VL11 - Fiskalpolitik und Arbeitslosigkeit PDF - Humboldt-Universität Berlin

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Humboldt-Universität zu Berlin

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Fiskalpolitik Arbeitslosigkeit Weltwirtschaftskrise Wirtschaft

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Diese Vorlesung 11 der Humboldt-Universität zu Berlin behandelt Fiskalpolitik und ihre Auswirkungen auf die Arbeitslosigkeit, sowie die Weltwirtschaftskrise und den politischen Extremismus. Es werden Diagramme und Analysen zu Konsum, Multiplikatoreffekten und Staatsverschuldung vorgestellt.

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Vorlesung 11 Fiskalpolitik und Arbeitslosigkeit Die Weltwirtschaftskrise und politischer Extremismus Übersicht Datum VL-Nr Themen VL CORE-Econ 21. 10. 2024 1 Was ist VWL,...

Vorlesung 11 Fiskalpolitik und Arbeitslosigkeit Die Weltwirtschaftskrise und politischer Extremismus Übersicht Datum VL-Nr Themen VL CORE-Econ 21. 10. 2024 1 Was ist VWL, was ist Wirtschaftsgeschichte? Wohlstand und Ressourcen 1 28. 10. 2024 2 Wissenschaftstheorie, Malthus, und Industrielle Revolution 2 04. 11.2024 3 Knappheit, Arbeit und individuelle Entscheidungen 3 11.11.2024 4 Soziale Interaktion 4 18.11.2024 5 Eigentum und Macht: Interesse und Konflikt 5 25.11.2024 6 Unternehmen, Unvollständige Verträge 6, 7 02.12.2024 7 Angebot und Nachfrage, Gleichgewicht und Schocks 8, 11 09.12.2024 8 Marktversagen und Politik, Arbeitsmärkte 9, 12, 13 16.12.2024 9 Geld, Kredit, Banken. Der Goldstandard 10 06.01.2025 10 Inflation und Geldpolitik. Die deutsche Hyperinflation 15 13.01.2025 11 Fiskalpolitik und Arbeitslosigkeit 14, 17 (a) Die Weltwirtschaftskrise und politischer Extremismus 20.01.2025 12 Das Makroökonomische Trilemma. Entwicklung vom „goldenen Zeitalter“ zur Finanzkrise 17 (b) 27.01.2025 Probeklausur mit Nachbesprechung 03.02.2025 13 Außenhandel, Zahlungsbilanz und Globalisierung 18 10.02.2025 14 Rückblick und Fragen Plan Einführung Fiskalpolitik und Arbeitslosigkeit Die Weltwirtschaftskrise und politischer Extremismus Ökonomische Analyse: Ursachen und Reaktion Politische Folgen: Die Deutsche Depression und die NSDAP Einführung Wie häufig sind globale Krisen? Quelle: Albers 2018 Wie relevant sind globale Krisen? Reeves et al (2012), The Lancet Können wir aus der Geschichte lernen? 1. Wie kann es zu globalen Krisen kommen? 2. Wie haben sich bestimmte Arten der Wirtschaftspolitik ausgewirkt? Warum wurde bestimmte Maßnahmen (nicht) getroffen? 3. Welche politischen Folgen kann dies haben? Fiskalpolitik und Arbeitslosigkeit Wirtschaftspolitik Auf konjunkturelle Schwankungen kann der Staat reagieren: mit Geldpolitik (VL 10) und Fiskalpolitik (diese VL) Wie funktioniert das?  Die Aggregierte Nachfragefunktion und das Multiplikatormodell 45 Die Konsumfunktion 2 Bestandteile: 1. Autonomer Konsum: ein fixer Betrag, den man auch ohne Einkommen ausgeben würde (entspricht dem Achsenabschnitt der Konsumfunktion); wird auch von Erwartungen geprägt 2. Einkommensabhängiger Konsum: marginale Konsumneigung (entspricht der Steigung der Konsumfunktion) 47 Output im Gleichgewicht Aggregierte Nachfrage (AD) ohne Staat und Außenwirtschaft: Konsumfunktion + Investitionen (Annahme: Investitionen sind unabhängig vom