Literaturwiss. Lösung der Vorlesung PDF
Document Details
![BeneficiaryUnicorn](https://quizgecko.com/images/avatars/avatar-16.webp)
Uploaded by BeneficiaryUnicorn
Tags
Summary
This document covers lecture notes on the topic of literature, specifically focusing on what constitutes literature, historical analysis and specific criteria of literature. The document discusses various perspectives from literary theory, including concepts such as poetics, multiple coding, and intertextuality. The summary also includes relevant definitions and considerations surrounding the nature of literature and literary analysis.
Full Transcript
Literaturwissenschaften 1. Was ist Literatur? „Was ist Literatur? Man sollte meinen, dies sei eine zentrale Frage der Literaturtheorie, doch scheint sie in Wirklichkeit keine große Rolle zu spielen.“ Gründe: Literaturwissenschaft der Gegenwa...
Literaturwissenschaften 1. Was ist Literatur? „Was ist Literatur? Man sollte meinen, dies sei eine zentrale Frage der Literaturtheorie, doch scheint sie in Wirklichkeit keine große Rolle zu spielen.“ Gründe: Literaturwissenschaft der Gegenwart behandelt literarische und nichtliterarische Texte unter z.T. ähnlichen Fragestellungen Merkmale literarischer Texte finden sich auch in nichtliterarischen Texten Was zeichnet einen literarischen Text im Unterschied zu anderen Texten aus? Zeit- und Kulturgebundenheit des Begriffs von Literatur Heutige Vorstellung von Literatur als „imaginationsbestimmtem Schreiben“ erst seit rund 250 Jahren relevant (Culler: Literaturtheorie. S. 35) – Kontext: zunehmende Autonomie der Literatur Literatur entwirft Wirklichkeit → fiktiv! Literatur ist mehrdeutig , lässt dem Leser viel Interpretationsfreiraum Verwendet Sprache, die nicht immer auf Informationsübertragung ausgelegt ist Emotionaler Kontext Lässt sich auf verschiedene Art und Weise interpretieren Stilmittel erhalten einen eigenen Zweck → Sprache wird in den Vordergrund gerückt Literaturbegriff ändert ich mit der Zeit (→ Zeit- und Kulturgebundenheit) heutige Vorstellung von Literatur als „imaginationsbestimmtem Schreiben“ erst seit rund 250 Jahren relevant 1. Kriterien von Literatur 1. „Poetische Funktion“ (Roman Jakobson) Verweis auf die Sprache selbst Rose is a rose is a rose Mehrdeutigkeit von Sprache 2. Mehrfachcodierung Verschiedene Bezüge und Bedeutungszuweisungen einzelner Textelemente möglich (vgl Text 1 und 4) Aichendorf: Wünschelrute kann man auf unterschiedliche Sachen im Text beziehen 3. Fiktionalität Bewusst gestaltete ästhetische Eigenwelten, die auf verschiedene Art und Weise mit der „Wirklichkeit“ in Verbindung zu bringen sind Photographie, Kafka, Wünschelrute 4. Literatur als ästhetisches Objekt Erfordert veränderte Lektüre; Kant: interesseloses Wohlgefallen, Zweckmäßigkeit ohne Zweck Literarische Texte müssen anders gelesen werden als Sachtext 5. Literatur als intertextuelles und / oder auto-referentielles Konstrukt Intertextualität= Literarische Texte kommunizieren mit anderen Texten, unterhalten Verbindungen und stellen Bezüge her (Geht mit literarischen und nicht-literarischen Texten Wünschelrute: greift mystische Vorstellung einer Wirklichkeit jenseits der sinnlich wahrnehmbaren Wirklichkeit auf Dinge zum Sprechen zu bringen 1.1Poetische Funktion Verweis auf Sprache selbst Art und Weise wie Sprache verwendet wird Wie literarische Sprache die Aufmerksamkeit auf sich selbst (sprachlicher Klang) richtet Bsp: Meerestille (Goethe): angstvolle Sprechweise, umgesetzt in eintönigen Versmaß Glückliche Fahrt: fröhliche, befreite Sprechweise, Sprache hat immer eine Funktion, die auf sich selbst verweist Poetizität = Entautomatisierung der Wahrnehmung Literatur fokussiert Sprache als Mittel (Reime, Rhytmen, Lautmalerei) Sprache selbst als Medium wird präsent Unterscheidet zwischen Alltags- und Poetischer Sprachqe / Ästhetik → Komunikationsmodell Beziehungen zwischen Zeichen und Bezeichneten Roman Jakobson (1896-1982): „Poetizität“ der Literatur Primat der Komposition vor der Themenstellung „Heute kann man alles durch die Fenster des Poeten sehen.“ Perspektivische Gebundenheit= Literatur wählt sich einen bestimmten Abschnitt und konstituiert Wirklichkeit Literatur zeichnet sich durch eine bestimmte Gestaltung, Komposition, weniger durch Themenstellung, aus Poetizität eines Textes= bewusste Wahrnehmung von Materialität und Gestaltung Durch Empfindung des Wortes als Wort und nicht als bloßer Repräsentant des benannten Objekts entsteht Poetizität Wörter, ihre Bedeutung, ihre Zusammensetzung, ihre Form, usw. haben eigenes Gewicht und selbstständigen Wert „Dadurch, daß das Wort als Wort, und nicht als bloßer Repräsentant des benannten Objekts oder als Gefühlsausbruch empfunden wird, kommt es zu dieser Poetizität. Dadurch, daß die Wörter und ihre Zusammensetzung, ihre Bedeutung, ihre äußere und innere Form nicht nur indifferenter Hinweis auf die Wirklichkeit sind, sondern eigenes Gewicht und selbständigen Wert erlangen.“ (Jakobson: Was ist Poesie? S. 79) Fragen der Gestaltung werden wichtiger als Themen und Inhalte Literarische Sprache ist auf die poetische Funktion hin ausgerichtet Kommunikationsmodell nach Karl Bühler: Z= Sprachzeichen Das Zeichen steht in einer Beziehung zum Sender, zum Empfänger und zu Gegenständen und Sachverhalten. Bestimmt sprachliches Zeichen mit Blick auf 3 verschiedene semantische Funktionen Auf der Ebene des Senders kommt dem sprachlichen Zeichen eine Ausdrucksfunktion zu Auf der Ebene des Empfängers kommt dem sprachlichen Zeichen eine Apell Funktion zu auf der Ebene der Gegenstände und Sachverhalte kommt dem sprachlichen Zeichen eine Darstellungsfunktion zu Ausdrucksfunktion macht ein Zeichen zum Symptom Appellfunktion macht es zum Signal Darstellungsfunktion macht es zum Symbol Bsp: Die Ampel ist rot Aussage bezieht sich auf Gegenstände und Sachverhalte (hat Darstellungsfunktion) Ausdrucksfunktion: Angst/ Sorge, dass Fahrer rote Ampel nicht merkt Appellfunktion: richtet sich darauf, dass möglichst bald gebremst wird Poetische Funktion nach Roman Jakobson: Die poetische Funktion richtet sich auf die Nachricht „als solche“ aus, und zwar „um ihrer selbst willen“. Um wirksam zu sein, bedarf die Mitteilung, die der Sender an den Empfänger macht, eines Kontexts Mitteilung des Senders an den Empfänger braucht einen Kode Kontakt: physischer Kanal zwischen Sender und Empfänger (man muss den anderen verstehen können, Kontakt haben) Dort, wo poetische Funktion dominant ist (z.B. Literatur), steuert sie Bedeutungsaufbau über textinterne Verwiese (z.B. Reime, Metrum) und textexterne Verweise (z.B. ruhig/beschwingt gestaltet) Poetische Funktion z.B. auch bei Werbesprüchen 1.2Mehrfachcodierung Verschiedene Bezüge und Bedeutungszuweisungen einzelner Textelemente möglich Unterschiedliche Lesarten Pragmatische Texte: Zusammenspiel der Textelemente auf Übermittlung bestimmter Aussagen funktional zugeschnitten Bafög: Übermittelung von Infos, kein großer Wert dem Klang des Briefes zugemessen Literarische Texte: Elemente eines literarischen Textes können verschiedene Bedeutungen haben und sind verschiedenartig aufeinander beziehbar Text lässt sich nicht eindeutig aufschlüsseln Wünschelrute: Metapher, Titel bezieht sich auf mehrere Dinge im Text 1.3Fiktionalität Literarische Eigenwelten Literatur konstruiert Wirklichkeit, bildet sie nicht ab Fiktional: Status der Mitteilung (ohne Anspruch, an der Wirklichkeit gemessen werden zu können) – Kontextmarkierung charakterisiert einen realen Text, der aber fiktive Dinge darstellt. Bsp.: Handlungen von Romanen (fiktive Figuren, Handlung, Briefe, Handlung ist zwar denkbar, aber trotzdem nur Konstrukte) Fiktiv: Status dessen, was in der Mitteilung zur Aussage gebracht wird (Bedeutung: nicht real) Weihnachtsmann ist fiktive Figur aber wird nicht zwangsläufig fiktional sprachlich verwendet Fiktivität schließlich charakterisiert das im fiktionalen Text Dargestellte (die Fiktion). Beispiel: Gandalf ist eine fiktive Figur im fiktionalen Text Der Herr der Ringe Fiktionalität umfasst o Figuren und Handlungen o Deiktika (sprachliche Orientierungsmerkmale: Ich, du, hier, jetzt, morgen) o Nicht der Autor selbst spricht, sondern eine von ihm geschaffene fiktionale Figur: lyrisches Ich fiktionaler Text kann fiktiv sein→ wenn eine Figur in einem Roman wiederum einen Roman liest. Dieser Roman im Roman ist dann ein fiktiver fiktionaler Text in einem realen fiktionalen Text. Warum bedient sich Literatur der Fiktion, warum konstruiert sie sprachlich Welten, die unabhängig von der Realität existieren? schafft Interpretationsspielraum befreit von konkreten Handlungskontexten und funktional geprägtem Denken kann hierüber zu einem Nachdenken über Wirklichkeit führen, Aspekte vor Augen führen, die man sonst vielleicht nicht bemerkt ermöglicht Reflexion eigener Erfahrungen hinter der ‚Maske‘ der Fiktion – auch im Austausch mit anderen 1.4Literatur als ästhetisches Objekt Literatur ist Kunstform und bedarf ästhetische Rezession: Bild Für Zweck des Rauchens ist Pfeife nicht zu gebrauchen, aber man kann Farben usw. betrachten; zweckfreies Betrachten z.B. geschwungene Form Blick auf Farbe, Form etc. richten Kant unterscheidet: Theoretische Urteile: über den Verstand zu erlangende begriffliche Erkenntnisse (3 und 7 ist 10) Praktische Urteile auf das richtige Handeln ausgerichtet kategorische Imperativ von Kant Ästhetische Urteile: sog. Geschmacksurteile, beziehen konstitutiv sinnliche Erkenntnisvermögen und Einbildungskraft mit ein spezifisch ästhetische Form des Gebrauchs unserer Verstandeskräfte Will weder theoretische noch praktische Erkenntnisse erzielen Kants Ästhetik: o Begriff des „interesselosen Wohlgefallens“ o „Schönheit ist Form der Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes, sofern sie, ohne Vorstellung eines Zwecks, an ihm wahrgenommen wird.