Stressbezogene Störungen im Kindesalter PDF

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Pädagogische Hochschule Salzburg Stefan Zweig

2024

Agnes Vogl

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Stressbezogene Störungen im Kindesalter Kindesalter Psychische Störungen Bildung

Summary

This is a Bachelor's thesis on stress-related disorders in childhood, focusing on a practical concept for preventing such disorders in primary schools using methods like guided imagery, progressive muscle relaxation, and Snoezelen rooms. The author, Agnes Vogl, discusses the relationship between stress and mental disorders, with a specific focus on generalized anxiety disorder and relaxation techniques.

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Stressbezogene Störungen im Kindesalter Praxiskonzept für die Prävention von stressbedingten Störungen in der Volksschule anhand von Traumreisen, Progressiver Muskelentspannung und Snoezelen Räumen Bachelorarbeit an der Pädagogischen Hochschule Salzburg Stefan Zweig...

Stressbezogene Störungen im Kindesalter Praxiskonzept für die Prävention von stressbedingten Störungen in der Volksschule anhand von Traumreisen, Progressiver Muskelentspannung und Snoezelen Räumen Bachelorarbeit an der Pädagogischen Hochschule Salzburg Stefan Zweig zur Erlangung des akademischen Grades Bachelor of Education (BEd) Eingereicht bei Prof.in MMag. DDDr. Ulrike Kipman vorgelegt von Agnes Vogl 42002861 Salzburg, Juni 2024 Vorwort Die bereits absolvierten Praktika in der Volksschule sowie meine aktuelle Tätigkeit als Sonderschullehrerin haben mir gezeigt, dass Kinder im schulischen Bereich aufgrund von Stress eingeschränkt sind. Mein Eindruck ist, dass entspannende Methoden im schulischen Kontext aufgrund der Priorisierung, den Lehrstoff zu vermitteln, nur unzureichend Beachtung finden. In meiner Schulzeit wurden Entspannungsmethoden lediglich zu speziellen Anlässen angewandt - zum einen wurden sie vor Tests durchgeführt, um die Konzentration zu verbessern beziehungsweise Nervosität sowie Prüfungsängste zu mindern. Zum anderen wurden entspannende Fantasiereisen manchmal als Cool-Down nach dem Turnunterricht angeleitet. Erinnerungen an die genannten Übungen sind bei mir immer noch mit einem angenehmen Gefühl im Gedächtnis verankert. Des Weiteren konnte ich bei den Volksschulkindern eine positive Reaktion auf die von mir durchgeführten Traumreisen beobachten. In der vorliegenden Arbeit werden drei ausgewählte Methoden zur Entspannung näher betrachtet, um aufzuzeigen, wie diese in der Volksschule adäquat eingesetzt werden können. Mein Anliegen ist es, Kindern mit stressbedingten Störungen sowie allen anderen Schüler*innen eine entspanntere Schulzeit und ein effektiveres Lernen zu ermöglichen. Schlagwörter Emotionale Störungen – generalisierte Angststörung – Stress – Volksschule – Prävention – Entspannungsverfahren – Progressive Muskelentspannung – Traumreisen – Snoezelen - Praxiskonzept 2 Kurzzusammenfassung Stressbezogene Störungen im Kindesalter charakterisieren sämtliche psychische Störungen, die als Konsequenz andauernder Belastungen oder stressiger Ereignisse entstehen. Das Institut Schule stellt in vielen Fällen einen Auslöser solcher Störungen erstmals bei Kindern im Volksschulalter dar. Im Rahmen dieser Literaturarbeit wurde eine umfassende Literaturanalyse durchgeführt, um den Zusammenhang zwischen Stress und psychischen Störungen zu ermitteln. Ein besonderes Augenmerk wurde auf die generalisierte Angststörung gelegt, welche zu den emotionalen Störungen im Kindes- und Jugendalter zählt. Bei dieser Untersuchung wurden Entspannungsverfahren aus dem klinisch-psychologischen Bereich fokussiert, die sich als wirksam in Bezug auf die Stress- bzw. Angstbewältigung erwiesen haben. Im Zuge der vorliegenden Arbeit wurden kindgerechte Methoden zur Prävention von stressbezogenen Störungen zu einem Praxiskonzept zusammengefügt, das im Volksschulunterricht adäquat eingesetzt werden kann. Die Reduktion schulischer Belastungen kann insbesondere durch die Gewährleistung von Ruhephasen positiv beeinflusst werden, wodurch schulische Fertigkeiten effektiv gefördert werden. Abstract Stress-related disorders in childhood characterize all mental disorders that arise because of prolonged stress or stressful events. In many cases, school is the first trigger for such disorders in children of primary school age. As a part of this literature review, a comprehensive literature analysis was carried out to determinate the relationship between stress and mental disorders. Particular attention was paid to generalized anxiety disorder, which is one of the emotional disorders in childhood and adolescence. This study focused on relaxation methods from the clinical psychology that have proven to be effective in coping with stress and anxiety. During this study, child-appropriate methods for the prevention of stress-related disorders were combined into a practical concept that can be used appropriately in primary school lessons. The reduction of stress at school can be positively influenced by ensuring periods of rest, which effectively promotes academic skills. 3 Inhaltsverzeichnis Vorwort.................................................................................................................... 2 Kurzzusammenfassung........................................................................................... 3 Abstract................................................................................................................... 3 1 Einleitung............................................................................................................. 7 2 Stressbedingte Störungen.................................................................................... 9 2.1 Emotionale Störungen................................................................................... 9 2.1.1 Risikofaktoren, die eine psychische Störung begünstigen........................ 11 2.1.2 Diagnostik und Klassifikation (ICD-10, MAS, DSM-5)............................... 12 2.1.3 Ausblick emotionale Störungen ICD-11.................................................... 14 2.2 Generalisierte Angststörung (GAS)............................................................. 16 2.2.1 Definition und Symptomatik...................................................................... 17 2.2.2 Klassifikation – generalisierte Angststörung............................................. 19 2.2.3 Häufigkeit, Verlauf, Ursache & Komorbidität............................................. 20 2.2.4 Historische Aspekte der generalisierten Angststörung.............................. 22 2.2.5 GAS – mögliche Auffälligkeiten in der Schule........................................... 22 2.3 Die drei Ebenen der Angst........................................................................... 24 2.4 Stress.......................................................................................................... 26 2.4.1 Angst in Zusammenhang mit Stress......................................................... 26 2.4.2 Einfluss von Stress / Angst auf das Lernzentrum..................................... 28 2.4.3 Stress bei Kindern.................................................................................... 28 2.4.4 Stress in Zusammenhang mit der Schule................................................. 29 2.4.4.1 Studien in Bezug auf Schulstress.......................................................... 30 2.5 Zusammenfassung, Kapitel 2...................................................................... 31 3 Entspannung im Unterricht................................................................................. 32 3.1 Entspannung............................................................................................... 32 3.2 Entspannungsverfahren............................................................................... 35 3.2.1 Entspannungsverfahren - historischer Abriss........................................... 36 3.2.2 Anwendung & Wirksamkeit von Entspannungsmethoden bei Ängsten..... 37 3.2.3 Drei verschiedene Zugänge von Entspannungsverfahren........................ 38 3.3 Gründe für Entspannungseinheiten im Volksschulunterricht........................ 39 4 3.3.1 Prävention - präventive Maßnahmen im Schulalltag................................ 39 3.3.2 Entspannungseinheiten in Bezug auf das Lernen.................................... 40 3.3.3 Entspannungseinheiten in der Schule – die Rolle der Lehrperson........... 42 3.3.4 Voraussetzungen der Schüler*innen........................................................ 43 3.4 Traumreisen................................................................................................. 45 3.4.1 Begriff Traumreisen.................................................................................. 45 3.4.2 Ziele.......................................................................................................... 45 3.5 Progressive Muskelentspannung (PME)...................................................... 47 3.5.1 Entstehung Progressive Muskelentspannung........................................... 47 3.5.2 Jacobsens Grundverfahren...................................................................... 47 3.5.3 Übungsformen angelehnt an Jacobsen (Wolpe)....................................... 48 3.5.4 Anwendung und Ziele bei Kindern............................................................ 48 3.5.4.1 Anwendung und Ziele bei Stress und Ängsten...................................... 49 3.6 Snoezelen Räume....................................................................................... 50 3.6.1 Begriff und Herkunft Snoezelen................................................................ 50 3.6.2 Snoezelen und Raum............................................................................... 51 3.6.3 Snoezelen bei Kindern – Ziele in der Schule............................................ 51 3.6.4 Allgemeine Ziele des Snoezelen............................................................... 52 3.7 Zusammenfassung, Kapitel 3...................................................................... 52 4 Einsatz im Unterricht – Praxiskonzept................................................................ 53 5 Zusammenfassung, Fazit, Ausblick.................................................................... 82 5.1 Zusammenfassung...................................................................................... 82 5.2 Fazit............................................................................................................. 84 5.3 Ausblick....................................................................................................... 89 6 Quellenangabe................................................................................................... 90 7 Abbildungsverzeichnis........................................................................................ 94 8 Anhang............................................................................................................... 95 8.1 Eidesstaatliche Erklärung............................................................................ 