Output) Gütermarktgleichgewicht: Output (Y) = AD Bemerkung: kurzfristiges Modell, hier Annahme stabiler Preise Konsum und Erwartungen, 46 USA Q1 2008 bis Q4 2009 105 100 Reales Verfügbares EK Realer Konsum nichtlanglebiger Güter “Consumer sentiment index” 95 Index (2008 Q1 = 100) Realer Konsum langlebiger Güter 90 85 80 75 2008 2008 2008 2008 2009 2009 2009 2009 Q1 Q2 Q3 Q4 Q1 Q2 Q3 Q4 48 Multiplikatoreffekte. Bsp.: Rezession durch Rückgang der Investitionen y = AD on 45 degree line Aggregierte Nachfrage, AD AD = c0 + c1Y + I 3.75 A 1.5 AD = c0 + c1Y + I ′ 1.5 C B E D Rückgang der Z Investitionen um €1.5bn; c0 + I Investitionen 1.5 fallen von I zu I′ c0 + I’ Nach Multiplikatorprozess ist Y um €3.75bn gefallen, der Multiplikator ist 3.75/1.5 = 2.5 45° Output (Einkommen), Y Rolle des Staates AD = C + I + G + NX Staat beeinflusst AD über Staatsausgaben (G): exogen; verschiebt AD Kurve Konsum (C) und Steuern (t): verfügbares EK = (1-t)Y Investitionen: Zinsen (Geldpolitik) und Gewinne nach Steuern (t) Nettoexporte indirekt über Zinsen Netto-Exporte AD = C + I + G + NX NX = Exporte (X) – Importe (M) Exporte nehmen wir hier als exogen an. Importe hängen vom Einkommen ab M = mY. Marginale Importneigung (m) = Anteil des zusätzlichen EK das für Importe ausgegeben wird Erweitertes Multiplikatormodell AD = c0 + c1(1 - t)Y + I + G + X - mY Ersparnis, Steuern und Importe als “leakages”: reduzieren den Multiplikator (k). Teil des EK wird gespart (1-c1) Teil des EK geht als Steuer direkt an den Staat Teil des EK wird für Importe ausgegeben Je mehr leakage, desto …. die AD-Kurve, desto …. k Berechnung des Multiplikators k k: eine geometrische Reihe (siehe Core-Econ) Ohne Staat und ohne Außenhandel: 1 𝑘𝑘 = 1 − 𝑐𝑐 Mit Staat und Außenhandel: 1 𝑘𝑘 = 1 − 𝑐𝑐 1 − 𝑡𝑡 + 𝑚𝑚 t: Steuerrate; m: marginale Importneigung (Für 1 € mehr importiere ich m € mehr). Fiskalische Stabilisierungspolitik Regierung kann die Wirtschaft fiskalpolitisch stabilisieren: 1. Staatsausgaben (G) 2. Steuern (Einfluss auf verf. EK und Gewinne, Investitionen) 3. AL-Versicherung hilft Konsum zu glätten Proportionale Steuern und AL-Versicherung funktionieren als automatische Stabilisatoren. Fiskalischer Stimulus Regierung kann einem Rückgang von AD mit fiskalischem Stimulus entgegenwirken senke Steuern um Konsum (und Investitionen) anzuregen erhöhe Ausgaben (G), direkte Erhöhung von AD ΔY kann also deutlich größer als ΔG sein! Finanzierung? Budget = tY - G = T - G Fiskalischer Stimulus führt (idR) zu Budgetdefizit. Wenn das Budgetdefizit nach der Rezession nicht abgebaut wird steigt die Staatsverschuldung. Staatsfinanzen Primärdefizit= G –T prozyklisch Regierung muss sich zur Finanzierung von G>T Geld leihen, über Verkauf von Staatsanleihen (“government bonds”, zB Bundesanleihen) Staatsverschuldung = Summe der bonds die jemals ausgegeben wurden, abzüglich zurückgezahlter bonds. Staatsschuldenkrise = Situation in der neue bonds der Regierung nicht mehr verkäuflich sind (Ausfallrisiko). Staatsverschuldung Hohe Staatsschulden relativ zum BIP können zum Problem werden, weil die Regierung Zinsen zahlen muss. Aber Regierung muss nie alle Schulden gleichzeitig begleichen. Langfristig steigende Staatsschulden sind ein Problem, aber ohne klare Obergrenze: Frage von erwartetem Ausfallrisiko, bzw. Zugang zu Kredit im Inland und