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social structures individual action theories of social structure social analysis

Summary

This document provides an analysis of social structures and individual action. It discusses the definition and goals of social structure analysis, exploring various theoretical perspectives on social structures, including distribution, interdependence, and relational structures. The paper examines the interplay between social structures and individual behavior, arguing that social structures often arise from individual actions but, in turn, shape individual action. Social structures are defined as patterns of recurring relationships and interactions, and the influence of social structures on individual outcomes are also explored. The analysis is primarily concerned with how social structures are defined and theorized, and how those structures impact on individual actions.

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Zusammenfassung Sozialstrukturanalyse 1.Sozialstrukturanalyse, soziale Strukturen und individuelles Handeln 1. Definition und Ziel der Sozialstrukturanalyse: o Untersuchung sozialer Gruppen, die durch sozial relevante Merkmale (z. B. Alter, Geschlecht, Einkommen) charakter...

Zusammenfassung Sozialstrukturanalyse 1.Sozialstrukturanalyse, soziale Strukturen und individuelles Handeln 1. Definition und Ziel der Sozialstrukturanalyse: o Untersuchung sozialer Gruppen, die durch sozial relevante Merkmale (z. B. Alter, Geschlecht, Einkommen) charakterisiert sind. o Analyse von Beziehungen zwischen diesen Gruppen. 2. Was sind soziale Strukturen?: o Strukturen werden als Muster von nicht-zufälligen, regelhaften Verbindungen beschrieben. o Unterscheidung zwischen Verteilungsstruktur (Merkmale wie Alter, Klasse) und Beziehungsstruktur (dauerhafte Verbindungen wie Institutionen). 3. Theorien zur sozialen Struktur: o Verteilungsstrukturen: Verteilungen von Individualmerkmalen strukturieren das Handeln. (Bsp. Sozial relevante Merkmale wie Alter, Geschlecht, Familienstand, Einkommen, Klasse, Besitzverhältnisse) => anhand dieser Merkmale lassen sich sozialstrukturelle Positionen beschreiben (spezifische individuelle Ausprägungen eines Merkmals) o Differenzierung zwischen zugeschriebenen und erworbenen Positionen o Interdependenzstrukturen: Abhängigkeiten entstehen durch die Kontrolle über Ressourcen anderer und Interessen. Bsp. Soziale Integration nimmt zu, wenn Einwanderer über interessante Ressourcen verfügen o Beziehungsstrukturen: Dauerhafte Verbindungen zwischen sozialen Positionen, stabilisiert durch Erwartungen, Regelungen und Institutionen. Relationale Eigenschaften prägen das Verhalten. (Bsp. Informationsfluss innerhalb von ethnischen Netzwerken) 4. Strukturen und Individuen: o Soziale Strukturen sind überindividuell und oft unbeabsichtigte Nebenfolgen individuellen Handelns. o Mikrofundierung ist essenziell, um kausale Zusammenhänge zu verstehen. Über die Makroebene oft ökologische Fehlschlüsse 5. Determinanten menschlichen Handelns: o Ziele („Wollen“), Ressourcen („Können“), und Handlungsbedingungen („Dürfen“) bestimmen individuelles Handeln. 1. Ziele („Wollen“) Handlungsziele Definition: Ziele sind die Intentionen oder Absichten, die ein Individuum verfolgt. Sie definieren, was eine Person erreichen möchte. Beispiele: o Ein bestimmtes Bildungsniveau erreichen. o Einen bestimmten Lebensstandard erzielen. o Gesellschaftliche Anerkennung oder Status gewinnen. Einfluss: Die Ziele bestimmen die Richtung des Handelns und motivieren die Aktivitäten. Ohne ein Ziel ist Handeln unspezifisch oder gar nicht vorhanden.. Ressourcen („Können“) Handlungsmittel Definition: Ressourcen umfassen die Mittel und Fähigkeiten, die einer Person zur Verfügung stehen, um ihre Ziele zu erreichen. Dies sind sowohl materielle als auch immaterielle Ressourcen. Beispiele: o Materielle Ressourcen: Geld, Eigentum, Zugang zu Bildungseinrichtungen. o Immaterielle Ressourcen: Wissen, Fähigkeiten, soziale Netzwerke (z. B. „soziales Kapital“). Einfluss: Die Ressourcen setzen Grenzen für das Handeln, indem sie bestimmen, was möglich ist. Ein Ziel kann nur erreicht werden, wenn die dafür notwendigen Ressourcen vorhanden sind. Handlungsbedingungen („Dürfen“) Definition: Handlungsbedingungen beziehen sich auf die externen Rahmenbedingungen, die das Handeln erlauben oder beschränken. Sie sind oft durch gesellschaftliche Regeln, Normen, Institutionen oder Opportunitäten geprägt. Beispiele: o Rechtliche Restriktionen (z. B. Arbeitsgesetze, Bürgerrechte). o Soziale Normen und Werte (z. B. geschlechtsspezifische Rollenerwartungen). o Institutionelle Rahmenbedingungen (z. B. Zugang zu Förderprogrammen oder Arbeitsmärkten). Einfluss: Die Handlungsbedingungen bestimmen, was erlaubt oder möglich ist. Sie können das Handeln fördern, begrenzen oder verhindern. Zusammenspiel der Determinanten Beispiel: Bildung: o Ziel: Ein Studium abschließen (Wollen). o Ressourcen: Zugang zu Bildungsangeboten, finanzielle Mittel, Zeit (Können). o Handlungsbedingungen: Aufnahmebedingungen der Universität, gesellschaftliche Akzeptanz der Entscheidung (Dürfen). Individuelles Handeln wird durch die Wechselwirkung dieser drei Faktoren geprägt. Ein Ziel kann z. B. unerreichbar sein, wenn die Ressourcen fehlen, selbst wenn die Bedingungen es erlauben. 