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This document is a research paper on school quality and effectiveness, providing a historical overview and discussion of theoretical models, key research themes in the field. It is suitable for postgraduate students and researchers in educational sciences.

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Schulqualitätsforschung Katharina Maag Merki Inhalt 1 Einleitung..................................................................................... 1 2 Anfänge der Schulqualitäts- und der Schuleffektivitätsforschung.......................... 2 3 Begriffliche Klärung und theoretische Modelle........

Schulqualitätsforschung Katharina Maag Merki Inhalt 1 Einleitung..................................................................................... 1 2 Anfänge der Schulqualitäts- und der Schuleffektivitätsforschung.......................... 2 3 Begriffliche Klärung und theoretische Modelle.............................................. 4 4 Forschungsstand bezüglich wichtiger Themen.............................................. 11 5 Ausblick....................................................................................... 18 Literatur........................................................................................... 18 Zusammenfassung In diesem Beitrag wird in einem ersten Teil das Konzept der Schulqualität und Schuleffektivität historisch verortet und theoretisch definiert. Im zweiten Teil werden zentrale Forschungsfragen und aktuelle Befunde exemplarisch vorgestellt sowie relevante Forschungsdesiderata skizziert. Der Beitrag schliesst mit einem Ausblick. Schlüsselwörter Schulqualität · Schuleffektivität · Schule als pädagogische Handlungseinheit · Angebot-Nutzungsmodelle · Dynamic Model of Educational Effectiveness 1 Einleitung Schulqualitätsforschung ist seit den 1960er-Jahren ein zentrales Forschungsfeld zur Analyse der Fragen, ob Schulfaktoren bedeutsam sind für das Lernen der Schüler*in- nen, und wenn ja, welches die zentralen Faktoren sind, die Unterschiede in den Lernergebnissen der Schüler*innen erklären können, wie diese theoretisch verstanden K. Maag Merki (*) Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Zürich, Zürich, Schweiz E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021 1 T. Hascher et al. (Hrsg.), Handbuch Schulforschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24734-8_22-1 2 K. Maag Merki sowie empirisch erfasst werden können. Letztlich geht es um die Frage, was gute Schulen auszeichnet. Oftmals wird Schulqualitätsforschung zusammen mit Schulent- wicklungsforschung diskutiert, da sie als eng miteinander verflochten und aufeinander bezogen wahrgenommen werden, deutlich sichtbar beispielsweise in der international relevanten Zeitschrift „School Effectiveness and School Improvement“ (https://www. tandfonline.com/toc/nses20/current). Werden die Genese der jeweiligen Forschungs- diskurse, die theoretischen Grundlagen oder die methodologischen Ansätze und empirischen Studien in diesen beiden Forschungsgebieten aber genauer unter die Lupe genommen, so kann festgestellt werden, dass neben dem gemeinsamen Blick auf den Gegenstand „Schule“ deutlich getrennte theoretische und empirische Forschungs- ansätze oder Fragestellungen erkennbar werden, deren Verknüpfung hohe Anfor- derungen an Theorie und Empirie stellt (Feldhoff et al. 2014; Klieme 2016). Aller- dings haben sich die beiden Forschungsbereiche immer wieder gegenseitig beeinflusst (Fend 2016; Klieme 2016; Steffens 2017; Steffens und Bargel 2016). Im ersten Kapitel sollen die wichtigsten historischen Entwicklungen des Erkennt- nisprozesses für die Schulqualitäts- und Schuleffektivitätsforschung präsentiert und wichtige Forschungslinien herausgearbeitet werden. Darauf aufbauend werden in Abschn. 3 die zentralen Konzepte und theoretischen Modelle skizziert und verglei- chend analysiert. In Abschn. 4 werden exemplarisch wichtige Forschungsfragen in der aktuellen Diskussion sowie Forschungsdesiderata und mögliche weiterführende Forschungsfragen vorgestellt. Eine abschliessende Bilanz erfolgt in Abschn. 5. 2 Anfänge der Schulqualitäts- und der Schuleffektivitätsforschung Die Bearbeitung von Fragen nach der Qualität von Schulen hat im deutschsprachi- gen Raum in den 1970er-Jahren mit den Arbeiten von Helmut Fend (1977) ihren Anfang genommen – siehe hierzu auch das Zeitzeugengespräch mit Helmut Fend, durchgeführt von Mattes und Reh (2019). In seinem Buch „Schulklima: Soziale Einflussprozesse in der Schule“ (Fend 1977) nimmt er das „Innenleben“ einer Schule aus einer sozialisationstheoretischen Perspektive in den Blick und untersucht, inwiefern schulische Prozessvariablen wie Disziplindruck, restriktive Kontrolle, Mitbestimmungsmöglichkeiten oder Beziehungen zwischen Schüler*innen und Lehrpersonen mit der Leistungsbereitschaft, dem Selbstbewusstsein oder dem Sozi- alverhalten der Schüler*innen in einem Zusammenhang stehen. Zentral sind somit die psychosozialen Wirkungen von Schule als institutionalisierte Sozialisations- instanz. Auch die nachfolgenden Publikationen von Fend waren für die deutsch- sprachige Schulqualitätsforschung wegweisenden: die systemvergleichenden Ana- lysen zur Gesamtschule in Deutschland (Fend 1982) und die Analysen von guten und schlechten Schulen (Fend 1986), je basierend auf grossen Schulstichproben. Empirisch hat sich dabei gezeigt, dass die Unterschiede zwischen Schulen innerhalb eines Systems (z. B. Gesamtschulsystem) grösser sind als die Unterschiede zwischen den Systemen (z. B. Gesamtschulsystem vs. dreigliedriges System). Als Ergebnis Schulqualitätsforschung 3 etablierte sich ein Verständnis von „Schule als pädagogische Handlungseinheit“, wobei Schulen verstanden werden als „gemeinschaftliche Problemlösezusammenhänge, Versuche der gemeinsamen Lösung von Aufgaben des Lehrens und der Verständigung mit der heranwachsenden Generation, sie sind aktive, gemeinschaftlich gestützte oder beeinträchtigte Auseinandersetzungen mit den vor- handenen Ressourcen einer Schule, den gegebenen Organisationsmerkmalen“ (ebd. S. 275). Zusammen mit dem „Arbeitskreis Qualität von Schule“, gegründet in den 1980er- Jahren von Ulrich Steffens und Timo Bargel (Steffens 2007, 