95 5 Abkürzungen BELLA = Befragung zum seeLischen WohLbefinden und VerhAlten bzw. = beziehungsweise GAS = generalisierte Angststörung ggf. = gegebenenfalls DSM-5 = Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders ICD 10 = international Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems in 10. Version MAS = Multiaxiales Klassifikationsschema für psychische Störungen des Kindes- und Jugendalters o.D. = ohne Datum PK = Praxiskonzept PME = Progressive Muskelentspannung RKI = Robert Koch-Institut SÖS = sozioökonomischer Status usw. = und so weiter WHO = World Health Organization z.B. = zum Beispiel 6 1 Einleitung „Es gibt vielleicht kein allgemeineres Heilmittel als Ruhe“ (Jacobsen, 1938 in Petermann, 2020, S. 150) Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lag der Fokus in der Kindermedizin hinsichtlich der hohen Kindersterblichkeit noch auf der Eliminierung von Infektionskrankheiten. Die medizinische Behandlung und die hygienischen Voraussetzungen konnten sich erheblich verbessern, sodass die Gesundheit der Kinder derzeitig einen so hohen Stand erreicht hat wie nie zuvor. Allerdings liegt der Schwerpunkt in der heutigen Zeit auf den psychischen und den chronischen Erkrankungen (Ravens-Sieberer et al., 2016). Es wurde festgestellt, dass rund 15% der 7 bis 17-jährigen Kinder und Jugendlichen Anzeichen von psychischen Störungen aufweisen. Für eine Schulklasse mit 30 Schüler*innen bedeutet diese Prozentzahl, dass 4 bis 5 Kinder von psychischen Erkrankungen betroffen sind (Schneider & Popp, 2020, S. 104). In Diskussionen über Störungen bei Kindern werden Depressionen, Ängste oder Verhaltensauffälligkeiten genannt (Schneider & Popp, 2020, S. 9). Das Faktum, dass bereits Kinder von psychischen Erkrankungen betroffen sind, sollte mit Ernsthaftigkeit betrachtet werden. Derartige Erkrankungen in der frühen Kindheit resultieren in vielen Fällen durch Stress (Raufelder & Hoferichter, 2018, S. 38) oder andauernden Belastungen (Schmidt-Traub, 2015, S. 27). Überforderungen, die unter anderem auch auf das Schulsystem mit dessen Leistungsanforderungen zurückzuführen sind, entstehen bei vielen Kindern erstmals in der Volksschule (Petermann, 2024, S. 13; Raufelder & Hoferichter, 2018, S. 13). Auch die Digitalisierung muss in Bezug auf die Zunahme von Stress Erwähnung finden. Die daraus resultierenden, vermehrten Reizeinflüsse sind Ursachen, deretwegen Kinder immer mehr ihre ursprünglichen Fähigkeiten zur Ruhe verlieren (Petermann, 2024, S. 11). Entspannungsverfahren sind im pädagogischen Bereich als eine etablierte Methode gegen Stress und Ängste zu nennen und aus der Praxis nicht mehr wegzudenken (Baisch-Zimmer, 2017, S. 19). Ursprünglich wurden diese Verfahren lediglich im psychotherapeutischen Bereich eingesetzt (Zaudig & Teicher, 2016). Die Relevanz von Entspannungstechniken und deren Anwendung bei 7 Kindern gewinnt aufgrund der hohen Prävalenz psychischer Erkrankungen, oftmals stressbezogen, zunehmend an Bedeutung (Petermann 2021, S. 14). Das Interesse an stressbezogenen Störungen im Kindesalter war geleitet von dem Wunsch, die Situation der Betroffenen besser verstehen bzw. diese positiv beeinflussen zu können. In der vorliegenden Arbeit wird deshalb das Ziel verfolgt, ein geeignetes Praxiskonzept für die Prävention von stressbedingten Störungen zu entwickeln, welches in der Volksschulpraxis implementiert werden kann. Um die Hintergründe stressbezogener Störungen zu erfassen, erfolgt im zweiten Kapitel eine ausführliche Auseinandersetzung mit psychischen Störungen, die auf Stress zurückzuführen sind. Dabei werden emotionale Störungen näher betrachtet und begründet sowie Gründe für psychische Störungen aufgezeigt. Im Folgenden werden Klassifizierungssysteme wie die ICD-10 und das DSM-5 beschrieben, um aufzuzeigen, wie Diagnosen und vorhandene Störungen eingegliedert werden. Der Schwerpunkt der emotionalen Störungen liegt auf der generalisierten Angststörung. Dabei soll ein Zusammenhang zwischen Angst und Stress herausgearbeitet werden. Ebenso wird untersucht, inwiefern Schule ein möglicher Auslöser für das Stresserleben der Kinder sein kann. Im dritten Kapitel wird verdeutlicht, weshalb Entspannungsverfahren für Kinder von großer Wichtigkeit sind - Gründe für deren Anwendung im Unterricht werden dargelegt. Im Rahmen dieser Arbeit werden präventive Methoden zur Angst- und Stressbewältigung aufgezeigt, die im vierten Kapitel zu einem kindgerechten Praxiskonzept für die Volksschule zusammengefügt werden. Ziel dieses Konzeptes ist ein präventiver Umgang in Bezug auf Stress in der Schule. Von Bedeutung ist, dass Kinder mit oder ohne Störungen bestmöglich im Schulunterricht begleitet werden oder sogar Belastungen durch entspannende Momente vermieden werden können. Die Institution Schule soll ein Ort sein, an dem Kinder sich entfalten, über sich hinauswachsen und schöne und freudvolle Momente erleben können. Die Intention der Schule sollte nicht der Auslöser von Störungen sein, die sich durch das gesamte Leben der Schulkinder ziehen. 8 2 Stressbedingte Störungen Dieses Kapitel befasst sich mit Störungen, die durch Stress bedingt sind. Psychische sowie emotionale Störungen und deren Klassifizierungen werden zunächst aufgezeigt. Im Fokus steht die generalisierte Angststörung, welche näher betrachtet und definiert wird. Dabei werden die Symptomatik, der Verlauf, die Ursache, die Prävalenz und die Komorbidität dargelegt. Es wird verdeutlicht, inwiefern Angst und Stress in Zusammenhang stehen und wie sich die Institution Schule auf das Stresserleben bzw. auf die Ängste bei Kindern auswirkt. Anzeichen von generalisierter Angststörung bei Kindern werden ebenso aufgezeigt, um einen sensibleren Umgang im Volksschulunterricht zu gewinnen. 2.1 Emotionale Störungen Jedes Kind ist einzigartig und entwickelt sich intraindividuell. Allerdings können bei Kindern bestimmte Entwicklungsschritte mit zusammenhängenden Verhaltensweisen beobachtet werden, die als altersentsprechend bzw. „normal“ interpretiert werden. Eine Entwicklungsabweichung liegt vor, wenn für die jeweilige Altersgruppe untypische Verhaltensweisen auftreten. Eine Differenzierung zwischen einer normalen und einer abweichenden Entwicklung lässt sich schwer feststellen (Lohaus & Vierhaus, 2019, S. 300-301) ebenso die Festlegung, ab wann ein Verhalten nicht mehr der Norm entspricht (Fröhlich & Gildhoff, 2018, S. 17). Kinder, die innere Konflikte nach außen tragen, erwecken innerhalb einer Gesellschaft den Eindruck, dass erwartete Verhaltensregeln noch nicht erfüllt werden. Die Institution Schule verlangt von den Kindern neben der Lehrstoffvermittlung unter anderem, sich weiterzuentwickeln und ein erwünschtes Verhalten zu zeigen (Schneider & Popp, 2020, S. 11). So setzt der österreichische Lehrplan neben den 9 kognitiven Bildungszielen auch soziale und gesellschaftliche Ziele (Allgemeine Schulpflicht, o.D.). Sind Kognition, Handlung oder das soziale Verhalten vergleichsweise zu anderen Kindern eingeschränkt, wird dementsprechend eine psychische Störung von einer alters- und entwicklungspsychischen Problematik unterschieden, welche die normale Entwicklung beeinträchtigen kann (Schneider & Popp, 2020, S. 11). Eine psychische Störung definiert sich weiters dadurch, dass unterschiedliche Beschwerden in einer Vielzahl an Symptomen und Verhaltensauffälligkeiten fast täglich und über einen Zeitraum von mindestens vier Wochen in einer gewissen Intensität vorhanden sind, die sich durch Beeinträchtigungen in der Leistung oder im psychosozialen Wohlbefinden äußern (Schneider & Popp, 2020, S. 11; Fröhlich- Gildhoff, 2018, S. 17). In ähnlicher Weise stellen Lohaus und Vierhaus eine psychische Störung bei Kindern fest, wenn diese ein abnormales Verhalten zeigen oder vielmehr, wenn diese Verhaltensweise eine Beeinträchtigung auslöst und neben dem Betroffenen selbst auch das soziale Umfeld darunter leidet (2019, S. 301). Psychische Störungen, die vor allem im Schulkontext bei Kindern und Jugendlichen auftreten, umfassen zwei verschiedene Gruppen, die als emotionale (internalisierende) und verhaltensbezogene (externalisierende) Störungen bezeichnet werden. Erstere umfasst Störungen, die sich nach innen richten und von anderen Menschen kaum wahrgenommen werden (Petermann, 2021, S. 16; Schneider & Popp, 2020, S. 15), etwa unterschiedliche Angststörungen (Petermann, 2021, S. 18; Schneider & Popp, 2020, S. 19). Bei den externalisierenden Störungen zeigen Betroffene ihre Verhaltensweisen nach außen, beispielsweise durch Konflikte, die mit anderen Personen ausgetragen werden (Schneider & Popp, 2020, S. 15). Emotionale Störungen weisen bei den Kindern im Volksschulalter eine höhere Prävalenz als externalisierende Störungen auf. An dritter Stelle stehen hyperkinetische Störungen und Sozialverhaltensstörungen (Schneider & Popp, 2020, S. 104). Fröhlich-Gildhoff und Schmidt-Traub zeigen auf, dass in Hinblick auf das Geschlecht externalisierende Störungen häufiger bei Buben sowie internalisierende Störungen öfters bei Mädchen vorkommen (2018, S. 32; 2015, S. 46). 10 2.1.1 Risikofaktoren, die eine psychische Störung begünstigen Unterschieden wird zwischen Risikofaktoren, die kindbezogen (z.B. genetische Prädisposition) oder umgebungsbezogen (z.B. Armut, elterliche Stabilität) sein können. Im Folgenden werden Risikofaktoren aufgelistet, die psychische Störungen begünstigen: - stressige Ereignisse, elterliche Stressbelastungen - elterliche psychische Erkrankungen/ Drogenkonsum - emotionale Unreife - Einsamkeit / Verlusterfahrungen (Schneider & Popp, 2020, S. 38-39) - Finanzielle Not, niedriger sozioökonomischer Status (SÖS) - Kindesmisshandlung- und Vernachlässigung - Familienkonflikte (Schneider & Popp, 2020, S. 39; Schmidt- Traub, 2015, S. 51) - schwieriger Umgang mit Lehrer*innen / Mitschüler*innen - Verlust, Tod, Trennung Verwandte / Freunde (Schmidt- Traub, 2015, S. 51). Das Zusammenwirken zwischen kind- oder umgebungsbezogenen Risikofaktoren sowie die Intensität oder die Dauer sind in vielen Fällen für eine psychische Störung verantwortlich (Lohaus & Vierhaus, 2019, S. 303). Die BELLA-Studie des RKI) belegt, dass eine soziale Ungleichheit Auswirkungen auf eine psychische Erkrankung mit sich bringen kann (Schneider & Popp, 2020, S. 39-40). Abbildung 1 - Auftretenshäufigkeit der psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen: (Schneider & Popp, 2020, S. 39). Auftretenshäufigkeiten der häufigsten psychischen Erkrankungen nach dem Risikofaktor SÖS sozioökonomischer Status (BELLA-Studie, Ravens-Sieberer et al., 2007 in Schneider & Popp, 2020, S. 39). Ersichtlich wird, dass Angst die häufigste Störung ist. 11 2.1.2 Diagnostik und Klassifikation (ICD-10, MAS, DSM-5) Die Symptome der Betroffenen werden bei einer Diagnose analysiert und anhand Klassifikationssysteme in diagnostische Kategorien eingeteilt (Caspar et al., 2017, S. 15). Anerkannte Klassifizierungssysteme ermöglichen eine symptombezogene Einordnung psychischer Krankheiten (Lohaus & Vierhaus, 2019, S. 301), deren Erkennung dazu führen kann, dass Betroffene leistungsfähiger und glücklicher werden, wenn diese frühzeitig behandelt werden (Kipman, 2022, V). Bedeutend dafür sind zwei zentrale, anerkannte Klassifizierungssysteme weltweit: 1) ICD-10 Psychische Störungen werden nach den ICD-10, der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und Gesundheitsprobleme in Version 10 der Weltgesundheitsorganisation WHO klassifiziert (Schneider & Popp, 2020, S. 11; Lohaus & Vierhaus, 2019, S. 301; Caspar et al., 2017, S. 16). Abbildung 2 - Übersicht der Diagnose-Kategorien laut ICD-10: (Caspar et al., 2017, S. 17). Unter F9 sind Verhaltens- und emotionalen Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend verortet (Caspar et al., 2017, S. 17). 