden Krankheit ist ein regelwidriger Gesundheits- und sich auf einem Kontinuum (kein Zustand, Diagnostik mit ICD-10 (bzw. Krankheitsbegriff Gegensatzpaar) ICD-11) der WHO Anmerkung. Nach Schön, 2007, S. 100. Während sich Gesundheitsförderung an der Dynamik der Entstehung von Gesundheit orientiert, ist Krankheitsprävention an der Dynamik der Entstehung von Krankheiten ausgerichtet. Dementsprechend ist das Wirkprinzip der Krankheitsprävention die Ausschaltung beziehungsweise das Zurückdrängen von Risikofaktoren, das der Gesundheitsförderung hingegen der Aufbau und die Stärkung von Schutzfaktoren und Ressourcen (Hurrelmann et al., 2010). 1.1.2 Salutogenese als Grundhaltung in der Gesundheitsförderung Die übergeordnete Zielstellung der Gesundheitsförderung ist die Verbesserung von Gesundheit durch verschiedene Strategien und Interventionen. Diese umfassen sowohl die Vermittlung und Stärkung von Gesundheitskompetenzen als auch die Verbesserung von Umgebungsbedingungen. Zu dem letztgenannten Punkt zählt unter anderem der Abbau von (sozialen, gesellschaftlichen) Ungleichheiten, die gesundheitsbeeinträchtigend wirken können (Schön, 2007; siehe auch Kurs 2, Kapitel 6 und 7 „Intervention Mapping I und II“). Im Zusammenhang mit der Bestimmung des Gegenstandsbereichs der Gesundheitsförderung ist ihre salutogenetische Grundhaltung relevant. Das Konzept der Salutogenese, dessen zentrales Anliegen das Verständnis der Entstehungs- und Erhaltungsbedingungen von Gesundheit ist (siehe Kurs 1, Kapitel 1 „Einführung in die Gesundheitspsychologie“), steht dem der Pathogenese (griech.: Pathos = Krankheit) gegenüber, die sich in erster Linie an krankmachenden Faktoren beziehungsweise Risikofaktoren orientiert. Die salutogenetische Sichtweise interpretiert Gesundheit und Krankheit nicht als einander ausschließende Zustände, sondern als gedachte Endpunkte eines Gesundheits-Krankheits- Kontinuums. Der Gesundheitszustand einer Person kann als deren aktuelle Position auf dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum beschrieben werden (siehe Abbildung 1.1). B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 1 3 Abbildung 1.1 Ziele von Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention. Aus Becker, 1997, S. 519 Gesundheitsförderung zielt darauf ab, die ermittelte Position einer Person auf dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum nach links, also in Richtung des Endpunkts Gesundheit, zu verschieben (siehe Abbildung 1.1). Somit ist Gesundheit nach dem ressourcenorientierten beziehungsweise salutogenetischen Ansatz nach Antonovsky (1979, 1987) keine klar abgegrenzte Kategorie im Sinne von „gesund versus krank“, sondern ein dynamischer Prozess. Diese Perspektive ist insbesondere im Kontext der Gesundheitsförderung für Menschen mit chronischen Erkrankungen und dauerhaften Behinderungen hilfreich, da nicht die Beeinträchtigung durch eine Krankheit oder Behinderung im Vordergrund steht, sondern die Förderung von Gesundheitskompetenzen, Unterstützung bei der gesellschaftlichen Teilhabe und die Verbesserung des subjektiven Wohlbefindens und der gesundheitsbezogenen Lebensqualität fokussiert werden (siehe auch Kurs 2, Kapitel 9 „Patientenschulungen“). 1.2 Zugänge in der Gesundheitsförderung Die Determinanten, die im Zusammenhang mit dem Erhalt und der Förderung von Gesundheit bedeutsam sein können, sind vielfältig und müssen im Kontext der sozialen und ökologischen Rahmenbedingungen eines Menschen betrachtet werden (siehe Abbildung 1.2). Dies entspricht der ökologisch-systemischen Sichtweise von Menschen und ihren Umwelten, die die Gesundheitspsychologie insgesamt einnimmt (siehe auch Kurs 1, Kapitel 1 „Einführung in die Gesundheitspsychologie“). B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 1 4 Abbildung 1.2 Gesundheitsdeterminanten. Verfügbar unter http://fgoe.org/sites/fgoe.org/files/2018- 02/Determinanten_sw_0.jpg Gesundheitsförderung ist ein komplexes individuelles, soziales und gesellschaftliches Anliegen, das die Verbesserung von gesundheitsrelevanten Lebensweisen und -bedingungen umfasst. Dementsprechend will Gesundheitsförderung nicht nur auf die Lebens- und Handlungsmöglichkeiten Einzelner einwirken und Menschen auf diesem Weg zur Verbesserung ihrer Gesundheit befähigen, sondern darüber hinaus ökonomische, soziale, ökologische und kulturelle Bedingungen verändern, die Gesundheit und Krankheit beeinflussen können (Kaba- Schönstein, 2017). Dies verweist auf die gesundheitspolitische Relevanz der