Ausland (Erwartung über BIP Wachstum, Steuerlast, Zinsniveau, politische Stabilität). Staatsschuldenquote (Debt-to-GDP ratio) Das Niveau der Staatsverschuldung wird relativ zum BIP gemessen (debt-to-GDP ratio). Staatsverschuldung (SV) fällt, wenn das Primärdefizit negativ wird BIP schneller als SV wächst Inflation steigt (realer Wert der Schulden sinkt) Sparpolitik Sparpolitik kann eine Rezession verschärfen durch einen weiteren Rückgang der AD-Kurve Der Multiplikator in der Praxis In unserem AD-Modell hängt der Multiplikator nur von der marginalen Konsumrate, der marginalen Importrate und der Besteuerung ab. Tatsächlich gibt es weitere wichtige Faktoren: Kapazitätsauslastung (Phase der Konjunktur): bei Vollauslastung würden höhere Staatsausgaben die private Nachfrage verdrängen (crowding out: va. Zinseffekt) Erwartungen: Multiplikator kann kleiner oder negativ werden, wenn steigendes Staatsdefizit das Vertrauen in Staat unterminiert Nachfrage aus dem Ausland und AD 1. Schwankungen in wichtigen Exportmärkten können die AD- Kurve beeinflussen. 2. Importnachfrage kann inländische Konjukturschwankungen dämpfen. 3. Aussenhandel kann den Multiplikator senken, wenn die marginale Importneigung hoch ist. AD und Arbeitslosigkeit Angebotsseite = Arbeitsmarktmodell Medium-run Modell: Löhne und Preise flexibel, aber Kapitalstock, Technologie und Institutionen fix Nachfrageseite = Multiplikatormodell Short-run Modell: auch Löhne und Preise sind fix Produktionsfunktion verknüpft Beschäftigung (N) und Output (Y) Konjunkturelle Arbeitslosigkeit Konjunkturelle Schwankungen in AD um das Arbeitsmarktgleichgewicht verursachen konjunkturelle Arbeitslosigkeit. Weltwirtschaftskrise und politischer Extremismus Die Weltwirtschaftskrise in langfristiger Perspektive Weil globale Krisen selten sind, macht es Sinn die Große Depression mit der “Great Recession“ von 2008 zu vergleichen. Great Depression vs. Great Recession: Industrieproduktion (Welt) Great Depression vs. Great Recession: Geldpolitik Great Depression vs. Great Recession: Fiskalpolitik Great Depression vs. Great Recession: Handel und Handelspolitik Die Große Depression – Der Verlauf Kontext Wiederkehrende Rezessionen bis 1925 durch Probleme die unmittelbar mit dem ersten Weltkrieg zusammenhingen (Lewis 1949) Geld- und Währungsinstabilität (Inflationen, Hyperinflationen, etc.) Stark schwankende, aber generell sinkende Rohstoff- und Getreidepreise Neue Macht der Arbeiterschaft und Konflikte Kontext Seit etwa Mitte der 1920er Jahre schien sich die Weltwirtschaft zu stabilisieren: Wiedereinführung des Goldstandard bis 1926, seitdem stabile Preise und Wechselkurse Wachstum in weiten Teilen der Weltwirtschaft, steigende Beschäftigung Mitteleuropa (Deutschland und neue Staaten Polen, Österreich, Ungarn, Tschechoslovakei) schienen seit dem Dawes-Plan von 1924 stabil Dawes-Plan: Reduktion der jährlichen Reparationszahlungen, allerdings zeitlich unbefristet (vertagt auf spätere Regelung), Transferschutzklausel: ausländische kommerzielle Schulden vor Reparationsschulden (Ritschl 2002) Währungsstabilisierung mit Hilfe der Vereinten Nationen, internationale Kredite, umfangreiche (kurzfristige) Bankenkredite; stark geänderte Goldparitäten Aufschwung ua durch grosse Kapitalzuflüsse aus den USA Kontext Optimismus genährt von