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Universität Kassel

2024

PD Dr. Sonja Etzler

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psychodynamic therapy personality disorders trauma psychology

Summary

This document includes lecture notes from a session on psychodynamic models and therapies, focusing on personality disorders in a winter semester 2024/2025 course at the University of Kassel. It covers topics like Trauma, and Borderline Personality Disorder (BPS).

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Psychodynamische Modelle und Therapien Sitzung 8: Modelle und Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen I Wintersemester 2024/2025 PD Dr. Sonja Etzler...

Psychodynamische Modelle und Therapien Sitzung 8: Modelle und Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen I Wintersemester 2024/2025 PD Dr. Sonja Etzler Master Klinische Psychologie und Psychotherapie, Modul 4 Institut für Psychologie, Universität Kassel M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 290 Gliederung der Vorlesung Sitzung Termin Thema 1. 04.11.2024 Organisation, Auffrischung Bachelorvorlesung 2. 11.11.2024 Psychodynamisches Störungsverständnis 3. 18.11.2024 Settings, Techniken, Manuale 4. 25.11.2024 Analytische Psychotherapie 5. 02.12.2024 Modelle und Psychotherapie der Depression 6. 09.12.2024 Modelle und Psychotherapie der Angststörungen 7. 16.12.2024 Modelle und Psychotherapie der Traumafolgestörungen Weihnachten 8. 13.01.2025 Modelle und Psychotherapie der Persönlichkeitsstörungen I 9. 20.01.2025 Modelle und Psychotherapie der Persönlichkeitsstörungen II 10. 27.01.2025 Psychodynamische Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen 11. 03.02.2025 Psychodynamische Gruppentherapien 12. 10.02.2025 Forschung zur Psychodynamischen Psychotherapie 13. 17.02.2025 Puffer 19.02.2025 Klausur I 15:30h – 16:30h E-Klausuren Center 16.04.2025 Klausur II 09:15h – 10:15h E-Klausuren Center M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 291 Agenda Behandlung komplexer Posttraumatischer Behandlungsstörung Borderline Persönlichkeitsstörung (BPS) Transference Focused Therapy zur Behandlung der BPS Behandlung der komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 293 Generelles Traumatherapie-Entwicklung: Verfahren entwickeln eigene Methoden, aber Strategien nähern sich an. Debatte Stabilisieren vs. Konfrontieren: Psychodynamik priorisiert Stabilisierung, Verhaltenstherapie betont Konfrontation. Übereinstimmend wird Traumatherapie als aktive Behandlungsform konzipiert „Jede Form assoziativer Therapie, die unstrukturiert und unklar ist, die regressionsfördernde Elemente enthält, eine Regression im Rahmen der therapeutischen Beziehung oder/und auf der Station zum Ziel hat und sich auf einen aus sich selbst heraus wirksamen therapeutischen Prozess verlässt, verbietet sich für diese Klientel“ (Sachsse 2004, S. 189). M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 294 Behandlungsmanual der komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 295 Verschiedene Phasen der Therapie 1. Erstgespräch – Diagnostik und Anamnese 2. Probatorik 3. Phase I: Stabilisierung und Ressourcenaktivierung 4. Phase II: Trauma-Exposition 5. Phase III: Integration und Neuorientierung M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 296 Verschiedene Phasen der Therapie 1. Erstgespräch – Diagnostik und Anamnese 2. Probatorik 3. Phase I: Stabilisierung und Ressourcenaktivierung 4. Phase II: Trauma-Exposition 5. Phase III: Integration und Neuorientierung M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 297 Diagnostik von Trauma Diagnostische Situation nicht von Behandlungssituation trennbar Sensible Diagnostik wichtig Zu intrusive Gesprächsführung kann Beziehung schwerwiegend stören Größte Vorsicht bei