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UncomplicatedRomanesque

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IU Internationale Hochschule

N.N.

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change management organizational change business management

Summary

This course book details the topic of change management, covering concepts, definitions, and models. It outlines different aspects of change, causes, barriers, and strategies for managing organizational transformation. The book also includes literature recommendations for further study.

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CHANGE MANAGEMENT DLBWPOCM02 CHANGE MANAGEMENT IMPRESSUM Herausgeber: IU Internationale Hochschule GmbH IU International University of Applied Sciences Juri-Gagarin-Ring 152 D-99084 Erfurt Postanschrift: Albert-Proeller-Straße 15-19 D-86675 Buchdorf media...

CHANGE MANAGEMENT DLBWPOCM02 CHANGE MANAGEMENT IMPRESSUM Herausgeber: IU Internationale Hochschule GmbH IU International University of Applied Sciences Juri-Gagarin-Ring 152 D-99084 Erfurt Postanschrift: Albert-Proeller-Straße 15-19 D-86675 Buchdorf [email protected] www.iu.de DLBWPOCM02 Versionsnr.: 001-2023-0829 N.N. © 2023 IU Internationale Hochschule GmbH Dieses Lernskript ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Lernskript darf in jeglicher Form ohne vorherige schriftliche Genehmigung der IU Internationale Hochschule GmbH (im Folgenden „IU“) nicht reproduziert und/oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet wer- den. Die Autor:innen/Herausgeber:innen haben sich nach bestem Wissen und Gewissen bemüht, die Urheber:innen und Quellen der verwendeten Abbildungen zu bestimmen. Sollte es dennoch zu irrtümlichen Angaben gekommen sein, bitten wir um eine dement- sprechende Nachricht. 2 INHALTSVERZEICHNIS CHANGE MANAGEMENT Einleitung Wegweiser durch das Studienskript................................................. 6 Literaturempfehlungen............................................................ 7 Übergeordnete Lernziele.......................................................... 9 Lektion 1 Einführung in das Change Management 11 1.1 Begriffe und Definitionen..................................................... 13 1.2 Abgrenzungen des Change Managements...................................... 17 1.3 Modelle des Wandels......................................................... 21 Lektion 2 Ursachen und Auslöser des Wandels 29 2.1 Veränderung und Wandel..................................................... 30 2.2 Externe Auslöser des Wandels................................................. 33 2.3 Interne Auslöser des Wandels................................................. 37 Lektion 3 Das Unternehmen als Wandelhemmnis 43 3.1 Hemmnisse auf Organisationsebene........................................... 44 3.2 Kollektive Hemmnisse........................................................ 49 3.3 Wirtschaftliche Hemmnisse................................................... 52 Lektion 4 Widerstand auf individueller Ebene 57 4.1 Erscheinungsformen individuellen Widerstands................................ 58 4.2 Ursachen und Auslöser individuellen Widerstands.............................. 65 4.3 Behandlung von Widerständen................................................ 68 Lektion 5 Change als Managementaufgabe 75 5.1 Erfolgsfaktoren des Change Managements..................................... 78 5.2 Managementaufgaben im Change............................................. 88 5.3 Arbeitspakete des Change Managements....................................... 92 3 Lektion 6 Leading Change 101 6.1 Erfolgsfaktor Führung und Führungsperson................................... 104 6.2 Führungsrollen und -funktionen.............................................. 111 6.3 Change-Kommunikation.................................................... 117 Lektion 7 Management von Change-Projekten 127 7.1 Change-Management-Modelle............................................... 129 7.2 Organisation des Change Managements...................................... 134 7.3 Controlling und Evaluierung von Change-Projekten............................ 147 Verzeichnisse Literaturverzeichnis............................................................. 158 Abbildungsverzeichnis.......................................................... 164 4 EINLEITUNG HERZLICH WILLKOMMEN WEGWEISER DURCH DAS STUDIENSKRIPT Dieses Studienskript bildet die Grundlage Ihres Kurses. Ergänzend zum Studienskript ste- hen Ihnen weitere Medien aus unserer Online-Bibliothek sowie Videos zur Verfügung, mit deren Hilfe Sie sich Ihren individuellen Lern-Mix zusammenstellen können. Auf diese Weise können Sie sich den Stoff in Ihrem eigenen Tempo aneignen und dabei auf lerntyp- spezifische Anforderungen Rücksicht nehmen. Die Inhalte sind nach didaktischen Kriterien in Lektionen aufgeteilt, wobei jede Lektion aus mehreren Lernzyklen besteht. Jeder Lernzyklus enthält jeweils nur einen neuen inhaltlichen Schwerpunkt. So können Sie neuen Lernstoff schnell und effektiv zu Ihrem bereits vorhandenen Wissen hinzufügen. In der IU Learn App befinden sich am Ende eines jeden Lernzyklus die Interactive Quizzes. Mithilfe dieser Fragen können Sie eigenständig und ohne jeden Druck überprüfen, ob Sie die neuen Inhalte schon verinnerlicht haben. Sobald Sie eine Lektion komplett bearbeitet haben, können Sie Ihr Wissen auf der Lern- plattform unter Beweis stellen. Über automatisch auswertbare Fragen erhalten Sie ein direktes Feedback zu Ihren Lernfortschritten. Die Wissenskontrolle gilt als bestanden, wenn Sie mindestens 80 % der Fragen richtig beantwortet haben. Sollte das einmal nicht auf Anhieb klappen, können Sie die Tests beliebig oft wiederholen. Wenn Sie die Wissenskontrolle für sämtliche Lektionen gemeistert haben, führen Sie bitte die abschließende Evaluierung des Kurses durch. Die IU Internationale Hochschule ist bestrebt, in ihren Skripten eine gendersensible und inklusive Sprache zu verwenden. Wir möchten jedoch hervorheben, dass auch in den Skripten, in denen das generische Maskulinum verwendet wird, immer Frauen und Män- ner, Inter- und Trans-Personen gemeint sind sowie auch jene, die sich keinem Geschlecht zuordnen wollen oder können. 6 LITERATUREMPFEHLUNGEN ALLGEMEIN Deutinger, G. (2017): Kommunikation im Change. Erfolgreich kommunizieren in Veränder- ungsprozessen. Springer Gabler, Wiesbaden. Lauer, T. (2014): Change Management. Grundlagen und Erfolgsfaktoren. 2. Auflage, Sprin- ger, Heidelberg. Rank, S./Scheinpflug, R. (Hrsg.) (2010): Change Management in der Praxis. Beispiele, Methoden, Instrumente. 2. Auflage, ESV, Berlin. Werther, S./Jacobs, C. (2014): Organisationsentwicklung – Freude am Change. Springer, Berlin/Heidelberg. LEKTION 1 Fröhlich, C. (2014): Was versteht man unter Change Management? In: OrganisationsEnt- wicklung, 33. Jg., Heft 4, S. 69–72. Wimmer, R. (2011): Die Zukunft des Change Managements. In: OrganisationsEntwicklung, 30. Jg., Heft 4, S. 16–29. LEKTION 2 Binner, H. (2013): Wie wirken Megatrends? Systematische Methodenunterstützung bei der zukunftsorientierten Organisationsentwicklung. In: zfo – Zeitschrift Führung und Orga- nisation, Heft 05, S. 366–372. Inversini, S. (2008): Ein Kontingenzmodell des Change Managements. In: OrganisationsEnt- wicklung, 27. Jg., Heft 1, S. 55–67. LEKTION 3 Moser, M. (2017): Widerspruchstoleranz bei Führungskräften. In: zfo – Zeitschrift Führung und Organisation, Heft 3, S. 155–161. Schacht, J.-P./Ruhwedel, P./Stowasser, S. (2012): Organizational Transformation – Maßnah- men zur erfolgreichen Veränderung der Unternehmensorganisation. In: zfo – Zeitschrift Führung und Organisation, Heft 3, S. 167–173. 7 LEKTION 4 Schaff, A./Hojka, Z. (2018): Emotionen als Erfolgsfaktor im Change-Prozess. In: Organisati- onsEntwicklung, 37. Jg., Heft 2, S. 66–72. Ziegengeist, A./Weber, E./Gronau, N. (2014): Wandlungsbereitschaft von Mitarbeitern – Wie lässt sie sich messen und welche Faktoren sind ausschlaggebend? In: zfo – Zeitschrift Führung und Organisation, Heft 6, S. 421–426. LEKTION 5 Doppler, K. (2009): Über Helden und Weise. In: OrganisationsEntwicklung, 28. Jg., Heft 2, S. 4–13. Kyaw, F. v. (2010): Organisatorische Veränderungsfähigkeit – „Changeability“ als unterneh- merische Chance und Notwendigkeit. In: OrganisationsEntwicklung, 29. Jg., Heft 3, S. 72–77. LEKTION 6 Lutz, B. (2011): Die Sprache im Change Management. In: OrganisationsEntwicklung, 30. Jg., Heft 4, S. 65–69. Marek, D./Enzweiler, T. (2016): Die Change-Communication-Roadmap. In: zfo – Zeitschrift Führung und Organisation, Heft 4, S. 285–288. LEKTION 7 Grundei, J./Kaehler, B. (2018): Wie erreichen Unternehmen mehr Agilität? In: zfo – Zeit- schrift Führung und Organisation, Heft 6, S. 427–434. Kohnke, O./Wieser, D. (2019): Agiles Change Management. In: OrganisationsEntwicklung, 38. Jg., Heft 1, S. 80–85. 8 ÜBERGEORDNETE LERNZIELE Der Kurs Change Management vermittelt Ihnen einen Überblick über die wichtigsten Grundlagen dieses Fachgebiets. So werden Sie zu unterscheiden lernen, wann Verände- rungen einen Wandel bedeuten und wie dieser jeweils anhand anerkannter Merkmale kategorisiert werden kann. Sie werden erkennen, wie Change gemanagt werden kann, sowie auch wann, mit welchem Ziel und mit welchen Instrumenten dies strategisch und operativ unternommen wird. Sie werden Veränderungsbedarf diagnostizieren und analysieren und erkennen, wie ent- sprechende Change-Prozesse angestoßen werden können. Auch werden Sie verstehen, welche internen und externen Faktoren einen Änderungsbedarf von Organisationen beeinflussen und treiben. Dafür werden Sie als wissenschaftliche Basis Modelle kennen- und voneinander unter- scheiden lernen, in die Change-Kommunikation eingeführt werden und die Anwendung von Techniken und Tools auch zum Umgang mit Widerständen in Change-Prozessen als typische Aufgabe von Führungskräften verstehen. Zu guter Letzt werden Sie, einem Managementprozess entsprechend, Prozesse und Maß- nahmen auf ihren Erfolg hin bewerten können. 