Gesundheitsförderung, die auch angesichts steigender Prävalenzraten von chronischen Erkrankungen in Form von Maßnahmen zur gesundheitsbezogenen „Hilfe zur Selbsthilfe“ zunehmend an Bedeutung gewinnt (Rosenbrock & Kümpers, 2006). Ausdruck dieser Entwicklung sind beispielsweise die von Krankenkassen angebotenen Programme zur Förderung einer gesundheitsbewussten Lebensweise (z. B. Stressbewältigungstrainings, Nikotinentwöhnung und Kurse zur ausgewogenen Ernährung wie auch Programme zur Bewegungsförderung) sowie die Einführung von Bonusprogrammen durch Krankenkassen, mit denen gesundheitsbewusstes Verhalten, wie etwa regelmäßige sportliche Aktivität, finanziell gefördert wird. Ein globales Ziel ist die feste Verankerung von Gesundheitsförderung im direkten Lebensumfeld beziehungsweise im Alltag von Menschen. Damit verbunden ist die Stärkung von Eigeninitiative und Eigenverantwortung für eine nachhaltig gesundheitsbewusste Lebensweise und Einstellung (Schön, 2007). 1.2.1 Gesundheitsförderung im Sinne der Ottawa-Charta Auf der ersten internationalen Konferenz zur Gesundheitsförderung wurde die „Ottawa- Charta zur Gesundheitsförderung“ (WHO, 1986) verabschiedet, in der Gesundheitsförderung folgendermaßen definiert wird: Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen. Um ein umfassendes körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden zu erlangen, ist es notwendig, dass sowohl einzelne als auch Gruppen ihre Bedürfnisse befriedigen, ihre Wünsche und Hoffnungen wahrnehmen und verwirklichen sowie ihre Umwelt meistern beziehungsweise verändern können. In diesem Sinne ist die Gesundheit als B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 1 5 ein wesentlicher Bestandteil des alltäglichen Lebens zu verstehen und nicht als vorrangiges Lebensziel. Gesundheit steht für ein positives Konzept, das in gleicher Weise die Bedeutung sozialer und individueller Ressourcen für die Gesundheit betont wie die körperlichen Fähigkeiten. Die Verantwortung für Gesundheitsförderung liegt deshalb nicht nur bei dem Gesundheitssektor, sondern bei allen Politikbereichen und zielt über die Entwicklung gesünderer Lebensweisen hinaus auf die Förderung von umfassendem Wohlbefinden hin. Kasten 1.1. Definition von Gesundheitsförderung durch die WHO (1986, S. 1). Die Ottawa-Charta enthält somit zwei wesentliche Kerngedanken: Gesundheitsförderung ist erstens eine Aufgabe aller Politikbereiche, und zweitens ist die Stärkung der Kompetenzen, die es Individuen und Gruppen ermöglichen, ihre Bedürfnisse wahrzunehmen, die eigenen Stärken zu erkennen und Einfluss auf ihre Umwelt auszuüben, der zentrale Ansatzpunkt der Gesundheitsförderung (Altgeld & Kolip, 2010). Gesundheitsförderung bezeichnet demnach alle Eingriffshandlungen, die der Stärkung individueller Fähigkeiten zur Lebensbewältigung durch die Verbesserung der ökonomischen, kulturellen, sozialen, bildungsmäßigen und hygienischen Bedingungen der Lebensgestaltung dienen. Eine wichtige Voraussetzung für gezielte Interventionen ist die Kenntnis salutogenetischer Dynamiken, das heißt der Entstehung und Aufrechterhaltung von individuellen und kollektiven Gesundheitsstadien (Hurrelmann et al., 2010). Die von der WHO (1986) in der Ottawa-Charta verankerten Handlungsprinzipien einer „New Public Health“ beinhalten somit weitaus mehr als die Minimierung von Krankheitsrisiken, sondern vielmehr die Kompetenzen „Interessen vertreten“ (engl.: advocate), „befähigen und ermöglichen“ (engl.: enable) und „vermitteln und vernetzen“ (engl.: mediate). Die Schaffung gesundheitsförderlicher Lebenswelten und ein aktives, gesundheitsförderndes Handeln benötigen wiederum die Entwicklung einer gesundheitsfördernden Gesamtpolitik. In mehreren WHO-Folgekonferenzen wurden die Strategien und Handlungsfelder der Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung weiterentwickelt und geschärft. Die auf diesen Konferenzen behandelten Schwerpunktthemen und die dort verabschiedeten Grundsatzdokumente können unter http://www.who.int/healthpromotion/conferences/en/ eingesehen werden. 