Einführung in das Studium der Geschichtswissenschaften PDF WS 2019

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Universität Innsbruck

Lilly Miklautz

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This document is a lecture introducing students to the study of history, focusing on ancient history. It includes details about the history of ancient history studies and topics such as chronology, periodization, and key figures.

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645302 Einführung in das Studium der Geschichtswissenschaften WS 2019 Lilly Miklautz 645302 Ein...

645302 Einführung in das Studium der Geschichtswissenschaften WS 2019 Lilly Miklautz 645302 Einführung in das Studium der Geschichtswissenschaften WS 2019 11/10/19 Alte Geschichte Steinacher R.  Alte Geschichte in Innsbruck  Alte Geschichte: Zeit, Raum  Chronologie und Datierung  Alte Geschichte und die Geschichtswissenschaft, zentrale Begriffe und ihre Bedeutungen o Geschichte/Historie o Geschichtsschreibung/Historiographie o Geschichtswissenschaft/Geschichtsforschung/Quellen  Spezialdisziplinen: Epigraphik, Numismatik, Papyrologie Alte Geschichte in Innsbruck Institut für Alte Geschichte und Altorientalistik (Langer Weg) Forschungsschwerpunkte  Antike Historiographie  Mittelmeerraum und Vorderer Orient  Sozial- und Geschlechtergeschichte  Städtebeschreibung in antiker Literatur Lehrende: Jakob Ecker, Sabine Fick, Irene Madreiter, Robert Rollinger, Kordula Schnegg, Roland Steinacher, Brigitte Truschnegg Geschichte des Faches 1885: Erster Lehrstuhl wird eingerichtet; → Etablierung als eigenes Fach in Forschung und Lehre und Ausgliederung aus der Gesamtgeschichte. 1897 Rudolf von Scala (1860-1919) erhält eine ordentliche Professur. 1901 Einrichtung eines „Archäologisch-Epigraphischen Seminars“; unter der Leitung von Carl Friedrich Lehmann-Haupt (1861-1938; Lehrstuhl von 1918-1932; Honorarprofessor bis 1935). Jüdische Wurzeln, Opfer des nationalsozialistischen Regimes. 1937 Ausgliederung der Alten Geschichte (Archäologie – Alte Geschichte); AG unter der Leitung von Franz Miltner (1901-1959; Lehrstuhl von 1940-1945). Miltner während nationalsozialistischer Diktatur tätig. Leitete die Ausgrabungen Aguntum. Nachfolgende Professoren: Franz Hampl (1910-2000; Lehrstuhl von 1947-1987), Reinhold Bichler (Lehrstuhl von 1987-2013), Christoph Ulf (Lehrstuhl von 2002-2014), Robert Rollinger (Lehrstuhl seit 2005), Roland Steinacher (Lehrstuhl seit 2018) 645302 Einführung in das Studium der Geschichtswissenschaften WS 2019 Lilly Miklautz 2000 Fusionierung Alte Geschichte mir Institut für Sprachen und Kulturen des Alten Orients- „Institut für Alte Geschichte und Altorientalistik. 2008 Campus Zentrum für Alte Kulturen (gem. mit dem Institut für Archäologien, Abteilung Latinistik, Gräzistik/Institut für Sprachen und Literatur) Alte Geschichte: Zeit und Raum Raum und Gegenstand a. „eng“: Geschichte der „Griechen“ und „Römer“ b. „weit“: Geschichte des antiken Mittelmeerraumes und Vorderasiens (Innsbruck) Im Altertum war die Lage am Wasser wichtig für Kommunikation. Das Meer verbindet Kulturen, anstatt sie zu trennen. Entstehende griechische Kultur – enge Verbindung zu altem Orient. Fokussierung auf das Mittelmeer. Im Laufe des 5. Jhdt. v.u.Z. ändert sich dies als der römische Stadtstaat zur Mittelmacht in Italien wird. Nach den Punischen Kriegen etabliert sich Rom als Supermacht (Nach Zerstörung Karthagos und Korinths). Rom kontrolliert den Mittelmeerraum und expandiert nach Nordafrika, Kleinasien, Griechenland, übernimmt Ägypten, etc. Alte Geschichte: Zeit und Gegenstand Periodisierung Periodisierungen sind stets Konstrukte; notwendig für Orientierung. Entwicklungen sind aber NIE zeitgleich → kein Gänsemarsch der Epochen. Periodisierung nach Übergangszeiten  Obergrenze: Frühe Schriftkulturen in Mesopotamien, Ägypten (zw. 3500-3200 v.u.Z.)  Untergrenze: Übergang zum Mittelalter (zwischen etwa 400 und 700 n.u.Z.) Periodisierung nach „Fixpunkten“ z.B.  Obergrenze: ? (2700 v.Chr. Bronzezeit in der Ägäiswelt, 1200 v.Chr. Archaik)  Untergrenze: 476 n.Chr. oder 565 n.Chr. Probleme:  Geschichte als Prozess  Epochen als “Kohärenzfiktion”  Standpunkt, Blickwinkel und Deutung (Eurozentrismus)  Antike als Vorläufer eines christlichen Abendlandes?  Antike als Ausgangspunkt einer europäischen Geschichte? 645302 Einführung in das Studium der Geschichtswissenschaften WS 2019 Lilly Miklautz Beispiel für eine Periodisierung eines speziellen Zeitraumes: Römische Geschichte ? bis 510/509 v.Chr............................. Sog. Königszeit 510/509-31/30/27 v.Chr............................... Republik 510/509-287 v.Chr............................. Frühe Republik 287-133 v.Chr................................. Mittlere Republik 133-31/30/27 v.Chr............................. Späte Republik 31/30/27 v.Chr.-476/565 n.Chr.................... Kaiserzeit Jede Gesellschaft organisiert Zeit und etabliert Zeitrechnungen/Chronologien, um das Leben in der Gemeinschaft strukturieren und lenken zu können. Chronologie und Datierung Absolute Chronologie Bezug auf unser Datierungssystem: = Datierung nach Christi Geburt (1. Jänner 1 n. Chr.) = anno domini (= Ära: Datierung nach einem Fixpunkt) Kein Jahr “0”  1. Jhdt. n.u.Z.: 1–100 n.u.Z.  3. Jt. n.u.Z.: 2001 – 3000 n.u.Z.  2.Jh. n.u.Z.: 101–200 n.u.Z.  Jh. v.u.Z.: 100–1 v.u.Z.  1.Jt. n.u.Z.: 1–1000 n.u.Z.  2.Jh. v.u.Z.: 200–101 v.u.Z.  2. Jt. n.u.Z.: 1001 – 2000 n.u.Z. Weitere Ären  Datierung nach der Hidschra/Hedschra/higra = anno hegirae – Weggang Mohammeds aus Mekka nach Medina; Ankunft in Qubā/Yathrib: 24. September 622 n.u.Z.  Datierung nach der Erschaffung der Welt = anno mundi - 7. Oktober 3761 v.u.Z.  Seleukidische Ära: 312 v.u.Z. – Seleukos I. erobert Babylon und setzt sich als Herrscher durch. Vorteile der Datierung mit einer Ära Jedes Jahr ist auf den ersten Blick innerhalb der gegebenen Datierungssystems fixierbar. Z.B. 276 AD ist älter als 433 AD Eigentümlichkeiten der Datierung mit einer Ära Ären schaffen eigene, oft sehr lang Erinnerungsräume, die ideologisch aufgeladen sind; spezifische Konstruktion von Vergangenheit mit hohem Potential zur Ein- und Ausgrenzung. Ären benutzen unterschiedliche Kalendersysteme:  Mond- und Sonnenjahr  Jahresbeginn im Frühjahr bzw. im Herbst  Tagesbeginn bei Sonnenunter- bzw. Sonnenaufgang Sonnenkalender: Ägypten, Julianischer Kalender, Gregorianischer Kalender Mondkalender: Babylonien, Judentum, Islam Relative Datierung Eigentlich alle Datierungssysteme „relativ“, d.h. durch Übereinstimmung festgelegt. Welches System „absolut“ und damit der Bezugspunkt ist, entscheidet die Perspektive. 