6. Beispiel Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen: o Verschiedene Erklärungsansätze basieren auf Zielen, Ressourcen und Restriktionen. Handlungsziele: Geschlechterunterschiede in Karriere- oder Familienzielen. Ressourcen: Unterschiedlicher Zugang zu Netzwerken, Bildung oder Zeitressourcen. Handlungsbedingungen: Diskriminierung, strukturelle Barrieren oder soziale Normen o 2.Entstehung, Reproduktion und Legitimation sozialer Ungleichheit Soziale Ungleichheit: Entstehung und Persistenz (aus Woche 3) 1. Dimensionen sozialer Ungleichheit: Soziale Ungleichheit wird in verschiedene Dimensionen unterteilt: o Ökonomische Dimension: Einkommen, Vermögen, Bildung. o Wohlfahrtsstaatliche Dimension: Zugang zu sozialer Absicherung, Arbeitsbedingungen, Wohnumfeld. o Soziale Dimension: Macht, Einfluss, soziale Anerkennung. o Emanzipatorische Dimension: Teilhabe an politischen Prozessen, Selbstbestimmung.  Beziehung zwischen Dimensionen: Dynamik sozialer Ungleichheiten, Niveau einer Dimension kann künftige Entwicklung dieser oder anderer Dimension beeinflussen, Dominanzprinzip: Niveau auf einer Dimension beeinflusst alle anderen Dimensionen, Kompensationsprinzip: Vorteile einer Dimension können Beschränkungen auf anderer Dimension ausgleichen. Determinanten sozialer Ungleichheit: Soziale Merkmale von Personen definieren die Zugehörigkeit zu Gruppen und definieren die Grundlage für Vor- und Nachteile in bestimmten Handlungs- und Lebensbedingungen. Differenzierung zwischen achievement und ascription Dimensionen können Determinanten anderer Ungleichheit werden, z.B. Bildung => Einkommen Askriptive Merkmale können nicht selbst Dimensionen sozialer Ungleichheit werden 2. Mechanismen der Entstehung: Zugehörigkeit zu sozialer Kategorie wird durch soziale Prozesse oder Mechanismen relevant, d.h. führt zur Vor- und Nachteilen auf bestimmten Dimensionen Leistungsprinzip: Ressourcenunterschiede spiegeln Leistungsunterschiede wider. Humankapitaltheorie; Ungleichheit spiegelt Produktivitätsunterschiede wider, diese resultieren aus unterschiedlichen Investitionen in Humankapital ABER o Meritokratie: Leistung wird als Basis für Ungleichheit gesehen (z. B. Intelligenz → Einkommen). o Diskriminierung: Ungleichbehandlung aufgrund von Geschlecht, Ethnizität oder anderen Merkmalen. o Soziale Schließung: Monopolisierung von Ressourcen durch bestimmte Gruppen (z. B. Arbeitsmarktzugang für Ausländer, Zugang zu Berufen). o Ausbeutung: Ressourcen oder Arbeitserträge einer Gruppe werden von einer anderen Gruppe genutzt. Beispiel: durch Diskriminierung werden Personen, die über gleiche Ressourcen verfügen ungleich behandelt („Ungleichbehandlung von Gleichen“) − Erwerb weiterer Ressourcen wird dadurch eingeschränkt − Bei Erreichung der Oberziele entstehen Unterschiede zwischen Gruppen − Aus Ungleichheitsdeterminante (Ethnizität), die an sich nicht ungleichheitsrelevant ist, ist Ungleichheit entstanden 3. Ressourcen und Restriktionen: o Ressourcen wie Bildung oder Vermögen müssen oft „erkauft“ werden (z. B. durch Investitionen in Bildung). Macht und Prestige leiten sich aus Ressourcenkontrolle ab o Restriktionen wie Gesetze, Normen oder institutionelle Vorgaben können Handlungsspielräume erheblich einschränken. Legitimation sozialer Ungleichheit 1. Glaube an Meritokratie: o Moderne Gesellschaften legitimieren Ungleichheit durch das Leistungsprinzip: „Ungleichheit ist gerecht, wenn sie auf Leistung basiert.“ o Askriptionen (z. B. Geschlecht, Herkunft) als Basis von Ungleichheit sind jedoch schwer legitimierbar. o Empirisch zeigt sich, dass Menschen, die sozialen Aufstieg erfahren haben, Ungleichheit eher akzeptieren und weniger Unterstützung für Umverteilungspolitik zeigen (POUM-Hypothese). o Hohe Akzeptanz von Ungleichheit schon bei Kindern 2. Formen sozialer Gerechtigkeit (nach Hradil 2012): o Egalitäre Gerechtigkeit („Equality“) ▪ Gleichheit der Verteilung von Gütern und Lasten (z. B. Gesundheitsversorgung für alle). o Bedarfsgerechtigkeit („Need“) ▪ Verteilung nach objektivem Bedarf, z. B. besondere Unterstützung für Alte, Kranke oder Kinder. o Leistungsgerechtigkeit („Equity“) ▪ Menschen sollen entsprechend ihres Beitrags oder ihrer Leistung belohnt werden. o Chancengerechtigkeit („Equal Opportunity“) ▪ Alle sollen gleiche Startbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten haben, unabhängig von Herkunft oder sozialem Status. Zusammenfassung der Strukturebenen sozialer Ungleichheit 1. Ursachen (Mechanismen): Prozesse wie Diskriminierung oder soziale Schließung. 2. Determinanten (Input): Merkmale wie Geschlecht, Bildungsstand, Herkunft. 3. Dimensionen (Output): Einkommen, Macht, soziale Anerkennung. 4. Auswirkungen: Gesundheit, Lebenszufriedenheit, Arbeitsbedingungen, Teilhabe. 3.Strukturen sozialer Ungleichheit: Klassen, Schichten, Milieus, Lebensstile 1. Soziale Klassen Kerngedanken: o Die Gesellschaft wird in Klassen unterteilt, die oft durch ökonomische Kriterien definiert sind. o Klassenzugehörigkeit ist meist mit Konflikten zwischen den Klassen verbunden (z. B. Arbeiter vs. Kapitalisten). Marx' Klassenbegriff: o Klassen beruhen auf der Stellung im Produktionsprozess. o Kapitalisten besitzen die Produktionsmittel, während Arbeiter diese nicht besitzen und deshalb in einer Ausbeutungsbeziehung stehen. o Es wird von einer Polarisierung zwischen Kapitalisten und Arbeitern ausgegangen. Webers Klassenbegriff: o Klassenlagen ergeben sich aus den Verwertungschancen auf Märkten (z. B. durch Besitz oder Fähigkeiten). o Weber unterscheidet zwischen Erwerbsklassen (basierend auf Marktchancen) und Besitzklassen (basierend auf Besitzunterschieden). Klassenlagen zwischen denen man leicht wechseln kann, gehören zu einer „sozialen Klasse“ soziale Mobilität zwischen Klassen gering o Es existieren keine gemeinsamen Interessen oder ein „Klassenbewusstsein“ wie bei Marx. Neuere Klassenkonzepte: o Kritik an der starken Differenzierung moderner Klassen: Zu viele Untergruppen erschweren die Erklärungskraft. Schwierig moderne Gesellschaften anhand eines Konzepts zu klassifizieren und daher werden Einzeldimensionen wie Bildung, Einkommen etc. verwendet. o David Grusky: Mikroklassenkonzept mit 126 Berufen, die durch Mechanismen wie Selektion, Ausbildung und Netzwerke definiert sind. o Erik O. Wright: Mittelschicht mit widersprüchlicher Position (z. B. Manager mit Autorität, aber ohne Besitz von Produktionsmitteln). o John Goldthorpe: Klassenschema, das Berufsgruppen mit ähnlichen Marktchancen und Arbeitsbedingungen zusammenfasst. Wird empirisch oft zur Analyse sozialer Phänomene wie Wahlverhalten genutzt. 