12 Alle Diagnosen psychischer Störungen haben bei deren Codierungen den Anfangsbuchstaben F. Die erste Ziffer benennt die Oberkategorie der Diagnose, beispielsweise steht F3 für affektive Störungen. Die zweite Ziffer legt eine spezifische Gruppe von Diagnosen fest zum Beispiel F32 Depressive Episode und jene nach einem Punkt angegebene Ziffer deutet daraufhin, dass diese Diagnose genau bestimmt wurde, wie z.B. F32.11 Mittelgradige depressive Episode mit somatischem Syndrom (Caspar et al., 2017, S. 17-18). Basierend auf den ICD-10 wurde zusätzlich das MAS (Multiaxaliale Klassifikationsschema für psychische Störungen des Kindes- und Jugendalters), mit sechs Ebenen und verschiedenen Inhalten verfügend, um multiple Diagnosen unter Bezugnahme mehrerer Faktoren erfassen zu können, erstellt (Lohaus, 2019, S. 301). 2) DSM-5 Als zweite, bedeutende Klassifizierung ist das DSM-5 der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) zu nennen, bei dem lediglich psychische Störungsbilder durch eine störungsspezifische Symptomatik bezeichnet und mit möglichen Krankheitsfaktoren codiert werden (Lohaus & Vierhaus, 2019, S. 301; Caspar et al., 2017, S. 18). Unterschied beider Klassifizierungssysteme: Ein Unterschied zwischen den beiden Klassifizierungssysteme ist das multiaxiale Merkmal des ICD-10, das ausdrückt, dass Beschreibungen von Informationen auf zwei weiteren Achsen erfolgen können. Auf Achse 1 liegen alle klinischen Diagnosen, dennoch können spezifische Funktionseinschränkungen sowie Probleme bei der Lebensführung auf den beiden weiteren Achsen 2 und 3 angeführt werden. Zu erwähnen sei, dass Vorgängermodelle des DSM-5 durch ein sogenanntes Achsensystem multiaxial waren. Aktuell beschreiben die DSM-5 alle Störungen, die Intelligenzminderung sowie Krankheitsfaktoren lediglich noch auf einer Achse (Caspar et al., 2017, S. 18). In Europa bzw. in den deutschsprachigen Ländern werden vorwiegend die ICD-10 verwendet (Lempp, 2016, S. 7). 13 Klassifikation - emotionale Störungen: Verhaltens- und emotionale Störungen sowie Entwicklungsstörungen zählen zu den überwiegenden Störungen bei Kindern und Jugendlichen, die in der klinisch- psychologischen Diagnostik auftreten (Kipman, 2022, S. 1). Zu den emotionalen Störungen des Kindesalters zählen gemäß DSM-5 auch Panikstörungen sowie Depressionen (Kipman, 2022, S. 120). Unter F8 - Entwicklungsstörungen bzw. F9 Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend werden die meisten kindlichen Störungen in der ICD-10 verzeichnet. Betrachtet man die Codes mit der Zahl 9 an erster Stelle, so erscheinen Störungen des Sozialverhaltens und/oder Störungen der Emotionen. Emotionale Störungen sind explizit in der Kategorie F93 verankert. In dieser Kategorie ist auch die generalisierte Angststörung bei Kindern und Jugendlichen zu finden (Kipman, 2022, S. 1), auf die im Unterkapitel 2.2 näher eingegangen wird. 2.1.3 Ausblick emotionale Störungen ICD-11 Es sei darauf verwiesen, dass die seit 2018 online verfügbaren, aber dennoch nicht fertiggestellten ICD-11 eine revidierte Version der ICD-10 darstellen. Eine Etablierung ist noch nicht absehbar. Deren Zielsetzungen liegen ebenfalls in der Verschlüsselung von unterschiedlichen Diagnosen sowie Störungsbildern (Steinhausen, 2019, S. 28), jedoch unterscheiden sie sich zum Vorläufermodell ICD- 10 durch manche Faktoren, um nur wenige zu nennen: - In den ICD-11 werden Verhaltens- und emotionale Störungen nicht mehr separiert betrachtet. Ferner werden beide Störungen unter die Kategorie Neuro- Entwicklungsstörungen zusammengefasst - Kategorien, die den Fokus auf entwicklungsperiodische Lebensabschnitte legen. Allerdings beziehen sich die anderen Kategorien nicht mehr auf altersspezifische Störungen, sondern sprechen für die komplette Lebensspanne. 14 - Die ICD-11 weisen ein alphanumerisches Prinzip als Kodierung auf, demnach steht erst an zweiter Stelle ein Buchstabe z.B. 6B05 Trennungsangst-Störung. - Störungen wie Schlafstörungen, sexuelle Funktionsstörungen (…) zählen nicht mehr zu den psychischen Störungen, dagegen wurden Störungen wie Eigengeruchswahn, Zwanghaftes Horten, Spielabhängigkeit, Bipolare Störung Typ II, (…) aufgenommen (Steinhausen, 2019, S. 30). Bei den ICD-11 handelt es sich also um einzelne diagnostische Kategorien, die mehrere Störungen beinhalten. Angst- oder Furchtbezogene Störungen zählen demnach zukünftig nicht mehr zu den emotionalen Störungen, sondern bilden eine eigene Kategorie 6B, welche die generalisierte Angststörung, Panikstörung, Soziale Angststörung, sowie weitere Angststörungen auflistet (Steinhausen, 2019, S. 30). Festzuhalten ist, dass bei der Definition keine Änderungen vorgenommen werden (Steinhausen, 2019, S. 188). Abbildung 3 - Klassifikationen der angst- und furchtbezogenen Störungen nach ICD-11: (Steinhausen, 2019, S. 182). 15 2.2 Generalisierte Angststörung (GAS) „Wenn einer keine Angst hat, hat er keine Phantasie“ (Erich Kästner in Morschitzky, 2004) Der Gefühlszustand Angst zählt neben Liebe, Ärger, Wut, Freude oder Trauer zu den gewöhnlichen Gefühlen, die ein Mensch in seinem Leben verspürt (Morschitzky, 2004, S. 1). Die Bezeichnung Angst ist zurückführbar auf das lateinische Wort angustiae, welches mit Enge der Brust übersetzt werden kann. Eine weitere Ableitung lässt sich aus dem urindogermanischen Begriff Anghos (Enge, Zuschnüren der Kehle) ableiten. Angst wird mit einem Gefühl der Enge, bei dem die Brust beklemmt oder die Kehle zugeschnürt wird, assoziiert (Morschitzky, 2004, S. 1). Sie wird spürbar, wenn ungewisse oder bedrohliche Ereignisse auftreten. Für den menschlichen Körper ist Angst ein biologisches Warnsignal, dessen Funktion das Überleben sichert. Ohne Angst wäre der Mensch dem Leben schutzlos ausgeliefert (Fröhlich- Gildhoff, 2018, S, 93; Pohl, 2015, S. 5; Morschitzky, 2004, S. 1). Demnach ist es nicht ungewöhnlich, dass Kinder im Laufe ihrer Entwicklung mit Ängsten konfrontiert werden (Petermann, 2024, S. 11; Schmidt-Traub, 2015, S. 21). Neben der Trennungs- und der sozialen Angst gehört die generalisierte Angststörung zu den typischen Ängsten im Kindesalter (Petermann, 2020, S. 377; Büch et al., 2015, S.15,). Eine Behandlung ist dann notwendig, wenn sich vorhandene Ängste in einem drastischen Ausmaß verstärken. Epidemiologische Studien zeigen, dass 10-15% aller Ängste im Kindesalter behandlungsbedürftig sind (Petermann, 2024, S. 12). 16 2.2.1 Definition und Symptomatik Wenn eine generalisierte Angststörung vorliegt, gilt diese als eine ausgeweitete und anhaltende Angststörung, bei der sich Personen intensiv über eine längere Zeitspanne enorme Sorgen über bedrohliche Ereignisse machen, die in Bezug zu Sicherheit, Leistung, Gesundheit, Freundschaft etc. stehen können (APA, 2018, S. 302; Hoyer et al., 2016, S. 9; Schmidt-Traub, 2015, S. 39;). Durch diese enormen Sorgen resultieren häufig psychische und körperliche Anspannungen (Kipman, 2022, S. 119; Hoyer et al, 2016, S. 9; Morschitzky, 2004, S. 66) weil das zur Ruhe kommen kaum möglich ist (Petermann, 2020, S. 377). Generalisiert im ICD-10 signalisiert, dass es sich überwiegend um übertriebene und andauernde Ängste handelt (Morschitzky, 2004, S. 66), wodurch sich eine generalisierte Angststörung von anderen Angststörungen unterscheidet (Essau, 2023, S. 65; Fröhlich – Gildhoff, 2018, S. 98). Bedrohliche Berichte werden von 8– 18-Jährigen, die an einer GAS leiden, stärker bewertet (Petermann & Wiedebusch, 2016, S. 132). So können Kinder fürchterliche Ereignisse, die von der Außenwelt aufgenommen werden, auf das eigene Ich beziehen – die Unwahrscheinlichkeit, dass diese Sorge eintritt, wird von den betroffenen Kindern nicht realisiert (Essau, 2023, S. 65). Typisch für eine GAS ist zudem die Unkontrollierbarkeit der Sorgen (Essau, 2023, S. 66; Hoyer et al., 2016, S. 14) sowie die Besorgnis, keine Grenze zu den eigenen Sorgen zu finden, obwohl Betroffene bereits erkennen, dass diese Tatsache ein Grund für die eigene Unzufriedenheit ist, was besonders belastend ist. Die Feststellung einer GAS bei Kindern ist schwieriger, da diese kaum über ihre Ängste sprechen (Hartung & Fröhlich – Gildhoff, 2018, S. 98; Schmidt-Traub, 2015, S. 41). Typische Beschwerden durch eine GAS zeigen sich durch folgende Symptome: - „Ruhelosigkeit - Aufgeregtheit - Ermüdbarkeit - Konzentrationsschwierigkeiten - Schlafstörungen - Muskelentspannung bzw. Muskelverspannung sowie - Reizbarkeit“ (Kipman, 2022, S. 121; APA, 2018, S. 301-302; Schuster, 2019, S. 173; Hoyer et al., 2016, S. 9). 17 Symptome wie Bauchschmerzen, Übelkeit, Zittern, Muskelschmerzen oder Benommenheit können laut Schmidt-Traub ebenfalls auftreten. Verglichen zu Panikattacken sind die Symptome nicht so schwer, dauern dafür aber länger a (Schmidt-Traub, 2015, S. 40). Die GAS verursacht einen Teufelskreis, indem Sorgen in Kombination mit körperlichen Beschwerden intensiver werden (Hoyer et al., 2016, S. 43; Schmidt – Traub, 2015, S. 40). Eine GAS zeigt sich in zahlreichen Fällen bei Schulkindern durch Sorgen betreffend Schul- und Arbeitsleistungen (Kipman, 2022, S, 119; Schmidt-Traub, 2015, S. 22), sogar, wenn keine Bewertungssituation stattfindet (Schuster, 2017, S. 173). Kinder und/oder Menschen mit der Diagnose generalisierte Angststörung weisen meist, wie im Unterkapitel 2.2.4 verdeutlicht wird, weitere psychischen Störungen auf. Daraus resultierend, bedürfen diese eine umfassendere Behandlung. Über 50% der Erwachsenen, die sich in psychotherapeutischen Behandlungen befinden, erlebten bereits im Kindesalter eine GAS (Schmidt – Traub, 2015, S. 40). Abbildung 4 - Dauer der Sorgen in Minuten: (Hoyer et al., 2016, S. 12). Die abgebildete Tabelle zeigt die Dauer der Sorgen in Minuten. Zu entnehmen ist, dass die Dauer bei der generalisierten Angststörung im Vergleich zu den anderen zwei Vergleichsgruppen (Patientinnen mit sozialer Phobie sowie Gesunde Menschen) am längsten ist (Erforschung Hoyer, Becker & Roth 2001 in Hoyer et al., 2016, S. 12). 18 2.2.2 Klassifikation – generalisierte Angststörung In der ICD-10 werden hauptsächlich Angststörungen unter emotionale Störungen subsumiert. Die generalisierte Angststörung wird im Unterkapitel F93 (Kipman, 2022, S. 119) kategorisiert, explizit unter F93.80 (Kipman, 2022, S. 121). Abbildung 5 - Klassifikation der GAS nach ICD-10: (Steinhausen, 2019, S. 182). Eine Vergleichbarkeit mit sozialen Ängsten und phobischen Störungen ist bei den Diagnosen erkennbar, jedoch wurden aufgrund der unterschiedlichen Symptomatiken verschiedene Konzepte entwickelt (Kipman, 2022, S. 119). Befürchtungen müssen laut ICD-10 mindestens sechs Monate anhalten und mit mindestens drei Symptomen (siehe 2.1.1 Definition und Symptomatik) auftreten Kipman,2022, S,121; Schmidt-Traub, 2015, S. 40), um eine generalisierte Angststörung diagnostizieren zu können (Schmidt-Traub, 2015, S. 40). Die ICD-11 gliedert zukünftig die GAS in die Kategorie Angst- oder furchtbezogene Störung unter 6B00 Generalisierte Angst-Störung ein (Steinhausen, 2019, S. 28). Die GAS wird in der MAS in der ersten Achse – klinisch-psychiatrisches Syndrom unter F4 - Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen eingegliedert – die durch Ängste, Belastungen oder körperliche Beschwerden charakterisiert sind (Lohaus & Vierhaus, 2019, S. 302). Bei Kindern reicht eines der aufgelisteten Symptome, um eine GAS laut DSM-5 diagnostizieren zu können (Essau, 2023, S. 68; Schuster, 2019, S. 173; APA, 2018, S.301). Dieses Symptom muss mindestens drei Monate spürbar sein (Otto et al., 2016). 