645302 Einführung in das Studium der Geschichtswissenschaften WS 2019 Lilly Miklautz Datierungssysteme in der Weltgeschichte (außer Ären)  Datierung nach Jahresnamen (jedes Jahr erhält einen Namen nach einem als wichtig erachteten Ereignis: Politik, Religion, Bauten): Mesopotamien im 3. Jt. v. Chr.  Datierung nach Regierungsjahren von Herrschern: Babylonien im 2. und 1. Jt. v. Chr.; Ägypten  Datierung nach Beamten, die mit ihrem Eigennamen dem Jahr den Namen geben (Eponyme): Archon eponymos in Athen; Eponyme in Assyrien; Konsuln in Rom Beispiel: Datierung in Rom nach Konsuln – fasti consulares fasti (fari = sprechen) = Liste fasti consulares = Liste der römischen Konsuln 19 v.u.Z. von Augustus auf den Triumphbogen am Forum Romanum angebracht (seit Anbeginn der Republik; Glaubwürdigkeit für frühe Republik ist fraglich). 1546/1547 in Bruchstücken wiederentdeckt. Daneben die fasti triumphales = Liste der Feldherren, die Triumphe feierten, Aufnahme bis 19 v.u.Z. Fragment. CIL 1(2), p.43 (1) fasti triumphales - Fragment in englischer Übersetzung 752/1 Romulus, son of Mars, king, over the Caeninenses, k.Mart. {1st March} [752/1] Romulus, son of Mars {II}, king, [over the Antemnates...] [11 lines lost] [... ] [Ancus Marcius... king, over the Sab]ines and [Veientes...] [... ] L. Tarquinius Priscus, son of Damaratus, king, over the Latins, k.Quint. {1st July} 588/7 L. Tarquinius Priscus, son of Damaratus {II}, king, over the Etruscans, [k.A]pr. {1st April} 585/4 L. Tarquinius Priscus, son of Damaratus {III}, king, over the Sabnies, id.Sext. {13th September} 571/0 Ser. Tullius, king, over the Etruscans, 6 k.Dec. {25th November} 567/6 Ser. Tullius {II}, king, over the Etruscans, 8 k.Jun. {25th May} [... ] Ser. Tullius {III}, king, over the Etruscans, 4 non. [...] Beispiel: Iulianischer Kalender Eingeführt von C. Iulius Caesar (100-44 v.u.Z.). Neuzuordnung von Tagen – dadurch entfällt der Schaltmonat „mensis intercalaris“. Jahresbeginn mir Ianuaris statt Martius. Umfasst die Monate: Ianuarius, Februarius, Martius, Aprilis, Maius, Iunius, Iulius (statt Quintilis), Sextilis (später Augustus), September, October, November, December. Weitere Angaben: Kalendae = 1. Tag eines Monats, Nonae = 9. Tag eines Monats vor dem Vollmond, Iden = 15. Tag der Monate Martius, Maius, Quintilis, ansonsten 13. Tag des Monats. In Rom erhält heder Tag einen Charakter, womit festgelegt wird, was erlaubt und was nicht eralubt ist, z.B. dies fastus – Rechtsprechung erlaubt, dies nefastus – Rechtsprechung nicht erlaubt; dies comitialis – Versammlungen sind erlaubt, etc. Historische Datierungsmethoden Datierung von undatierten Texten durch  Erwähnung von historisch fixierbaren Ereignissen terminus post quem – Fixpunkt, nach dem das zu datierende Ereignis anzusetzen ist. terminus ante quem – Fixpunkt, vor dem das zu datierende Ereignis anzusetzen ist.  Erwähnung von aus anderen Texten bekannten Personen → Prosopographie, systematische Erforschung von Personenkreisen  Schriftbild bzw. Schriftart → Paläographie 645302 Einführung in das Studium der Geschichtswissenschaften WS 2019 Lilly Miklautz Archäologische Datierungsmethoden, z.B. Datierung von Fundstücken nach archäologischen Schichten, sog. Stratum/Strata. Mehrere Schichten übereinander ergeben ein „archäologisches Profil“/Schichtenschnitt. Stratigraphie = die Abfolge der Schichten eines spezifischen Fundplatzes. Datierung von Fundstücken nach Typologien, v.a. Keramik als Medium von Leitdatierungen. Keramik hat großese regionales und chronologisches Distinktions- und Veränderungspotenzial. Naturwissenschaftliche Datierungsmethoden, z.B. Radiokarbondatierung = Datierung kohlenstoffhaltiger (organischer) Materialien. Nach dem Tod eines Organismus zerfallen 14C-Isotope nach berechenbaren Gesetzmäßigkeiten. Rohdaten beziehen sich auf das Jahr 1950. 14C-Gehalt der Atmosphäre ist in der Erdgeschichte starken Schwankungen ausgesetzt – müssen kalibriert werden. Dendochronologie = Datierung nach Jahresringen von Bäumen. Breite der Jahresringe gibt Aufschluss von Wachstumsbedingungen einer bestimmten Region. Durch Überlagerung von Ringmustern von Bäumen einer bestimmten Region entstehen Jahresringchronologien. Geschichte - Historie „geschehen“ Historie: historein („erforschen“): Herodot v. Halikarnassos. „Geschichte: Kunde des Geschehenen (traditionell), „Die anwesende Abwesenheit der Vergangenheit“ (Achim Landwehr, 2016 - postmodern). Geschichte ist einmalig, unwiederholbar und unumkehrbar. Unterschied zu exakten Naturwissenschaften (Experiment), Gesetze Nutzen der Geschichte Erste Geschichtsschreibungen wie Herodot verstehen sich nicht als Wissenschaftler, sie sind in erster Linie Schriftsteller. Lernen aus der Geschichte - Historia magistra vitae z.B. Polybios (2. Jhdt. v.u.Z.) Geschichtswerk (Thema: Hegemonie Roms) mit methodischem Anspruch der pragmatischen Geschichtsschreibung oder pragmatike historia. Belehrung durch Darstellung von Taten und Ereignissen. Umgang mit der Vergangenheit Häufig: Anspruch auf Deutungshoheit über das Vergangene, z.B. Tacitus 1. und 2. Jhdt. n.u.Z. Historein & Annalen; Maxime: Unbestechliche Wahrhaftigkeit in der Darlegung des Vergangenen/ „…incorruptam fidem professis…“, Tac. Hist. 1,1,3. Herkunft der Gegenwart z.B. Appian aus Alexandrien 2. Jhdt. n.u.Z. Geschichtswerk ab urbe condita; Darlegung der historischen Bedingungen für den Frieden seiner Zeit. Geschichtsschreibung - Historiographie Erzählende Darlegung der Kunde des Geschehenen. Wird zu einer zentralen Form der Erinnerung von Vergangenem im griechisch-römischen Raum (gibt es aber nicht überall, siehe z.B. Perserreich). 645302 Einführung in das Studium der Geschichtswissenschaften WS 2019 Lilly Miklautz Von Beginn an wird thematisiert Nutzen der Geschichtsschreibung wird festgehalten (zur Belehrung, zur Richtigstellung…) Mitunter: Verschiedene Überlieferungen zu einem Sachverhalt werden diskutiert (der Autor entscheidet sich für die „glaubwürdigere“ Variante). Z.T. werden Methoden reflektiert, z.B.  