Innovationen: Elektrifizierung (GE, AEG, Siemens), Massenfertigung von Autos (Ford, General Motors, Daimler-Benz) seit 1928/29 wird der Aufschwung zum Boom: Aktienkurse entkoppelt von Dividenden Crash und Krise in den USA Boom endet im Crash: 24. Oktober 1929 (Black Thursday) - 29. Oktober 1929 (Black Tuesday) Industrieproduktion, privater Konsum und Investitionen brechen ein; dramatischer Rückgang der Nachfrage führt zu massiver Deflation Mehrere Wellen von Bankzusammenbrüchen vertiefen die Krise Ausbreitung der Krise Seit 1929 entwickelten sich Handelsvolumina, Preise, Produktion und Beschäftigung in Nordamerika und Europa stark rückläufig Ausbreitung der Krise Die Arbeitslosigkeit entwickelte sich ebenfalls dramatisch, aber sehr unterschiedlich (auch Definitionsunterschiede) Wendepunkt der Krise für viele Länder 1932/1933 (!) Die Zwei Makro-Interpretationen der Großen Depression Die Zentrum-Peripherie Interpretation Die Gold Standard Interpretation Die Große Depression entsteht in den Das Goldstandard System setzt USA (und z.T. auch Deutschland) und Fehlanreize für die Geldpolitik. Im schwappt auf andere Länder über, z.B. Zusammenhang mit der (gestiegenen) durch nominalen Rigidität von Finanzkrisen Kreditverträgen Monetäre Verbindungen Arbeitsverträgen (Festwechselkurs des Gold und der Unfähigkeit von Standard überträgt Schocks) Zentralbanken „Notfall-Liquidität“ Handel (Verluste von bereitzustellen (= Banken zu retten) Absatzmärkten) führt dies zu Rezessionen rund um die Welt. Die Zentrum-Peripherie Interpretation: Die Krise in den USA Rezession startet im Sommer 1929 Börsencrash im Oktober 1929 Erwartungen verschlechtern sich Konsum bricht ein Investitionen brechen ein Rapide Abwärtsspirale Erst 1930 wird die Rezession wirklich zur Krise Quelle: Albers (2018): https://sites.google.com/site/tnhalbers/teaching Die Zentrum-Peripherie Interpretation: Die Krise in den USA Preise fallen rapide, weil die Volkswirtschaft sich in einer Rezession befindet die Zentralbank kaum gegenwirkt Bankenkrisen verschlimmern die Krise v.a. ab 1931 (Bernanke): Bankensystem sehr anfällig (viele kleine Banken mit geringer Diversifikation) 4 Wellen von Bank-Runs, mit zahlreichen Zusammenbrüchen Zentralbank hält am Gold-Standard fest, kann/will Banken nicht re-kapitalisieren. Die Zentrum-Peripherie Interpretation: Die Krise in Deutschland Deutschland wichtige Volkswirtschaft in Europa Über Kredite va seit Dawes-Plan 1924 stark mit USA verflochten Auch in Deutschland gibt es einen Aktienboom ab 1926, endet 1928 Aber keine Blase (Voth 2003) Die Geldpolitik der Reichsbank ist restriktiv (begrenzte Autonomie: Reparationsagent in Berlin) Quelle: Voth (2003) Die Zentrum-Peripherie Interpretation: Die Krise in Deutschland Durch die restriktive Zentralbankpolitik kommt es 1928 zur Rezession, 1929 sieht es aber zunächst nach Erholung aus Dann starker Einbruch im Spätfrühling/Sommer 1929 Stark fallende Preise: Deflation! Starker Einbruch der Investitionen (Erwartungen!) Die Zentrum-Peripherie Interpretation: Die Krise in Deutschland Deutsches Reich kann sich nach 1929 kein Geld mehr im Ausland leihen (=Staatsanleihen emittieren). Hintergrund: Young-Plan 1929/1930 als langfristige Reparationsregelung: niedrigere Zahlungen, aber Wegfall des Transferschutz, neuer internationaler