1.2.2 Mehrebenen-Ansatz der Gesundheitsförderung In der Ottawa-Charta (WHO, 1986) wurden außerdem fünf vorrangige Handlungsebenen für Gesundheitsförderung benannt, die auch als Mehrebenen-Ansatz bezeichnet werden (siehe Abbildung 1.3). B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 1 6 Abbildung 1.3 Mehrebenen-Ansatz der Gesundheitsförderung. Aus Kaba-Schönstein, 2017 Auf der obersten Ebene ist die Entwicklung einer gesundheitsfördernden Gesamtpolitik angesiedelt, die sich nicht auf die Sicherung der medizinischen und sozialen Versorgung beschränkt. Erst wenn Gesundheit und Gesundheitsförderung in allen Politikbereichen (z. B. auch der Umweltpolitik) repräsentiert sind, können gesundheitsförderliche Lebenswelten gesichert werden. Da das Gesundheitsversorgungssystem in Deutschland bisher stärker auf kurative, medizinische Betreuung ausgelegt ist, sollte nach dem Mehrebenen-Ansatz auf der Ebene der Institutionen eine bessere Koordination zwischen dem Versorgungssystem und anderen gesellschaftlichen Bereichen erfolgen. Dies kann unter anderem durch die Initiierung und Begleitung gesundheitsbezogener Gemeinschaftsaktionen etwa in Nachbarschaften und Gemeinden erreicht werden. Die Möglichkeit zur Entwicklung persönlicher gesundheitsbezogener Kompetenzen ist umso eher gegeben, je umfassender auf den übergeordneten Ebenen gesundheitsfördernde Bedingungen realisiert sind. Video 1.1 veranschaulicht die Handlungsstrategien und Ebenen der Gesundheitsförderung, die in der Ottawa-Charta festgehalten wurden. Die konkrete Anordnung der ansonsten identischen Ebenen des Mehrebenen-Ansatzes unterscheidet sich in verschiedenen Publikationen und Darstellungsformen geringfügig; dementsprechend finden sich marginale Unterschiede zwischen der Darstellung in Abbildung 1.3 und Video 1.1, die jedoch keine inhaltliche Bedeutung haben. Video 1.1. An introduction to Health Promotion and the Ottawa-Charter. Verfügbar unter https://youtu.be/G2quVLcJVBk 1.2.3 Der Setting-Ansatz in der Gesundheitsförderung Eine weitere Kernstrategie der Gesundheitsförderung ist der Setting-Ansatz, der Gesundheitsförderung auf die Lebensbereiche, Systeme und Organisationen ausrichtet, in denen Menschen einen großen Teil ihrer Lebenszeit verbringen und die mit ihrem sozialen Gefüge die Gesundheit der Einzelnen beeinflussen. Er ist daher ein Ansatz, der ergänzend zum Mehrebenen- Ansatz wirksam wird, da alle fünf Ebenen der Gesundheitsförderung in Bezug auf Settings relevant sein können. Settings (im Deutschen auch: Lebenswelten) sind etablierte soziale Systeme (z. B. Kindertagesstätten, Betriebe, Gemeinden), von denen bekannt ist oder angenommen wird, B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 1 7 dass sie einen Einfluss auf die Gesundheit haben und die durch gesundheitsfördernde Maßnahmen gestaltet werden können (Dadaczynski et al., 2016). Gesundheitsförderung nach dem Setting-Ansatz der Ottawa-Charta der WHO (1986) umfasst neben Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheit durch Vermittlung und Stärkung von Gesundheitskompetenzen ebenso eine Veränderung der Lebensverhältnisse von Menschen und den Abbau sozialer Ungleichheiten (Schön, 2007). Gesundheitsförderung zielt also, wie oben bereits beschrieben, nicht nur darauf ab, Menschen im Sinne des Salutogenese-Konzepts nach Antonovsky (1979, 1987) zu befähigen, mehr Kontrolle über die ihre Gesundheit beeinflussenden Faktoren zu erlangen, sondern auch auf die Reduktion bestehender sozialer Benachteiligungen in der Gesundheits- und Lebenserwartung bei verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Eine wesentliche Grundidee des Setting-Ansatzes besteht daher darin, Gesundheit nicht als abstraktes Ziel zu definieren, sondern als etwas, was im Alltag hergestellt und aufrechterhalten werden muss. Daher muss Gesundheitsförderung in den Alltag der Menschen integriert werden. Mithilfe des Setting-Ansatzes können Ziele und Zielgruppen genau definiert und Strategien daraufhin genau auf diese Rahmenbedingungen zugeschnitten werden (Whitelaw et al., 2001). Die „Schaffung gesundheitsfördernder Lebenswelten“ als eine der fünf zentralen Handlungsebenen sowie das „Vermitteln und Vernetzen“ als eine der drei zentralen Handlungsstrategien der Gesundheitsförderung heben die Bedeutung des Setting-Ansatzes für die Gesundheitsförderung hervor. Die internationalen Folgekonferenzen der WHO zur Gesundheitsförderung, die oben erwähnt werden, haben den Setting-Ansatz als Kernstrategie der Gesundheitsförderung in ihr Programm aufgenommen (siehe Abbildung 1.4) und in seiner Anwendung bestätigt und fortgeschrieben. Abbildung 1.4 Entwicklung des Setting-Ansatzes der Gesundheitsförderung im Rahmen der internationalen WHO-Konferenzen zur Gesundheitsförderung. Verfügbar unter https://www.tk.de/resource/blob/2026636/f55b213879b922ba0e3755bd9b380429/gesundheits foerderung-an-hochschulen-data.pdf; Innformationen zur 9. WHO-Konferenz in Shanghai (2016) sind