Thukydides: Fiktionale Reden, Objektivität  Polybois: Woher kommen die Informationen, wer ist fähig diese darzustellen?  Cicero: Wie sieht die Ideale Geschichtsschreibung aus? Thukydides beschreib die Peloponnesischen Kriege. Dabei interessiert er sich für Hintergrund und Ablauf und möglichst objektivierbar die Standpunkte der Kriegsparteien darzustellen. Versucht Reden zu inszenieren, fiktionale Reden, in denen er unterschiedliche moralische Standpunkte einbaut. Hekataios von Milet „(Demetrios, Über den Stil; 12) Heketaios von Milet erklört: Das Vorliegende schreibe ich so, wie es mir wahr zu sein scheint, nieder; die Erzählungen der Hellenen nämlich sind – so kommen sie jedenfalls mir vor – ebenso zahlreich wie lächerlich.“ Appian, Die römische Geschichte, Vorwort 10 Das Römische Reich zeichnet sich durch Größe und Dauer vor allen aus; beides ein Werk der Klugheit und des Glücks. Um es so weit zu bringen, überboten die Römer alle anderen Völker an Klugheit und Tapferkeit [...] 12 Diese Geschichte ist nun zwar schon von vielen Griechen und Römern beschrieben und sie hat einen weit größeren Umfang als die Makedonische, welches doch die größte von allen vorhergehenden ist. [...] So verfuhr ich von Volke zu Volk, weil ich die Taten der Römer bei jedem einzelnen überblicken wollte, um die Schwäche oder Ausdauer der Völker, die Tapferkeit oder das Glück der Sieger und die sonstigen Zufälle kennenzulernen, welche dabei mitwirkten. 15 Wer aber ich bin, der Verfasser dieses Werkes, wissen bereits viele und ich selbst habe es oben angedeutet. Gleichwohl will ich es noch deutlicher sagen: Ich bin Appian von Alexandrien, gelangte zu den höchsten Ehrenstellen in meiner Heimat und führte als Sachwalter Rechtsgeschäfte in Rom vor den Gerichtshöfen der Kaiser, bis diese mich für würdig erachteten, ihr Verwalter zu werden. [...] Appian beginnt sich für einzelne Provinzen zu interessieren und die Varietät des Imperium Romanum hervorzuheben. Hstoriographie ist nur eine Erinnerungsform von vielen; weiter Erinnerungsmodi z.B. im Antiken Rom:  Historische Epen: Homerische Epen Ilias und Odyssee, Vergils Aeneis (Lateinische Kopie der Ilias und Odyssee)  Ahnenportraits: Erinnerung an eigene Ahnenreihen.  Mos maiorum: Konstruktion von Tugenden  Pompa funebris:  Denkmäler  Inschriften  Rituale Etc. 645302 Einführung in das Studium der Geschichtswissenschaften WS 2019 Lilly Miklautz Behistun-Inschrift im Iranischen Hochland – Persisches imperium 5. Jhdt. v.u.Z. Geschichtswissenschaft – Geschichtsforschung - Quellen Etablierung als Fach an den Universitäten. Wissenschaftliche Beschäftigung mit der Geschichte. Dabei müssen spezielle Regeln der scientific communitiy befolgt werden im Hinblick auf Methode, Theorie und Narration. Bedeutend für die Verwissenschaftlichung der Geschichte im deutschsprachigen Raum: Johann Gustav Droysen (1808-1884)  Geschichte des Alexander des Großen, Geschichte des Hellenismus, Geschichte der preußischen Politik  Hermeneutischen Methode – wird zentral für den Historismus Quellen Ausgangspunkt für die historische Analyse sind die Quellen. Definitionen: „Entstammen historische Materialien der Zeitstufe, die wir erforschen wollen, dann handelt es sich um Quellen. Sind sie später entstanden, dann zählen sie zu den sekundären Materialien.“ (Stefan Jordan, Einführung in das Geschichtestudium, Reclam: Stuttgart 2005, S.49) „[Als historische] Quellen kann im Grunde alles dienen, was in irgendeiner Form Auskunft über die Vergangenheit gibt beziehungsweise über die Vergangenheit befragt werden kann [...]“. (Andreas C. Hofmann/Ioannis Charalambakis/Leila Bargmann (Hg.), Quellen. Eine geschichtswissenschaftliche Grundkategorie, Diplomica Verlag GmbH: Hamburg 2013, S. 11f. 645302 Einführung in das Studium der Geschichtswissenschaften WS 2019 Lilly Miklautz Quellen und die historische Erkenntnis Materialien aus der Vergangenheit in entdeckter und Großteils „aufbereiteter Form“. Für die HistorikerInnen besonders zentral: Literatur und schriftliche „Quellen“ Quellenkritik: a. „äußere Quellenkritik“ – Beschaffenheit des Materials b. „innere Quellenkritik“ – Qualität des Materials Historische Deutung, Auswertung und Interpretation der Quellen. Quellen der Alten Geschichte  Texte: Epen, Lyrik, Annalen, Chroniken, historische Darlegungen/Historiographie. Kaum Originale, Überlieferung via mittelalterliche und oder arabische Handschriftentraditionen.  Archivalische Quellen: Briefe, Urkunden, Verwaltungstexte  Inschriften  Münzen  Materielle Hinterlassenschaften  Bildquellen Quellen der Alten Geschichte: Antike Texte Nur in Bruchstücken und nur vereinzelt direkt aus der Antike überliefert. Überlieferung über Abschriften. Seit der Renaissance: Rekonstruktion antiker Texte aus Handschriftentraditionen. Herstellung eines primären Textes durch klassische Philologie. Es entstehen erste Editionen, seit dem 18. Jhdt. verstärkt mit Übersetzungen – „Volkssprache“ gewinnt an Bedeutung. Die meisten antiken Texte finden Sie in aufbereiteter Form – Edition, Übersetzung, neu strukturiert in Buchform. in der Fachbibliothek. Quellen der Alten Geschichte: Inschriften Z. B. Fragment der res gestye divi Augusti aus dem Monumentum Ancryranum. Tatenbericht des Augustus Auszug aus dem Tatenbericht I 1-3 facinus, et Rerum gestarum divi Augusti, quibus orbem postea bellum terrarum imperio populi Romani subiecit, et inferentis rei impensarum quas in rem publicam publicae vici bis populumque Romanum fecit, incisarum in acie. duabus aheneis pilis, quae sunt Romae positae, Bella terra et exemplar subiectum. Annos undeviginti mari civilia natus exercitum privato consilio et privata externaque toto impensa comparavi, per quem rem publicam a in orbe dominatione factionis oppressam in libertatem terrarum saepe vindicavi. [Ob quae] senatus decretis gessi, victorque omnibus veniam petentibus honorificis in ordinem suum me adlegit, C. civibus peperci. Externas gentes, quibus tuto Pansa et A. Hirtio consulibus, consularem ignosci potuit, conservare quam excidere malui. locum sententiae dicendae tribuens, et Millia civium Romanorum sub sacramento meo imperium mihi dedit. Res publica ne quid fuerunt circiter quingenta. Ex quibus deduxi in detrimenti caperet, me propraetore simul cum colonias