2017; Steffens und Bargel 1993), ist dieses Verständnis von Schule in vielen Studien aufgenommen und weiterentwickelt worden. Der Blick auf die aktuellen Theorien und empirischen Befunde bekräftigen zudem diese Perspektive auf Schule, da die Bedeutung der Einzelschule für das fachliche und überfachliche Lernen der Schüler*innen in den aktuellen komplexen Theoriemodellen (vgl. z. B. Creemers und Kyriakides 2008) repräsentiert und empirisch bestätigt worden ist: Unterschiede zwischen den Leis- tungsergebnissen können auch unter Kontrolle von individuellen Einflussfaktoren sowie des Unterrichts zu einem systematischen Anteil durch Unterschiede zwischen Schulen erklärt werden (vgl. z. B. Klieme 2016). Allerdings ist die aktuelle Schulqualitätsforschung nicht nur geprägt durch den deutschsprachigen Diskurs, sondern auch durch die Forschungsentwicklungen im anglo-amerikanischen Bereich. Die entsprechenden Analysen gehen bereits in die 1960er-Jahre zurück, als die Ergebnisse der soziologischen Studie von Coleman et al. (1966) präsentiert wurden, dies basierend auf Untersuchungen in 4000 (!) öffentlichen Schulen in den USA mittels Fragebögen für Lehrpersonen, Schullei- tungen und sog. „district superintendents“ sowie Befragungen und Leistungstests bei den Schüler*innen in der 3., 6., 9. und 12. Klasse (total wurden mehr als 645.000 Schüler*innen untersucht!). Im Zentrum der Schuleffektivitätsforschung standen allerdings nicht die psycho- sozialen, sondern die leistungsbezogenen Wirkungen von Schulen. Wesentliche Frage war zudem jene nach der Segregation von Bildungsangeboten für unterschied- liche Gruppen von Schüler*innen und inwiefern Schulen einen Beitrag zur Reduk- tion von Bildungsungleichheiten leisten können. In ersten Studien (Coleman et al. 1966; Jencks et al. 1972) wurde somit untersucht, inwiefern Unterschiede in den Leistungen der Schüler*innen unter Kontrolle von individuellen Merkmalen der Schüler*innen, insbesondere des familiären Bildungshintergrundes, durch Unter- schiede in Schulen erklärt werden können und durch welche Merkmale sich „effek- tive“ Schulen auszeichnen, die gemessen an den sozialen und kognitiven Eingangs- voraussetzungen überdurchschnittlich gute Leistungen erbringen. Die in hohem 1 Wesentliches Ergebnis der Analysen von Coleman und Kollegen (1966) war allerdings, dass Schulen einen wesentlichen Einfluss auf das Lernen von „Negro Students“ haben: „Notable among the findings on the survey are that negro students and teachers are largely and unequally segregated from their white counterparts, and that the average minority pupil achieves less and is more affected by the quality of his school than the average white pupil“ (Abstract). 4 K. Maag Merki Maße kritische Sicht bezüglich der Bedeutung von Schule für die Leistungen der Schüler*innen – dies insbesondere für „weiße“ Schüler*innen (Coleman et al. 1966)1 – wurde durch nachfolgende Studien, die explizit auch aus einer erziehungs- wissenschaftlichen Perspektive unter Berücksichtigung komplexerer theoretischer Modelle und Forschungsdesigns durchgeführt wurden, relativiert. So schreiben Brookover et al. (1979) bereits im Titel „Schools can make a difference“ und Rutter et al. (1979) konnten aufzeigen, dass das, was in der Schule passiert, be- schrieben als „Ethos der Schule“, je nach Schule variiert und mit dem Lernen der Schüler*innen in einem systematischen Zusammenhang steht. Dabei schreiben sie: „For a dozen years during their formative period of development, children spend as many of their working hours at school as at home – some 15,000 hours in all. To suggest that this tremendous amount of time has no effect on development seems irrational“ (Buchrücken). Als bedeutsame nächste Frage war dann zu klären, welche Faktoren besonders zentral sind und wie diese theoretisch konzipiert werden können. In zahlreichen Forschungsstudien wurden in der Folge lange Listen lerneffektiver Faktoren heraus- destilliert, wobei neben den Einflussfaktoren auf personaler Ebene und im Unterricht ein besonderes Augenmerk auf Faktoren auf Schulebene gelegt wurde (Creemers und Kyriakides 2008; Scheerens 2014; Scheerens und Bosker 1997; Steffens und Bargel 1993). Eine zunehmende Komplexität in der theoretischen Modellierung von Schulqualität und Schuleffektivität ist die plausible Konsequenz dieser Analysen, worauf in Abschn. 4 eingegangen werden soll. 3 Begriffliche Klärung und theoretische Modelle Ein Blick in die umfangreiche Literatur zeigt, dass zumindest zwei verschiedene Fragen bearbeitet werden müssen, wenn es darum geht zu klären, was unter Schul- qualität und Schuleffektivität verstanden wird: Wie kann Qualität bzw. Effektivität bestimmt werden (Abschn. 3.1.)? Wie lässt sich Schulqualität bzw. Schuleffektivität theoretisch verstehen (Abschn. 3.2.)? 3.1 Bestimmung von Qualität und Effektivität Zunächst stellt sich die Frage, wie Schulqualität bzw. Schuleffektivität bestimmt werden kann. Terhart (2000) unterscheidet hierzu drei Zugänge, den normativen, den analytischen sowie den empirischen Bestimmungsversuch, wobei oftmals verschie- dene Ansätze kombiniert werden. Während mittels des normativen Zugangs Qualität auf der Basis normativ ge- setzter und begründeter Zwecke und Zielbeschreibungen definiert wird, wird unter Berücksichtigung des analytischen Zugangs herausgearbeitet, welche „Denkweisen über Qualität“ (Harvey und Green 2000) bestehen und welche Bedeutung diese für den Bildungsbereich haben, ohne dass aber eine inhaltliche Definition von Qualität erfolgt. Hierbei wird deutlich, dass diese Denkweisen systematisch variieren. So Schulqualitätsforschung 5 führt die Annahme, dass Qualität nur ausnahmsweise nach Übertreffen der aller- höchsten Standards erreicht werden kann („Qualität als Exzellenz“, ebd. S. 18), im Bildungsbereich zu grundsätzlich anderen Steuerungs- oder Unterstützungskonzep- ten, als wenn davon ausgegangen wird, dass Qualität etwas ist, was alle Schulen erreichen können, wenn sie denn nur ihren „Zweck“ erreichen („Qualität als Zweck- mässigkeit“, ebd. S. 23) oder wenn sie bestimmte Leistungsindikatoren erfüllen („Qualität als adäquater Gegenwert“, ebd. S. 28). Als dritten Bestimmungszugang erwähnt Terhart (2000) den empirischen. Seit der „realistischen Wendung“ (Roth 1962) und der sogenannten „zweiten empiri- schen Wende“ nach den unbefriedigenden Ergebnissen in den TIMSS- und PISA- Studien nach dem Jahr 2000 ist eine Bestimmung von schulischer Qualität ohne eine empirische Analyse nicht mehr denkbar. Wird Qualität empirisch bestimmt, so kann dies unter Berücksichtigung spezifischer Zielkategorien erfolgen, beispielsweise bezüglich der Leistungen der Schüler*innen oder psychosozialer Wirkungen. In diesem Sinne unterscheiden sich zwar die empirischen nicht von den normativen Bestimmungsversuchen, weil es ebenfalls eine normative Setzung ist, welche Ziel- kategorien in den Fokus geraten. Allerdings unterscheiden sie sich in der Art und Weise, „wie sich die normativen Setzungen in den jeweiligen Modellen wiederfinden lassen“ (Sauerwein und Klieme 2016, S. 467). Gemäß Sauerwein und Klieme ist in der empirisch-analytisch erklärenden Qualitätsbestimmung letztlich der empirische Zusammenhang mit dem Outcome entscheidend dafür, ob ein Merkmal zu Qualität wird oder nicht, und nicht der theoretische oder normativ-professionelle Diskurs. Empirisch können zum einen jene Schulen identifiziert werden, deren Schüler*in- nen besonders hohe Leistungen erreicht haben, möglichst unter Kontrolle wesentli- cher individueller Voraussetzungen der Schüler*innen (z. B. familiärer Bildungs- hintergrund). In dieser Perspektive weisen Schulen dann eine hohe Schulqualität auf, wenn ihre Schüler*innen im Vergleich zu Schulen mit vergleichbaren Bedingungen hohe bzw. überdurchschnittliche Leistungen erreichen (Outputqualität). Zum ande- ren kann herausgearbeitet werden, durch welche Merkmale sich diese Schulen von weniger guten Schulen unterscheiden und welche Merkmale prädiktiv für die Er- klärung der Unterschiede in den Leistungen der Schüler*innen sind. In diesem Fall weisen Schulen dann eine hohe Schulqualität auf, wenn sie in jenen Faktoren besonders hohe Werte aufweisen, die für die Zielkategorie prädiktiv sind. Im Gegen- satz zum Output stehen somit die Prozessdimensionen guter Schulen im Zentrum (Prozessqualität). Im deutschsprachigen Raum zeigt sich seit ein paar Jahren, dass diese beiden Zugangsweisen kombiniert werden, so beispielsweise bei den meisten Qualitäts- rahmen der Schulinspektionsverfahren (siehe z. B. in Hessen: https://lehrkraefte akademie.hessen.de/schule-unterricht/hrs/qualitaetsbereiche, [Zugriff: 26. 04. 2021]) oder beim Deutschen Schulpreis (https://www.deutscher-schulpreis.de/was-macht- gute-schule-aus, [Zugriff: 26. 04. 2021]), da neben Qualitätsbereichen wie ‚Führung und Management‘ oder ‚Schulkultur‘ auch der Bereich ‚Ergebnisse und Wirkungen‘ berücksichtigt ist. Unterschiede lassen sich allerdings in Bezug auf die Erfassung der Indikatoren identifizieren, ob beispielsweise entsprechende Leistungsindikatoren schulextern erhoben werden oder ob für die Einschätzung dieses Qualitätsbereichs 6 K. Maag Merki die Beurteilungen der Schulen herangezogen werden. Darüber hinaus ist auch unterschiedlich, welche fachlichen Leistungsbereiche in den Fokus rücken oder ob neben fachlichen Leistungen auch psychosozialen Wirkungen integriert sind. Ins- gesamt kann aber angenommen werden, dass sich gerade auch im deutschsprachigen Raum eine Definition von Schulqualität durchgesetzt hat, welche die Qualität von Schulen mit Blick auf die Leistungen und Wirkungen bei den Schüler*innen berück- sichtigt. Damit haben sich die Konzepte von ‚Schulqualität‘ und ‚Schuleffektivität‘ angenähert. Unabhängig von den jeweiligen Bestimmungsversuchen ist Qualität oder Effek- tivität nicht ein stabiles, dem Objekt (bzw. der Schule) anhaftendes Merkmal, sondern eine auf einer impliziten oder expliziten Beurteilung beruhende, subjektiv zugeschriebene Eigenschaft oder Eigenschaftskombination einer Schule. Damit ist Qualität und Effektivität immer in Relation zu den Akteur*innen zu verstehen, welche diese in einer Schule beobachten oder beurteilen (Heid 2000). 3.2 Theoretische Perspektiven auf Qualität bzw. Effektivität Wie können fachliche oder psychosoziale Lernleistungen der Schüler*innen theo- retisch erklärt werden und inwiefern spielen die Schule oder schulische Faktoren im Vergleich zu anderen Faktoren eine Rolle zur Erklärung dieser Effekte? Bei der Beantwortung dieser Fragen zeigt sich, dass sich die theoretischen Modelle sub- stanziell unterscheiden. Frühe Modelle gehen beispielsweise davon aus, dass ein linearer Zusammenhang zwischen Input und Output, mediiert über Prozessqualitä- ten, besteht. Dabei beeinflussen ‚vorgelagerte‘ Faktoren (Input und Prozess) die Lernleistungen der Schüler*innen (Wirkungen), wobei Inputfaktoren (z. B. finan- zielle oder personelle Ressourcen, Lehrplan) die schulischen Prozesse (z. B. Lei- tungshandeln, Kooperation zwischen Lehrpersonen, Unterrichtsgestaltung) linear beeinflussen und diese wiederum – ebenfalls in einer linearen Beziehung – die Lern- leistungen der Schüler*innen. Diese lineare Modellierung von Input – Prozess – Output kann aktuellen empi- rischen Erkenntnissen zur Erklärung schulischer Leistungen nicht mehr standhalten, da davon ausgegangen wird, dass die einzelnen Faktoren in einem interdependenten Zusammenhang zueinander stehen, und einfache Ursache-Wirkungszusammenhän- ge somit nicht adäquat sind (Reynolds et al. 2014; Scheerens 2016). Darüber hinaus wird deutlich, dass schulische Voraussetzungen und schulisches Handeln von Kontextfaktoren, beispielsweise von soziokulturellen Faktoren, bil- dungspolitischen Vorgaben oder regionalen Angebotsstrukturen, beeinflusst werden. Dies führt dazu, dass aktuelle Theorien der Schulqualität bzw. Schuleffektivität als Mehrebenenmodelle gestaltet sind, wobei üblicherweise die Makro-Ebene (Bil- dungspolitik, Bildungsadministration, Regionen, Distrikts etc.) von der Meso-Ebene (Einzelschule), der Mikro-Ebene (Unterricht) und von der individuellen Ebene (Lehrende und Lernende) unterschieden wird. Gemäss Ditton (2007) kann diese Mehrebenenstruktur bezüglich regionaler Strukturen oder Merkmalen des Schul- systems im Sinne eines „4-plus-Modells“ (S. 84) weiter ausdifferenziert werden. Schulqualitätsforschung 7 Es ist gut belegt, dass der Anteil an erklärter Varianz bezüglich der Leistungen der Schüler*innen, der auf Unterschiede zwischen