VL10: kognitive Emotionstheorien PDF

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Dieses Dokument behandelt kognitive Emotionstheorien mit Schwerpunkt auf den Forschungen von William James, Lange und Schachter. Es untersucht die Ursachen, Komponenten und Prozesse des Emotionsempfindens und die Rolle der physiologischen und kognitiven Elemente.

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VL10: kognitive Emotionstheorien William James (1842 - 1910) 1861: Studium der Chemie, dann Vergleichende Anatomie 1864-1869: Studium der Medizin Psychologische Vorlesungen in Berlin...

VL10: kognitive Emotionstheorien William James (1842 - 1910) 1861: Studium der Chemie, dann Vergleichende Anatomie 1864-1869: Studium der Medizin Psychologische Vorlesungen in Berlin 1890: Principles of Psychology Berühmtester Psychologe seiner Zeit auch heute wird sein Werk noch häufig zitiert Emotionstheorie von James Frage: „What is an emotion?“ (1884) Alltagsauffassung: Gefühl (z.B. Trauer) führt zu körperlichen Veränderungen (z. B. Weinen) James: Körperliche Veränderungen (z.B. Weinen) führen zum Gefühl (z.B. Trauer) → Man weint nicht, weil man traurig ist, sondern man ist traurig, weil man weint Ursprüngliche Annahmen Gültigkeit nur für „gröbere“ Emotionen (Zorn, Furcht, Liebe, Hass, Freude, Kummer, Scham, Stolz) Emotionsentstehung Auslösung durch Wahrnehmung, Vorstellung oder Gedanken an Objekte oder Ereignisse (z.B. Tod) Emotionsspezifische körperliche Veränderung (z.B. Pulsrate) Empfinden der körperlichen Veränderungen (Emotion z.B. Trauer) → Beispiel: „Wenn wir plötzlich eine dunkle, sich bewegende Gestalt im Wald sehen, bleibt uns das Herz stehen, und wir VL10: kognitive Emotionstheorien 1 halten den Atem an, noch bevor eine deutliche Vorstellung von Gefahr auftritt.“ Emotionen liegen spezifischen Mustern von körperlichen Veränderungen zugrunde Furcht: erhöhte Herzrate, flacher Atem Wut: geschwellte Brust, Blutandrang Bewusstes Erleben (empfinden) körperlicher Veränderungen entspricht der Emotion Kritik von Worcester: bloße Wahrnehmung ist nicht hinreichend → Bewertung z.B. des Bären als Bedrohung ist notwendig Emotionstheorie von Lange 1885: Ueber Gemüthsbewegungen James-Lange-Theorie Ursache der Emotionsentstehung James: viszerale Reaktionen (innere Organe wie Herz, Lunge, Darm) Lange: vasomotorische Reaktionen (Veränderung der Blutgefäße und Sauerstoffversorgung des Gehirns) Stanley Schachter (1922 – 1997) in New York geboren 1939-1944: Studium an der Yale University 1946: MIT in Cambridge; Schüler von Kurt Lewin und Leon Festinger 1949: Full Professor an der University of Minnesota 1961: Professor an der Columbia University Zentrales Interesse: Erklärung der Entstehung von Emotionen Zwei-Faktoren Theorie: Kognitive Prozesse und Physiologische Prozesse einflussreichste Emotionstheorie, obwohl viele seiner Annahmen inzwischen widerlegt worden sind VL10: kognitive Emotionstheorien 2 Definition der Emotion: „Ein emotionaler Zustand kann als Funktion eines physiologischen Erregungszustands und einer für diesen Erregungszustand „passenden“ Kognition angesehen werden.