9 LEKTION 1 EINFÜHRUNG IN DAS CHANGE MANAGEMENT LERNZIELE Nach der Bearbeitung dieser Lektion werden Sie wissen, … – wie Change Management definiert und abgegrenzt wird. – mit welchen Gegenständen sich das Change Management beschäftigt. – auf welchen Ebenen sich Veränderungen abspielen. – mit welchen theoretischen und praxisorientierten Modellen „Change“ beschrieben werden kann. 1. EINFÜHRUNG IN DAS CHANGE MANAGEMENT Einführung Die internationale Unternehmensberatung CAPGEMINI untersucht seit 2003 im Zweijah- resrhythmus in einer repräsentativen Studie verschiedene Aspekte des Change Manage- ments. Dem zugute kommen die jahrzehntelangen Erfahrungen und Erkenntnisse des Consulting-Unternehmens aus unzähligen Change-Management-Beratungen. In der Stu- die aus dem Jahr 2015 beantworten die Autoren die Frage „Wie verändert sich Change Management?“ wie folgt: WIE VERÄNDERT SICH CHANGE MANAGEMENT? (CAPGEMINI 2015, S. 63FF.) Als konzeptioneller und methodologischer Rahmen für bewusst angestrebte Veränderungen hat Change Management auch deshalb seine Berechtigung, weil Unternehmen pausenlos vor neuen Situationen stehen. Nichts und nie- mand garantiert, dass die im einen Fall bewährten Instruktionen auch im anderen Fall greifen. Weil Change Management abstrahiert, macht es von außen schwer erkennbare Zusammenhänge transparent. So schützt es vor Fehlern, die des ehrgeizigen Ziels oder des geforderten hohen Tempos wegen übersehen oder in Kauf genommen, später jedoch bitter bereut werden. […] All das, davon sind wir überzeugt, legitimiert das Change Management als eigenständige Disziplin. Change Leader sollten es sich zur Aufgabe machen, diesen Anspruch zu verteidigen. Doch was wird aus dem Change Management, wie wir es kennen? […] Wir halten Change Management nicht für eine Mode, die wie andere dem Pro- duktlebenszyklus unterliegt. Der Variante, dass Change Management rückab- gewickelt wird, geben wir keine Chance. Auf die offene Frage: ‚Was wäre, wenn es kein Change Management mehr gäbe? Wie sähen dann die Veränderungs- vorhaben in Ihrem Unternehmen aus?‘ antwortet einer der von uns befragten Praktiker: ‚Wie vor zehn Jahren: ungesteuert, intransparent, unbegleitet, reine Top-down-Vorgaben, schlecht kommuniziert …‘ Die meisten Antworten gehen in dieselbe Richtung. Wir meinen: Als Disziplin muss es strategischer werden und seiner Toolgläu- bigkeit abschwören. Die Aufgabe des Change Managements ist es, neue Archi- tekturen und Methodologien zu entwickeln, die seine ganzheitliche Betrach- tung des Themas widerspiegeln. Gleichzeitig muss es sein Tempo steigern. […| Denn die Zeiträume, die den Unternehmen für ihre Neuaufstellung gewährt werden, schrumpfen zuse- hends. […] Die größte Herausforderung liegt nicht einmal darin, Veränderungsanlässe wahrzunehmen und den Wandel zu managen. Sondern darin, im Unterneh- men insgesamt die Fähigkeit zur Veränderung zu implementieren und deren nachhaltige Wirkung sicherzustellen. […] Wir sehen, dass Change Management im Alltag der Unternehmen angekom- men ist. Aber es wird längst nicht immer zum richtigen Zeitpunkt, nämlich bereits ganz am Anfang des Prozesses, aktiviert. Viel zu oft wird es erst dann angeflanscht, wenn der Zug bereits abgefahren ist. […] 12 Einiges spricht dafür, […] dass das Change Management als im Unternehmen fest verankerte Disziplin an Einfluss gewinnt. Damit werden einige wichtige Fragen für die Implementierung erfolgreichen Change Managements im Unternehmenskontext gestellt, die im Folgenden behandelt und, soweit möglich, beantwortet werden sollen. 1.1 Begriffe und Definitionen Eine allgemeingültige oder als Arbeitsdefinition vom größten Teil der damit befassten Wis- senschaftler anerkannte und konsistent verwendete Konvention darüber, was genau mit „Change Management“ gemeint sein soll, existiert nicht. Die Abgrenzungen dessen, was mit „Change“ genau gemeint ist, welche Abgrenzungen und Ausprägungen, Anlässe, Abläufe und Konsequenzen er hat, ob er gemanagt werden kann und, wenn ja, ob es dabei nur um die Anpassungsprozesse oder gar das Managen des Wandels selbst gehen soll, ist vom Wissenschaftshintergrund des Autors und meist einer pragmatischen situativen Ver- wendung der Nomenklatur abhängig. „Change Management“ ist zudem einer der typi- schen Begriffe der neueren Managementtheorie, in der hochkomplexe Realitäten zwangs- läufig simplifiziert und operationalisierbar gemacht werden müssen. Dabei gehen regelmäßig Feinheiten und Genre-Spezifika verloren, was die kritisch reflektierte wissen- schaftliche Diskussion im Gegensatz zur eigentlichen Intention dann doch wieder verkom- pliziert. Jedoch zeichnen sich in den jeweiligen Annäherungen an den Begriff Muster ab, die im Folgenden genauer betrachtet werden sollen. Hierzu bedarf es einer etwas genaueren und intensiven Betrachtung der möglichst exakten Verwendung der Begriffe sowie ihrer Inhalte und Abgrenzungen: Ist jede Veränderung gleich ein Change? Bedarf jeder Wandel eines Managements? Findet Change nicht sowieso statt, weil sich alles immerzu verändert, und was genau soll eigentlich gemanagt werden: der Change selbst oder die Folgen von Veränderungen? Wetter und Klima, Politik und Gesellschaft, Weltanschauungen und wissenschaftliche Erkenntnisse, einzelne Menschen und Gruppen, Kultur und Wirtschaft, Organisationen und Systeme – offensichtlich ist allem, was existiert, eines gemeinsam: Sie verändern sich in unterschiedlichem Tempo, in unterschiedlichen Auswirkungsgraden und Richtungen, aber unaufhaltsam und oft unumkehrbar. Nicht jede dieser Veränderungen verlangt nach einer systematischen Analyse und Behandlung, aber mitunter entscheidet die Fähigkeit, sich auf Veränderungen einzustellen und sich anzupassen, über die Zukunftsfähigkeit. Im unternehmerischen Umfeld entscheidet die Kompetenz, professionell mit Veränderungen der Märkte umgehen zu können, über die alles entscheidende Wettbewerbsfähigkeit. Vor diesem Hintergrund entsteht die Überzeugung, dass Change Management die professio- nelle Beschäftigung mit der optimalen Steuerung des Unternehmenswandels ist, was unsere erste Definition sein soll (Lauer 2014, S. 6). 13 „Nichts ist so beständig wie der Wandel.“ Diese zu einer Alltagsweisheit gewordene Erkenntnis bekommt je nach Vortragendem oder Autor auch schon mal die Variante „… wie Veränderungen“, „… wie der Change“ oder ähnliche. Ein Blick in die wissenschaftliche Diskussion in den hauptsächlich beteiligten Disziplinen BWL, Management- und Kommu- nikationswissenschaft sowie Psychologie zeigt ein dazu analoges Bild. Auch hier muss zunächst definiert, abgegrenzt, kategorisiert und konkretisiert werden, was genau mit den verwendeten Begriffen beschrieben werden soll. Der Sinn eines systematischen Change Managements ergibt sich aus den folgenden in der Einführung zitierten Passagen der Capgemini-Studie (2015): 1. Es gibt keine Garantie, dass richtige Lösungen der Vergangenheit auch in veränderten Situationen der Gegenwart oder gar der Zukunft richtig sein werden. 2. Change Management macht durch theoretische Abstraktion komplexer Realitäten Zusammenhänge von Veränderungen transparent und schützt damit vor Entschei- dungsfehlern. 3. Change Management ist kein der Mode unterliegendes Management-Tool, sondern eine etablierte und ganzheitlich ausgerichtete strategische Aufgabe und eine grund- sätzliche Einstellung. 4. Change Management muss nicht nur auf die aktuellen Veränderungsanlässe reagieren können, sondern auch alle vorhersehbaren Veränderungsanlässe antizipieren. 5. Change Management muss die Fähigkeit zur Veränderung im Unternehmen ausbauen und sichern. Grundfragen des Change Managements Die Betrachtung des Wandels von Unternehmen ist extrem komplex, die keineswegs homogen erscheinende Begrifflichkeit fast unübersichtlich. Diese Komplexität aufzubre- chen, ist Ziel der Unterscheidung in eine sachlogische und eine psychosoziale Ebene von Veränderungen (Kiel 2019, S. 863ff.). Danach sind die Gegenstände der sachlogischen Ebene Strukturen, Prozesse, Abläufe, Funktionen, Tätigkeiten, Technologien, Produkte etc. Es ist zu klären, wie diese Faktoren optimal eingesetzt werden sollen, um vorgegebene Ziele der Veränderung zu erreichen. Es handelt sich also um eine geplante Veränderung hin zu einem klar definierten zukünftigen, von der Gegenwart abweichenden Zustand des Unternehmens. Dabei kommen klassische Instrumente der Unternehmensführung zum Einsatz, die sich normativ z. B. als Leitbilder, Unternehmenskultur oder Aussagen über ethische Normen präsentieren können, als strategische Führung Anpassungen an sich ver- ändernde Rahmenbedingungen des Wettbewerbs intendieren oder als operative Umset- zungen etwa in neuen Arbeitsformen der Agilität oder hierarchiefreierer Organisation erscheinen. Da hier eine klare Zielvorgabe, Optimierungsbedarfe mit knappen Ressour- cen, eine Befristung der Ergebniserzielung und deren Kontrolle vorliegen, wird für sachlo- gisch getriebene Veränderungen in der Regel mit der Arbeitsform Projekt gearbeitet. Dagegen wird auf der psychosozialen Ebene auf die Folgen der Emotionen, Motive, Bedürfnisse und Beziehungen der Betroffenen miteinander verwiesen. Üblicherweise wird der kognitiv-emotionale Verarbeitungsprozess der Veränderung vom sachlogischen Mana- gementprozess abgekoppelt und getrennt betrachtet. Das erleichtert die Einordnung der unterschiedlichen Aspekte, Modelle und Instrumente des Wandels und deren Auswirkun- 14 gen auf die betroffenen Menschen. Dabei spielt sich Veränderung niemals alternativ ent- weder auf der sachlogischen oder auf der psychosozialen Ebene ab, sondern immer gleichzeitig. Für die Verantwortlichen entsteht somit eine besondere Herausforderung. Es gilt nach der einen Lehre, ganzheitlich immer alle Aspekte auf beiden Veränderungsebenen zu betrach- ten und zu behandeln. Allerdings zeigt sich in der Praxis, dass die psychosozialen Aspekte als abhängige Größe der unabhängigen Größe Sachlogik behandelt werden. Kognitiv- emotionale Prozesse lassen sich weniger verlässlich voraussagen als sachlogische Berech- nungen von Szenarien. Erschwerend kommt hinzu, dass die von den sachlogisch motivier- ten Gestaltern einer Veränderung gemeinten Intentionen auf der psychosozialen Ebene nicht zwangsläufig auch genauso erkannt und geteilt werden. So kann der überlebensnot- wendige Zusammenschluss mit einem anderen Unternehmen auf der sachlogischen Ebene alternativlos sein, auf der psychosozialen Ebene aber gleichzeitig als existenzielle Bedrohung wirken. Insbesondere unter der systemtheoretisch fundierten Selbstorganisa- tionstheorie einigen sich die Elemente eines Systems eigenständig auf die „Attraktoren“, Attraktoren die als ordnungsbildendes Phänomen dienen. Diese kognitiven und emotionalen Attrakto- Als Attraktoren bezeich- net man Anziehungs- ren entsprechen aber nur zufällig, weil nicht zuverlässig steuerbar, den handlungsleiten- kräfte, die