Schulen zurückgeht, geringer ist als jener, der auf Unterschiede bezüglich Unterrichtsmerkmalen oder Merkmalen der Lehrpersonen zurückgeht. Ditton (2017) verweist damit auf die Bedeutung dieser „proximalen Faktoren“ für die Lernleistungen der Schüler*innen, während Faktoren auf Schul- oder Makro-Ebene als distale Faktoren und damit als weniger unmittelbar bedeutsame Faktoren für das Lernen der Schüler*innen bezeichnet werden können. Allerdings verweisen empirische Studien darauf, dass diese indirekt für das Lernen von Bedeutung sind (Kyriakides et al. 2015), was wiederum auf die Komplexität des Bedingungsgefüges für schulisches Lernen verweist (Brühlwiler und Helmke 2018). Darüber hinaus gibt es erste Hinweise darauf, dass für die Entwicklung von Schulen bezüglich der Lernleistungen der Schüler*innen schulische Faktoren von größerer Bedeutung sind (und somit als proximale Faktoren bezeichnet werden können) als Unterrichtsfaktoren, die zu distalen Faktoren werden. So konnten Bischof, Hochweber, und Klieme (2013) auf der Basis der Analysen eines PISA- Schulpanels von 2000 bis 2009 aufzeigen, „dass die individuelle Förderung als proximales Merkmal des Lehr-Lerngeschehens von nur geringer, die distalen Merk- male (ganztägige Schulorganisation und interne Evaluationspraxis) dagegen von stärkerer Bedeutung für die Entwicklung der Schulen sind, insbesondere für das herangezogene affektive Kriterium“ (S. 194). Was als distale bzw. proximale Ein- flussfaktoren identifiziert werden können, ändert sich somit je nach Fragestellungen und Untersuchungsperspektive. Der Hinweis, dass schulische Faktoren bedeutsam sind für die Entwicklung von Schulen – gemessen an den Lernentwicklungen der Schüler*innen –, wird durch weitere Studien bestätigt (Hallinger und Heck 2010, 2011), auch wenn der Befund weitergehender Klärung bedarf, ändert sich somit je nach Fragestellungen und Untersuchungsperspektive. Eine zusätzliche, wesentliche Weiterentwicklung der theoretischen Konzipierung von Schulqualität bzw. Schul- effektivität besteht in der Annahme, dass indirekte und reziproke Effekte den Zu- sammenhang zwischen schulischem Angebot und Lernleistungen der Schüler*innen angemessener beschreiben können als direkte Effekte. Diese Annahme wird noch erweitert, indem nicht nur Zusammenhänge innerhalb einer Ebene (z. B. Einzelschule), sondern ebenenübergreifende Interaktionseffekte theoretisch modelliert werden. Dies bedeutet, dass beispielsweise das Handeln der Schulleitungen im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung der Schulen in Bil- dungssystemen mit hohem bzw. tiefem sozialen Druck unterschiedlich gestaltet ist und somit zwischen Faktoren der Meso- und der Makro-Ebene ein Interaktionseffekt besteht (Altrichter und Kemethofer 2015). Ergänzend wird zunehmend eine längsschnittliche Perspektive auf Schulqualität bzw. Effektivität eingenommen. In dem Sinne integrieren aktuelle Theorien eine dynamische Perspektive auf den komplexen Zusammenhang zwischen dem schu- lischen Angebot im Mehrebenensystem und dem Lernen der Schüler*innen (Ditton 2017) – und sind damit auch anschlussfähig an jene „Denkweise“ über Qualität, die Harvey und Green (2000) als „Qualität als Transformation“ bezeichnen. 8 K. Maag Merki Und schliesslich verweisen verschiedene Studien darauf, dass Schulqualität bzw. Effektivität unter einer differenziellen Perspektive theoretisch beschrieben werden sollte, da einzelne Faktoren besonders bei schwächeren Schüler*innen, bei Schü- ler*innen mit Migrationshintergrund oder geringem sozioökonomischen Hinter- grund relevante Prädiktoren für den Lernerfolg darstellen (Ditton 2017; Vanlaar et al. 2015). In diesem Sinne stellt sich die Frage nach der Generalisierbarkeit der theoretischen Modelle zu Schulqualität bzw. Schuleffektivität. 3.3 Theoretische Modelle zur Beschreibung von Schulqualität und Schuleffektivität – zwei Beispiele Zu den aktuell meist diskutierten Theoriemodellen von schulischer Qualität bzw. Schuleffektivität, die viele der oben erwähnten Merkmale berücksichtigen, gehören das Angebot-Nutzungsmodell und das Dynamic Model of Educational Effectiveness (DMEE). Im Angebot-Nutzungsmodell, mit leicht variierenden Formen von Fend (Fend 2008, 2019), Helmke (2012) bzw. Helmke und Brühlwiler (2018) sowie von Reusser und Pauli (2010) beschrieben, wird davon ausgegangen, dass Lernleistungen Ergeb- nis eines komplexen und ko-konstruktiven Zusammenspiels zwischen Angebots- und Nutzungshandeln verschiedener Akteure (insbesondere Lehrpersonen, Schul- leitungen bzw. Schüler*innen und Eltern) im Mehrebenensystem sind, besonders deutlich dargestellt im Modell von Reusser und Pauli (2010) (vgl. Abb. 1). Eine hohe Qualität erreicht eine Schule dann, wenn es gelingt, schulische Angebote in optimaler Weise mit den Nutzungsmöglichkeiten der Schüler*innen und Familien zu synchronisieren. Schulqualität bedeutet dann letztlich Synchronisierungsqualität in Bezug auf das Verhältnis zwischen Angebot und Nutzungsmöglichkeiten der Schüler*innen. Akteure der Angebotsseite, beispielsweise Schulleitungen und Lehrpersonen – angesichts des komplexen Zusammenspiels über alle Ebenen jedoch auch Schulbehörden oder die Politik –, stehen dabei in der „Nutzungsverantwor- tung“ (Fend 2008, S. 24). Dies bedeutet, dass auf der Angebotsseite das Lernumfeld derart gestaltet werden muss, dass die Schüler*innen vor Ort dieses auch optimal nutzen können müssen. Dies erfordert einerseits Handlungsspielraum auf der An- gebotsseite (vgl. oben: Schule als pädagogische Handlungseinheit), andererseits die Fähigkeit der Akteure, das schulische Angebot adaptiv an die Nutzungsmöglich- keiten der Schüler*innen anzupassen. Das Dynamic Model of Educational Effectiveness (DMEE; Creemers und Kyria- kides 2008; siehe Abb. 2) weist Parallelen zu den Angebot-Nutzungsmodellen auf, da Schulqualität bzw. Schuleffektivität ebenfalls als Mehrebenenmodell mit mul- tiplen Wirkungszusammenhängen beschrieben ist. Ebenso werden Interaktions- zusammenhänge zwischen Klassenmerkmalen, den Charakteristika der Schüler*innen sowie den Lernergebnissen der Schüler*innen angenommen, wobei die Unterrichtsebene als zentrale Prozessebene modelliert wird. Schulqualitätsforschung Abb. 1 Angebot-Nutzungsmodell von Reusser