2. Soziale Schichten Kerngedanken: o Schichtmodelle orientieren sich weniger stark an ökonomischen Kriterien und fokussieren auf berufliche und soziale Merkmale. o Mobilität zwischen Schichten ist leichter möglich als zwischen Klassen. o Beispiele: Einkommensschichten, Bildungsschichten. o Status: Sozialer Status bezeichnet Stellung einer Person auf Verteilungsstruktur einer Ressource wie Bildung oder Einkommen. Kritik an Klassen- und Schichtmodellen: o Seit den 1950er Jahren wird die Relevanz von Klassen und Schichten hinterfragt: ▪ Zunehmender Wohlstand und soziale Mobilität haben ihre Bedeutung verringert. ▪ Ökonomische Kriterien allein reichen nicht mehr aus, um soziale Ungleichheit zu erklären. o Helmut Schelsky: Konzept der „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“ – eine zunehmende Homogenisierung von Lebensstilen und sozialen Bedürfnissen. (Bsp.: jeder kann inzwischen sich einen Urlaub leisten) o Herausforderung: Beschreibung der Strukturen sozialer Ungleichheit liefern, die für den Einzelnen wirklich erfahrbar sich und soziale Stellung im Vergleich zu anderen bestimmen => Vertikalität fraglich Alternativen: Lebensstile, Milieus, soziale Lagen 3. Milieus und Lebensstile Milieus: o Gruppen von Menschen mit ähnlichen äußeren Lebensbedingungen und/oder inneren Haltungen, aus denen sich gemeinsame Lebensstile entwickeln. o Beispiele: traditionelles Arbeitermilieu, hedonistisches Milieu, alternativ-linkes Milieu. o Milieus regulieren den Umgang mit Unsicherheiten und Lebensbedingungen (z. B. wie Künstler und Arbeiter mit beruflicher Unsicherheit umgehen). Objektive Lebensbedingungen führen zu ganz unterschiedlichen Lebensstilen, z. B. Umgang mit beruflicher Unsicherheit bei Künstlern versus Arbeitern, Lebensstile regulieren also Umgang mit objektiven Lebensbedingungen Lebensstile: o Lebensstile vermitteln zwischen objektiven Lebensbedingungen (z. B. Einkommen) und subjektiven Einstellungen (z. B. Werte, Geschmack). o Sie umfassen kulturelle Praktiken, Freizeitaktivitäten und alltägliche Routinen. o Lebensstilforschung bietet eine Alternative zur klassischen Ungleichheitsforschung, indem sie mehrdimensional arbeitet und nicht nur ökonomische Aspekte berücksichtigt. o Methodisch: Clusterbildung und -benennung („Lebensstiltypologien“) Kritik an Lebensstilforschung: o Trotz des Fokus auf Lebensstile bleiben diese stark mit klassischen Dimensionen wie Einkommen oder Bildung korreliert. o Der methodische Aufwand ist hoch, während der zusätzliche Erklärungsgewinn begrenzt ist. 4. Individualisierungshypothese Hauptthese: o Mit steigendem Wohlstand nimmt die Bedeutung von Klassen und Schichten ab. o Individuen haben mehr Handlungsspielraum, wodurch Lebensziele und Verhaltensweisen diverser werden. o Beispiel: In wohlhabenden Gesellschaften korrelieren Zugehörigkeiten zu sozialen Gruppen weniger stark mit Lebenszufriedenheit oder Wohnqualität. 4.Soziale Ungleichheit-Das Bildungssystem 1. Definition und Bedeutung von Bildung: Bildung ist eine zentrale Determinante für Einkommen und Arbeitsmarktchancen. Unterschiede in Bildung führen zu sozialen Ungleichheiten, insbesondere nach Geschlecht, sozialer Herkunft und Ethnizität. Effekte der Bildung: o Direkt: Erwerb von Fähigkeiten, Wissen, Sozialisation (z. B. Soft Skills). o Indirekt: Bildungsabschlüsse, bildungsabhängige Erfahrungen. 2. Vorschulische Bildung Status quo in Deutschland: o 97% aller Kinder besuchen eine vorschulische Einrichtung. o Besuch ist nicht obligatorisch. Determinanten des Besuchs: o Höheres Einkommen, weniger Geschwister und Leben in Ostdeutschland erhöhen die Wahrscheinlichkeit. Wirkungen: o Kinder aus bildungsfernen Haushalten profitieren besonders: Längerer Besuch reduziert das Risiko eines Hauptschulabschlusses (Büchner & Spieß, 2007). 3.Schulische Bildung 3.1 Besonderheiten des deutschen Bildungssystems Frühes Tracking: Kinder werden bereits nach der 4. Klasse in verschiedene Schulformen selektiert. Bildungsexpansion: o Anteil der Hauptschüler*innen ist stark gesunken. o Aber: Frage der Gerechtigkeit bleibt offen („Bildung für alle“). Abschluss in Sekundarstufe wichtige Voraussetzung für Studium und Ausbildung 3.2 Schulische Bildungsungleichheiten Bildungsungleichheiten existieren besonders nach: o Region, Geschlecht, Ethnizität und sozialem Hintergrund. => problematisch wegen meritokratischem Anspruch des Bildungssystem Bildungsexpansion hat Bildungsdisparitäten verringert, aber nicht vollständig beseitigt. 4. Bildungsdisparitäten im Detail 4.1 Nach Geschlecht Entwicklung: o Mädchen besuchen häufiger Gymnasien, erhalten bei gleichen Leistungen bessere Noten und öfter Gymnasialempfehlungen. o Ursachen: ▪ Hoher Lehrerinnenanteil. ▪ „Schulfreundliche“ Freizeitgestaltung bei Mädchen (Rössel, 2009). o Leaky Pipeline: Frauenanteil sinkt auf höheren Bildungsstufen 4.2 Nach sozialer Herkunft Kinder aus bildungsfernen Haushalten besuchen seltener das Gymnasium. Mechanismen (nach Boudon, 1974): o Primäre Effekte: Auswirkungen der sozialen Herkunft auf die Leistungen (Vorlesen, Bücherbesitz, ausßerschulische Aktivitäten) Direkte Leistungsunterschiede (z. B. weniger Bücher, weniger Unterstützung zuhause). o Sekundäre Effekte: Auswirkungen der sozialen Herkunft auf die Bildungsentscheidungen (Statuserhaltmotiv, Vorbilder, Informationen, Benotungen und Empfehlungen) Unterschiede in Bildungsentscheidungen, beeinflusst durch Statussicherungswünsche, Vorbilder und elterliche Informationen. o „Kompositionseffekte“ (Köller & Baumert, 2008): Privilegierte Kinder profitieren von besser ausgestatteten Gymnasien (qualifizierte Lehrkräfte, förderliches Lernklima). 