einen Zustand den Intentionen auf der sachlogischen Ebene. kognitiv oder emotional als erstrebenswert erken- nen lassen. Abbildung 1: Ebenen des Wandels Quelle: erstellt im Auftrag der IU, 2023. Eine einfache Annäherung an die sachlogische Ebene des Change ist die Management- lehre: Da „Management“ grundsätzlich immer das bewusste, zielgerichtete, professionelle und systematische Handeln im Zusammenhang der Führung von Unternehmen und ähnli- chen Organisationen beschreibt, ist „Change Management“ die logische Zusammenfüh- rung dieser beiden Begriffe. Dabei liegt der Fokus auf der Ausrichtung aller notwendigen Ressourcen, Prozesse, Planungen und Maßnahmen auf einen Change, der als übergeord- netes Ziel die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens sichern soll. Fügt man die universell gültigen Elemente von Managementmodellen und die bisher hier entwickelten Gedanken zu „Change“ zusammen, ergibt sich folgende Umschreibung (in Anlehnung an Kreutzer 2018, S. 216): Change Management umfasst die Anpassung von Unternehmenszielen, Vision, Leitbild, Geschäftsmodell, Produkte und Dienstleistungen, Unternehmensstrate- gien, Organisationsstrukturen sowie -prozessen an sich verändernde Rahmenbedingun- gen. 15 Damit wird die aktive Beeinflussung der sich ändernden Rahmenbedingungen selbst bewusst ausgeschlossen, was der makroökonomischen Sichtweise von atomistischen Marktstrukturen (Grundannahme kapitalistischer Marktmodelle) entspricht, in denen der Einzelne keinen Einfluss auf den Markt als Ganzen hat. Wandel tritt im Zusammenhang mit den externen Aggregaten als Megatrends auf, diese sind Auslöser, nicht aber Objekt des unternehmerischen Wandels. Die Unterscheidung der sachlogischen von der psychosozialen Ebene der Verarbeitung des Wandels hilft auch bei der Erklärung von Umsetzungshemmnissen, da sowohl die betroffene Organisation (das betroffene System) als auch die einzeln oder als Gruppe betrachteten betroffenen Menschen nach beobachtbaren Gesetzen auf Wandel reagieren und diesen ebenfalls sehr unterschiedlich verarbeiten. Change-Projekte Als Arbeits- und Organisationsform bietet sich für das Change Management an, Change- Change-Projekte Projekte zu initiieren. Die wichtigste Begründung dafür liegt in der für Projekte typischen Abgeschlossene, in der Einmaligkeit der Bedingungen und der Restriktion der Ressourcen. Dazu kommt, dass Gesamtheit der Eigen- schaften einmalige Aufga- Change Management aufgrund der hohen Volatilität der Veränderung des Umfelds extrem ben werden als Change- zeitkritisch ist. Es reagiert grundsätzlich auf disruptive Veränderungen, grundsätzlich eher Projekte bezeichnet. nicht auf evolutionäre Entwicklungen. Ein Verständnis von Change Management als konti- nuierlichem Prozess schließt sich nach dieser Definition aus, denn diese Aufgaben werden eher der Organisationentwicklung zugedacht. Die Arbeitsform Projekt ist in sachlichen, personellen und zeitlichen Ressourcen begrenzt und verfolgt mit dem Projektziel nur einen kleinen Ausschnitt aus allen Unternehmenszielen. Sie bringt in Form professioneller Projektmanagement-Kompetenzen eine Reihe zusätzlicher Anforderungen an die damit betrauten Mitarbeiter mit sich. Daraus wird zwar nicht die Forderung erhoben, Change- Projekte mit erfahrenen und dafür qualifizierten Projektmanagern durchzuführen, deren Expertise und Erfahrungen sollten aber berücksichtigt werden. Erfolgreiches Change Management setzt klare und stabile Vorgaben über Ziele und ein bedingungsloses Commitment der Top-Entscheider sowie die verlässliche Bereitstellung der benötigten Ressourcen voraus. Dazu gehört auch bereits vorab herbeigeführte Einig- keit über die Konventionen einer anschließenden Evaluierung des Change-Projektes. Rolle von Change-Beratern Da die mit dem Change Management betrauten Führungskräfte regelmäßig nicht oder nicht ausreichend auf diese Aufgabe vorbereitet sind oder bereits über ausreichend Erfah- rung verfügen, kommt es häufig zum Einsatz von externen Beratern. Ein weiterer Grund für den häufigen Einsatz externer Expertise liegt im typischen Verlauf eines Change-Prozesses mit den modellhaft gesetzmäßig ablaufenden Reaktionen aller Beteiligten, vor allem dem Entstehen und Behandeln von psychologisch bedingten Widerständen. Sie bedürfen der erfahrenen und kompetenten Behandlung von Change-Beratern immer dann, wenn ent- sprechende Expertise intern nicht ausreichend vorhanden ist oder nicht ausreichend akzeptiert wird. 16 Die Frage des Einsatzes externer Unternehmensberater ist generell ein komplexes Thema; so sieht der Bundesverband Deutscher Unternehmensberater für den speziellen Fall der qualifizierten Change-Beratung gute Gründe (BDU o. J., S. 4): 1. Vermeidung einseitiger Maßnahmenpakete, unnötiger Verzögerungen und ungewoll- ter Störungen, 2. nachhaltige, maßgeschneiderte, machbare und erprobte Bewegung von Organisatio- nen, 3. Gelassenheit beim Management kritischer Phasen, 4. Durch- und Überblick zur Ausgangslage, zu den Zielen und zu den Aktionsschritten, 5. Qualität und Wirksamkeit sowie 6. Sicherung der Zukunftsfähigkeit durch erfolgreiche Veränderungsgestaltung. Dabei grenzen sich Rolle und Aufgabenumfang der Change-Management-Berater von den anderen Beteiligten ab. Kommen externe Berater zum Einsatz, ist diese Abgrenzung vorab klar zu definieren und im Auftrag festzuhalten. 1.2 Abgrenzungen des Change Managements Abgrenzung zur Organisationsentwicklung Die bisher formulierten Abgrenzungen stellen jene Aufgaben in den Fokus, die sich mit dem professionellen Management von Change-Prozessen ergeben. Moderne Führungsan- sätze berücksichtigen noch eine weitere Perspektive: Danach werden die Einstellungen der vom Wandel betroffenen Mitarbeiter sowie deren Change-Fähigkeiten oder -Kompe- tenzen in den Vordergrund gestellt. Sie werden neben der konkreten Bearbeitung der Change-Aktivitäten zu einem eigenen Aufgabenbereich, der von den Vertretern der unter- schiedlichen Disziplinen mal dem Change Management, mal der Organisations-, mal der Kultur- und mal der Personalentwicklung zugewiesen wird. Hält man das Change Management für zuständig, ist es „die Planung und Durchführung aller Aktivitäten, welche die betroffenen Führungskräfte und Mitarbeiter auf die zukünftige Situation vorbereiten und ihnen eine möglichst optimale Umsetzung der veränderten Anforderungen ermöglichen” (Stolzenberg/Heberle 2009, S. 24). Ein so verstandenes „Change Enabling“ berücksichtigt, dass es bei jedem Change auch Betroffene gibt, die zu Change Enabling Beteiligten gemacht werden sollen. Ziel der eingesetzten Führungskonzepte ist der grund- Das Change Enabling bezeichnet die Summe sätzlich effizienzorientierte Ansatz, probleminduzierte oder situationsbezogene Interven- aller Aktivitäten, die die tionen möglichst zu eliminieren. Die dadurch entstehenden Kosten und Zeitverzögerun- Betroffenen zu einem gen sind dann nicht notwendig, wenn auf der psychosozialen Ebene bei möglichst vielen optimalen Umgang mit dem Change befähigen. Beteiligten Einsichtsfähigkeit und Change-Kompetenzen etabliert werden können – dann ist Change Management endgültig im Zusammenhang zur Organisationsentwicklung zu sehen und teilweise auch deren Gegenstand. 17 Change Management bezeichnet aus dieser Perspektive „die konkreten Veränderungs- maßnahmen der Organisationsentwicklung. Das Change Management liefert das ‚Hand- werkszeug‘ und Maßnahmen, die zur Initiierung und Umsetzung von neuen Strategien, Strukturen, Systemen und Verhaltensweisen notwendig sind“ (Kauffeld 2011, S. 53). Es ist nach dieser weiten Abgrenzung nicht mehr nur ein Instrument der Unternehmensführung, sondern ein integrierter Aufbau und die gemeinsame Umsetzung von Maßnahmen und Arbeitsformen zur kontinuierlichen Anpassung von Einstellungen und Verhalten von Men- schen, um eine verbesserte Aufnahme und Umsetzung struktureller, prozessualer oder systematischer Änderungen in der Organisation zu erreichen und damit unternehmerische Effekte positiv zu beeinflussen. Organisationsentwicklung und Change Management sind derart eng miteinander ver- wandt, dass manche Autoren die Grenzziehung in der Theorie als willkürlich betrachten, ja teilweise sogar definitorisch aufheben. Diese Nähe der Begriffe resultiert nicht zuletzt daraus, dass die wissenschaftliche und praktische Befassung mit einer eigenständigen Dis- ziplin Change Management historisch tatsächlich aus der Organisationsentwicklung her- vorgegangen ist. Während sich die Vorläufer der Organisationsentwicklung prinzipiell bis zu frühen Ansätzen in den 1930er-Jahren zurückverfolgen lassen, konnten sie sich erst Mitte der 1970er-Jahre konkret etablieren. Grundsätzliche und schnellere Veränderungs- zyklen in der Wirtschaft ließen die Notwendigkeit entstehen, die bisherige Disziplin der Organisationsentwicklung auszubauen, weil Veränderungsprozesse wesentlich beschleu- nigt und effektiver gestaltet werden mussten. Heute ergänzen die Begriffe sich, ohne einander gegenseitig zu ersetzen. Im deutschspra- chigen Raum etablierte sich der Begriff „Change Management“ mit dem Erscheinen eines gleichnamigen Buches (Doppler/Lauterburg 2014, S. 90ff.). Dessen Autoren beschreiben sich selbst nach wie vor als Promotoren des Ansatzes der Organisationsentwicklung, erkennen allerdings auch die Notwendigkeit, mit einem neuen Begriff auf geänderte Anforderungen an Entwickler zu antworten. Organisationsentwicklung wird von ihnen als eine Philosophie verstanden, in der nicht Werkzeuge im Vordergrund stehen, sondern die Grundhaltung, eine Zusammenführung der Gewinnziele mit den sozialen Bedürfnissen der Mitarbeiter zu verfolgen. In den 1990er-Jahren führten die stärkere Individualisierung von Produkten und Dienstleistungen, Standardisierung der Produktion und Logistik, kürz- ere Produktlebenszyklen, abnehmende Abgrenzung von Projekten und der zunehmende Eindruck erratischen Handelns des Managements, zum Teil radikale Innovationen der Geschäftsprozesse durch die Digitalisierung und eine damit einhergehende kürzere Kun- denbindung dazu, dass sich Unternehmen bis heute einem schärferen Wettbewerb und einem permanenten Innovationsdruck ausgesetzt sehen. Vor diesem Hintergrund wurde die Organisationsentwicklung zum Change Management ausgebaut und ergänzt, nicht jedoch ersetzt. Die Auswirkungen des Wandels auf die Veränderungsnotwendigkeiten eines Unterneh- mens sind sehr unterschiedlich. Ist nur eine geringe Veränderungsnotwendigkeit gegeben, weil bereits Optimierung