und Pauli (2010, S. 18) 9 10 K. Maag Merki Abb. 2 Dynamic Model of Educational Effectiveness (Creemers und Kyriakides 2008, S. 77) Besonders wertvoll ist dieses Theoriemodell hinsichtlich der Betonung von linearen und curvilinearen Zusammenhängen zwischen den verschiedenen Faktoren. Darüber hinaus wird theoretisch angenommen, dass nicht nur die Häufigkeit („fre- quency“) eines einzelnen Faktors, beispielsweise Kooperation zwischen Lehrper- sonen, als Einflussfaktor auf das Lernen der Schüler*innen wichtig ist. Vielmehr werden auch die Qualität der Kooperation („quality“), der Fokus der Kooperation (ohne spezifischen Inhalt vs. hoch spezifisch auf einen einzelnen Inhalt fokussiert) („focus“), die zeitliche Dimension („stage“), wie lange bereits an einer Schule kooperiert wird, und ob Kooperation über alle Bereiche/Fächer hinweg einheitlich Schulqualitätsforschung 11 oder unterschiedlich implementiert ist („differentiation“), als zentrale Prädiktoren in das Theoriemodell integriert. Das DMEE gehört zu den bestuntersuchten Theoriemodellen schulischer Qualität bzw. Effektivität (Kyriakides et al. 2018; Panayiotou et al. 2016) und wird auch systematisch in einen Zusammenhang mit Schulentwicklung gebracht (Creemers und Kyriakides 2012), indem Schulentwicklungsprozesse in Schulen auf der Wis- sensbasis der Educational Effectiveness-Forschung angestoßen werden sollen. Den- noch zeigen die bisherigen Analysen, dass die theoretisch postulierten Merkmale, insbesondere die Analyse curvilinearer Zusammenhänge oder der Einschluss von Qualitätsdimensionen (und nicht einzig Häufigkeitsdimensionen) noch als For- schungsdesiderat bezeichnet werden müssen. Damit ist zwar, so das Fazit zur aktuellen theoretischen Modellierung von Schulqualität bzw. Schuleffektivität und ihrer empirischen Überprüfung, seit den Anfängen der Analysen in den 1960er-Jahren bereits ein langer Weg der Theorie- und Empiriearbeit realisiert worden. Es bleiben aber viele Forschungsfragen offen, die in den kommenden Jahren zu bearbeiten sind, um schulische Qualität bzw. Effektivität sowohl theoretisch wie auch empirisch noch genauer zu bestimmen (Creemers et al. 2010; Reynolds et al. 2014). 4 Forschungsstand bezüglich wichtiger Themen 4.1 Schule als pädagogische Handlungseinheit? Eine der ältesten Fragen in der Schulqualitäts- und Schuleffektivitätsforschung ist es, die Bedeutung der Schule für die Erklärung von Unterschieden in den fachlichen oder überfachlichen Leistungen und Kompetenzen zwischen den Schüler*innen empirisch zu bestimmen. So wurde untersucht, inwiefern die Varianz der Lernergeb- nisse der Schüler*innen durch Individual-, Klassen- oder eben Schulmerkmale erklärt werden kann. Diese Varianzzerlegung ermöglicht, prozentuale Anteile der einzelnen Ebenen zu bestimmen. Kürzlich wurde hierzu von Brunner et al. (2018) auf der Basis der PISA-Daten der Jahre 2000 bis 2012 aus 81 Ländern der Anteil an erklärter Varianz auf Individual- und Schulebene in den Leistungen der Schüler*in- nen sowie in einer großen Anzahl an affektiven und motivationalen Dimensionen sowie Lernstrategien erfasst. Wesentliche Erkenntnis ist, dass Schulen sich in Bezug auf Leistungsergebnisse deutlich stärker unterscheiden (Median ICC ¼.40) als in Bezug auf die anderen untersuchten Variablen (affektive und motivationale Dimen- sionen: Median ICC zwischen.02 und.08; Lernstrategien: Median ICC zwischen.02 und.05). Diese Studie zeigt zudem besonders, dass die Unterschiede zwischen den Ländern substanziell sind, die Bedeutung der Schulebene für die Erklärung von Unterschieden zwischen Schüler*innen somit auch von Merkmalen der untersuchten Länder abhängig ist. In dieser Studie wurde allerdings die Klassenebene nicht kontrolliert. Die Analysen von Kyriakides und Creemers (2009) beispielsweise verweisen darauf, dass die Klassenebene sehr wichtig ist, um ein differenziertes Bild über die Bedeutung der verschiedenen Ebenen erhalten zu können. Durch den 12 K. Maag Merki Einschluss der Klassenebene reduziert sich der Varianzanteil auf Schulebene auf ca. 10 %. Von zusätzlicher Relevanz für die Schulqualitäts- und Schuleffektivitätsfor- schung ist allerdings das Herausdestillieren von Kompositionseffekten (Zusammen- setzung Schüler*innen in einer Schule, beispielsweise in Bezug auf den sozioöko- nomischen Hintergrund oder die Leistungsfähigkeit der Schüler*innen) oder von Schulformeffekten, dies insbesondere für die Sekundarstufe I, auf der unterschied- liche Bildungsgänge angeboten werden (Baumert et al. 2006; Brunner et al. 2018; Kyriakides und Creemers 2009; Reynolds et al. 2014; Wurster und Feldhoff 2019). Einflussfaktoren auf die Variabilität zwischen Schulen ergeben sich des Weiteren aufgrund der berücksichtigten Indikatoren (Noten oder Leistungstests) und in Ab- hängigkeit des Kontextes der erfassten Leistung in einem selektiven Bildungssystem ((z. B. Unterschiede zwischen Grund- und Leistungskurse; Maag Merki und Hol- meier 2015). Alle Analysen deuten darauf hin, dass der systematische Einflussfaktor ‚Schule‘ bestehen bleibt und der Schule als pädagogische Handlungseinheit somit eine spezi- fische Rolle hinsichtlich verschiedener Wirkungsvariablen zukommt (für einen Überblick siehe Ditton 2017; Reynolds et al. 2014; Wurster und Feldhoff 2019). Noch wesentlicher für die Klärung der Frage nach der pädagogischen Handlungs- einheit ist es, nicht (nur) schulische Wirkungen, sondern auch die schulischen Prozesse im Unterricht oder in der gesamten Schule in den Blick zu nehmen. Dies ist weit weniger häufig untersucht worden. Auch hier gibt es Hinweise, dass Schule als wesentliche ‚Handlungsebene‘ einen systematischen Beitrag zur Klärung der Unterschiede zwischen Schüler*innen sowie zwischen Lehrpersonen leistet, der Anteil aber in Bezug auf die einzelnen untersuchten Aspekte variiert (Creemers und Kyriakides 2009; Wenger et al. 2018; Wurster und Feldhoff 2019). Als Fazit formulieren Wurster und Feldhoff (2019), dass, im Gegensatz zu den Unterrichts- dimensionen, „für die Mehrzahl der untersuchten Merkmale der Schulkultur (z. B. Kooperation im Kollegium, pädagogische Werte und Überzeugungen) nach der Individualebene der größte Varianzanteil auf der Schulebene liegt und somit die Schule für diese Merkmale die