aut remisi in municipia sua stipendis consulibus providere iussit. Populus autem emeritis millia aliquanto plura quam trecenta, eodem anno me consulem, cum cos. uterque et iis omnibus agros adsignavi aut pecuniam bello cecidisset, et triumvirum rei publicae pro praemiis militiae dedi. Naves cepi constituendae creavit. sescentas praeter eas, si quae minores quam Qui parentem meum trucidaverunt, eos in triremes fuerunt. exilium expuli iudiciis legitimis ultus eorum 645302 Einführung in das Studium der Geschichtswissenschaften WS 2019 Lilly Miklautz zum Triumvirn zur Neuordnung des Auszug aus dem Tatenbericht I 1-3 in Staatswesens. deutscher Übersetzung 2. Diejenigen, die meinen Vater ermordet Die Taten des vergöttlichten Augustus, mit haben, trieb ich in die Verbannung und rächte denen er den Erdkreis der Herrschaft des durch gesetzmäßige gerichtliche Verfolgung so römischen Volkes unterwarf, sowie die ihr Verbrechen. Und als sie darauf Krieg gegen Aufwendungen, die er für das römische den Staat anfingen, besiegte ich sie in Staatswesen und Volk machte, eingegraben auf doppelter Feldschlacht. zwei ehernen Pfeilern, die in Rom aufgestellt 3. Kriege zu Wasser und zu Lande gegen innere sind, wiedergegeben in folgender Abschrift. und äußere Feinde habe ich auf dem ganzen 1. Mit neunzehn Jahren habe ich aus privater Erdkreis oftmals geführt, und als Sieger habe Initiative und aus eigenen Mitteln ein Heer ich den Mitbürgern, die um Gnade baten, aufgestellt, mit dem ich dem Staatswesen, das Schonung gewährt. Auswärtige Völker, denen durch die Gewaltherrschaft einer politischen man ohne Bedenken Verzeihung gewähren Machtgruppe unterdrückt wurde, die Freiheit konnte, habe ich lieber erhalten als ausrotten wiedergab. Um dessentwillen hat mich der wollen. Etwa 500000 Bürger haben den Senat im Konsulatsjahr des Gaius Pansa und Fahneneid auf mich geleistet. Von diesen habe Aulus Hirtius [43 v.Chr.] mit ehrenden ich ein gut Teil mehr als 300000 in Beschlüssen in seine Körperschaft Neugründungen angesiedelt oder nach aufgenommen, mir den Rang eines Konsuls bei Ableistung ihrer Militärdienstzeit in ihre den Abstimmungen zuerkannt sowie die Heimatorte entlassen. Und diesen allen habe militärische Befehlsgewalt übertragen. Dafür, ich Ackerland zuweisen oder Geld als Lohn für daß der Staat keinen Schaden erleide, hieß er ihren Kriegsdienst auszahlen lassen. Schiffe mich im Range eines Propraetors zugleich mit habe ich 600 gekapert, abgesehen von denen, den Konsuln Sorge tragen. Das Volk aber die etwa unter der Größe eines Dreiruderers wählte mich im selben Jahr zum Konsul, als waren. beide Konsuln im Krieg gefallen waren, und Spezialdisziplinen Epigraphik Wissenschaft, die sich allgemein mit Geschriebenem auf dauerhaftem Material auseinandersetzt. Begriff Epigraphik leitet sich vom Griechischen epi = in/auf und grapheim = schrieben her.  Schriftträger: Stein, Metall, Ton, Holz, Papyri, Pergament.  Anbringung der Schrift: Gemalt, gemeißelt, gepunktet, geritzt, etc. EpigraphikerIn: Herstellung eines gesichteren Textes, Leidener Klammersystem (regelt Ergänzungen, Korrekturen etc.). Inschriften als Quellen für die Alte Geschichte: Zufällig überliefert, meist einmalig, häufig zweckgebunden (z.B. Grabinschriften, Dedikationsinschriften), erlauben mitunter Einblicke in nicht-elitäre Lebensrealitäten, formelhafte Sprache. 645302 Einführung in das Studium der Geschichtswissenschaften WS 2019 Lilly Miklautz Herstellung eines Textes D(i) M(anibus) Den Totengöttern. L(ucius)  Pontius  Lucius Pontius Primus Primus  Ane aus dem aniensischen Wahlbezirk, sis  Vercellis aus Vercellae (stammend), mil(es)  leg(ionis)  X  Soldat der legio decima Gemina, Gem(inae) frumentarius in der Zenturie des fr(umentarius)   centuria  Gemellus.  Gemelli mil(itavit)  an(nos)  Er diente acht Jahre lang als Soldat. VIII  vix(it) Er lebte dreißig Jahre an(nos)  XXX. Numsimatik Wissenschaft, die sich mit Geld in Form von Münzen und Papier auseinandergesetzt. Beschaffenheit des Materials, Inschrift, Wert, politisches Programm. Für die Antike: Münzen. Begriff Numsmatik leitet sich von nomisma = Gültigkeit, Wert, Münze her. z.B. Münzen aus der späten Republik Wie sehen die „Attentäter Caesars“ bzw. „Retter der Republik“ sich selbst? Denar mit Brutus auf der Vorderseite und der Inschrift „L. plaer. Cest. Brut(us) Imp. (erator)“ und auf der Rückseite sieht man zwei Dolche und in der Mitte den pileus libertatis sowie die Inschrift „Eid(us) Mar(tis)“; datiert 42 v.u.Z. Pileus libertatis – Hut der Sklaven bei Freilassung gab. Anspielung auf Vorwurf Caesar würde mit seiner Politik die Freiheit der römischen Bevölkerung gefährden. Papyrologie Schriftträger Papyrus (Pl. Papyri). Papyrus wird aus der Papyrusstaude gewonnen (kompliziertes zur Herstellung des Schreibmaterials) → Herstellung von einzelnen Blättern foliae, die mitunter zu einer Rolle volumina zusammengefügt wurden. Durchschnittliche Höhe einer Seite: 20-40 cm Länge, zwischen 2,2 und 11m. Bezeichnung des Schreibmaterials im Griechischen biblos, biblion; im Lateinischen liber, libellus, volumina. Papyrus als exklusives Schreibmaterial, Pergament findet erst ab dem 3./4. Jhdt. n.u.Z. Verbreitung. Nachbardizsiplinen der Alten Geschichte  Klassische Archäologie  Assyriologie  Vorderasiatische Archäologie  Ägyptologie  Ur- und Frühgeschichte  Hethitologie  Klassische Philologie: Latinistik und  Bibelwissenschaften Gräzistik  Sprachwissenschaft (Indogermanistik, Semitistik)  Religionswissenschaft 645302 Einführung in das Studium der Geschichtswissenschaften WS 2019 Steinacher R. Alte Geschichte Lilly Miklautz Alte Geschichte an der Schnittstelle von Geschichtswissenschaft und Altertumswissenschaft. 645302 Einführung in das Studium der Geschichtswissenschaften WS 2019 Lilly Miklautz 25/10/19 Neuzeit Ehrenpreis, Stefan Schwerpunkte  Beziehungsgeschichte zwischen Mitteleuropa und Westeuropa 16.-19. Jhdt. (insbesondere mit Großbritannien)  Das Reich und Italien in der frühen Neuzeit  Religionsgeschichte der frühen Neuzeit Quellen und Methoden in den Geschichtswissenschaften: Neuzeit 1. Epochenbildung & Binnenperiodisierung 2. Schwerpunkte & Spezialdisziplinen 3. Hauptquellen der Geschichte der Neuzeit a. Selbstzeugnisse & Ego-Dokumente b. Druckmedien/-publizistik 4. Ausgewählte Methoden: Historischer Vergleich 1 Epochenbildung und Binnenperiodisierung 1. 