Kredit, Abwicklung über neugeschaffene Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) Deutsches Reich betreibt Austeritäts- und Deflationspolitik wegen dieser Schulden muss auf Goldstandard bleiben kann Staatsausgaben nicht erhöhen Ritschl 2003 Transmission im Zentrum-Peripherie Blick Es gibt 3 Kanäle, durch die sich die Krise vom Zentrum auf alle anderen Länder ausbreitet: 1. Wechselkurskanal 2. Finanzkrisen-Kanal 3. Handelskanal Der Wechselkurskanal Fast alle Länder sind ab 1924 wieder auf dem Goldstandard Theorie: ein kleines Land das an ein großes gekoppelt ist „importiert“ den Schock aus dem großen Land, weil das kleine Land die Politik des großen Landes repliziert um den Wechselkurs zu stabilisieren. Empirische Beobachtung: Feste Wechselkurse übertragen Schocks leichter als variable Wechselkurse (siehe z.B. Mathy & Meissner 2012) Ab 1929: Länder auf dem GS „importieren“ US-Deflation Der Finanzkrisen- / Bankenkrisenkanal Erstmals durch die US Zinserhöhung 1928 beginnen amerikanische Gläubiger Kapital aus Europa abzuziehen. Bankenkrisen in den USA und in Zentraleuropa seit 1929/30 verstärken diese Kapitalflucht. Weil Finanzinstitute Positionen in anderen Ländern haben “schwappt“ die Krise von einem Land zum anderen. Beispiel: Die Creditanstalt Krise in Österreich Mai 1931 (Ansteckung Juni 1931 in Ungarn und Juli 1931 Deutschland, dann Sept 1931 Großbritannien) Der Handelskanal Viele Länder sind um 1929 stark exportabhängig Theorie: Handel fördert Effizienz – es entstehen „gains from trade“. Wenn diese verloren gehen, sinkt Effizienz. Bricht Handel weg, geht ein wichtiger Teil der Nachfrage verloren. Selbst wenn auch die Importe gleichmäßig zurückgehen, kann dies über Effizienzverluste zu steigender Arbeitslosigkeit führen. Empirie: Die Stärke der Krise beim wichtigsten Handelspartner beeinflusst die Krise in kleinen Ländern (z.B. Länder die überwiegend mit England handeln habe milderen Krisenverlauf). Rückgang im Handel war nicht nur Folge, sondern auch Ursache der Krise (Albers EEH 2018) Die Zentrum-Peripherie Interpretation: Zusammenfassung Gründe für den Beginn der Rezession in Transmission der Krise zum Rest der den USA und Deutschland Welt USA 3 Kanäle der Übertragung Verfehlte Geldpolitik Wechselkurskanal Aktienmarktcrash beeinflusst Erwartungen Finanzkrisenkanal Instabiles Bankensystem Handelskanal Kanäle sind alle wichtig, wobei Deutschland der Bankenkrisenkanal vor allem Restriktive Geldpolitik Hohe Staatsschulden ab 1931 Bedeutung gewinnt. Die Gold Standard Interpretation (Eichengreen 1992) Schuld war nicht die Krise in den Industrieproduktion (1928=100) in USA, Deutschland, dem „Sterling-Block“ (GB) und dem „Gold-Block“ (F) USA (oder/und Deutschland), sondern ein systemischer Fehler im Wechselkurssystem. Der Goldstandard war nicht nur „Überträger“ der Krise, sondern selbst verantwortlich für die Krise. Warum? Wolf (2008) Der Gold Standard und Deflation Länder wollen am Goldstandard festhalten (z.B. wegen der traumatischen Erfahrung der Hyperinflation, Wolf EEH 2008) Nach der Stabilisierungsperiode kehren manche Länder “überbewertet“ auf den Goldstandard zurück (v.a. GB) Zentralbanken setzen in der Krise die Zinsen hoch (statt herunter) um den Abfluss von Gold zu verhindern und die Währungsparität zu verteidigen darüber hinaus