und Entwicklung bestehender Strukturen in einem evolutionä- ren Rahmen ausreicht, ist es eher geraten, die Instrumente der Organisationsentwicklung anzusetzen. Ist hingegen auf der anderen Seite eines Kontinuums der Veränderungsdruck 18 durch radikalen Wandel sehr hoch, muss ein Unternehmen also transformiert oder saniert werden, sind kurzfristig wirkende Lösungen des Change Managements gefragt. Entspre- chend variieren die Bedeutungen der wirtschaftlichen und sozial-humanitären Ziele. Abbildung 2: Auslöser und Formen organisationaler Veränderung Quelle: Kiel 2019, S. 861. Die Zusammenführung der beiden Disziplinen ermöglicht eine Differenzierung aufgrund der folgenden typischen Merkmale: Die Organisationsentwicklung ist deutlich längerfristiger angelegt als das Change Management. Sie umfasst in der Regel mehrere längerfristige oder unbefristete Entwick- lungsprozesse des Unternehmens. Organisationsentwicklung kann unspezifisch und offen sein, Change Management zielt deutlicher auf die konkrete Umsetzung klar umris- sener und systematisch strukturierter Veränderungsprozesse ab. Im Change Management werden überschaubare Zeithorizonte und evaluierbare spezifi- sche Ziele gesetzt. Daher kommt hier auch die Arbeitsform des Projektmanagements zum Einsatz. In der Organisationsentwicklung ist eher der Weg das Ziel, Evaluation ist hier grundsätzlich nicht, jedenfalls nicht in Form von Zielerreichungsgraden oder Kenn- zahlen messbar. Die Veränderungsziele werden in der Organisationsentwicklung unter Einbeziehung aller beteiligten und betroffenen Mitarbeiter gleich welcher Hierarchiestufe entwickelt, beurteilt, ausgewählt und umgesetzt. Der Fokus liegt auf einer wertschätzenden, opti- mistischen und positiven Kommunikation. In Change-Prozessen werden die Betroffe- nen jederzeit damit konfrontiert, dass je nach Verlauf auch unangenehme Ergebnisse 19 vorliegen können, die z. B. wesentliche Veränderungen bis hin zum Verlust des Arbeits- platzes, mindestens aber (auch bei positivem Verlauf) Unsicherheiten, Ängste und andere psychologische Belastungen nach sich ziehen können. Veränderungsprozesse der Organisationsentwicklung blicken von innen nach außen, die Innenwelt der Organisation steht im Fokus. Change-Prozesse berücksichtigen die politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen Umfeldbedingungen wesentlich inten- siver. Aus der Change-Management-Sicht heraus sind diese externen Einflussfaktoren aktiv veränderbar. Bei Organisationsentwicklungs-Prozessen sind externe Berater allenfalls prozessbeglei- tend und impulsgebend beteiligt. Sie verstehen sich selbst als Helfer zur Selbsthilfe, nicht als Experten für Ergebnisse. Change-Berater ergänzen dieses Prinzip auch durch das Prinzip der Eigenverantwortung. Sie arbeiten verstärkt mit der Unternehmensfüh- rung und weniger mit den Mitarbeitern aller betroffenen Ebenen „top-down“ zusam- men. Das Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ der Organisationsentwicklung wird durch das Prinzip „Eigenverantwortung“ mindestens ergänzt. Organisationsentwicklungs-Prozesse zielen nicht einseitig auf die finanziellen Interes- sen der Eigentümer ab, sondern beziehen gleichzeitig und gleichberechtigt Interessen, Ziele und Wohlergehen der betroffenen Mitarbeiter mit ein. Plakativ zusammenfassend heißt die Unterscheidung: Organisationsentwicklung ist der geplante, mittel- bis langfristig angelegte Wandel einzelner Organisationseinheiten, der Strukturen, Menschen und der Kultur, Change Management hingegen der Sammelbegriff für alle kurz- bis mittelfristig angelegten Veränderungen von und in ganzheitlich betrach- teten Organisationen. Abgrenzung zum strategischen und operativen Management Change Management ist kein Gegenstand des strategischen Managements, hat dazu aber eine große Nähe auf sachlogischer Ebene. Welche Ausprägung der neue Zustand haben soll, wird nicht vom ausführenden Change Management entschieden, sondern ist Gegen- stand strategischer Überlegungen und Entscheidungen. Auch die Überprüfung der Eig- nung oder Sinnhaftigkeit des neuen Zustands sowie dessen Evaluierung im Wettbewerbs- kontext sind keine Gegenstände des Change Managements. Während strategisches Management eine optimale Anpassung an externe Einflussfaktoren verfolgt, ist der Blick des Change Managements eher nach innen gerichtet (ausführlich dazu Lauer 2014, S. 4f.). Gleiches gilt für die Auswahl der Instrumente für den Change-Prozess, was dem operati- ven Management, also der Ausrichtung und Verfolgung der Feinziele und der Wahl der Instrumente zugewiesen ist. Perspektiven auf Change Management Aus einer kybernetisch-technischen Perspektive ist Change Management Ausdruck der Überzeugung, dass jeder Erfolg auf einem guten Plan und dessen konsequenter Umset- zung beruht. Change Management ist dann ein Prozess, mit dem Kultur, Systeme und Ver- halten geplant verändert werden, um die Effizienz der Organisation zu verbessern. Diese planungstechnische Perspektive steht für die Überzeugung, dass mit den Methoden eines systematischen und professionell angewendeten Change Managements Veränderungen 20 durch Intervention aktiv durchgeführt werden können. Sie widerspricht in diesem Punkt systemischen Überzeugungen, die eine solche Beeinflussung von außen für jede Art von Organisation für unmöglich halten. Aus einer prozessorientierten Perspektive rückt Change Management in Abgrenzung zum einmaligen Projekt in die Nähe einer sich kontinuierlich wiederholenden Aufgabe. Diesem Ansatz entsprechend steht die Prozess-Exzellenz im Vordergrund, also die Sicherstellung einer effizienten Abarbeitung mit dem Ziel eines prozessoptimierten Unternehmens, das sich auf Wandel einstellen kann und diesen abbildet. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht überwiegt ein praxisbezogener Ansatz: „Die betriebliche Praxis macht es sich […] einfach und definiert Change Management als das, was unter dem Label Change Management veranstaltet wird“ (Claßen 2010, S. 38f.). Grund dafür ist, dass das in Modellen abgebildete Abbild „nur einen Teil der Aufgabenwelt komplexer Ver- änderungsprozesse in der Praxis abzubilden“ vermag (ebd.). Change-Management-Aktivi- täten werden aus einer klassischen betriebswirtschaftlichen Sicht, die Führungsaspekte ausklammert, lediglich zu einem Gegenstand, der berechnet, optimiert und mit einem Controlling analysiert werden kann. Aus einer wirtschaftspsychologischen Perspektive interessieren vor allem die Reaktionen der von notwendigen Veränderungen Betroffenen sowie die Möglichkeiten der Berücksich- tigung und Einflussnahme von Ängsten, Widerständen und anderen psychologischen Aspekten durch geeignete Managementmaßnahmen. Hier treffen Ökonomik und Verhal- tenswissenschaften aufeinander und berücksichtigen insbesondere die Betroffenen-Bezo- genheit der Change-Auswirkungen. 1.3 Modelle des Wandels Theoretische Basismodelle Auf der Suche nach Gesetzmäßigkeiten im Ablauf von Wandelprozessen sind vier theoreti- sche Basismodelle von Erklärungsmustern entstanden (Van de Ven/Poole 1995): dialektische Modelle (Gleichgewichts- und Ungleichgewichtsmodelle), Lebenszyklus- bzw. Reifegradmodelle, teleologische Modelle sowie Evolutionsmodelle. 21 Tabelle 1: Basistheorien über Wandelprozesse Basistheorie Lebenszyklus- teleologische dialektische evolutionäre Kriterien theorien Theorien Theorien Theorien beispielhafte Ontogenese, Zielsetzungs- Konflikttheorie, darwinistische spezielle Theo- Metamorphose, theorien, Funkti- dialektischer Entwicklungsmo- rien Phasen- und onalismus, sozia- Materialismus, delle, „Punctu- Zyklusmodelle ler Pluralismus ated Equilib- Konstruktivismus rium“-Modell Pioniere Compte (1798– Mead (1863– Hegel (1770– Lamarck (1744– 1857), Piaget 1931), Weber 1831), Marx 1829), Darwin (1896–1980) (1864–1920) (1818–1883), (1809–1882) Freud (1856– 1939) Metapher organisches zielgerichtete Opposition, Kon- Wettbewerb um Wachstum Kooperation flikt das Überleben Logik immanente Pro- vorhergesehener entgegenge- natürliche Aus- gramme, vorher- Endzustand, sozi- setzte Kräfte, lese von Wettbe- bestimmte ale Konstruktion, These, Antithese, werbern in Popu- Sequenzen Equifinalität Synthese lationen Ereignissequenz linear und unum- wiederkehrende, wiederkehrende, wiederkehrende kehrbar; Sequen- unstetige unstetige kumulative und zen vorherbes- Sequenzen der Sequenzen aus zufällige Sequen- timmter Phasen, Zielsetzung, Konfrontation, zen aus Variation, die schon zu Implementierung Konflikt und Syn- Selektion und Beginn festste- und Anpassung these zwischen Retention hen mit dem Ziel, den gegensätzlichen angestrebten Werten und Endzustand zu Ereignissen erreichen Entwicklungs- immanente Pro- zielgerichtete Konflikt und Kon- Bestandsknapp- mechanismus gramme, Regulie- Verordnungen, frontation zwi- heit, Wettbe- rung u. a. durch Konsens bzgl. der schen gegensätz- werb, Kommen- die Natur oder Mittel und Wege, lichen Kräften, salismus Institutionen Kooperation/ Interessen oder Symbiose Klassen Quelle: Van de Ven/Poole 1995, S. 514. Dialektische Modelle: Gleichgewichts- und Ungleichgewichtsmodelle Diese auch „dialektische Prozesstheorien“ genannten Modelle der Entstehung von organi- sationalen Strukturproblemen und deren Lösungsansätze gehen zunächst davon aus, dass Organisationen grundsätzlich zu einer relativen Stabilität tendieren (Vahs 2015, S. 302ff.). Diese beruht auf Regeln und Routinen. Externe Wandelauslöser erscheinen dann unvorhersehbar, vorübergehend und eruptiv. Das Unternehmen passt sich in einem Trans- formationsprozess den daraus resultierenden neuen Anforderungen an und erreicht so einen neuen Zustand der relativen Stabilität, in dem die Zustände weiter kalibriert wer- den. 22 Das bekannteste Modell ist das vielen Weiterentwicklungen als Quelle dienende Modell von Kurt Lewin. Der Klassiker der Phasenmodelle des Wandels geht dabei von einer grundsätzlich stabilen Situation aus, in der sich zur Anpassung treibende Kräfte mit im Ausgangszustand beharrenden Kräften im Gleichgewicht befinden. Erst wenn die Treiber die Überhand gewinnen, kommt es zum Auftauen („Unfreezing“) des Ausgangszustands. Nach der Anpassungsphase („Moving“) kommt es zu einem Wiedereinfrieren des neuen Zustands („Refreezing“). Abbildung 3: Treibende und beharrende Kräfte im Modell von Lewin Quelle: Gairing 2017, S. 41. Auch wenn das Modell mit Hinweis auf den ständigen Wandel als Normalzustand als nicht mehr zeitgemäß kritisiert wird, ist es aufgrund seiner Prägnanz und intellektuellen Schlichtheit weiterhin ein anerkannter Ausgangspunkt für Weiterentwicklungen. Die dialektischen Prozesstheorien sind für ein handlungsorientiertes Change Management lediglich als theoretische Modelle interessant; sie eignen sich für das Grundverständnis für Wandelursachen, nicht aber zur konkreten Erklärung der Realität. Insbesondere erweist sich das hier zugrunde liegende Verständnis des Wandels als abrupte Ausnahmeerschei- nung als zu eindimensional und realitätsfern, der Wandel gilt heute vielmehr als Regel. In der Realität sind Unternehmen zudem sehr wohl in der Lage, Wandelnotwendigkeiten im Vorfeld zu erkennen, zu analysieren und entsprechend proaktiv zu reagieren. 