1 Was sind Periodisierungen und Epochen Warum Einteilung als Perioden/Epochen der Geschichte? Zitat Droysen – Zurzeit als Geschichtswissenschaft als eigene Wissenschaft an den Universitäten etabliert. „Ich habe kaum nötig, hier ausdrücklich darauf aufmerksam zu machen, dass es in der Geschichte sowenig Epochen gibt wie auf dem Erdkörper die Linien des Äquators und der Wendekreise, dass es nur Betrachtungsformen sind, die der denkende Geist dem empirisch Vorhandenen gibt, um sie so desto gewisser zu fassen.“ Johann Gustav Droysen, Grundriß der Historik (1868), Stuttgart / Bad Cannstatt 1977, S. 371 Droysen weißt auf die zukünftig wichtigsten Überlegungen zur Epocheneinteilung hin: Epochen sind KEINE objektiven, vorgegebenen Einteilungen, sondern von Menschen hergestellte, künstliche Einteilung. Aber sinnvoll für Gliederung und große geschichtliche Abläufe/Umbrüche zu erklären. Epochen sind dem denkenden Geist/wissenschaftlichen Auffassungsweise entsprungen – also auch veränderbar. Bloß Ordnungsinstrumente der historischen Erkenntnis und geben eine temporale Ordnungsstruktur und kulturellen Sinn → Konstruktcharakter. Doppelte Sinnbildung:  Methodisches Werkzeug der Forschung: Retrospektive Bedeutungsschicht  Selbstverständnis der Zeitgenossen: Aktuale Bedeutungsschicht. Brüche, die von Zeitgenossen dokumentiert wurden – sind oft ganz anders als die, die später von Historikern festgestellt werden. 645302 Einführung in das Studium der Geschichtswissenschaften WS 2019 Lilly Miklautz Epochen beinhalten meist auch inhaltliche Aussage, z.B. fundamentaler Bruch. Wann setzen wir eine neue Epoche an? Mit diesem Ansetzen behauptet man als HistorikerIn meist das Umschlagen gesellschaftlicher Verhältnisse in eine neue Qualität. Durch Konstruktionscharakter auch Inkongruenzen:  Räumlich: Je nach Land/Region/Kontinent kann sich Epochenansetzung verändern.  Sektoral: Wirtschaft, Recht, Politik.  Temporal: Differente Veränderungsrhythmen – kein Gänsemarsch der Epochen. Alternativentwurf für Periodisierung Drei Zeitebenen nach Ferdinand Braudel: „Das Mittelmeer in der Epochen Philipps II, 1948“ Philipp II – spanischer König. Spanien damals ein Weltreich mit Mittel- und Südamerika. Überlegung von Braudel – Beobachtung der Folgen von Herrschaft Philipps II auf das ganze Mittelmeer. Man kann die Strukturen der Mittelmeerwelt in den 50 Jahren Herrschaftszeit nicht verstehen, wenn man nur diese 50 Jarhe beobachtet. Braudel hat nach dieser Erkenntnis ein Dreierschema erstellt. 1. Longue durée: Mentalitätsgeschichte, z.B. Besiedlungs- Und Agrarstrukturen des Mittelmeerraumes. Strukturen fast noch die gleichen wie in römischer Zeit – also lang andauerndes Phänomen 2. Moyenne durée: Strukturgeschichte, z.B. Handelskontakte. Um 1560 waren die Handelskontakte bereits im Hochmittelalter entstanden und kaum verändert. Geografische Ausrichtung der Städte war ebenfalls bereits im Hochmittelalter ungefähr so angelegt – strukturen mittlerer Dauer. 3. Temps court/histoire evenementielle: Ereignisgeschichte, Zeitepoche der Herrschaft Philipps II. V.a. Beschreibung der politischen Ereignisse Diese Beispiel Braudels mit der Dreiteilung in langfristig, mittlere Dauer und kurzfristig sehr berühmt geworden. Der wichtigste alternative Ansatz der quer zu den Epocheneinteilungen liegen. 1.2 Was ist die (Geschichte der) Neuzeit? Humanistische Philologen des späten 15. Und 16. Jhdts.: „Neue Zeit“ als Zeit die deutlich vom „dunklen Mittelalter“ abgegrenzt war „historia nova“ 1685 von Christoph Cellarius als Epochenbezeichnung verwendet – etablierte Trias „Altertum – Mittelalter – Neuzeit“. Verfasste eine Universalgeschichte, welshalb die Epocheneinteilung wichtig war. Im 19. Jhdt. Verankerung des Begriffs „Neuzeit“ in der Geschichtswissenschaft. Endet 1918 – alles danach wird aus praktischen Gründen als Zeitgeschichte bezeichnet. Wann lässt man die „Neuzeit“ beginnen? Bündel mittel- und langfristig einschneidender Veränderungen um 1500:  Buchdruck: Informations- & Medienrevolution (in Europa!)  Renaissance & Humanismus: Orientierung an neuem Schönheitsideal der Antike und der Natur. Wiederentdeckung der Antike in Text und Kunst.  Entdeckung Amerikas: Europäische Expansion. Änderung des Weltbildes, Wirtschaftsveränderungen, Verlagerung von Wirtschaftsströmen, etc. 645302 Einführung in das Studium der Geschichtswissenschaften WS 2019 Lilly Miklautz  Reformation & Glaubensspaltung: Reformation ist großer Wandlungsprozess – endgültige Spaltung der lateinischen Christenheit. Bereits vor Luther schon Reformer aber nie endgültige Spaltung.  Reichsreform: Wormser Reichstag 1495 – Einschneidende Festlegungen für die Verfassung des Reiches, die für die nächsten 300 Jahre gelten würden. Z.B. Reichsmatrikel: Wer am Reichstag abstimmen und teilnehmen durfte, Reichskreise: Einteilung des Reiches, Reichskammergericht: Adligenfehden sind ab nun verboten → immerwährender Landfrieden mit Etablierung des Reichskammergerichts.  neue Formen (national-)staatlicher Herrschaft: Zusammenlegung von Staaten, z.B. Dänemark und Norwegen, Schweden und Finnland, Spanien zuvor aufgeteilt in mehrere Königreiche, etc.  Frühkapitalismus: Neue Form des Wirtschaftens Richtung Investorengesellschaften. Es bilden sich große Kapitalgesellschaften, die eine Investorengemeinschaft bilden. Gerade in dieser Zeit nehmen viele wirtschaftliche Unternehmen eine Größenordnung an, für die eine Einzelunternehmer nicht gewachsen ist. Z.B. im Bergbau. Breite Übergangsperiode von ca. 1450-1550 1.3 Teilepochen der Neuzeit  Frühe Neuzeit: ca. 1500-1800  Neuere Geschichte: - Synonym zu „Neuzeit“ - ‚mittlere Neuzeit‘: ca. 1800-1914/18 („Das lange 19. Jhdt.“)  Neueste Geschichte bzw. Zeitgeschichte: 1914/18-[…] Frühe Neuzeit Beginn der frühen Neuzeit  1930er Jahre: Sporadische Erwähnung in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft.  1950er Jahre: Gehäuftes Auftreten (in Dtl.: Werner Näf, Gerhard Oestreich)  seit 1960er Jahren: Durchsetzung und akademische Etablierung als eigene(s) Fach / Subdisziplin. Zunächst in Deutschland und Schweiz, später in Österreich.  