MSc Psychodynamik 9. Sitzung PDF
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This document from the University of Kassel outlines a schedule for lectures on psychodynamic models and therapies for personality disorders in the winter semester of 2024. It contains the lecture schedule organized by date and topic.
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Psychodynamische Modelle und Therapien Sitzung 9: Modelle und Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen II Wintersemester 2024/2025 PD Dr. Sonja Etzler...
Psychodynamische Modelle und Therapien Sitzung 9: Modelle und Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen II Wintersemester 2024/2025 PD Dr. Sonja Etzler Master Klinische Psychologie und Psychotherapie, Modul 4 Institut für Psychologie, Universität Kassel M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 45 Gliederung der Vorlesung Sitzung Termin Thema 1. 04.11.2024 Organisation, Auffrischung Bachelorvorlesung 2. 11.11.2024 Psychodynamisches Störungsverständnis 3. 18.11.2024 Settings, Techniken, Manuale 4. 25.11.2024 Analytische Psychotherapie 5. 02.12.2024 Modelle und Psychotherapie der Depression 6. 09.12.2024 Modelle und Psychotherapie der Angststörungen 7. 16.12.2024 Modelle und Psychotherapie der Traumafolgestörungen Weihnachten 8. 13.01.2025 Modelle und Psychotherapie der Persönlichkeitsstörungen I 9. 20.01.2025 Modelle und Psychotherapie der Persönlichkeitsstörungen II 10. 27.01.2025 Psychodynamische Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen 11. 03.02.2025 Psychodynamische Gruppentherapien 12. 10.02.2025 Forschung zur Psychodynamischen Psychotherapie 13. 17.02.2025 Puffer 19.02.2025 Klausur I 15:30h – 16:30h E-Klausuren Center 16.04.2025 Klausur II 09:15h – 10:15h E-Klausuren Center M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 46 Agenda Persönlichkeitsstörungen Psychodynamisches Verständnis von Persönlichkeitsstörungen Psychodynamische Modelle von Persönlichkeitsstörungen Behandlung: Strukturbezogene Psychotherapie Behandlung: Mentalisierungsbasierte Psychotherapie Persönlichkeitsstörungen M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 48 Persönlichkeitsstörung Definition laut DSM-IV Eine Persönlichkeitsstörung ist ein überdauerndes Muster von innerem Erleben und Verhalten, das deutlich von den Erwartungen der jeweiligen Kultur abweicht. Dieses Muster zeigt sich in mindestens zwei der folgenden Bereiche: Kognition: Wahrnehmung und Interpretation von sich selbst, anderen Menschen und Ereignissen. Affektivität: Breite, Intensität, Labilität und Angemessenheit emotionaler Reaktionen. Zwischenmenschliches Funktionsniveau: Qualität der Beziehungen zu anderen Menschen. Impulskontrolle: Fähigkeit, Impulse zu steuern. M15 Klinische Psychologie: Störungslehre | Institut für Psychologie| WS 24/25 | Seite 49 Achse II: Kategorisierung von Persönlichkeitsstörungen ICD-10 DSM-IV Cluster A Paranoide PS Paranoide PS sensitiv, affektarm, distanziert, Schizoide PS Schizoide PS sonderbar Schizotype PS Cluster B Dissoziale PS Antisoziale PS dramatisch, emotional, Emotional instabile PS Borderline PS impulsiv, verführerisch, - Impulsiver Typus ausbeuterisch, - Borderline Typus unverantwortlich Histrionische PS Histrionische PS Narzisstische PS Cluster C Anankastische PS Zwanghafte PS ängstlich, zwanghaft, Ängstlich-vermeidende PS Vermeidend-selbstunsichere PS klammern, perfektionistisch Abhängige PS Abhängige PS Passiv-Aggressive PS (Depressive PS) (Negativistische PS) M15 Klinische Psychologie: Störungslehre | Institut für Psychologie| WS 24/25 | Seite 50 Achse II: Kategorisierung von Persönlichkeitsstörungen ICD-10 DSM-IV Cluster A Paranoide PS Paranoide PS sensitiv, affektarm, distanziert, Schizoide PS Schizoide PS sonderbar Schizotype PS Cluster B Dissoziale PS Antisoziale PS dramatisch, emotional, Emotional