Psychotische Störungen und Schizophrenie PDF
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This document provides a lecture or presentation on psychotische Störungen und Schizophrenie. It covers various aspects including diagnostic criteria (DSM-5), symptoms, and potential causes of the disorder. The document also discusses the epidemiology and possible impacts of the disorder. The lecturer or presenter is at UNIVERSITÄT BERN
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Psychotische Störungen und Schizophrenie (Kapitel 44) Leitfragen > > > > > Welche Störungen lassen sich (mittels DSM‐5) klassifizieren? Wie sind diese Störungen geordnet, charakterisiert und definiert? Welche (differential)diagnostischen Überlegungen sind relevant? Wie verbreitet sind diese Störunge...
Psychotische Störungen und Schizophrenie (Kapitel 44) Leitfragen > > > > > Welche Störungen lassen sich (mittels DSM‐5) klassifizieren? Wie sind diese Störungen geordnet, charakterisiert und definiert? Welche (differential)diagnostischen Überlegungen sind relevant? Wie verbreitet sind diese Störungen? Wie verlaufen sie typischerweise? Welche Erklärungsmodelle für diese Störungen gibt es? Psychotische Störungen Psychotische Störungen Schizophrenie‐Spektrum‐Störungen Schizophrenie (diverse Formen) Wahnhafte Störungen Kurze psychotische Störung Schizoaffektive Störungen (z.B. schizomanische Störung, schizodepressive Störung) Schizophreniforme Störung Substanzinduzierte Psychotische Störung Störungen durch psychotrope Substanzen Affektive Störungen Depression/Manie mit psychotischen Symptomen Schizotype Störung Paranoide Persönlichkeitsstörung Persönlichkeitsstörungen Hinweis: Grösse der Felder entspricht nicht den Prävalenzen Historisches Eugen Bleuler > ….prägte den Begriff Schizophrenie > …wies auf Heterogenität hin und prägte Begrifflichkeiten für die Unterformen > …prägte Ordnung der Symptomatik Kurt Schneider > …prägte Unterteilung in Symptome 1. und 2. Ranges Zentralbibliothek Zürich Emil Kraepelin und Eugen Bleuler als Vorreiter der Schizophrenie-Forschung Positiv‐ & Negativsymptomatik Positivsymptomatik Halluzination Wahn Desorganisiertes Denken Desorganisiertes/ bizarres Ausdrucksverhalten Ich-Störungen (→vgl S.954) Übermass, Verzerrung, Ergänzung normaler psychischer Funktionen Negativsymptomatik Verminderung von Expressivität, Mimik und Gestik Alogie Affektverflachung „5 grosse A“ Anhedonie → vgl S 954 Asozialität Avolition Rückgang von Freude & Motivation Verminderung, Rückgang, Verlust normaler psychischer Funktionen Symptome: Wahn Definition Wahn: > unveränderbare Überzeugung (Fehlbeurteilung der Realität), die trotz gegenteiliger Evidenz bestehen bleibt und die für Betroffene eine unmittelbare Gewissheit hat. z.B. Überzeugung, abgehört zu werden, Überzeugung, Nachrichten aus dem Fernsehen zu empfangen Verfolgungs~ Beziehungs~ Grössen~ Religiöser~ Körperbezogener~ Hypochondrischer~ Nihilistischer~ Liebes~ (→ vgl S.951/952) > bizarrer Wahn: Überzeugung kann unmöglich wahr sein, kann nicht aus kulturellem Lebenshintergrund hergeleitet werden Symptome: Halluzination Definition Halluzinationen > wahrnehmungsähnliche Erfahrungen ohne eine entsprechende externale Reizquelle. > nicht durch Betroffene kontrollierbar, Intensität und Qualität entsprechen „normaler“ Wahrnehmung > alle Sinnesmodalitäten möglich, häufig auditive Halluzinationen in Form von Stimmenhören >z.B. Stimmen, Geräusche, Musik