“ Studie von Marañon (1924) Effekte von Adrenalin-Injektionen untersucht (Latenz, Dauer, Intensität, Form) ca. 70% der Probanden berichten über „kalten” Erregungszustand („Als-ob-Gefühle”) nur 30% erleben dagegen eine “vollständige” Emotion (Ärger oder Trauer) Interpretation: Wahrnehmung körperlicher Veränderungen ist keine hinreichende Bedingung für das Erleben einer Emotion Formulierung einer ersten Zwei-Komponenten-Theorie körperliche Komponente: Veränderungen durch Erregung des sympathischen Nervensystems (Herzschlag, kalte Hände, trockener Mund, etc.) psychische Komponente: Kognitionen über Ereignisse, die zu physiologischen Veränderungen führt Klassische Zwei-Komponenten-Theorie Physiologischen Erregung notwendig, aber nicht hinreichend bestimmt die Intensität der Emotion kognitive Komponente Mit physiologischer Erregung hinreichend bestimmt die Qualität der Emotion emotionsrelevante Einschätzung der Situation Attribution der Erregung auf diese Einschätzung Definition der Emotion nach Schachter „Ein emotionaler Zustand kann als Funktion eines physiologischen Erregungszustands und einer für diesen Erregungszustand VL10: kognitive Emotionstheorien 3 „passenden“ Kognition angesehen werden.“ (Schachter, 1964, S. 50-51) Theorie von Schachter & Singer: Prozess der Emotionsentstehung Alltäglicher Fall: beide Faktoren sind vollständig miteinander verwoben; keine Ursachensuchprozesse für Erregung notwendig (z.B. ist man traurig, weil jemand gestorben ist) Nicht-Alltäglicher Fall: es liegt eine Erregung vor, für die ein Erklärungsbedarf besteht (z.B. Hände fangen an zu schwitzen, aber man weiß nicht warum) Das Experiment von Schachter und Singer (1962) Ziel: Untersuchung des Zusammenspiels der physiologischen und kognitiven Komponente Mitteilung über Zweck des Experiments: „In diesem Experiment möchten wir verschiedene Sehtests mit Ihnen durchführen. Wir sind daran interessiert, wie bestimmte Vitaminzusammensetzungen … die visuellen Fähigkeiten beeinflussen. …. Daher möchten wir Ihnen eine kleine Dosis Suproxin injizieren.“ Manipulation (UVs) Physiologische Erregung: Adrenalingruppe vs. Placebogruppe (Kochsalzlösung) Erklärungsbedürfnis Richtig informiert (zitternde Hände, Rötung des Gesichts, Erhöhung des Herzschlags) Nicht informiert (keine Nebenwirkungen) Falsch informiert (taube Füße, Juckreiz, leichte Kopfschmerzen) emotionale Kognition: Versuchsleiter kehrt mit Vertrautem (angeblich weitere Versuchsperson, ist aber eingeweiht) in Warteraum zurück und wartet gemeinsam 20 Min., bis die Wirkung der Spritze einsetzt Vertrauter ist euphorisch (Papierflugzeug, Hula-Hoop-Reifen) Vertrauter ist ärgerlich (Fragebogen mit persönlichen Fragen wird zerrissen und geht) VL10: kognitive Emotionstheorien 4 Emotionserfassung (AVs) 2 Fragen über Gefühlszustand (5-Punkte Skala) Wie gut oder glücklich fühlen Sie sich im Augenblick? Wie ärgerlich, gereizt oder verletzt fühlen Sie sich im Augenblick? → Differenzwert als subjektiver Emotionsindex Verhaltensbeobachtung Manipulationscheck (Pulssequenz) Ergebnisse Euphorie: Ergebnisse der Adrenalingruppe sind hypothesenkonform, die der Placebogruppe nicht Ärger: Skalierungswerte sind genauso hoch, wie bei der Bedingung „Euphorie“, obwohl sie eigentlich viel niedriger oder sogar negativ sein sollten → Hypothese: wie hoch die Werte sein sollten, wenn die Ergebnisse hypothesenkonform wären → Skalierung: Differenzwert der Emotionsfragen → Verhalten: höhere Werte bedeuten, dass mehr Verhalten nachgeahmt wurde Replikationsversuch von Marshall und Zimbardo (1979) Manipulation der physiologischen Erregung (UVs) VL10: kognitive Emotionstheorien 5 Physiologische Erregung: 2 Adrenalingruppen vs. Placebogruppe (Kochsalzlösung) Adrenalin: bestimmte Dosis