verfügbar unter https://www.who.int/publications/i/item/promoting-health-in-the-sdgs. Informationen zur 10. WHO-Konferenz in Genf (2021) sind verfügbar unter B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 1 8 https://www.who.int/news/item/15-12-2021-10th-global-conference-on-health-promotion- charters-a-path-for-creating-well-being-societies 1.2.4 Das systemische Anforderungs-Ressourcen-Modell Das systemische Anforderungs-Ressourcen-Modell (SAR-Modell; Becker, 2006) stellt den Versuch dar, die in Abbildung 1.3 dargestellten Ebenen miteinander zu verbinden und zu integrieren. Es basiert auf dem transaktionalen Stressmodell nach Lazarus (Lazarus & Folkman, 1984, siehe Kurs 1, Kapitel 3 „Stress und Stressbewältigung“) sowie dem salutogenetischen Ansatz (Antonovsky, 1979, 1987) und berücksichtigt bedürfnistheoretische, systemische und ökologische Perspektiven und Ansätze. Im SAR-Modell werden Gesundheit und Krankheit als Resultat von Anpassungs- und Regulationsprozessen zwischen einer Person und ihrer Umwelt konzipiert. Sowohl die Umwelt als auch die Person werden als komplexe, hierarchisch strukturierte Systeme aufgefasst. Zur Bewahrung oder Förderung der Gesundheit ist es erforderlich, dass es der Person gelingt, externe und interne Anforderungen mit Hilfe externer und interner Ressourcen zu bewältigen (Becker, 2006; siehe Abbildung 1.5). B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 1 9 Abbildung 1.5 Das systemische Anforderungs-Ressourcen-Modell. Nach Blümel, 2015 Anforderungen und Ressourcen Anforderungen sind im SAR-Modell Bedingungen, mit denen sich eine Person auseinandersetzen muss. Externe Anforderungen sind Anforderungen, die die Umwelt beispielsweise im beruflichen und privaten Bereich stellt. Der Wunsch der Partnerin oder des Partners nach gemeinsamen Aktivitäten ist ein Beispiel für eine externe soziale Anforderung. Interne Anforderungen resultieren aus den individuellen Bedürfnissen, Zielen und Wertvorstellungen. Zu den wichtigen Bedürfnissen von Menschen zählen neben körperlichen Grundbedürfnissen (z. B. nach Nahrung, Schlaf, Sexualität, Bewegung) die Bedürfnisse nach Erkundung der Umwelt und des Selbst, Selbstverwirklichung, Orientierung und Sicherheit, Bindung und Achtung. Diesen Anforderungen stehen interne und externe Ressourcen gegenüber. Interne Ressourcen sind die zur Verfügung stehenden Handlungsmöglichkeiten und Eigenschaften (z. B. Fähigkeiten und Kompetenzen, Selbstwirksamkeitserwartungen, Persönlichkeitseigenschaften) sowie körperliche Voraussetzungen wie die physische Fitness oder der allgemeine Gesundheitszustand. Externe Ressourcen kommen aus der Umwelt und somit aus den verschiedenen Lebensbereichen einer Person, auf die sich ihre Bedürfnisse richten (z. B. liebevolle und vertrauensvolle Beziehungen in Partnerschaft, Familie und Freundeskreis, sinnvolle und herausfordernde Aufgaben in Arbeit und Ausbildung). Im günstigen Fall werden Anforderungen durch die Nutzung oder den Austausch von Ressourcen bewältigt (siehe Abbildung 1.5). So reagiert beispielsweise eine Person auf eine externe Anforderung (z. B. Zusatzarbeit durch die Krankheit einer Kollegin) mit der Aktivierung interner und/oder externer Ressourcen (z. B. Suche nach sozialer Unterstützung). Umgekehrt kann die soziale Umwelt externe Ressourcen bereitstellen, wenn die internen Anforderungen einer Person (z. B. Bedürfnis nach Sicherheit und körperlicher Unversehrtheit) wahrgenommen beziehungsweise kommuniziert werden. Eine solche externe Ressource kann beispielweise der Zugang zu Leistungen des Gesundheitssystems sein. Gesundheitsbeeinträchtigungen werden im systemischen Anforderungs-Ressourcen-Modell als Folge unangemessener Anforderungen und/oder fehlender Ressourcen beschrieben. Ein guter Gesundheitszustand hingegen resultiert aus einem Gleichgewicht zwischen Anforderungen und Ressourcen (Becker, 2006). B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 1 10 Gesundheitsförderung nach dem SAR-Modell Das SAR-Modell bietet einen theoretischen Rahmen für die Begründung und Integration von Ansätzen zur Gesundheitsförderung. Einen ersten Ansatzpunkt für Gesundheitsförderung stellt die Anpassung externer Anforderungen an die Voraussetzungen und individuellen Besonderheiten einer Person dar. Es geht dabei etwa um die Erweiterung von Gestaltungsfreiräumen und Kontrollmöglichkeiten am Arbeitsplatz und um die Verbesserung sozialer und ökologischer Umweltbedingungen. So können physische Stressoren am Arbeitsplatz durch