“ → Kunstwerk ist nicht auf äußere Zwecke hin abgestellt, keine bestimmten Handlungsziel o Zweck: das Wohlgefallen das beim Betrachter ausgelöst wird, Begriff des Schönen leitet sich nicht vom Gegenstand ab, sondern bezieht sich auf das Wohlgefallen das dieser Gegenstand in uns selbst auslöst ▪ Bewusster Genuss der Ästhetik wird zum Zweck an sich ▪ Schönheit bezogen auf Genuss, den man empfindet (keine äußere Funktion) o Freies Spiel der Erkenntnisvermögen (Einbildungs-kraft und Verstand) 1.5Literatur als intertextuelles und / oder autoreferentielles Konstrukt Intertextualität Texte beziehen sich aufeinander, Literatur greift bestimmte Diskurse zudem oft in Form kritischer Reflexion auf. Stellen Bezüge zwischen (literarischen und nicht-literarischen) Texten her Diskurse= bestimmte konventionalisierte, kulturelle Denkmuster Intertextuelle Bezüge können sich auch auf Gestaltungsmerkmale wie Motive, Schreib- formen etc. beziehen. (parodiert werden) Immer werde ich mich auf Äußerungen anderer beziehen, nicht im luftleeren Raum Autoreferentialität Literatur reflektiert ihre eigenen Möglichkeiten, eigenen Traditionen und sprachlichen Mittel Literatur hat Literatur selbst zum Thema Intertextualität und Autoreferentialität keine Alleinstellungsmerkmale, aber wichtige Kennzeichen ➔ Intertextualität schwingt bei nahezu jeder sprachlichen Äußerung mit, da sich fast alles auf etwas anderes bezieht ➔ Autoreferentialität außerhalb Literatur z.B. auch bei Autoaufklebern z.B. „Ich bremse für Wale.“ 2. Was ist Literaturwissenschaft? 1 Historische Entwicklung Modernes Wissenschaftsverständnis: Ziel, „ein geordnetes, begründetes und als gesichert angesehenes Wissen“ hervorzubringen. Als Kennzeichen dieses Wissens wiederum gelten „Systematik, methodisches Vorgehen, Objektivität und intersubjektive Nachprüfbarkeit.“ (Allkemper / Eke: Einführung in die Literaturwissenschaft. S. 15f) Etablierung der Literaturwissenschaft im Rahmen der Germanistik im Laufe des 19. Jahrhunderts Literaturgeschichte als Nationalgeschichte 16. Jahrhundert – Zeit des Humanismus ➔ Literaturgeschichte als Nachweis der Eigenständigkeit und Bedeutsamkeit der deutschen Nationalgeschichte; Entstehung erster deutschen Grammatiken 18. Jahrhundert: Lessing (1729 – 1781) und Herder (1744 – 1803) fragen in ihren Werken, was Literatur auszeichnet, welche Wirkung sie hat und welche Wertekriterien sie „gut“ und „weniger gut“ machen 1800: erste germanistische Lehrstühle, aber erst nach 1850 richtige Etablierung der Literaturwissenschaft als eigene universitäre Disziplin im Rahmen der Germanistik im Laufe des 19. Jahrhunderts ➔ 1830 – 1855 erscheinen 46 Literaturgeschichten ➔ Ab 1850 – wie kann Fach seine Inhalte (vor allem am Gymnasium) vermitteln -> Brückenschlag zwischen Wissenschaft und Schule ➔ Ausdifferenzierungen, z.B. Sprach- und Literaturwissenschaft Im Mittelpunkt stand Literaturgeschichte als Nationalgeschichte ➔ Fehlende nationale Einheit Deutschlands soll durch Kultur und Schriftgut gestiftet werden 2 Literaturwissenschaft als Forschungsdisziplin Gero von Wilpert, Sachwörterbuch der Literatur (Stuttgart 1969) »Literaturwissenschaft […] [ist] die gesamte systematische Wissenschaft von der Lit. möglichen Betrachtungsarten und Methoden zur Erschließung der Sprachkunstwerke entweder in ihrem Wesen als Dichtung (- Dichtungswissenschaft) oder ihrer historischen Entwicklung und ihrem Lebenszusammenhang (- Literaturgeschichte) Unterabteilung der Philologie im weiteren Sinne, doch über die mehr sprachlich und volkskundlich ausgerichtete Germanistik hinausragend.« M. Naumann in: Wörterbuch der Literaturwissenschaft (Leipzig 1986). »Literaturwissenschaft: in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts geprägter Ausdruck, der heute allg. üblich, eine Disziplin bezeichnet, die sich die Erforschung der Literatur (der literar. Gattungen, Genres und Werke), ihrer Geschichte (in regional-, national- und weltliterar. Zusammenhängen), ihrer Struktur-, Funktions- und Wirkungseigentümlichkeiten sowie die Anwendung ihrer Erkenntnisse im literar.-geistigen Leben der Gesellschaft zum Ziel setzt. Die Bestimmung ihres Gegenstands, ihrer Erkenntnisziele und -methoden, ihrer Wertungs- systeme, ihres funktionalen und wissenschafts-geschichtl. Selbstverständnisses bildet einen Bestandteil des literaturwissenschaftl. Erkenntnisprozesses, der auf diese Weise selbst zum Gegenstand von Literaturwissenschaft wird.« Gegenstand heutiger Literaturwissenschaft: Literaturw. Als unpolitisches Phänomen Grundlegend jede Form der sprachlichen Äußerung in schriftlicher oder mündlicher Gestalt Zudem: erweiterter Literaturbegriff, der auch medial nicht an Schrift gebundenen Formen mit einschließt 3 Felder der Literaturwissenschaft: Autor – Text – Leser Zurückgebunden in bestimmter Zeit von der sie geprägt sind 3.1 Autor Autor von lat. auctor: Urheber Mittelalter: Autor weniger Schöpfer als Bearbeiter, „Handwerker“ (neugestaltet, -deutet) o (findet, aber erfindet nicht -> bearbeitet, gestaltete und deutet überlieferte Stoffe) Buchdruck eröffnet neue Verbreitungsmöglichkeiten: Ideal des poeta doctus (gelehrter Dichter) dominiert vom Humanismus bis zur Aufklärung Aufklärungsbewegung fördert Personalisierung des Schriftstellers Ausgangs des 18. Jahrhunderts: Ablösung durch Genieästhetik (Sturm und Drang; inspirierter, genialer Dichter) 19. / 20. Jahrhundert: Berufsschriftsteller – aber: 20. Jahrhundert auch Kritik am Subjektbegriff im Sinne eines autonom handelnden und denkenden Ichs o Freuds Psychoanalyse, Ich von Trieben geleitet, nicht autonom o Foucalt: keine universelle Form des Subjekts, nur sich wandelnde (in bestimmter Kultur) hervorgebrachte Ausprägungen von Subjektivität 1960/70er Jahre: Kritik am Konzept des Autors und der literaturwissenschaftlichen Ausrichtung auf diese Figur (Foucault, Barthes) Autorname nur zum „etikettieren“/gruppieren von Texten; Foucault fordert Diskurse= regelgeleitete Produktionen von Äußerungen in der Gesellschaft Roland Barthes Der Tod des Autors (1967, Auszug) Heute wissen wir, dass ein Text nicht aus einer Reihe von Wörtern besteht, die einen einzigen, irgendwie theologischen Sinn enthüllt (welcher die Botschaft des Autor-Gottes wäre), sondern aus einem vieldimensionalen Raum, in dem sich verschiedene Schreibweise, von denen keine einzige originell ist, vereinigen und bekämpfen. Der Text ist ein Gewebe von Zitaten, die ihren Ursprung in zahllosen Bereichen der Kultur haben […] Der Schreibende kann nur eine immer schon geschehene, niemals originelle Geste nachahmen. […] Bevor er den Versuch macht, sein ›Innerstes‹ zu äußern, sollte er zumindest wissen, dass das ›Innerste‹, das er zu übersetzen glaubt, selbst nur ein fertiges Wörterbuch (beruht auf Material was gesellschaftlich materiell vorgeprägt ist) ist, dessen Wörter nur durch andere Wörter erklärbar sind usw. ad infinitum. Autor hat nicht genialische, sondern diskursive Funktion Faucault und Barthes bestreiten nicht, dass Text einen Autor mit Biographie hat, aber weisen diesem eine diskursive Funktion zu Konsequenzen: Autor stellt keine entscheidende Interpretationsinstanz des eigenen Textes dar; Aussagen vom Autor über seinen Text hat keinen höheren Wert als von anderen Lesern, wenn begründet Frage: „Was will uns der Autor damit sagen?“ wird obsolet. 