Engl. & franz. Pendant: „early modern times“, aber „histoire moderne“ → „Frühe Neuzeit“ als historiographisch / fachgeschichtlich ‚junge‘ Epoche Ende der frühen Neuzeit Buch „Doppelrevolution“ (Eric Hobsbawm) über Ereignisse um 1800. um 1800  politische Revolutionen (1776/89-1848/49). Französische Revolution – Europäische Revolutionen 1848/49  industrielle Revolution (seit Mitte 18. Jh.). Gleichzeitig zu politischen Umwälzungen. Parallelität staatlich-politischer und wirtschaftlicher Umwälzungen 645302 Einführung in das Studium der Geschichtswissenschaften WS 2019 Lilly Miklautz 1. 4 Was ist die „Frühe Neuzeit“ Inhaltliche Profilierungen Wandlungsvorgänge (‚von-zu‘-Relationen):  von der Agrarwirtschaft zur Industrialisierung um 1800 – um 1500 noch Leben von Landwirtschaft. Lange Phase des Wandlungsvorgangs.  von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft: Von Gesellschaft, die so eingeteilt ist, dass man in einen bestimmten Stand hineingeboren ist zu bürgerlicher Gesellschaft.  von mittelalterlichen Personenverbänden zu institutionellen Flächenstaaten. Ablösung des feudalen Treueverhältnis durch festen Beamtenapparat.  vom HRRDN (+ 1806) zum Deutschen Bund. Änderung in der Verfassungsstruktur.  von religiöser Einheit zu konfessioneller Pluralität Aufgrund der elementaren Wandlungsvorgänge/dynamische Momente Bezeichnung der Frühen Neuzeit als „Musterbuch der Moderne“ (Winfried Schulze) – d.h. politische/gesellschaftliche Formen werden ausprobiert. Abb. HRR um 1500 / Deutscher Bund Komplementäre Periodisierungen Binnengliederung / -differenzierung der frühen Neuzeit (nicht unbedingt klausurrelevant)  konfessionelles Zeitalter (1517-1648)  Zeitalter des Absolutismus (1648-1789)  Zeitalter der Aufklärung (18. Jh.)  „Sattelzeit“ (Reinhart Koselleck) – Zwischen Hochflächen der frühen Neuzeit. breite Epochenschwelle 1750-1850 ‚lange‘ und ‚kurze‘ Jahrhunderte – nicht Kalenderdaten, sondern Sinneinheiten:  langes 16. Jahrhundert (1500-1618)  langes 19. Jahrhundert (1789-1914/18)  [- kurzes 20. Jahrhundert (1914/18-1989/91] 645302 Einführung in das Studium der Geschichtswissenschaften WS 2019 Lilly Miklautz Alternative / konkurrierende Periodisierungen:  Relativierung der Epochenschwelle um 1500 – Es gibt schon Vorläufer im Mittelalter.  Akzentuierung der Epochenschwelle um 1800 Kontinuitäten v. Spätmittelalter / Früher Neuzeit  „Alteuropa“ (Otto Brunner, Gerhard Oestreich) 1200-1800: Statik der institutionellen Grund- lagen – Ständegesellschaft, Grundherrschaft. Negierung der Epochenschwelle 1500.  „Vormoderne“ / „Moderne“: Grenze um 1800 Frühe Neuzeit als „Frühmoderne“ 1.5 Probleme „neuzeitlicher“ Periodisierung Orientierung der Epochenbildung an den Entwicklungen (West-/Mittel/Europas) → Eurozentrismus. Perioden untauglich für die Globalgeschichte. Regionale, sektorale und soziale Ungleichzeitigkeiten → Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. 2 Schwerpunkte und Spezialdisziplinen 2.1 Themenschwerpunkte Frühe Neuzeit  Staatsbildung, politische Ideen  Reformation & Glaubensspaltung (und ihre Folgen)  Religiöse Minderheiten, z.B. Judentum im Reich 1,5 - 2%  Außenbeziehungen: Krieg & Frieden, z.B. 30-jähriger Krieg  höfische Gesellschaft, Zeremoniell/Ritual - Zusammenleben der Herrscher mit adliger Gesellschaft. Erforschung des Zeremoniells am Hof, z.B. Ludwig XIV  Kriminalität & abweichendes Verhalten: Warum Handlungen zu bestimmter Zeit als kriminell bezeichnet wurden und wie sie aus dem Kriminalitätsspektrum/Kanon herausfallen, z.B. Hexenverfolgungen, Homosexualität, etc.  Medien, Kommunikation & Öffentlichkeit(en): Es entstehen seit der Mitte des 17. Jhdt. moderne Zeitungen – enormer gesellschaftlicher Kommunikationswandel. Etablierung „öffentlicher Meinung“  Bäuerliche Widerstand/Widerstand der Untertanen: Untertanenrevolten in allen europäischen Ländern in unterschiedlichem Ausmaß.  europäische Expansion: Kolonialismus, frühe Phase der Globalisierung. Z.B. Personenkartei EIC – Unternehmen damals mehr Wert als Microsoft heute. Konfessionsbild von Kasendorf, um 1580 Bildquelle. Art Propaganda, die im Kirchengebäude angebracht war. Abgebildet: Wesentliche Stationen der Reformation. Ausgangspunkt Christus am Kreuz - Blut fließt in Kelch, das vom protestantischen Pfarrer als Blut Christi ausgeteilt wird. Übergabe der Confessio Augustana/Augsburger Bekenntnis, die wichtigste frühe Bekenntnisschrift der Protestanten auf der ganzen Welt. Links: Austeilung der Sakramente mit der Taufe als wichtigstes. In diesem Bild werden mehrere Vorgänge und Szenerien zusammengebaut um die wesentlichen Grundzüge des Glaubens zu veranschaulichen → relevant für Analphabeten. 645302 Einführung in das Studium der Geschichtswissenschaften WS 2019 Lilly Miklautz Szenerie in Fürt Jüdische Hochzeot mit entsprechenden Zeremonien. Jüdische Synagoge in Fürt. Interessant: Juden leben nicht im Ghetto, sondern ganz normal unter ihren christlichen Mitbürgern. Christliche Bevölkerung Fürts schaut dem jüdischen zeremoniell zu. 2.2 Fundamentalprozesse/Prozessbegriffe Nicht an bestimmten Ereignissen festgemacht, langfristige Ereignisse für Politik und Mensch.  Individualisierung  Nationalisierung: Langfristiger Prozess  Verrechtlichung: Fehdeverbot, etc. von Nationsbildung.  Verbürgerlichung: Rolle des Adels geht  Rationalisierung: Neue Philosophie der zurück- Vernunft als oberstes Leitprinzip  Verwissenschaftlichung: Entwicklung  Sozialdisziplinierung / Zivilisierung: Z.B. der modernen Wissenschaften beginnt Benützung einer Gabel, Toilette, etc. in Europa im frühen 17. Jhdt. Übergreifende Prozesse der  Konfessionalisierung / Säkularisierung: Zivilisierung Zurückdrängung der Religion durch  Staatsbildung Aufklärung. Modernisierung: Problem der Teleologie Hambacher Fest 1832 Wichtigstes Ereignis zur Nationsbildung der deutschen Nation. Nach Ende des HRR – Nationalstaatsbewegung. 645302 Einführung in das Studium der Geschichtswissenschaften WS 2019 Lilly Miklautz 2.3 Themenschwerpunkte Neuere Geschichte Konzentration auf das 19. Jhdt.  Nationalstaatsbildung: Nation,  Industrialisierung Nationalismus  Bevölkerungsexplosion, Urbanisierung:  Imperiengeschichte: Neuere Weltweite Bewegung, besonders aber Imperienforschung nach den in Europa. Kolonialreichen.  Proletarisierung & Arbeiterbewegung  Demokratie & Diktatur  Kolonialismus & Imperialismus: Als  Revolutionen: Wann brechen wie und spezifische Mentalität, die sich in wo Revolutionen aus? etc. Europa entwickelt.  