instabile PS Borderline PS impulsiv, verführerisch, - Impulsiver Typus ausbeuterisch, - Borderline Typus unverantwortlich Histrionische PS Histrionische PS Narzisstische PS Cluster C Anankastische PS Zwanghafte PS ängstlich, zwanghaft, Ängstlich-vermeidende PS Vermeidend-selbstunsichere PS klammern, perfektionistisch Abhängige PS Abhängige PS Passiv-Aggressive PS (Depressive PS) (Negativistische PS) M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 51 Prävalenz und Verlauf Verlauf: Beginn meist in der Adoleszenz oder früher, Verlauf oft stabil, aber veränderbar. Antisoziale und Borderline-Störungen: Nehmen mit Alter oft ab. Zwanghafte und schizotypische Störungen: Bleiben stabil. Prävalenz: Punktprävalenz 10 %, Lebenszeitprävalenz 30–40 %. Ursachen: Genetik und traumatische Kindheitserfahrungen. M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 52 Kritik an der dimensionalen Diagnostik - Persönlichkeitsstörungen Kriterienzuordnung zu Diagnosen empirisch fragwürdig: Viele Patienten erfüllen mehrere Diagnosen. Gleiche Diagnose, unterschiedliche Probleme. Patienten mit Problemen erfüllen teils keine Diagnose. Schweregradbestimmung fehlt, obwohl wichtig für Prognose und Therapie. Unklare theoretische Basis: Implizite Normen und mangelnde Integration mit Grundlagenfächern. Geringe zeitliche Stabilität und Vermischung von Beschreibung und Bewertung. Folgen: Heterogenität und Komorbidität erschweren Fallformulierung, Therapieplanung und Forschungsergebnisse. M15 Klinische Psychologie: Störungslehre | Institut für Psychologie| WS 24/25 | Seite 53 Das Alternative Modell der Persönlichkeitsstörungen (AMPD, DSM-5) M15 Klinische Psychologie: Störungslehre | Institut für Psychologie| WS 24/25 | Seite 54 Das AMPD Die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung erfordert zwei Einschätzungen: 1. Eine Beurteilung des Ausmaßes der Beeinträchtigung des Funktionsniveaus der Persönlichkeit (Kriterium A) 2. Eine Beurteilung von Problematischen Persönlichkeitsmerkmalen (Kriterium B) M15 Klinische Psychologie: Störungslehre | Institut für Psychologie| WS 24/25 | Seite 55 Das AMPD – Kriterium A M15 Klinische Psychologie: Störungslehre | Institut für Psychologie| WS 24/25 | Seite 56 Das AMPD – Kriterium B Maladaptive Persönlichkeitsmerkmale Negative Affektivität Psychotizismus (vs. Emotionale Stabilität) (vs. Klarheit) Verschlossenheit Enthemmtheit (vs. Extraversion) (vs. Gewissenhafftigkeit) Antagonismus (vs. Verträglichkeit) M15 Klinische Psychologie: Störungslehre | Institut für Psychologie| WS 24/25 | Seite 57 Persönlichkeitsstörungen im ICD-11 Schweregrad Kernpersönlichkeitsstörung mit 3 Schweregraden: Leichte Persönlichkeitsstörung Moderate Persönlichkeitsstörung Schwere Persönlichkeitsstörung Merkmalsdomänen Die „Schweregrad“-Diagnose wird durch 5 „Merkmalsdomänen- Qualifikatoren“ ergänzt: Negative Affektivität Distanziertheit Enthemmung Dissozialität Anankasmus Zusätzlich kann der/die Behandelnde auch einen Borderline-Muster- Qualifikator angeben. Psychodynamisches Verständnis von Persönlichkeitsstörungen Titel der Präsentation | Abteilung oder Fachbereich | 20.06.2015 | Seite 59 Persönlichkeitsmodelle in der Psychoanalyse Charakter-Typologien Struktur-Modelle Inhaltlich definierte Typologien Dimensionale Struktur-Modelle basieren auf der (Trieb-)Konflikt- fokussieren auf basale psychische und Ich-Psychologie. Funktionen (Reifegrad, Verfügbarkeit). Beispiele: Libido-Entwicklung: Oraler, analer, Basieren auf Ich-Psychologie und phallischer Charakter (Freud, Fenichel). Objektbeziehungstheorie. Neurotische Stile: Zwanghafter, paranoider, hysterischer Stil (Shapiro). Inhalte wie Motive/Konflikte sind Konfliktverarbeitung: Depressiver, zwanghafter Modus (Mentzos). weniger relevant. Beschreiben typische Beschreiben grundlegende Kombinationen aus unbewussten Qualitäten des psychischen