3.2Text Text von lat. textere: weben, flechten (Gewebe, Geflecht) o Text ist ein Geflecht, das einen roten Faden haben muss, der die Elemente miteinander verbindet (textintern notwendig, als auch für den äußeren Rahmen (Situationen) o Vom Entstehungskontext abkoppelbar, auch später noch verständlich Textkonstitution: o Interne Bezüge o Externe Bezüge o Sinnkonstruktion des Rezipienten Text besitzt relative Autonomie (kann in neuen kulturellen/historischen Umgebungen neue Bedeutungen annehmen) Text existiert unabhängig von Entstehungskontext (nicht situationsgebunden) Seit den 1970er Jahren: Bezugspunkt der Literaturwissenschaft: Text- statt Werkbegriff (resp. Text- statt Autorbezug) Strukturalismus: Ausgangsfrage: Wie bauen sich in einem Text Bedeutungen über sprachliche Gestaltungsmittel auf? Fragt weniger nach Interpretation des Textes Fragen der Anordnung des sprachlichen Materials in einem Text und dessen Funktionen Sprache als ein System von Differenzen; Wert eines einzelnen Zeichens resultiert aus der Position, die es im Beziehungsgefüge einnimmt Analyse (kein sinngemäßes Verstehen) etwa von Figuren, Räumen (Oppositions- und Äquivalenzverhältnisse), Handlungselementen; aber auch erzählerischen, dramatischen oder lyrischen Gestaltungsmitteln (z.B. Fragen erzählerischer Vermittlung, aber auch Klangstrukturen z. B. in lyrischen Texten) 3.3Der Leser Instanz des Lesers im Mittelpunkt der Rezeptionsästhetik Karlheinz Stierle „Könnte es nicht sein, daß Literatur gar nicht als Objekt begegnet, sondern im eigentlichen Sinne nur als Subjekt erfahrbar ist? Literatur ohne Partizipation des Lesers ist undenkbar […]. Dies bedeutet in erster Linie, daß Literaturwissenschaft prinzipiell in Literaturgeschichte nicht aufgehen kann Literatur hat nur den Anschein des Objekts, aus ihrer scheinbaren Objekthaftigkeit muß sie im Akt des Lesens in einen Vollzug übersetzt werden, dessen Resultat sie immer schon zugleich ist.“ Ansatz bestreitet, dass es Literatur als Objekt/ den Text als solchen überhaupt gibt Text entsteht erst dann, wenn er durch das Bewusstsein eines Lesers geht Den Text als solchen gibt es nicht (kann durch verschieden Leser unterschiedlich aufgefasst werden) Abwehr des Autors →mehr, wie der Leser den Text deutet Grundlage von bestimmten Textstrukturen 19. Und 20. Jahrhundert stand der Autor im Zentrum, heute gerät der Leser ins Blickfeld Wolfgang Iser: Der Akt des Lesens (1976) Literarische Texte aktivieren den Leser über o Unbestimmtheitsstellen (Komplettierungsnotwendigkeit) ▪ (nicht bis in die letzten Details beschrieben, Leser muss sein eigenes Bild machen) o Leerstellen (Kombinationsnotwendigkeit) ▪ betreffen Passagen, wo Dinge geschehen, wo der Roman den Leser im Unklaren lässt (z.B Roman der Geschehen aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt →führt dazu, dass Leser über widersprüchige Perspektiven im Unklaren gelassen wird, was das Richtige ist; Passagen wo Figuren eingeführt werden, von denen zunächst nicht klar ist, in welchem Verhältnis sie zu anderen Figuren stehen; Dinge, die im Verlauf der Lektüre unklar bleiben →Leser muss kombinieren) o Wie lenkt ein Text den Leser, welche Signale gibt der Text, damit Leser dem Pfad nachgehen kann? Hans Robert Jauß: historisch-kulturelle Gebundenheit der Rezeption (Wissen, aber auch Lektüreformen: halblautes Murmeln etwa heute nicht mehr praktiziert) o Lektüreformen: in unterschiedlichen Zeiten wurde unterschiedlich (intensiv) gelesen o Wie wird ein Text gelesen? (z.B Antike: Texte murmeln, um intensiver zu lesen) o Sprache (wenn literarisch gestaltet) will auch als Klang wahrgenommen werden→ durch schnelles, stilles Lesen oft verloren Rolle des Lesers zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Kulturen untersuchen, soll zeitgenössischen Leser eines Textes möglichst genau konstituieren Lesebedingungen sollen ermittelt werden 4 Kanon Über den Kanon definiert sich auch das Selbstverständnis einer Kultur o („Was ist gut angesehen?“; Kanon fixiert Gesamtheit der literarischen Urteile) Der Kanon unterliegt Veränderungen Normativer vs. empirischer Kanon Normativ: Leselisten (Schule), was als wertvoll erachtet wird Empirischer: zu bestimmter Zeit von bestimmter Gesellschaft faktisch gelesen Oft unterschiedlich, müssen sich nicht decken Kanonisierung von Literatur dient als Orientierung ➔ Bedarf einer Transparenz der Auswahlkriterien ➔ Leselisten enthalten oft Geschmacks- und Werteurteile, die nicht offengelegt werden ➔ Besonders bei Gegenwartsliteratur oft willkürlich, da kaum Wertekriterien 3. Arbeitstechniken 1. Die literaturwissenschaftliche Hausarbeit Übungs- bzw. Prüfungsform wissenschaftlichen Arbeitens Eigenständig und problemorientiert Die Hausarbeit untersucht einen ausgewählten Gegenstand unter einer klar erkennbaren Fragestellung (= expliziertes Erkenntnisinteresse), entwickelt eine These und Hinweise zur Methode (= Arbeitsweise) 1.1Formalia Papiergröße und Ausrichtung: DIN A4, Hochformat übliche Schriftarten und -größen im Haupttext: Times New Roman 12 pt; Arial 11 pt Schriftarten und -größen in Fußnoten: dieselbe Schriftart wie im Haupttext; 2 pt kleiner Kapitelüberschriften hervorheben Zeilenabstand im Haupttext: 1,5-zeilig Zeilenabstand in Fußnoten: 1-zeilig Blocksatz mit Silbentrennung Randbreite: oben/unten 2,5 cm; rechter Rand 3,5 cm; linker Rand 2,5 cm Vorgegebene Zitierweisen müssen eingehalten werden Im Regelfall werden alle Seiten außer dem Deckblatt, dem Inhaltsverzeichnis und der Eigenständigkeitserklärung durchgehend mit arabischen Ziffern paginiert. Der jeweils in der Studienordnung festgelegte Umfang bezieht sich auf die Anzahl der zu schreibenden Seiten (ohne Deckblatt, Inhalts-, Literaturverzeichnis, Anhang und Eigenständigkeitserklärung). 1.2 Vorgehen 1: Entwicklung von Thema, Fragestellung und methodischem Ansatz Festlegen des Erkenntnisinteresses der Arbeit: a. Gegenstand b. Fragestellung / These: spezifisches Erkenntnisinteresse am Gegenstand Kriterien für eine gute Fragestellung: o Beantwortbarkeit bzw. argumentativ klarer Aufweise einer Nichtbeantwortbarkeit o Diskussionsfähigkeit (Frage die eine Relevanz besitzt die es Wert ist diskutiert zu werden, nicht von Anfang an Antwort klar) o Präzision (besetzt eine konkrete Frage) o Problemorientiertheit Gegenstand und Fragestellung bilden das Thema der Hausarbeit c. Methodisches Vorgehen In Tiefe und nicht nur Handbuchwissen Bsp.: Prometheus (Goethe) Funktion der Rezeption des antiken Prometheus-Mythos in Goethes gleichnamigen Gedicht 1. Einleitung: Benennen des Gegenstands, der Fragestellung und des method. Vorgehens 2. Prometheus-Mythos in der griechischen Antike (unter bestimmten Gesichtspunkten: etwa: Prometheus als Rebell, als Menschenbildner, als Feuerüberbringer) 3. Der Aufgriff des Mythos in Goethes Gedicht „Prometheus“ (Rekurs auf die unter Punkt 2. erarbeiteten Aspekte) 4. Die Funktion des Mythos in Goethes „Prometheus“ (etwa im Kontext der Genieästhetik des Sturm und Drang und/oder von Gesellschafts- oder Religionskritik) Prometheus hat unterschiedliche Figuren die je nach Zeit, in welcher der Text betrachtet wird, variieren 5. Fazit: Zusammenfassung Ihrer Ergebnisse Entscheidend ist die Verbindung und Auswertung eigener Analysearbeit und Erkenntnisse von Fachwissenschaftlern 1.3Vorgehen 2: Literaturrecherche Vorgehen bei der Literaturrecherche 1. Genaue, mehrfache Lektüre des Primärtextes in wissenschaftlich gültiger Textausgabe (Notizen) 2. Erste Literaturrecherche: Suche nach Forschungs-literatur (Bibliothekskataloge, bdsl- online.de, hier: opac plus) / Lektüre 3. Klärung von Fragestellung und These, Rücksprache mit dem Dozenten, zweite Suche nach Forschungs-literatur 4. Umgang mit Forschungsliteratur: 1. Je nach Ergiebigkeit: vollständig, quer- oder anlesen 2. Relevante Textpassagen exzerpieren und sinnvoll ordnen 3. Notwendige Angaben (Titelseite, Impressum, Inhaltsverzeichnis) mit kopieren) 1.4Bausteine einer wissenschaftlichen Hausarbeit 1. Deckblatt. Kopf, Titel (Mitte), Angaben zum Verfasser (Name, Matrikelnummer, Mail, Fächerkombi, Fachsemesteranzahl, Studiengang) 2. Inhaltsverzeichnis. Dezimalklassifikation (1,1.1…), Seitenangaben, Kapitelüberschriften 3. Einleitung. Thema: Gegenstand und Fragestellung/These, Hinweise auf Vorgehensweise/Untersuchungsgang sowie Methodik, kurze Hinführung (kurz thematischer Aufhänger, bringt einzelnen Punkt zur Sprache), am Ende schreiben, nicht 20 % überschreiten 4. Hauptteil 1. schrittweises Entfalten der Argumentation, keine Aneinanderreihung: „roten Faden“ legen 2. Gliederung: deduktiv (vom großen zum kleinen), induktiv, kausal, dialektisch, chronologisch, systematisch oder relational/komparatistisch 3. Unterkapitel müssen Bezug zur Fragestellung aufweisen 5. Schluss. Zusammenfassung der Erkenntnisse, Einbettung in größeren Zusammenhang, evtl. Aufgreifen weiterführender Überlegungen und Fragen 6. Literaturverzeichnis. Alphabetische Auflistung der verwendeten Literatur, ggf. nach Primär - und Sekundärliteratur geordnet 7. Anti-Plagiat-Erklärung 1.5Zitation und Plagiat Plagiat: ungekennzeichnete Übernahme fremder Gedanken Strukturübernahme (Wörter durch Synonyme ersetzt, Halbsätze nur ausgelassen, Sätze umformulieren, Zusammenfassen, ohne dass ich angebe, woher ich das habe) Täuschungsversuch -> Nichtbestehen Zitat: belegte Übernahme fremder Gedanken direkt (Doppelpunkt)oder indirektes Zitat (Fußnote) Bibliographische Angaben: standardisierte Schreibweisen, die eindeutig auf einzelne Literaturstellen verweisen 1. Autorname 2. Titel und Untertitel der Monographie oder des Aufsatzes (falls unselbstständige Publikation) 