Bürgertumsforschung: Wie kommt es  Globalgeschichte: Rolle Europas im 19. zum Niedergang des Adels? Etc. Jhdt., Emanzipation von Europa. Brandenburg. Brandenburg. Fort Großfriedrichsburg/Ghana 1684 Preußische Kolonie. Preußische Flotte mit Festung und Hauptwirtschaftsgut → Sklavenhandel. Auch im deutschsprachigen Raum gab es am Sklavenhandel Beteiligte 2.4 Spezialdisziplinen Forschungskonzepte, methodische Zugänge 1. Historische Anthropologie/Mikrogeschichte 2. Atlantic History Forschungskonzept historische Anthropologie/Mikrogeschichte Beschäftigt sich mit Fragen der subjektiven Seite historischer Phänomene, also Folgen für einzelne Menschen. Seite der Wahrnehmungen und Erfahrungen, die einzelne Menschen gemacht haben. Vergrößerung des Untersuchungsmaßstabs (ALLE Quellen zu EINER/M Person, Dorf, etc.) Pioniertstudien Ginzburg, Carlo, Der Käse und die Würmer. Die Welt eines Müllers um 1600, Frankfurt a. M. 1983. Akte zu Verhör eines Müllers – Verurteilung und Hinrichtung Ketzerei. Sehr langes Verhör mit ausführlichen Fragen, die so zur Rekonstruktion seines Weltbildes verhalfen. Emanuel Le Roy Ladurie: Karneval in Romans, dt. 1979. Schildert den Hintergrund: Konfessioneller Bürgerkrieg in Frankreich 1579/80 und analysiert lokalen Konflikt um 1580 zwischen protestantischen Stadtbürgern und katholischem Landadel. Umschlag eines kulturell ritualisierten Konflikts in einen gewalthaften. An den Karnevalstagen kamen Adlige zum Karneval in die Stadt und führten untertags maskiert diesen Konflikt theatralisch/rituell aus. In der Nacht des Karnevals brachen die Adligen in die Häuser der Bürgerbewegung ein und ermordeten diese. Sammelte zahlreiche Quellen, um diesen so genau wie möglich zu beschreiben → „Dichte Beschreibung“ der kommunalen Welt der Kleinstadt Romans. Ladurie versucht sich in due Köpfe der Menschen damals hineinversetzen. 645302 Einführung in das Studium der Geschichtswissenschaften WS 2019 Lilly Miklautz Atlantic History Entstanden in den 1980er-Jahren in der angelsächsischen Geschichtsschreibung. Interesse an der Verbindung europäischer mit außereuropäischer Geschichte. Heute: auch Interesse an Entstehungsbedingungen des modernen Kapitalismus und des „Westens“ Wichtige Prozesse der Atlantic History  Verlagerung des Welthandels an den Atlantik, Wachstum europ. Hafenstädte  Stärkere gesellschaftliche Orientierung auf den Außenhandel/Absatz in Übersee  Beziehungsgeflechte zwischen Europa und Amerika  Verstärkte Auseinandersetzung mit erweitertem Welt- und Menschenbild  Entstehung demokratischer Ideen aus dem „Geist“ der atlantischen Beziehungen („imperial debate“)  Neue Geschichte der Politische Ökonomie (z.B. Istvan Hont: Jealousy of Trade, 2006) V.a. in GB und USA, jetzt auch Nachzügler in FR und DE. Z.B. Buch – Sven Becker, King Citton. Beschrieb den Siegeszug der Baumwolle durch die Welt bis heute. Hängt eng mit Rohstoffproduzenten zusammen. Bsp. Wind- und Strömungsverhältnisse im Atlantik. Viele versuchten im Nordatlantik Richtung Kanada zu fahren, die aber alle scheiterten. Mit dem Segelschiff musste man zuerst im Süden an den Azoren etc. vorbei, bis zur Nordwestspitze von Afrika um dann mit dem Golfstrom in die Karibik und Mittelamerika einfahren zu können. Hancock, Oceans of Wine Insel Madeira: Buch David Hancock, Oceans of Wine. Im späten 18. Jhdt. Wurden ungeheure Mengen von Wein von Europa und Madeira aus In die englischen Siedlungen verschifft – Modetrend des Alkoholgenusses im 18. Jhdt. in Großbritannien und neuenglischen Kolonien in Nordamerika Modeentwicklung Madeirawein zu trinken. Hatte enorme Rückwirkungen auf die kleine Insel Madeira und den Transatlantikhandel. Gewinn vor allem zu Gunsten englischer Handelskompanien. Beispiel für „Aufstieg“ einer bisher unbedeutenden Insel als „Dritter“ Faktor (neben Mutterland und Kolonien) 3 Hauptquellen der Geschichte der Neuzeit Quellenexplosion im Vergleich zum Mittelalter. Generell Phase starker quantitative rund qualitativer Quellenzunahme Ursachen:  Aktenzeitalter. Typisch neuzeitliche Quellengrundlage. Sind nicht wie Urkunden ein einzelner Text, sondern ein Bündel an Texten von Korrespondenzen.  Buchdruck, Druckgraphik (Gutenberg-Galaxis)  Speicherinstitutionen: Bibliotheken, Sammlungen, Archive. Fürsten versuchen Aktendokumentationen ihrer Nachwelt zu überlassen, fürstliche Archive entstehen. 645302 Einführung in das Studium der Geschichtswissenschaften WS 2019 Lilly Miklautz Andere methodische Zugriffe neben den Textanalysen.  Serielle Analysen: Statistische Quantifizierung (z.B. Historische Demographie). Vielzahl einzelner Angaben (Fakten, Zahlen, etc.) werden in einer Reihe zusammengefasst, z.B. Aufarbeitung der Überlieferung spanischer Schifffahrtsregistern in Sevilla und Erstellung von Statistiken.  Historische Anthropologie / Mikro-geschichte: Wenige Texte, die etwas über eine einzelne Person aussagen  Nominative (namentliche) Quellenverknüpfung: Versuchte namentliche Verknüpfung über einen einzelnen Personennamen. Quellen der Frühen Neuzeit (Auswahl):  handschriftliche Texte (Akten, Protokolle, Briefe, Selbstzeugnisse)  gedruckte Texte (Flugschriften/-blätter, Bücher, Zeitungen, Verordnungen)  visuelle Quellen: gedruckt / ungedruckt (Gemälde, Zeichnungen, Druckgraphik, Fotos) 3.1 Selbstzeugnisse und Ego-Dokumente Begriff „Ego-Dokumente“ (Winfried Schulze): Quellen, die Informationen über die (Selbst-) Wahrnehmung & andere individuelle Sachverhalte (Praktiken, Wertvorstellungen, Gefühle) eines Menschen geben Frühe Neuzeit als Epoche der Individualisierung Ansatz der Historischen Anthropologie „Gemeinsames Kriterium aller Texte, die als Ego-Dokumente bezeichnet werden können, sollte es sein, daß Aus- sagen oder Aussagepartikel vorliegen, die – wenn auch in rudimentärer und verdeckter Form – über die freiwillige oder erzwungene Selbstwahrnehmung eines Menschen in seiner Familie, seiner Gemeinde, seinem Land oder seiner sozialen Schicht Auskunft geben oder sein Verhältnis zu diesen Systemen und deren Veränderungen reflektieren.