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Universität Heidelberg

2024

Prof. Dr. Jale Tosun

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European Union law European Union EU Political science

Summary

This document provides an overview of the foundations of the European Union, focusing on the Court of Justice of the European Union. The document includes details on the court's structure, functions, and procedures. It also covers topics such as decision-making, the role of member states, and the court's impact on European Union politics.

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Grundlagen der Europäischen Union Gerichtshof der Europäischen Union 12.11.2024 Prof. Dr. Jale Tosun Sitzungsplan Merkmale Aufgaben Aktivitätenprofil Benennung und Zusammensetzung Beschlussverfahren Aufbau und Arbeitsweise Politischer Einfluss Fazit Literaturv...

Grundlagen der Europäischen Union Gerichtshof der Europäischen Union 12.11.2024 Prof. Dr. Jale Tosun Sitzungsplan Merkmale Aufgaben Aktivitätenprofil Benennung und Zusammensetzung Beschlussverfahren Aufbau und Arbeitsweise Politischer Einfluss Fazit Literaturverzeichnis https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/europa/wie- funktioniert-europa/der-europaeische-gerichtshof 2 Merkmale Der Gerichtshof der Europäischen Union (nachfolgend GEU) hat seinen Sitz in Luxemburg Dieses Organ wurde 1952 gründet und hat die Aufgabe, „die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung“ (Art 19. EUV) der Verträge zu sichern Wird sowohl als eine supranationale wie auch eine intergouvernementale Organisation verstanden 3 Merkmale Der Gerichtshof ist: – Verfassungsgericht, welches das Verhältnis zwischen den EU-Institutionen klärt – Verwaltungsgericht, das die Legalität von Entscheidungen, die in Verwaltungen getroffen werden überprüft – Revisionsinstanz gegenüber Urteilen des Gerichts 4 Merkmale Der GEU besteht aus zwei Gerichten: – dem Gerichtshof – dem Gericht (errichtet 1988 als ‚Gericht erster Instanz‘; seit dem Vertrag von Lissabon nur noch ‚Gericht‘; Aufwertung zu einer eigenständigen Rechtsprechungsinstitution mit dem Vertrag von Nizza) – Bis 2016 gab es zudem noch das Gericht für den öffentlichen Dienst (errichtet 2004) Seit dem Vertrag von Lissabon gibt es neben dem GEU auch permanente gerichtliche (Fach-)Kammern 5 Merkmale Generell hat der Vertrag von Lissabon den GEU gestärkt, vor allem dadurch, dass dessen Rechtsprechungskompetenzen bezogen auf weitere Politikfelder und die Grundrechte-Charta erweitert wurden Ähnlich wie der Europäische Rat hat der GEU seine Position im EU-Institutionengefüge selber mitgestaltet – vor allem durch wegweisende Urteile (insbesondere die Rechtsprechung zum Vorrang des EU-Rechts gegenüber nationalem Recht und zur unmittelbaren Wirkung des EU-Rechts) 6 Merkmale Wie ist die Aufgabenverteilung zwischen dem Gerichtshof und dem Gericht geregelt? „Das Gericht ist für Entscheidungen im ersten Rechtszug über die in den Artikeln 263, 265, 268, 270 und 272 genannten Klagen zuständig, mit Ausnahme derjenigen Klagen, die einem nach Artikel 257 gebildeten Fachgericht übertragen werden, und der Klagen, die gemäß der Satzung dem Gerichtshof vorbehalten sind. In der Satzung kann vorgesehen werden, dass das Gericht für andere Kategorien von Klagen zuständig ist.