3. Name des Herausgebers (falls unselbstständige Publikation) 4. Titel des Sammelbandes (falls unselbstständige Publikation) 5. Erscheinungsort 6. Evtl. Verlag 7. Erscheinungsjahr 8. Seitenangaben Monographie: Autorname: Titel. Untertitel. Erscheinungsort: Verlag Erscheinungsjahr. Publikation in Sammelband: Autorname: Titel. Untertitel. In: Name des Herausgebers (Hrsg.): Titel des Sammelbandes, Erscheinungsort: Verlag Erscheinungsjahr, Seitenangaben. Beispiel für korrekte/inkorrekte Übernahme 1 1.6 Sprache und Stil Klarheit und Prägnanz (Füllwörter, Substantivierung, zu viele Fremdwörter, Umgangssprache vermeiden) Ausrichtung an objektiv greifbaren Fakten Persönliche Stellungnahmen sehr sparsam einsetzen, müssen begründet und aus verallgemeinerungsfähigen Prinzipien abgeleitet sein (keine eigene Meinung) Fremdwörter: Voraussetzung ist die Begriffssicherheit! Absätze zur Untergliederung eines Gedankengangs (nicht zu oft!) Ausdrückliche Hinweis auf das Seminar vermeiden (erworbenes Wissen aber sichtbar werden lassen) Genaues Korrekturlesen auf formale Fehler notwendig 2. Das Referat/ die Präsentation Ziel: in kurzer Zeit informativ, präzise und gut verständlich in ein Thema einführen Vorwissen berücksichtigen Impulse für Diskussion geben, evtl. auch Aufgaben stellen Handout mit zentralen Aussagen und verwendeter Literatur 4. Poetik 1. Poetik und Rhetorik Gemeinsame Fragestellung von Poetik und Rhetorik: Auf welchen Konventionen beruht der jeweilige Begriff von Literatur? Und aufgrund welcher sprachlichen Techniken gelingt es literarischen Texten, bestimmte Wirkungen beim Leser während der Lektüre zu erzielen? o Aristoteles: Trennung beider Begriffe Rhetorik ▪ = Kunst der Überzeugung; Poetik = Kunst der Nachahmung, Repräsentation o Im Mittelalter und Renaissance: wieder Annäherung der Begriffe: ▪ Rhetorik als Kunst der Wortgewandtheit, Poetik als deren vollkommenere Ausprägung (vgl. Culler: Einführung in die Literaturtheorie. S. 103) o 19. Jahrhundert: Rhetorik gerät in Missgunst; wird als strategisches Beiwerk gesehen o Spätes 20. Jahrhundert: Wiederentdeckung der Rhetorik als Wirkmacht der Textgestaltung 2. Poetik ‚Poetik‘ von griech. „poiein“: „herstellen, schaffen, machen“ und auch „dichten“. Substantiv „poiesis“ als das dichterische Werk, die Poesie. 3 Felder der Poetik: Theorien über den Gegenstand Dichtung / Literatur: o Was versteht man hierunter? Welche Aufgaben kommen ihr zu? Welche Formen gibt es? Theorien über die Praxis (Wirkung) von Dichtung / Literatur: o Welche spezifischen Formen der Sprachverwendung zeichnen Literatur aus? Wie bzw. wozu werden sie eingesetzt? Welche sprachlichen Gestaltungstechniken liegen welchen Wirkungen literarischer Texte zugrunde? o Was macht Praxis des Dichtens aus? Kritik der Dichtung / Literatur: o Was ist „gute“, was „schlechte“ Literatur? Normative und implizite Poetiken normativ: o klare Regeln dafür, was Dichtung ist und wie sie gemacht werden muss (bis Mitte des 18. Jahrhunderts, danach keine verbindlichen Regeln, sondern Debatten über die Frage, was Poesie auszeichnet – etwa Frankfurter Poetikvorlesungen) implizit: o in literarischen Texten enthaltene, sog. poetologische Reflexionen über das, was z.B. ein Gedicht auszeichnet oder das Erzählen auszeichnet Relevanz von Poetiken: o Reflexion von historischen Wandlungen der Literaturbegriffs, die auch auf literarische Texte einer Zeit zurückwirken / Frage nach der Erzeugung von Wirkungen durch sprachliche Gestaltungsmittel o Verständnis von Literatur steht im kulturgeschichtlichen Wandel o Gibt nicht „die Literatur“, ändert sich im Laufe der Zeit und innerhalb verschiedener Kulturen o Bestimmt Art und Weise, wie Literatur verstanden wird o Wirkung in Verbindung mit Entstehungskontext 3. Aristoteles Drama „Antigone“ (Sophokles) – grundlegende ethische und staatspolitische Frage ➔ Antigone bestattet Bruder, obwohl König dies nicht will (verwehrt ihm das Totenreich) ➔ König sieht nicht, dass Gesetze der Götter über seinen eigenen politischen Interessen stehen ➔ Sohn des Königs und seine Frau bringen sich um; sieht seine Schuld ein und verurteilt sich als Mörder »Peri poietikés« (335 v. Chr.), dt. „Poetik“ (oder: „Über die Dichtkunst“) Beschäftigt sich mit Dichtkunst und ihren Gattungen →jede Art der Dichtung! Beispiel für normative bzw. Regelpoetik: Sie will nicht nur die dichterische Praxis seiner Zeit beschreiben, sondern allgemein gültige Regeln für die Dichtung aufstellen. Zentraler Begriff ist Mimesis, Nachahmung. Dichtung als Nachahmung menschlicher Handlungen. Bezug: nicht vergangene bzw. gegenwärtige menschliche Handlungen, sondern mögliche und wahrscheinliche Handlungen. Ziel: allgemein-menschliche Wirklichkeit und nicht individuelle Einzelschicksale darzustellen, damit sich jeder angesprochen und betroffen fühlt. Katharsistheorie: Reinigung von Affekten durch deren Hervorrufung (Eleos und Phobos: „Jammern und Schaudern“) o Zuschauer nehmen teil am Schicksal der handelnden Figuren, weil diese die allgemeinen menschlichen Züge nachahmen und somit nachvollziehbar werden lassen→ Hervorrufen von Jammern und schaudern o Aristoteles: Zuschauern wird Gelegenheit geschafft bestimmten Affekten/ Emotionen freien Lauf zu lassen o diese Entlarvung→ Vergnügen, weshalb man sich diese Tragödien anschauen möchte→ Reinigung: Katharsis (ethische Funktion: von schädlichen Affekten (Jammern/ Schaudern) gereinigt Literatur hat also 2 Funktionen: o Zuverlässiges Ventil für die befreiende Reinigung von intensiven Leidenschaften o Medium für die wichtige Erfahrung des Übergangs vom nicht-Wissen zum Wissen Ziel ist Festigung der etablierten staatlichen Ordnung und seiner ethischen Überzeugungen (polis) 4. Horaz Horaz Ars Poetica (Über die Dichtung, 20 v. Chr.) z.T. Anschluss an Aristoteles: Dichtung als Nachbildung menschlichen Lebens, Kriterium der Wahrscheinlichkeit, Forderung nach Einheit und Geschlossenheit des Werkes Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781): Die Sperlinge Sperrlinge: Menschen Kirche kümmert sich nur um den eigenen Glanz und nicht um die Menschen Ziel von Dichtung: Prodesse et delectare = Nützlich sein und unterhalten (Voraussetzung hierfür: Lebensweisheit, Kenntnis des Menschen und der Grundlagen sittlichen Verhaltens) Bild des Dichters: Talent und Kenntnis (dichterischer Werke und Regeln), Begabung und Lernen → 3 Voraussetzungen nötig: Lebensweisheit, Kenntnis der Menschen, sittliche Grundlage menschlichen Verhaltens Lessings Fabel verbindet beide Aspekte: will unterhalten und will Leser zu Einsichten bewegen, die sein Handeln steuern Übung zentrales Stichwort, allein auf Kunstverstand oder sein Genie darf sich dichter nicht verlassen, nur harte Arbeit, Lernen und sein Talent/ Begabung führt zur Vollkommenheit 5. Martin Opitz Martin Opitz (1597-1639) Ziel: Etablierung der deutschen Sprache als literarische Sprache, Kunstsprache 1624: Buch von der Deutschen Poeterey Versuch, antike Regeln der Sprachkunst auf die deutsche Sprache anzuwenden Ausrichtung am Begriff der Nachahmung, Zweck: Belehrung und Unterhaltung Verbindung von Poetik und Rhetorik; Bsp. Metrik: Ausrichtung an Betonungen (Jambus, Trochäus) im Gegensatz zur Silbenlänger in der griech. Antike Alexandriner (sechshebiger Jambus) sehr prägnant Trochäus: betont – unbetont 6. Johann Christoph Gottsched Die Poetik aus der Zeit der Aufklärung bleibt am Diktum Horaz‘ prodesse et delectare ausgerichtet. Johann Christoph Gottschehd (1700-1766) Poetologisches Hauptwerk: Critische Dichtkunst (1729) Unterschied zu Regelpoetik von Opitz (Dichtung soll funktional sein) „Kirschblüte bei Nacht“ (Barthold Hinrich Brockes (1680 – 1747)) ➔ Sehr analytisch, rational, kühl, distanziert, Naturbeobachtung ➔ Blüte, Schwan (Reinheit) Brockes wird für Gottsched wegen seiner klaren, genauen Sprache und der didaktischen Ausrichtung zu einem „Musterpoeten aufklärerischer Lyrik“ (Borries: Deutsche Literatur- geschichte. Bd. 2. S. 46) Dichtung funktional gedacht, soll Menschen erziehen und moralische Grundsätze vermitteln, die „Kunstfertigkeit der Sprache, die Schönheit der sprachlichen Bilder ist nicht Selbstzweck, darf kein Eigeninteresse für sich beanspruchen“ (Allkemper / Eke: Einführung in die Literaturwissenschaft. S. 76) Die Kernpunkte der Gottschedschen Aufklärungspoetik: 1. Wahl eines ‚lehrreichen moralischen Satzes‘ aus theoretischer und praktischer Lebenskenntnis. 2. Erfindung einer Beispielgeschichte, deren Handlung die moralische Erkenntnis veranschaulicht und menschliches Leben nachahmt (Mimesis – vgl. Aristoteles). 