relevante pädagogische Gestaltungseinheit ist“ (S. 36). Werden einzelne Befunde basierend auf einem qualitativen Forschungsdesign berücksichtigt, erweitert dies den Blick auf die Frage nach der pädagogischen Handlungseinheit, da es dadurch möglich wird, das Kollektive in den Perspektiven und Handlungen der Lehrpersonen innerhalb einer Schule herauszuarbeiten und damit Schulen als korporative Akteure mit einer organisationalen Identität und Verantwortung zu erkennen (Schöpf 2018). Die Analysen im Rahmen der Studie „Kontextorientierte Schulentwicklung“ (Emmerich und Maag Merki 2017) zeigen, dass eine solche kollektive Orientierung nur in einzelnen Primarschulen sichtbar wird, in den anderen Schulen aber kaum oder überhaupt nicht, und Perspektiven auf das Lernen der Schüler*innen damit stärker von einzelnen Lehrpersonen und ihrem Professionsverständnis abhängen (Kamm 2019). Angesichts der komplexen Struk- Schulqualitätsforschung 13 turen von Schulen mit verschiedenen Professionen, Subgruppen und fachlichen Prägungen (Rolff 1993; Weick 1976) ist dies nicht sehr erstaunlich und kann auch als Erklärung dafür herangezogen werden, dass der Anteil an erklärter Varianz, wie er in den quantitativen Studien identifiziert werden konnte, eher gering ist. Hierzu sind allerdings weitergehende Analysen notwendig, um besser zu verstehen, inwie- fern Schule eine ‚pädagogische Handlungseinheit‘ ist. Kritisch zu diskutieren ist darüber hinaus, wieviel Varianz zwischen Schulen aus einer Demokratieperspektive denn tatsächlich für ein an Gleichheit, Meritokratie und Leistungsfähigkeit ausgerichtetes Bildungssystem funktional ist. Bezüglich der Gestaltung der schulischen Prozesse ist beispielsweise eine hohe Adaptivität und damit Unterschiedlichkeit notwendig, um die verschiedenen individuellen Lern- voraussetzungen der Schüler*innen und die situativen und sozialen Kontextfaktoren angemessen berücksichtigen zu können. Hingegen wäre eine möglichst geringe Varianz zwischen Schulen in Bezug auf die Leistungsergebnisse am besten, weil in allen Schulen die gleichen (guten) Leistungen erreicht werden sollen. Oder anders fomuliert: In einem hoch segregierten Bildungssystem steigt der Anteil an erklärter Varianz auf Schulebene systematisch an, so dass es tatsächlich „auf die Schule ankommt“, die ein*e Schüler*in besucht – dies konnte bereits Coleman et al. (1966) deutlich aufzeigen. Mit dem Anstieg an Unterschieden zwischen den Schulen einher geht aber ein systematischer Ungleichheitseffekt, was den Zielen von Chancen- gleichheit zuwiderläuft (OECD 2016a, b). Ein hoher oder tiefer Anteil an erklärter Varianz erhält damit, je nach Fragestellung, eine unterschiedliche Bedeutung. 4.2 Schooling oder die Identifikation zentraler Qualitätsindikatoren Für das Verständnis von guten Schulen oder Schulqualität ist die Analyse von Schulunterschieden und ihren Effekten auf das Lernen der Schüler*innen nicht die einzige – und vermutlich nicht einmal die wichtigste Analysestrategie. Wesentlicher scheint es herauszuarbeiten, welches denn nun die zentralen Faktoren sind, die eine gute Schule ausmachen, sei dies in Bezug auf das Erreichen von normativen oder professionellen Standards oder in Bezug auf das Erreichen der Lernziele der Schü- ler*innen (siehe dazu Abschn. 3.1). Damit sind die Prozesse innerhalb der Schulen angesprochen, was oftmals als ‚schooling‘ bezeichnet wird. Hierzu liegt mittlerweile eine grosse Anzahl an Studien vor, deren Ergebnisse in mehreren Metaanalysen systematisiert worden sind. Eine bis heute häufig zitierte Metaanalyse von Scheerens und Bosker (1997) identifizierte auf Schulebene die folgenden Faktoren als bedeutsam (in absteigender Reihenfolge bezüglich Rele- vanz): monitoring, parental involvement, school climate, school leadership, coope- ration. Interessant ist an dieser Metaanalyse, dass untersucht worden ist, inwiefern die Faktoren für verschiedene Fächer, Länder oder Studien stabil oder unterschied- lich sind: So erweisen sich die Effekte von Schulklima und Schulleitung beispiels- weise als variabel, während die anderen Effekte stabil waren. Diese Ergebnisse konnten relativ gut in der Metaanalyse von Creemers und Kyriakides (2008) be- 14 K. Maag Merki stätigt werden. Auch hier ist erkennbar, dass der Effekt der Schulleitung oder jener des Schulklimas systematisch variierte, zusätzlich aber auch jener der Kollaboration, während der Einfluss von policy on teaching und partnership policy relativ stabil blieb (S. 203 und 205). Auch wenn die Effekte jeweils nicht sehr stark sind, wird argumentiert, dass: „even rather small school effects are considered important, because they might be cumulative and they refer to a large number of students“ (Reynolds et al. 2014, S. 206). Scheerens (2014) führt die aktuellen Ergebnisse zu den Einflussfaktoren auf eine hohe Effektivität in einem Überblick zusammen (Tab. 1). Effektivität wird dabei als ein Zusammenspiel von Schuleffektivitätsfaktoren, Unterrichtsfaktoren und – interessanterweise – Schulentwicklungsfaktoren dargestellt; interessanterweise, weil Schulentwicklungsfaktoren Faktoren sind, die für die Weiterentwicklung der Quali- tät von Schulen von Bedeutung sind und in der Schuleffektivitätsforschung lange kaum berücksichtigt worden sind. Es gibt allerdings noch einen anderen interessanten Befund: Wenn die Liste der Schuleffektivitätsfaktoren (EER), die auf der Basis eines systematic review von Teddlie und Reynolds (2001) erstellt worden ist, betrachtet wird, dann fällt auf, dass die Überschneidung mit den allerersten Listen fast hundertprozentig ist, so beispiels- weise mit der Liste von Edmond (1979a, b) vor 40 Jahren. Tab. 1 Effektivitätssteigernde Faktoren (Scheerens 2014, S. 286) Educational Effectiveness Teaching Research (EER) Effectiveness (TE) School and System Improvement (SSI) Effective leadership Opportunity to learn Dimensions of organizational health Academic focus Time School-based review A positive orderly Classroom School development planning climate management High expectations Structuring and Comprehensive school reform scaffolding, including feedback Monitoring Productive classroom Facets of educational leadership progress climate (transformational, instructional, distributed) Parental Clarity