“ (Artikel 256 AEUV) 7 Merkmale Der GEU kann von einem Mitgliedstaat, einem Organ der EU sowie von unmittelbar und individuell betroffenen natürlichen (jede Bürgerin und jeder Bürger) und juristischen Personen angerufen werden „Gegen die Entscheidungen des Gerichts kann nach Maßgabe der Bedingungen und innerhalb der Grenzen, die in der Satzung vorgesehen sind, beim Gerichtshof ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel eingelegt werden“ (Artikel 256 (1) AEUV) 8 Merkmale Der GEU kann Zwangsgelder und Pauschalbeträge verhängen, wenn Mitgliedstaaten vorausgegangene Urteile nicht umsetzen Zwangsgelder betreffen den Zeitraum nach der Urteilsverkündung durch tägliche Sanktionen bis zur Abstellung der gegebenen Vertragsverletzung Pauschalen sanktionieren den Zeitraum vor der Urteilsverkündung Das ist auch das einzige Instrument, welches er einsetzen kann, denn er ist auf freiwillige Beachtung der ergangenen Urteile angewiesen 9 Merkmale In internationalen Verträgen wie dem zur Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus kommen dem GEU Kompetenzen zu https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/e schiedsgerichte-unionsrecht-autonomie/ ugh-gutachten-1-17-ceta-abkommen- 10 Aufgaben Verfassungsgericht: Klärt Streitigkeiten zwischen den EU- Organen und kontrolliert die Rechtmäßigkeit der EU- Gesetzgebung Verwaltungsgericht: Überprüft, ob die Verwaltungsvorschriften und das Verwaltungshandeln der EU-Kommission und der Behörden der Mitgliedstaaten mit dem EU-Recht vereinbar sind Arbeits- und Sozialgericht: Entscheidet bei Fragen, die die Freizügigkeit, die soziale Sicherheit der Arbeitnehmer und die Gleichbehandlung von Mann und Frau im Arbeitsleben betreffen 11 Aufgaben Strafgericht: Überprüft die Bußgeldentscheidungen der EU-Kommission Zivilgericht: Urteilt unter anderem bei Schadensersatzklagen 12 Aufgaben Vertragsverletzungsverfahren (Art. 258-260 AEUV): Dient der Überwachung des Verhaltens der Mitgliedstaaten Nichtigkeits- und Anfechtungsklagen (Art. 263-364 AEUV): Dient der Überwachung der Rechtmäßigkeit des Handelns von EU-Organen Untätigkeitsklagen (Art. 265 AEUV): Soll EU-Organe zum Handeln auffordern 13 Aufgaben Vorabentscheidungsverfahren bzw. Vorlageverfahren (Art. 267 AEUV): Dient der Klärung über die Auslegung der Verträge sowie über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union Gutachten zur Vereinbarkeit einer geplanten Übereinkunft der EU mit Drittstaaten bzw. internationalen Organisationen mit den EU-Verträgen (Art. 218 AEUV)  Belgien hatte um ein Gutachten gebeten, ob der Streitschlichtungsmechanismus des CETA-Abkommens mit EU-Recht vereinbar ist 14 Beispiel für eine Entscheidung 15 Aufgaben Quelle: Wessels (2018: 9) 16 Aktivitätenprofil https://curia.europa.eu/jcms/jcms/P_80908/de/ 17 Aktivitätenprofil https://curia.europa.eu/jcms/jcms/P_80908/de/ 18 Aktivitätenprofil Die Rechtssachen und Urteile haben seit 1990 deutlich zugenommen; ein Großteil der Klagen ergeht im Zusammenhang mit Vertragsverletzungsklagen Interessant ist, dass Untätigkeitsklagen selten sind – vgl. hierzu die Diskussion um „Subsidiarität“ in der EU Ein Zwangsgeld ist zum ersten Mal 2000 gegen Griechenland erlassen worden Ein Pauschalgeld ist zum ersten Mal 2005 gegen Frankreich erlassen worden 19 Aktivitätenprofil Dieser Zeitungsartikel ist aus dem Jahr 2000 – die Verurteilung von Griechenland erfolgte bereits 1992 https://taz.de/Griechen-muessen- zahlen/!1224521/ 20 Aktivitätenprofil https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtsc haftspolitik/frankreich-kleine-fische-teuer- bezahlt-1254952.html 21 Exkurs: Subsidiarität Es geht hierbei um die Klärung der Frage, unter welchen Umständen die EU befugt ist, vor den Mitgliedstaaten tätig zu werden Dieses Prinzip schließt ein Tätigwerden der EU aus, wenn eine Angelegenheit auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene wirksam durch die Mitgliedstaaten geregelt werden kann Durch den Vertrag von Lissabon wurde das Subsidiaritätsprinzip in Artikel 5 Absatz 3 EUV verankert Die nationalen Parlamente sorgen dafür, dass das Subsidiaritätsprinzip eingehalten wird („Frühwarnsystem“) 22 Aktivitätenprofil Ein Beispiel für eine politisch sehr einflussreiche Vorabentscheidung bezieht sich auf das Instrument der „vorbehaltlosen geldpolitischen Geschäfte“ (unbeschränkte Ankäufe von Anleihen von Euro-Staaten), welche die Europäische Zentralbank (EZB) im Zusammenhang mit der Eurokrise tätigen wollte; das Bundesverfassungsgericht ging davon aus, dass die EZB über ihr Mandat hinaus handeln würde und wendete sich daher an den GEU; dieser urteilte, dass das Instrument mandatskonform sei; das Bundesverfassungsgericht schloss sich dann dieser Sichtweise an https://www.wiwo.de/my/politik/europa/ezb-wer-folgt-auf-draghi/22637372.html?ticket=ST- 5150335-7GfegUfIoefGPFHiJ3WP-ap6 23 Benennung und Zusammensetzung Die Regierungen jedes Mitgliedstaates benennen im gegenseitigen Einvernehmen die Richterinnen und Richter, die jeweils für sechs Jahr benannt werden; eine Wiederwahl ist möglich Die Voraussetzung für die Nominierung ist die Befähigung für die Ausübung der höchsten richterlichen Ämter im Ursprungsland und die Gewähr der Unabhängigkeit Die Richterämter werden zeitlich versetzt alle drei Jahre neu besetzt 24 Benennung und Zusammensetzung Die GEU-Richterinnen und -Richter wählen aus ihrer Mitte eine Präsidentin bzw. einen Präsidenten für jeweils drei Jahre; eine Wiederwahl ist zulässig Die Präsidentin steht der Verwaltung vor Es gibt einen Ausschuss, der die Stellungnahme zur Eignung der Bewerber verfasst 25 Benennung und Zusammensetzung 26 Benennung und Zusammensetzung https://curia.europa.eu/jcms/jcms/Jo2_7026/de/ 27 Aufbau und Arbeitsweise Achtung: Denken Sie daran, dass sich wegen des Brexits die Zusammensetzung geändert hat Quelle: Wessels (2018: 21) 28 Politischer Einfluss Cassis-de-Dijon-Entscheidung (1979) Grundsatz des europäischen Binnenmarkts Zentrales Merkmal: Eine Ware, die in einem EU- Mitgliedstaat nach den dortigen Vorschriften rechtmäßig hergestellt wurde, darf auch in jedem anderen Land der EU verkauft werden, selbst wenn im Importland andere Anforderungen bestehen Nach Scharpf (2008) entsteht hieraus ein „regulativer Wettbewerb“, bei dem zwischen Produkten, die nach unterschiedlichen Standards hergestellt wurden, ausgewählt werden kann 29 Politischer Einfluss Alter und Meunier-Aitsahalia (1994) haben sich mit dem Urteil auseinandergesetzt sowie mit dessen Interpretation als „Erneuerung“ des Integrationsprozesses Die Autorinnen argumentieren, dass die Bedeutung des Urteils darin zu sehen ist, dass die Kommission einen Gegenentwurf zur wechselseitigen Anerkennung auf den Weg gebracht hat: eine Harmonisierungsagenda Dieser neue Zugang zur EU-Integration hat zur Mobilisierung vieler verschiedener Gruppen geführt, was dann zu einer Politisierung von Integration und im Endeffekt dadurch dann zu mehr Integration geführt hat 30 Politischer Einfluss Einflussreiches neofunktionalistisches Argument: Integration durch Rechtsprechung (z.B. im Bereich der Gleichstellung der Geschlechter) Der GEU kann die politische Natur seiner Urteile „maskieren“ und seine Entscheidungen vor einer politischen Auseinandersetzung „schützen“ Burley und Mattli (1993): ‘law as a mask and shield’ Blauberger und Martinsen (2020) argumentieren, dass Maske und Schild nur bei bestimmten Konstellationen eingesetzt werden… 31 Politischer Einfluss Politisierung durch die Öffentlichkeit Nein Ja Nein Permissiver Recht bzw. Konsens (Mobilität/ Rechtsprechung als Absicherung von Maske EU-Arbeitskräften) (Subventionen) Widerstand der Regierungen Ja Recht bzw. Ablehnender Rechtsprechung als Konsens Schild (Sozialleistungen (Freizügigkeit) für Migranten) Eigene Abbildung nach Blauberger und Sindbjerg Martinsen (2020: 387) 32 Politischer Einfluss Die Gerichtsurteile