Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen - PDF
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Diese Folien bieten eine Einführung in die Phonetik des Deutschen für einen Sprachwissenschaftlichen Kurs. Es werden die Artikulationsarten und die Klassifizierung von Vokalen und Konsonanten erklärt. Die Vorlesung behandelt auch die Variabilität des Lautinventars.
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Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen Phonetik Prof. Dr. Alexandra Zepter Überblick Phonetik (des Deutschen): Was ist Phonetik? Grundlagen der artikulatorischen Phonetik Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter ...
Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen Phonetik Prof. Dr. Alexandra Zepter Überblick Phonetik (des Deutschen): Was ist Phonetik? Grundlagen der artikulatorischen Phonetik Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonetik und Phonologie Forschungsgebiete, die sich mit der „Lautsprache“ befassen, heißen Phonetik und Phonologie. Sprache ←→ Musik als System aus Lauten als System aus Tönen Überlegen Sie: Gibt es einen Unterschied zwischen Lauten und Tönen? Sind alle Laute Töne? Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonetik: Aufgabe 1 Gibt es einen Unterschied zwischen Lauten und Tönen? Sind alle Laute Töne, sodass dann Laute eine besondere (→ sprachliche) Form sind Tönen sind (Ton = Oberbegriff)? Schreiben Sie Ihre Antwort auf diese Folie: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonetik: Aufgabe 2 Wie klingt für Sie die deutsche (Laut-)Sprache? Im Vergleich zu anderen Sprachen? Stellen Sie sich vor, Sie verstehen kein Deutsch und beschreiben nur den Klang der Sprache! Schreiben Sie Ihre Antwort auf diese Folie: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Wie klingt die deutsche Sprache? Die deutsche Lautsprache klingt für viele tendenziell „hart“ und „kantig“; vgl. die Aussprache von Haftpflicht, Zucker, schweigst. Das liegt wahrscheinlich an der Möglichkeit der Mehrfachkonsonanz innerhalb einer Silbe. Vgl. die Aussprache von Herbst. In vielen anderen Sprachen ist die Form der Mehrfachkonsonanz nicht möglich; vgl. Sprossvokale, die bei Deutsch-als-Zweitsprachlernenden auftreten können: Aussprache *Belume, Sterumpef Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Was macht Laute im Vergleich zu Tönen noch aus? Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Varianz/Kontinuum als Prinzip Kein Laut gleicht einem anderen! Laute sind keine klar abgrenzbaren (distinkten/diskreten) Einheiten, sondern sie bilden ein Lautkontinuum! Laut steht nicht neben Laut (> Klavier), wir finden eher Gleitlaute (> Violine): vgl. [u]……[o]……[a] Manche durch Abstraktion gewonnenen Laute können nicht isoliert artikuliert werden: vgl. [k], [p] Irrige Annahme durch Buchstabenwissen Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Koartikulation Laute gleiten bei der Artikulation ineinander und beeinflussen sich im Redefluss wechselseitig Beispiel: Kind [khınt] Kunst [khʊnst]: Experimentelles Austauschen der beiden initialen Laute führt zu: [khʊınt] (dunklerer Klang) und [khıʊnst] (hellerer Klang) Während der Artikulation des ersten Lautes wird die des folgenden antizipiert: Dieses Sich- Beeinflussen der Laute nennt man Koartikulation. Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonetik: Aufgabe 3 Warum lässt sich ein Laut wie [k] oder [p] nicht isoliert artikulieren? Probieren Sie es selbst aus! Inwiefern ist die Artikulation nur in Kombination mit anderen Lauten möglich? Welchen anderen Laut brauchen Sie minimal, um [k] oder [p] auszusprechen? Schreiben Sie Ihre Antwort auf diese Folie: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter [k] und [p] Manche durch Abstraktion gewonnenen Laute können nicht isoliert artikuliert werden: Sie benötigen minimal einen folgenden Vokal, um [k] oder [p] zu artikulieren. Wir nehmen [k] als spezifischen Laut wahr, weil wir den folgenden Vokal variieren können: vgl. ka, ko, ku etc. → Der Anfang hört sich stets gleich an. Der Folgevokal kann auch ein Schwa (→ [ə]) sein wie in Danke; aber ohne folgende Laute kein [k]. Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Abbildung von Lauten? Um die Laute einer Sprache systematisch bzw. wissenschaftlich beschreiben und analysieren zu können, benötigen wir eine Möglichkeit, spezifische Laute eineindeutig zu bezeichnen → Für jeden Laut genau ein Zeichen! Jedes Zeichen steht genau für einen Laut! (Beachte: Bei Buchstaben ist das NICHT der Fall → Vgl. das in vs. in → Das zweite wird wie [t] gesprochen.) Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Abbildung von Lauten? Eindeutiges Zeichensystem zur schriftlichen Fixierung aller möglichen Laute → Internationale Lautschrift: IPA („International Phonetic Alphabet“) Unglücklich: Es gibt mehrere Versionen... Die (alphabetische) Schrift bildet in vielen Fällen die Lautung nicht eindeutig ab → Keine 1:1-Korrespondenz zwischen Laut und Buchstabe! Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Worum geht es nun in der Phonetik? Was ist Phonetik? Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonetik Empirisch-naturwissenschaftlich orientierte Disziplin, die die lautlichen Ereignisse und Prozesse sprachlicher Kommunikation unter den folgenden ─ materiellen ─ Aspekten untersucht: Artikulatorische Vorgänge der Sprachproduktion Struktur der akustischen Abläufe Neurologisch-psychologische Vorgänge der Sprachrezeption Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonetik Artikulatorische Phonetik: untersucht die Erzeugung von Lautereignissen, und zwar von konkreten Artikulationsbewegungen im Mund, Rachen, Kehlkopf und Nasenraum Akustische Phonetik: untersucht die physikalischen Eigenschaften von Lautereignissen und bedient sich der Hilfsmittel der Elektroakustik Auditive Phonetik: untersucht die Wahrnehmung von Lautereignissen aus der Hörerperspektive Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Wir fokussieren im Weiteren auf die: Artikulatorische Phonetik Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Variabilität des Lautinventars Beachte: Nicht jede Sprache verfügt über das gleiche Lautinventar! Generell gilt sowohl für Vokale als auch für Konsonanten: Jede Sprache wählt eine „Untermenge“ von Lauten aus einem möglichen (universalen) Set. Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Artikulatorische Phonetik Beschreibungsmöglichkeit und Klassifizierung eines Lautsystems über Aspekte der Artikulation und der Audition → die beiden obersten Klassen: Vokal („klangvoll“) → Keine Hemmnis des Luftstroms im Artikulationskanal (Lautgang, Vokaltrakt) (→ erinnert an Töne) Konsonant („Geräuschlaut“) → Bildung durch Verschluss/Engebildung im Artikulationskanal (→ bei viel Reibung ≠ Töne) Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Konsonanten: Klassifikationskriterien 1. Artikulationsart: Wie wird der Konsonant produziert? → Welche Art von Engebildung? 2. Artikulationsort: Wo im Artikulationskanal wird die Engebildung produziert? Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Konsonanten: Klassifikationskriterien Artikulationsart Totaler Verschluss plus Öffnung – Plosiv Engebildung (Reibung) – Frikativ Kombination von Verschluss, Öffnung und Engebildung (Reibung) – Affrikate Totaler Verschluss mit gesenktem Gaumensegel – Nasal Seitliche Engebildung – Lateral Wiederholter Verschluss – Vibrant Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Frikativ Reibelaute Plosiv Verschlusslaute Nasal Nasenlaut Vibrant Schwinglaut/ Trillerlaut Lateral Seitenlaut Affrikate Doppellaute Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonetik: Übung 1 Erproben Sie die verschiedenen Artikulationsarten: Artikulieren Sie laut die Konsonantenbeispiele. Versuchen Sie für sich, die Unterschiede der Artikulationsarten am konkreten Beispiel nachzuvollziehen! Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Konsonanten: Klassifikationskriterien Artikulationsort: Lippen → z.B. Plosiv [p]: Verschluss mit beiden Lippen … Zähne Zahndamm harter oder weicher Gaumen Zäpfchen Kehlkopf Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Konsonanten: Klassifikationskriterien Bei stimmlosen Konsonanten sind die Stimmbänder wie ein straffes Gummi gespannt. → Beispiel [p] Bei stimmhaften Konsonanten sind die Stimmbänder locker und können vibrieren. → Beispiel [b] [p] und [b] haben die gleiche Artikulationsart (Plosiv) und den gleichen Artikulationsort (beide Lippen → bilabial); sie unterscheiden sich nur hinsichtlich des Kriteriums stimmhaft/stimmlos. Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Klassifikationskriterium Sonorität Turbulenz entsteht im Luftstrom hinter der Verengung – derart wenig Schallfülle (Sonorität): Obstruenten in stimmloser oder stimmhafter Variante möglich Plosive Frikative Affrikate Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Klassifikationskriterium Sonorität Konsonanten ohne Turbulenz sind sonor und können akustisch wie Vokale auch als ‚Klänge‘ gefasst werden: Sonoranten sind i.d.R. immer stimmhaft Nasale Liquide Laterale Vibranten Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Konsonanten – Artikulationsorte Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Konsonanten – Artikulationsorte Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Konsonanten – Artikulationsorte Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Konsonanten im Deutschen Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Konsonantenvergleich Deutsch – Farsi Zwei Beispiele für persische Laute, die nicht im deutschen Lautsystem vorkommen: stimmloser Trill (IPA-Markierung stimmlos: diakritisches Zeichen eines kleinen Kreises unterhalb des Lauts) stimmhafter Flap Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Konsonantenvergleich Deutsch – Farsi Zum Artikulationsort: (apiko-)alveolar (vorderer harter Gaumen) Beachte zur Artikulationsart: Trill: zählt zu den Vibranten (Vibranten sollten als Sonoranten eigentlich immer stimmhaft sein); schnelle Abfolge kurzer Verschlüsse und Verschlusslösungen, wobei die Zungenspitze gegen den Zahndamm oder den harten Gaumen flattert (vgl. ‚das gerollte r’) Flap: kurzes einmaliges Schlagen der Zunge gegen den Artikulationsort Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Konsonanten im Deutschen Interaktiver IPA-Chart: http://www.ipachart.com/ Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Konsonanten im Deutschen Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonetik: Aufgabe 4 Bestimmen Sie auf den folgenden Folien: 1. Artikulationsort (→ im Schaubild eintragen) 2. Artikulationsort und Artikulationsart 3. Stimmhaftigkeit Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Artikulationsort bestimmen [p] [k] [z] [R] [ç] [f] [ʔ] Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Ort und Art bestimmen Artikulationsort Artikulationsart Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Ort und Art Artikulationsort Artikulationsart bilabial Plosiv alveolar Nasal glottal Frikativ uvular Frikativ alveolar Lateral velar Frikativ alveolar Frikativ labiodental Frikativ Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Stimmhaftigkeit bestimmen stimmhaft stimmlos [s] ʃ Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Stimmhaftigkeit stimmhaft stimmlos [s] [s] ʃ ʃ Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Konsonanten – Vokale Beschreibungsmöglichkeit und Klassifizierung eines Lautsystems über Aspekte der Artikulation und der Audition → die beiden obersten Klassen: Vokal („klangvoll“) → Keine Hemmnis des Luftstroms im Artikulationskanal (Lautgang, Vokaltrakt) Konsonant („Geräuschlaut“) → Bildung durch Verschluss oder Engebildung im Artikulationskanal Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Vokale – Klassifikationskriterien Artikulationsort vorn, zentral oder hinten im Mundraum Zungenlage hoch, mittel, tief; geschlossen vs. offen Rundung der Lippen gerundet, ungerundet Muskelspannung der Zunge gespannt, ungespannt Quantität Kurzvokal, Langvokal Oral oder nasal nasal: Gaumensegel gesenkt, Luft strömt durch die Nase Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Vokale im Deutschen – Vokaltrapez Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Zungenstellung / Öffnungsgrad Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Lippenstellung: +/– gerundet Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter +/– Muskelspannung der Zunge Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Vokale im Deutschen Muskelspannung der Zunge vs. Quantität? Achtung: (gespannt; lang) und (ungespannt; kurz) fällt im deutschen Vokalsystem meist zusammen! Doch es gibt Ausnahmen: vgl. ‚Forelle‘, ‚Militär‘ (kurz; gespannt) Gespanntheit als Basis für Länge: Betonung eines gespannten Vokals Langvokal Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Vokale im Deutschen Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Vokale im Türkischen Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Vokale im Türkischen Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Nasale Vokale in französischen Lehnwörtern Vergleiche: Refrain Pointe Cousin Parfum Engagement Restaurant Orange Bonbon Jargon Kokon Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Zentralvokale = Reduktionsvokale [ə] [ɐ] Die Zentralvokale haben eine herausragende Bedeutung für die Struktur deutscher Wörter: Sie bilden bei Zweisilbern das Zentrum der zweiten Silbe (Tante, Kanne, Mutter, Wagen). Es entsteht der typische Trochäus: betonte erste Silbe, unbetonte zweite Silbe. Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonetische Transkription Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonetik: Aufgabe 5 Transkribieren Sie die folgenden Wörter in IPA: Sack, sacht, Schlacht, satt, Stadt, statt, ab, Rate, Ratte, Held, hält, Hüte, Hütte Ihre Transkription: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Transkription Transkribieren Sie die folgenden Wörter in IPA: Sack, sacht, Schlacht, satt, Stadt, statt, ab, Rate, Ratte, Held, hält, Hüte, Hütte [zak], [zaxt], [ŝlaxt], [zat], [ŝtat], [ŝtat], [ap] oder [ʔap], [Ra:tə], [Ratə], [hεlt], [hεlt], [hƴ:tә], [hYtә] Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Ausblick Was ist der Unterschied zwischen Phonetik und Phonologie? Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter R-Varianten /m/ vs. /h/ Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen Phonologie I Prof. Dr. Alexandra Zepter Phonologie Worum geht es in der Phonologie? Untersuchung der kleinsten (aus der Rede abstrahierbaren) lautlichen Segmente einer Sprache und der Prinzipien/Regeln/Muster der Struktur dieser Lautsegmente (welche Laute können zu welchen Worten kombiniert werden etc.) Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie Worum geht es in der Phonologie? Das bedeutet: Im Fokus steht nicht die Materialität der Laute, sondern ihre Funktion im Lautsystem bzw. im Sprachsystem (wenn sie darin vorkommen). Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter R-Varianten /m/ vs. /h/ Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Überblick Phonologie (des Deutschen): Was ist ein Phonem? Phonem vs. Allophon Phonologische Prozesse: Muster/Regeln im Deutschen Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Lautinventar vs. Phoneminventar Erinnere: Jede Sprache wählt ihr Lautinventar aus einer universalen Grundmenge möglicher Laute. Aber nicht alle Laute (= Phone) eines Sprachsystems haben in diesem System auch Phonemstatus! Phoneme einer Sprache = Untermenge der Phone einer Sprache Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Lautinventar vs. Phoneminventar Die Phoneme einer Sprache sind die kleinsten lautlichen Einheiten (Lautsegmente), die potenziell bedeutungsunterscheidend/- differenzierend sind! Was hat man sich darunter vorzustellen? Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Was ist ein Phonem? Wann ist ein Phon bedeutungsunterscheidend? Bzw. wie stellen wir das fest? Durch Minimalpaare: Wenn der Austausch eines einzelnen Lautsegments innerhalb eines ansonsten gleich lautenden Wortes einen Bedeutungsunterschied erzeugt, dann handelt es sich bei den beiden Lauten um Phoneme: [li:bә] vs. [hi:bә] ─ [bi:R] vs. [gi:R] [bi:tәn] vs. [bItәn] Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie: Aufgabe 1 Überlegen Sie, ob Sie genau verstanden haben, was ‚Bedeutungsdifferenzierung‘ meint. Für das Verständnis kann es hilfreich sein, die zwei Begriffe ‚bedeutungsdifferenzierend‘ und ‚bedeutungstragend‘ gegenüberzustellen. Erklären Sie an einem konkreten Beispiel den Unterschied: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Bedeutungsdifferenzierung Einzelne Laute können keine Bedeutung tragen; das kann nur ein Wort. Das Wort ‚Puppe‘ trägt z.B. eine bestimmte Bedeutung (→ ein Spielzeug, das aussieht wie ein Mensch; kann aus unterschiedlichen Materialien sein etc.). Das Wort ‚Puppe‘ beginnt mit einem [p] (einem bilabialen stimmlosen Plosiv), dieses [p] trägt aber an sich keine Bedeutung. /p/ ist aber ein Phonem des Deutschen, weil es Bedeutung im Deutschen differenzieren kann (das ist dann seine Funktion im Sprachsystem des Deutschen). Wenn man beim Wort ‚Suppe‘ das initiale [z] durch ein [p] ersetzt, entsteht ein neues Wort mit einer anderen Bedeutung. Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Minimalpaare bestehen aus: zwei Wörtern, die sich nur in einem Phon unterscheiden zwei Wörtern, bei denen der Austausch eines einzigen Phons an einer spezifischen Strukturposition eine Bedeutungsunterscheidung bewirkt indigenen (einheimischen) Wörtern Wörtern, die keine Eigennamen sind Mitgliedern derselben Wortklasse Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie: Aufgabe 2 Erklären Sie, warum die verschiedenen Kriterien für die Konsistenz eines Minimalpaars mehr oder minder sinnvoll sind. Schreiben Sie Ihre Antwort auf diese Folie: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie: Aufgabe 3 Gegeben die genannten Kriterien für Minimalpaare: Bei welchen der folgenden Wortpaare handelt es sich um Minimalpaare? Beachte: Für die Phonemermittlung ist die Phonstruktur (die lautliche Struktur) relevant, NICHT die graphische Form! a. Hüte / Hütte b. Nase / Phase c. Tasche / nasche d. Mund / Hund Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Minimalpaare Beachte: Für die Phonemermittlung ist die Phonstruktur (die lautliche Struktur) relevant, NICHT die graphische Form! a. Hüte / Hütte b. Nase / Phase c. Tasche / nasche d. Mund / Hund Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie: Aufgabe 4 Der folgende Korpus besteht aus vier verschiedenen Wörtern. Legen Sie die Lautstruktur zu Grunde und bestimmen Sie die Phoneme auf der Basis möglicher Minimalpaarbildung: rot, tat, tot, tal Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie: Aufgabe 4 rot, tat, tot, tal → Ihre Analyse: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonemanalyse r o t t o t t a t t o t t a t t a l Ergebnis: 5 Phoneme ermittelt: /r/ vs./t/ → Opposition im Anlautsegment (initial) /o/ vs./a/ → Opposition im Binnensegment (medial) /t/ vs./l/ → Opposition im Auslautsegment (final) Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie: Aufgabe 5 Der folgende Korpus besteht aus fünf verschiedenen Wörtern. Legen Sie die Lautstruktur zu Grunde und bestimmen Sie die Phoneme auf der Basis möglicher Minimalpaarbildung: Bast Rest Gast Pest Rast Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie: Aufgabe 5 Bast Rest Gast Pest Rast → Ihre Analyse: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonemanalyse Bast/Gast /b/ vs. / g/ Gast/Rast /g/ vs. /R/ Rest/Pest /R/ vs. /p/ Bast/Rast /b/ vs. /R/ Rest/Rast /ε/ vs. /a/ Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Lautinventar vs. Phoneminventar Eingangs wurde herausgestellt: Nicht alle Laute/Phone eines Sprachsystems haben in diesem System auch Phonemstatus! Das wirft die Frage auf: Was ist mit einem Laut, der zum Inventar einer Sprache gehört, aber nicht bedeutungsdifferenzierend ist? Wie zeigt sich das überhaupt? Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Was ist ein Allophon? Was können Phone einer Sprache sein, die keinen Phonemstatus haben? Sie zeigen sich u.a. in der Möglichkeit der komplementären Verteilung und werden theoretisch erfasst durch: → das Konzept Allophon Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Was ist ein Allophon? Beispiel (Daten aus den Language Files, S. 97): Hier sehen Sie deutsche Lexeme, die entweder ein [x] oder ein [ç] enthalten. In welchem Laut-Kontext steht [x], in welchem [ç]? Formulieren Sie eine Regel! [axt], [bu:x], [lƆx], [ho:x], [flʊxt] [Iç], [εçt], [špRε:çə] (‚(ich) spräche‘), [Ri:çən] Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie: Aufgabe 6 [axt], [bu:x], [lƆx], [ho:x], [flʊxt] [Iç], [εçt], [špRε:çə], [Ri:çən] → Ihre Analyse: [x] steht: [ç] steht: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Was ist ein Allophon? Beispiel [x]/[ç] [axt], [bu:x], [lƆx], [ho:x], [flʊxt] [Iç], [εçt], [špRε:çə] (‚(ich) spräche‘), [Ri:çən] Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Komplementäre Verteilung Warum sind [x] und [ç] im Deutschen Allophone und keine Phoneme? [ç] steht nach Vokalen, die im Mundraum vorne (hoch, mittel, tief) gebildet werden! [x] steht nach Vokalen, die hinten (hoch, mittel, tief) oder zentral/tief gebildet werden! Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Komplementäre Verteilung Darüber hinaus: (1): Nach Konsonanten steht [ç]: Vergleiche in Standardlautung manch, mancher, welch, welcher; Sarg (Aussprache in manchen Dialekten mit finalem [ç]) (2): Morpheminitial steht ebenfalls [ç]: Vergleiche: tauchen (Morphemgrenze nach tauch-): [taʊxən] vs. ein Tauchen (mit der Bedeutung ‚kleines Tau‘; Morphemgrenze nach Tau-): [taʊçən] Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Was ist ein Allophon? Warum sind [x] und [ç] im Deutschen keine Phoneme? Beide Phone sind im Deutschen komplementär verteilt. → Weil sie NIE im gleichen Lautkontext vorkommen, können sie nicht gegeneinander ausgetauscht Bedeutung differenzieren. Beispiel: [lƆx] → [lƆç] Das wäre ein Minimalpaar, aber das Wort [lƆç] gibt es nicht nur nicht im (Standard-) Deutschen, es ist auch kein mögliches Wort! Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Was ist ein Allophon? Beispiel: [lƆx] → [lƆç] Das wäre ein Minimalpaar, aber das Wort [lƆç] gibt es nicht nur nicht im Deutschen, es ist auch kein mögliches Wort! Beispiel: [εçt]→ [εxt] Das wäre ein Minimalpaar, aber das Wort [εxt] gibt es nicht nur nicht im Deutschen, es ist auch kein mögliches Wort! Sie können versuchen, Beispiele für Minimalpaare zu finden. Es wird Ihnen nicht gelingen … Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Was ist ein Allophon? Warum sind [x] und [ç] im Deutschen keine Phoneme? Beide Phone sind im Deutschen komplementär verteilt. → Weil sie NIE im gleichen Lautkontext vorkommen, können sie nicht gegeneinander ausgetauscht Bedeutung differenzieren. Stattdessen kann man sagen: Sie sind Allophone desselben abstrahierten Phonems: /x,ç/. (→ sozusagen zwei Seiten einer Münze) Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Komplementäre Verteilung Das Phänomen der komplementären Verteilung macht uns also auch deutlich: Nicht alle Laute einer Sprache sind in dieser Sprache auch in allen Lautkontexten bzw. prosodischen Kontexten erlaubt! Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie: Aufgabe 7 Erfinden Sie deutsche Phantasiewörter, in denen der Laut [x] oder [ç] vorkommt. Was sind mögliche deutsche Wörter, was sind unmögliche deutsche Wörter? Mögliche deutsche Wörter: Unmögliche deutsche Wörter: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Komplementäre Verteilung Ein weiteres Beispiel für komplementär verteilte Allophone im Deutschen? Aspirierte vs. nicht aspirierte Plosive Aspiration: Je nach Druck des Verschlusses bei Plosivbildung kann im Übergang zu/von Vokalen (notwendig stimmhaft) ein Phänomen der Behauchung auftreten. Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Komplementäre Verteilung Aspirierter stimmloser Plosiv (nur im absoluten Anlaut) vs. nicht aspirierter stimmloser Plosiv (nach anlautendem Frikativ): [phεç] Pech [špεçt] Specht [tha:l] Tal [šta:l] Stahl [kha:tə] Kate [ska:t] Skat Beachte: Freie Variation der Behauchung im Auslaut! Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Freie Variation von Allophonen Beachte: Allophone können auch in freier Variation auftreten! Im Deutschen sind z.B. [r], [ʁ] und [ʀ] frei variierende Allophone des Phonems /R/: Je nach Sprecher/-in (unterschiedlicher deutscher Dialekte) finden wir etwa [bi:R] oder [bi:r]. Dabei variiert die einzelne Sprecherin nicht (sondern gebraucht nur jeweils eine Variante). Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Was ist ein Allophon? Beachte: In anderen Sprachen, z. B. Hebräisch, haben sowohl [x] als auch [ç] Phonemstatus! Sprachen können sich hinsichtlich ihrer Menge von Phonemen unterscheiden: Was in Sprache X ein Allophon ist, kann in Sprache Y ein Phonem sein und umgekehrt! Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phoneme einer Sprache Sie haben nun einiges über Phoneme und (Nicht- Phoneme = Allophone) erfahren. Wie lassen sich Phoneme noch genauer beschreiben? Wenn wir die Klassifikationen von Phonen in der Artikulatorischen Phonetik zugrunde legen, können wir Phoneme als Bündel distinktiver Merkmale erfassen. Jedes spezifische Phonem definiert sich dann über ein eindeutige Menge von Merkmalen. Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonem als Bündel distinktiver Merkmale Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonem als Bündel distinktiver Merkmale Das Phonemsystem unserer Sprache wird durch das Inventar distinktiver Merkmale strukturiert → Beispiel: /b/ wie in [bi:nə] Artikulationsort: + bilabial Artikulationsart: + Plosiv + /– stimmhaft: + stimmhaft Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie: Aufgabe 8 Bestimmen Sie die jeweiligen Merkmalsbündel von /g/, /f/ und /m/. Formulieren Sie Ihre Antwort schriftlich: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonem als Bündel distinktiver Merkmale Merkmalsbündel von [g], [f], [m]: [g] [f] [m] Artikulationsort velar labiodental bilabial Artikulationsart Plosiv Frikativ Nasal +/– stimmhaft + – + Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologische Prozesse Wir haben festgestellt: Nicht alle Laute einer Sprache sind in dieser Sprache auch in allen Lautkontexten bzw. prosodischen Kontexten erlaubt! Darüber hinaus gilt: Wenn wir sprechen, artikulieren wir nicht Laut für Laut. Vielmehr interagieren die lautlichen Elemente mit ihren Nachbarn. Hierdurch entstehen neue Lautstrukturen. Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologische Prozesse Wenn wir sprechen, artikulieren wir nicht Laut für Laut. Vielmehr interagieren die lautlichen Elemente mit ihren Nachbarn. Hierdurch entstehen neue Lautstrukturen. Dabei sollten wir zunächst unterscheiden: Explizitlautung: [li:bən] → Die Standardvariante einer Sprache (es wird lautiert, was lautiert werden kann) Umgangslautung: [li:bm] → Darunter fallen Dialekte; oder Kontexte, in denen wir schnell sprechen. Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologische Prozesse Gerade in Umgangslautung, aber zum Teil auch in Explizitlautung kommt es zu phonologischen Prozessen, bei denen Laute ihre Nachbarlaute systematisch beeinflussen. Wir können allgemein die folgenden Typen unterscheiden: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologische Prozesse Neutralisierung: Reduktion eines Merkmals: Die phonologischen Kontraste werden aufgehoben. Bekanntes Beispiel (das im Deutschen in Explizitlautung auftritt) ist die Auslautverhärtung: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologische Prozesse Auslautverhärtung: Im Auslaut (≈ am Wortende, Silbenende) treten im Deutschen keine stimmhaften Plosive/Frikative auf, nur stimmlose: Möglich sind allein: [p, t, k, f, s] → Beispiel: → [bant] [bεn.dɐ] Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologische Prozesse Spirantisierung: Hier werden (ebenfalls in Explizitlautung) Plosive im Auslaut zu frikativen Lauten. Beispiel: [´kø:.nɪç] Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologische Prozesse Tilgung: Bestimmte Laute werden in bestimmten Positionen phonetisch nicht realisiert. Das betrifft in Umgangslautung vor allem den Schwa-Vokal: Beispiel: [ma:.ln] Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologische Prozesse Epenthese: hier wird ein Laut eingefügt, um die Aussprache zu vereinfachen. Beispiel: [hɛmpt] Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologische Prozesse Assimilation (Angleichung): Progressive Assimilation: Hier löst ein Lautsegment bei einem nachfolgenden Laut eine Veränderung aus: [hu:.pm] Regressive Assimilation: Hier löst ein Lausegment bei einem vorherigen Laut eine Veränderung aus: [ʔaŋga:bə] Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie: Aufgabe 9 Bestimmen Sie den phonologischen Prozess: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologische Prozesse Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Generalisierung Regelmodellierung durch Bezug auf Merkmale: z.B. Neutralisation als Neutralisierung eines distinktiven Merkmals: Beispiel Auslautverhärtung im Deutschen → Regel/Muster: [+ Plosiv], [+ Frikativ] im Auslaut: [+ stimmhaft] → [– stimmhaft] Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Ausblick Die Beobachtung, dass nicht alle Laute einer Sprache in allen Lautkontexten bzw. prosodischen Kontexten der Sprache erlaubt sind und dass Laute in bestimmten Kontexten sich gegenseitig beeinflussen, macht deutlich, wie relevant die lautliche Gesamtstruktur ist. Deshalb gilt es, mehr über Silbenstruktur und Prosodie zu lernen. Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen Phonologie II: Silbenphonologie Prof. Dr. Alexandra Zepter Von Laut- zu Silbenstruktur Die Beobachtung, dass nicht alle Laute einer Sprache in allen Lautkontexten der Sprache erlaubt sind und dass Laute in bestimmten Kontexten sich gegenseitig beeinflussen, macht deutlich, wie relevant die übergreifende lautliche Gesamtstruktur ist. Deshalb gilt es, mehr über Silbenstruktur und Prosodie zu lernen. Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Überblick Silbenstruktur: Grundaufbau von Silben Silbenstrukturvariation Sonoritätshierarchie Prosodie: Prosodische Merkmale Akzentzählende Sprachen Trochäus und andere Versfüße Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Die Silbe Aus griechisch syllabe: „das beim Sprechen Zusammengefasste“ Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Die Silbe Jede Sprache hat (gesprochene) Silben, aber ähnlich wie bei den Allophonen und Phonemen entscheidet jede Sprache, welche Silbenformen sie (aus einer universalen Grundmenge möglicher Silbenformen) zulässt. Akzentzählende Sprache (z.B. Deutsch): Unterschiedliche Betonung von Silben/Hervorhebung von Elementen ist relevant für den Wortaufbau! Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Die Silbe Wir wollen in dieser Lerneinheit herausfinden: a. Welche möglichen Silbenstrukturen bzw. Silbenmuster es im Deutschen gibt. b. Wie sich Silben generell hinsichtlich ihrer Struktur analysieren lassen. Dafür ist es sinnvoll, zunächst Variablen für die möglichen Elemente einer Silbe zu definieren. → Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Die Silbe Variablen für die möglichen Elemente einer Silbe zu definieren: Wir können eine gesprochene Silbe im ersten Schritt als Kombination aus Konsonanten (C) und Vokalen (V) beschreiben: Die Variable C steht für einen beliebigen Konsonanten, die Variable V für einen Vokal. Beispiel: Das Wort [šlaxt] besteht aus einer Silbe: CCVCC Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Die Silbe Die Variable C steht für einen beliebigen Konsonanten, die Variable V für einen Vokal. Beispiel: Das Wort [šlaxt] besteht aus einer Silbe: CCVCC Mit diesem Beispiel haben wir bereits herausgefunden, dass im Deutschen das Silbenmuster CCVCC möglich ist. Wichtig: Was zählt ist die lautliche Struktur! Das geschriebene Wort hat auch nur eine Silbe, aber viel mehr Konsonantenbuchstaben. Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie II: Aufgabe 1 Die Silbe [šlaxt] oder auch die erste gesprochene Silbe von ‚gründlich‘ (→ [gRYnt]) haben das CV-Muster CCVCC. Finden Sie weitere Beispiele für CCVCC: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie II: Aufgabe 1 Die Silbe[šlaxt] oder auch die erste gesprochene Silbe von ‚gründlich‘ (→ [gRYnt]) haben das CV- Muster CCVCC. Finden Sie weitere Beispiele für CCVCC: [bRant] (wie in Brand) [knεçt] (wie in Knecht) [šlƱnt] (wie in Schlund) Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie II: Aufgabe 2 Welche weiteren möglichen Silbenmuster/ Silbenstrukturen gibt es im Deutschen? Bestimmen Sie anhand der folgenden repräsentativen Daten, welche CV-Muster im Deutschen möglich sind! Dafür müssen Sie die Beispiele zuerst in Silben aufteilen, anschließend die Laute durch die jeweiligen Variablen C oder V ersetzen. Es kann sein, dass ein Muster in den Daten mehrmals vorkommt: [šlaxt] [he:fə] [tsØ:klIŋ] [(ʔ)axt] [(ʔ)anfal] [laxt] [kRε:mɐ] [štRʊmpf] [gənau] [(ʔ)εRnst] [akuRa:t] [ge:ən] Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Die Silbe Ergänzende Anmerkung zu [ʔ]: Im Standarddeutschen sind nur [ʔεRnst], [ʔakuRa:t] etc. möglich, da bei einfachem anlautenden Vokal grundsätzlich davor ein Knacklaut (glottal stop) produziert wird. In weiten Bereichen des Oberdeutschen (z.B. Schweizerdeutsch) wird jedoch kein Knacklaut produziert: [εRnst], [akuRa:t] Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie II: Aufgabe 2 Welche möglichen Silbenmuster/Silbenstrukturen gibt es im Deutschen? Listen Sie hier die möglichen Muster, die Sie analysiert haben: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie II: Aufgabe 2b Finden Sie für jedes Muster, das Sie gefunden haben, eine weiteres Silbenbeispiel aus dem Deutschen: Erinnere [šlaxt]: Muster CCVCC → weiteres Silbenbeispiel: [gRYnt] Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Die Silbe ─ CV-Muster V (wie in akkurat oder aber) CV (wie in Hefe) oder auch CVV (wie in genau) VC (wie in Anfall oder ändern oder gehen) CVC (wie in Anfall oder gut) CCV (wie in Krämer oder Plage) VCC (wie in acht oder Entgleisung) CCVC (wie in Zögling oder Glut) CVCC (wie in lacht oder Kind) CCVCC (wie in Schlacht) CCCVCCC (wie in Strumpf); CVCCCC (wie in ernst) Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Die Silbe ─ CV-Muster Hinweis: Die CV-Muster in den Aufgaben dieser Lerneinheit beziehen sich auf die Lautstruktur, nicht auf die Struktur der Schriftsilben! Vergleiche: [ze:.ən] ist die Lautstruktur, die mit dem geschriebenen Wort korreliert. Die zweite Silbe von [ze:.ən] (= [ən]) realisiert das Muster VC. Die zweite Schriftsilbe (= ) entspricht aber dem Muster CVC. Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Die Silbe Sie haben herausgefunden, dass im Deutschen diverse CV-Muster eine Silbe formen können. Was lässt sich noch grundsätzlicher über den Aufbau einer Silbe sagen? Dafür brauchen wir eine allgemeine Silbenstrukturtheorie/ein Silbenmodell. Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Allgemeines Silbenmodell Sprachenübergreifend können wir die Silbe grundsätzlich in drei Grundelemente aufteilen: 1. Anfangsrand (Onset) 2. Silbenkern (Nukleus) 3. Endrand (Koda) Silbenkern und Endrand bilden zusammen den Reim. Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Die Silbe – hierarchisches Modell Beispiel: [šlaxt] Onset: šl Reim Nukleus: a Koda: xt [Silbe Anfangsrand [Reim Kern – Endrand] ] Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie II: Aufgabe 3 Rekapitulieren Sie die Silben, die Sie in Aufgabe 2 (nach CV-Mustern) analysiert haben, und bilden Sie diese Silben wie bei [šlaxt] auf das hierarchische Silbenmodell ab: Was steht jeweils im Onset, im Nukleus und in der Koda? Notieren Sie Ihre Analyse direkt im Modell: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie II: Aufgabe 3 Onset: Reim Nukleus: Koda: Ihr Beispiel: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie II: Aufgabe 3 Onset: Reim Nukleus: Koda: Ihr Beispiel: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie II: Aufgabe 3 Onset: Reim Nukleus: Koda: Ihr Beispiel: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie II: Aufgabe 3 Onset: Reim Nukleus: Koda: Ihr Beispiel: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie II: Aufgabe 3 Onset: kR Reim Nukleus: ε: Koda: Beispiel: 1. Silbe von [kRε:.mɐ](Koda leer!) Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie II: Aufgabe 3 Onset: m Reim Nukleus: ɐ Koda: Beispiel: 2. Silbe von [kRε:.mɐ](Koda leer!) Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie II: Aufgabe 3 Onset: Reim Nukleus: ə Koda: n Beispiel: 2. Silbe von [ge:.ən] (Onset leer!) Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie II: Aufgabe 3 Onset: n Reim Nukleus: au Koda: 2. Silbe von [gə.nau] (Diphthong im Nukleus) Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie II: Aufgabe 3 Onset: l Reim Nukleus: I Koda: ŋ Beispiel: 2. Silbe von [tsØ:k.lIŋ] Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie II: Aufgabe 4 Wenn wir nun das hierarchische Silbenmodell zugrunde legen: Welche Silbenmuster sind im Deutschen möglich? Beantworten Sie dazu die folgenden Fragen: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie II: Aufgabe 4 Muss der Onset immer gefüllt sein? Ihre Antwort: Wie viele Konsonanten dürfen maximal im Onset stehen? Ihre Antwort: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie II: Aufgabe 4 Muss die Koda immer gefüllt sein? Ihre Antwort: Wie viele Konsonanten dürfen maximal in der Koda stehen? Ihre Antwort: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Silbenstrukturen Im Deutschen muss eine Sprechsilbe mindestens einen Silbenkern aufweisen (V oder VV oder silbengipfelbildender Konsonant (Sonorant)). Ebenso möglich sind die Kombinationen: 1. Anfangsrand (Onset) plus Kern = offene Silbe CV-Silben gibt es in allen Sprachen – sie bildet so etwas wie den Prototyp einer Silbe; im Deutschen kann der Anfangsrand auch komplex sein (CCV). Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Die Silbe Weitere Kombinationen im Deutschen: 2. Kern plus Endrand (Koda) = geschlossene Silbe Im Deutschen kann der Endrand komplex sein (vgl. z.B. VCC). 3. Anfangsrand (Onset) plus Kern plus Endrand (Koda) = geschlossene Silbe Wieder können sowohl Onset als auch Koda komplex sein (CCVC, CVCC, CCVCC, CCCVCCCC). Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Die Silbe Geschlossen vs. offen ↔ bedeckt vs. nackt: Koda besetzt → geschlossene Silbe Koda nicht besetzt → offene Silbe Onset besetzt → bedeckte Silbe Onset nicht besetzt → nackte Silbe Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Die Silbe Beachte: Das Deutsche schöpft das gesamte Spektrum der logisch möglichen Kombinationen der Silbengrundelemente aus. Es gibt auch andere natürliche Sprachen, die das zulassen (z.B. das Englische), aber: Wieder andere natürliche Sprachen haben ein weit geringere Zahl an Strukturmöglichkeiten; vgl. z.B.: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie II: Aufgabe 6 Erstellen Sie eine Wortliste mit insgesamt 10 mehrsilbigen deutschen Wörtern. Erschließen Sie die Silbenstruktur der gesprochenen Formen, indem Sie (a) die Silben benennen, (b) das CV-Muster der Silbe ermitteln und (c) angeben, ob die Silbe nackt, offen etc. ist: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Möglich als Gruppenarbeit Wortliste erstellen und mit der Nachbargruppe tauschen Lautstruktur erschließen: Konsonanten und Vokal der gesprochenen Formen Silbenstruktur erschließen Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Besondere Silbenphänomene Besonderheit des Deutschen: Was ist mit der Silbenstruktur der lautlichen Form von Hütte? Wie viel Konsonanten hat das phonologische Wort? Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Das Silbengelenk Silbenstruktur von [hYtә] (CVCV)? Beachte, dass die Lautstruktur nach dem 1. Silbenkern nur einen Konsonanten aufweist! Es ist nicht eindeutig messbar, ob dieser Konsonant zur ersten oder zur zweiten Silbe gehört, also im Endrand der ersten oder im Anfangsrand der zweiten Silbe steht! Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Das Silbengelenk Das [t] in [hYtә] bildet zugleich die Koda der ersten und den Onset der folgenden Silbe: Solche Konsonanten können als Silbengelenke analysiert werden! Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Das Silbengelenk Vergleiche den Unterschied: Das Wort [hƴ:tә] (Hüte) → eindeutige Silbengrenze nach dem ersten Vokal: [hƴ:.tә] Das Wort [hYtә] (Hütte) → keine eindeutige Silbengrenze; stattdessen Silbengelenk: [hYә] Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter [hƴ:.tә] → Koda der 1. Silbe leer Onset: h Reim Onset: t Reim Nukleus: ƴ: Koda: Koda: Nukleus: ә Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter [hYә] → Koda der 1. Silbe = Onset der 2. Silbe Onset: h Reim Reim Nukleus: Y Koda = Nukleus: ә Koda: Onset: t Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Silbe und Phonotaktik Wir wollen noch einmal auf die innere Struktur von Silben schauen: Wir wissen bereits, dass sowohl im Onset als auch in der Koda im Deutschen Konsonantencluster möglich sind. Lässt sich noch etwas Spezifischeres in Bezug auf die Kombinatorik der Konsonanten in einem solchen Cluster beobachten? Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie II: Aufgabe 7 Vergleichen Sie die Konsonantencluster im Onset und in der Koda: Was fällt Ihnen hinsichtlich der Ordnung auf? [kRa:m] vs. [paRk] [knu:t] vs. [kant] Ebenso in den Lautstrukturen von blöd, bald, kalt, Pranke, herb, Hand, Flasche, Ralf, Hals, Schleife etc. Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie II: Aufgabe 7 Das fällt mir auf: [kRa:m] vs. [paRk] [knu:t] vs. [kant] Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonotaktik Im Onset: Plosiv + Nasal; Plosiv + Lateral; Plosiv + Vibrant; Frikativ + Lateral – aber nicht umgekehrt! In der Koda: Nasal/Lateral/Vibrant + Plosiv/Frikativ – aber nicht umgekehrt! Welches Muster zeigt sich hier? Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Erinnerung: Sonorität Turbulenz entsteht im Luftstrom hinter der Verengung – derart wenig Schallfülle (Sonorität): Obstruenten in stimmloser oder stimmhafter Variante möglich Plosive Frikative Affrikate Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Erinnerung Sonorität Konsonanten ohne Turbulenz sind sonor und können akustisch wie Vokale eher auch als ‚Klänge‘ gefasst werden: Sonoranten immer stimmhaft Nasale Liquide Laterale Vibranten Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Sonoritätshierarchie Im Onset: Obstruent + Sonorant – aber nicht umgekehrt! In der Koda: Sonorant + Obstruent – aber nicht umgekehrt! Tendenz: Steigende Sonorität hin zum Nukleus! Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Sonoritätshierarchie Plosive Frikative Nasale Laterale Vibranten Silbengipfel Obstruenten Sonoranten Vokale Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie II: Aufgabe 8 Überprüfen Sie die Sonoritätshierarchie in den folgenden Lautsequenzen: Preis, Kraft, Strick, Schlag, Skat, blond, Gips, Takt Welche Lautsegmente verletzen das Sonoritätsprinzip? Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie II: Aufgabe 8 Diese Lautsegmente verletzen das Sonoritätsprinzip: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Phonologie II: Aufgabe 8 Diese Lautsegmente verletzen das Sonoritätsprinzip: [št] im Onset von [štrӏk] [sk] im Onset von [ska:t] [ps] in der Koda von [gӏps] Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Sonoritätshierarchie Prinzip und Ausnahmen: Im Anfangsrand muss die Sonorität steigen, weshalb eine Abfolge [Sonorant + Obstruent] ausgeschlossen ist: *[lk] Im Endrand muss die Sonorität fallen, weshalb eine Abfolge [Obstruent + Sonorant] ausgeschlossen: *[kl] Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Sonoritätshierarchie Achtung: Viele Ausnahmen, die zusätzlich über Silbenstrukturbedingungen ausgedrückt werden müssen, z.B.: *[tl] oder *[zR] im Anfangsrand, obwohl das Sonoritätsprinzip hier beachtet wird [št] oder [sk] im Anfangsrand, obwohl das Sonoritätsprinzip hier verletzt wird Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Prosodie Für die Organisation der Lautstruktur einer Sprache spielen auch prosodische bzw. suprasegmentale (= die einzelnen Segmente/Phone übergreifende) Merkmale eine wesentliche Rolle! → Intonation = Gesamtheit der prosodischen Eigenschaften lautsprachlicher Äußerungen (Silben, Wörter, Phrasen) Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Prosodie – Intonation Intonation beruht auf dem Zusammenwirken von: Akzent (Intensivierung der Muskelaktivität) Tonhöhenverlauf In großen Teilen abhängig von der Frequenzzusammensetzung (Periodendauer) Pausengliederung Steht in der Regel in unmittelbarem Bezug zum Akzent und Tonhöhenverlauf Pausen treten nicht notwendig (nur) an Wort- oder Satzgrenzen auf! Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Intonation – Akzent Akzent = ‚Betonung‘ durch Intensivierung der Muskelaktivität → Akzent bewirkt: Steigerung der Lautstärke (Schallintensität) Steigerung der Tonhöhe (Grundfrequenz) Erhöhung der Dauer (Quantität), z.B. durch Dehnung der Laute; erinnere, dass unter Betonung ein gespannter Vokal lang gesprochen wird Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Intonation – Akzent Akzent ist als Haupt- oder Nebenakzent möglich und kann unterschiedliche Struktureinheiten betreffen: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Intonation – Akzent Silbenakzent → dabei möglich: prominente Silbe nicht-prominente (nicht reduzierte) Silbe Reduktionssilbe = unbetonbar! Wortakzent Wortgruppen- oder Satzakzent Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Prosodie des Deutschen Akzentbasierte/akzentzählende Sprache: Wechsel zwischen betonten und unbetonten (bzw. nicht betonbaren) Silben → Rhythmus durch Versfüße! Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Prosodie des Deutschen Akzentbasiert/akzentzählend: Intervalle (Zeitabstände) zwischen akzentuierten Silben (über die Wortgrenzen hinweg) sind etwa gleich lang → ev. komplexere Silbenstruktur zur Intervallangleichung (Reduktionsilben, Silbengelenke etc.) Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Silbenzählende Sprachen Silbenzählende Sprachen → meist mit einfacher Silbenstruktur; z.B. Französisch Türkisch: Intervalle zwischen einzelnen Silben sind etwa gleich lang (Hypothese) Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Akzentmuster im Deutschen Silbenakzentstruktur im Deutschen → Bei mehrsilbigen Wörtern trägt eine Silbe den Hauptakzent → Wörter erhalten derart eine Fußstruktur: Welche Akzentmuster überwiegen? Welcher Art ‚(Vers-)Füße‘ gibt es im Deutschen? Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Deutsch: Trochäische Sprache Versfuß Trochäus als Basisform zentral: Zweisilber aus 1. einer betonten Hauptsilbe 2. einer unbetonbaren Reduktionssilbe fRa gə Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Akzentstrukturen im Deutschen Einsilbige Wörter → immer betont: Hut, Fuß … Mögliche ‚Füße‘ im Deutschen; der Prototyp: Trochäus XX (betont, unbetont) → z.B. Frage Wenige Zweisilber mit umgekehrter Betonung (z.B. Fremdwörter, Derivata): Jambus XX (unbetont, betont) → z.B. Figur, Kamel, Gesicht Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Akzentstrukturen im Deutschen Im Übrigen viele Dreisilber: Daktylus XXX (betont, unbetont, unbetont): z.B. Ananas, Marzipan Amphibrachys XXX (unbetont, betont, unbetont): z.B. Banane, Garage, Gardine Anapäst XXX (unbetont, unbetont, betont): z.B. Produktion, Elefant, Melodie Beachte: Der Wortakzent bleibt bei Flexion erhalten! Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Aussprachevariation Abhängig von Situation bzw. Register (funktional gebundene Variation), Varietät und Dialekt kann phonetische und prosodische Variation differente Lautungen desselben Wortes bedingen: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Aussprachevariation Umgangslautung; Dialekt Explizitlautung: jeder Laut ist erkennbar; Bezugsgröße für die Standardlautung; beachte zum Schwa-Laut: systematisch nur in Explizitlautung Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Epilog: Querverweis Wir haben Einblick in die phonologische und die prosodische Struktur des Deutschen erhalten; als Nächstes folgt die morphologische Struktur. Alle drei Dimensionen spielen eine Rolle für die deutsche Orthographie! Siehe mehr dazu in der Vorlesung „Einführung in die Schrift- und Textlinguistik“! Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen Morphologie I Prof. Dr. Alexandra Zepter Systemorientierte theoretische Linguistik Pragmatik: Textlinguistik (Semiotik) Semantik Syntax Morphologie Phonetik/Phonologie ─ Graphematik Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Was ist Morphologie? Erinnere: In der Phonetik/Phonologie fokussieren wir auf die materielle ─ lautliche ─ Ebene von Sprache und untersuchen das Inventar und die Kombinatorik der kleinsten (lautlichen) sprachlichen Einheiten, die in einer Einzelsprache Bedeutung differenzieren können. Das bedeutet, diese kleinsten Einheiten (Phoneme) tragen an sich keine Bedeutung; stattdessen bauen sie sprachliche Einheiten, die Bedeutung tragen, quasi mit auf. Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Was ist Morphologie? Wenn wir an sprachliche Einheiten denken, die an sich Bedeutung tragen, dann assoziieren wir im Rahmen unseres Alltagswissen in den meisten Fällen ‚Wörter‘ (≈ Wörter tragen Bedeutung.) Wir werden gleich sehen, dass das Wort ‚Wort‘ vage bzw. mehrdeutig ist. In der Linguistik wird stattdessen die Grundeinheit „Morphem“ angenommen (→ aus dem Griechischen morphé = Gestalt). Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Was ist Morphologie? Morphologie ist die Lehre von Form, innerer Struktur, Funktion und Vorkommen der Morpheme als den kleinsten Einheiten einer Sprache, die entweder Bedeutung tragen oder eine grammatische Funktion erfüllen → In der Morphologie untersuchen wir also, welche Einheiten in einer Sprache Bedeutung tragen oder grammatische Funktionen erfüllen können; und wie diese Einheiten (→ Morpheme) miteinander kombiniert werden können, um neue Bedeutungen zu bilden (→ Wortbildung) oder grammatische Relationen kenntlich zu machen (→ im Deutschen: Flexion). Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Überblick (Morphologie I) Morphologie (des Deutschen): Was ist ein Wort? Morpheme: Formklassifikationen und strukturelle Analysen Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Was ist ein Wort? Was ein Begriff? Ein Begriff ist eine Gedankeneinheit bzw. ein Gedankeninhalt; wir könnten auch sagen, ein Begriff ist eine bestimmte Bedeutung, die als Gedanke oder Vorstellung mental gefasst werden kann. Als gedankliche Einheit ist der Begriff an sich immer abstrakt ─ Achtung: Dies gilt sowohl bei abstrakten (wie z.B. Liebe …) als auch bei konkreten Begriffen (wie z.B. Stift)! Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Was ist ein Begriff? Generell können wir bei einem Begriff (a) den abstrakten Begriff an sich und (b) die konkreten Elementen bzw. Instanzen, die unter den Begriff fallen, unterscheiden. Beispiel → der Begriff „Stift“ Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Was ist ein Begriff? Beispiel → der Begriff „Stift“: a) Der Begriff an sich ist der Gedankeninhalt, die Bedeutung von Stift. b) Konkrete Instanzen, die unter den Begriff fallen, sind hier konkrete Stifte in Ihrer Welt. Blicken Sie z.B. auf Ihren Tisch: Wie viele Stifte finden sich dort? Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Was ist ein Begriff? Abstrakter Begriff vs. konkrete Elemente, die unter den Begriff fallen: a) Abstrakter Begriff = Type b) Konkrete Elemente, die unter den Begriff fallen = Token Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Was ist ein Begriff? Beispiel → der Begriff „Stift“: a) Der Type ist der Gedankeninhalt, die Bedeutung von Stift. b) Konkrete Token, die unter den Begriff fallen, sind konkrete Stifte in Ihrer Welt. Blicken Sie z.B. auf Ihren Tisch: Wie viele Token des Begriffs (= des Types) „Stift“ finden sich dort? Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Mehrdeutige Wörter Stellen Sie sich vor, ein Wort ist mehrdeutig → z.B. Schloss Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Mehrdeutige Wörter Stellen Sie sich vor, ein Wort ist mehrdeutig → z.B. Schloss: Hier haben wir es mit zwei Begriffen (zwei Bedeutungen bzw. zwei Types) zu tun. Für jeden der zwei Begriffe können Sie wieder nach konkreten Token suchen. Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Mehrdeutige Wörter Wenn Sie die folgende Aufgabe bearbeiten, sollten Sie u.a. den Unterschied zwischen Type und Token beachten. Die Aufgabe ist auch deshalb herausfordernd, weil es um das Wort ‚Wort‘ geht → Alltagssprachlich hat ‚Wort‘ sogar mehr als zwei Bedeutungen. Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphologie I: Aufgabe 1 Zählen Sie die Wörter in dem folgenden Satz. Begründen Sie Ihre Analyse! Lola sonnt sich in der Sonne, Cem und der Gärtner sonnen sich im Halbschatten und die alte Dame sonnt sich im Schatten. Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphologie I: Aufgabe 1 Lola sonnt sich in der Sonne, Cem und der Gärtner sonnen sich im Halbschatten und die alte Dame sonnt sich im Schatten. Ihre Zählung und Ihre Begründung: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter ‚Wort‘: mehr als ein Begriff Sprechen/hören oder schreiben/lesen wir das Wort? Phonologisches Wort = Lautkette mit festgelegter Akzentstruktur Graphematisches Wort = Buchstabenkette zwischen Leerzeichen (Spatien) Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter ‚Wort‘: mehr als ein Begriff Spatiensetzung als Konvention bzw. Muster der Orthographie (erst im Mittelalter eingeführt): Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphologie I: Aufgabe 1 Lola sonnt sich in der Sonne, Cem und der Gärtner sonnen sich im Halbschatten und die alte Dame sonnt sich im Schatten. Ihre Zählung und Ihre Begründung: Die einfachste, vielleicht naheliegende Antwort: 22 Wörter Hier wird der Begriff mit der Bedeutung graphematisches Wort zugrunde gelegt und wir zählen alle konkrete Token (graphematische Wörter) in diesem Satz, die durch Leerzeichen (Spatium) voneinander separiert sind. Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter ‚Wort‘: mehr als ein Begriff Zählen wir Wörter mit ‚überlappender‘ Gestalt und derselben lexikalischen Bedeutung als zwei verschiedene Wörter (zwei Types) oder als ein Wort (einen Type)? Zählen ‚sonnt‘ und ‚sonnen‘ als ein oder zwei Wörter? Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Lexem und Wortform Zählen ‚sonnt‘ und ‚sonnen‘ als ein oder zwei Wörter? Wir können ‚sonnt‘ und ‚sonnen‘ als zwei Wortformen desselben Lexems klassifizieren. Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Der Begriff ‚Lexem‘ Lexem (= lexikalische Einheit) als abstrakte Einheit des (mentalen) Lexikons mit einem spezifischen Bedeutungskern: z.B. das Verb ‚sonnen‘, das Nomen ‚Gärtner‘ oder das Nomen ‚Sonne‘. Beachte, dass z.B. auch eine Konjunktion wie ‚dass‘ als Lexem gezählt werden kann → Wo liegt der Unterschied? Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Der Begriff ‚Lexem‘ Das Lexem ‚Sonne‘ hat Bedeutung im engeren Sinne → es hat eine ‚inhaltliche‘ (lexikalische) Bedeutung. Das (funktionale) Lexem ‚dass‘ codiert eine spezifische grammatische Funktion (→ es markiert einen subordinierten Deklarativsatz), hat also keine ‚inhaltliche‘ Bedeutung bzw. keine Bedeutung i.e.S. Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Lexem vs. Wortform Lexem (= lexikalische Einheit) als abstrakte Einheit des Lexikons: z.B. ‚sonnen‘ Wortform (= syntaktisches Wort) als grammatisch dem Wortkontext angepasste (flektierte) Variante eines Lexems in der Sprachverwendung, also in einer Äußerung oder in einem Text: Frieda sonnt sich; wir sonnen uns im Garten... Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Wortform Wortform (= syntaktisches Wort) → grammatisch dem Wortkontext angepasste Variante des Lexems in der Sprachverwendung Beachte: ‚wir sonnen uns‘ vs. ‚sie sonnen sich‘ → auch dies sind zwei verschiedene Wortformen → die gleich morphologische Gestalt, aber 1. vs. 3. Person Plural Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Lexem vs. Lexemverband Mehrere Lexeme, die in ihrer Bedeutung und Gestalt ‚überlappen‘, können zusammen einen Lexemverband (= Wortfamilie) bilden: sonnen, (die) Sonne, (der) Sonnenkönig … (der) Schatten, (der) Halbschatten … Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphologie I: Aufgabe 2 Lola sonnt sich in der Sonne, Cem und der Gärtner sonnen sich im Halbschatten und die alte Dame sonnt sich im Schatten. Rekapitulieren Sie erneut: Können Sie, je nachdem, welchen Begriff Sie mit ‚Wort‘ verbinden, zu einer anderen Zählung (von Token) gelangen? Wie viele verschiedene Lexeme hat der Satz? Wie viele Token zählen Sie von jedem Lexem? Für jedes Lexem: Wie viele verschiedene Wortformen finden sich im dem Satz? Für jede Wortform: Wie viele Token zählen Sie? Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphologie I: Aufgabe 2 Lola sonnt sich in der Sonne, Cem und der Gärtner sonnen sich im Halbschatten und die alte Dame sonnt sich im Schatten. Wie viele verschiedene Lexeme hat der Satz? Wie viele Token zählen Sie von jedem Lexem? Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphologie I: Aufgabe 2 Lola sonnt sich in der Sonne, Cem und der Gärtner sonnen sich im Halbschatten und die alte Dame sonnt sich im Schatten. Wie viele verschiedene Lexeme hat der Satz? Wie viele Token zählen Sie von jedem Lexem? (Beachte: Eigennamen werden nicht gezählt.) Lexem 1: sonnen (3 Token: sonnt, sonnen, sonnt) Lexem 2: sich (3 Token) Lexem 3: in (3 Token; zweimal in der Verknüpfung mit der zu ‚im‘) Lexem 4: die (femininer definiter Artikel: 2 Token: der Sonne, die Dame) Lexem 5: Sonne (1 Token) Lexem 6: und (2 Token) Lexem 7: der (maskuliner definiter Artikel: 3 Token: zweimal in ‚im‘) Lexem 8: Halbschatten (1 Token) Lexem 9: alt (1 Token) Lexem 10: Dame (1 Token) Lexem 11: Schatten (1 Token) Lexem 12: Gärtner (1 Token) Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphologie I: Aufgabe 2 Lola sonnt sich in der Sonne, Cem und der Gärtner sonnen sich im Halbschatten und die alte Dame sonnt sich im Schatten. Für jedes Lexem: Wie viele verschiedene Wortformen finden sich im dem Satz? Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphologie I: Aufgabe 2 Lola sonnt sich in der Sonne, Cem und der Gärtner sonnen sich im Halbschatten und die alte Dame sonnt sich im Schatten. Für jedes Lexem: Wie viele verschiedene Wortformen finden sich im dem Satz? Die komplizierten Fälle: Lexem 1: sonnen → zwei Wortformen: sonnt, sonnen Lexem 2: sich → zwei Wortformen (3. Person Sing. fem.; 3. Person Sing. mask.) Lexem 3: in → nur eine Wortform (Verknüpfung mit Artikel ist keine Flexion; spezifiziert keine grammatische Funktion) Lexem 4: die → zwei Wortformen (Dativ Sing.; Nominativ Sing.) Lexem 6: und → eine Wortform Lexem 7: der → zwei Wortformen (Nominativ Singular; Dativ Singular in der Verknüpfung mit ‚in‘) Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphologie I: Aufgabe 2 Lola sonnt sich in der Sonne, Cem und der Gärtner sonnen sich im Halbschatten und die alte Dame sonnt sich im Schatten. Für jede Wortform: Wie viele Token zählen Sie? Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphologie I: Aufgabe 2 Lola sonnt sich in der Sonne, Cem und der Gärtner sonnen sich im Halbschatten und die alte Dame sonnt sich im Schatten. Für jede Wortform: Wie viele Token zählen Sie? Exemplarisch zwei Fälle: Lexem 1: sonnen → zwei Wortformen: sonnt, sonnen → Von der Wortform sonnt finden sich 2 Token, von sonnen 1 Token Lexem 2: sich → zwei Wortformen (3. Person Sing. fem.; 3. Person Sing. mask.) → 3. Person Sing. fem.: zwei Token; 3. Person Sing. mask.: 1 Token Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Wortform: interne Struktur Wortformen können in sich komplex aufgebaut sein → In diesem Sinne sind nicht (syntaktische) Wörter die kleinsten (potenziellen) Träger von Bedeutung, sondern Morpheme! Morphem = kleinste Einheit einer Sprache, die entweder Bedeutung trägt oder eine grammatische Funktion erfüllt Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphem vs. Phonem Erinnere: In der Phonologie untersuchen wir die Funktion und die Distribution (Verteilung; Kombinatorik) von Phonemen und Silben. Phoneme = kleinste, lautliche Einheiten einer Sprache, die potenziell bedeutungsdifferenzierend sind Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphem vs. Phonem In der Morphologie untersuchen wir den Aufbau bzw. die innere Struktur und die Distribution (Verteilung) bzw. Kombinatorik von Morphemen als → kleinste sprachliche Einheiten, die bedeutungstragend sein können (entweder sie tragen Bedeutung oder sie erfüllen eine grammatische Funktion) Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Notation Will man eine sprachliche Einheit als Morphem notieren, schreibt man sie zwischen geschweifte Klammern; ein Rautezeichen markiert eine Morphemgrenze: {Haus} = ‚Haus‘ ist ein Morphem geh#en → Grenze zwischen zwei Morphemen Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphologie I: Aufgabe 3 Die folgenden Daten zeigen türkische syntaktische Wörter, die eine interne Struktur haben, indem sie aus mehr als einem „Bedeutungsträger“ bestehen → es sind Morphemverbindungen (vgl. Stewart/Vaillette 2001: 139) : Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphologie I: Aufgabe 3 Finden Sie durch Vergleich der gegebenen Daten die Morpheme zu folgenden deutschen Übersetzungen: _______ Ozean ________ in ____________ mein _______ Haus ________ zu _______ von/aus (of) _______ Hand ______ von (from) ___________ unser _______ Zahn ________ -chen ___________ PLURAL Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphologie I: Aufgabe 3 Was würde wahrscheinlich „aus unseren Händchen“ auf Türkisch heißen? Welches Muster erkennen Sie hinsichtlich der Anordnung mehrerer Morpheme in einem türkischen Wort? Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphemanalyse Türkisch Die einzelnen türkischen Morpheme: deniz Ozean -de in -im mein ev Haus -e zu -in von/aus (of) el Hand -den von -imiz unser diš Zahn -ĵIk -chen -ler PLURAL aus unseren Händchen = elĵIklerimizin Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphemanalyse Türkisch aus unseren Händchen = el-ĵIk-ler-imiz-in Anordnung mehrerer Morpheme in einem türkischen Wort → Muster: Substantiv > -chen (Diminutiv; Verkleinerungsform) > PLURAL > Possessivrelation > Postposition (Gegenstück zur Präposition) Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Muster in Opposition Türkisch vs. Deutsch → Spiegelung der linearen Ordnung der Morpheme bzw. Wortformen: el-ler -im -de [Substantiv Possessiv] Postposition in meinen Händen Präposition [Possessivartikel Substantiv] Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphemtypen Die Übung zeigt uns auch, dass wir verschiedene Arten von Morphemen unterscheiden können: Strukturelle Differenzierung: Freie vs. gebundene Morpheme Typen von gebundenen Morphemen Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphemtypen Was ist ein freies Morphem? Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Freies Morphem = Stamm Warum ist ein Stamm ein freies Morphem? Ein Stamm kann (muss aber nicht) alleine stehen. Ein Stamm kann Bedeutung tragen: lexikalischer Stamm (z.B. Baum, steh-...) Manchmal drückt ein Stamm auch eine grammatische Funktion aus: funktionaler Stamm (z.B. dass, zu, um, ob...) Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Stamm vs. Wurzel Synchrone Perspektive: Wurzel = unverzichtbarer lexikalischer Kern einer Wortform Wurzel = lexikalischer Stamm D.i. funktionale Stämme sind keine Wurzeln. Beispiele: #schön# = Stamm und Wurzel; #dass# = Stamm, aber keine Wurzel Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Stamm vs. Wurzel Diachrone Perspektive: Wurzel = rekonstruierte, nicht mehr zerlegbare historische Grundform eines Wortes, die in lautlicher und semantischer Hinsicht als Ausgangsbasis entsprechender Wortfamilien analysiert wird Beispiel: indoeuropäische Wurzel *per- bzw. *par- für „Fortbewegung jeder Art“ als Basis für dt. fahren, Erfahrung, Führer, fertig … Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Gebundene Morpheme Gebundene Morpheme können niemals alleine stehen; sie brauchen einen Stamm, an den sie sich binden. Begriff: Affix Vorne an den Stamm: Präfix Hinten an den Stamm: Suffix Den Stamm spaltend: Infix Den Stamm umschließend: Zirkumfix Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphologie I: Aufgabe 4 Analysieren Sie die folgenden Wortformen nach Stämmen und Affixtypen (Präfix, Suffix): glücklich → aufpassen → Losverkäufer → Großteil → Ungnade → Spieler → Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Stamm oder Affix? glück#lich → Stamm + Suffix auf#pass#en → Präfix + Stamm + Suffix Los#ver#käuf/kauf#er → Stamm + [Präfix + Stamm + Suffix] Groß#teil → Stamm + Stamm Un#gnade → Präfix + Stamm Spiel#er → Stamm + Suffix Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Türkisch vs. Deutsch Beispiel → Morpheme im Türkischen (nur Suffixe): Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Sondergruppe: Zirkumfixe Zirkumfixe bezeichnen diskontinuierliche Morphemkonstruktionen, die den Stamm (die Wurzel) umrahmen → (kontrovers diskutierte) Beispiele: ge – such – t (Partizip Perfekt, regelmäßig gebildet) ge – lauf – en (Partizip Perfekt, unregelmäßig gebildet) Ge – red – e (Zirkumfix, das Verbstämme substantiviert) Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Sondergruppe: Konfixe Bio – log(e) Log – ik; log – isch Phil – o-log(in) franko – phil Konfixe können keine Stämme sein, da sie nicht frei vorkommen. Sie lassen sich aber auch nicht als Affixe analysieren, da ihre Position häufig variabel ist. Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Unikale Morpheme Him – beere Brom – beere Schorn – stein Auch unikale Morpheme bilden eine Sondergruppe. Im Gegensatz zu den Konfixen sind unikale Morpheme an ihren Wortkontext gebunden. Sie kommen ‚nur einmal‘ vor. Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Beispiel Cebuano (philippinische Sprache) Gibt es im Deutschen echte Infixe? Vergleiche → Die folgenden Daten zeigen Cebuanische Substantive: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphologie I: Aufgabe 5 Versuchen Sie eine Regel aufzustellen, die uns von den Substantiven in der 1. Spalte (Ausdruck für „Sprecher“) zu den Substantiven in der 2. Spalte (Ausdruck für „Sprache“) führt: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphologie I: Aufgabe 5 Versuchen Sie eine Regel aufzustellen, die uns von den Substantiven in der 1. Spalte (Ausdruck für „Sprecher“) zu den Substantiven in der 2. Spalte (Ausdruck für „Sprache“) führt: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Präfixe, Infixe in Cebuano Mögliche Regelformulierung: Wenn das Wort mit einem Vokal beginnt, verknüpfe mit dem Präfix in-. [Beispiel: inglis → ininglis] Wenn das Wort mit einem Konsonanten beginnt, spalte den Stamm und setze das Infix -in- direkt hinter den ersten Konsonanten. [z.B.: bisaya → binisaya] Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Infixe in Cebuano Beispiel [bisaya → b-in-isaya] Gibt es Vergleichbares im Deutschen? Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Infixe im Deutschen? Überlegen Sie: Könnte es Infixe im Deutschen geben? Was ist z.B. mit dem folgenden Phänomen, den so genannten Fugenelementen → Beispiel: Arbeitszeit Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphologie I: Aufgabe 6 Betrachten Sie das folgende Beispiel: Arbeitszeit Das ‚s‘ in Arbeitszeit ist ein Fugenelement. Warum ist es kein Infix? Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Cebuano vs. Deutsch Das Fugenelement schiebt sich zwischen zwei Stämme: Arbeitszeit → Fugenelemente sind also keine Infixe! Sind es denn überhaupt Morpheme? Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Fugenelemente Fugenelemente sind grundsätzlich keine Morpheme. Vgl. Arbeitszeit Fugenelemente sind zwar gebunden, sie tragen aber weder Bedeutung noch erfüllen sie eine grammatische Funktion. Sie erfüllen also nicht die Kriterien, die ein Morphem definieren. Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Fazit dieser Lerneinheit Strukturelle Morphemtypen im Deutschen (im Kernsystem): Freie Morpheme ( lexikalische und funktionale Stämme) Gebundene Morpheme (Affixe): Präfixe, Suffixe; evtl. Zirkumfixe Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen Morphologie II Prof. Dr. Alexandra Zepter Morphologie? Erinnere übergreifend: In der Morphologie untersuchen wir, welche Einheiten in einer Sprache Bedeutung tragen oder grammatische Funktionen erfüllen können; und wie diese Einheiten (→ Morpheme) miteinander kombiniert werden können, um neue Bedeutungen zu bilden (→ Wortbildung) oder grammatische Relationen kenntlich zu machen (→ im Deutschen: Flexion). Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphologie? Erinnere übergreifend: In der ersten Lerneinheit haben wir auf das Inventar der Morpheme aus einer strukturellen Perspektive fokussiert: Was sind potenzielle Bedeutungsträger in einer Sprache (→ Morpheme)? Was ist genauer ein Morphem? Welche verschiedenen strukturellen Morphemtypen gibt es generell und im Deutschen (Stämme; Typen von Affixen). Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Worum geht es heute? In dieser Lerneinheit: Im zweiten Teil der Morphologie-Einheit soll es darum gehen, genauer zu verstehen, im Rahmen welcher verschiedenen Funktionen Morpheme wie miteinander verknüpft werden können. Wesentlich sind dabei (a) Prozesse der Bildung neuer Lexeme (→ Wortbildung) und (b) Prozesse der Bildung von Wortformen (→ Markierung grammatischer Relationen). Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Überblick (Morphologie II) Morphologie (des Deutschen): Morphem vs. Silbe Morphem-Verknüpfung: morphologischer Kopf Funktionstypen: Wortbildung vs. Flexion Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Fazit aus Morphologie I Strukturelle Morphemtypen im Deutschen (im Kernsystem): Freie Morpheme ( lexikalische und funktionale Stämme) Gebundene Morpheme (Affixe): Präfixe, Suffixe; evtl. Zirkumfixe Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Einstieg: Morphem vs. Silbe Rekapitulieren Sie, was Sie über Phonetik/Phonologie und über Morphologie bereits gelernt haben. Übergreifend und im Weiteren ist es wichtig, uns erneut zu versichern: Die lautlichen, auch suprasegmentalen sprachlichen Grundeinheiten sind etwas anderes als die sprachlichen Grundeinheiten, die potenziell Bedeutungsträger sein können. Beachte: Morphem (Stamm, Affix) ist nicht gleich Silbe! Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphologie II: Aufgabe 1 Was ist der Unterschied zwischen einem Morphem und einer Silbe? Notieren Sie Ihre Überlegungen dazu hier: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphem ≠ Silbe Silben sind lautliche, suprasegmentale Einheiten; d.h. lautliche Einheiten, die sich i.d.R. aus mehreren lautlichen Segmenten (Vokalen, Konsonanten) zusammensetzen; es sind prosodische Einheiten, die Betonungsmuster aufbauen. Silben sind keine potenziellen Bedeutungsträger. Morpheme dagegen schon: Sie sind die kleinsten sprachlichen Einheiten, die entweder eine (lexikalische) Bedeutung tragen oder eine grammatische Funktion erfüllen. Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphem ≠ Silbe Morphem (Stamm, Affix) ist nicht gleich Silbe! Wir dürfen nicht Silben- und Morphemanalyse verwechseln. Beide Kategorien können, müssen sich aber nicht überschneiden. Daher ist die deutsche Terminologie der ‚Vorsilbe’ und ‚Nachsilbe’, die häufig jeweils für ‚Präfix’ und ‚Suffix’ verwendet wird, auch höchst irreführend. (Sollte also vermieden werden.) Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphologie II: Aufgabe 2 1. Bestimmen Sie zunächst die Lautstrukturen der folgenden Wörter (→ IPA-Transkription). 2. Bestimmen Sie für die Lautstrukturen jeweils (a) die Silbenstruktur und (b) die Morphemstruktur (Stämme, Affixe): bemalen, unterschreiben, Mutter, Badewanne, hinab, lustig, Übertreibung, Heiterkeit, nettes Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphologie II: Aufgabe 2 bemalen, unterschreiben, Mutter, Badewanne, hinab, lustig, Übertreibung, Heiterkeit, nettes Ihre Analyse: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Silben ←→ Morpheme [bə.ma:.lən] ←→ [bə#ma:l#ən] [(ʔ)ʊn.tɐ.šRaI.bən] ←→ [ʊntɐ#šRaIb#ən] [mʊɐ] ←→ [mʊtɐ] [ba:.də.vaə] ←→ [ba:d#(ə)#vanə] Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Silben ←→ Morpheme [hi:.nap] ←→ [hi:n#ap] [lʊs.tIç] ←→ [lʊst#Iç] [(ʔ)y:.bɐ.tRaI.bʊŋ] ←→ [y:bɐ#tRaIb#ʊŋ] [haI.tɐ.kaIt] ←→ [haItɐ#kaIt] [nεəs] ←→ [nεt#əs] Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Mehr zur Analyse von morphologisch komplexen Wortformen Morphologische Relationen Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphologie II: Aufgabe 3 Was fällt Ihnen an den folgenden morphologisch komplexen Daten auf? das Ballspiel, der Spielball das Fußballspiel das Hallenfußballspiel der Kinderspielball der Lustmord, die Mordlust Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphologie II: Aufgabe 3 das Kistenspiel, der Blumenball Überlegen Sie auch, was passiert, wenn Sie aus Ihnen bekannten Morphemen neue (unbekannte) morphologisch komplexe Wörter bilden? Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphologie II: Aufgabe 3 Notieren Sie, was Ihnen aufgefallen ist, hier: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphologischer Kopf Bei Kistenspiel etc. werden aus Stämmen neue Lexeme (mit neuer lexikalischer Bedeutung!) gebildet. Beim Substantiv bestimmt das am weitesten rechts stehende Morphem – der morphologische Kopf – das Genus der Verknüpfung: das Fußballspiel, das Hallenfußballspiel *der Fußballspiel, *die Hallenfußballspiel Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphologischer Kopf Das funktioniert auch bei lexikalischen Neuschöpfungen – der morphologische Kopf steht im Deutschen stets rechts außen und bestimmt das Genus der Verknüpfung: das Kistenspiel, *die Kistenspiel der Lügenmund, *die Lügenmund die Bruderlüge, *der Bruderlüge Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Erkennen Sie das Muster? die Heiterkeit, die Freigiebigkeit … die Schönheit, die Feigheit, die Blödheit... die Vergebung, die Umrundung … der Schreiber, der Leser, der Läufer … die Schreiberin, die Leserin, die Läuferin … das Rennen, das Laufen, das Verlangen … das Gerenne, das Gekeife, das Gerede … Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphologischer Kopf Auch Suffixe (und Zirkumfixe?) können morphologische Köpfe bilden! Bei Substantivierungen ist das Genus fix und also vorhersagbar: die Heiterkeit, die Freigiebigkeit … das Rennen, das Verlangen … das Händchen, das Brüderchen … das Gerenne, das Gekeife … Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphologie II: Aufgabe 4 Jedes der folgenden Beispiele ist morphologisch komplex. Aber was ist der Unterschied zwischen den Morphem- verbindungen unter 1) und 2)? 1) Lesung, Arbeiter, versteh-, käuflich, zählbar, Heiterkeit, Königin 2) Blumen, (des) Königs, gelaufen, verstehst, Kinder, schöne Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphologie II: Aufgabe 4 Analysieren Sie im ersten Schritt die Morphemstrukturen, indem Sie die Morphemgrenzen mit # markieren: 1) Lesung, Arbeiter, versteh-, käuflich, zählbar, Heiterkeit, Königin 2) Blumen, (des) Königs, gelaufen, verstehst, Kinder, schöne Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphologie II: Aufgabe 4 Notieren Sie im zweiten Schritt, was Ihnen zu dem Unterschied zwischen den Morphemverbindungen unter (1) und (2) einfällt: 1) Lesung, Arbeiter, versteh-, käuflich, zählbar, Heiterkeit, Königin: 2) Blumen, (des) Königs, gelaufen, verstehst, Kinder, schöne: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphemstrukturen Alle Beispiele sind morphologisch komplex und bestehen jeweils aus Stämmen und Affixen: 1) Les#ung, Arbeit#er, ver#steh-, käuf#lich, zähl#bar, Heiter#keit, König#in 2) Blume#n, (des) König#s, ge#lauf#en, ver#steh#st, Kind#er, schön#e Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Prozess und Funktion In einer flektierenden Sprache wie dem Deutschen können wir die folgenden Hauptklassen von morphologischen Prozessen unterscheiden: Morphologische Prozesse im Deutschen Wortbildung Flexion (Stamm + Affix) Komposition Derivation/Ableitung (Stamm + Stamm) (Stamm + Affix) Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Wortbildung Wortbildung = Bildung neuer Lexeme: neue lexikalische Grundbedeutung oder neue Wortart: Derivation → Stamm plus Affix (Affigierung) Komposition → Stamm plus Stamm Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Wortbildung: Derivation Morphologische Analyse von unglaublich: un glaub lich Wortbildung: Stamm Wortbildung: Derivationspräfix Derivationssuffix Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Wortbildung: Komposition Komposition ist im Deutschen ungewöhnlich produktiv: Hoch zeit s fest mahl Fugenelement Stamm 1 Stamm 2 Stamm 3 Stamm 4 Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Wortbildung: Komposition Komposition ist im Deutschen ungewöhnlich produktiv: Kreatives Beispiel für die Möglichkeiten: https://youtu.be/gG62zay3kck Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Wortbildung: Akronym Beispiel für einen besonderen Wortbildungstyp: Akronym = Aus den Anfangsbuchstaben oder -silben einer Wortgruppe oder eines Kompositums gebildete Abkürzung, die als Wort verwendet wird – Subformen: Akronyme, die ausbuchstabiert und mit Endbetonung ausgesprochen werden, wie WM Akronyme, deren Buchstaben silbischen Wert annehmen mit Anfangsbetonung, wie NATO Akronyme, deren Initialen sich zu einem phonetischen Wort zusammenfügen, wie Aids Mischformen aus Initial- und Silbenbildung, wie Azubi Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Wortbildung: Akronym Beachte: BeiAkronym-Bildung entstehen ‚wirklich‘ neue Lexeme. → Daher fällt das Phänomen auch unter Wortbildung. Evidenz: Nehmen Sie ein Beispiel wie ‚LKW‘, abgeleitet von ‚Lastkraftwagen‘: Der Plural von ‚(der) Lastkraftwagen‘ ist ‚(die) Lastkraftwagen‘. Der Plural von ‚(der) LKW‘ ist aber ‚(die) LKWs‘. Wir haben es mit einem neuen Lexem zu tun, das grammatisch eine andere Pluralbildung aufweist. Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Morphologie II: Aufgabe 5 Warum gibt es überhaupt Wortbildung? Warum sind Sprachen so dynamisch, dass stets neue Lexeme entstehen? Notieren Sie Ihre Antwort hier: Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Wortbildung Warum bilden wir stets neue Wörter? Patchwork-Familie Wutbürger chillig Steuersünder / Steuerbetrüger Einführung in die Sprachwissenschaft des Deutschen – Prof. Dr. Alex Zepter Wortbildung – Kreativität Vergleiche Kindersprache (vgl. Volme