ergonomische Maßnahmen und geregelte Pausenzeiten verringert oder sogar vermieden werden. Unter gesundheitsförderliche Maßnahmen fällt auch die Auswahl der für eine Person am geeignetsten erscheinenden Umwelt, zum Beispiel durch Entscheidungsmöglichkeiten über Ausbildungsplatz und Arbeitsstelle (Blümel, 2015; Reimann & Hammelstein, 2006). Einen zweiten Ansatzpunkt stellen die internen Anforderungen dar. Dies schließt die Vermeidung von psychischer Unter- und Überforderung in verschiedensten Lebensbereichen (Arbeit, Familie, Ausbildung, Freizeit) und in der Konsequenz das Akzeptieren eigener Grenzen und deren Einhaltung ein. Auch eine Unter- und Überforderung der physischen Subsysteme, zum Beispiel durch Missbrauch von Substanzen, Fehl- oder Mangelernährung oder Bewegungsmangel, sollten vermieden werden. Darüber hinaus ist auf die Befriedigung von wesentlichen Bedürfnissen und das damit verbundene subjektive Wohlbefinden zu achten, zum Beispiel durch Genuss- und Entspannungsübungen oder Erholung. Weiterhin kann Gesundheitsförderung durch den Aufbau und die Bereitstellung externer Ressourcen, wie eine saubere Umwelt, funktionierende gesellschaftliche Systeme (Bildungssystem, Gesundheitssystem, politisches System, kulturelles Wertesystem) und zufriedenstellende Wohnbedingungen erfolgen. Außerdem werden der Aufbau, die Pflege und die Nutzung sozialer Unterstützungssysteme (z. B. Partnerschaften, Freundschaften, familiäre Beziehungen), die Bereitstellung eines ausgewogenen Nahrungsangebots etwa in Kantinen, die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Bereitstellung von Gesundheitsaufklärung und -trainings in Elternhäusern, Schulen, Einrichtungen der Erwachsenenbildung, Beratungsstellen, Arztpraxen und stationären Einrichtungen unter die externen Ressourcen gefasst. Letztlich kann die Stärkung und Vergrößerung der internen Ressourcen von Personen das Ziel von gesundheitsfördernden Maßnahmen sein. Dazu zählen unter anderem die Verbesserung der körperlichen Fitness (z. B. durch regelmäßiges und richtig dosiertes Sporttreiben), die Verbesserung der psychischen Gesundheit (z. B. durch Nutzung von Beratungsangeboten), die Verbesserung der Kommunikations- und Konfliktlösekompetenzen (z. B. durch ein Training zum Verzicht auf Gewalt als Mittel der Konfliktlösung; siehe auch Kurs 2, Kapitel 10 „Ressourcenförderung“), die Verbesserung der Stressbewältigungskompetenzen (z. B. durch Stressbewältigungstrainings) und die Vertiefung des eigenen schulischen, beruflichen oder gesundheitsbezogenen Wissens sowie die Erweiterung von Gesundheitskompetenzen durch Fortbildung, Training oder Schulung (Blümel, 2015; Reimann & Hammelstein, 2006). 1.3 Beispiele für Ansatzpunkte und Strategien gesundheitsfördernder Maßnahmen Gesundheitsfördernde Maßnahmen können sich dahingehend unterscheiden, wie umfangreich, aber auch wie innovativ ihre Ansätze sind. Die folgenden beiden Beispiele sollen über die üblicherweise betrachteten Settings hinausgehend verdeutlichen, wie verschieden die Inhalte und die Umsetzung von Interventionen zur Gesundheitsförderung sein können. B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 1 11 1.3.1 Globale gesundheitsfördernde Maßnahmen: Das Gesunde-Städte-Projekt Eine weltweit angelegte Initiative ist das Modellprojekt „Healthy Cities“ (Gesunde-Städte- Projekt), das 1986 im Zusammenhang mit der Ottawa-Charta gestartet wurde. Dieses von der WHO initiierte Projekt ist ein langfristiges, international ausgerichtetes Projekt zur Gesundheitsförderung (Ashton et al., 1986). Sein Ziel besteht darin, weltweit die Gesundheit der Bevölkerung in Städten und Gemeinden in der politischen Tagesordnung zu verankern und eine Lobby für die Stärkung der öffentlichen Gesundheit aufzubauen, um einen Beitrag zur Verbesserung des körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens von Menschen zu leisten. In Europa haben sich rund 100 Städte in 30 Ländern dieser Initiative angeschlossen, darunter in Deutschland zum Beispiel Hamburg, Berlin, Münster, Dortmund und Dresden (siehe http://www.gesunde-staedte-netzwerk.de/index.php?id=2). Die Grundlegung und Vorgehensweise des Gesunde-Städte-Projekts zeigt Video 1.2. Video 1.2. WHO: Making cities healthier – improving health for all. Verfügbar unter https://youtu.be/cmSLlKLHjVo Das Ziel der Verbesserung des körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens der Bewohner:innen einer Stadt erfordert den Einbezug aller Ebenen der Gesundheitsförderung (siehe Abbildung 1.3), von