23 Lebenszyklus- und Reifegradmodelle Am deutlichsten lässt sich diese Sichtweise in der Analogie zu biologischen Entwicklungs- phasen abbilden. Die dort üblichen Phasen von Geburt, Wachstum, Reife, Alter und Tod lassen sich auch auf Organisationen anwenden. Dann werden Lebenszyklusmodelle auf- gestellt, Parameter zur Diagnose der konkreten Lebensphase der Organisation angewen- det und letztlich Normstrategien für die jeweils aktuelle und den Übergang auf zukünftige Lebensphasen abgeleitet. Treiber für Wandel sind in diesen Modellen Krisen, die das Unternehmen in bestimmten Lebenszyklen regelmäßig durchläuft. Noch deterministischer sind Reifegradmodelle („Maturity-Modelle“), da diese schon in der Bezeichnung „Reifegrad“ das Ziel einer sachlogisch zwangsläufigen Entwicklung beinhal- ten – hier wird von einem stringenten Entwicklungspfad ausgegangen, den Organisatio- nen üblicherweise durchlaufen. Dann wird festgestellt, in welchem Reifegrad sich Organi- sationen befinden. Mit der Wirklichkeit haben diese Modelle nur als theoretische Leitfäden zu tun. Eine empirische Absicherung für die beiden Modelltypen ist bisher in der wissen- schaftlichen Behandlung nicht vorhanden. Teleologische Modelle Diese Modelle gehen davon aus, dass entweder über eine innere Zielgerichtetheit und Eigendynamik oder durch feste Zielvorgaben gesteuerte Prozesse zu einem zwangsläufi- gen zukünftigen Zustand führen werden, daher auch die synonym verwendete Bezeich- nung „deterministischer“ Modelle. Gleichzeitig findet sich in diesen Modellen die Vorstel- lung von klar abgrenzbaren Phasen oder Entwicklungsschritten, die auf ein entweder extern festgelegtes oder immanent vorbestimmtes Ziel hinsteuern. Sie sind daher den Lebenszyklusmodellen sinnverwandt. Teleologische Systeme können mit dem kybernetischen Regelkreis aus Unzufriedenheiten mit dem Bestehenden, der Suche nach Alternativen und Optionen, der daraus resultieren- den Visions- und Zielgenese und letztlich der Ableitung von Handlungsmaßnahmen dar- gestellt werden. Evolutionistische Modelle Dass diese Gruppenbezeichnung an Charles Darwins Evolutionstheorie gemahnt, kommt nicht von ungefähr: So überleben diejenigen Organisationen, denen es gelingt, sich nach dem Prinzip des „Survival of the fittest“ als an Umweltbedingungen bestangepasste Orga- nisation zu beweisen. Der genetischen Variation folgt die Selektion der Anpassungsfähigen und deren Verbleib, also die Retention, aus der wiederum Variation entsteht. Das ist durchaus von der Genetik auf Organisationen analog übertragbar. In der Gegenüberstellung der Art der Veränderung und der Anzahl der veränderten Einheiten ergibt sich die Übersicht in der folgenden Abbil- dung. 24 Abbildung 4: Veränderungsmodelle Quelle: Pescher 2010, S. 115. Einteilung der Modelle nach der Reichweite des Wandels Eine andere Einteilung nimmt Krüger (2004, Sp. 1610) vor. Er unterscheidet die vorhande- nen Modelle noch deutlicher nach Umfang und Tiefe der Einwirkung des Wandels auf das Unternehmen. Danach ergeben sich die folgenden drei Kategorien: 1. Einzelkonzepte mit Change-Bezügen: Konzepte, die sich auf einzelne Aspekte bezie- hen, wie Krisenbehandlung, Change im Personalmanagement, im Marketing oder in der Kommunikation, Change als Gegenstand agilen Projektmanagements usw. 2. Change als Gesamtkonzept: Konzepte, die sich nicht auf eine einzelne Situation oder einen einzelnen Anlass beziehen, sondern eine mehrere Themenbereiche der Unter- nehmensführung übergreifende Bedeutung haben. Beispiele sind Gesamtkonzeptio- nen wie Total Quality Management, Business Reengineering, Customer Relationship Management usw. Diese Konzepte enthalten bereichs- und themenübergreifende Relevanz für Change-Thematiken, weil sie eine veränderte Grundeinstellung gegen- über Aufgaben, Struktur und Prozessen eines Unternehmens beinhalten. 3. generische Gesamtkonzepte des Wandels: Diese Modelle verstehen Wandel als Bestandteil eines theoretisch und/oder praktisch strategisch geprägten Bezugsrah- mens, der unabhängig vom jeweiligen Gegenstand des Wandels ist (Krüger/Petry 2005, S. 12). Exemplarisch sind das 3-W-Modell (Wandlungsbedarf – Wandlungsbereit- schaft – Wandlungsfähigkeit) oder das St. Gallener Managementmodell (Strategic 25 Management Navigator) zu nennen, in dem der Wandel zur Aufgabe des strategischen Managements wird, gleichberechtigt neben der Initiierung, der Positionierung und der Wertschöpfung als ständiger Aufgabe (Müller-Stewens/Lechner 2016, S. 425ff.). Abbildung 5: Veränderung im Strategic Management Navigator Quelle: Müller-Stewens/Lechner 2016, S. 24. Neben diesen eher theoretischen Modellen des Unternehmenswandels existieren weitere praxis- und handlungsorientierte Modelle, die in den folgenden Lektionen aufgegriffen werden, wenn es um die Bedeutung von Unternehmenskrisen oder um die Frage nach den realen Erfolgsfaktoren für gelungenen Change geht. ZUSAMMENFASSUNG Obwohl es keine allgemeingültige Definition des Begriffs „Change Management“ gibt, gilt die Abgrenzung der Kompetenz eines Unterneh- mens, sich professionell an den Wandel anzupassen, um die Zukunftsfä- higkeit aufrechtzuerhalten, als Muster. Change Management ist das Management des Wandels mit dem Ziel der Zukunftssicherung des Unternehmens. Jede Überführung eines aktuellen in einen zukünftigen Zustand findet auf einer sachlogischen (gegenständlichen) und einer psychosozialen (emotionalen) Ebene statt. Change Management und Organisationsentwicklung sind nah miteinan- der verwandt, unterscheiden sich aber in Zeithorizont, Umfang und Ziel- bereichen. 26 Es werden unterschiedliche theoretische (dialektische, Lebenszyklus- bzw. Reifegradmodelle, teleologische sowie Evolutionsmodelle) und handlungsorientierte Modelle zur Erklärung des Wandels unterschieden. 27 LEKTION 2 URSACHEN UND AUSLÖSER DES WANDELS LERNZIELE Nach der Bearbeitung dieser Lektion werden Sie wissen, … – was die definitorische Abgrenzung von Veränderung und Wandel ist. – welche Unterscheidungen des Wandel-Begriffs vorgenommen werden. – wie die Ursachen und Auslöser unternehmerischen Wandels erklärt werden. – welche externen Umweltfaktoren Veränderungsdruck ausüben. – wie Managemententscheidungen, Wachstum und Alter internen Wandel auslösen. – welche Bedeutung Krisen beim internen Unternehmenswandel zugesprochen wird. 2. URSACHEN UND AUSLÖSER DES WANDELS Einführung Die Einführung einer neuen Buchhaltungssoftware rechtfertigt sicherlich nicht die Initiie- rung eines Change-Projektes – in einem großen Immobilienkonzern die Einführung eines gesetzlichen Mietendeckels nicht zum Gegenstand von Change Management zu machen, wäre hingegen grob fahrlässig. Wo genau die Grenze verläuft, ist von vielen Faktoren abhängig, eine klare Formel zur Abgrenzung ist durch Literatur und Praxiserfahrung nicht abzuleiten. Daher sind Vorschläge zu einer Festlegung eines ausreichenden Auslösers für Change mehr als grobe Faustformel denn als Leitlinie zu verstehen. Danach sollte die Ver- änderung, die zum Einsatz eines Change Managements führt eine hohe Relevanz für das Unternehmen, wesentliche Auswirkungen auf Märkte und/oder das Geschäftsmodell haben, eine große Zahl von Mitarbeitern und mehrere Hierarchiestufen betreffen sowie nachhaltig und nicht nur zeitlich begrenzt sein. Für eine gemeinsame Verständigung über die jeweils verwendete Nomenklatur ist es not- wendig, genau festzuhalten, welche der möglichen Unterscheidungen in den Begriffen angewendet wird. Während im strategischen Bereich die Ursachen und Auslöser des Wan- dels eher im externen Unternehmensumfeld zu vermuten wären, sind die internen Auslö- ser und Ursachen meist hausgemacht, beruhen also auf Entscheidungen des Manage- ments oder systematisch ablaufenden Prozessen in Abhängigkeit von Alter und Wachstum des Unternehmens. 2.1 Veränderung und Wandel Die theoretische Annahme über unveränderliche Konstrukte, die mehr in den Naturwis- senschaften oder der Theologie verankert sind, nennt man eine Konstante. Im Rahmen einer wirtschaftswissenschaftlichen Behandlung wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass sich insbesondere im Unternehmensbereich alles ständig verändert, Konstante also nur sehr spärlich und allenfalls in mathematischen Modellen anzutreffen sind. Jegliche Veränderung ist das Gegenteil einer Konstante und für Organisationen wie Unter- nehmen Normal- und Dauerzustand. Ausmaß und Verlauf von Veränderungen können bestimmt werden, denn sie sind die messbare Differenz eines neuen zu einem vorherigen Zustand. Die Verwandlung des Ausgangs- zu einem neuen Zustand ist ein Prozess, und da sich dieser auf eine Veränderung bezieht, ist es der „Veränderungsprozess“. Auch dieser ist abbild-, beschreib- und mit Messkriterien bezifferbar und somit quantitativ und qualitativ bewertbar. 