4.3 Nach ethnischer Herkunft Unterschiede verringern sich über Generationen, bleiben jedoch bestehen. Herausforderungen: => Migrantenkinder haben v.a. als Unterschichtkinder Probleme o Sprachbarrieren und Leistungsunterschiede schon im Vorschulalter. => primäre ethnische Effekte o Empirische Hinweise auf geringe Diskriminierung bei Benotung, größere Unterschiede in Übergangsempfehlungen. ABER: Diskussion um institutionelle Diskriminierung Kompensatorisch: Migrantenkinder haben oft höhere Bildungsaspirationen, was positive Effekte auf Bildungsentscheidungen hat. 5.Tertiäre Bildung Frauenanteil in Deutschland geringer als in anderen europäischen Ländern (ca. 50% vs. 60% in Lettland). Geschlechterunterschiede: o Geschlechtsspezifische Studienfachwahl beeinflusst spätere Einkommens- und Statuschancen (z. B. weniger Frauen in MINT-Fächern). o Berufswahl stark durch elterliche Stereotype geprägt. Migrationshintergrund: Wichtige Unterscheidung: Internationale Studierende: zum Studium nach Deutschland (Bildungsausländer) Studierende mit Migrationshintergrund: im Kindes-oder Jugendalter nach Deutschland oder in Deutschland geboren als Kind min eines zugewanderten Elternteils (Bildungsinländer) o Hohe Übergangsquoten ins Studium bei Migrantenkindern, aber höhere Abbrecherquoten. o Präferenz für traditionelle Universitäten und Fächer. 6. Wahrnehmung von Bildungsungleichheit Schüler*innen mit Migrationshintergrund nehmen das System als unfairer wahr. Gründe: o Elterliche Erwartungen und Fehleinschätzungen eigener Kompetenzen. o Rationalisierung von Misserfolgen (schlechte Noten, niedrigere Schulzweige). Unterschiede in Fairnesswahrnehmung nach kognitiven Kompetenzen: o Schüler*innen ohne Migrationshintergrund: Unfairnesswahrnehmung nur bei überdurchschnittlichen Leistungen. o Schüler*innen mit Migrationshintergrund: Unfairnesswahrnehmung unabhängig von Leistung. Zusammenfassung Bildungsdisparitäten nach askriptiven Merkmalen Fortschritte: Reduktion geschlechtsbasierter Ungleichheiten. Moderate Abnahme herkunftsbedingter Ungleichheiten. Herausforderungen: Herkunftseffekte bleiben stark, auch wenn sie nur zur Hälfte durch Kompetenzunterschiede erklärbar sind. Ethnische Nachteile sind oft eng mit sozio-ökonomischen Nachteilen verknüpft. Institutionelle Besonderheiten wie frühe Selektion verstärken Ungleichheiten. 5. Ungleichheit in Einkommen und Vermögen 1. Einkommensarten Erwerbseinkommen: o Einkommen aus unselbstständiger Arbeit (Löhne, Gehälter). o Einkommen aus Unternehmertätigkeit (selbstständige Arbeit). Kapitaleinkommen: o Einkommen aus Vermietung, Zinsen und Dividenden. Transfereinkommen: o Zahlungen aus öffentlicher Hand (z. B. Sozialleistungen, Arbeitslosengeld). o Zahlungen aus privater Hand (z. B. Betriebsrenten). 2. Messung des Einkommens Haushaltsbruttoeinkommen: o Gesamteinnahmen aller Haushaltsmitglieder (Erwerbseinkommen, Kapitaleinkommen, Transfers). Haushaltsnettoeinkommen: o Bruttoeinkommen abzüglich Steuern (z. B. Einkommens-, Kirchensteuer) und Sozialabgaben (z. B. Rentenversicherung). Haushaltsäquivalenzeinkommen: o Angepasstes Einkommen pro Haushaltsmitglied, das Alter und Anzahl der Haushaltsmitglieder berücksichtigt (ermöglicht faire Vergleichbarkeit). 3. Einkommensungleichheit Gini-Koeffizient: o Misst die Einkommensungleichheit: ▪ 0 = völlige Gleichheit. ▪ 1 = maximale Ungleichheit (eine Person hat alles). o Deutschland 2023: 0,29 (relativ moderate Ungleichheit im internationalen Vergleich). Globale Ungleichheiten: o Weltweit größere Einkommensungleichheiten als innerhalb einzelner Länder. Zeitliche Veränderungen: o Einkommensungleichheit hat in Deutschland über die letzten Jahrzehnte zugenommen. Ursachen der Einkommensungleichheit: 1. Sektoraler Wandel: o Dienstleistungssektor zeigt größere Einkommensunterschiede als Industrie. o Unterschiedliche Löhne je nach Branche (z. B. niedrigere Löhne in Gastronomie). 2. Schwächung der Gewerkschaften: o Globalisierung und Deregulierung haben die Verhandlungsmacht von Arbeitnehmern verringert. 3. Zunehmende Bedeutung von Hochqualifikation: o Qualifizierte Beschäftigte können bessere Gehälter verhandeln, wodurch die Kluft wächst. 4. Vermögensungleichheit In Deutschland ist Vermögen deutlich ungleicher verteilt als Einkommen: o Oberste 10% der Haushalte besitzen 56% des Gesamtvermögens. o Vermögens-Gini-Koeffizient: 0,76 (extrem hohe Ungleichheit). Erbschaften und Schenkungen: o 10% der Bevölkerung haben in den letzten 10-15 Jahren Erbschaften oder Schenkungen erhalten. o Mehr als die Hälfte des geerbten Vermögens geht an die reichsten 10% der Bevölkerung. Auswirkungen: o Erbschaften verstärken langfristig die Vermögensungleichheit, da Vermögen häufiger in wohlhabenden Familien zirkuliert. 