of presentation Effective systemic reform; see Hopkins et al. involvement (this issue), among others, student achievement Effective teaching Enhancing self- and teaching quality emphasis (time) regulated learning Staff professional Teaching development metacognitive strategies Pupil involvement Teaching modeling More sophisticated diagnosis Importance of prior knowledge Schulqualitätsforschung 15 Positiv interpretiert bedeutet dies gemäß Scheerens (2014), dass die Wissensbasis relativ robust ist. Kritisch betrachtet könnte dies aber auch heißen, dass bislang immer nur die bereits bekannten Indikatoren untersucht wurden und hierzu theo- retisch und methodisch weiterführende Analysen dringend notwendig sind. Hierzu haben Reynolds et al. (2014) wesentliche Forschungsdesiderata formuliert, insbeson- dere hinsichtlich der empirischen und methodischen Analyse von Schuleffektivität sowie der Analyse weitergehender konzeptioneller Fragestellungen. Gefordert werden u. a. eine stärkere Untersuchung von Effektivitätsfaktoren unter Berücksichtigung der Mehrebenenstruktur des Bildungssystems; mehr mixed-method-Studien; stärkere Analysen von indirekten sowie von nicht-linearen Effekten; mehr Längsschnittstu- dien; mehr Interventionsstudien, um Ursache-Wirkungszusammenhänge besser zu verstehen; mehr Analysen, die nicht nur den relativen Einfluss von schulischen Faktoren auf das Lernen der Schüler*innen bestimmen können, sondern auch den absoluten Einfluss (z. B. mittels regression-discontinuity-Analysen, siehe beispiels- weise Luyten 2006). Konzeptionell hat sich die Forschungen zu Schuleffektivität auch in Bezug auf die Analyse von „failing schools“ (Altrichter et al. 2008) sowie in Bezug auf „Schulineffektivität“ (Scheerens 2016) weiterentwickelt. Failing schools, d. h. Schu- len, die die gesetzten Ziele nicht erreichen, sind im Zusammenhang mit neuen Steuerungsmodellen in den Fokus geraten (Altrichter und Maag Merki 2016). Allerdings ist kaum klar, welches die Charakteristika von scheiternden oder inef- fektiven Schulen sind, wie diese Merkmale mit Merkmalen effektiver Schulen interagieren (sind ineffektive Schulen einfach jene Schulen, die auf den ‚Effektivi- tätsdimensionen‘ geringe Ausprägungen haben?) und welche schulischen Prozesse zu einem systematischen Versagen der Schulen führen (falls es dieses wirklich gibt). 4.3 Stabilität von Schulqualität und differenzielle Effekte Zentrale Forschungsfragen sind a) jene nach der Konsistenz der Ergebnisse und b) inwiefern einzelne Effektivitätsmaße, beispielsweise das Schulklima, über mehrere Schulkontexte hinweg oder für alle Schüler*innen gleichermaßen bedeutsam sind. a) Der erste Punkt bezieht sich auf die Frage, ob Schulen stabil ‚gute Schulen‘ sind, so beispielsweise für alle Schüler*innen, im Zeitverlauf oder über verschiedene Fächer hinweg. Eine interessante Studie hat Strand (2010) durchgeführt. Er untersuchte in allen Primarschulen in England mittels eines umfangreichen Längsschnittdatensatzes (dieselben Schüler*innen wurden im Alter von 7 und 11 Jahren untersucht), ob Schulen für alle Schüler*innen gleichermassen effektiv sind. Die Ergebnisse ver- weisen darauf, dass jene Schulen, die für die White British pupils am effektivsten waren, auch jene waren, die für die Black Caribbean pupils am effektivsten waren; in der Rangreihe über alle Schulen betrachtet, gehörten diese somit für beide Gruppen zu den effektivsten (dies war auch der Fall in Bezug auf die Kriterien Geschlecht und Free School Meal). Allerdings berichtete Strand auch den Befund, das „Black Caribbean pupils do not seem to gain as much as White British pupils 16 K. Maag Merki from attending the more effective schools“ (S. 305). Leider war es aufgrund der zur Verfügung stehenden Daten nicht möglich, Gründe für dieses Ergebnis zu identifi- zieren. Bezüglich der Stabilität der Effekte über die beiden Dimensionen Leistung und Chancengleichheit hinweg liegen umfangreiche Analysen von Kyriakides et al. (2018) vor, die darauf verweisen, dass „teachers, schools and educational systems which are effective in terms of equity tend to be effective in terms of quality“ (S. 123). Allerdings war der Zusammenhang nicht sehr stark und die Autoren konnten zeigen, dass es viele Schulen und Länder gibt, die einzig in Bezug auf ein Merkmal effektiv sind, nicht aber in Bezug auf das andere. Unter Berücksichtigung verschiedener Studien kommt Ditton (2017) zum Schluss, dass „Schuleffekte nur zu einem gewissen Grad als konsistent und stabil bezeichnet werden können. Schulen sind weder invariante Blöcke noch völlig chaotische Systeme und in ihren Effekten gänzlich unvorhersagbar“ (S. 75). b) Beim zweiten Punkt interessiert, ob die Bedeutsamkeit von einzelnen Fak- toren, beispielsweise das Schulklima, stufenspezifisch (z. B. Primarschule vs. Sekun- darschule) ist oder in Abhängigkeit der auf Schulebene aggregierten Leistungen der Schüler*innen variiert. Zudem wird untersucht, ob für Schüler*innen mit hohem/ niedrigem sozioökonomischen Hintergrund, mit/ohne Migrationshintergrund oder mit hohen oder tiefen Leistungsfähigkeiten die gleichen Faktoren für ihr Lernen zentral sind. In einer groß angelegten Längsschnittstudie über ein Schuljahr konnten Vanlaar et al. (2015) beispielsweise zeigen, dass fast alle der untersuchten Schulfaktoren (z. B. evaluation of school policy on teaching, collaboration and interaction bet- ween teachers, resources, partnership policy, policy on creating learning opportu- nities, policy on quality of teaching) eine differenzielle Wirkung auf die Leistungen der Schüler*innen haben, wobei die entsprechenden Faktoren einen grösseren Effekt in Schulen mit einem geringeren Leistungsniveau aufweisen, dies im Vergleich zu jenen Schulen mit hohem Leistungsniveau. Dies bedeutet, dass weniger leistungs- starke Schulen im besonderen Maße von der Zusammenarbeit zwischen Lehrper- sonen, von der gemeinsamen Planung oder von Evaluation der Unterrichtspraxis profitieren. Darüber hinaus macht diese Studie deutlich, dass die Schulvariablen einen grösseren Anteil an Varianz in den Leistungen der Schüler*innen im Fach Mathematik als im Fach Naturwissenschaften erklären können. Im Fach Mathematik scheinen somit schulische Faktoren wichtiger zu sein