Motiven/Impulsen und deren Funktionierens, z. B. Strukturelle Integration spezifischer Abwehr, teils ergänzt Persönlichkeitsorganisation durch Verinnerlichungen. M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 60 Charakter-Typologien „Die bleibenden Charakterzüge sind entweder unveränderte Fortsetzungen der ursprünglichen Triebe, Sublimierungen derselben oder Reaktionsbildungen gegen sie“ (Freud 1908, 209). Beim oralen Charakter dominiert das Thema der Versorgung, der Partialtrieb der „oralen Gier“; später zeigt sich ein dauerhaftes Habenwollen, oder die Umwandlung durch Reaktionsbildung in „ich brauch nichts“. Die charakteristische Trias Ordnungsliebe, Eigensinn und Sparsamkeit sind Umwandlungen der Analerotik (Freud 1908). Die „analen“ Partial-Impulse wie „Retentionslust“, „Exkretionslust“, „Interesse am Produkt“ erfahren eine (sozial verträgliche) Umwandlung. M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 61 Charakter-Typologien Typologien basieren auf Konflikt-Abwehr-Modellen: Beschreiben typische Kombinationen aus unbewussten Trieben/Motiven/Impulsen und deren Abwehr. In der OPD dargestellte Konfliktmuster und Lösungsmodi sind moderne Varianten dieser Modelle. Konflikte basieren auf spezifischen Motivsystemen und schwer erträglichen Affekten, die abgewehrt werden müssen. Ähnlichkeiten zu spezifischen Persönlichkeitsstörungen gemäß DSM-5/ICD-10: Histrionische PS: Ödipaler Konflikt (aktiver Modus). Zwanghafte PS: Unterwerfung vs. Kontrolle (passiver Modus). Narzisstische PS: Selbstwertkonflikt (aktiver Modus). Antisoziale PS: Schuldkonflikt (aktiver Modus). M15 Klinische Psychologie: Störungslehre | Institut für Psychologie| WS 24/25 | Seite 62 Struktur-Modelle Struktur ist „in“! Ursprung: Ich-Psychologie (Freud, Hartmann u.a.) Psychodynamische Welt (Auswahl): Persönlichkeitsorganisationsniveau (Kernberg) Strukturniveau (Rudolf / OPD) Mentalisierungsfähigkeit (Fonagy) Verhaltenstherapie - implizit: Regulations-/ Fertigkeitsdefizite (Linehan) Aktuelle Klassifikationssysteme: Levels of Personality Functioning Scale (DSM-5) Core personality dysfunction (ICD-11; Tyrer) M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 63 Rating 1 Gute Integration 1,5 2 Mäßige Integration 2,5 3 Geringe Integration 3,5 4 Desintegration M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 64 Struktur-Modelle: OPD M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 65 Struktur-Modelle: OPD Konflikte und Strukturniveau Psychodynamische Modelle von Persönlichkeitsstörungen M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 67 Persönlichkeitsstörungen 1. Paranoide PS: Misstrauen und überempfindliche Reaktionen auf Zurückweisungen und Beleidigungen. 2. Schizoide PS: Distanziertheit, emotionale Kühle und Vorliebe für Einzelgängertum. 3. Dissoziale PS: Missachtung sozialer Regeln und Rechte anderer, fehlendes Schuldgefühl. 4. Emotional instabile PS: Impulsivität, instabile Beziehungen und Angst vor Verlassenwerden. 5. Histrionische PS: Übertriebene Emotionalität und Aufmerksamkeitssuche. 6. Narzisstische PS (im DSM-5, nicht explizit im ICD-10): Übersteigertes Selbstwertgefühl, Anspruchsdenken und Empathiemangel. 7. Zwanghafte PS: Perfektionismus, Kontrollbedürfnis und rigides Denken. 8. Ängstlich-vermeidende PS: Starke Unsicherheit, Angst vor Kritik und sozialer Ablehnung. 