Erfragung von Traumatisierung Wenn nicht gefragt wird: Gefühl von Desinteresse Wenn zu genau gefragt wird: Gefahr von Affektüberflutung und Dissoziation Mittelweg: Stichworte und abstrakte Rückmeldung erfragen, keine Einzelheiten berichten und bewusst eine emotional distanzierte Haltung Reaktionen des Umfelds auf Traumatisierungen erfragen Dissoziative vs. Neurotische Verarbeitung Dissoziative: Affektregulation und Schneidedruck evtl. stärker – genauer explorieren Neurotische: Sprechen über Trauma ist möglich M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 298 Allgemeine Prinzipien in der Arbeit mit komplex traumatisierten Patienten Psychodynamisches Beziehungsverständnis Phasenorientierung Förderung salutogenetischer Faktoren und Ressourcenaktivierung Keine Förderung der Entfaltung der Pathologie in der therapeutischen Beziehung – antiregressives Setting Stellenwert von Imaginationen – gezielt nutzen, für das Erschaffen einer guten „inneren Welt“ Beobachtende Haltung Strukturbezogene Interventionen Ego-State-Arbeit Selbst besteht aus verschiedenen Anteilen (z. B. verletztes Kind, kritischer Elternteil etc.) Anteile entstehen aus spezifischen Lebenserfahrungen, besonders Trauma Ziel ist, Kommunikation und Integration zu verbessern M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 299 Therapeutische Beziehung Emotional positiv getönte Bindung zur Patientin herstellen Auf die Gemeinsamkeit der Therapieziele achten Keine Verstärkung von traumabedingtem Stress durch die Therapie Reale Verfügbarkeit und Präsenz Parteiliche Abstinenz Validierung des Erlebens Kein Hinterfragen der „Richtigkeit“ der Erzählungen Vermeidung von allzu engen therapeutischen Beziehungen – Abhängigkeitserleben Misstrauen und negative Übertragung – Verständnisvoll sein und sofort aufgreifen und klären M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 300 Psychoedukation Erläuterungen zur Frage von Schuld und Verantwortung geben Traumafolgesymptome als Anpassungsreaktionen erläutern Informationen zur Neurobiologie psychischer Traumatisierungen geben Ego-State-Perspektive zur Erläuterung von Traumaphänomenen nutzen Auf Möglichkeiten rechtlicher Beratung hinweisen Schriftliche Infomaterialien bieten sich an – Abgestimmt auf Wissensstand und Aufnahmefähigkeit der Pat. Zu Beginn aber auch während der Behandlung immer wieder sinnvoll M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 301 Verschiedene Phasen der Therapie 1. Erstgespräch – Diagnostik und Anamnese 2. Probatorik 3. Phase I: Stabilisierung und Ressourcenaktivierung 4. Phase II: Trauma-Exposition 5. Phase III: Integration und Neuorientierung M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 302 Traumaspezifische Stabilisierung Imaginationsübungen „Der sichere Ort“ „Der schützende Mantel“ https://www.youtube.com/watch?v=GrySl-x1DXc „Innerer Tresor“ Gute innere Objekte fördern Gute Körperzustände herstellen (z. B. Yoga) Schutz vor weiterer Traumatisierung Kein Recht, auf irgendwelche Handlungen zu drängen – Aber Gründe verstehen Verleugnung von Gefahren bearbeiten Benennung, Validierung und Differenzierung von Gefühlen Eigene Bedürfnisse wahrnehmen Selbstfürsorge und Selbstwertgefühl fördern Therapie als neue Beziehungserfahrung M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 303 Verschiedene Phasen der Therapie 1. Erstgespräch – Diagnostik und Anamnese 2. Probatorik 3. Phase I: Stabilisierung und Ressourcenaktivierung 4. Phase II: Trauma-Exposition 5. Phase III: Integration und Neuorientierung M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 304 Voraussetzungen für ein traumabearbeitendes Vorgehen Stabilität der Patientin Fähigkeit, sich selbst zu beruhigen und sich selbst zu trösten Kein anhaltender Täterkontakt Umfassende Diagnostik dissoziativer Symptomatik Relative