19 2.2.3 Häufigkeit, Verlauf, Ursache & Komorbidität Häufigkeit Angststörungen & generalisierte Angststörung: Angststörungen sind nach epidemiologischen Studien jene Störungen, die bei Kindern die höchste Prävalenz erreichen (Essau, 2023, S. 118; Büch et al., 2015, S. 15). Die Mehrheit der Studien kommt zum Ergebnis, dass die Prävalenz bei 10- 12%. Liegt. Fröhlich-Gildhoff weist darauf hin, dass die diversen Methoden zur Erhebung Auslöser für instabile Zahlen sein können (2018, S. 98). So deuten Otto et al. auf eine Prävalenz zwischen 6,9 und 17,7% (2016), während Essau davon ausgeht, dass ca. 10% der Kinder mit den diagnostischen Kriterien einer Angststörung in Berührung kommen. Mädchen verglichen zu den Jungen, weisen einen zwei- bis viermal höheren Anteil von Angststörungen auf (2023, S. 123). Ca. 1% aller Kinder und Jugendlichen leiden an einer generalisierten Angststörung, wie die DSM-5 aufzeigen (APA, 2013 in Schuster, 2019, S. 173). Die Ergebnisse einer Studie (USA) schließen auf eine Prävalenz der GAS von 2,2% (Ravens-Sieberer et al., 2016). Menschen aus Industriestaaten entwickeln häufiger eine GAS im Vergleich zu Bewohnerinnen aus Entwicklungsländern (APA, 2018, S. 303). Verlauf: Sorgenvolle Gedanken und die damit verbundenen Ängste treten bei der GAS schleichend in das Leben der Betroffenen (Schmidt – Traub, 2015, S. 39; Morschitzky, 2004, S. 71). Sie bleibt für mehrere Jahre überdauernd bestehen, dennoch können Phasen auftreten, bei denen diese Angststörung weniger präsent ist (Hoyer et al, 1016, S. 16). Durchschnittlich beträgt das Erstmanifestationsalter einer GAS 8,5 Jahre (Ravens-Sieberer et al., 2016). Unbehandelt wirkt sich diese Störung beeinträchtigend auf spätere Lebensbereiche, die Entwicklung und die Gesundheit aus (Kipman, 2022, S. 120). Eine generalisierte Angststörung wird nach Morschitzky als eine sehr beeinträchtigende Störung definiert (2004, S. 71). Ursachen: Ungünstige Umweltfaktoren und/oder eine genetische Prädisposition können das Risiko für die Entstehung von emotionalen Störungen erhöhen, wobei die Ursachen dieser Störungen schwierig zu ermitteln sind (Kipman, 2022, S. 120; Schuster, 2019, 20 S. 173). Schuster deutet darauf hin, dass eine kritische Haltung oder eine überfürsorgliche Erziehung der Eltern die Ursache für entwickelten Ängste sein könnten (2019, S. 173-174). Dennoch sei ein einfühlsames, fürsorgliches Verhalten von Seiten der Eltern/Erzieherinnen positiv für die Angstbewältigung der Kinder (Otto et al., 2016, Schmidt-Traub, 2015, S. 22), welche durch erzieherische Hilfestellung einfacher zu bewältigen sei (Schmidt-Traub, 2015, S. 22). Als Ursache werden zudem stressige Belastungen aufgezählt, die im Unterkapitel 2.3 Angst in Zusammenhang mit Stress genauer definiert werden. Komorbidität: Ein paralleles Auftreten von mehreren Krankheiten kann bei der generalisierten Angststörung nicht ausgeschlossen werden. Stressbezogene Angststörungen lösen weitere Angststörungen aus (Raufelder & Hoferichter, 2018, S. 95). Demzufolge bestätigt sich eine hohe Komorbidität zwischen den unterschiedlichen Angststörungen mit Zahlen, welche zwischen 39-70% differieren (Fröhlich-Gildhoff, 2018, S. 100). Laut Essau beträgt der Anteil zwischen Angst und anderen Störungen ca. 20-70% (2023, S. 132). Schmidt-Traub gibt an, dass 50% der betroffenen Kinder weitere psychische Störungen aufzeigen (2015, S. 46). Unterschiedliche Studien belegen, dass ein großer Prozentsatz der Kinder mindestens zwei Angststörungen aufweist. Es wird davon ausgegangen, dass die größte Komorbidität mit Depressionen erscheint (Essau, 2023, 133; Otto et al., 2016). Das Risiko, an Depressionen zu erkranken steigt, wenn durch die Begleitsymptome eine vorhandene psychische Störung verborgen bleibt (Hoyer et al., 2016, S: 16). In vielen Fällen werden lediglich Medikamente gegen die Symptome verabreicht - im Folgenden wird die Grundkrankheit nicht erkannt, wodurch diese nicht angemessen behandelt werden kann (Morschitzky, 2004, S. 71). Desgleichen treten Angststörungen gemeinsam mit weiteren Störungen, beispielsweise des Sozialverhaltens, mit oppositionellem Trotzverhalten oder somatoforme Störungen auf, zugleich wird ADHS dazugezählt (Essau, 2023, S. 134-135). 21 2.2.4 Historische Aspekte der generalisierten Angststörung Die generalisierte Angststörung ist historisch betrachtet eine Restkategorie der ehemaligen Diagnose der Angstneurose, welche durch die Ablösung der Panikstörung entstand. Heute ist der eigenständige Begriff gesichert, obschon diese Begrifflichkeit lange Zeit umstritten war. Bereits im Jahr 1895 definierte Sigmund Freud im Zuge der erstmaligen Begriffsbildung der Angstneurose zwei verschiedene Angststörungen, die in einer einzigen Diagnose erläutert wurden. Erstere war die Panikattacke, zweitere die chronische Angst, welche durch ängstliche Erwartungen beschrieben wurde – Freud nannte diese Angst als „frei flottierend“. Erstmals wurde die generalisierte Angststörung im Jahr 1980 in die DSM-3 als eigene Störung – jedoch als Ausschluss von anderen Störungsbildern vorgestellt. Die DSM-4 erkannte diese Art von Angst aufgrund der Unkontrollierbarkeit von ständigen Sorgen an. (Morschitzky, 2004, S. 65). 2.2.5 GAS – mögliche Auffälligkeiten in der Schule Häufig sind Kinder mit einer GAS in neuen Situationen zurückhaltend oder vermeiden schwierigere Aufgaben. Damit aus der Unsicherheit heraus ein Gefühl der Sicherheit erlangt wird, stellen GAS-Betroffene viele Fragen im Unterricht (Schmidt-Traub, 2015, S. 41). Ein Streben nach Zustimmung oder Beruhigung kann sich ebenso bei diesen Kindern zeigen (Otto et al., 2016). Betroffene besitzen oft ein negatives Selbstbild, kritisieren sich häufig und betrachten Fehler als Bekräftigung für deren Selbstbild (Schmidt-Traub, 2015, S. 41). 22 Weitere Merkmale sind eine perfektionistische und anpassungsfähige Art (Schuster, 2019, S. 173; Schmidt-Traub, 2015, S. 41), sowie vermehrte Sorgen in Bezug auf die eigenen Kompetenzen oder die Qualität der erbrachten Schulleistungen (Schmidt-Traub, 2015, S. 22). Wodurch diese Kinder ihre Aufgaben immer wieder wiederholen, weil diese als nicht perfekt anerkannt werden (Otto et al., 2016). Schuster weist darauf hin, dass Schüler*innen, die sehr gewissenhaft arbeiten, keinesfalls als Unterstützer*innen der Lehrperson benutzt werden dürfen. Weil sich hinter solchen Eigenschaften ernsthafte Störungen verstecken und durch eine fordernde Lehrperson zusätzlich verschlimmern können, sollte von perfektionistischen Schüler*innen nicht allzu viel verlangt werden (2019, S. 174). Allerdings ist das effiziente und schnelle Denken aufgrund der inneren Anspannung sowie Schlafschwierigkeiten eingeschränkt, wodurch Leistungsbeeinträchtigungen entstehen können (Schuster, 2019, S. 173; APA, 2018, S, 305). Sind Kinder zudem müde, gereizt, aufgedreht, zittrig, unkonzentriert oder haben häufig Bauchschmerzen, kann dies ebenso auf eine generalisierte Angststörung hindeuteten (Schmidt-Traub, 2015, S. 40). Durch erfasste Leistungsrückgänge oder andere Verhaltensweisen bei Schüler*innen, können in vielen Fällen erstmals Lehrpersonen auffällige psychische Störungen bei Kindern im Volkschulalter erkennen (Schneider & Popp, 2020, S. 9). Die Relevanz, inwiefern Lehrer*innen ein Basiswissen, Interventionsmöglichkeiten oder Erklärungsmodelle über psychische Störungen erwerben sollten, wird plausibel aufgezeigt (Schneider & Popp, 2020, S. 9). Wenn Lehrpersonen durch dieses Wissen einen verschärften Blick auf potenzielle Störungen haben, kann eine rechtzeitige und angemessene Diagnostik erfolgen, die zu einer adäquaten Behandlung führt, wie Kipman darlegt (2022, S. V). Als Interventionsmöglichkeiten für Lehrkräfte nennt Schuster neben der Systematischen Desensibilisierung und dem kognitiven Ansatz eine Ergänzung durch das Einsetzen von Entspannungstechniken (2019, S. 174). 23 2.3 Die drei Ebenen der Angst Das Sympathische und Parasympathische Nervensystem spielen bei Angstreaktionen zusammen. Während Ersteres den Körper für maximale Leistungen anregt, dient Letzteres der Entspannung (Simonis, 2020, S. 30; Behringer & Rösch, 2016, S. 26; Hagena & Gebauer, 2014, S. 65). Nach einer anregenden Aktivierung erfolgt durch den Parasympathikus eine entspannende Aktivierung. Dabei empfinden Personen nach Angstzuständen durch deren Stressreaktionen das Gefühl der Erschöpfung (Hagena & Gebauer, 2014, 65). Abbildung 6 - Wirkungen von Sympathikus und Parasympathikus: (Hagena & Gebauer, 2014, S. 69). Diese Grafik zeigt, welche Körperfunktionen beim Sympathikus sowie beim Parasympathikus aktiviert werden. Herzschlag, Atmung usw. sind beim Sympathikus im Gegensatz zum Parasympathikus höher (Hagena & Gebauer, 2014, S. 69). Die Wahrnehmung von Angst ist auf drei unterschiedlichen Ebenen und unterschiedlichen Entwicklungsstadien evident (Fröhlich-Gildhoff, 2018, S. 93): 1) körperlich-physiologische Ebene 2) kognitive Ebene 3) motorische und Verhaltensebene 1) Erhöhter Herzschlag, Muskelanspannungen oder vermehrtes Schwitzen äußern sich als Angstzustand auf der körperlichen Ebene (Fröhlich – Gildhoff, 2018, S. 86; Büch et. al, 2015, S. 12; Hagena & Gebauer, 2014, S. 65). 24 2) Endlose Gedanke, aber auch Vergesslichkeit erfolgen auf der kognitiven Ebene (Fröhlich & Gildhoff, 2018, S. 93). Leidtragende fokussieren sich auf deren Körperempfindungen. Nun reagieren Betroffene auf Schwindel, Herzschlag usw. besonders empfindlich und lösen dadurch Stressreaktionen auf, da weitere Angstzustände befürchtet werden (Hagena & Gebauer, 2014, S. 66). 3) Auf dritter Ebene macht sich Angst durch Zittern oder Muskelspannung bemerkbar. Es kommt zu einem Bewegungsdrang oder zur Erstarrung. Das Vermeidungs- oder das Fluchtverhalten spielen desgleichen eine Rolle. (Hagena & Gebauer, 2018, S. 67; Fröhlich – Gildhoff, 2018, S. 86). In der Schule drückt sich Vermeidungshalten insofern aus, indem Kinder im Unterricht keine Beteiligung zeigen wollen (Büch et al., 2015, S. 12). Abbildung 7 - Teufelskreis am Beispiel GAS: (eigene Skizzierung angelehnt an Margraf & Schneider, 2008). Diese Abbildung zeigt, dass äußere Reize zur Wahrnehmung der Gefahr führen. Durch Gedanken erfolgt eine Bewertung der Situation, wodurch das Gefühl der Angst oder Unruhe entsteht. Physiologische Veränderungen lösen bei den Betroffenen Kampf- oder Fluchtreaktionen aus, die auf der körperlichen Ebene durch Schwitzen, Zittern oder Herzklopfen sichtbar werden (Teufelskreis nach Margraf & Schneider, 2008 in Hagena & Gebauer, 2018; S. 75). 25 2.4 Stress Stress definiert sich als jenes Ereignis, das auftritt, wenn die Anpassungsfähigkeit Einzelner durch äußere oder innere Anforderungen beansprucht oder überstrapaziert wird (Lazarus in Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2011, S. 51). Abgeleitet von der englischen Benennung stress, versteht man darunter Anspannung, Beanspruchung, Druck. Die Begrifflichkeit die wachsende Seuche in Zusammenhang mit der Industrie wurde 1973 für Stress eingesetzt (Raufelder & Hoferichter, 2018, S. 15). 