9. Abhängige PS: Übermäßiges Bedürfnis nach Fürsorge und Angst vor Alleinsein. M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 68 Paranoide Persönlichkeitsstörung Fehlendes Urvertrauen Kein Urvertrauen, sondern Pessimismus, Zweifel und Scham Mütter eher aufdringlich, keine gute Förderung, deswegen Angst, Rückzug, Misstrauen, Spielunfähigkeit Auch schwerer Mangel an elterlicher Fürsorge, Zurückweisung von kindlichen Anlehnungsbedürfnissen bis hin zu schweren Traumatisierungen Objektbeziehungstheorie Unzureichende Verinnerlichung von sicherheitsgebenden und fürsorglichen Objektrepräsentanzen. Eher aggressiv verfolgend und entwertend Strukturelle Einschränkungen Unintegriertes Über-Ich: rigorose Moralvorstellungen vs. Eigenes unangemessenes Verhalten Selbst-Objekt-Differenzierung nicht gut Problem der Selbstwertregulierung Probleme in Realitätsprüfung, Affektdifferenzierung und Selbststeuerung Abwehr Projektion, projektive Identifikation Verschmelzungsphantasien Spaltung, Idealisierung, Entwertung M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 69 Schizoide Persönlichkeitsstörung Vermeidung von Beziehungen Defizitäre Beziehungserfahrungen i.S. v. emotionaler Verwahrlosung: schwerwiegende emotionale Defizite, Fehlen von emotionaler Wärme, spielerischer Atmosphäre Objektbeziehungstheorie und strukturelle Einschränkungen Defizitäre Selbst-Objekt-Differenzierung mit Durchlässigkeit Selbstgrenzen Intensive Sehnsüchte nach Verschmelzung mit Objekt, Angst vor Selbstverlust/Desintegration Eigene Vereinnahmungsbestrebungen unbewusst mit Vernichtung des Objekts gleichgesetzt Abwehr Rückzug als Abwehr von Beziehungswünschen Archaisch: Idealisierung, Entwertung, Projektion und Introjektion M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 70 Histrionische Persönlichkeitsstörung „Oberflächliches“ Selbstkonzept: Kind wird vor allem wegen Aussehen oder Unterhaltungswert geachtet Keine Förderung anderer Kompetenzen – grundsätzlich extravertiertes Kind Oftmals Vorzug von gegengeschlechtlichem Elternteil Objektbeziehungstheorie und strukturelle Einschränkungen Defizitärer Selbstwert, Stabilisierungsversuch durch Selbstbezogenheit und Selbstdramatisierung Internalisierte Erwartungen, vernachlässigt und missachtet zu werden Wunsch, von starkem Objekt geschätzt und geliebt zu werden Zu Beginn starke Beachtung mit Rückzug im weiteren Verlauf – Verstärkung der Objektrepräsentanz Unsichere Geschlechtsidentität und Selbstwert Regulierung von Scham durch Aufmerksamkeit M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 71 Narzisstische Persönlichkeitsstörung Grandioses aufgeblähtes Größenselbst dient der Abwehr schwerster Insuffizienzgefühle Ursache: mangelnde empathische Einfühlung, mangelnde Spiegelung, mangelnde Bedürfnisbefriedigung Abwehr von Wut auf kalte und gleichgültige Eltern, von Hass und Neid Bestimmte Eigenschaft als Kind (hübsch, Genie, soll Ambitionen der Familie erfüllen) Narrativ dieser grandiosen Eigenschaften als kompensatorische Lebenstechnik Objektbeziehungstheorie und strukturelle Einschränkungen Pathologisches Größenselbst resultiert aus Verschmelzung von Ideal-Selbst, Ideal-Objekt und Realselbst – führt zu destruktiver Entwertung Anderer Innere Leere, verächtlicher oder ängstlicher Umgang damit oder in abgeschwächter Form – Unwerte Form des „Mittelmaßes“ Abwehr Abspaltung, Verleugnung und Projektion inakzeptabler Selbstaspekte M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 72 Dissoziale Persönlichkeitsstörung Fehlendes Über-Ich Oftmals aufgewachsen in prekären Verhältnissen Kann als schwere Variante der narzisstischen Persönlichkeitsstörung verstanden werden Keine Entwicklung/Fehlen des Über-Ichs Besonders geringe Ausprägung der Mentalisierungsfähigkeit – fehlende Opferempathie Objektbeziehungstheorie und strukturelle Einschränkungen Besonders geringe strukturelle Fähigkeiten, extrem bei Psychopathy ausgeprägt M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 73 Vermeidend-Selbstunsichere Persönlichkeitsstörung Scham und seine Vermeidung Scham als Leitthema Angst, bloßgestellt, beschämt oder lächerlich gemacht zu werden Führt zu Vielzahl von Vermeidungsverhalten Objektbeziehungstheorie und Strukturelle Einschränkungen Entwertende Introjekte -> geringe Selbstachtung Insuffizientes Selbstwertgefühl Narzisstische Komponente von Anerkennung, Achtung und perfekten