3. Damit belehrt und unterhält (prodesse et delectare – vgl. Horaz) die Dichtung besser als Philosophie und Historie. Die Philosophie ist zu abstrakt (veranschaulicht nicht), die Historie ist zu konkret (nur auf den Einzelfall bezogen). (Allkemper / Eke: Einführung in die Literatur-wissenschaft. S. 79) Rationales Weltbild der Aufklärung: Vernünftige Ordnung der Welt durch Menschen erkennbar und in Kunst darstellbar (liegt der normativen Poetik zugrunde) 7.Die Genieästhetetik Das Ende der normativen Poetik: Die Genieästhetik Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts: rationales Weltbild der Aufklärung (und normative Poetik) wird mehr und mehr hinterfragt (Empfindsamkeit: Rekurs auf Gefühl, aber noch moralisch ausgerichtet und ohne eigene Sprache) Literatur des Sturm und Drang (etwa ab 1765): Bruch mit Regelpoetik – Ausrichtung nicht länger an universal gültigen Vernunftwahrheiten, sondern am oftmals wenig geordneten emotionalen Erleben des Menschen Bild der Natur wandelt sich: nicht länger Gegenstand distanzierter Beobachtung, vernunftgeleiteter Betrachtung, sondern „elementare schöpferische Kraft“ (Allkemper / Eke 81), frei und ungebunden ist. Mensch hat hieran teil; das schöpferische Genie (Gegenteil von Regelpoetik: ist einmalig und unverwechselbar) kann ihr in seiner Kreativität Ausdruck verleihen. Worüber definiert sich das Genie im „Brief über Merkwürdigkeiten der Literatur“ (1767) von Heinrich Wilhelm Gerstenberg? Genieästhetik (vgl. Allkemper / Eke 82) „Selbstentdeckung“: unabhängig von äußeren Konventionen (Prometheus) Schöpfungs- und Durchsetzungskraft (Prometheus) Inspiration, Kraft, Dynamik, Begeisterung (Prometheus, göttlich durchwirkte Natur; Genie ist Teil (Hermeneutik)) Beobachtungs- und Einbildungskraft (nach innen, kann sich Welten vorstellen die es gar nicht gibt, ges. Kritiker, Motor von Veränderungen) Mut zu neuen Formen und Originalität →Sturm und Drang Autonomie der Kunst (vgl. Allkemper / Eke 83) 18. Jahrhundert: Autonomie von Kunst und Literatur nimmt zu 19. Jahrhundert: Entstehung Buchmarkt, Professionalität von Künstlern; erste Schritte zur heutigen Autorschaft Eselsbrücke: Ich fange ölige Jessicas! 1. Inhaltliche Emanzipation (Themen und Inhalte nicht vorgeschrieben) 2. Formale Emanzipation (Freiheit der Wahl literarischer Formen und Gattungen, Gestaltungsregeln) 3. Ökonomische Emanzipation (unabhängige Beschäftigung, „freier Schriftsteller“) 4. Juristische Emanzipation (19. Jahrhundert: Freiheit der Literatur mehr und mehr durch Recht und Gesetz gesichert; Urheberrechte) →Verabschiedung normativer Poetiken, an ihre Stellen treten philosophische oder literaturwissenschaftliche Abhandlungen sowie immanente oder implizite Poetiken 5. Rhetorik „Rhetorik als Lehre vom „Ausdrucks- und Überzeugungspotential der Sprache“ (Culler) Rhetorik (griech.) =Kunst der Rede; spielt bei Meinungsbildung in Athen herausragende Rolle 1. Rhetorik als Kunst der Rede Ursprung: griechische Antike, 5. Jhd. v. Chr.: Kontext: demokratische Staatsformen: Streitigkeiten werden maßgeblich über die Kunst der Rede entschieden Sophisten: Weisheitslehrer, die Rhetorik unterrichteten (Reden, sprachliche Techniken); aufklärerisches Denken Protagoras: „Der Mensch ist das Maß aller Dinge“; kann keine objektive Wahrheit erkennen, noch absolute Moral festlegen (in seinem Handeln) Georgias: „Durch Rhetorik kann man Menschen zu allem bringen.“ Kritik Platons: Es geht der Rhetorik nur um Überredung, nicht um Wahrheit und Gerechtigkeit. Aristoteles (Schüler von Platon) (s. nächste Folie) Aristoteles über Rhetorik Drei Grundtypen der Rede: Gerichtsrede (juristische Rede), politische Rede, Festrede Drei Wirkungsfunktionen: Einsicht und Belehrung (docere), Unterhalten und Vergnügen (delectare), Erregung von Emotionen (movere) Charakter des Redners überzeugt dann, wenn er glaubwürdig erscheint, also gut, tugendhaft ist Sprache sollte klar sein – Verständnis und Aufmerksamkeit fördern Stadien der Erstellung einer Rede: 1. Themenwahl und die Aufbereitung des Stoffes, Suche nach Argumenten (inventio) 2. Anordnung und Gliederung (dispositio) 3. sprachliche Ausarbeitung (elocutio) – „ornatus“: funktionsgerecht Ausschmückung zielbewusste Gestaltung der Sprache im Sinne der angestrebten Wirkung) 4. Auswendiglernen (memoria) 5. Üben der Vortragsform (pronuntiatio) Üben von Stimmführung, Mimik und Gestik 2. Literatur und Rhetorik- historisch Relevant für Literatur je nach vorherrschemden Literatur primär inventio, dispositio und elocutio Insbesondere Literatur der Renaissance und des Barock stark rhetorisch geprägt: Im Fokus hier Ausgestaltung eines bestimmten Stoffes, Zahl der Themen begrenzt Martin Opitz (1624): Ach Liebste laß uns eilen ➔ „Wir haben Zeit“ (V.2) – Zeit im Rücken; wir müssen unsere Zeit nutzen ➔ „Gib mir!“ (V.23) – Verlust der Jungfräulichkeit Opitz: (Gestaltet „Carpe Diem“-Thematik) Thema übernommen (Petrarkismus) und literarästhetisch ausgestaltet (Bilder, Antithese, Paradoxie) Petrarkismus: Sprecher ist Mann und preist die Vorzüge des weiblichen Körpers an Vergänglichkeit der Schönheit des weiblichen Körpers Bruch mit dieser Tradition durch Genieästhetik weg von starrer Ordnung der Texte ➔ Aber: Auch die vermeintliche Abkehr von der Rhetorik hin zu einer unmittelbaren Sprache der Gedanken und Gefühle bleibt rhetorisch durchformt (Bsp.: Prometheus: Auch der Sturm und Drang arbeitet – obwohl er sich gegen die rhetorische Durchformung der Literatur ausspricht – mit Rhetorik.) o Glühendes Herz (Bild – Feuer), Emotional stark bewegtes Sprechen des lyrischen Ichs, Parallelismen, Neologismen 3. Literatur und Rhetorik (literaturtheoretisch) Spezifika der rhetorischen Verfasstheit von Literatur: Viktor Šklovskij (1893-1984): Literarische Sprache dient nicht der Nützlichkeit oder Effizienz bei der Übermittlung bestimmter Inhalte oder Botschaften Abgrenzung zur pragmatischen Sprache (z.B. Zeitungsartikel, politische Rede) Denken bedient sich Sprache zu bestimmten Zwecken Sprache wird algebraisiert; Ausführen wie eine Formel, Bewusstsein geht verloren Ziel: Deautomatisierung geläufiger Sprach- und Wahrnehmungsmuster, um „ein Empfinden des Gegenstandes zu vermitteln, als Sehen, und nicht als Wiedererkennen“ Sprachliches Bild dient hier nicht der Abstraktion (ist kein „Fabel- oder Gedankenbild“), dem besseren – im Sinne von klarerem, einfacherem – Verstehen, sondern der Intensivierung der Wahrnehmung und der Irritation (Mittel zur „Herstellung des stärksten Eindruck“, „zur Verstärkung des Empfindens einer Sache“) o Bild dient nicht der Veranschaulichung inhaltlicher Botschaft o Bild verfremdet und soll darüber den Eindruck intensivieren und ein Empfinden von Gegenständen wieder möglich machen, bewusste Wahrnehmung wieder möglich machen o Einschließung, dass sich diese literarischen dichterischen Bilden einer begrifflichen und funktionalen Auflösung verweigern Bsp: Vergleich des Wetterleuchtens mit taubstummen Dämonen Will Dinge aus dieser automatisierten Wahrnehmungsform herauszureißen und auf Feld der lit. Sprachkunst kann das nur gelingen, wenn Literatur Konventionen alltagssprachlicher Sprachnormen aufbricht; Regt zum Nachdenken an, vielseitig zu deuten 4. Rhetorische Figuren Rethorische Figuren rücken Aufmerksamkeit auf Sprache selbst, nicht auf Inhalt, der vermittelt werden soll Leser irritieren, um ihm neue Perspektiven auf Bekanntes zu ermöglichen Besondere Form sprachlicher Gestaltung, setzt auf Irritation Basieren auf Normabweichungen dienen zur Wahrnehmungsschärfung bsp.: Anapher, Parallelismus (verletzt sprachliche Regeln) aber auch Bilder (Sprache wird bei solchen Bildern nicht so benutzt, wie auf einer gegenständlichen Ebene) sie sind nicht bloßes Mittel, um Vorstellungen zu übermitteln, sondern generieren diese vielmehr – öffnen so ein Feld, das weiter und offener sein kann, als es dem Verwender selbst bewusst war sind ein Mittel dazu, dass Leser in geistige Tätigkeit versetzt Klassifikation nach unterschiedlichen Wirkungsbereichen Tropen: Metapher: Sprachliches Bild welches durch Bedeutungsübertragung zustande kommt Es kommt zur sprachlichen Verknüpfung zweier versch. semantischer Bereiche Zum einen Bildspender zum anderen Bildempfänger Bildspender wird auf den eig von ihm sonst losgelöstem Bereich des Bildempfängers bezogen Funktionsweise ist ähnlich wie bei Vgl., es fehlt hier das wie Produzieren Vieldeutigkeiten Bsp: Er war ein Turm in der Schlacht→ Turm: Bildspender, dieses Bild wird jetzt auf einen anderen Kontext übertragen, hier: Schlachtsituation Sehr wehr- und standhaft, deshalb gibt Bildspender seine Bedeutung in einen Bereich, wo er normalerweise so nicht verwendet werden würde, weil Türme in Schlachten keine große Rolle spielen Hier wird es für menschliche Figur/ Soldaten angewendet Kafka: Buch muss Axt sein für das gefrorene Meer in uns→ Buch muss Kraft haben etwas in uns aufzubrechen Metonymie Ersetzung des eigentlichen Ausdrucks durch einen anderen, der aber im Gegensatz zur Metapher in einer nahen sachlichen Beziehung zu dem Ausdruck steht, den er ersetzt Bedeutungsübertragung auf sachlich nachweisbaren bzh zwischen beiden Bildspender- und Empfänger steht Bsp: ein Glas trinken→Bildhafter Ausdruck für Schluck Wasser trinken, aber ich trinke nicht Glas selbst Schiller lesen, ich