bieten strategische Ausgangs- oder Anknüpfungspunkte für integrationsfreudige EU-Organe wie insbesondere die Kommission In der Vergangenheit hat sich die Kommission beispielsweise auf die Urteile des GEU berufen, um ihre Liberalisierungsagenda voranzutreiben Die freiwillige Befolgung der Urteile des GEU werden von Blauberger und Schmidt (2017) als ein Zeichen dafür angesehen, dass dieses Organ großen politischen Einfluss hat – ansonsten würden die Mitgliedstaaten die Urteile nicht umsetzen 33 Institutioneller Einfluss Es gibt Forschung, die zeigt, dass nationale Gerichte zunehmend mit dem GEU zusammengearbeitet haben und auf diese Weise die institutionelle Hierarchie in den Ländern eine Veränderung erfahren hat (Judicial Empowerment of Low-level courts) Allerdings hat diese Kooperationsform dazu geführt, dass die höheren Gerichte daraufhin verstärkt das Gespräch mit dem GEU gesucht haben, um die Hierarchie wieder herzustellen (Pavone und Kelemen 2019) 34 Vertrauen in den GEU Conart (2020) 35 Fazit Der GEU ist eine einzigartige Organisation, weil er die Judikative eines Staatenverbundes darstellt Die Schaffung des Binnenmarktes bzw. die Vertiefung der EU wäre ohne das GEU nicht möglich gewesen Der GEU ist auch ein politischer Akteur – nicht nur nachträglich (z.B. im Rahmen von Vertragsverletzungsverfahren), sondern auch vorab (z.B. im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens) Besonders bemerkenswert ist, dass der GEU keine Durchsetzungs- bzw. Sanktionsmittel hat, um zu gewährleisten, dass seine Rechtsprechung auch umgesetzt wird 36 Fazit Die Mitgliedstaaten setzen die Urteile jedoch freiwillig um, was die Legitimität des GEU zum Ausdruck bringt Damit der GEU tätig werden kann, ist ein politisches Interesse daran notwendig 37 Literaturverzeichnis Alter, K. J., & Meunier-Aitsahalia, S. (1994). Judicial politics in the European Community: European integration and the pathbreaking Cassis de Dijon decision. Comparative Political Studies, 26(4), 535-561. Blauberger, M., & Kelemen, R. D. (2017). Can courts rescue national democracy? Judicial safeguards against democratic backsliding in the EU. Journal of European Public Policy, 24(3), 321-336. Blauberger, M., & Martinsen, D. S. (2020). The Court of Justice in times of politicisation: ‘law as a mask and shield’ revisited. Journal of European Public Policy, 27(3), 382-399. Blauberger, M., & Schmidt, S. K. (2017). The European Court of Justice and its political impact. West European Politics, 40(4), 907-918. Bundesregierung (ohne Datum). Der Europäische Gerichtshof. https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/europa/wie-funktioniert-europa/der-europaeische- gerichtshof Burley, A.-M., & Mattli, W. (1993). Europe before the Court: A political theory of legal integration. International Organization, 47(1), 41–76. Conant, L. (2021). The Court of Justice of the European Union. In: Riddervold, M., Trondal, J., Newsome, A. (eds) The Palgrave Handbook of EU Crises. Palgrave Studies in European Union Politics. Palgrave Macmillan, Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-030-51791-5_15 Pavone, T., & Kelemen, R. D. (2019). The evolving judicial politics of European Integration: The European Court of Justice and national courts revisited. European Law Journal, 25(4), 352-373. Scharpf, F. W. (2008). Negative und positive Integration. In Die politische Ökonomie der europäischen Integration (pp. 49-87). Campus Verlag. Wessels W. (2018) Der Gerichtshof der Europäischen Union. In: Das Politische System der Europäischen Union. Springer Reference Sozialwissenschaften. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-10690-4_7-2 38

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