gibt es sowieso nur eine begrenzte Menge von Gold Aber warum ist das problematisch? Deflation, Nominale Verträge und die Reale Wirtschaft 1. Reallohn-Kanal (Bernanke und Carey) : Löhne sind nominal festgelegt. Fallen die Preise, steigen die Reallöhne. Dies führt zu sinkender Arbeitsnachfrage, oft auch Unternehmenspleiten und Arbeitslosigkeit 2. Die Deflation von Schulden (Fisher): Schulden werden durch fallen des Preisniveaus real mehr wert. Dies ist für Haushalte und Unternehmen sehr gefährlich. 3. Bankenkrisenkanal des Goldstandards (Bernanke und James): Banken können von der Zentralbank nicht re-kapitalisiert werden, da dies die Währung gefährden würde. Keine „Lender-of-last-resort“ Politik möglich. Fazit: Interpretationen zur Großen Depression Zentrum-Peripherie Interpretation versus Gold Standard Interpretation wichtig für die Lehren, die man aus dieser Periode zieht. Aber: Beide Interpretationen sind kompatibel, gewichten einzelne Aspekte nur unterschiedlich. Was hat die Politik falsch gemacht? 1. Geldpolitik: zu wenig, zu spät 2. Fiskalpolitik: zu wenig, zu spät 3. Handelspolitik: Protektionismus hat Krise verschärft Die Große Depression als Beispiel für Politikversagen? Wie sah expansive Fiskalpolitik in den 1930ern aus? Sie war nicht effektiv, weil sie nicht (kaum) versucht wurde (Brown 1956). Behauptung, dass Deutschland durch Autobahnbau ab 1933 aus der Krise gekommen sei, ist widerlegt (Ritschl 2002): erfolgreiche Propaganda, aber geringer Beschäftigungseffekt, ab 1934 massive Förderung der Rüstung. In den USA kommt es eventuell durch den 1936 „Veterans‘ Bonus“ zu etwas, das man Keynesianische Wirtschaftspolitik nennen kann (Hausman 2016) und die effektiv war. Keynesianische Wirtschaftstheorie wurde in dieser Zeit populär (Keynes 1936). Forschung tendiert zu dem Schluss, dass expansive Fiskalpolitik wahrscheinlich positive (stabilisierende) Effekte gehabt hätte. Versagen von internationaler Kooperation Es gab mehrere Versuche auf globalen Konferenzen (va London Economic Conference 1933) die Währungsproblematik des Gold-Standard zu beheben. die Errichtung von Zollschranken zu stoppen. Allerdings scheiterten alle diese Versuche. Konzessionen wurden nach dem ersten Weltkrieg ungern gemacht. Es gab keine Mechanismen, die Absichtserklärungen von diesen Konferenzen durchzusetzen Politikantworten in den 2 großen Krisen (I) Große Depression Große Rezession Falsche, keine, späte Reaktion von Schneller Wechsel zu Geldpolitik Niedrigzinspolitik Eindämmung von Bankenkrisen Keine Eindämmung von Bankenkrisen Recht aktive Fiskalpolitik (Konjunkturpakete) Kaum Fiskalpolitik So gut wie keine(!) Zollerhöhungen in Starke Zollerhöhungen der Krise (WTO als „safeguard?“) Politikantworten (II) Der wichtigste Geldpolitiker während der Großen Rezession war Ben Bernanke – auch einer der wichtigsten Forscher zur Großen Depression (2022 Nobelpreis). Unterschied: Arbeitslosigkeit konnte nach 2008 begrenzt werden. Ein Problem: der anfängliche Erfolg hat tiefergehende Reformen va im Finanzsektor verschleppt/abgemildert (Eichengreen). Fazit zur Großen Depression Da die Große Depression die schlimmste Krise in der modernen Wirtschaftsgeschichte war, kann man sie als „Benchmark“ nutzen. Man kann vor allem lernen, welche Politiken man nicht anwenden sollte. Man kann