lese einen Text von Schiller und nicht Schiller→ Schiller ersetzt Text denn er gelesen hat Symbol wenn ein konkretes Bild auf einen abstrakten Sachverhalt verweist (z.B Sonne – Lebensmut, Freude; Herz- Liebe) Identität von besonderem und allgemeinem Allegorie Differenz von besonderem und allgemeinem (Bild und Sache), verweist darauf Fortgeführte Metapher Komplexer Sachverhalt durch einzelnes Ding dargestellt Justitia als Allegorie der Gerechtigkeit Bsp.: Conrad Ferdinand Meyer, Zwei Segel (1882) = 2 eng miteinander verbundene Personen, der eine leidet, wenn der andere leidet → Allegorie bezieht sich auf Text→ Gedicht über Bzh. Wortfiguren Akkumulation Anhäufung von Synonymen/Unterbegriffen Stehen in semantischer Reihe Faust: nenns glück Herz Liebe Gott Anapher/ Epipher Wdh. Des Anfangs/ Schlusswortes bei aufeinanderfolgenden Sätzen, Versen, Strophen Faust: Das Waser rauscht, das Wasser schwoll Nietzsche: doch alle Lust will Ewigkeit, tiefe tiefe Ewigkeit Neologismus Wortneuschöpfungen Knabenmorgen, Blütenträume Gemination Verdopplung eines Wortes oder einer Wortgruppe/eines Satzteils Bsp: Goethe Erlkönig: Mein Vater mein Vater jetzt fasst er mich an Klimax: stufenartige Steigerung Er kam, sah und siegte Antiklimax: (Stufenartige) Abschwächung von Begriffen Goethe Faust: jetzt bin ich gescheiter als all die Laffen Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen (Bildungsgrad immer weniger) Pleonasmus Doppelte Widergabe des ein und des gleichen Sachverhaltes Weißer Schimmel, alter Greis Oxymoron Widerspruch: Zusammenstellung zweier Begriffe die sich eigentlich ausschließen Stummer Schrei Melitothes Doppelte Verneinung Gegenteil dessen behauptet Keine Kleinigkeit→ von Bedeutung Klangfiguren Alliteration: Übereinstimmung im Anlaut von zwei oder mehreren Wörtern Aufmerksamkeit wird also auf die alliterierenden Begriffe gelenkt Winterwinde wichen dem Wonnemonat Onomatopoesie Lautmalerei: Sprachliche Nachahmung von nicht sprachlichen Klängen Klirren, rumpeln, summen Assonanz Harmonisierenden Klang von Lauten Gleichklang eines Vokals oder einer Lautfolge im Wortinneren Ähnlicher Klang bei mindestens zwei aufeinanderfolgenden oder benachbarten Wörtern einer syntaktischen Einheit Otto mopst trotzt Reim Gleichklang eines Verses Stabreim (identisch mit Alliteration) Gleich lautenden Anlaut betonter Stammsilben, Buchstabenreim Endreim, Gleichklang von Wörtern ab letzten betonten Vokal Paronomasie Wörter miteinander verbunden die entweder semantisch oder etymologisch (von ihrer Wortherkunft her) nicht zusammengehören, sich in ihrem Klang aber ähneln Die sich ähnliche Wörter haben unterschiedliche/gegensätzliche Bedeutungen Lieber arm dran als Arm ab Satzfiguren Chiasmus Überkreuzstellung von syntaktisch/semantisch aneinander entsprechenden Satzgliedern werden nicht unmittelbar hintereinander geordnet und sind somit nicht einander zugeordnet sie wissen nicht was sie wollen, sie wollen nicht was sie wissen→ wissen und wollen überkreuzt Ellipse Verkürzte Satzkonstruktion durch Auslassung eines Wortes /Satzteils Kann aus Sinnkontext trotzdem verstanden werden Ohne Wenn und Aber; Je schneller desto besser (hier fehlt ein Verb) Inversion Umstellung von Satzgliedern die vom normalen Sprachgebrauch abweicht Yoda- Sprache Unendlich ist die jugendliche Trauer→ eigentlich Die jugendliche Trauer ist unendlich Parallelismus Gleichordnung von Satzkonstruktionen Sätze identisch aufgebaut Heiß ist die liebe, kalt ist der Schnee (Inversion auch)→ Adjektiv, Verb, Subjekt Parataxe Satzreihe Selbstständige Sätze aneinandergereiht und miteinader verbunden sind (HS, kann durch und verbunden sind) Es ist heller Mittag und es ist schön Hypotaxe Gegenteil von Parataxe Nebensatzkonstruktion Sinnfiguren Chiasmus Zugleich auch Satzfigur Dient einer Ordnung Eng ist die Welt und das Gehirn ist weit→ eng und weit überkreuzt gestellt, dient der Markierung des Gegensatzes Antithese Gegensätze kompakt aneinander syntaktisch gegenüberstellen Der Wangenzieher verbleichet, das Haar wird Greis, der Augen Feuer weichet, die Brunst wird Eis→ Verfallsprozess/ Alterungsprozess antithetisch beschrieben Apostrophe Anrede an Publikum/ Dinge Oft Frage oder Ausruf „Alter Freund, fliehst du mich auch?“ (Schlaf wird angesprochen) Ironie Etwas anderes sage als ich meine Du bist mir ein schöner Freund Parenthese Grammatisch eigenständigen Einschub in einen Satz Syntaktische Ordnung des Satzes bleibt, Grammatik nicht Inhalt ist eine Mitteilung, die zwar erwünscht ist, aber nicht unbedingt nötig Meist zwischen zwei Gedankenstrichen Ich sei, gewährt mir diese Bitte, in eurem Bund der dritte 6. Lyrik 1 Die Grundstruktur von Lyrik Joseph von Eichendorff (1837) „Mondnacht“ ➔ 3-hebiger Jambus, regelmäßige männliche und weibliche Kadenzen; Kreuzreim ➔ Rhythmisch strukturiertes Sprechen ➔ Gefühlslage des lyrischen Ichs wird ausgedrückt Nora Bossong (2007) „Seitenstreifen“ ➔ Kein Metrum, narrativ (erzählerisch, umgangssprachlich), kein Endreim, kein lyrisches Ich ➔ Nur kollektives Wir, Sprache ist kühl und distanziert Viel Verdrängung bei den Merkmalen der Lyrik ➔ Gedichte haben nur gemeinsam, dass sie in Versen stehen Theodor Storm (1856) „Meeresstrand“ Gedicht in Versen ➔ Prosafassung von Dieter Burdorf Was zeichnet das Gedicht Storms im Unterschied zur Prosafassung aus? Verssetzung, linksbündig, rechts verschieden viel Platz Metrische Organisation (Jede Verszeile mit drei Betonungen, zwischen denen jeweils eine oder zwei nicht betonte Silben stehen, Metrum ist regelmäßig alternierend sowie daktylisch) Z. T. Endreim: nur die zweiten Verszeilen, männliche Kadenz reimt sich Konventionelle Ordnung der Satzglieder verändert (mehrfach Subjekt in der Mitte: Inseln, Stimmen) oder am Ende des Satzes (Möwe, Abendschein, Wind: sogar zwei Prädikate vorweg), Genitivattribut vorangestellt. Prosa. Hauptsätze: Subjekt, Prädikat, Umstandsbestimmung / Objekt (Die Möwe fliegt nun ans Haff) Gliederung in Strophen, die gleich gebaut sind (auch die Reime) Bilder, die vom alltäglichen Sprachgebrauch abweichen: Wie Träume liegen die Inseln (Vgl.), Metapher: Dämm’rung bricht herein, Personifikation: es schweiget der Wind Was zeichnet Lyrik nun aus? keine Inhalte, sondern vielmehr die Art und Weise, wie sprachlich gearbeitet wird (s. poetische Funktion Jakobsons) Weicht nämlich von der alltagssprachlichen Verwendungsform des Mediums ab (s. Meeresstand) Man spricht hier von einer Überstrukturierung, die sich auf verschiedenen Ebenen nachweisen lässt: Lyrik als überstrukturierte Form der Sprachverwendung 1) Phonologisch (Klangstrukturen) Metrum, Reim, gezielte Pause 2) Semantisch (Wortbedeutung) bildliche Sprache, Widersprüche durch Bilder erzeugt Mehrdeutigkeit (Polyvalenz), 3) Syntaktisch (Satzbau) Satzbau ungewöhnlich,auffällig, irritierend, weicht von Alltagssprache ab (Meeresstrand) 4) Textebene durch Versstellung, Strophen strukturiert Notwendige Kriterien von Lyrik Versstruktur (vom Drama abgrenzbar, vom Versepos abgrenzbar) keine szenischen Darstellung (Abgrenzung Drama) (relative) Kürze 2 Lyrik als subjektive Ausdruckskunst vs. Lyrik als Kunstprodukt Lyrik; von griech. lyra: Leier o Relevanz des sprachlichen Klangs! Heute noch gültiger Gattungsbegriff bildete sich erst im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts heraus und ist eng mit der Entwicklung der Erlebnislyrik verbunden. o Verständnis hier: Gedichte als unmittelbarer Ausdruck menschlicher Empfindungen und Gefühle (Empfindsamkeit, Sturm und Drang, m. E. Romantik) o Lyrik als subjektive Ausdrucksform Empfindsamkeit (Betonung des Gefühls, der Empfindungen und Stimmungen) gegen einseitige Hervorhebung der ›Verstandeskräfte‹ in der Aufklärung nach der Emanzipation des Verstandes geht ihr sozusagen um eine Emanzipation des Herzens. Vertreter: Beispiele für Erlebnislyrik Fr. G. Klopstock (1797) „Das Wiedersehn“ ➔ „Meta“ Name seiner früh verstorbenen Frau Margarete († 1758) ➔ Lyrisches Ich über eigene Gefühle und Erlebnisse ➔ Schreibt sich Existenz zu, die über seinen Tod hinausgeht ➔ Für damals sehr unkonventionell; keine festen Reimschemen (soll eigenes Erleben und Gefühle verdeutlichen) ➔ Bereits hier wird mit dem Reim gebrochen →unmittelbares Erleben zum Ausdruck gebracht →verträgt sich nicht immer mit festen Reimschemata ➔ All dies wird der Sturm und Drang aufgreifen und weiter radikalisieren Goethe (1. Fassung 1775, i.O. noch ohne Titel) „Willkomm und Abschied“ ➔ auch hier wird Ausdruck eines subjektiven Gefühls zum Gegenstand des lyrischen Sprechens gemacht wird ➔ Ausdruck eigener Emotionalität in Sprache ➔ Keine feste Ordnung verdeutlicht starke Emotionalität ➔ Reime, aber Sprache will sich Emotionen anpassen ➔ Metrum schneller bei Ritt zur Liebsten und bei starker Emotion Joseph von Eichendorff (1837) „Mondnacht“ ➔ Beispiel für die dritte Strömung (die Romantik): Eichendorffs Mondnacht ➔ Sprachduktus ist ruhiger ➔ Nicht mehr innere Bewegtheit (unruhe/dynamik) wie bei Goethe; eher Welt der Vorstellung (Traum) ➔ Ruhig gehalten ➔ Beziehung zur anderen Welt herstellen Begriff der Erlebnislyrik ab der Mitte des 19. Jhds. nicht mehr anwendbar (auch wenn einzelne Literaturtheoretiker [Staiger] z.T. bis in das 20. Jhd. noch hieran festhalten) Notwendig: Unterscheidung von Aussagesubjekt des Gedichts (lyrisches Ich) und Autor (gilt aber auch bereits für „Erlebnislyrik“) Kritisch zur Erlebnis- und Empfindungslyrik etwa Gottfried Benn (1886-1956): Lyrik hier als Kunstprodukt begriffen: Die Öffentlichkeit lebt nämlich vielfach der Meinung: da ist eine Heidelandschaft oder ein Sonnenuntergang, und da steht ein junger Mann oder ein Fräulein, hat eine melancholische Stimmung, und nun entsteht ein Gedicht. Nein, so entsteht kein Gedicht. Ein Gedicht entsteht überhaupt sehr selten – ein Gedicht wird gemacht […] Das neue Gedicht ist ein Kunstprodukt. Damit verbindet sich die Vorstellung von Bewusstheit, kritischer Kontrolle und […] von Artistik. Gottfried Benn (1929) „Schöpfung“ ➔ Selbstreferentiell, Schöpfung der Sprache ➔ Mensch ist durch Sprache auf dieser Welt Bert Brecht Forderung, Lyrik müsse sich auf die gesellschaftliche Wirklichkeit zurückbeziehen: „Gebrauchswert“ der Texte Bert Brecht: es geht weniger um die Artistik selbst Hintergrund: Marxismus, aber Absage an ‚platte‘ Tendenzliteratur: müssen sich auch politisch engagieren für eine solidarisch- humane Gesellschaft ohne Klassengegensätze „Schlechte Zeit für Lyrik“ (Brecht, 1939) ➔ Reden des Anstreichens – Propaganda Hitler ➔ Brecht wurde von Nazis verfolgt und vertrieben ➔ Kunst und Literatur hatten wegen Politik (andere Probleme) schlechte Zeiten ➔ Literatur nicht mehr als schöne Literatur ➔ Kritische Literatur macht auf Missstände aufmerksam 3 Kategorien der Lyrikanalyse Vier Ebenen der Lyrikanalyse: 3.1 phonologisch: Klang a) Metrik Begriff des Metrums bezeichnet Hebungen und Senkungen bei den Betonungen, die einem bestimmten Schema folgen. Im Deutschen: Kriterium der Betonung. Betonte Silben: Hebungen (X), unbetonte: Senkungen (x). o Versfüße: kleinste metrische Einheit o Versmaß: Bezug gesamter Vers (Zeile) Versfüße kleinste metrische Einheit; Grundformen im Deutschen: Jambus x X (unbetonte, dann betonte Silbe) Es schlug mein Herz, geschwind zu Pferde! / Es war getan fast eh gedacht. (Goethe: Willkommen und Abschied, 1789) Trochäus X x (betonte, dann unbetonte Silbe) Tiefe Stille herrscht im Wasser / Ohne Regung ruht das Meer (Goethe: Meeresstille, 1795) Daktylus X x x (betonte und zwei unbetonte Silben) Der Nachtigall reizende Lieder / Ertönen und locken schon wieder (Meyer: Chor der Toten, 1882) Anapäst x x X (zwei unbetonte und eine betonte Silbe) Unbeirrbar wie Wasser / Unabwendbar wie Licht (Piontek: Lauingen an der Donau, 1985) Sonderform: Spondeus X X (im Deutschen sehr selten, z.B. Langmut) Versmaß I Bezug gesamter Vers (Zeile); regelmäßig (alternierend), dakytlisch/anapästisch oder unregelmäßig (in Silbenzahl bzw. Betonungen). Regelmäßige Versmaße Z.B. Alexandriner. Sechshebiger Jambus mit Mittelzäsur; findet u.a. im Sonett Verwendung. Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr denn ganz verheeret! (Gryphius: Tränen des Vaterlandes.) ungereimter Blankvers (fünfhebiger Jambus, ungereimt) Versmaß II Unregelmäßige Versmaße: (freier) Knittelvers (frei und streng zugleich: überwiegend vierhebig und paargereimt, aber hinsichtlich der Füllungen frei) Madrigalvers (alternierend, aber unregelmäßig in Reim und Silbenanzahl) freie Rhythmen, freie Verse (Vers der Moderne, ohne formale Vorgaben, möglich auch als Zeichen oder Bild-Text-Kombination oder Lautgedicht) Kadenzen: Versschluss mit Hebung: ‚männliche‘ (stumpfe) Kadenz (X) z.B. Nacht – Wacht; Aar – Paar mit Senkung: ‚weibliche‘ (klingende) Kadenz (Xx) z.B. Blume – Ruhme; Feuer – teuer b) Reime Endreim: Gleichklang von Wörtern ab der letzten beton-ten Silbe Sonderfälle: erweiterter Reim: auch Silben vor der letzten betonten Silbe mit lautlichen Übereinstimmungen (Tugendreiche / Jugendstreiche) identischer Reim: gleiches Reimwort unreiner Reim: nicht alle Laute von der letzten betonten Silbe stimmen überein; zumeist Kombination von langen und kurzen Vokalen (ruft / Luft), von Vokalen und Umlauten (Liebe / trübe) oder verschiedenen Diphthongen (reichen / keuchen) Reimformen beim Endreim a) Es gibt zwei Sorten Ratten: Paarreim: aa bb cc dd Die hungrigen und satten. Bsp. a) Heine: Die Wanderratten Die satten bleiben vergnügt zu Haus Kreuzreim: abab cdcd … Die hungrigen aber wandern aus. Bsp. b) Eichendorff: An die Waldvögel b) Ein Schiff sah ich gehen Umarmender Reim: abba cddc… Fort über das Meer, Bsp. c) Rilke: Karussell Meinen Liebsten drin stehen – Schweifreim: aabccb… Dacht meiner nicht mehr. Kombination aus Paarreim u. umarmenden Reim Haufenreim: aaaa… c) Mit einem Dach und seinem Schatten dreht Waise: reimloser Vers sich eine kleine Weile der Bestand umgeben von Reimen von bunten Pferden, alle aus dem Land, das lange zögert, eh es untergeht. Weitere relevante Klangfiguren: Alliteration / Stabreim: gleicher Anlaut in den Haupthebungen (insbesondere in der althochdeutschen Dichtung, aber auch in Ggw. Verwendet) Komm, Kühle, komm, küsse den Kummer / Süß säuselnd von sinnender Stirn (Brentano: Rheinmärchen) Binnenreim: Reime innerhalb eines Verses, beim Schlagreim unmittelbar aufeinander folgende: So jubelnd recht in die hellen, / Klingenden, singenden Wellen / Des vollen Frühlings hinaus. (Eichendorff: Die zwei Gesellen) Assonanz: Übereinstimmung der Vokale, nicht aber der Konsonanten (im Gegensatz zum Reim) In des ernsten Thales Büschen Ist die Nachtigall entschlafen, Mondenschein muß auch verblühen, wehet schon der Frühe Athem (Brentano: Rosablankens Traum) 3.2 semantisch: Wortbedeutungen Abweichung von der Alltagssprache vor allem auf Ebene der Bildlichkeit (vgl. Vorlesung „Rhetorik“) Fokus hier: Metapher: Bedeutung des Bildempfängers wird durch Bildspender bestimmt. Funktion oft Mehrdeutigkeit, Bedeutungsoffenheit, Irritation… Bsp.: Bildspender „Bein“ + Bildempfänger „Tisch“ = Tischbein; Bein trägt etwas (Tischplatte oder Körper) Rainer Maria Rilke (ohne Titel, 1914) Zentrale Metapher sind Berge (Spender) des Herzens Abgeschiedenheit, Unwirklichkeit des Hochgebirges für Menschen Mensch ist allein, ungeborgen, gefährdet Metapher Herz – Berge weit weg von Gefühl Letzte Essenz des Menschen, die ihn in Existenz prägt Außerhalb Kultur, Sprache, artikulierbare Gefühle Metaphern Pflanzen und Tiere Heilen und pflegen unbewusst, sind gesichert in Umgebung Mensch hat Bewusstsein, fühlt sich ausgesetzt im Leben, das man nicht durchschauen kann Pflanzen und Tiere haben kein/kaum Bewusstsein In der Lyrik sind Bilder nicht 1:1 übersetzbar 3.3 syntaktisch: Satzbau a) Enjambement (Zeilensprung): Versumbruch bricht syntaktische Einheit des Satzes auf – Folge oft Mehrdeutigkeit. Hakenstil: Enjambements dominieren Zeilenstil: Jeder Satz entspricht einem Vers Sarah Kirsch (1974) Die Luft riecht schon nach Schnee ➔ Text klingt durch Enjambements hart (kalte Liebesbeziehung) ➔ Kalter Winter in Natur entspricht kaltem Winter in der Liebe ➔ Metapher: Schnee fällt in das Herz; Gefühle erkalten ➔ Amsel verkündet Liebe außerhalb des Raumes, indem sich beide befinden (Hoffnung auf Liebe im Frühling) ➔ Ansprache an Geliebten durch Enjambement durchbrochen; Schnee glüht nicht im Herz, sondern im Aschekübel (Bedeutungsbruch durch Enjambement) b) Glatte vs. harte Fügung Glatte Fügung: harmonierende syntaktische und metrische Einheiten (Goethe Meeresstille) Harte Fügung: innerhalb des Verses häufig metrisch, lautlich oder syntaktisch bedingte Einschnitte. o z.B. durch Umstellungen (sog. Inversionen) der Sätze oder einzelner Satzglieder, Einschübe, Ellipsen (Auslassungen) oder Satzabbrüche, sog. Anakoluthe. o Wirkung: Hervorhebung von Wörtern oder Silben an diesen Stellen Harte Fügung Funktion in „Friedhof“ von Bobrowski: „unmittelbare syntaktische Umsetzung von Tod und Zerstörung“, also der Angstvision des Krieges (Minde 1981, 579, 595 nach Waldmann: Einführung. S. 71) Generell: Satzbrüche zwingen zu genauem Lesen, deautomatisieren den Lektürevorgang Zugleich bilden sie das ab, wovon das Gedicht handelt: Auflösung, Zerstörung, Vernichtung. Bild eines Heeres, am Ende Ruf der Toten Relativ offen am Ende (Winter, Verborgen) Todesdrang des Krieges aktuell Inversion „Nun tönen, umrauscht, / Hörner“ Adjektive von Nomen getrennt Auflösung der Satzordnung führt zu Mehrdeutigkeit Ellipsen (Prädikate fehlen – keine Zeit, zeitlos, Krieg bleibt aktuell) Aneinanderreihung; Auflösung der Ordnung Syntaktische Zerstörungsumsetzung als Angstvision des Krieges 3.4 Textorganisation: Strophenform, Gedichtform a) Vers Fügung von Versen zu einer Strophe resp. Text wird bedeutungsrelevant Mögliche Analysefragen: Wie werden zwischen einzelnen Versen Zusammenhänge aufgebaut? Wie entstehen textuelle Sinneinheiten? b) Strophengestaltung Strophe: zwei oder mehr Verse Strophenform: metrische Muster und Reimstruktur einer Strophe c) Gedichtformen Bsp: Sonett (von lat. sonare: klingen) V. a. im Barock eine der beliebtesten Gedichtformen Verbindung zweier unterschiedlicher Strophenformen: zwei Quartette und zwei Terzette (14 Verse) Sehr stark durchkomponierte Form der Lyrik. Deshalb von Empfindsamkeit und Sturm und Drang kaum aufgegriffen; wohl aber später wieder von Goethe →Bsp. „Natur und Kunst“, (Goethe). Sonett als Form für Bindung, Gesetz Kunst als Ordnung verhindert Ungebundenheit des Gedichts 1.Quartett: Darstellung 2.Quartett: Erweiterung 1.Terzett: Reflexion 2.Terzett: Verallgemeinerung →Zweigliedrigkeit der Gedichtform erhält inhaltliche Relevanz: Oftmals dualistischer Aufbau im Sonett (Quartette: Exposition, Beispiele, dann: Terzette: Zusammenführung, Schluss), letztes Terzett enthält oft Fazit bzw. eine Zusammenführung einzelner Beispiele. 