2.4.1 Angst in Zusammenhang mit Stress Angst und Stress korrelieren. Eine Erhöhung der Angst führt zu Stress, (Petermann, 2024, S. 13), wobei auch stressige Belastungen als Ursache für Angststörungen genannt werden. Stressoren, die sich nicht mehr kontrollieren lassen, resultieren meist aus kritischen Ereignissen im Leben (Schmidt-Traub, 2015, S. 51), die in Kapitel 2.1.1 Risikofaktoren, die eine psychische Störung begünstigen, gezeigt wurden. Zwei Drittel der Erkrankungen, so laut Gesundheitsexperten, sind stressbezogen (Behringer & Rösch, 2016, S. 24). Wie bereits in Kapitel 2.2. Generalisierte Angststörung dargelegt, sehen evolutionär bedingte Überlebensreaktionen im Körper Angst als ein überlebenswichtiges Warnsignal, das Kampf- sowie Fluchtreaktionen (Büch et al., 2015, S. 13) durch eine hohe Leistungsbereitschaft in gefährlichen Situationen auslöst. Beim Empfinden von Angst werden Stresshormone ausgeschüttet, zumal der menschliche Organismus durch das autonom gesteuerte vegetative Nervensystem in Alarmbereitschaft versetzt wird (Hagena & Gebauer, Therapie Tools, 2014, S. 65). Alarmsignale werden mittels Neurotransmitter beispielsweise Noradrenalin an verschiedene Hirnregionen übermittelt, die in der Amygdala und im Hippocampus anlangen (Cunci, 2019, S. 15-16). Angst wird aufgrund in der Amygdala stattfindenden Emotionsverarbeitung empfunden (Raufelder & Hofrichter, 2018, S. 67). Bei eingehenden Warnsignalen warnt dieser Teil im Gehirn das restliche Gehirn vor Bedrohungen. Beunruhigende Erfahrungen werden im Hippocampus als 26 Erinnerungen abgespeichert, die bei erneuten Bedrohungen analysiert werden. Der Hippocampus und der vordere Teil der Großhirnrinde tauschen in gefahrvollen Situationen Botschaften aus, die bestimmen, ob ein Warnsignal den Körper erreichen soll. In diesem Fall bereitet sich der Körper auf eine Kampf- oder Fluchtreaktion vor, in dem das sympathische Nervensystem aktiviert wird und allen voran Adrenal sowie andere Hormone ausschüttet. Der Körper reagiert mit einer erhöhten Atmung und Herzfrequenz sowie einem steigenden Blutdruck (Cunci, 2019, S. 15-16). Menschen, die an einer generalisierten Angststörung leiden, sind nach Hoyer et al. anfälliger für Stressbelastungen, weil Stress die Ursache für vermehrte Sorgenphasen ist, welche zu erneutem Stress erfolgt (2016, S.43). Abbildung 8 – Gehirn: (Raufelder & Hoferichter, 2018, S. 66). Wenn der Hippocampus bereits durch anhaltenden Stress beeinträchtigt ist, fällt es Betroffenen schwerer, eine Regulation in stressigen Situationen zu finden. Menschen, die an Depressionen erkranken, zeigen laut Studien eine vergrößerte Amygdala und einen verkleinerten Hippocampus sowie eine verkleinerte Großhirnrinde (Präfrontaler Cortex). Insofern erklärt dieser Anpassungsprozess, wieso Schüler*innen durch Prüfungsängste schlechtere Leistungen zeigen. Überdauernder Stress ist zudem verantwortlich für die Minimierung wichtiger Stoffe (Serotonin, Dopamin), die zum Glücklichsein essenziell sind (Raufelder & Hoferichter, 2018, S. 74-75). 27 2.4.2 Einfluss von Stress / Angst auf das Lernzentrum Viele Studien belegen, dass die Lernfreude und das Wohlbefinden in der Schule sinken, die Schulangst jedoch einen Anstieg erlebt (Raufelder & Hoferichter, 2018, S. 58). Stress löst Schwierigkeiten in der Schule aus. Die Aufmerksamkeitsspanne aber auch die Beziehungen leiden darunter, weil Reizbarkeiten offensichtlich werden, wodurch vermehrt Konflikte mit anderen entstehen (Raufelder und Hoferichter, 2018, S. 95). Wenn Angst auftritt, kann der Mensch zwar bestimmte Handlungen schneller und routinierter durchführen, jedoch kommt es zu einer Blockade in Bezug auf komplexe Informationen. Stresshormone blockieren kurzfristig die Großhirnrinde (präfrontaler Cortex - siehe Abb. 7), wodurch rationales Denken erschwert wird (Raufelder & Hofrichter, 2018, S. 67). Chronischer Stress beeinträchtigt die kognitiven Funktionen außerdem durch die verstärkte Emotionalität (Raufelder & Hoferichter, 2018, S. 74). Deshalb blockiert enormer Stress die Lernfähigkeit von Schüler*innen, da belangvolle Lern- und Gedächtniszentren gehemmt und Angstgefühle stimuliert werden (Raufelder & Hoferichter, 2018, S. 98). Ebenso hemmen Angstgedanken die Leistungsfähigkeit (Warnecke, 2018, S. 15). Die Verknüpfung von Neuen und schon gelernten Inhalten zu verbinden, gelingt kaum, wenn Angst empfunden wird. Über dies hinaus kann die Kreativität nicht fließen, wenn Angst auftritt (Raufelder & Hoferichter, 2018, S. 68). 2.4.3 Stress bei Kindern Typische Beispiele für äußere Anforderungen: - „Schule - Geschwister-Konflikte - Eltern-Kind Konflikte - Konflikte mit Freunden“ (Hampel & Petermann, 2003 in Behringer & Rösch, 2016, S. 25; Schmidt-Traub, 2015, S. 51) Innere Anforderungen, die bei Kindern vermehrte Gedanken und Angst auslösen: - „Schule - Gesundheit & Persönlicher Schaden“ 28 Betrachtet man die typischen Anforderungen von Kindern, dann wird erkennbar, dass das Institut Schule jeweils als erstes aufgezählt wird. „Sind Kinder erst einmal schulpflichtig, entwickelt sich die Schule schnell zum Stressfaktor Nr. 1“, so Behringer und Rösch (2016, S. 25). Denn die österreichische Bundesverfassung besagt: „Für alle Kinder, die sich in Österreich dauernd aufhalten, besteht allgemeine Schulpflicht. (…)“. Das heißt, Kinder verbringen ab Erreichung des 6. Lebensjahres mindestens neun Jahre als Schüler*innen (Allgemeine Schulpflicht, o.D.). Allgemein sind jene Situationen am belastendsten, die von Übergangsphasen sowie Phasen der Unsicherheit charakterisiert sind. Im schulischen Kontext zählt dazu der Eintritt in die Volksschule. Im gravierendsten Fall führt diese Art von Stress zu psychischen Belastungen (Raufelder & Hoferichter, 2018, S. 21), da Kinder starke Symptome beim Verspüren von Stress entwickeln (Petermann, 2020, S. 460). Stress wird leichter empfunden, wenn der Körper keine selbstgesteuerte Regulierung bei einer negativen emotionalen und körperlichen Wahrnehmung findet (Petermann, 2024, S. 14). Angstanfälligere Menschen bewerten Ereignisse belastender und negativer. Die subjektive Bewertung ist hier ausschlaggebend (Schmidt-Traub, 2015, S. 51), ein gewisses Ausmaß an Angst kann dennoch von den Betroffenen beeinflusst werden (Warnecke, 2018, S. 17). Das Stressempfinden wird vermindert, wenn Personen älter werden (Raufelder & Hoferichter 2018, S. 21), viele Strategien zur Emotionsregulierung zeigen sich erst im späteren Entwicklungsverlauf (Petermann, 2020, S. 461). 2.4.4 Stress in Zusammenhang mit der Schule Viele Schüler*innen erleben den Schulalltag als hektisch (Schneider & Popp, 2020, S. 85), und dieser kann für viele Kinder eine echte Belastung darstellen (Raufelder & Hoferichter, 2018, S. 21; Melfsen & Walitza, 2013, S. 11). Erholungsphasen werden nach Beurteilungen von Kindern nur unzureichend im Schulsetting integriert (Raufelder & Hoferichter, 2018, S. 13). Wie bereits in Kapitel 2.4.3 verdeutlicht, wird Stress vorwiegend in Zusammenhang mit den schulischen Anforderungen verspürt. Die bewertungs- und leistungsbezogenen Faktoren sind große Auslöser 29 (Petermann, 2024, S. 13; Büch et al., 2015, S. 18; Schmidt-Traub, 2015, S. 51). Als Momente, die Angst auslösen, sind im Schulsystem regelmäßige Leistungskontrollen zu nennen (Raufelder & Hoferichter, 2018, S. 52). Werden Kinder aus der Klassengemeinschaft ausgeschlossen oder gemobbt, entsteht zusätzlich sozialer Stress – soziale Ausgrenzung kann desgleichen zu einer Angststörung führen (Raufelder & Hoferichter, 2018, S. 21 & 59). Lehrpersonen erhöhen Ängste, indem Rückmeldungen in einer inadäquaten Weise stattfinden (Raufelder & Hoferichter, 2018, S. 52). Erwähnung finden muss, dass eine wertschätzende, respekt- und vertrauensvolle Beziehung zwischen Schüler*innen und Lehrer*innen positive Einflüsse auf ein positives Selbstbild der Kinder hat. Ängstliche Kinder neigen zu einem negativen Selbstbild, das sich verstärkt, wenn Lehrpersonen Motivationsstrategien anwenden, die auf negativen Emotionen wie Angst und Furcht basieren. Angst- und stressfreies Lernen gelingt nur unter lernförderlichen, positiven Emotionen (Raufelder & Hoferichter, 2018, S. 58-59). Kinder, die vermehrt Ängste in Bezug auf die Schule erfahren mussten, entwickeln eher psychische Störungen wie eine GAS, Phobien oder Depressionen (Raufelder & Hoferichter, 2018, S. 53). 2.4.4.1 Studien in Bezug auf Schulstress Schulische Stressoren, zu denen Leistungsdruck, Aufgeregtheit vor Tests oder Angst aufgrund Noten zählen, wurden am häufigsten bei einer Tagebuch-Studie aufgelistet. Laut einer anderen Studie erleben sich 65% der Schüler*innen überfordert, 73% erwähnen die Angst vor schlechten Noten. 53% gaben an, dass ihre Leistungsfähigkeit aufgrund deren Ängste leide (Raufelder & Hofrichter, 2018, S. 41). Eine Studie von Hampel und Kollegen ergab, dass 48% von 1000 Schüler*innen der 3.-7. Klasse an einem bis vier Tagen in der Woche Einschlafprobleme wahrnimmt. 6% der Befragten hatten durch Grübelei an jedem Tag Einschlafschwierigkeiten und 36% betraf dieses Problem nicht (Petermann, 2020, S. 460). Laut Cortina-Studie 2008, erzielen Kinder bei schulischen Tests eine halbe Note schlechter aufgrund der Angst, die in Prüfungssituation verspürt wird (Raufelder & Hoferichter, 2018, S. 52). Ein Drittel aller Volksschulkinder gaben bei 30 einer Studie an, dass ein erhöhtes Stresslevel durch die Schule entsteht (Deutsche Kinderschutzbund, 2012 in Raufelder & Hoferichter, 2018, S. 97). Daraus lässt sich interpretieren, dass Stress zum Alltag vieler Kinder gehört. 2.5 Zusammenfassung, Kapitel 2 Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass erst bei einer Entwicklungsabweichung von einer psychischen Störung ausgegangen wird, welche im Volksschulalter in zwei verschiedenen Gruppen eingeteilt wird: internalisierende (emotionale) und externalisierende (verhaltensbezogene) Störungen. Gemäß den ICD-11, deren Etablierung noch absehbar ist, werden beide Gruppen nicht mehr separiert betrachtet. Alle Angststörungen und jene Störungen, die im Kindes- und Jugendalter mit einer Prävalenz von ca. 10-17% am häufigsten vorkommen, fallen aktuell unter Emotionale Störungen. Die GAS zählt neben der Trennungs- und Sozialangst zu den häufigsten Ängsten bei Kindern. Merkmale dieser Störung sind anhaltende und oft bedeutungslose Sorgen. Bei Kindern beziehen sich diese Sorgen häufig auf die Schulleistungen, auch wenn keine Bewertung von Seiten der Lehrperson stattfindet. Symptome wie Konzentrationsschwierigkeiten, Müdigkeit, Muskelverspannung, Aufgeregtheit, Schlafstörungen oder Reizbarkeit gehen mit einer GAS einher. Das Risiko, ebenso an einer Depression zu erkranken, ist aufgrund der unendlichen Besorgnis besonders hoch. Stress und Angst stehen in einem Zusammenhang. Ängste verstärken das Stressgefühl, während Stress ein Auslöser für das Verspüren von Angst ist. Daraus resultierend erleben sich Betroffene in einem Teufelskreis. Stressfaktoren, die in Bezug zur Schule stehen, sind bei vielen Volksschulkindern keine Seltenheit. Erhöhter Stress hemmt wichtige Lernfähigkeiten, wodurch Lernblockaden, Konzentrationsschwierigkeiten oder Ängste entstehen. Eine Möglichkeit, um Ängsten und Stress in der Schule präventiv entgegenzuwirken ist die Anwendung von sogenannten Entspannungsverfahren, welche im Kapitel 3 expliziter dargelegt werden. 31 3 Entspannung im Unterricht Dieses Kapitel beinhaltet eine genauere Auseinandersetzung mit der Thematik der Entspannung sowie eine zielführende Einbindung in den Volksschulunterricht. Zuerst wird der Begriff der Entspannung definiert und aufgezeigt, inwiefern Entspannung bei Kindern im Volksschulunterricht sowie bei einer generalisierten Angststörung relevant ist. Im Folgenden werden Verfahren, die Entspannung als Ziel sehen, näher betrachtet. Zwei ausgewählte Entspannungsmethoden sowie das Konzept des Snoezelen und deren Ziele werden näher beschrieben. 