Kontraindikation bei schweren dissoziativen Zuständen Nur sehr erfahrene Traumatherapeut*innen Aufklärung und ausdrückliches Einverständnis der Patientin Traumaarbeit dann im Rahmen einer längeren Sitzung M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 305 Beobachtertechnik I Voraussetzungen Vertrautheit mit dem inneren Beobachter sowie imaginativen Übungen wie „sicherer Ort“, „innere Helfer“, „ideale Eltern“ und „Tresor“. Der beobachtende Teil unterstützt, indem er zwischen dem erlebenden und erzählenden Ich vermittelt. Vorbereitung Traumatische Situation benennen und klären, worin die Belastung besteht (z. B. Anfang und Ende des Ereignisses). Subjektiven Belastungsgrad (z. B. über die SUD-Skala) feststellen. Durchführung Body-Check: Prüfen, ob traumabezogene negative Körperempfindungen vorliegen. „Erlebende Teile“ und das heutige Ich imaginativ an einen sicheren Ort bringen, um Sicherheit herzustellen. Das beobachtende Ich schildert die Beobachtungen dem erzählenden Ich (Körperempfindungen, Gedanken, Gefühle) und hilft bei der Verarbeitung. M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 306 Beobachtertechnik II Traumaverarbeitung Reaktionen wie Trauer, Wut oder Zittern deuten auf eine Verarbeitung hin und sollten behutsam begleitet werden. Überflutung vermeiden, Sicherheit stets gewährleisten. Nachbereitung Bedürfnisse des verletzten jüngeren Ich ermitteln und imaginativ befriedigen. Belastung erneut überprüfen (ggf. erneuter Body-Check) und Hilfen zur Selbststärkung für den Alltag entwickeln. Ziel Durch die Beobachtertechnik werden traumatische Erlebnisse mit Distanz betrachtet, um sie sicher zu verarbeiten und in die Persönlichkeit zu integrieren, ohne das Erlebende zu überfordern. M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 307 Fallbeispiel M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 308 Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) https://www.youtube.com/watch?v=d7Svxj0c7JE M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 309 EMDR EMDR-Standardprotokoll nur bei belastbarer Stabilität und bei klaren sowie abgrenzbaren Traumaerinnerungen anwenden. "Umgekehrtes Standardprotokoll" bei umfangreicheren und weniger gut abgrenzbaren Kindheitstraumatisierungen, jedoch gut abgrenzbaren Traumatisierungen der jüngeren Vergangenheit ohne dissoziative Symptomatik. Fraktioniertes Prozessieren und "Pendeltechniken" bei labiler Emotionsregulierung und dissoziativ veränderten Traumaerinnerungen. M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 310 Gemeinsamkeiten der Techniken Nur aushaltbare Belastungen zulassen, Überflutungen und Dissoziationen vermeiden. Starker Gegenwartsbezug ist wichtig für sichere und effektive Behandlung. Ziel: Verbesserung der Lebensqualität in der Gegenwart. Nachbearbeitung der Traumakonfrontationen ist erforderlich. M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 311 Verschiedene Phasen der Therapie 1. Erstgespräch – Diagnostik und Anamnese 2. Probatorik 3. Phase I: Stabilisierung und Ressourcenaktivierung 4. Phase II: Trauma-Exposition 5. Phase III: Integration und Neuorientierung M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 312 Integration und Neuorientierung Zwar finden Trauer- und Integrationsprozesse nicht erst am Ende einer Traumatherapie statt, aber sie haben hier nochmal eine besondere Bedeutung, weil die zu integrierenden und zu betrauernden Erfahrungen meist weitaus schwieriger sind, als bei nicht-traumatisierten Patienten. „Trauerarbeit fordert Menschen mit komplexen traumatischen Erfahrungen in besonderer Weise. Es macht sicher einen Unterschied, ob man Eltern entidealisieren muss – was in jeder Therapie eine wichtige Rolle spielt – oder akzeptieren, dass sie einen gehasst und abgelehnt, vernachlässigt und auf andere Weise