hören, ohne dass entsprechende Quelle vorhanden ist Halluzination & Wahn …sind charakteristisch für psychotischen Zustand → nicht-teilbare (oder schwer teilbare) Realität → Psychotische Störung = Psychische Störung mit Beeinträchtigung des Realitätsbezugs Symptome: desorganisiertes Denken Definition: Desorganisiertes Denken > Eine formale Denkstörung, während der die Art des Denkens verändert ist und die häufig die Kommunikation erschwert. Formen: > Assoziationslockerung & Ideenflucht: Gedanken springen von einem Thema zum nächsten > Danebenreden: Antworten sind nicht mit eigentlicher Frage verknüpft. > Zerfahrenheit/Inkohärenz: Desorganisation in der Sprache (bis hin zur Unverständlichkeit) > Gedankenabreissen/Perseveration: plötzliche Unterbrechung/ständige Wiederholung des Gedankengangs Symptome: desorganisiertes Verhalten / Bewegungsstörungen Definition: Desorganisiertes Verhalten / Bewegungsstörungen > Auffälligkeiten, die sich in der Motorik und im Verhalten äussern. Formen: > Unruhe > Stereotype Bewegungen / Grimassieren (Manierismen) > Verharren in rigiden körperlichen Stellungen (katatoner Stupor, Haltungsstereotypien) > wächserne Biegsamkeit > vollständiges Fehlen verbaler und motorischer Reaktionen (Mutismus) Symptome: Negativsymptomatik Definition: Negativsymptomatik > Verminderung oder Verlust von psychischen Funktionen oder Erleben. Charakeristisch sind: Verminderung von Expressivität, Mimik und Gestik Alogie: Sprachverarmung Affektverflachung: Reduzierter affektiver Ausdruck, auch bei Bericht über emotionale Erlebnisse Rückgang von Freude & Motivation Anhedonie: Verlust (antizipatorischer) Freude Asozialität: sozialer Rückzug Avolition: Reduktion zielgerichteter Aktivitäten Vgl auch Hoyer & Knappe, 2020, S 954 Schizophrenie (DSM‐5) Zwei (oder mehr) der folgenden Symptome, jedes bestehend für einen erheblichen Teil einer einmonatigen Zeitspanne. Mind. eines dieser Symptome muss (1), (2) oder (3) sein. 1. 2. 3. 4. 5. Wahn. Halluzinationen. Desorganisierte Sprechweise (z.B. häufiges Entgleisen oder Zerfahrenheit). Grob desorganisiertes oder katatones Verhalten. Negativsymtome (z. B. verminderter emotionaler Ausdruck oder reduzierte Willenskraft «Avolition»). B. Mind. ein zentraler Funktionsbereich (Arbeit, Beziehungen, Selbstfürsorge) beeinträchtigt. C. Zeichen des Störungsbildes halten durchgehend für mind. 6 Monate an. Die 6-monatige Periode …muss mind. einen Monat umfassen, in dem das Kriterium A (d.h. floride Symptome) erfüllt ist....kann Perioden mit prodromalen oder residualen Symptomen einschließen, welche durch ausschließlich negative Symptome oder durch abgeschwächte Symptome gekennzeichnet sind. Ausschluss von schizoaffektiver Störung, depressiver oder bipolare Störung. …nicht Folge von Substanzwirkung oder medizinischem Krankheitsfaktor. Zusatzkriterium falls Autismus-Spektrum-Störung /Kommunikationsstörung im Kindesalter in der Vorgeschichte: mind. 1 Monat ausgeprägte Wahnphänomene oder Halluzinationen erforderlich. D. E. F. Floride Phase A. Subtypisierung verworfen (APA, 2015) Leitfragen > > > > > Welche Störungen lassen sich (mittels DSM-5) klassifizieren? Wie sind diese Störungen geordnet, charakterisiert und definiert? Welche (differential)diagnostischen Überlegungen sind relevant? Wie verbreitet sind diese Störungen? Wie verlaufen sie typischerweise? Welche Erklärungsmodelle für diese Störungen gibt es? Diagnostik > Strukturierte Klinische