Beziehungen M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 74 Abhängige/Dependente Persönlichkeitsstörung Bedürfnis nach Fürsorge Unterwürfiges oder anklammerndes Verhalten, um Fürsorge zu erhalten Selbstwahrnehmung, dass ohne Hilfe Anderer nicht lebensfähig Keine Verantwortung, keine Entscheidung, keine Meinung vertreten „Oraler Charakter“, passiver Modus des Versorgungs-Autarkie-Konflikts Objektbeziehungstheorie und strukturelle Einschränkungen Idealisierte und stark erlebte Objektrepräsentanzen Vorstellung eigener Autonomie und Eigenständigkeit verknüpft mit Trennung und Verlassenwerden M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 75 Anankastische/Zwanghafte Persönlichkeitsstörung Zwanghafte Züge dienen Abwehr von Angst und Selbstzweifeln Ausdehnung der Abwehr auf interpersonellen Bereich Konflikte zentrieren sich um Willkür, Anpassung, Autonomie, Dominanz und Unterwerfung Starke unerfüllte Sehnsucht nach Abhängigkeit und Wut auf emotional nicht zugängliche Eltern Beides wird in engen Beziehungen aktiviert Abwehr Projektion, Projektive Identifikation von Wut und Kontrollwünschen Reaktionsbildung Verschiebung Behandlung: Strukturbezogene Psychotherapie M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 77 Therapieansätze bei strukturellen Störungen Strukturstabilisierende Ansätze Therapeut wird angehalten, zusammen mit dem Patienten Techniken zu erarbeiten, „mit deren Hilfe er es lernen kann, seine Affekte zu regulieren, sich selbst zu beruhigen und seine Affekttoleranz allmählich zu steigern. Halten Sie den Patienten an, einen bestimmten Affekt, eine Unsicherheit oder einen Handlungsimpuls auszuhalten. Verweisen Sie auf Ihre begleitende Gegenwart und machen Sie ihm Mut, den Affekt zu ertragen“ (Wöller & Kruse 2005) Strukturdynamische Ansätze Die aktuellen Affekte und das Agieren werden in diesen Ansätzen als Ergebnis von Abwehrprozessen (TFP) bzw. als Selbstschutz (MBT) verstanden, und es wird mittels Deutungsarbeit versucht, die gerade abgewehrte „Teil-Objektbeziehungsdyade“ mitsamt den damit verknüpften Affekten (Clarkin et al. 2001) bzw. „die emotionalen Vorläufer“ (Batman & Fonagy 2008, S. 314) zu identifizieren, welche die aktuelle Reaktion ausgelöst haben. M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 78 Strukturbezogene Psychotherapie nach Gerd Rudolf Für Behandlung von Pat. mit strukturellen Beeinträchtigungen folgend dem Strukturkonzept der OPD Strukturelle Thematik soll nicht in die Übertragung einbezogen und dort gedeutet werden, sondern als Drittes gemeinsam untersucht und bearbeitet werden (Rudolf, 2004, S.149) Gerd Rudolf, geb. 1939 Techniken stützend und spiegelnd Haltung: Strukturelle Einschränkungen werden zunächst als gegeben akzeptiert Ziel: Förderung Selbstreflexion und Vorgang Selbststeuerung und Handlungskompetenz im interpersonellen Bereich M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 79 Strukturbezogene Psychotherapie nach Gerd Rudolf Techniken Anregungen zur psychischen Produktion des Pat. Klärende Fragen Einladung zur Selbstreflexion Gerd Rudolf, geb. 1939 Antwortende Mitteilungen der Therapeutin Spiegelnde Äußerungen Strukturierende Interventionen Aufzeigende und hypothesengeleitete Interventionen Interventionen des Therapeuten als Chronist für die Erfahrungen der Pat. M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 80 Strukturbezogene Psychotherapie nach Gerd Rudolf Beispiele der Technik Affektdifferenzierung Durch spiegelnde Interventionen mitteilen, welche Affekte des Pat. er wahrnimmt, die vom Pat. mitgeteilten Affekte werden dann mit den berichteten Affekten anderer Menschen abgeglichen Gerd Rudolf, geb. 1939 Affektregulierung An Stelle der ich-dystonen Affekte (es packt mich) tritt Eigenverantwortung (ich habe es, ich tue es). Ziel ist das Steuern und Eingrenzen von Affekten im sozialverträglichen