zeigen, wie wichtig internationale Kooperation ist. Man kann lernen, wie wichtig Wirtschaft für Politik ist und vice versa. Die Große Depression und politischer Extremismus Eine Fallstudie zu Deutschland Kontext Der Aufstieg der NSDAP geschah sehr schnell Wie konnte es dazu kommen? Reichstagswahlen 1928-1932, Stimmenanteile (%) 40 35 30 25 20 15 10 5 0 1928 1930 1932 (Juli) 1932 (Nov) KPD SPD DDP/ DSTP Z DVP DNVP NSDAP Krise und Radikalisierung: Aufstieg der NSDAP Plakat zum Volksbegehren gegen den Young-Plan Gründung der NSDAP 1920, Verbot nach Putschversuch im Nov. 1923, Neugründung 1925 Wiederaufstieg auch durch Mitgründung des "Reichsausschuss für das Volksbegehren gegen den Young-Plan“, Juli 1929 Volksbegehren scheitert klar (Dez. 1929), aber NSDAP setzt sich an Spitze der extremen Rechten. Krise und Radikalisierung: Aufstieg der NSDAP Massenarbeitslosigkeit, Zweifel an Handlungsfähigkeit der Regierung und geschickte Propaganda tragen - neben historischen Wurzeln von Militarismus und Antisemitismus - zum Aufstieg der Partei bei Hohe Korrelation zwischen ∆NSDAP_Stimmenanteil und ∆Arbeitslosigkeit für Wahlkreise 1928-1932 (Stoegbauer 2001) - Kritik: Kausalität? Was wäre das counterfactual? Nach der „Machtübernahme“ im Januar 1933 werden demokratische Strukturen rasch beseitigt, zunehmende Repressionen Klassische These bis in die 1980er Jahre Brüning (Reichskanzler 1930- 1932) betrieb eine verfehlte Deflationspolitik Preise sanken Er betrieb das, was man heute als Austeritätspolitik/Sparpolitik bezeichnen würde. Dies wurde von seinen Gegnern als „Erfüllungspolitik“ der – ihrer Meinung nach – unfairen Reparationen gesehen. Nach 1945 va „keynesianische“ Kritik an Brüning Die Borchardt-Hypothese Knut Borchardt (*1929 in Berlin, 1969-1991 Professor für Wirtschaftsgeschichte LMU, 1987 Leibniz-Preis, +2023 in München) Borchardt-Hypothese These (1979): Brüning hatte kaum Alternativen, zudem waren die Löhne gemessen an der Produktivität zu hoch Im Sommer 1932 (Lausanne) wurde eine weitgehende Stundung/Streichung der deutschen Schulden erreicht. Ist Brüning vielleicht doch „100 Meter vor dem Ziel gescheitert“? Geldpolitik: warum hat Deutschland nicht abgewertet? Seit Juli 1931 war das Währungssystem des Goldstandards für das Deutsche Reich ausgesetzt, allerdings unter engsten Restriktionen. Ein weiterer Kapitalabfluss (Gold, Devisen) musste verhindert werden. Angesichts der Schwierigkeiten in anderen Ländern war eine schnelle Belebung über den Außenhandel nicht zu erwarten. Eine Abwertung der relevanten Auslandsschulden war ausgeschlossen, bzw. hätte den direkten Weg in die Autarkie (=Nazi-Politik) bedeutet. Geldpolitische Impulse standen im Konflikt mit Deutschlands Gläubigern (va. F) und ihre Effekte waren (angesichts des zusammengebrochenen Welthandels) ungewiss. Wichtig: Frankreich verhandelte immer zugleich über Tilgung der Kriegsschulden gg. den USA aus dem Ersten Weltkrieg (Wolf OXREP 2010) Fiskalpolitik: fiskalische Impulse waren kaum zu erreichen und finanzierbar. Der inländische Kapitalmarkt schien nicht fähig oder gewillt, Anleihen zu zeichnen, die Bankzinsen waren hoch (Gutachten Mai 1931, Ritschl 2002). Der ausländische Kapitalmarkt war blockiert, die daran gekoppelten außenpolitischen Forderungen Frankreichs feuerten die Propaganda der