Interviews als Gold-Standard > Für Schweregradeinschätzung und Erfassung der Symptome hilfreich: - Positive and Negative Syndrome Scale (PANNS) - Psychotic Symptom Rating Scales (PSYRATS) - Clinical Assessment Interview of Negative Symptoms“ (CAINS) Differentialdiagnostische Überlegungen > Schizotype (Persönlichkeits‐)Störung: Psychotisch wirkende Charakteristika: exzentrisches Verhalten, Anomalien in Denken und Stimmung. Häufig seit Jugendalter (→Persönlichkeitsmerkmal) Aber: Hauptsymptome der floriden Phase nicht erfüllt. > Anhaltende wahnhafte Störung: Nur Wahn, keine weiteren Hauptsymptome > Kurze psychotische Störung psychotische Symptome nur wenige Woche > Schizoaffektive Störung: relativ ausgeglichenes «Gewicht» von affektiver und psychotischer Symptomatik, die zeitweilig auch überlappen: A-Kriterium der Schizophrenie und Kriterium für affektive Episode erfüllt. > Somatische Untersuchung und Abklärung möglicher Intoxikation. Vgl. auch Tabelle 44.2 in Hoyer & Knappe, 2020, für weitere differentialdiagnostische Überlegungen Leitfragen > > > > > Welche Störungen lassen sich (mittels DSM-5) klassifizieren? Wie sind diese Störungen geordnet, charakterisiert und definiert? Welche (differential)diagnostischen Überlegungen sind relevant? Wie verbreitet sind diese Störungen? Wie verlaufen sie typischerweise? Welche Erklärungsmodelle für diese Störungen gibt es? Epidemiologie > Lebenszeitprävalenz der Schizophrenie: 0.7 % → Prävalenz erhöht durch: Migration, urbanes Umfeld, Industrienation, niedriger sozioökonomischen Status > Neue Untersuchungen deuten auf leicht erhöhtes Risiko bei Männern hin > Ersterkrankungsgipfel: Männer früher (20–29 Jahre) als Frauen (zweigipflige Verteilung: 20–29 Jahre und 30-39 Jahre) Caspar, Pjanic Westermann, 2017; Wittchen & Hoyer, 2011, Kapitel 38, Abb. 38.3 Leitfragen > > > > > Welche Störungen lassen sich (mittels DSM-5) klassifizieren? Wie sind diese Störungen geordnet, charakterisiert und definiert? Welche (differential)diagnostischen Überlegungen sind relevant? Wie verbreitet sind diese Störungen? Wie verlaufen sie typischerweise? Welche Erklärungsmodelle für diese Störungen gibt es? Frühverlauf Verhältnis Positiv/Negativsymptomatik verändert sich Frühverlauf Ca 35% «At-risk» «Ultra-highrisk» 27% Begrifflichkeiten zur Verlaufskodierung Aufgrund grosser Heterogenität empfiehlt sich die Kodierung des Verlaufs: kontinuierlich (stabile oder ansteigende Symptomatik) episodisch mit zunehmendem Residuum (negative Symptome nehmen zu) episodisch mit stabilem Residuum (negative Symptome vorhanden, nicht zunehmend) episodisch remittierend Teilremission Vollremission Abbildung: sgipt.org Häufigkeit bestimmter Verlaufstypen Verlaufsformen (ICD): Mittel- und langfristiger Verlauf: kontinuierlich (stabile oder ansteigende Symptomatik) Abb: experimentalpsychologie.de episodisch mit zunehmendem Residuum (negative Symptome nehmen zu) episodisch mit stabilem Residuum (negative Symptome vorhanden, nicht zunehmend) episodisch remittierend Teilremission Vollremission Vgl. Hoyer & Knappe, 2020,, Abb 44.1) Prädiktoren für ungünstigen Verlauf > Substanzmissbrauch > Dauer der unbehandelten Psychose > Familiäres Klima geprägt durch „High Expressed Emotion“: Viel Feindseligkeit, Kritik und emotionales Überengagement Leitfragen > > > > > Welche Störungen lassen sich (mittels DSM-5) klassifizieren? Wie sind diese Störungen geordnet, charakterisiert und definiert? Welche (differential)diagnostischen Überlegungen sind relevant? Wie verbreitet sind diese Störungen? Wie verlaufen sie typischerweise? Welche Erklärungsmodelle für diese Störungen gibt es? Aetiologie: Anlage‐Umwelt‐Interaktion Das Risiko ist genetisch mitbedingt…. Aetiologie: Anlage‐Umwelt‐Interaktion Das Risiko ist genetisch mitbedingt…. …und interagiert mit einer Umwelt, welche protektiv/intakt oder dysfunktional sein kann. Trauma Zusammenhang zwischen traumatischen Erlebnissen und wahnnahen Gedanken Kritische Lebensereignisse die als unkontrollierbar und schlecht zu bewältigen wahrgenommen werden Alltagsstressoren (v.a. wenn Reaktion darauf durch negativem Affekt geprägt) hängen zusammen mit a) Schwankungen in der Positivsymptomatik b) Transition von Risikopersonen zu psychotischer Episode Soziale Widrigkeiten und wahrgenommene Diskriminierung Chronische soziale Ausgrenzung und «social defeat» scheinen Erkrankungsrisiko zu erhöhen (vgl. Abb 44.13, S. 967) Aetiologie: Vulnerabilitätsindikatoren Biochemische Aspekte > Dopamin (DA): DA-Agonisten → psychose(artige) Symptome ↑ DA-Antagonisten → psychose(artige) Symptome ↓ Dopaminerge Dysregulation unter Beteiligung des D2-Rezeptors > Glutamat: glutamaterge Unterfunktion u.a. im Neokortex > GABA & Serotonin auch beteiligt → Interaktion verschiedener Transmittersysteme! Aetiologie: Vulnerabilitätsindikatoren Funktionelle Bildgebungsstudien > fMRI‐Untersuchung von Patient:innen mit Halluzinationen: Während Halluzination Aktivierung der Hirnregionen, die für die jeweilige Sinnesmodalität zuständig sind: Zmigrod et al., 2016 Aetiologie: Vulnerabilitätsindikatoren Neuropsychologische Aspekte Defizite in einigen Bereichen: Verarbeitungsgeschwindigkeit, selektive Aufmerksamkeit, Gedächtnis. > Relativ unspezifisch > Eventuell genetisch mitbedingt > Hängen eher mit Funktionsniveau als mit (Positiv)Symptomatik zusammen > z.T. mitbedingt durch Stressbelastung und fehlende Motivation Aetiologie: Vulnerabilitätsindikatoren Kognitive Aspekte Was könnte auf diesem Bild dargestellt sein? Wie sicher sind Sie sich mit Ihrer Einschätzung? Möchten Sie sich schon entscheiden? Abbildung: Moritz & Woodward, 2007; Metakognitives Training Aetiologie: Vulnerabilitätsindikatoren Kognitive Aspekte > Voreiliges Schlussfolgern (Jumping to conclusions) scheint mit Entstehung von Wahn zusammenzuhängen > Mentalisierungsfähigkeit (theory of mind) Schwierigkeiten beim Perspektivenwechsel führen (zusammen mit neuropsycholgoischen Defiziten) dazu, dass Motive und Verhalten anderer fehleingeschätzt werden. Aetiologie: Vulnerabilitätsindikatoren Schemata, Bindung, Selbstwert, Emotionen > Ungünstige Bindungserfahrung begünstigen Entstehung von beeinträchtigtem Selbstwert und maladaptiven (interpersonalen) Schemata → Wahn kann somit als selbstwertschützend oder als Ausdruck des negativen Selbstwerts gesehen werden. > Emotionsregulationsdefizite: weniger funktionale Strategien (Akzeptanz, Refraiming), mehr dysfunktionale (Unterdrückung) → kann Zusammenhang zwischen Alltagsstressoren und psychotischen Symptomen erklären Aetiologie: Vulnerabilitäts‐Stress‐Modelle > Modelle werden komplexer und spezifischer > Neure Modelle folgen Bio-Psycho-Sozialem Ansatz > Modelle inzwischen häufig für positive und negative Symptome getrennt formuliert (s.a. nächste Folie) > Umfängliche Integration verschiedener Erklärungsebenen steht noch aus Aetiologie: kognitives Modell der Positivsymptomatik