traumatisiert haben“ (Reddemann 2011, S. 238). Reddemann empfiehlt, sich Zeit für die Trauer zu lassen und Visionen für das neue Leben zu entwerfen. Borderline Persönlichkeitsstörung M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 314 Definition der Borderline Persönlichkeitsstörung (BPS) Emotional instabile Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.3) Eine Persönlichkeitsstörung mit impulsivem Verhalten ohne Rücksicht auf Konsequenzen, instabiler Stimmung und geringer Fähigkeit zur Vorausplanung. Wutanfälle können zu explosivem oder gewalttätigem Verhalten führen, besonders bei Kritik oder Einschränkung. Subtypen F60.30 Impulsiver Typ: Emotionale Instabilität und mangelnde Impulskontrolle; häufig gewalttätiges Verhalten, insbesondere bei Kritik. F60.31 Borderline-Typ: Instabiles Selbstbild, Ziele und Beziehungen. Chronisches Gefühl der Leere, intensive Angst vor Verlassenwerden, Suiziddrohungen oder selbstschädigendes Verhalten möglich. M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 315 Definition der Borderline Persönlichkeitsstörung (BPS) Borderline-Persönlichkeitsstörung gemäß DSM-IV (gekürzt) Ein tiefgreifendes Muster von Instabilität in Beziehungen, im Selbstbild und in den Affekten sowie deutlicher Impulsivität. Der Beginn liegt im frühen Erwachsenenalter und zeigt sich in verschiedenen Lebensbereichen. Mindestens fünf der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein 1. Verzweifeltes Bemühen, Verlassenwerden zu vermeiden. 2. Instabile, intensive Beziehungen mit Wechsel zwischen Idealisierung und Entwertung. 3. Identitätsstörung: Instabiles Selbstbild oder Selbstwahrnehmung. 4. Impulsivität in mindestens zwei selbstschädigenden Bereichen (z. B. Geld, Sexualität, Substanzen). 5. Wiederholte suizidale Handlungen oder Selbstverletzungen. 6. Affektive Instabilität durch ausgeprägte Stimmungsschwankungen. 7. Chronische Gefühle von Leere. 8. Unangemessene, heftige Wut oder Schwierigkeiten, Wut zu kontrollieren. 9. Belastungsbedingte paranoide Vorstellungen oder dissoziative Symptome. M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 316 Unterschied zwischen kPTBS und BPS Merkmal kPTBS BPS Häufig, aber nicht immer Traumaursache Langanhaltende Traumatisierung traumatisch Traumafokus (z. B. Flashbacks, Stabile Symptomursprung Vermeidung) Persönlichkeitstörungsmuster Emotionale Generalisierte emotionale Überwiegend traumainduziert Dysregulation Instabilität Selbstbild Beschädigt durch Trauma Instabil und wechselhaft Beziehungs- Intensive, instabile Misstrauen und Rückzug probleme Beziehungen Stark ausgeprägt Impulsivität Weniger stark ausgeprägt (selbstschädigend) Trauma- und Stressbezogene Diagnosekategorie Persönlichkeitsstörung Störung M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 317 Prävalenz der BPS Die Prävalenz laut DSM-IV beträgt 2 % in der Allgemeinbevölkerung 10 % bei ambulanten 20 % bei stationären psychiatrischen Patienten In klinischen Populationen mit Persönlichkeitsstörungen liegt die Prävalenz bei 30–60 %. Wittchen et al. (2011) schätzen die Ein-Jahres-Prävalenz in der EU auf 0,7 % M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 318 Komorbidität der BPS Hohe diagnostische Überschneidungen der BPS 79 % mit der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), 55 % mit der komplexen PTBS, 41 % mit schweren dissoziativen Störungen mit Fragmentierungssymptomen. Traumatisierungen bezogen auf die Lebenszeit häufig (96 %) 48 % der Frauen und 28 % der Männer berichteten sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend, 65 % aller Patienten berichteten schwere körperliche Gewalt (Sack et al., 2012). M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 319 Risikofaktoren der BPS (Doering, 2009) Doering (2009) beschreibt in seinem Matrix-Modell drei Ebenen von Risikofaktoren 1. Ebene: Faktoren 1. Ordnung Genetische Faktoren: Über-Emotionalität, schwieriges Temperament. Intrauterine Einflüsse: Minimale Hirnschädigungen, neuropsychologische Defizite. Elterliche Psychopathologie: Unsichere Bindung, Mentalisierungsdefizite, mangelnde Empathie. 