5. Einkommensungleichheiten nach askriptiven Merkmalen Geschlecht: Trotz gesetzlicher Regelung für „gleichen Lohn für gleiche Arbeit“ verdienen Frauen 12% weniger als Männer bei gleicher Qualifikation, Berufserfahrung und Tätigkeit. Legitime Ursachen: o Unterschiede im Humankapital (z. B. Arbeitszeit, Berufserfahrung, Ausbildung). o Berufswahl: Frauen arbeiten häufiger in Berufen mit niedrigerer Bezahlung. o Selbstselektion: Frauen wählen oft Betriebe mit weniger Aufstiegsmöglichkeiten. Illegitime Ursachen: o Entwertung weiblich dominierter Berufe (z. B. Pflege, Erziehung). o Statistische Diskriminierung: Arbeitgeber bewerten Frauen oft aufgrund von Stereotypen (z. B. geringere Leistungsorientierung). o Diskriminierung zeigt sich besonders bei ungleichen Löhnen in identischen Berufen und Betrieben. Ethnizität: Legitime Ursachen: o Entwertung von Humankapital bei Migranten o Fehlende Zusatzressourcen wie Netzwerke oder Sprachkenntnisse. Illegitime Ursachen: o Präferenzbasierte Diskriminierung: Geringere Jobchancen aufgrund von Vorurteilen. o Soziale Schließung: Ausschluss von Migranten aus lukrativen Berufen durch strenge Zugangsvoraussetzungen. Nichtanerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse 6. Wahrnehmung von Ungleichheit Relevanz der Wahrnehmung: Wahrnehmung von Ungleichheit beeinflusst politische Einstellungen: o Je ungleicher die Verteilung wahrgenommen wird, desto größer ist die Unterstützung für Umverteilung. Median-Voter-Modell: o Höhere Ungleichheit erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der Medianwähler von Umverteilung profitiert, was den Ausbau des Sozialstaates fördern könnte. Wahrnehmung sozialer Mobilität: o Wenn Menschen glauben, dass Aufstieg durch harte Arbeit möglich ist, sinkt die Akzeptanz für Umverteilung. Empirische Ergebnisse: 1. Unterschätzung und Überschätzung: o Ärmere überschätzen oft ihre soziale Position; Reichere unterschätzen sie. o Ärmere sehen Gesellschaft eher als Pyramide, Reichere eher als Vase; je höher die eigene Position in der Einkommensverteilung desto geringer ist der Anteil derer die Einkommensunterschiede zu groß finden o Viele unterschätzen das tatsächliche Ausmaß der Ungleichheit. 2. Aufstiegschancen der Kinder: o Eltern überschätzen häufig die Mobilitätschancen ihrer Kinder, was Umverteilung unattraktiver macht. 3. Unterschiedliche Wahrnehmung von Fairness: o Ärmere Menschen empfinden Einkommensunterschiede häufiger als unfair. 7. Politische und gesellschaftliche Folgen Ungleichheit und Motivation: o Wahrgenommene Ungleichheit kann sowohl die Forderung nach Gerechtigkeit als auch den individuellen Ansporn fördern. Herausforderungen: o Eine verzerrte Wahrnehmung der Ungleichheit erschwert gezielte politische Maßnahmen. 6.Folgen sozialer Ungleichheit 1. Globale Ungleichheit Globale Einkommensungleichheit ist höher als innerhalb einzelner Länder, aber rückläufig. Hauptgrund: Aufholprozess ärmerer Länder (z. B. China, Indien) durch steigende Durchschnittseinkommen. Trotz steigendem Durchschnittseinkommen nimmt Einkommensungleichheit innerhalb vieler Länder zu. 2. Methodische Aspekte zur Untersuchung sozialer Ungleichheit Mikroebene (individuelle Ebene): o Untersucht Einfluss von Einkommen auf Lebenserwartung, Gesundheit, Zufriedenheit etc. o Beispiel: Menschen mit höherem Einkommen haben längere Lebenserwartung und mehr politische Partizipation. Makroebene (gesellschaftliche Ebene): o Vergleich von Ländern oder Regionen mit unterschiedlichen Einkommensniveaus oder Einkommensverteilungen. o Analysiert, ob höhere Ungleichheit mit geringerer Lebenserwartung, Kriminalität oder gesellschaftlichem Vertrauen zusammenhängt. 3. Individuelle Folgen sozialer Ungleichheit Einkommen und Lebenserwartung: o Höheres Einkommen korreliert mit besserer Gesundheit und längerer Lebenserwartung. o Ursache unklar: Liegt es an besseren Arbeitsbedingungen, besserer Bildung oder Gesundheitsversorgung? Einkommen und Lebenszufriedenheit: o „Easterlin Paradox“: ▪ In reichen Ländern ist die Lebenszufriedenheit höher als in armen Ländern. ▪ Innerhalb reicher Länder steigt die Lebenszufriedenheit nur im unteren Einkommensbereich mit mehr Geld. o „Fahrstuhleffekt“: Durchschnittseinkommen in einem Land steigt konstant ▪ Absolutes Einkommen ist weniger entscheidend als der relative soziale Status. ▪ Menschen vergleichen sich mit anderen, was Zufriedenheit beeinflusst. 4. Gesellschaftliche Folgen sozialer Ungleichheit Einkommensungleichheit beeinflusst viele gesellschaftliche Aspekte: o Soziales Vertrauen o Politische Partizipation o Psychische Gesundheit o Kriminalitätsrate Wilkinson & Pickett (2009, „The Spirit Level“) Argumentation: o Erhöhte Ungleichheit verstärkt soziale Spaltung, Misstrauen und Kriminalität o Kriminalität steigt nicht durch Armut, sondern auch durch Ungleichheit selbst o Ungleichheit verstärkt soziale Distanz zwischen Gruppen („ingroup vs. outgroup“). o Statusangst und Minderwertigkeitsgefühle wachsen → führen zu gesellschaftlichen Spannungen. Kritik an Wilkinson & Pickett: o Befunde beruhen teilweise auf statistischen Ausreißern (z. B. USA für Zusammenhang zwischen Mordrate und Einkommensungleichheit, Japan für Zusammenhang zwischen Lebenserwartung und Einkommensungleichheit). o Cluster-Effekte: Cluster ähnliche Länder wie Skandinavische Länder sind verantwortlich für Befunde, jenseits dieser Cluster sind Zusammenhänge aber nicht vorhanden bzw. schwach ausgeprägt o Geschichtliche und kulturelle Faktoren werden vernachlässigt. o „Cherry Picking“: Einige negative Merkmale (z. B. Alkoholismus, Scheidungsrate) sind in egalitären Ländern höher. o Spirit Level beschreibt Zusammenhänge auf der Makroebene => ökologischer Fehlschluss 5. Politische Folgen sozialer Ungleichheit Ungleichheit und Einstellungen zu Umverteilung: o Median-Voter-Modell (Meltzer/Richard 1981): ▪ Theoretisch sollte mehr Ungleichheit zu mehr Unterstützung für Umverteilung führen. ▪ Aber: In ungleichen Ländern wird oft weniger umverteilt (z. B. USA, da dort soziale Mobilität überschätzt wird). o Alternative Erklärung: ▪ Menschen vergleichen sich eher mit ähnlichen Gruppen und nehmen Ungleichheit daher weniger bewusst wahr. ▪ Segregation (unterschiedliche Nachbarschaften, Schulen) verstärkt diesen Effekt. o Empirische Studien (Kenworthy & McCall 2008): ▪ Steigende Ungleichheit führt nicht automatisch zu mehr Unterstützung für Umverteilung. ▪ Problem: Menschen nehmen die tatsächliche