30 Der Veränderungsprozess kann, muss aber nicht bewusst und gezielt eingeleitet worden sein. Alle natürlichen Systeme – Menschen wie Organisationen – haben einen Lebenszyk- lus, der eben auch dann regelmäßig abläuft, wenn er nicht aktiv initiiert oder in seinem Verlauf bewusst und gezielt beeinflusst wird. Wenn, um im Bild zu bleiben, ein Mitarbeiter ein Lebensjahr älter wird, ist dies eine biologische Veränderung, die eine messbare Abwei- chung des Istzustandes zu einem zukünftigen Zustand beschreibbar macht: Er oder sie war beispielsweise 35 (Ausgangszustand) und wird 36 Jahre (neuer Zustand) alt. Wenn eine Belegschaft in ihrer Zusammensetzung unverändert bleibt, verändert sie sich nach Ablauf eines Kalenderjahres im Durchschnitt ebenfalls um dieses eine Jahr, so liegt jetzt z. B. der Altersdurchschnitt bei 38,2 Jahren und in zwölf Monaten bei 39,2 Jahren. Von einem „Wandel“ wird in diesem Zusammenhang dann gesprochen, wenn auf ein Wandel gesamtwirtschaftliches oder soziologisches Phänomen hingewiesen werden soll, in die- Unter „Wandel“ versteht man gesamtwirtschaftli- sem Fall auf den „demografischen Wandel“ unserer Volkswirtschaft oder den Aufbau der che oder gesamtgesell- Alterspyramide der Bevölkerung. „Wandel“ beschreibt also tiefe und grundlegende Verän- schaftliche Aggregate von derungen, die als Aggregate, nicht mehr als Einzelphänomene betrachtet werden. Das ver- Veränderungen. deutlicht sich an anderen Beispielen mit Wandel-Bezügen wie dem sozialen Wandel, dem Wertewandel oder dem Klimawandel. Gleichwohl, und hier liegt eine der Schwierigkeiten in der Konsolidierung des aktuellen wissenschaftlichen Umgangs mit dem Thema, wird „Change“ immer wieder mit „Wandel“ gleichgesetzt und im unternehmerischen Kontext immer dann benutzt, wenn durch ein Change-Projekt Anpassungen und Veränderungen vorgenommen werden sollen, ohne dass dabei der jeweilige Gegenstand sauber unterschieden und mit einem einheitlichen Begriff belegt wird. Gleiches gilt für die meist als Begriffspärchen erscheinenden Bezeichnungen im Zusam- menhang mit Wandel, die jeweils unterschiedliche Inhalte gegenüberstellen. Es ist unbe- dingt notwendig, diese zu kennen, damit im konkreten Zusammenhang die jeweilige Fra- gestellung hinter der Nomenklatur berücksichtigt wird. In der Abbildung „Unterscheidungen des Wandelbegriffs“ sind derlei Fragestellungen und Unterschei- dungsbegriffe gesammelt dargestellt. Sie überschneiden sich selbstverständlich, denn die Fragestellungen berühren teilweise ähnliche Aspekte. Tabelle 2: Unterscheidungen des Wandelbegriffs geplanter vs. ungeplanter Wandel geplanter Wandel ungeplanter Wandel absichtlich herbeigeführt nicht beabsichtigt gesteuert zufällig organisiert lange unbemerkt kontrolliert unkontrolliert episodischer vs. kontinuierlicher Wandel 31 episodischer Wandel kontinuierlicher Wandel diskontinuierlich kumulativ geplant inkrementell phasenbezogen spontan eher extern ausgelöst eher ausgelöst durch lokale Anpassungen proaktiver vs. reaktiver Wandel proaktiver Wandel reaktiver Wandel orientiert sich an Chancen orientiert sich an Problemen ist eher freiwillig ist eher erzwungen wird stärker intern initiiert wird stärker extern angestoßen transformaler vs. transaktionaler Wandel transformaler Wandel transaktionaler Wandel System wird fundamental verändert oder ganz System wird verbessert, bleibt aber erhalten ersetzt findet inkrementell statt, verläuft kontinuierlich geprägt durch radikale Veränderungen betrifft vor allem Struktur, Prozesse und Regel- setzt auch an der Strategie, der Kultur und der ungen Führung an Quelle: erstellt im Auftrag der IU, 2023 nach Stegmaier 2016 u. Vahs 2015, S. 264. Bei Durchsicht der Literatur wird schnell deutlich, dass diese Aufstellung nicht vollständig sein kann. Jeder sauber argumentierende Autor wird zunächst seine eigene Begrifflichkeit festlegen, eine verbindliche Definition für die gesamte im Zusammenhang mit Wandel, Veränderung und Change benutzte Nomenklatur existiert hingegen nicht. Nach dem Ausmaß des Wandels wird unter einem anderen Gesichtspunkt zwischen inkre- mentalem und fundamentalem Wandel unterschieden: Tabelle 3: Inkrementaler vs. fundamentaler Wandel inkrementaler Wandel fundamentaler Wandel Intensität evolutionär revolutionär Veränderungsansatz Optimierung Umbruch Veränderungsprozess kontinuierlich diskontinuierlich Dimensionen auf einzelne beschränkt mehrdimensional Unternehmensebenen auf einzelne beschränkt umfasst alle Ebenen Risiko und Unsicherheit gering hoch Stellung des Wandels Normalfall Sonderfall geforderte Führungskompetenz Change Management Change Leadership Quelle: Dillerup/Stoi 2016, S. 186. 32 Wandel kann evolutionär oder disruptiv (revolutionär) auftreten, wobei letzterer die aktu- ellen Spielregeln auf dem Markt tatsächlich verändert. Eine kontinuierliche Weiterentwick- lung, die den aktuellen Zustand ebenfalls, aber nicht „game-changing“ verändert, wird „evolutionär“ (auch „adaptiv“ oder „gradual change“) genannt (Vahs 2015, S. 264f.). Man spricht hier auch von einem „Wandel erster Ordnung“. So ist die ständige Verbesserung von Energieeffizienz und die Suche nach alternativen Energieformen immer schon ein Gegenstand strategischer Unternehmensplanung von Energieerzeugern gewesen. Dage- gen wäre der „Wandel zweiter Ordnung“ ein disruptiver, wie etwa der sofortige und nicht angekündigte Ausstieg aus der Kernenergie in Deutschland nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima. 2.2 Externe Auslöser des Wandels Erklärungsmuster Die Ökonomik hat eine ganze Reihe von Modellen zur Beschreibung externer Effekte auf Unternehmen entwickelt. Sie folgen im Prinzip einem gemeinsamen Grundmuster: Es wird versucht, die unendlich vielen Einflussfaktoren der Unternehmensumwelt in eine über- schaubare Anzahl greifbarer Kategorien zusammenzufassen. Etablierte und über Jahr- zehnte nahezu unverändert bewährte Grundmodelle sind: Porters Five Forces (Porter 1979) Obwohl der Klassiker der Managementliteratur von Porter die Konkurrenz- und Wettbe- werbsanalyse auf speziellen Märkten zum Zweck hat, kann er als Blaupause für viele andere Modelle dienen, die Veränderungen im Unternehmensumfeld identifizieren und kategorisieren. Das Modell berücksichtigt neben dem bestehenden Wettbewerb mit den vorhandenen Konkurrenten auch die Macht von Lieferanten und Kunden sowie die Gefahr, die insbesondere auf Märkten mit niedrigen Markteintrittsbarrieren von neuen Konkurrenten ausgehen kann. Treten Substitute als fünfte Kraft des Modells auf, kann die Reaktion endgültig keine Evolution mehr sein, denn diese Lösungen verändern die Spielregeln auf dem Markt fundamental. Aus dieser Abstufung der fünf Kräfte ergibt sich die Nützlichkeit des Instruments zur Beschreibung und zum Teil auch zum Ausblick auf zukünftigen Wandel des Umfelds. Während es sich bei der Bearbeitung des Wettbe- werbs zwischen bestehenden Konkurrenten noch um ein stark im operativen Manage- ment verankertes Bearbeitungsfeld handelt, entwickelt sich die potenzielle Auswirkung von Veränderungen anderer Kräfte bis zu radikalen Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens hin. 33 Abbildung 6: Porters Five Forces Quelle: erstellt im Auftrag der IU, 2023. PESTEL Wesentlich breiter ist der Fokus dieses ebenfalls als Blaupause für viele andere Ansätze geeigneten Modells. Hier werden auch solche Wandel-Parameter berücksichtigt, die kei- nen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Wettbewerbsgeschehen haben. Die Anfangsbuchstaben stehen für politische (P=Political), wirtschaftliche (E=Economic), soziokulturelle (S=Sociological), technische (T=Technical), ökologische (E=Environmen- tal) und rechtliche (L=Legal) Einflussfaktoren. In der konkreten Ausgestaltung können Variablen beobachtet und auf ihre jeweilige Bedeutung für den Wandel des Unterneh- mensumfelds beurteilt werden. Tabelle 4: PESTEL-Modell politische Einflussfaktoren wirtschaftliche Einflussfaktoren Angaben zum Stand der Staatsorganisation Analyse der volkswirtschaftlichen Entwicklung ◦ Wirtschaftsordnung eines Landes (totalitäre ◦ Wirtschaftswachstum Staaten, demokratische Staaten) ◦ Bevölkerungszahl ◦ aktuelle und angestrebte Außenpolitik ◦ Zinsniveau (Selbstbeschränkungsabkommen bei Expor- ◦ Inflationsrate ten, Einfuhrüberwachungsmaßnahmen) ◦ Investments ◦ Stabilität des politischen Systems (Unruhen, ◦ Wechselkurse Bürgerkrieg) ◦ Arbeitslosigkeit ◦ Import- und Exportgeschäfte 34 soziokulturelle Einflussfaktoren technologische Einflussfaktoren Beschreibung der gesellschaftlichen Umwelt Analyse der technologischen Entwicklung ◦ Bevölkerungsstruktur (Alter, Geschlecht, sozi- ◦ Informations- und Kommunikationstechnolo- ale Schicht) gie ◦ Bildungswesen ◦ Entwicklung der staatlichen und privaten For- ◦ kulturelle Besonderheiten (Sprache, Normen, schungs- und Entwicklungsausgaben Werte, Einstellungen, Religion, Rollenver- ständnis) ökologisch-geografische Einflussfaktoren rechtliche Einflussfaktoren marktspezifische Eckdaten zur Beschaffenheit marktspezifische Rechtsorganisation und Infrastruktur ◦ Rechtssystem und Staatsverfassung (Com- ◦ Standort (Klima, Topografie, Größe) mon Law oder Code of Law) ◦ Infrastruktur (Anbindung an Schifffahrt) ◦ Rechtsbewusstsein (Vertragsabschluss als ◦ Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen (Roh- Verpflichtung oder als Verhandlungsbasis) stoffe, Bodenschätze) ◦ Rechtsgebiete (Wettbewerbsrecht, Umwelt- ◦ Emissionen recht) Quelle: Theobald o. J., S. 3. Gemeinsam ist diesen beiden Grundmodellen der strategischen Unternehmensführung, dass sie relativ unflexibel gegenüber neu auftretenden Einflüssen der Unternehmensum- welt sind, die dort aber ebenfalls fundamentalen Wandel auslösen können. Aktuell sind etwa der demografische Wandel, der Wandel des Wertesystems, aber auch die Krise der europäischen und internationalen Zusammenarbeit auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet wesentliche Change-Elemente, die nicht unberücksichtigt bleiben dürfen, wenn die Zukunftsfähigkeit von Organisationen überprüft und gegebenenfalls durch geeignete Reaktionen gesichert werden soll. Den stärksten Einfluss hat seit Jahrzehnten der Wandel der analogen zur digitalen Kommunikation und Datenverarbeitung. Durch den erleichter- ten Zugriff auf eine exponenziell wachsende Datenmenge bei gleichzeitig offenen Fragen der Daten- und Informationsverarbeitung entstehen Unsicherheiten. Die zunehmende Geschwindigkeit und Komplexität des privaten und beruflichen Umfelds tun ihr Übriges. Mittlerweile hat es sich etabliert, Komplexität und Neuartigkeit der Erscheinungsformen dieser Unsicherheiten mit den Anfangsbuchstaben V=Volatility, U=Uncertainty, C=Comple- xity und A=Ambiguity, kurz als VUCA-Welt zu bezeichnen, in der nicht nur die Rahmenbe- VUCA dingungen, sondern vor allem im gegenseitigen Zusammenspiel auch die meisten Regeln Das Akronym „VUCA“ steht für die Beschrei- der alten Welt nicht mehr gelten. bung sich schnell wandel- nder, unsicherer, komple- xer und mehrdeutiger Tabelle 5: Herausforderungen der VUCA-Welt externer Effekte, die bis- her so nicht gewirkt How to effectively add- haben. What is An example ress it Volatility Relatively unstable Commodity pricing is often Agility is key to coping change; information is quite volatile; jet fuel costs, with volatility. Resour- available and the situa- for instance, have been ces should be aggressi- tion is understandable, quite volatile in the 21st vely directed toward but change is frequent century. building slack and crea- and sometimes unpredic- ting the potential for table. future flexibility. 