von Adrenalin Adrenalin+: an das Körpergewicht der Personen angepasste Dosis von Adrenalin Erklärungsbedürfnis: nur falsch informiert (Kälteempfindung, leichte Kopfschmerzen) emotionale Kognition: nur Euphoriebedingung (Vertrauter ist euphorisch) Emotionserfassung (AVs) 2 Fragen über Gefühlszustand (5-Punkte Skala) Wie gut oder glücklich fühlen Sie sich im Augenblick? Wie ärgerlich, gereizt oder verletzt fühlen Sie sich im Augenblick? → Differenzwert als subjektiver Emotionsindex Verhaltensbeobachtung Manipulationscheck (Pulssequenz) Fragebogen zum emotionalen Zustand R.S. Lazarus Studium: Hauptfach Psychologie, Nebenfach Soziologie VL10: kognitive Emotionstheorien 6 Begründer des modernen kognitiven Ansatzes in der Emotionspsychologie Emotionstheorie von Lazarus: Forschungsgegenstand Entstehung von Stressemotionen Reaktionen auf psychische Belastungen Extremsituationen (z.B. Kampfeinsatz) Belastungssituationen (z.B. Fallschirmspringen) Bewältigungsstrategien (Copingforschung) Entstehung von Stressemotionen: Einschätzungsprozesse Primärer Einschätzungsprozess: Überprüfung der Bedeutung von dem bereits eingetretenen oder möglichen zukünftigen Ereignis für eigene Wünsche/Motive Sekundärer Einschätzungsprozess: Überprüfung, welche Möglichkeiten der Bewältigung des vorhandenen oder erwarteten Ereignisses bestehen Natur der Emotionen Komponente (z.B. Einschätzung der Situation als bedrohlich) Erlebenskomponente (z.B. das Gefühl Furcht) Konative Komponente (z.B. Handlungstendenz zur Flucht) Physiologische Komponente (z.B. Erhöhung der Herzrate) VL10: kognitive Emotionstheorien 7 → Prozess der Emotionsentstehung problemorientiert: z.B. „wie viele Tage habe ich noch bis zur Klausur und wie viele Seiten schaffe ich noch?“ emotionsorientiert: z.B. Angst vor dem Scheitern dadurch in den Griff zu bekommen, dass man sich einredet, dass dieses Kapitel schon nicht abgefragt wird Empirische Überprüfung: Studie 1 von Speisman, Lazarus, et al. (1964) Ziel: Erforschung der Beziehung zwischen Stressemotionen und primärer Einschätzung Hypothesen Stressemotionen (vor allem Furcht) treten auf, wenn eine Situation als Bedrohung eingeschätzt wird Intensität der Stressemotion nimmt mit dem Grad der wahrgenommenen Bedrohung zu Film (17 min.) mit bedrohlichen negativen Ereignissen (Dokumentation über das Beschneidungsritual an männlichen Jugendlichen eines australischen Ureinwohnerstammes) Manipulation der Bedrohungseinschätzung (UV) leugnender Kommentar traumatisierender Kommentar Kontrollgruppe: ohne Kommentar VL10: kognitive Emotionstheorien 8 AV physiologische Komponente: elektrische Hautleitfähigkeit und Herzrate Erlebenskomponente: Gefühlsfragebogen (Intensität der erlebten Emotion) Studie 2 von Speisman, Lazarus, et al. (1964) Ziel: Erforschung der Beziehung zwischen Stressemotionen und sekundärer Einschätzung Fragestellungen Wie wirkt sich Stress auf das Wohlbefinden, soziales Funktionieren und die Gesundheit aus Gibt es individuelle Unterschiede im Umgang bei der Stressbewältigung? Wechsel von Labor- zur Feldforschung VL10: kognitive Emotionstheorien 9 Methode: Entwicklung eines Stressbewältigungsfragebogens (Ways of Coping-Q) Problemorientiert: „Ich überlegte mir einen Handlungsplan und ging entsprechend vor“ Emotionsorientiert: “Ich fand neue Zuversicht“ Keine Erkenntnisse von praktischem Wert VL10: kognitive Emotionstheorien 10

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