3.1 Entspannung Der Begriff Entspannung bezieht sich darauf, die Gedanken, die Gefühle oder den Körper zur Ruhe kommen zu lassen und zu entspannen (Wagner, 2006, S. 7). Der Rhythmus des Lebens stimmt mit dem Zusammenspiel der An- und Entspannung überein (Reeker-Lange et al., 2021, S. 15). Denn eine elementare rhythmische Ordnung charakterisiert den menschlichen Organismus wie das Ein- und Ausatmen oder das rhythmische Schlagen des Herzes im menschlichen Körper (Wagner, 2006, S. 7). Bei Aufregung kann der menschliche Puls zwischen 70-120 Schläge pro Minute erreichen. Ein Puls mit 60 Schlägen pro Minute bedeutet, dass sich der Mensch in einer entspannenden Phase befindet, welche sich durch eine tiefe und gleichmäßige Atmung und entspannten Gliedmaßen kennzeichnet (Günther, 2011, S. 29). Entspannende Momente sind demnach jene, bei denen der menschliche Körper im Gleichgewicht zwischen Schlaf, Wachphase, Bedürfnisse und Haben sowie den Anforderungen an die Umwelt ist (Wagner, 2006, S. 7). Entspannung gehört zum biologischen Verhaltensrepertoire des Menschen und ist ein Reaktionsmuster. Hierbei handelt es sich um einen spezifischen körperlichen Prozess (Petermann 2020, S. 47). Dieser Zustand sorgt dafür, dass Gedanken besser fließen, der Körper ausgeruht und Kraft getankt werden kann. Ein Abstand zum Alltag kann gewonnen werden, wodurch Alltagsgeschehen anders gesehen werden können (Günther, 2011, S. 29). 32 3.1.1 Bedeutung von Entspannung für Kinder Unterschiedliche Reizeinflüsse und Stress sind prägende Zustände, die Kinder heutzutage erleben, während das Gefühl der Ruhe immer mehr in den Hintergrund rückt (Petermann, 2021, S. 13). Ruhe sowie innere Harmonie sind natürliche Bedürfnisse der Menschen (Baisch- Zimmer, 2017, S. 15; Glaschke & Fitzner, 2012, S. 30). Durch eine nicht Gewährleistung dieser Bedürfnisse können negative Konsequenzen resultieren, die auf folgenden vier Ebenen sichtbar werden: 1) Körperliche Ebene: Auf dieser Ebene werden Anspannung, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Schwindel, usw. verspürt. 2) Mentale Ebene: Bei der mentalen Ebene erscheinen Gedanken in Form einer Gedankenspirale, Denk- & Lernblockaden sowie Müdigkeit usw. treten auf. 3) Emotionale Ebene: Diese Ebene äußert sich durch Ängste, Wut, Nervosität, depressive Erkrankungen, Unruhe, Unausgeglichenheit usw. 4) Verhaltensebene: Wutausbrüche, Antriebslosigkeit, Impulsivität sowie Rücksichtslosigkeit zählen zu dieser Ebene (Baisch-Zimmer, 2012, S. 15). Kinder, die auf mehreren Ebenen negative Auswirkungen erfahren mussten, zeigen häufig Unzufriedenheit und stellen für manche Personen eine Belastung dar (Petermann, 2024, S. 11). 33 Dr. Arnold Lohaus und Dr. Johannes Klein-Heßling erlangten bereits im Jahr 2000 bei einer Untersuchung das Resultat, dass 72% der 7- bis 11-jährigen und 81% der 12- bis 16-jährigen bereits stressige Erfahrungen erlebten (Baisch-Zimmer, 2017, S. 15). Es sei darauf hingewiesen, dass diese Studie vor 24 Jahren durchgeführt wurde. In der heutigen Zeit sind Kinder durch die Digitalisierung in der Welt zudem einem höheren Stressniveau ausgesetzt, denn visuelle und auditive Einflüsse durch schnellgeschnittene Videos wirken sich negativ auf die kindliche Informationsverarbeitung aus. Eine erhöhte Reizüberflutung durch Computer, Netflix und Co sorgen für innere Unruhe und Anspannung und können den Leistungsdruck, das Gefühl von Ängstlichkeit sowie Schlafprobleme erhöhen (Petermann, 2021, S. 14). Derartige Lebensbedingungen sind ausschlaggebend, weshalb Kinder immer mehr ihre natürlichen Entspannungsbefähigungen verlieren. Petermann deutet darauf hin, dass Erwachsene eine Reizüberflutung verhindern können, wenn Einflüsse angemessen gefiltert und reguliert werden (2024, S. 11). Manche Kinder spüren zudem die Nachwirkungen von den Beschränkungen durch die Coronapandemie, da diese das sozialemotionale Verhalten durch die soziale Isolation nicht erlernen konnten. Außerdem erfahren junge Heranwachsende durch verplante Tagesabläufe Ruhelosigkeit, was sich durch angespannte oder erregte Verhaltensweisen bemerkbar macht (Petermann, 2021, S.13-14). Nicht alle Menschen können mit Stressbelastungen entsprechend umgehen (Hoyer et al., 2016, S. 54). GAS-Betroffene sind anfälliger für Stressbelastungen, wie bereits durch Hoyer et al. dargelegt (2016, S. 43). Petermann und Hampel zeigen auf, dass Mädchen Belastungen stärker wahrnehmen und mit belastenden Situationen ungünstiger umgehen als Jungs. Im Vergleich zu Buben, welche eher Ablenkungsstrategien anwenden, tendieren Mädchen zum vermehrten Nachdenken oder zum Vermeidungsverhalten (2020, S. 460). Weil aber in der heutigen Zeit Entspannung immer mehr an Bedeutung gewinnt, wurden Entspannungstechniken speziell auch für Kinder und Jugendlich entwickelt (Petermann, 2021, S. 11), welche im folgenden Unterkapitel aufgezeigt werden. 34 3.2 Entspannungsverfahren Entspannungsverfahren, deren Ursprung im klinischen Bereich liegt, werden für die Behandlung unterschiedlichster Störungsbilder eingesetzt (Petermann, 2020, S. 19; Zaudig & Teicher, 2016). Unter dem Begriff Entspannungsverfahren enthalten ist die Vorstellung verschiedener Methoden, die Ruhe und Ausgeglichenheit erzielen wollen (Petermann, 2021, S. 41; Traub & In-Albon, 2017, S. 176). Anwendungsfelder von Entspannungsverfahren bei psychischen Störungen: - stressbezogene Störungen - Angststörungen - leichte bis mittelgradige Depression - Aggressionen - ADHS - Belastungsstörungen - Anpassungsstörungen (Petermann, 2020, S. 25) Keinesfalls sollen Entspannungsverfahren mit Therapien gleichgesetzt werden, weil Entspannungsverfahren Methoden sind, die als möglicher Bestandteil von Therapien gesehen werden (Zaudig & Teicher, 2016). Eine große Verbreitung findet diese Begleitmaßnahme bei psychischen Störungen, die ihren Fokus auf eine nicht- pharmakologische Behandlung legt (Petermann, 2020, S. 26). Entspannungsübungen, die im pädagogischen Kontext durchgeführt werden, sehen ihre Zielsetzung als Prävention und nicht als therapeutische Zwecke (Petermann, 2021, S. 101-102; Traub & In-Albon, 2017, S. 176). Des Weiteren sind solche Methoden hilfreich, damit belastende Situationen besser beherrscht (Fessler, 2013, S. 13) sowie emotionsregulierende Strategien erlernt werden, welche in den vielen unkontrollierbaren Situationen nützlich sein sollen (Petermann, 2020, S. 464). 35 3.2.1 Entspannungsverfahren - historischer Abriss Entspannungsverfahren basieren auf dem Entspannungseffekt in der Hypnose (Petermann, 2021, S. 42). Die Hypnose, bei der Körper und Seele in Einklang gebracht werden, kann als modernes Verfahren zur Heilung bezeichnet werden, (Revenstorf et al., 2023, S. 9; Simonis, 2020, S. 76) obwohl dessen Ursprung in China sowie im antiken Griechenland liegt. Bereits vor 4000 Jahren wurde die Hypnose „als Heilschlaf angewandt“, bei dem die Menschen durch die heilenden Effekte der Hypnose ihre Lebensweise optimieren konnten. Heilschlafähnliche Rituale wurden auch bei Naturvölkern zur Heilung von Krankheiten durchgeführt. Exorzismus -Demonstrationen machten Mesmer (1734-1815) vertraut mit solchen Techniken, welche ihm die Erkenntnis brachte, dass Heilung durch eine Lenkung der Gedanken in Handlungen geschieht (Kossak in Petermann, 2020, S. 103). Sowohl für die moderne Hypnoseforschung als auch die Psychotherapie gilt Mesmer als Vorreiter (Schröter, 2014, S. 13). Die Begrifflichkeit Hypnose wurde dann durch James Braids 1843 für das schlafähnliche Verhalten eingeführt - benannt nach dem griechischen Gott des Schlafes „Hypnos“ (Kossak in Petermann, 2020, S. 103; Schröter, 2014, S. 14). Braids, der Begründer des Konzeptes der Selbstbeeinflussung (Autosuggestion), legte den Fokus auf die innere Stimme der behandelten Personen (Sammer, 2017, S. 21). Im Gegensatz dazu, sind bei der Hypnose (Suggestion) die Einflüsse durch außen die zentralen Bestandteile (Sammer, 2017, S. 24). Im Jahr 1926 entwickelte J.H. Schultz - ein Berliner Nervenarzt - die Hypnose weiter (Petermann, 2021, S. 42-43, Sammer, 2017, S. 21; Behringer & Rösch, 2016, S.17), die er 1932 erstmals unter konzentrative Selbstentspannung vorstellte (Glaschke- Fitzner, 2012, S. 17-18). Ziel dieser Selbstentspannung war eine autonome - ohne ärztliche Hilfe - Bewirkung positiver Effekte durch hypnoseartiges Vorgehen, welches als Autogenes Training bekannt ist. Vom Autogenen Training heraus übertrugen sich dann weitere Techniken, die ebenso Entspannung als Ziel sehen (Petermann, 2021, S. 42-43). 36 3.2.2 Anwendung & Wirksamkeit von Entspannungsmethoden bei Ängsten Entspannungsmethoden werden zur Behandlung von Ängsten eingesetzt - siehe Anwendungsfelder, Kapitel 3.2 (Petermann, 2024, S. 15; Kipman, 2022, S. 127; Lohaus & Vierhaus, 2019, S. 320), da Ängste mit Stress im Zusammenhang stehen (Petermann, 2024, S. 13). Generell verringern Kinder ein Angstgefühl, wenn sie mit einem entspannten Zustand konfrontiert werden (Schmidt-Traub, 2015, S. 76). Weil Stress und Ängste den Körper nachhaltig belasten, können Entspannungseinheiten Angststörungen vermindern, indem innere Anspannungen gelöst werden. Eine hohe Effektivität solcher Übungen zeigt sich bei einer generalisierten Angststörung (Cuncic, 2019, S. 160-161). Bei der GAS ist die progressive Muskelentspannung die geeignetste Methode (Petermann, 2020, S. 25). Ebenso legen die Behandlungsangebote, die bei den Therapie-Tools für Psychotherapeutinnen zu finden sind, bei einer generalisierten Angststörung den Schwerpunkt unter anderem darauf, die Grundanspannungen dauerhaft zu senken (Hagena & Gebauer, 2014, S. 41). Wirksamkeit Die Wirksamkeit solcher Methoden im Rahmen der Angstbehandlung haben eine lange Geltung (Petermann, 2020, S. 381). Es kann von einer empirisch fundierten Basis gesprochen werden (Petermann, 2021, S. 43), die nachweislich sowohl auf physiologischer als auch auf psychologischer Basis positive Effekte hervorrufen (Petermann, 2021, S. 41). Metaanalysen deuten darauf hin, dass Entspannungsverfahren ihre Effektivität bei bestimmten Angststörungen zeigen. Beispielsweise sei die Progressive Muskelentspannung bei der generalisierten Angststörung oder bei spezifischen Phobien am wirksamsten (Petermann, 2020, S. 27). Empirische Befunde nennen das imaginative Entspannungsverfahren als die effektivste Methode, die in der Praxis bei ängstlichen Kindern angewendet wird (Petermann, 2020, S. 382). Trotzdem soll ein kritischer Blick auf die Übungen geworfen werden. Die Vielzahl solcher Übungen erschwert das Erkennen zwischen effektiven und weniger wirksamen Entspannungstechniken. 37 3.2.3 Drei verschiedene Zugänge von Entspannungsverfahren Petermann benennt bei Entspannungsverfahren drei verschiedene Zugänge: den kognitiven / den sensorischen / den imaginativen Zugang. Ein kognitiver Ansatz ist ein Ansatz, bei dem Personen sich durch das Spüren einzelner Körperteile mit Anleitungssätzen wie „Mein linker Arm ist warm!“ usw. selbst instruieren. Das Autogene Training fällt unter diesen Ansatz (2024, S. 15). Der sensorische Entspannungszustand wird durch aktive und körperbezogene (= sensorische) Übungen erreicht. Es werden dabei einzelne Muskelgruppen durch ein nacheinander und systematisches Anspannen wieder gelockert, zum Beispiel, indem die Faust ca. zehn Sekunden lang zugedrückt und anschließend geöffnet wird (Petermann, 2024, S. 15). Imaginative Verfahren setzen eine Auseinandersetzung mit Fantasiebildern, die positive Gefühle und Entspannung auslösen können, voraus. Werden Fantasiebilder so detailliert erzählt, dass Zuhörende eine genaue Vorstellung davon bekommen, kann ein guter Zustand der Imagination erzielt werden (Petermann, 2024, S. 16). Auch verhaltenstherapeutische, psychodynamische oder kognitiv- behaviorale Methoden zählen zu diesem Zugang (Petermann, 2020, S. 122). Imaginative Verfahren lassen sich mit kognitiven Ansätzen kombinieren. Eine in Bezug auf Angst effektive Methode, die beide Ansätze kombiniert, sind die Kapitän- Nemo-Geschichten, deren Aufmerksamkeitslenkung durch positive Instruktionen vom Angstempfinden weg auf eine positive Körperreaktionen lenkt (Petermann, 2020, S. 378). Die beschriebenen Geschichten führen bei ängstlichen Kindern zu einer Reduktion von Angst, einer Steigerung der Konzentration sowie zu einem Gefühl der Ruhe (Petermann, 2024, S. 37). Eine Anregung für die Kapitän-Nemo- Geschichten ist im Kapitel 4 Praxiskonzept, ab S. 66 zu finden). Jene zuvor genannten Entspannungsinduktionen lassen sich unter dem Begriff Entspannungsreaktion zusammenfassen und erzielen mehr oder weniger eine ähnliche physiologische Veränderung (Petermann, 2020, S. 47). Eine Anwendung finden diese in der schulischen Praxis, im Alltag oder bei psychotherapeutischen Sitzungen (Schneider & Popp, 2020, S. 85). 