Ungleichheit oft falsch wahr. ▪ Information über die wahre Ungleichheit kann Umverteilungsforderungen beeinflussen. Ungleichheit und Demokratie (Schäfer 2010): o Wachsende Ungleichheit gefährdet demokratische Prozesse: ▪ Geringeres Vertrauen in Institutionen. ▪ Weniger politische Partizipation bei ärmeren Schichten. ▪ Geringere Steuermoral und Akzeptanz politischer Entscheidungen. o Frage der Wahlbeteiligung: o Makrolevel: ▪ In ungleichen Gesellschaften sind Ressourcen für politische Partizipation ungleich verteilt. Jed ungleicher Einkommensverteilung, desto geringer Demokratiezufriedenheit und Institutionenvertrauen ▪ Mit negativen Auswirkungen z.B. auf Bereitschaft, Steuern zu zahlen oder Ergebnisse des politischen Prozesses zu akzeptieren Mikrolevel: In ungleichen Gesellschaften sind individuelle Ressourcen (z.B. Bildung, Einkommen) für politische Partizipation ungleich verteilt. Folge: Soziale Ungleichheit wirkt sich direkt auf Wahlbeteiligung und politische Teilhabe aus. ▪ Könnte zu sinkender Wahlbeteiligung führen. ▪ Aber: Beteiligung könnte durch alternative Formen der politischen Partizipation (z. B. Proteste, Bürgerbewegungen) kompensiert werden. Fazit: Ungleichheit hat weitreichende individuelle, gesellschaftliche und politische Folgen. Sie beeinflusst Gesundheit, Kriminalität, soziale Integration und Demokratievertrauen. Höheres Einkommen verbessert nur bis zu einem gewissen Punkt die Lebenszufriedenheit – danach wird die relative Position wichtiger. Empirische Forschung zeigt, dass Ungleichheit die politische Stabilität beeinträchtigen kann, insbesondere wenn sie als legitim wahrgenommen wird. Wahrnehmung sozialer Ungleichheit beeinflusst politische Einstellungen – oft sind Fehleinschätzungen über soziale Mobilität und Ungleichheit ausschlaggebend für die Unterstützung oder Ablehnung von Umverteilung. Wichtige Konzepte: Globale Ungleichheit: Einkommensunterschiede zwischen Ländern nehmen ab, aber innerhalb der Länder zu. Easterlin-Paradox: Mehr Einkommen steigert Zufriedenheit nur bis zu einer bestimmten Schwelle. Fahrstuhleffekt: Relativer sozialer Status beeinflusst Zufriedenheit stärker als absolutes Einkommen. Wilkinson & Pickett („The Spirit Level“) Theorie: Ungleichheit verstärkt gesellschaftliche Spaltungen und Statusängste. Median-Voter-Modell: Theoretisch sollte Ungleichheit zu mehr Umverteilung führen – empirisch oft nicht der Fall. Wachsende Ungleichheit als demokratisches Problem: Niedrigere Wahlbeteiligung, weniger Vertrauen in Institutionen. 7. Bevölkerung und Demografie: Fertilität 1. Bevölkerungsentwicklung Demografischer Übergang (Notestein 1945): o Gesellschaften entwickeln sich von hohen zu niedrigen Geburten- und Sterberaten. o Nach sinkender Sterblichkeit folgt mit Zeitverzögerung ein Rückgang der Geburtenrate. o In Industrieländern liegt die Fertilität oft unter dem Bestandserhaltungsniveau (2,1 Kinder pro Frau). 2. Geburtenentwicklung Messgrößen: o TFR (Total Fertility Rate): Durchschnittliche Kinderzahl pro Frau eines bestimmten Jahres. o CFR (Completed Fertility Rate): Tatsächliche Kinderzahl einer Generation (berechenbar erst nach abgeschlossenem Reproduktionsalter (wenn Mitglieder einer Kohorte keine Kinder mehr bekommen). Langfristige Entwicklung: o Erster Geburtenrückgang 1890–1915. o Zweiter Rückgang 1965–1975 (Pillenknick, veränderte Gesellschaftsstrukturen). Globale Trends: o Geburtenraten sind weltweit gesunken, Unterschiede zwischen Ländern verringern sich. o UN prognostiziert langfristige Angleichung knapp unter dem Bestandserhaltungsniveau. 3. Kinderzahl und Kinderlosigkeit Ursachen für sinkende Geburtenraten: Ökonomische Faktoren: Kinder sind ökonomische Güter – Entscheidung für Kinder ist rational. Opportunitätskosten steigen mit höherem Bildungsniveau der Frauen. Wirtschaftlicher Nutzen von Kindern sinkt in modernen Gesellschaften. Soziologische Faktoren: Wertewandel: Mutterschaft ist heute eine individuelle Entscheidung statt gesellschaftlicher Verpflichtung. Säkularisierung: Rückgang religiöser Normen, die hohe Kinderzahlen fördern. Sozialisation: Unterschiedliche Präferenzen für oder gegen Kinder durch Erziehung. (Mutterschaft als Frage von Präferenzen statt Verpflichtungen) 4. Der „Value of Children“ (VOC)-Ansatz (Hoffman & Nauck) Kombiniert ökonomische und psychologische Erklärungen: 1. Ökonomisch-utilitaristischer Nutzen: o Kinder als Arbeitskraft und Altersvorsorge (früher bedeutender als heute). 2. Psychologisch-affektiver Nutzen: o Emotionale Bindung und soziale Anerkennung durch Kinder. 5. Soziale, ökonomische und psychische Nutzen von Kindern (Nauck 2001) Ökonomisch: Kinder sichern das Einkommen der Familie in bestimmten Gesellschaften. Sozial: Kinder stabilisieren soziale Beziehungen, steigern gesellschaftliche Anerkennung. Psychisch: Emotionaler Nutzen steigt anfangs, erreicht aber schnell ein Sättigungsniveau. Ab einer bestimmten Anzahl kann der emotionale Gewinn sogar durch Stress, Zeitmangel und finanzielle Belastung ausgeglichen oder übertroffen werden 6. Fazit Der Rückgang der Geburtenrate lässt sich durch ökonomische, soziale und kulturelle Faktoren erklären. Höhere Bildung und steigende berufliche Chancen für Frauen führen zu weniger Kindern. Kinder haben in modernen Gesellschaften vor allem psychologischen und sozialen Wert, weniger wirtschaftlichen. Der „Value of Children“-Ansatz erklärt historische und bildungsbedingte Unterschiede in der Fertilität. 8.Bevölkerungsstruktur: Mortalität 1. Lebenserwartung und Sterbewahrscheinlichkeit Sterbetafel: Berechnet die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person eines bestimmten Alters vor dem nächsten Lebensjahr stirbt. Lebenserwartung: Durchschnittliche Anzahl verbleibender Jahre, die eine Person unter den aktuellen Sterblichkeitsverhältnissen zu leben hätte. Langfristige Entwicklung: o 1871: Lebenserwartung bei Geburt 36 Jahre (Männer) / 39 Jahre (Frauen). o 2018–2020: 78,2 Jahre (Männer) / 83 Jahre (Frauen). o Wachsender Anteil an Hochbetagten (80+), kein erkennbares „natürliches Maximum“ der Lebenserwartung. 