als im Fach Naturwissenschaf- ten. Welches die Gründe dafür sind, bleibt allerdings offen. Auch die Studie von Palardy (2008) verweist auf differenzielle Schuleffekte, allerdings in Abhängigkeit der sozialen Zusammensetzung der Schüler*innen in einer Schule. Die Ergebnisse machen sichtbar, dass das Lernen der Schüler*innen in Schulen mit einem durchschnittlich niedrigen sozioökonomischen Hintergrund von den untersuchten schulischen Faktoren stärker abhängig ist als jene in Schulen mit einem mittleren oder hohen familiären Bildungshintergrund. Insgesamt machen diese exemplarisch dargestellten Befunde deutlich, dass es notwendig ist, die Frage nach den generellen vs. spezifischen Effekten mit den notwendigen komplexen Forschungsdesigns vertiefter zu untersuchen. Zu viele Schulqualitätsforschung 17 Fragen bleiben offen, dies zum einen in der Deskription der entsprechenden Effekte, zum anderen in Bezug auf mögliche Erklärungen etwaiger differenzieller Effekte. Hierzu fehlen fast durchgängig entsprechende theoretische Auseinandersetzungen. Gerade das Verstehen möglicher Gründe für differenzielle Effekte könnte aber Grundlage dafür sein, die bestehenden theoretischen Modelle zu Schulqualität und Schuleffektivität weiterzuentwickeln. 4.4 Das Verhältnis der Forschungsbereiche zu Schulqualität- bzw. Schuleffektivität und Schulentwicklung Schulqualitäts- bzw. Schuleffektivitätsforschung und Schulentwicklungsforschung können als zwei Seiten einer Medaille beschrieben werden, die je zum Analysege- genstand ‚Schule‘ relevante Erkenntnisse beisteuern können (vgl. hierzu auch den Beitrag „Schulentwicklungsforschung“ in diesem Band: Maag Merki 2021). Beiden Forschungstraditionen ist zudem inhärent, dass sie einen Beitrag zur Verbesserung des Bildungssystems leisten wollen. Des Weiteren überschneiden sich das Grund- verständnis von Schule, nämlich eine mehrebenenanalytische Betrachtungsweise und die Bedeutung des Kontextes, sowie der Fokus auf die Schule als pädagogische Handlungseinheit. Allerdings werden je andere Fragen untersucht, unterschiedliche Theorieansätze diskutiert und oftmals auch andere methodische Ansätze verfolgt. Es zeigt sich eine Grunddifferenz in der Frage der empirischen Modellierung von Wir- kungen und Effekten (Bischof 2017; Feldhoff et al. 2014). So stehen in der Schul- qualitäts- und Schuleffektivitätsforschung meist lineare Effekte im Fokus. In der Schulentwicklungsforschung werden hingegen stärker nicht-lineare und reziproke Zusammenhänge, bei denen Ursache-Wirkungen nicht problemlos identifiziert werden können, fokussiert. Nun skizzieren aktuelle theoretische Qualitätsmodelle zwar durch- aus anspruchsvolle Zusammenhänge (siehe oben), allerdings bildet sich das bislang noch nicht in der empirischen Umsetzung ab. Dies betrifft auch die in der Schul- effektivitätsforschung diskutierte Forderung nach Längsschnittanalysen (Gustafsson 2010). Ausnahmen sind beispielsweise die interessanten Analysen von Bischof und Kollegen (2013; Bischof 2017). Sie haben im Rahmen eines Schullängsschnitts über neun Jahre im Rahmen der PISA-Untersuchungen auf der Basis eines cross-lagged- panel Models festgestellt, dass Entwicklungen auf Schulebene – die Realisierung von internen Evaluationen – in einem Zusammenhang mit den, auf Schulebene aggregier- ten Leistungsveränderungen der Schüler*innen stehen. Ein Schullängsschnitt wurde somit mit einem auf Schulebene aggregierten Schüler*innenlängschnitt kombiniert. Noch komplexere Analysen haben Hallinger und Heck (2010) realisiert. Sie konnten sichtbar machen, dass die Veränderung des Schulleitungshandelns über vier Jahre einen Einfluss auf die Veränderung der school academic capacity und diese wiederum einen Einfluss auf die Leistungsentwicklung der Schüler*innen hat. Die Entwicklung der Einzelschule, gemessen an der Veränderung der Qualität des Schulleitungshandelns (Schullängschnitt), kann damit als Prädiktor und Effektivi- tätskriterium für die Erklärung der Leistungsentwicklungsunterschiede der Schü- ler*innen (Schüler*innenlängsschnitt) verstanden werden. 18 K. Maag Merki Indem schulisches Handeln als dynamisches Handeln unterschiedlicher Akteure als Prädiktoren für die Qualitätsentwicklung der Schule sowie die Leistungsentwick- lung der Schüler*innen berücksichtigt wird, kann die Schulqualitätsforschung be- deutsam von Ansätzen der Schulentwicklungsforschung profitieren (Maag Merki 2017). Dies erfordert allerdings anspruchsvolle methodische Designs und Stich- proben (große Schulstichproben, untersucht über mehrere Jahre), was nicht einfach zu realisieren ist. 5 Ausblick Mit Rückblick auf die gut sechzigjährige empirische Forschung zu Schulqualität und Schuleffektivität kann konstatiert werden, dass sowohl aus theoretischer wie auch aus methodischer und empirischer Perspektive bedeutsame Entwicklungen realisiert werden konnten. Wenn aktuelle Forschungen in den Blick genommen werden, so ist beein- druckend, dass vielfach mehrebenenanalytische Konzepte, anspruchsvolle Forschungs- designs, die Ursache und Wirkungen untersuchen können (z. B. Interventionsstudien), komplexe methodische Ansätze (z. B. Mehrebenen-Strukturgleichungsmodelle) und qualitative sowie quantitative Forschungsansätze implementiert sind. Dennoch bleibt deutlich, dass an vielen Stellen substanzielle Forschungslücken bestehen, so beispiels- weise in Bezug auf differenzielle Effekte oder die theoretische Modellierung von Schulqualität bzw. Schuleffektivität, die in Zukunft in den Blick genommen werden müssten, um vertiefte Erkenntnisse über die Qualität von Schulen und ihren Bedin- gungsfaktoren zu gewinnen. Dies ist umso dringender, weil aktuelle Monitoringkon- zepte der Beurteilung von Schulen auf Erkenntnisse der Schulqualitäts- und Schul- effektivitätsforschung Bezug nehmen. Literatur Altrichter, H., & Kemethofer, D. (2015). Does accountability pressure through school inspections promote school improvement? School Effectiveness and School Improvement, 26(1), 32–56. Altrichter, H., & Maag Merki, K. (2016). Steuerung der Entwicklung des Schulwesens. In H. Altrichter & K. Maag Merki (Hrsg.), Handbuch Neue Steuerung im Schulsystem (2., erw. Aufl. S. 1–28). Wiesbaden: Springer VS. 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