35 How to effectively add- What is An example ress it Uncertainty A lack of knowledge as to Anti-terrorism initiatives Information is critical to whether an event will are generally plagued with reducing uncertainty. have meaningful ramifi- uncertainty; we understand Firms should move bey- cations; cause and effect many causes of terrorism, ond existing informa- are understood, but it is but not exactly when and tion sources to both unknown if an event will how they could spur gather new data and create significant change. attacks. consider it from new perspectives. Complexity Many interconnected Moving into foreign mar- Restructuring internal parts forming an elabo- kets is frequently complex; company operations to rate network of informa- doing business in new match the external com- tion and procedures; countries often involves plexity is the most effec- often multiform and con- navigating a complex web tive and efficient way to voluted, but not necessa- of tariffs, laws, regulations, address it. Firms should rily involving change. and logistics issues. attempt to ‘match’ their own operations and processes to mirror environmental comple- xities. Ambiguity A lack of knowledge as The transition from print to Experimentation is to ‘the basic rules of the digital media has been very necessary for reducing game’; cause and effect ambigious; companies are ambiguity. Only through are not understood and still learning how custo- intelligent experimenta- there is no precedent for mers will access and experi- tion can firm leaders making predictions as to ence data and entertain- determine what strate- what to expect. ment given new gies are and are not technologies. beneficial in situations where the former rules of business no longer apply. Quelle: Bennett/Lemoine 2014, S. 3. Die neuen Spielregeln, die die VUCA-Welt aufstellt, verlangen nach neuen Lösungen. Diese werden in einem agilen Mindset und ebensolchen Arbeitsformen, einem wesentlich pro- fessionelleren Umgang mit Informationen und Daten, der Anpassung der internen Aufbau- und Ablaufstrukturen an die komplexen Umfeldstrukturen sowie dem Mut gesehen, ein positives Verhältnis zu Experimenten und einer offensiven Fehlerkultur zu entwickeln. Erfolgreiche Unternehmensführung, hier Teilbereich des Change Managements im Aufga- benbereich des strategischen Managements, bekommt die Aufgabe, ein geeignetes Instru- mentarium zu entwickeln und systematische wie verbindliche Reaktionsmuster zu erar- beiten. Dazu gehört, wie bei allen strategischen Fragestellungen, die genaue Beobachtung und Analyse des Marktgeschehens. Hier waren schon immer die marktimmanenten Geschehnisse ein Wandelauslöser und sie werden es, solange Wettbewerber versuchen, sich gegenseitig zu übertreffen, auch bleiben. Auch hier gelten zum Teil neue Spielregeln, welche alte Lösungen für strategische Positi- onierungen obsolet werden lassen können. Dafür sind im Wesentlichen vier Faktoren ver- antwortlich, die auf Wettbewerber in einer VUCA-Welt deutlich stärker wirken als in klas- sisch strukturierten Märkten (angelehnt an Hamel/Välinkangas 2003, S. 14ff.): 36 1. Imitation: Moderne Kommunikationstechnologien und globale Handelsströme las- sen Wettbewerber-Benchmarking und das Kopieren von Erfolgsfaktoren, Produkten und Dienstleistungen einfacher werden. Die alten Erfolgsstrategien, die auf Innovatio- nen und First-Mover-Vorteile gesetzt haben, haben immer kürzere Wirkungsdauern. Die Second-Mover und Imitatoren können Nachahmerprodukte schneller und kosten- günstiger imitieren, als das jemals der Fall war. 2. Verdrängung: Erfolgreiche Verdrängungen alter Unternehmen durch neue haben nicht mehr nur alleine mit der Markt- und Finanzmacht oder unternehmerischem Geschick zu tun, sondern auch mit der Geschwindigkeit, mit der neue Unternehmen entstehen und wieder verschwinden. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich bei den Angriffsversuchen Erfolge einstellen, enorm. 3. Erschöpfung von Produkten und Geschäftsmodellen: Die Exploitations- (Ausbeu- tungs-)Phasen von Produkten und Dienstleistungen werden immer kürzer. Return in Investments müssen somit in immer kürzeren Perioden verdient werden. 4. Ausschlachtung durch Kundenmacht: Nicht nur die zur „Geiz-ist-Geil“-Mentalität führenden bessere Informationsmöglichkeiten der Kunden, sondern auch das Entste- hen von Vergleichsplattformen haben zu einem Rabatt- und Preisbewusstsein geführt, welches den Kunden eine bis dato unbekannte Macht vermittelt hat. Der Marktmecha- nismus ist perfektioniert und nähert sich immer mehr den Annahmen des perfekten, ohne Informationsbarrieren funktionierenden Modells an. Damit sind Wettbewerbs- vorteile durch Marktunvollkommenheiten allerdings ebenfalls obsolet geworden. 2.3 Interne Auslöser des Wandels Intern ausgelöster Wandel erscheint häufig in der Form emergenten und evolutionären Wandels. Er vollzieht sich in der Regel nicht in plötzlichen Sprüngen, Schocks und uner- warteten Ereignissen. Diese sind für den internen Wandel atypisch und wesentlich selte- ner als im externen Unternehmensumfeld. Damit geht allerdings auch ein deutlich niedrig- eres Aufmerksamkeitsniveau einher. Intern verursachte Fehlentwicklungen, die eigentlich einer dringenden Behandlung bedürften, können, lange unentdeckt oder bewusst unter der Oberfläche gehalten, plötzlich ein Ausmaß annehmen, das bildlich gesprochen das Fass zum Überlaufen bringt, und dann eine zerstörerische Dynamik auslösen, die in ihrer Wirkung hätte vermieden werden können. Auch hier wird gerne das Gleichnis vom koch- enden Frosch bemüht, in dem ein Frosch in einem Topf mit kaltem Wasser ständige leichte Temperaturerhöhungen nicht wahrnimmt, bis das Wasser irgendwann kocht, während er, in einen Topf mit kochendem Wasser geworfen, diesem sofort wieder entspringen würde. Interne Wandelursachen können in zwei Kategorien erklärt werden, sie erscheinen mehr oder weniger zuverlässig erstens in Abhängigkeit von Managemententscheidungen oder zweitens im Zeitverlauf von Alter und Wachstum. Wandel durch Managemententscheidungen kann sich wiederum ex post als geglückt herausstellen oder eine Reihe von Fehlentscheidungen hervorbringen. Kulminieren diese, führen sie über kurz oder lang zu Krisen, die wiederum Change-Bedarf hervorrufen. Neben Fehlentscheidungen der Vergangenheit sind Neuformulierungen der Unternehmensstrate- gie und neue Managementkonzepte interne Auslöser. Komplettiert wird diese Gruppe 37 interner Auslöser durch die Organisationsmitglieder selbst, die durch Widerstände gegen schlechte oder als schlecht empfundene Führungsentscheidungen Motivations-, Commit- ment- oder Leistungsdefizite eine Krisenbehandlung erfordern (Vahs 2015, S. 298). Wandel als Planungsgegenstand Veränderungsbedarfe durch interne Entscheidungen über Fusionen, Zukäufe oder die Auf- gabe von Geschäftsfeldern und Produktbereichen, Veränderungen des Geschäftsmodells aufgrund von Innovationen etc. sind Auslöser, die nicht vom Umfeld ausgelöst werden und Veränderung in der somit als intern zu bezeichnen sind. Die klassische Organisationslehre beinhaltet als Organisationslehre Teilbereich der Betriebswirtschaftslehre die selbstverständliche planerische Aufgabe der Es ist ein klassischer betriebswirtschaftlicher „Veränderung durch Anordnung“ (Schreyögg/Geiger 2016, S. 359). Die Auswahl eines unter Ansatz, Wandel als Pla- mehreren möglichen Optionen als höchsten bewerteten Veränderungsplans, seine Durch- nungs- und Realisierungs- führung und Kontrolle beschreibt den klassischen Zyklus aller betriebswirtschaftlichen aufgabe zu betrachten. Entscheidungen. Die Planungshybris, die diesen Handlungen zugrunde liegt, ist der Umgang mit möglichen Widerständen, Pannen oder Abweichungen zwischen Plan und Realität. Diese werden in die Pläne als Eventualabweichungen miteinzubeziehen versucht, etwa durch Planabweichungstoleranzen. Sind die Planabweichungen zu groß, werden sie ihrerseits wiederum Gegenstand eines Plans und eines Durchlaufs des Zyklus. Nur des- halb, weil dieser angeordnete Wandelprozess in der Realität häufig nur eine Illusion ist und die interdisziplinäre Beschäftigung mit dem Thema Change darauf hinweist, Ursa- chen, emergente und hochkomplexe Prozesse samt ihrer Auswirkungen zu berücksichti- gen, ist der Wandel durch Anordnung weder in der Theorie noch in der Praxis verschwun- den. Dass interne Faktoren ständig und unablässig dazu führen, Weiterentwicklungen und damit auch Wandel vornehmen zu müssen, ist nichts anderes, als das Grundmodell von Management- und Führungsaufgaben in seiner Gesamtheit zu beschreiben. Der Wandel, der dem menschlichen Lebenszyklus folgt, gilt auch für Produkte, Technologien, Märkte und ganze Unternehmen. Die Darstellungsweise geschieht daher in diesem Zusammen- hang auch in Lebensphasen-Modellen. Krisen als Auslöser internen Wandels Eng mit den internen Ursachen des Wandels verbunden ist die Krisenhaftigkeit des gesetz- mäßigen Verlaufs. Fehlentscheidungen der Vergangenheit drücken sich in krisenhaften Entwicklungen der Unternehmenskennzahlen aus, Liquidität, Rentabilität und letztlich auch die Vermögensstruktur werden negativ beeinflusst. Gleiches gilt für Produktivität, Forschung und Entwicklung. Auch die Ressourcen- und Kapazitätsausstattung, insbeson- dere des Humankapitals, aber auch die Unternehmenskultur, die Arbeitszufriedenheit und andere Indikatoren einer krisenhaften Entwicklung in der Belegschaft zeigen fortschrei- tende oder in unterschiedlichen Phasen einsetzende Krisenverläufe. Diese Krisen zeigen sich sowohl auf der leistungs- als auch auf der finanzwirtschaftlichen Ebene. 