38 3.3 Gründe für Entspannungseinheiten im Volksschulunterricht „Der Mensch muss zu seiner inneren Ruhe gebildet werden.“ (Johann Heinrich Pestalozzi in Fessler, 2014, S. 38) Körperliche Anspannungen entstehen nicht nur in lebensbedrohlichen Situationen, sondern auch, wenn Überforderungen wahrgenommen werden (Baisch – Zimmer, 2017, S. 13). Überforderungen, die in Stress enden, entstehen häufig bei Kindern gerade in der Volksschule durch leistungs- oder bewertungsbezogene Aspekte, wie bereits in Kapitel 2.4.1 Angst in Zusammenhang mit Stress erläutert wurde. Ebenso wurden in Kapitel 2.2.5 GAS mögliche Auffälligkeiten in der Schule erklärt, dass Entspannungstechniken als Interventionsmöglichkeiten betrachtet werden, wodurch entspannende Elemente im Unterricht ihren berechtigten Standpunkt einnehmen. 3.3.1 Prävention - präventive Maßnahmen im Schulalltag Dennoch deutet Rolletschek mit der Aussage Prävention vor Intervention auf die Notwendigkeit hin, den Schulalltag präventiv, statt interventiv zu gestalten. Sie vergleicht den schulischen Alltag mit einer Schatz- statt einer Fehlersuche, die zielführend für eine positive Haltung ist (2019, S. 7). Prävention heißt, dass psychische Störungen und andere Krankheiten verhindert bzw. abgemildert werden, indem vorbeugende Maßnahmen gesetzt werden. Demgemäß können Gesundheitsrisiken reduziert werden (Petermann et al., 2019, S. 13). Präventive Maßnahmen sind in der Pädagogik unter anderem Rituale, welche innere Ordnung schaffen. Als Ritual beispielsweise nach der Pause nennt die Autorin Entspannungseinheiten (Rolletschek, 2019, S. 11-13). Die Prävention stellt einen wichtigen Faktor bei der Thematisierung von psychischen Störungen dar. Zahlreiche psychische Auffälligkeiten entwickeln sich 39 in den ersten Lebensjahren (frühe Kindheit), indem mehrere Faktoren zusammenspielen. Risiko- und Schutzfaktoren stehen in einer Wechselwirkung mit den erlebten Erfahrungen. Die Problemlösefähigkeit kann eingeschränkt werden, wenn Kinder bereits in jungen Jahren stressigen Situationen ausgesetzt sind. Daher ist es von Geltung, dass frühzeitig präventive Maßnahmen implementiert werden, um einer Verfestigung von Auffälligkeiten entgegenzuwirken. Je früher präventive Maßnahmen angewandt werden, umso besser wirken diese in Bezug auf langfristige Fehlentwicklungen, welche durch solche Maßnahmen vermindert oder gar verhindert werden können (Fröhlich.Gildhoff & Rönnau-Böse, 2011, S. 58). Entspannungsübungen werden, wie bereits bei den Anwendungsfeldern genannt, im Schulkontext lediglich präventiv angewendet (Petermann, 2021, S. 101; Petermann, 2020, S. 370). Belastungen, wie Schulstress oder andere Konflikte können mit Entspannungsverfahren aufgrund der Erregungsreduktion besser bewältigt werden. Zudem wird die positive Stressregulation aktiviert (Petermann, 2020, S. 379). Psychische Störungen oder Lernschwierigkeiten werden durch Entspannungsverfahren nicht gänzlich abgebaut. Bei Entspannung im pädagogischen Setting ist der Zustand der Entspannung und das Abbauen von Hemmungen das entscheidende Merkmal, weil die Wahrnehmung und die Konzentration dadurch förderlich beeinflusst werden (Petermann, 2021, S. 104- 105). 3.3.2 Entspannungseinheiten in Bezug auf das Lernen Die Wahrnehmung des Schulalltags als stressig führt zu negativen Auswirkungen auf das konzentrierte Lernen (Schneider & Popp, 2020, S. 85). Regelmäßig stattfindende Entspannungseinheiten und Unterrichtssequenzen helfen Schulkindern, ihre Ausgeglichenheit (Baisch – Zimmer, 2017, S, 11; Mattes, 2011, S. 119;) sowie die Fähigkeit zur Konzentration auf das Gegenwärtige zu finden 40 (Schneider & Popp, 2020, S. 85; Mattes, 2011, S. 119; Wagner, 2006, S. 7). Schüler*innen, die sich anpassen (siehe Kapitel 2.2.5) tendieren in angespannten Situationen dazu, Selbstbeherrschung, statt körperliche Aktivität zu zeigen. Durch eine solche Unterdrückung nimmt die Anspannung zu, in weiterer Folge wird Stress erhöht. Negativ ist dies für das Wohlbefinden oder die Leistungsfähigkeit, daraus resultierend entstehen Denkblockaden (siehe Kapitel 2.4.2 Einfluss von Stress/Angst auf das Lernzentrum) (Baisch – Zimmer, 2017, S. 13). Eine Dringlichkeit besteht weiters darin, Kinder mit Verhaltensstörungen mit Entspannungstechniken vertraut zu machen, da unruhiges, unkonzentriertes, impulsives oder ängstliches Verhalten, das Lernen erschwert. Das Lernen funktioniert nicht ohne Ruhe. Allgemein sind Ruhepausen im Tagesablauf für alle Lernenden von Bedeutung. (Petermann, 2021, S. 14-15) Kinder, die verhaltensgestörte Merkmale aufweisen, können ihre Entwicklung durch ihre Angespanntheit blockieren (Petermann, 2007, S. 13). Regelmäßige Erholungsphasen im Unterricht, die bereits in jungen Jahren im Volksschulunterricht erlebt werden, bewirken, dass sich Anspannungen im späteren Leben leichter lösen (Baisch – Zimmer, 2017, S. 11). Entspannungstechniken bieten sich z.B. vor Klassenarbeiten, während langen Aufgabenphasen, dessen Konzentration gefordert ist oder nach dem Sportunterricht an. Eine regelmäßige Anwendung sollte berücksichtigt werden (Schneider & Popp, 2020, S. 85). Buchner beschreibt, dass diese Übungen nach der Pause am sinnvollsten seien, da es in den Pausen häufig zu Konflikten zwischen den Kindern kommen kann (1999, S.105) Zudem können Kinder ihre Fähigkeiten besser entdecken, wenn diese genug Entspannungsphasen erleben (Glaschke & Fitzner, 2012, S. 30). Gerade weil Entspannungsverfahren die Konzentrationsfähigkeit, die Aufmerksamkeit, die Gedächtnisprozesse und die Informationsverarbeitung positiv für weitere Fertigkeiten beeinflussen und das Verhalten in einen ruhigen Zustand gebracht wird, eigenen sich diese Techniken optimal im Kontext Schule (Petermann, 2020, S. 464). Kinder, die von stressbedingten Störungen betroffen sind, können bei schulischen Aktivitäten so entsprechend gefördert werden. 41 3.3.3 Entspannungseinheiten in der Schule – die Rolle der Lehrperson Vorteile bei der Vermittlung der Entspannungsfähigkeit zeigen sich, wenn Lehrpersonen bereits mit Entspannungstechniken vertraut sind und Ruhe ausstrahlen (Rosenberg, 2021, S. 5; Baisch – Zimmer, 2017, S. 11). Baisch – Zimmer fügt dennoch hinzu, dass eigene Entspannungserfahrungen als Lehrperson zwar hilfreich, aber nicht notwendig sind und ohne Erfahrung gestartet werden kann (2017, S. 23). Wesentlich sei jedoch, dass Übungen von der Lehrkraft gewählt werden sollen, von denen diese überzeugt ist und als angenehm empfindet (Petermann, 2021, S. 99; Rosenberg, 2021, S. 5; Baisch – Zimmer, 2017, S. 23). Auf Entspannungsübungen mit der Klasse soll verzichtet werden, wenn die Lehrperson selbst eine stressige Phase erlebt. Emotionen können auf die Schüler*innen übertragen werden. Demnach wird die Entspannung der Schulkinder erst durch die Entspannung der Lehrperson erzielt (Baisch – Zimmer, 2017, S. 24; Fessler, 2013, S. 49; Friebel, 1996, S. 71). Gemäß des Modell-Lernens können hierbei demnach angstreduzierende oder aber angstfördernde Verhaltensweisen übermittelt werden (Essau, 2023, S. 215). Friebel betont, dass der Beruf der Erzieherinnen besonders aufgrund des hohen Lärmpegels von großen Kindergruppen stressbedingt zur Erschöpfung führt. Nachweisbar leiden Erzieherinnen im Vergleich zu anderen Berufsgruppen 27% mehr an psychosomatischen Beschwerden. Generell kann ein um 8% schlechterer psychischer Zustand nach einer Studie der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (2000) verzeichnet werden (Friebel, 2013, S. 91). Deshalb können auch Pädagoginnen von den positiven Effekten der unterschiedlichen Entspannungsverfahren profitieren, die den Schulalltag kurz unterbrechen Einerseits, um besser abschalten zu können (Fessler, 2013, S. 49). Hingegen wird die Gruppe insgesamt durch regelmäßig stattfindende Entspannungsmomente entspannter, wodurch der Lärmpegel gesenkt werden kann (Friebel, 2013, S. 91). Wirft man einen Blick auf eine optimistische Einstellung der Lehrperson, dann wird deutlich, dass diese auf Schüler*innen und die Lernatmosphäre positiv übertragen wird. Ein freundliches Miteinander durch Wertschätzung erleichtert das Loslassen und Entspannen von körperlichen Anspannungen (Baisch – Zimmer, 2017, S. 24). 42 3.3.4 Voraussetzungen der Schüler*innen Die Bereitschaft der Kinder, an entspannenden Einheiten teilzunehmen, muss gegeben werden (Rosenberg, 2021, S. 5; Fessler, 2013, S. 47) und sollen als Angebot, nicht als Zwang gesehen werden (Baisch-Zimmer, 2017, S. 12). Hoppe betont, dass man Fantasiereisen erst mit Kindern ausführen soll, wenn Stilleübungen bekannt sind und ruhiges Zuhören keine Herausforderung mehr ist (1995, S. 76). Laut Fessler soll die Lehrperson diese Unruhe aushalten, da sich Ruhe jeweilig erst durch das Mitmachen während den Übungen zeigt. Je öfters Lehrpersonen entspannende Techniken im Unterricht anbieten, umso besser funktioniert dessen Durchführung. Zudem brauchen Kinder Zeit, um entspannende Phasen zulassen und ihre Entspannungsfertigkeiten trainieren zu können. Fessler betont, dass die Begeisterung der Kinder für Entspannung gegeben sein soll. Das Zusammenwirken zwischen Ruhe und Anspannung, Aktivität und Entspannung soll bewusst gespürt und positiv erfahren werden (2013, S. 49). Sich der eigenen Verfassung bewusstwerden und innezuhalten ist für Schüler*innen sinnvoll, damit diese einen Unterschied zum Befinden nach den Entspannungsübungen spüren können (Baisch-Zimmer, 2017, S, 25). Die verbesserte Wahrnehmung für An- und Entspannung und eine einfachere Entspannungsfähigkeit gelingen nach solchen Übungen (Friebel, 2013, S. 91). Nennenswert sei, dass entspannende Übungen mit den Eltern oder mit den Ärzten abgesprochen werden sollen, wenn Kinder in der Klasse anwesend sind, die psychiatrisch behandelt werden, oder an Asthma leiden, einen niedrigen Blutdruck, Epilepsie oder von anderen organischen Problemen betroffen sind (Baisch-Zimmer, 2017, S. 25). Beispielsweise tritt Epilepsie bei Betroffenen oftmals in der Aufwachphase auf. Weil Entspannungsverfahren manchmal schlafähnliche Zustände auslösen, könnte hier ein Anfall bei Epileptikerinnen am Ende von durchgeführten Übungen ausgelöst werden. (Petermann, 2021, S. 85). 43 In den nachfolgenden Unterkapiteln werden die drei ausgewählten Entspannungsmethoden Traumreisen, Progressive Muskelentspannung sowie Snoezelen Räume näher beschrieben, welche dann im Kapitel 4 zu einem Praxiskonzept zusammengeschlossen werden. Ein wesentliches Argument für die Auswahl von Traumreisen und Progressiver Muskelentspannung in der Volksschule ist, dass diese Verfahren für Entspannungsanfänger geeignet sind. Deshalb wird mit einfachen Methoden gestartet, die mehrmalig wiederholt werden, um ein Vertrauen mit den physischen bzw. psychischen Erlebnissen zu gewinnen. Gemäß der „Schwierigkeitstreppe der Programme“ von Fessler werden die aufgelisteten Methoden von einfach – anspruchsvoll gereiht (2013, S. 48). : anspruchsvoll Quigong, Yoga (Kinderyoga) Eutonie, Dehnen, Massage Fantasiereisen, Progressive Muskelentspannung leicht Atemübungen 44 3.4 Traumreisen Zu dem imaginativen Zugang (siehe Kapitel 3.2.3) bei den Entspannungsverfahren zählen Traumreisen, die auch als Fantasiereisen bezeichnet werden. In der pädagogischen Praxis ist die Imagination seit vielen Jahren fest verankert (Petermann, 2020, S. 122). Traumreisen sind die geeignetsten und effektivsten Entspannungstechniken für Kinder, deren Fantasietätigkeit sowie die Tagträumerei noch gut ausgeprägt sind. Z.B. zeigen die Kapitän-Nemo-Geschichten ihre Effektivität in Bezug auf Stress und Ängste bei Kindern (Petermann, 2024, S. 16). 