der Stadtregierung und -verwaltung bis hin zu den einzelnen Bewohner:innen. Die Veränderung von Entscheidungs- und Kommunikationsstrukturen ist für die Erreichung von Gesundheitsförderung und Gesundheitsgerechtigkeit ebenso wichtig wie die Kooperation aller beteiligten Institutionen und Agierenden in dem Prozess (WHO, 1997). Es werden dabei im Allgemeinen elf Indikatoren für eine gesunde Stadt beschrieben: 1. eine saubere, sichere und qualitativ hochwertig physische Umwelt (auch bezogen auf die Wohnumgebung), 2. ein aktuell und in Zukunft stabiles und nachhaltiges Ökosystem, 3. eine starke, unterstützende und nicht-ausbeutende Gemeinde, 4. ein hohes Maß an Partizipation und Kontrolle der Öffentlichkeit bei denjenigen Entscheidungen, die ihr Leben, ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden betreffen, 5. die Befriedigung von Grundbedürfnissen (nach Ernährung, Wasser, Schutz, Einkommen, Sicherheit) für alle Menschen einer Stadt, 6. Zugang zu vielfältigen Erfahrungen, Ressourcen und Möglichkeiten zu Kontakt, 7. eine gesunde, breit gefächerte und innovative wirtschaftliche Situation in der Stadt, 8. die Ermutigung zur Besinnung und Nutzung der historischen, kulturellen und biologischen Wurzeln der Bewohner:innen einer Stadt, 9. eine Gestaltung, die die bereits genannten Merkmale unterstützt oder zumindest mit ihnen vereinbar ist, 10. eine für alle zugängliche optimale Gesundheitsversorgung, 11. ein hohes Ausmaß an Gesundheit und ein geringes Vorkommen von Krankheit. Die Förderung dieser Indikatoren erfolgt durch die Planung und Durchführung von Teilprojekten, die auf einzelne oder mehrere Ziele, Indikatoren oder Gruppen ausgerichtet sind und zur Verbesserung umschriebener gesundheitsbezogener Bereiche dienen sollen. In Bangkok wurden 1994 von der Regierung der Metropolregion drei Stadtteile für den Start von Gesunde-Städte-Projekten vorgesehen. Die wesentlichen Zielbereiche dabei waren 1. die Erhöhung von Partizipation, 2. Vernetzung zwischen der Regierung und dem privaten Sektor und 3. die Verbesserung von Lebensbedingungen in verschiedenen Settings (z. B. Arbeit, Schule). Die drei Zielbereiche sollen durch die Ausdifferenzierung verschiedener Teilprogramme und die B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 1 12 Entwicklung und Implementierung von Interventionen für diese Teilprogramme erreicht werden (Kenzer, 1999). In Kasten 1.2 werden Interventionsbereiche für ein Teilprogramm aufgeführt: Das „Healthy and Safe Workplace“-Teilprogramm richtete sich sowohl auf die gesundheitsbezogenen Arbeitsbedingungen in größeren Fabriken als auch solche in Klein- und Kleinstbetrieben. Unter anderem wurden in dem Programm folgende Ansatzpunkte gewählt:  Bildung für Arbeiter:innen,  Unterstützung und Training von Nicht-Regierungsorganisationen, die Bildung vor allem in Klein- und Kleinstbetrieben implementieren sollen,  Partizipation und Mitbestimmung von Arbeiter:innen in Gewerkschaften,  Nutzung von Massenmedien für Bildung,  Einrichtung von Gesundheitsdiensten für Arbeiter:innen,  spezielle Aufmerksamkeit auf die Bedürfnisse von Arbeiterinnen und Unterstützung für Frauenvereinigungen,  Etablierung von Kommunikationswegen zwischen den Entscheidungsträgern in der Wirtschaft, den Arbeitenden und den Verantwortlichen für den Schutz der Umwelt. Kasten 1.2. Inhalte der Gesunde-Städte-Teilprojekte in Bangkok. Nach Kenzer, 1999. Die Evaluation der Wirksamkeit dieser Maßnahmen kann nur langfristig und durch die Bündelung sehr unterschiedlicher Erfolgskriterien erfolgen. Insgesamt ist allerdings festzustellen, dass bis heute keine zusammenfassende Bewertung des „Healthy and Safe Workplace“- Teilprogramms veröffentlicht wurde. In diesem Zusammenhang weisen Park et al. (2021) darauf hin, dass unter anderem fehlende gesetzliche Rahmenbedingungen für die Realisierung einer gesunden Stadt die Abgrenzung von Gesunde-Städte-Projekten zu anderen Gesundheitsförderungsprojekten und damit auch eine eigenständige abschließende Evaluation erschweren. 