2. Ebene: Negative Beziehungserfahrungen in der Kindheit Sexueller Missbrauch oder körperliche Misshandlung. Chronisch aggressives Verhalten und Vernachlässigung durch Bezugspersonen. Grenzüberschreitendes, widersprüchliches elterliches Erziehungsverhalten. 3. Ebene: Faktoren 2. Ordnung Neurobiologische Veränderungen: Vermehrte Amygdala-Aktivität, reduzierte präfrontale Hemmung. Strukturelle Veränderungen: Atrophie von Amygdala und Hippocampus. Hormonelle Störungen: Neuroendokrinologische Dysregulation. M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 320 Psychoanalytische Modelle der BPS I Die Borderline-Persönlichkeitsstörung ist eine strukturelle Störung, die durch eingeschränkte Mentalisierungsfähigkeit gekennzeichnet ist. Betroffene können eigene und fremde Gefühle sowie deren Ursachen kaum reflektieren, was zu mangelnder Affektregulation führt. Kernmerkmale Abwehr unerträglicher Angst: Symptome wie Selbstverletzung oder Sucht dienen der Abwehr von überwältigender Angst, oft traumatisch bedingt (z. B. Missbrauch). Primitive Abwehrmechanismen: Spaltung, Idealisierung, Entwertung und projektive Identifikation regulieren intensive Affekte. M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 321 Psychoanalytische Modelle der BPS II Objektbeziehungen und Identitätsdiffusion Starre Selbst- und Objektbilder, die voneinander dissoziiert sind, führen zu chaotischem Erleben und Identitätsdiffusion. Spaltung: Positive und negative Selbst-Objekt-Dyaden bleiben strikt getrennt, um Affektvermischung zu verhindern. Paradoxes Verhältnis zu Affekten Abwehrmechanismen erzeugen einerseits heftige Affekte, dienen aber auch zu deren Bewältigung. Positive Dyaden bergen die Gefahr von Abhängigkeit, weshalb negative Dyaden oft als „sicherer“ empfunden werden. Ich-Schwäche (Dulz, 1999) Die strukturelle Ich-Schwäche führt zu diffuser, frei flottierender Angst, die durch Selbst- und Fremdaggression, Suizidalität oder Sucht kompensiert wird. M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 322 Psychoanalytische Modelle der BPS (Kernberg und Kolleg*innen) Übertragungsfokussierte Psychotherapie Nach Otto Kernberg M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 324 Übertragungsfokussierte Psychotherapie nach Otto Kernberg Von Clarkin et al. (2001) in manualisierter Form beschrieben Zielgruppe: TFP wurde speziell für Patienten mit Borderline- Persönlichkeitsstörung entwickelt, die unter Identitätsdiffusion, primitiven Abwehrmechanismen (z. B. Spaltung, projektive Otto Kernberg, geb. 1928 Identifizierung) und erhaltene Realitätsprüfung leiden. Rigide und eindimensionale Repräsentanzen von Selbst und Anderen sowie intensiven Affekten, wobei die einzelnen Dyaden voneinander abgespalten sind und die Dyaden jeweils abgewehrt werden -> schnell und stark wechselnde Gegenübertragungsreaktionen Ziel: Integration der abgespaltenen Selbst- und Objektrepräsentanzen in ausgewogenere, reifere und flexiblere Vorstellungen von sich selbst und den anderen. M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 325 Übertragungsfokussierte Psychotherapie nach Otto Kernberg Techniken Fokus auf Übertragung, weil innere Welt der Objektbeziehungen und Abwehr sich in der Übertragung manifestiert. Fragen: „Warum sagt der Pat. mir das gerade jetzt? Wie sieht mich der Pat.? Wie behandelt mich der Pat.? Was macht der Pat. mit mir? Otto Kernberg, geb. 1928 Fokus auf Rahmenvereinbarung, d.h. Therapievertrag Verantwortlichkeit des Pat., Verantwortlichkeit der Therapeutin Strategie