“ Schulze, Winfried, Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte? Vorüberlegungen für die Tagung „Ego-Dokumente“, in: Ders. (Hg.): Ego-Dokumente. Annäherung an den Menschen in der Geschichte, Berlin 1996, 11-30, hier 28 Quellenarten  z.T. Chroniken  Bittschriften (Suppliken,  Tagebücher Supplikationen)  Autobiographien, Memoiren  Verhörprotokolle  Reiseberichte  Interviews (Zeitzeugenbefragung: oral  Briefe history) Kritik  zu weiter Begriff, besser „Selbstzeugnisse“: freiwillige & intendierte Aussagen zum Selbst  Ego-Problem (Freud, Psychoanalyse) Von Krusenstjern, Benigna, Was sind Selbstzeugnisse? Begriffskritische und quellenkundliche Überlegungen anhand von Beispielen aus dem 17. Jahrhundert, in: Historische Anthropologie 2 (1994), 462-471 645302 Einführung in das Studium der Geschichtswissenschaften WS 2019 Lilly Miklautz Reaktion Schulzes:  Authentizität / Stilisierung in Selbstzeugnissen  Eliten / Einbeziehung illiterater Schichten Bsp. Verhörprotokoll aus dem 17. Jhdt. zu Hexenverfolgung (Kurmainz) Nicht nur Frauen wurden unter dem Hexereiverdacht angeklagt, sondern auch Männer und Kinder. Bsp. Brief eines Juristen über Hexenverhöre, Bamberg 16. Jhdt. → Verschiedene Quellen zum selben Gegenstand können zusammengenommen werden. 3.2 Druckmedien/-publizistik Gedruckte Quellen  Flugschriften  Zeitungen  Plakate  Einblattdrucke  Bücher  Postkarten Bsp. Eheratgeber Frühe Neuzeit als Medienlaboratorium  „ausgestorbene“ Mediengattungen (z.B. Messrelationen als Frühform periodischer Schriften  langfristig etablierte Mediengattungen (Zeitung (-> Periodizität, gedrucktes Buch) Druckschriftenproduktion im Alten Reich Publikationen Gesamtauflage 15. Jh. 15.-30.000 20 Mio. 16. Jh. 120.-150.000 100-150 Mio. 17. Jh. 265.000 200-300 Mio. 18. Jh. 500.000 750 Mio. - 1 Mill. Bsp. Flugblatt mit Bericht des portugiesischen Seefahrers Cabrall (??) über die Entdeckung Brasiliens Bereits wenige Monate übersetzt und in Deutschland veröffentlicht. Bsp. Mitteilungsblatt 1559 über neu erlassenes Gesetz unter Philipp II. Thematische und funktionale Vielfalt:  religiöse Schriften  Ratgeberliteratur  Fabeln, Ritterromane, Volksstoffe,  Neue Zeitungen Historien  theologische, politische Pamphlete  Lehrbücher Definition „Flugschrift“: „Eine Flugschrift ist eine aus mehr als einem Blatt bestehende, selbständige, nicht periodische und nicht gebundene Druckschrift, die sich mit dem Ziel der Agitation (d.h. der Beeinflussung des Handelns) und/oder der Propaganda (d.h. der Beeinflussung der Überzeugung) an die gesamte Öffentlichkeit wendet.“ - Köhler, Hans-Joachim, Die Flugschriften. Versuch einer Präzisierung, 1976, 50 645302 Einführung in das Studium der Geschichtswissenschaften WS 2019 Lilly Miklautz D.h. mehrere Blätter! Kein Einblattdruck. Analysepotentiale gedruckter Quellen  Sagen etwas aus über Formen der Öffentlichkeit i. d. Vergangenheit.  Wahrnehmungsmuster der Auftraggeber, Produzenten und Rezipienten (?)  Entstehung einer „Wissensgesellschaft“  Instrumentalisierung für politische etc. Ziele (öffentliche Meinung) z.B. Konfessionelle Polemik - Flugblatt der Reformationszeit 4 Historischer Vergleich Definition „Geschichtswissenschaftliche Vergleiche sind dadurch gekennzeichnet, dass sie zwei oder mehrere historische Phänomene systematisch nach Ähnlichkeiten und Unterschieden untersuchen, um auf dieser Grundlage zu ihrer möglichst zuverlässigen Beschreibung und Erklärung wie zu weiterreichenden Aussagen über geschichtliche Handlungen, Erfahrungen, Prozesse und Strukturen zu gelangen.“ Haupt, Heinz-Gerhard / Kocka, Jürgen (Hg.): Geschichte und Vergleich. Ansätze und Ergebnisse international vergleichender Geschichtsschreibung, Frankfurt 1996, S. 9 Man vergleicht also zwei Räume, um Ähnlichkeiten oder Unterschiede festzustellen. „Aus einem oder mehreren verschiedenen sozialen Milieus zwei oder mehr Phänomene auszuwählen, die scheinbar auf den ersten Blick gewisse Analogien aufweisen, den Verlauf ihrer Entwicklungen zu be-schreiben, Ähnlichkeiten und Unterschiede festzu-stellen und diese soweit wie möglich zu erklären.“ Marc Bloch, 1928; zit. nach Haupt / Kocka, Geschichte, S. 10 645302 Einführung in das Studium der Geschichtswissenschaften WS 2019 Lilly Miklautz Übereinstimmende Vergleichseinheiten, Einheiten, die man vergleichen will, müssen zuerst definiert werden, z.B.  Räume  Institutionen  Kulturen  Ereignisse: Sehr enger/kleiner Zugriff, z.B. Revolution 1848 im März Berlin u. Wien.  Entwicklungsprozesse: Gegenteil von Ereignissen, längerfristige Strukturen, z.B. Entwicklung der Hexenverfolgung in FR und HRR über 200 Jahre hinweg. 645302 Einführung in das Studium der Geschichtswissenschaften WS 2019 Ehrenpreis S. Neuzeit Lilly Miklautz Überschneidungen, Kopplungen, Niveauunterschied Erkenntnisgewinn  Schärfung des analytischen Instrumen-ariums: Was will man vergleichen und warum?  erkannt  Präzisere Einordnung und Bewertung der Ergebnisse: Relativierung des eigenen Standpunktes.  Relativierung der eigenen Gesellschaft.  Identitätsstiftung, Orientierung und Handlungsanleitung Arten des Vergleichs  Diachroner Vergleich: Vergleich eines Phänomens zu unterschiedlichen Zeiten, z.B. Winer Kaiserhof von 1300-1700.  Synchroner Vergleich: Vergleich zweier Phänomene zur gleichen Zeit.  Kontrastiver Vergleich  Generalisierender Vergleich  Individualisierender (oder typisierender) Vergleich Z. B. Kaufmann, Erlöste und Verdammte. Eine Geschichte der Reformation: Vgl. der Reformation in allen europäischen Ländern. → Synchroner Vergleich. Z.B. MacCulloch, Die Reformation. Beschreibung der Reformation in England als langer Vorgang. → Diachroner Vergleich. Probleme des historischen Vergleichs  Mindestens zweifache Kontextualisierung. Größerer Arbeitsaufwand.  Erreichbarkeit von Sekundärliteratur und Archivalien  Sprachkenntnisse  Dominanz von national- oder Landesgeschichte. Oft keine vorige Zusammenbringung der Materialien.  Reduktion der Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit.  Gefahr der Stilisierung der vergleichsfälle. Oft wird Vergleich zu abstrakt. Bsp. Pomeranz, The Great Divergence. China, Europa an de Making of the Modern World Economy: England als Vorreiter der Industrialisierung und Chin. Kaiserreich hatten beide die gleichen Voraussetzungen – historischer Bergbau, technisches Wissen, etc. Warum kam es dazu, dass England tatsächlich die Industrialisierung vorangebracht hat? Im Buch wird erklärt, warum Länder mit den gleichen Voraussetzungen zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen.

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