38 Abbildung 7: Typische Verläufe von Unternehmenskrisen Quelle: erstellt im Auftrag der IU, 2023. Die Liquiditätskrise, der immer eine Rentabilitäts- und jener wiederum eine Strategiekrise vorausgegangen ist, bekommt aufgrund der gesetzlich geregelten Folgen (z. B. Insolvenz und Sanierung) die uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Das Fatale ist, dass die vorhergeh- enden Krisen umso weniger Aufmerksamkeit und Wahrnehmung genießen, je größer gleichzeitig noch der Handlungsspielraum wäre. Krisen lassen sich nicht verhindern, ihre Auswirkungen und Folgen können aber wenig stärker oszillierend gestaltet werden, wenn das entsprechende Instrumentarium der Früherkennung genutzt wird und gegebenenfalls die entsprechend spezialisierten externen Berater hinzugezogen werden. Das klassische Erklärungsmodell des gesetzmäßigen Auftretens von Krisen in unterschied- lichen Wachstumsphasen stammt von Larry Greiner (1972). Danach durchläuft ein Unter- nehmen abhängig von Alter und Größe fünf Wachstumsphasen, die voneinander durch das Entstehen und Bewältigen von vier Krisen getrennt sind. 39 Abbildung 8: Phasenmodell nach Greiner Quelle: Mimbang 2018, S. 16. Die Krisen treten als revolutionärer Wandel auf, es bedarf jeweils eines gut gemanagten Change, damit das Unternehmen in die nächste Wachstums-/Alters-Phase eintreten kann. Die Krisen stellen also Meilensteine dar, die auf jeden Fall bewältigt werden müssen, da der Entwicklungsprozess sonst nicht weiterlaufen kann. Wird ein Unternehmen gegründet, stehen die Marktetablierung und die Befriedigung ers- ter Kundenwünsche im Vordergrund, alle anderen Aspekte sind von Selbstorganisation und Chaos geprägt. Das Unternehmen befindet sich in der Pionierphase oder der Phase des „kreativen Wachstums“. Alle Beteiligten wissen in der Regel alles, sie richten ihr Tun und ihre Kommunikation an der oder den Gründerpersonen aus. Mit zunehmendem Wachstum zeigt sich der Nachteil der chaotischen Arbeitsorganisation: Alle Beteiligten sind zunehmend überlastet, Aufgaben werden doppelt oder gar nicht erledigt, die „Füh- rungskrise“ verlangt nach verbindlichen Organisations- und Führungsstrukturen. 40 Sind diese eingeführt, kann das Unternehmen in die zweite Phase eintreten. In dieser geschieht Wachstum durch Führung, wobei Anweisung und Kontrolle noch zentralisiert sind. Die fehlende Autonomie und die zunehmende Belastung der zentralen Entschei- dungsinstanz mit jeglichen Fragen führt zur zweiten Krise, der „Autonomiekrise“. Wird diese gelöst, entsteht Wachstum durch „Delegation“. Das funktioniert solange, bis die Ent- scheidungen der dezentralen Einheiten zu stark abteilungsbezogen und zu wenig auf das gesamte Unternehmen gerichtet sind. Abteilungen arbeiten ressortegoistisch und in der Wirkung gegeneinander. Die dadurch entstehende Krise wird durch Koordination gelöst. Bei weiterem Wachstum überwiegt der negative Aspekt einer durch die Koordination überbordenden Bürokratie, was zur letzten Krise und ihrer Lösung führt, die Greiner in der Kooperation sieht. Offen bleibt, ob bei weiterem Wachstum und zunehmendem Alter der Institution eine Krise der Kooperation entstehen wird und wie diese gelöst werden kann. Als Lösungshinweis erfolgt hier stets der Blick auf die Integration (zum Begriff der „Integra- tionsphase“ nach Lievegoed siehe Lauer 2014, S. 23f.) und Beziehungspflege nach außen (Kunden, Stakeholder) und innen (Mitarbeiter) mit den jeweils aktuellen Wunschbildern Stakeholder des jeweils federführenden Autors als finalem Reifegrad entweder von „kollegialer Füh- Der Begriff „Stakeholder“ dient als Sammelbezeich- rung“, „kooperativen Netzwerken“, „evolutionären Organisationsformen“ oder anderem nung für alle Menschen, gerade aktuellem State of the Art. Gruppen und Organisatio- nen, die ein Interesse an einem Projekt haben. ZUSAMMENFASSUNG Eine Veränderung ist die Differenz eines neuen Zustands zu einem Aus- gangszustand. Der Begriff des Wandels bezieht sich auf aggregierte Veränderungen. Der Wandelbegriff erfährt dabei viele Unterscheidun- gen, die jeweils einer speziellen Blickrichtung geschuldet sind. Die Ursachen und Auslöser von Wandel und damit von Anpassungsnot- wendigkeiten können unternehmensextern oder unternehmensintern entstehen. Externer Wandel entsteht durch solche Entwicklungen, die vom Unternehmen selbst nicht zu beeinflussen sind. Interner Wandel entsteht durch Managemententscheidungen oder regelmäßige Verläufe von Alter und Wachstum. Die Entstehung von internem Wandeldruck wird häufig mit der Krisen- haftigkeit der Unternehmensentwicklung im Lebenszyklus erklärt. 41 LEKTION 3 DAS UNTERNEHMEN ALS WANDELHEMMNIS LERNZIELE Nach der Bearbeitung dieser Lektion werden Sie wissen, … – welche Hemmnisse auf der Unternehmensebene entstehen. – welche Ursachen es für Hemmnisse bei den Entscheidungsträgern gibt. – welche kollektiven Hemmnisse zu unterscheiden sind. – wie Organisationsdesign, Unternehmenskultur und Mikropolitik Wandelhemmnisse auslösen. – welche Hemmnisse aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus entstehen. – welche Hemmnisse aus der Komplexität von Systemen heraus entstehen. 3. DAS UNTERNEHMEN ALS WANDELHEMMNIS Einführung Betrachtet man Unternehmen als offene soziotechnische Systeme, die aus sozialen (Men- schen) und technischen (Infrastruktur, Maschinen usw.) Elementen bestehen, so kommt ein Abbruch der Interaktion mit dem Umfeld („Igeltaktik“) nicht als Option in Betracht. Die verbleibenden Reaktionsmuster offener Systeme auf Einflüsse aus der Umwelt sind Anpassungsstrategien. Eine mechanistische und vollständige Anpassung im technischen Bereich kann in der Regel schnell und verlässlich durchgeführt werden: Wenn notwendig, wird die Rechtsform geändert, neue IT-Systeme werden beschafft, Absatzmärkte verlassen, Produktlinien umgestellt oder einzelne Komponenten der Aufbau- und Ablauforganisation restruktu- riert. Wesentlich unkontrollierbarer und weniger verlässlich sind alle Anpassungen des sozialen Bereichs. Die Anpassung von Stellenbezeichnungen, hierarchischen Strukturen, Zuständigkeiten oder Arbeitsabläufen ist schnell definiert, gibt allerdings keine Gewähr dafür, dass die betroffenen Menschen dieser Restrukturierung mit der gleichen Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit folgen werden. Konkret ist eine Visitenkarte mit einer neuen Positionsbe- zeichnung schnell gedruckt, das auf einem tiefen Einverständnis der betroffenen Person mit der neuen Stelle beruhende Handeln muss mit dem Plan jedoch nicht unbedingt über- einstimmen. Die verschiedenen Reaktionsmöglichkeiten rufen eine Komplexität hervor, die Anpassungsmuster von Unternehmen zwar theoretisch folgerichtig, planungstech- nisch fehlerfrei, in der Umsetzung dann letztlich aber unkalkulierbar und abhängig vom Komplexitätsgrad des menschlichen Verhaltens machen. 3.1 Hemmnisse auf Organisationsebene Grundmodell Vieles spricht dafür, dass sich die Ursachen für Wandelhemmnisse in zwei Dimensionen erklären lassen: Zum einen entstehen sie auf der individuellen oder der kollektiven Ebene, zum anderen können sie sichtbar werden oder unsichtbar bleiben. Werden Unternehmen als System betrachtet, entspricht die Notwendigkeit eines Change dem „Sollen“. Im Fol- genden ist also zu klären, warum viele Unternehmen auf der reinen Managementebene (dem Sichtbaren) und in der Gesamtheit ihres kulturellen Seins (dem Unsichtbaren) im Change scheitern. 44 Abbildung 9: Quellen der Wandelhemmnisse Quelle: erstellt im Auftrag der IU, 2023. Der tägliche Blick in die Wirtschaftspresse zeigt, dass weltweit Unternehmen in Krisen geraten, die dies durch eine rechtzeitige Veränderung des Geschäftsmodells und Anpas- sung an Wandel hätten vermeiden können. Über die konkreten Fehlentscheidungen des Managements hinaus scheinen Mechanismen zu existieren, die eine Reaktion im Zeitraum zwischen „rechtzeitig“ und „gerade noch wirksam“ verhindern. Offensichtlich reagieren viele Unternehmen erst dann, wenn sie in eine Krise geraten. So weisen Kraus und Hag- hani nach, dass mehr als zwei Drittel der Unternehmen erst dann reagieren, wenn bereits deutliche Spuren in Umsatz und Gewinn zu erkennen sind (Kraus/Haghani 2004, S. 16). Die Wissenschaft listet vier Kategorien von Ursachen auf (Lauer 2014, S. 32): 1. Ursachen bei den Entscheidungsträgern, 2. kollektive Ursachen der Organisation, 3. wirtschaftliche Ursachen, vor allem Kostenaspekte, sowie 4. Unsicherheit durch Komplexität der Entscheidungssituation. Ursachen bei den Entscheidungsträgern Die Führung eines Unternehmens wird hier als ein Organ desselben verstanden. Die Ent- scheidungsträger unterliegen nicht den individuellen Gesetzmäßigkeiten der Reaktion auf Wandel, daher wird ihnen kein Widerstand auf individueller Ebene unterstellt. Die Führung eines Unternehmens verlangt von den Verantwortlichen jeden Tag eine Unzahl von Ent- scheidungen. Von der Qualität und Quantität dieser Entscheidungen hängt das Wohl und Wehe des Unternehmens ab, kein Wunder also, dass sich die Betriebswirtschaft und mehr noch die Managementwissenschaft mit Entscheidungen von Managern beschäftigt. An dieser Stelle sollen jedoch nicht Instrumente und Güte von Entscheidungen im Vorder- grund stehen, sondern die Frage, warum es in wichtigen Situationen des notwendigen Change immer wieder zu einer Verweigerung oder Verzögerung von Entscheidungen kommt. 45 Es gibt vereinzelt Hinweise darauf, dass sich die bremsenden Faktoren bei Mitarbeitern und Führungskräften teils unterschiedlich, teils aber auch unspezifisch darstellen. Die Unternehmensberatung Mutaree hat in einer Studie herausgefunden, dass Angst, innerer Widerstand, Orientierungslosigkeit und Frustration die größten Hemmnisse auslösen, während bei den Führungskräften auf insgesamt niedrigerem Niveau Stress durch Über- lastung, Orientierungslosigkeit und innerer Widerstand dominieren. Abbildung 10: Was bremst Mitarbeiter und Führungskräfte in Veränderungsprozessen am meisten? Quelle: Mutaree 2017, S. 6. Eine zentrale Erklärung gibt die Verhaltenswissenschaft, die den Menschen nicht im Zusammenhang mit Führungsentscheidungen, sondern ganz generell als Entscheidungs- träger bezeichnet. Dafür gibt es im Wesentlichen drei Ursachen: Kognitive Dissonanz die Vermeidungkognitiver Dissonanzen: Die Erkenntnis, dass der Mensch die Situa- Eine kognitive Dissonanz tion einer störungsfreien und harmonischen Innenwelt bevorzugt, ist fester Bestandteil ist ein unangenehmes Gefühl widersprüchlicher der Kognitiven Psychologie. Danach empfindet der Mensch Unbehagen, wenn seine Sinnesreize, das zu ver- Handlungen und Grundeinstellungen nicht im Einklang miteinander sind. Um dieses meiden gesucht wird. Unbehagen zu beseitigen, ist er bereit, seine Grundeinstellungen an seine Handlungen anzupassen (Myers 2013, S. 602). Das würde für Entscheidungsträger in Unternehmen allerdings bedeuten, dass sie die Beweggründe ihres Handelns nachträglich revidieren 46 müssten, weshalb sie lieber das Handeln verzögern. Kognitive Dissonanzen werden beseitigt, indem Informationen verdrängt, ignoriert oder bewusst vergessen werden, kurz: Der Mensch versucht, den Entscheidungss

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