1.3.2 Gesundheitsförderungsmaßnahmen in zielgruppenspezifischen Settings Settings wurden oben als soziale Systeme charakterisiert, von denen bekannt ist oder angenommen wird, dass sie gesundheitsrelevant sind, und in denen gesundheitsfördernde Maßnahmen realisiert werden können. Die Implementierung von settingbezogenen Interventionen setzt jedoch die Kenntnis voraus, welche Settings für eine Zielgruppe tatsächlich relevant sind, um so speziell auf diese Zielgruppe zugeschnittene Maßnahmen mit wirksamen Kommunikationsstrategien entwickeln zu können (Kreuter & Wray, 2003; siehe auch Kurs 2, Kapitel 6 und 7 „Intervention Mapping I und II“). Das Potential und die Voraussetzungen für die Nutzung von zielgruppenspezifischen Settings für gesundheitsfördernde Maßnahmen kann am Beispiel von Schönheitssalons illustriert werden, die von afroamerikanischen Frauen in Nordamerika frequentiert werden. Afroamerikanische Frauen in den USA leben im Vergleich zu Frauen kaukasischer Ethnizität in einer Situation gesundheitlicher Benachteiligung. Sie haben eine geringere Lebenserwartung und höhere Prävalenzraten bei gesundheitlichen Gefährdungen und Krankheiten wie Bluthochdruck, Krebs und HIV/Aids (Williams, 2002). Daher sind sie eine wichtige Zielgruppe für gesundheitsfördernde Maßnahmen. Afroamerikanische Frauen besuchen Schönheitssalons zur Pflege und Gestaltung von Haaren, Gesicht, Nägeln und Körper so häufig, dass die Salons für diese Gruppe als etabliertes und relevantes Setting gelten können (Browne, 2006). Die Kenntnis darüber, dass afroamerikanische Frauen in dem Setting Schönheitssalon für gesundheitsfördernde Maßnahmen erreichbar sein könnten, führte zur Entwicklung verschiedener Interventionen, die B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 1 13 weitere Merkmale dieses spezifischen Settings berücksichtigen, wie etwa die wahrgenommene Glaubwürdigkeit der Mitarbeiterinnen in den Salons aufgrund des besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen ihnen und ihren Kundinnen (Linnan & Ferguson, 2007). Vor der Implementierung von Interventionen wurde zunächst durch vorbereitende Forschung geprüft, welche Rahmenbedingungen bei der Implementierung der Interventionen beachtet werden müssen. Solche ganz zentralen Rahmenbedingungen des Settings Schönheitssalons waren die grundsätzliche Bereitschaft von Mitarbeiterinnen, gesundheitsfördernde Informationen an die Kundinnen zu vermitteln, und die Ermittlung von Tagen, an denen besonders viele Kundinnen erreicht werden können. Kasten 1.3 zeigt ein Beispiel für eine Intervention und die Überprüfung ihrer Wirksamkeit. Zur Verbesserung des Ernährungs- und Bewegungsverhaltens sowie zur Erhöhung des Wasserkonsums wurde eine sechswöchige Intervention entwickelt, bei der die Kundinnen durch geschulte Mitarbeiterinnen von Schönheitssalons zur Verhaltensveränderung motiviert und mit neuen Produkten vertraut gemacht wurden. In einem quasi-experimentellen Design wurden in zwei Schönheitssalons jeweils 10 Stammkundinnen zufällig ausgewählt und entweder der Interventions- oder der Kontrollgruppe zugeteilt. Das Verhalten wurde zu zwei Zeitpunkten, einmal zu Beginn und einmal am Ende, des sechswöchigen Zeitraumes erfragt. Bei der Interventionsgruppe zeigte sich eine signifikante Verbesserung des angezielten Verhaltens im Vergleich zu der Kontrollgruppe. Kasten 1.3. Beispiel für eine gesundheitsfördernde Maßnahme für afroamerikanische Frauen im Setting Schönheitssalon (Johnson et al., 2010). Insgesamt erwies sich die Nutzung des Settings Schönheitssalon als ein wirksamer Weg, um gesundheitsfördernde Maßnahmen für afroamerikanische Frauen umzusetzen (Linnan et al., 2014). Allerdings können auch in diesem Setting nicht alle Personen der Zielgruppe erreicht werden, da zum Beispiel für den Besuch eines Schönheitssalons zumindest eine gewisse finanzielle Basis erforderlich ist. Auch dieses zweite Beispiel soll verdeutlichen, wie wichtig eine genaue Analyse der Bedarfe und Bedürfnisse von Zielgruppen ist, für die gesundheitsfördernde Maßnahmen entwickelt werden sollen (siehe auch Kurs 2, Kapitel 6 und 7 „Intervention Mapping I und II“). Bei jeder entsprechenden Intervention muss daher geprüft werden, in welchem Setting sie am wirkungsvollsten realisiert werden kann. Neben den bereits mehrfach erwähnten „klassischen“ Settings (also etwa Kindertagesstätten, Betriebe, Gemeinden) gibt es wie bei dem Gesunde- Städte-Projekt auch solche, die aufgrund von geographischen Gegebenheiten geeignet sind oder andere, die sich zum Beispiel im Zuge informationstechnischer Entwicklungen als virtuelle Settings etablieren und entsprechend genutzt werden können. Literaturverzeichnis Altgeld, T., & Kolip, P. (2010). Konzepte und Strategien der Gesundheitsförderung. In K. Hurrelmann, T. Klotz, & J. Haisch (Eds.), Lehrbuch Prävention und Gesundheitsförderung (pp. 45-56). Bern: Huber. Antonovsky, A. (1979). Health, stress and coping – New perspectives on mental and physical