2. Einflussfaktoren auf die Lebenserwartung Soziale und regionale Unterschiede: o Bildung, Einkommen, berufliche Stellung beeinflussen die Lebenserwartung. o Schlechtere Ernährung und Lebensstil (Rauchen, Alkohol, geringer konsum von Gemüse und Obst) verringern Lebenserwartung. o Deutschland steht im europäischen Vergleich schlechter dar wegen höherer Prävalenz von Risikofaktoren. (Rauchen, Übergewicht und körperlicher Inaktivität) Lebensbedingungen nach Schichtzugehörigkeit: Lebensbedingungen, v.a. Armut, Lebensstile, Arbeitsbedingungen, medizinische Versorgung, Teilweise: Selektionseffekt Geschlechtsspezifische Unterschiede: o Frauen leben ca. 5 Jahre länger als Männer. o Ursachen: Risikoverhalten, Gesundheitsvorsorge, biologische Faktoren (Hormone, Chromosomen). o Studien zeigen, dass soziale Faktoren entscheidender als biologische sind. Arbeitsbedingungen und Gesundheitsversorgung: o Physisch belastende oder unsichere Arbeitsbedingungen verkürzen die Lebenserwartung. o Zugang zu medizinischer Versorgung variiert nach sozialer Schicht. 3. Morbidität (Krankheitslast) und Todesursachen Epidemiologischer Übergang: o Früher: Hohe Kindersterblichkeit, Infektionskrankheiten als Haupttodesursache. o Heute: Chronische Krankheiten (Herz-Kreislauf, Krebs) dominieren. Methodische Probleme: o Totenscheine oft ungenau ausgefüllt, Krankheiten subjektiv wahrgenommen. 4. Übersterblichkeit durch die Covid-19-Pandemie Deutlich erhöhte Sterblichkeit, vor allem bei über 70-Jährigen. 1. Welle: Besonders betroffen waren Baden-Württemberg und Bayern. 2. Welle: Stärkerer Effekt in Ostdeutschland (z. B. Sachsen). Vergleich mit früheren Epidemien: o Grippewelle 2017/18 verursachte nur etwa halb so viele Todesfälle. o Lebenserwartung sank weltweit, aber in Deutschland moderat (ca. 5,7 Monate). Fazit: Lebenserwartung steigt langfristig, aber soziale Faktoren (Bildung, Einkommen, Lebensstil) haben starken Einfluss. Frauen leben länger als Männer, hauptsächlich durch Verhaltens- und Lebensstilunterschiede. Chronische Krankheiten dominieren als Todesursachen, während früher Infektionskrankheiten führend waren. Covid-19 hat das Sterbegeschehen kurzfristig stark beeinflusst, aber langfristige Effekte bleiben abzuwarten. 9.Bevölkerungsstruktur: Haushalte, Familien und Lebensformen Definitionen und Konzepte Haushalt: Personen, die zusammen wohnen und wirtschaften. o Privathaushalte: Ein- oder Mehrpersonenhaushalte. o Mikrozensus-Definition: Untermieter und Mitbewohner in Wohngemeinschaften zählen nicht mit. SCIP Projekt Definition Haushalt: Definition eines Haushalts weit gefasst, schließt jedoch bestimmte Gruppen aus (z.B. Studierende mit Zweitwohnsitz oder Gefängnisinsassen). Zentrale Bedingung für die Zugehörigkeit zu einem Haushalt ist, dass die Person die Unterkunft regelmäßig nutzt oder keine andere feste Wohnmöglichkeit hat. Lebensformen: Stabile Beziehungsmuster, z. B. Ehe, nichteheliche Lebensgemeinschaften, Alleinerziehende, Alleinlebende. Familie (statistisch): Jede Eltern-Kind-Gemeinschaft, unabhängig von Ehe oder Geschlecht. 2. Entwicklung der Haushalte in Deutschland Zahl der Haushalte seit 1871 gestiegen (von ca. 9 Mio. auf 40 Mio.). Durchschnittliche Haushaltsgröße gesunken (von knapp 5 auf 2 Personen). 40% aller Haushalte sind Einpersonenhaushalte. Westdeutschland-Trends: o Mehr Alleinlebende, auch unter Jüngeren. o Mehr nichteheliche Lebensgemeinschaften (NEL). o Mehr Alleinerziehende. o Weniger Menschen leben mit Partner und Kindern. Wichtige Differenzierung bei der These der Pluralisierung der Lebensformen o Neue Lebensformen sind aufgetreten (z.B. Regenbogenfamilien o Hat sich die Verteilung der Individuen auf existierende Lebensformen verändert, so dass bestimmtes Modell an Dominanz verliert? 3. Ursachen für Veränderungen in Haushalts- und Lebensformen Steigender Wohlstand → Mehr finanzielle Unabhängigkeit, weniger auf Familienstrukturen angewiesen. Höhere Bildung → Späterer Familienstart, veränderte Lebenspläne. Wachsende Arbeitsmarktintegration, v. a. von Frauen → Mehr wirtschaftliche Unabhängigkeit, neue Beziehungsmodelle. Wertewandel → Höhere Akzeptanz für alternative Lebensformen. 4. Erfassung und Statistik Mikrozensus: o Befragt 1% aller Privathaushalte. o Seit 2017 verpflichtende Erfassung von Lebenspartnerschaften. Lebensformen werden erfasst nach: o Haushaltsgröße o Anwesenheit von Kindern o Institutionalisierungsgrad (Ehe, NEL, Alleinerziehend). o Lebensformkonzept wird nach zwei Achsen erfasst: Elternschaft und Partnerschaft: Haushaltsbefragung in den eigenen „vier Wänden“ => Eltern- Kind-Beziehungen die über Haushaltsgrenzen gehen werden nicht betrachtet 5. Partnerschaften und Bildungsstand Höherer Bildungsstand korreliert mit stabileren Partnerschaften. Akademiker heiraten häufiger untereinander („Bildungshomogamie“). Gleichgeschlechtliche Paare haben stärkere soziale Netzwerke außerhalb der Familie, insbesondere innerhalb der LGBTQ+ Community 6. Veränderungen in Ehe und Familie „Zerfall der Familie“? o Begriff ist ungenau, da die klassische Kleinfamilie nur ein begrenztes historisches Phänomen war („Golden Age of Marriage“ in den 1950er/60er Jahren). o Seither starke Veränderungen durch: ▪ Trennung von Haushalt und Produktion. ▪ Romantische Liebe als Grundlage für Ehe ▪ Emanzipation der Frau. ▪ Sinkende Geburtenzahlen. Eheschließungen und Scheidungen: o Zahl der Eheschließungen seit den 1960er Jahren rückläufig. o Höheres Heiratsalter. o Zahl der Scheidungen liegt in vielen Jahren über der Zahl der Eheschließungen. 