Definieren und Erleben der dominanten Objektbeziehungen, Beobachten und Deuten der Rollenwechsel des Pat., Beobachten und Deuten der Zusammenhänge zwischen sich gegenseitig abwehrenden Objektbeziehungsdyaden, Integrieren der abgespaltenen Teilobjekte Interventionen Klären: Jede unklare Information zu untersuchen und zu erklären Konfrontation: Bewusstmachung widersprüchlicher Anteile seiner Mitteilungen Deutung: Verbinden des bewussten Materials des Pat. mit vermutetem unbewusstem Material, dem ein Einfluss zugeschrieben wird. M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 326 Übertragungsfokussierte Psychotherapie nach Otto Kernberg TFP Strategie Prinzipien 1. Definieren der dominanten Objektbeziehungen. Schritt 1: Erleben und Tolerieren der Verwirrung Schritt 2: Erkennen der dominanten Objektbeziehungen Schritt 3: Benennen der Akteure Schritt 4: Beobachten der Reaktion des Patienten 2. Beobachten und Deuten der Rollenwechsel des Patienten 3. Beobachten und Deuten der Zusammenhänge zwischen sich gegenseitig abwehrenden Objektbeziehungsdyaden 4. Integrieren der abgespaltenen Teil-Objekte M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 327 Übertragungsfokussierte Psychotherapie nach Otto Kernberg Beispiel für Klärung – Konfrontation – Deutung: Therapeut: „Ich habe den Eindruck, Sie sind heute sehr verschlossen.“ Patient: – schweigt. Therapeut: „Könnte das etwas damit zu tun haben, dass die letzte Sitzung ausfiel.“ Patient: „Ist doch eh alles ’n Scheiß hier! Aber Sie haben sich wahrscheinlich ’nen Otto Kernberg, geb. 1928 schönen Tag gemacht. Und ich konnt sehen, wo ich bleib.“ Therapeut: „Letzte Woche haben Sie mir noch versichert, wie wichtig Ihnen unsere Sitzungen sind. Heute beschimpfen Sie mich, ich würde Sie absichtlich hängen lassen. Wie passt das zusammen?“ Patient: „Ja, ist doch so! Alle interessieren sich doch nur für sich selbst. (murmelnd:) Alles egoistische Schweine.“ Therapeut: „Ich kann verstehen, dass Sie enttäuscht und verärgert sind über die kurzfristig ausgefallene Stunde. Und im Moment ist es einfacher für Sie, mich als ein egoistisches Schwein zu erleben, als die Enttäuschung und auch Angst zu spüren, die vielleicht mit dem Gefühl verbunden ist, die Therapie oder mich zu brauchen.“ Patient: „hm.“ Therapeut: „Es ist schwer erträglich für Sie, unsere Beziehung einerseits als etwas zu empfinden, was Ihnen wichtig ist, und gleichzeitig zu erleben, dass ich manchmal nicht für Sie da bin.“ M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 328 Video zur TFP nach Kernberg Otto Kernberg über die TFP https://www.youtube.com/watch?v=SUHO5laXVug Otto Kernberg mit Patientin https://www.youtube.com/watch?v=U65yt0Xf48c M4: Psychodynamische Modelle und Therapien | Institut für Psychologie | WS 24/25 | Seite 329 Gliederung der Vorlesung Sitzung Termin Thema 1. 04.11.2024 Organisation, Auffrischung Bachelorvorlesung 2. 11.11.2024 Psychodynamisches Störungsverständnis 3. 18.11.2024 Settings, Techniken, Manuale 4. 25.11.2024 Analytische Psychotherapie 5. 02.12.2024 Modelle und Psychotherapie der Depression 6. 09.12.2024 Modelle und Psychotherapie der Angststörungen 7. 16.12.2024 Modelle und Psychotherapie der Traumafolgestörungen Weihnachten 8. 13.01.2025 Modelle und Psychotherapie der Persönlichkeitsstörungen I 9. 20.01.2025 Modelle und Psychotherapie der Persönlichkeitsstörungen II 10. 27.01.2025 Psychodynamische Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen 11. 03.02.2025 Psychodynamische Gruppentherapien 12. 10.02.2025 Forschung zur Psychodynamischen Psychotherapie 13. 17.02.2025 Puffer 19.02.2025 Klausur I 15:30h – 16:30h E-Klausuren Center 16.04.2025 Klausur II 09:15h – 10:15h E-Klausuren Center Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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