3.4.1 Begriff Traumreisen Der Begriff Traumreisen meint alle Geschichten oder Vorstellungsbilder, bei denen die kindliche Fantasie durch eine erzählende Person angeregt wird (Wagner, 2006, S. 13) Gesagtes wird dabei besonders ruhig, betont und langsam wiedergegeben (Friebel, 2013, S. 5; Mattes, 2011, S. 118). Charakteristisch in diesem Kontext ist ebenso der Begriff katathymes Bilderleben und bedeutet, dass innere Bilder in der Vorstellungskraft entstehen (Wagner, 2006, S. 13). Innere Bilder können durch angenehme Erlebenszustände das Wohlbefinden beeinflussen (Petermann, 2020, S. 122) und sollten nicht verdrängt werden, da sie für die menschliche Entwicklung relevant sein und etwas über das Innere aussagen können (Hoppe, 1995, S. 76). 3.4.2 Ziele Das Ziel der Traumreise ist die Vorstellung von inneren, angenehmen Bildern. Diese sollen auch im späteren Alltag bewusst, durch positive Empfindungen der Reise hervorgerufen werden und nachhaltig für Entspannung sorgen (Rosenberg, 2021, S.37). Dadurch werden Ruhe sowie bedeutende emotionale Erfahrungen bei Fantasiereisen ausgelöst. Eine physiologische Entspannungswirkung zeigt sich (Wagner, 2006, S. 13). Aufgrund dieser Wirkung fördern Traumreisen den Stressabbau, der ebenso für die Disziplin förderlich ist (Mattes, 2011, S. 118). 45 Abbildung 9 Fantasiereisen Frühling, Sommer, Herbst und Winter: (eigene Aufnahme). Diese Abbildung zeigt die Bildkartenbox mit 30 Fantasiereisen für Kinder zwischen 4-10 Jahre, passend für das ganze Jahr von Müller (Don Bosco Verlag, 2020). Abbildung 10 - Zeichnung eines Volksschülers: (eigene Aufnahme). Beispiel einer Zeichnung, die nach der Fantasiereise „du wanderst in den Bergen“ gemalt wurde. Die genaue Durchführung und die dabei zu beachtenden Aspekte sowie Beispiele für Traumreisen sind im Kapitel 4 Praxiskonzept beschrieben. 46 3.5 Progressive Muskelentspannung (PME) Die Betrachtung der Progressiven Muskelentspannung als sensorischen Zugang (Petermann, 2024, S. 15) impliziert einen Entspannungszustand, in dem einzelne Muskelgruppen bewusst aktiviert und gelöst werden (Petermann, 2020, S. 22; Fessler, 2013, S. 101). Ein sogenannter Kontrasteffekt macht sich durch die An- und Entspannung spürbar (Petermann, 2021, S. 49). Ausgegangen wird von der Vermutung, dass zwischen zentrales Nervensystem betreffenden, mentalen Prozessen und den äußeren, muskulären Veränderungen eine Wechselwirkung stattfindet (Petermann, 2020, S. 22). 3.5.1 Entstehung Progressive Muskelentspannung Erstmals wurde die PME von Edmund Jacobsen um das Jahr 1930 entwickelt (Reeker-Lange et. al, 2021, S. 13; Petermann, 2020, S. 150). Der amerikanische Arzt Jacobsen spezialisierte sich im Laufe seines Lebens auf die Themen Innere Medizin, Psychiatrie so wie Physiologie (Reeker-Lange et al., 2021, S. 13). Durch psychologische Studien bemerkte er einen Zusammenhang zwischen einem emotionalen Spannungszustand und verspannten Muskeln (Fessler, 2013, S. 101). 3.5.2 Jacobsens Grundverfahren Jacobsens Grundverfahren besticht durch das ein- bis zweiminütige Anspannen einzelner Muskelgruppen, während drei bis vier Minuten zuvor kontrahierte Muskelgruppen wieder gelockert werden. Dabei werden alle Muskelgruppen der Gliedmaßen von oben bis unten, der Rumpfbereich und die Kopfregion an- und entspannt. Primär steht nicht die Intension der Anspannung im Vordergrund, sondern die Wahrnehmung durch subtile Anspannungen einzelner Muskelgruppen (Petermann, 2020, S. 151). Jacobsens Verfahren ist wegen Einbezug von 30 Muskelgruppen und dessen langen und häufigeren Sitzungen aufwendig (Zaudig & Teicher, 2016). 47 3.5.3 Übungsformen angelehnt an Jacobsen (Wolpe) Eine Vielzahl an Übungsformen, angelehnt an Jacobsen, wurden vereinfacht erstellt. So reduzieren angelehnte Methoden die Anzahl der Muskelgruppen sowie die Sitzungshäufigkeit im Vergleich zu Jacobsen (Petermann, 2021, S. 50; Reeker- Lange, 2021, S. 13). Nennenswert sind Verfahren nach Öst, Wolpe oder Bernstein. Wolpe, der Erfinder der Angsttherapie, vereinfachte Jacobsens Grundverfahren nach seiner Feststellung, die PME in verkürzter Zeit zu erlernen (Reeker-Lange, 2021, S. 14; Sammer, 2017, S. 24). So sind nach Wolpe 6-8 Sitzungen ausreichend. Erwachsene beginnen mit 16 und Kinder mit 8 Muskelgruppen, die Phase der An- und Entspannung ist zudem kürzer als beim Grundverfahren. In der heutigen Zeit wird vorwiegend diese Art PME angeboten (Reeker-Lange, 2021, S. 14). Konsequenzen in Bezug auf die Effektivität der PME in durchgeführten Studien entstehen, da sich viele Ergebnisse in Bezug auf die PME widersprechen und daher eine spezielle Standardisierung für die Durchführungsvariablen gilt (Petermann, 2021, S. 50). Die Progressive Muskelentspannung zählt zu den am meisten angewandten Entspannungsverfahren (Fessler, 2013, S. 101). Eingesetzt wird diese für ängstliche Kinder, um körperliche Anspannung zu reduzieren (Petermann, 2020, S. 378). Zudem wurde diese am intensivsten untersucht und konnte ihre Effektivität in Bezug auf unterschiedliche Störungsbilder belegen (Petermann, 2020, S. 165). 60% von 3254 Personen gaben an, dass deren Befindlichkeit durch die PME verbessert wurde (Grawe et al., 1994 in Zaudig & Teicher, 2016). Forschungen zeigten, dass Jacobsens Grundverfahren dennoch die nachhaltigsten Effekte bei Schmerzen oder für die Prävention von Stress, Unruhe, Schlafstörungen (…) erzielt (Naeher-Zeiffer, 2014, S. V). Gerade in der immer stressigeren und schnelllebigen Zeit wären längere Sitzungen dringend erforderlich (Reeker-Lange, 2021, S. 14). 3.5.4 Anwendung und Ziele bei Kindern Lange als Methode für Erwachsene bekannt, erlangte auch die PME aufgrund der einfachen Aneignung bei Kindern ihre Beliebtheit (Petermann, 2020, S. 166). Besonders für die Altersgruppe 8-10 Jahre ist die PME gut einsetzbar (Schmidt- 48 Traub, 2015, S. 77). Angesichts individueller Entwicklungsstände kann diese Methode bei jüngeren Kindern angewendet werden, wenn diese ihrer Entwicklung voraus sind (Reeker-Lange, 2021, S. 62). In Kombination mit zuvor beschriebenen Fantasiereisen werden diese besonders kindgerecht durchgeführt (Petermann, 2020, S. 166; Glaschke-Fitzner, 2012, S. 21). Aufgrund der aktiven Form wird diese Art der Entspannung von Kindern besser aufgenommen, da das Stillliegen bei Kindern manchmal zur Herausforderung werden kann. Trotzdem erleben sich die Kinder nach der Durchführung entspannt (Glaschke-Fitzner, 2012, S. 21). Als Vorteil nennen Reeker-Lange et al. den Faktor, dass sich diese Methode jederzeit und überall anwenden lässt (2021, S. 11) und, dass Kinder sich durch die PME selbstinstruktiv in einen Zustand der Entspannung bringen können (Petermann, 2021, S. 49). Gerade Kinder, die schulbezogene oder andere Ängste haben, reagieren auf die PME in positiver Weise (Glaschke-Fitzner, 2012, S. 21), weshalb dieses Verfahren aufgrund der stressreduzierenden Wirkung in der Schule angewendet wird (Reeker-Lange, 2021, S. 49). 3.5.4.1 Anwendung und Ziele bei Stress und Ängsten In Bezug auf Angstsituationen gelangte Jacobsen zu folgender Schlussfolgerung: Angst kann vermindert werden, wenn die aufgestaute Anspannung ausgeglichen wird. Aufbauend auf diese Erkenntnisse untersuchte er die An- und Entspannung von Muskelgruppen in Verknüpfung mit einer Fokussierung auf entstehende Gefühle. Aufgrund der tiefgreifenden Entspannung (Reeker-Lange, 2021, S. 13) wird diese Methode eingesetzt, um verspannte Muskeln aufgrund stressbezogener Störungen zu lockern (Hoyer et al., 2016, S. 44; Schmidt-Traub, 2015, S. 158; Glaschke & Fitzner, 2012. S. 21). Bei mehrfacher Anwendung entspannen sich neben den äußeren Muskeln zudem die inneren Organe, wodurch es zu einer vegetativen Umschaltung kommt. Deshalb bedarf dieses Verfahren regelmäßige und lange Sitzungen (Reeker- Lange et al., 2021, S. 13). Die Anwendung und Beispiele für die PME bei Kindern sind im Kapitel 4 Praxiskonzept dargelegt. 49 3.6 Snoezelen Räume 3.6.1 Begriff und Herkunft Snoezelen Die Deutsche Snoezelen-Stiftung einigte sich für folgende Begriffsbestimmung: „Unter Snoezelen wird eine gestaltete Umgebung verstanden, in der durch steuerbare multisensorische Reize Wohlbefinden ausgelöst werden soll“ (Deutsche Snoezelen Stiftung in Günther, 2011, S. 6). Die Wurzeln des Snoezelen liegen in Holland (Günther, 2011, S. 6; Hulsegge & Verheul, 1991, S. 1). Snoezelen als Begriff setzt sich zusammen aus den holländischen Wörtern doezelen und snuffelen, zu Deutsch Dösen und Schnuppern, wobei letzterer Begriff alle Wahrnehmungsbereiche Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten umfasst. So wird Snoezelen überdies mit entspannter Sinneswahrnehmung gleichgesetzt (Günther, 2011, S. 4). Ursprünglich wurde in den 70er Jahren das Snoezelen von zwei Zivildienstleistende für schwerstbeeinträchtigte Menschen entwickelt und in deren Einrichtungen umgesetzt (Günther, 2011, S. 6; Hulsegge & Verheul, 1991, S. 6). Aus dem Bedürfnis heraus, Menschen mit schweren Beeinträchtigungen einen Schonraum zur Verfügung zu stellen, wurde ein weißer, reizarmer Raum mit bequemen Liegeflächen gestaltet (Günther, 2011, S. 6). Schließlich verbreitete sich aufgrund großer Anerkennung das Snoezelen in den 90er Jahren. Seither kann Snoezelen bei allen Altersgruppen in unterschiedlichen Einrichtungen z.B. in Schulen, Seniorenheimen, Krankenhäusern oder ähnlichen Institutionen angewendet werden (Ling, o.D.). Der Grundsatz niets moet, alles mag bedeutet, dass nichts gemacht werden muss und alles erlaubt ist (Hulsegge & Verheul, 1991, S. 10). Dennoch zählt die goldene Regel, bei der niemand gestört werden darf (Günther, 2011, S. 4). 50 3.6.2 Snoezelen und Raum Beim Snoezelen können schwerstbehinderte Menschen in bestimmten Umgebungen zu sich selbst und zu einem Höchstmaß an Ruhe finden, wie Hulsegge und Verheul bereits 1991 darlegten (S. 10). Das Snoezelen findet in einem speziellen Raum statt - vorzüglich weißgehalten, reizarm und gemütlich. Entspannungsmusik, Traumassoziationen und unterschiedliche Lichtspiele vereinfachen das Loslassen (Günther, 2011, S. 4). Weitere Informationen zur einfachen Gestaltung und Umsetzung eines Snoezelen Raumes in der Schule sowie Fotos werden im Kapitel 4 Praxiskonzept ausführlich aufgezeigt. 3.6.3 Snoezelen bei Kindern – Ziele in der Schule Eine Reizüberflutung betrifft nicht nur geistig behinderte Personen. Kinder zeigen vermehrt Symptome aufgrund der Überlastung von äußeren Einflüssen (siehe Kapitel 3.3 Gründe für Entspannungseinheiten). Rückzugsorte sind für Kinder wichtig, weil diese Geborgenheit bieten. Snoezelen – Räume vermitteln genau dieses geborgene Gefühl. Der Aufenthalt im Snoezelen Raum bewirkt, dass Schulkinder sich locker, ausgeruht und befreit fühlen. Deren Aufnahmefähigkeit wird verbessert, wodurch der Lernstoff gut verarbeitet werden kann. Weil die Schulkinder ausgeruht sind, gelingt über dies hinaus ein besserer, sozialer Umgang. Zudem kann der Stress in Bezug auf die Schule abgebaut werden (Günther, 2011, S. 7-9). 51 3.6.4 Allgemeine Ziele des Snoezelen Die Reduktion von Stress, Aggressionen und Leistungsdruck sind zentrale Ziele beim Snoeze

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