7. Einstellungen zu Ehe, Familie und Kindern Einstellungen zu Familie bleiben positiv, aber nicht mehr zwingend mit Ehe verbunden. Kinder und Lebenszufriedenheit: o „Set-Point-Theorie“: Kinder erhöhen kurzfristig die Lebenszufriedenheit, aber nicht dauerhaft. o Hohe Erwartungen an Elternschaft, aber auch hohe wirtschaftliche und soziale Kosten. Wichtiger Faktor für Familiengründung: o Partnerlosigkeit als zentrales Hindernis („Availability Ratio“). o Frauen haben nach Geburtenanstieg schlechtere Chancen, einen Partner zu finden. Fazit Pluralisierung der Lebensformen: Mehr Vielfalt, aber nicht unbedingt „Zerfall“ traditioneller Strukturen. Familie bleibt ein zentrales Lebensziel, aber konkurriert mit Beruf und Unabhängigkeit. Sozioökonomische Faktoren (Bildung, Arbeitsmarkt, Wohlstand) beeinflussen Haushalts- und Familienstrukturen maßgeblich. Wandel der Ehe und Partnerschaften durch gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel. 10.Migration und Integration 1. Migration nach Deutschland Deutschland ist ein Einwanderungsland mit hohem Wanderungssaldo. 2022: Höchster Wanderungssaldo seit 1950, 2023 rückläufig. Herkunftsländer: v. a. Ukraine und Europa. Wenige Hochqualifizierte wandern zu Erwerbszwecken ein. 2. Theoretische Modelle der Migration Makroökonomische Modelle (Massey et al. 1999) Lohnunterschiede zwischen Herkunfts- und Zielland sind entscheidend für Migration. Arbeitskräfteangebot und -nachfrage beeinflussen Wanderungsbewegungen. Aber: Viele Migranten ziehen in andere Entwicklungsländer, nicht nur in reiche Länder. Mikroökonomische Modelle Migration basiert auf individuellen Kosten-Nutzen-Abwägungen. Neben Einkommen zählen psychische Kosten, Spracherwerb und Integration. Aber: Hoher Anteil der Migranten kehrt wieder zurück (Remigration). New Economics of Migration Migration ist oft eine Entscheidung auf Familienebene, nicht nur individuell. Haushalte minimieren Risiken, indem einzelne Mitglieder migrieren und Geld (Remittances) zurücksenden. Aber: Migration hält oft an, auch wenn der ursprüngliche Grund (z. B. Arbeitsmangel) entfällt. Remigration ist Normalität und reflektiert Erfolg und nicht Ergebnis enttäuschter Erwartungen Migranten sind „Target Earners“ sie migrieren um Marktversagen in den Herkunftsländern zu kompensieren und remigrieren, sobald sie ihr Ziel erreicht haben Migrationsnetzwerke Kontakte zu Familien und Freunden in Zielländern erleichtern Migration. Netzwerke senken Kosten und Risiken und steigern die Migrationsanreize. Migration verstetigt sich, da sich soziale und wirtschaftliche Bindungen entwickeln. Wachsende Kontakte zwischen Migranten und Nicht-Migranten steigern Migration weiter. Drei Hauptfaktoren: Höhere Migrationsanreize: Veränderte Erwartungen, Ungleichheitswahrnehmung. Höhere Migrationserträge: Bessere Jobchancen, Geldtransfers (Remittances). Geringere Migrationskosten/-risiken: Weniger finanzielle und psychische Belastung. 3. Integration: Konzepte und Herausforderungen Integration bedeutet die Teilhabe von Einwanderern an Symbolen, Netzwerken und Statussystemen des Aufnahmelandes. Assimilationstheorie: Angleichung der Merkmalsverteilung von Mehrheit und Minderheit (z. B. Bildungserfolg, Sprachkenntnisse). Integration unterscheidet sich stark zwischen Gruppen: o Erwerb der Sprache, Arbeitsmarktintegration, soziale Kontakte. o Kulturelle und wirtschaftliche Ressourcen der Herkunftsgruppe sind wichtig. o Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung im Zielland wirken hemmend. Bestimmungsfaktoren der Integration 1. Individuelle Merkmale (Mikroebene): Bildung, Sprachkenntnisse, Motivation. 2. Gruppenmerkmale (Mesoebene): Netzwerke, wirtschaftliche Ressourcen. 3. Aufnahmegesellschaft (Makroebene): Gesetze, Diskriminierung, öffentliche Meinung. Arbeitsmarktintegration Migranten haben oft schwierigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Bildungsabschlüsse aus dem Ausland werden nicht immer anerkannt. Gruppen mit besserer Bildungsbasis haben bessere Chancen. 4. Rechtliche Rahmenbedingungen und Staatsbürgerschaft Bestimmungsfaktoren im Aufnahmeland: Einbürgerungspolitik und Nationale Identität, Integrationsangebote (z.B. Sprachkurse), Generische Politiken (Arbeitsmarktpolitik, Wohnungspolitik, Bildungspolitik, Sozialpolitik) Zwei Prinzipien der Staatsbürgerschaft: o Ius soli (Geburtsortprinzip): Staatsbürgerschaft durch Geburt im Land (z. B. USA). o Ius sanguinis (Abstammungsprinzip): Staatsbürgerschaft durch Abstammung (z. B. Deutschland, bis Reformen). Nationale Identität beeinflusst Integration: o Offene Einwanderungsländer (Kanada, USA) vs. kulturell geprägte Nationalkonzepte (Deutschland, Osteuropa). o Strengere Einbürgerungsregeln erschweren Integration. 5. Die Rassismusdebatte und Integration Diskriminierung kann soziale Ungleichheiten verstärken, obwohl messbare Effekte in Deutschland gering sind. „Struktureller Rassismus“: Ungleichheiten, die in Gesetzen, Institutionen und Gesellschaft eingebettet sind. „Integrationsparadox“: Höher gebildete Migranten nehmen mehr Diskriminierung wahr, weil sie höhere Gleichbehandlungsansprüche haben. Diskriminierung betrifft nicht nur ethnische Herkunft, sondern auch Faktoren wie Geschlecht und Religion. Fazit Migration nach Deutschland ist hoch, Integration aber herausfordernd. Arbeitsmarktintegration ist oft schwierig, abhängig von Bildung und Netzwerken. Soziale und rechtliche Rahmenbedingungen beeinflussen Integration stark. Migrationsnetzwerke erleichtern Zuzug, können aber auch Isolation verstärken. Diskriminierung existiert, hat aber komplexe Auswirkungen auf Integration und Wahrnehmung.

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