extremen Rechten in Deutschland an. Aber auch: Schätzungen zum Ausgabenmultiplikator in Deutschland der 1930er Jahre zeigen, dass er ungewöhnlich niedrig war (Erbe 1958, Borchardt und Ritschl 1992, Tilly und Huck 1994): hätte Fiskalpolitik wirken können? Führen Krisen also zum Aufstieg von extremen Parteien? De Bromhead et al. (2013) bestätigen diese Korrelation mit vielen Ländern für die 1920er und 1930er Jahre. Funke et al (2016) zeigen für viele Länder seit 1870 empirisch, dass va Finanzkrisen zum Aufstieg rechter Parteien beigetragen haben. Politik kann Krisen mildern, zentral ist Bekämpfung von Arbeitslosigkeit. Exkurs: Wirtschaftspolitik der NSDAP Eine „Wirtschaftspolitisches Programm der NSDAP“ ist nur schwer zu identifizieren (ähnliches gilt für viele Politikbereiche) Das Programm von 1920 forderte etwa die „Abschaffung des arbeits‐ und mühelosen Einkommens“, die „Brechung der Zinsknechtschaft“, oder die „Abschaffung des Bodenzinses und Verhinderung jeder Bodenspekulation“ Seit 1932 standen zeitweilig staatliche Arbeitsbeschaffungsprogramme (G. Strasser) im Vordergrund Im Reichskabinett betont Hitler am 8. Februar 1933 den Vorrang der Rüstung („Wiederwehrhaftmachung des deutschen Volkes“) vor allen anderen Maßnahmen Exkurs: NS-Wirtschaftspolitik und Kriegsplanung Die öffentlichen Investitionen stiegen sprunghaft an Die Tabelle zeigt die Entwicklung der Bruttoinvestitionen in Mio. RM, (% in Klammern) Exkurs: NS-Wirtschaftspolitik und Kriegsplanung Zunächst steigen die Investitionen in Verkehr, allerdings ist der Anstieg 1932‐33 v.a. auf Investitionen in die Reichsbahn, erst ab 1934 auf Investitionen in den Straßenbau (Autobahnen) zurückzuführen ab 1934 dominieren die Rüstungsausgaben das Bild völlig, bis 1938 steigt deren Anteil auf 73% der gesamten öffentlichen Investitionen Der öffentliche Wohnungsbau verschwindet in der Bedeutungslosigkeit; diese Entwicklung wurde (trotz sinkender Zinsen) nicht durch private Bautätigkeit ausgeglichen: die gesamten Nettoinvestitionen bleiben jedes Jahr unter dem Niveau von 1928 und 1929, bei sinkendem Anteil öff. Investitionen (Erbe 1958, S. 27) Exkurs: NS-Wirtschaftspolitik und Kriegsplanung Alle Kredit‐ und geldpolitischen Maßnahmen standen im Schatten der Fiskalpolitik: die Rüstung musste finanziert werden Ausländischer Kredit war weder zugänglich noch gewünscht Eine Steuerfinanzierung hätte keine so rasche Expansion ermöglicht und war zumindest zunächst politisch nicht gewollt Auch eine Finanzierung über Schatzanweisung bzw. Expansion der Geldmenge sollte mit Blick auf die Erfahrungen von 1921‐23 vermieden werden Das zentrale Finanzierungsinstrument stellte eine Erhöhung der „schwebenden Staatsschuld“ über die Ausgabe von Wechseln dar  massive Inflation, verdeckt durch Preiskontrollen und Devisenmarktkontrollen; sichtbar erst 1945 in Entwertung der Reichsmark, vergessen durch Beginn des Wirtschaftswunders Fazit Wirtschaft und Politik, bzw. deren Handlungsspielräume hängen oft zusammen. Es ist wichtig, Politikfehler in Krisen zu verstehen und ggf. Handlungsempfehlungen zu formulieren. Wenn Politik die Schwere von Krisen vermindern kann, kann sie gegebenenfalls das Aufkeimen von extremen Parteien verhindern/vermindern. Bis heute umstritten, ob eine andere Wirtschaftspolitik das 3. Reich verhindert hätte.