well-being. Jossey-Bass. Antonovsky, A. (1987). Unraveling the mystery of health: How people manage stress and stay well. Jossey- Bass. B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 1 14 Ashton, J., Grey, P., & Barnard, K. (1986). Healthy cities – WHO's new public health initiative. Health Promotion International, 1(3), 319-324. https://doi.org/10.1093/heapro/1.3.319 Becker, P. (1997). Prävention und Gesundheitsförderung. In R. Schwarzer (Ed.), Gesundheitspsychologie. Ein Lehrbuch (pp. 517-534). Hogrefe. Becker, P. (2006). Gesundheit durch Bedürfnisbefriedigung. Hogrefe. Blümel, S. (2015). Systemisches Anforderungs-Ressourcen-Modell in der Gesundheitsförderung. In Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung (Ed.), Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Verlag für Gesundheitsförderung. Browne, R. C. (2006). Most black women have a regular source of hair care-but not medical care. Journal of the National Medical Association, 98(10), 1652-1653. Dadaczynski, K., Baumgarten, K., & Hartmann, T. (2016). Settingbasierte Gesundheitsförderung und Prävention. Kritische Würdigung und Herausforderungen an die Weiterentwicklung eines prominenten Ansatzes. Prävention und Gesundheitsförderung, 11, 214-221. https://doi.org/10.1007/s11553-016- 0562-1 Grad, F. P. (2002). The preamble of the Constitution of the World Health Organization. Bulletin of the World Health Organization, 80(12), 981-984. Hurrelmann, K., Klotz, T., & Haisch, J. (2010). Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung. In K. Hurrelmann, T. Klotz, & J. Haisch (Eds.), Lehrbuch Prävention und Gesundheitsförderung (pp. 13-23). Huber. Johnson, L. T., Ralston, P. A., & Jones, E. (2010). Beauty salon health intervention increases fruit and vegetable consumption in African-American women. Journal of the American Dietetic Association, 110(6), 941-945. https://doi.org/10.1016/j.jada.2010.03.012 Kaba-Schönstein, L. (2017). Gesundheitsförderung I: Grundlagen. In Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung (Ed.), Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Verlag für Gesundheitsförderung. Kenzer, M. (1999). Healthy cities: A guide to the literature. Environment and Urbanization, 11(1), 201-220. https://doi.org/10.1177/095624789901100103 Kreuter, M. W., & Wray, R. J. (2003). Tailored and targeted health communication: Strategies for enhancing information relevance. American Journal of Health Behavior, 27(3), S227-S232. https://doi.org/10.5993/ajhb.27.1.s3.6 Lazarus, R. S., & Folkman, S. (1984). Stress, appraisal, and coping. Springer. Linnan, L. A., D’Angelo, H., & Harrington, C. B. (2014). A literature synthesis of health promotion research in salons and barbershops. American Journal of Preventive Medicine, 47(1), 77-85. https://doi.org/10.1016/j.amepre.2014.02.007 Linnan, L. A., & Ferguson, Y. O. (2007). Beauty Salons: A promising health promotion setting for reaching and promoting health among African American women. Health Education & Behavior, 34(3), 517-530. https://doi.org/10.1177/1090198106295531 Park, S., Yoon, K., & Lee, M. (2021). Healthy City Project: An application of data envelopment analysis. Risk Management and Healthcare Policy, Volume 14, 4991–5003. https://doi.org/10.2147/RMHP.S325825 Reimann, S., & Hammelstein, P. (2006). Ressourcenorientierte Ansätze. In B. Renneberg & P. Hammelstein (Eds.), Gesundheitspsychologie (pp. 13-28). Springer. Rosenbrock, R., & Kümpers, S. (2006). Zur Entwicklung von Konzepten und Methoden der Prävention. Psychotherapeut, 51(6), 412-420. https://doi.org/10.1007/s00278-006-0511-0 Schön, M. (2007). Medizinische Psychologie und Soziologie. Springer. B. Sc. Psychologie, AF G; Kurs 2, Kapitel 1 15 Schwarzer, R. (2002). Gesundheitspsychologie. In R. Schwarzer, M. Jerusalem, & H. Weber (Eds.), Gesundheitspsychologie von A bis Z (pp. 175-179). Hogrefe. Whitelaw, S., Baxendale, A., Bryce, C., MacHardy, L., Young, I., & Witney, E. (2001). ‘Settings’ based health promotion: A review. Health Promotion International, 16(4), 339-353. https://doi.org/10.1093/heapro/16.4.339 Williams, D. R. (2002). Racial/ethnic variations in women’s health: The social embeddedness of health. American Journal of Public Health, 92(4), 588-597. https://doi.org/10.2105/ajph.92.4.588 World Health Organization (1986). The Ottawa Charter for Health Promotion. World Health Organization (Ed.) (1997). Twenty steps for developing a Healthy Cities Project. WHO Regional Office for Europe.

Use Quizgecko on...
Browser
Browser