Sinne, Aushaltenkönnen von Unlustaffekten und Frustration. Emotionale Kommunikation nach Innen Therapeutische Interventionen sollen affektiv belegen, zur Begegnung mit Emotionalität ermutigen und die dadurch ausgelösten Beunruhigungen aushaltbar machen Behandlung: Mentalisierungsbasierte Psychotherapie M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 82 Mentalisierungsbasierte Psychotherapie (MBT) nach Peter Fonagy Entwickelt für die Behandlung von Borderline- Persönlichkeitsstörungen Mentalisierung als zentrales Konzept Peter Fonagy, geb. 1952 Fähigkeit, sich selbst und andere als von innerpsychischen Prozessen, Gefühlen und Intentionen geleitet wahrnehmen und verstehen zu können. Massive Störungen in der Entwicklung der Mentalisierungsfähigkeit werden mit desorganisierter Bindung und Traumatisierungen in Verbindung gebracht Fehlentwicklungen der Mentalisierung Hemmung, um Erfahrung von intentionaler Bösartigkeit abzuwenden Früher exzessiver Stress kann die Aktivität des orbitofrontalen Kortex hemmen Traumatische Situationen – Aktivierung Bindungssystem – Identifikation mit dem Aggressor M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 83 Mentalisierungsbasierte Psychotherapie (MBT) nach Peter Fonagy Techniken Erregungsniveau des Pat. beachten Bei hoher Erregung keine komplexen Interventionen, das verwirrt, setzt die Mentalisierung weiter herab und führt zu Agieren Peter Fonagy, geb. 1952 Empathische Validierung Mentalisierung beim Pat. anregen, nicht selbst Eindrücke mitteilen - Pseudomentalisierung Unterstützende Bemerkungen, vorsichtiges Explorieren oder Klären des Problems – Fördern der Mentalisierungsfähigkeit Authentische aber empathische und validierende Rückmeldung M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 84 Mentalisierungsbasierte Psychotherapie (MBT) nach Peter Fonagy Beispiele Gemeinsame Mentalisierung -> Authentizität auch in Bezug auf eigene Gefühle (Achtung: Grenzverletzung) Peter Fonagy, geb. 1952 Wichtig besonders dann, wenn Pat. Gefühle des Th. richtig mentalisieren „Sie langweilen sich mit mir, nicht wahr?“ Empathische Validierung und richtige Mitteilung plus Neugierde: „Jetzt, da Sie das sagen, habe ich mich tatsächlich gerade ein wenig gelangweilt und bin mir nicht sicher, woher das kommt. Hat es mit dem zu tun, worüber Sie gerade geredet haben oder wie Sie es sagen, oder hat es mehr mit mir und meiner augenblicklichen Verfassung zu tun? Wissen Sie, ich bin mir da gar nicht so sicher.“ Auch wenn er sich nicht langweilt, sollte der Therapeut dies mitteilen und eine Exploration anregen, z. B. so: „Soweit ich mir bewusst bin, habe ich mich gerade nicht gelangweilt, ich habe sogar versucht, zu begreifen, was Sie meinten. Ich war etwas verwirrt. Aber jetzt bin ich fasziniert davon, dass wir beide diesen Moment so unterschiedlich erleben.“ M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 85 Gliederung der Vorlesung Sitzung Termin Thema 1. 04.11.2024 Organisation, Auffrischung Bachelorvorlesung 2. 11.11.2024 Psychodynamisches Störungsverständnis 3. 18.11.2024 Settings, Techniken, Manuale 4. 25.11.2024 Analytische Psychotherapie 5. 02.12.2024 Modelle und Psychotherapie der Depression 6. 09.12.2024 Modelle und Psychotherapie der Angststörungen 7. 16.12.2024 Modelle und Psychotherapie der Traumafolgestörungen Weihnachten 8. 13.01.2025 Modelle und Psychotherapie der Persönlichkeitsstörungen I 9. 20.01.2025 Modelle und Psychotherapie der Persönlichkeitsstörungen II 10. 27.01.2025 Psychodynamische Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen 11. 03.02.2025 Psychodynamische Gruppentherapien 12. 10.02.2025 Forschung zur Psychodynamischen Psychotherapie 13. 17.02.2025 Puffer 19.02.2025 Klausur I 15:30h – 16:30h E-Klausuren Center 16.04.2025 Klausur II 09:15h – 10:15h E-Klausuren Center Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!