7. Epik 1 Was ist Epik? Aus: Roland Barthes: Einführung in die strukturale Erzählanalyse (1966) Die Menge der Erzählungen ist unüberschaubar. Da ist zunächst eine erstaunliche Vielfalt von Gattungen, die wieder auf verschiedene Substanzen verteilt ist, als ob dem Menschen jedes Material geeignet erschiene, ihm seine Erzählungen anzuvertrauen: Träger der Erzählung kann die gegliederte, mündliche oder geschriebene Sprache sein, das stehende oder bewegte Bild, die Geste oder das geordnete Zusammenspiel all dieser Substanzen; man findet sie im Mythos, in der Legende, der Fabel, dem Märchen, der Novelle, dem Epos, der Geschichte, der Tragödie, dem Drama, der Komödie, der Pantomime, dem gemalten Bild [...], der Glasmalerei, dem Film, den Comics, im Lokalteil der Zeitungen und im Gespräch. Außerdem findet man die Erzählung in diesen nahezu unendlichen Formen zu allen Zeiten, an allen Orten und in allen Gesellschaften; die Erzählung beginnt mit der Geschichte der Menschheit; nirgends gibt und gab es jemals ein Volk ohne Erzählung; alle Klassen, alle menschlichen Gruppen besitzen ihre Erzählungen, und häufig werden diese Erzählungen von Menschen unterschiedlicher, ja sogar entgegengesetzter Kulturen gemeinsam geschätzt. Die Erzählung schert sich nicht um gute oder schlechte Literatur: sie ist international, transhistorisch, transkulturell, und damit einfach da, so wie das Leben. o Erzählen Welt erzählerisch in Form von Geschichten o Roman: erzählt von besonderem Individuum dessen Schicksal, Prosa o Verschiedene Untergruppen und Medien von Erzählungen o Anthropologische Konstante: zu allen Zeiten der Menschheit wurde erzählt o Erzählen ist nicht an Literatur gebunden, sondern ein Alltagsphänomen o Epos (altgriechisch ἔπος „Wort, Vers“, auch „die Erzählung, das Gedicht“) o neben Dramatik und Lyrik eine der drei großen Gattungen o umfasst Literatur in Vers- oder Prosaform o Epik wird auch erzählende Literatur genannt (gr. Epos) (nicht die äußere Form) o Muss nicht zwangsläufig in Prosa (in einer willkürlichen Zeilensetzung gesetzt sein), Verwendung der Verse ist nicht das Entscheidende Abgrenzungsmerkmal zur Lyrik, sondern die Länge und szenische Darstellung 2 Warum erzählen Menschen? Walter Fisher: Mensch als Homo narrans (der erzählende Mensch) Warum erzählen Menschen? o Mitteilungsbedürfnis, soziale Funktion o Weitergabe von Grundüberzeugungen einer Kultur (Normen, Werte) o Unterhaltungsfunktion o Ausweitung der Möglichkeiten des Alltags (Fiktion) o Austausch mit anderen o Erzählungen helfen, uns selbst zu erklären, Erlebnisse verarbeiten o Vermittlug von Verhaltensratschlägen (z.B Märchen über den Sandmann) o Andere überzeugen Heider-Simmel-Experiment: https://www.youtube.com/watch?v=sx7lBzHH7c8 Obwohl in dem Video nur geometrische Formen zu sehen sind, die sich gegenseitig abstoßen und anziehen, interpretiert der Mensch Handlungen, Intentionen, Emotionen,… hinein (jeder anders) mögliche Interpretation: Liebesbeziehung „Der menschliche Geist erschafft also offenbar Leben, wo keines ist. Er unterstellt Absichten oder Intentionen und knüpft Bezüge […]“ (Walter Siefer: Wer erzählt, der überlebt. zeit.de) Fazit: Erzählungen geben Ereignissen Struktur. Dinge werden so erklärbar, Gesetzmäßigkeiten können festgemacht werden 3 Was zeichnet eine literarische Erzählung aus? Minimaldefinition von Erzählung: Wiedergabe eines Geschehens in mdl oder schriftl. Form Definition bezieht sich nicht nur auf literarische Texte Abfolge von Zeichen, die eine Abfolge von Ereignissen repräsentieren Ein Zustand A wird durch Handlung(en) einer (oder mehrerer) Figur(en) zu einem Zustand B verändert. Ziele einer „Poetik des Narrativen“ nach Jonathan Culler: „zu verstehen, welches die Komponenten des Erzählens sind“ „wie es den spezifischen Erzähltexten gelingt, ihre jeweilige Wirkung zu erzielen“ (Literaturtheorie. S. 121) Zwei Vermittlungsebenen von Erzählungen: 1. Geschehen > Geschichte Geschehen wird in Geschichte verwandelt; Ereignisse zu „Sinn“konstrukten verbunden, strukturiert; verschiedenartige (Handlungs) Möglichkeiten hierzu! (Tik tok von Uhr) 2. Geschichte > Text (oder andere Medien) Auch narrative Umsetzung dieser Geschichte auf verschiedene Weisen möglich, z.B. Brief, Ich-Erzählung, Er-Erzählung, distanzierte Wiedergabe oder Nähe zu einer Figur etc. 3.1 Histoire vs. Discours Basisunterscheidung zur Analyse erzählender Texte nach Tzvetan Todorov: histoire (dt. „Geschichte“): Was wird erzählt? discours (dt. „Diskurs“): Wie wird erzählt? (Erzähler der distanzierte berichtet, in Gegenwart?) o Geschehen o liegt außerhalb des Rahmens des Erzähltextes, kann Geschehen selbst nicht mehr beobachten o Habe kein Einblick in das Geschehens, ist mir nur durch den Erzähler zugänglich in der erzählerischen Vermittlung o Sandmann: bin nur konfrontiert mit Geschichte und Diskurs o Erzähler: o Erzählinstanz o Fokalisiert: berichtet über die Geschichte mit bestimmter Wahrnehmungsperspektive (kann sich auch ändern s. Sandmann) o Geschichte o Histoire o Ästhetisches Konzentrat des Geschehens: Das was vom Erzähler hinsichtlich des Geschehens ausgewählt und geformt wird o Diskurs o Ästethische Re-Konfiguration der Geschichte: Sprachliche Präsentation dessen was auf der Ebene der Geschichte ausgewählt wird, geschieht dann in Form einer Erzählung die bestimmte Erzähltechniken anwendet (Sicht aus einer/ verschiedener Figuren etc.) o Sprachliche Mitteilung die uns der Erzähler von den Gegenständen und den Ereignissen liefert und wie dies sprachlich realisiert wird o Diskurs+ Histoire= Erzähltext 3.2 Autor vs. Erzähler / Erzählinstanz Erzähler Textinterne Instanz; „Stimme“, die dem Leser das Geschehen auf eine bestimmte Art zugänglich macht (etwa: distanzierte oder unmittelbare Darstellung, Perspektivenwahl etc.) kann auch unzuverlässig sein. (mehr Interpretationsspielraum, keine Durchschaubarkeit) Erzähler steht zwischen Autor und Leser; zwischen dem Leser und den Figuren des Lesens→ er entscheidet wie nah Leser an Figuren heranrücken können (Sympathien etc.) Autor Textexterne Instanz, die diesen verfasst hat; real vorhandene Person, aber außerhalb des Textes stehend. Erzähler, der einem direkt gegenüber tritt ist in literarischen Texten nie gleichgesetzt mit dem realen zu einer bestimmten Zeit lebenden Autor des Texts→ Erzähler ist IMMER literarische Kunstfigur die vom Autor installiert wurde um eine bestimmte Erzählung voranzutragen 4 Erzähltypologie von Stanzel: der Typenkreis der Erzählsituationen Der Typenkreis der Erzählsituationen Stanzel entwickelt „Typenkreismodell“ von Erzählsituationen: Auktoriales Erzählen, Ich-Erzählen & Personales Erzählen Wechsel von Erzählsituationen möglich (Schlüsselstellen im Text), eindeutige Zuordnung ist nicht immer möglich Innenperspektive: Ich und personal Außenperspektive: auktorial Erzähler vs. Reflektor betrifft die Art und Weise über wen man das Geschehen erzählerisch vermittelt bekommen o Erzähler bei auktorial: gibt sich nicht immer als solcher zu erkennen, ist aber implizit o Reflektor: Figuren aus deren Sicht man das Geschehen vermittelt bekommt (sind aber nicht als Erzählerfiguren konzipiert Identität: Ich Erzählsituation, weil Erzähler ist zugleich der Handlunsgebene des Textes verschmolzen→ identisch mit an diesem geschehen beteiligt/ Kenntnis besitzende Figur des Geschehens Nichtidentität: auktorial und personal; Erzähler ist nicht in das Geschehen involviert 1. Auktoriale Erzählsituation „Das auszeichnende Merkmal dieser Erzählsituation ist die Anwesenheit eines persönlichen, sich in Einmengung und Kommentaren zum Erzählten kundgebenden Erzählers. [...] [Der] auktoriale Erzähler ist [...] eine eigenständige Gestalt, die ebenso vom Autor geschaffen worden ist, wie die Charaktere des Romans. Wesentlich für den auktorialen Erzähler ist, daß er als Mittelsmann der Geschichte einen Platz sozusagen an der Schwelle zwischen der fiktiven Welt des Romans und der Wirklichkeit des Autors und des Lesers einnimmt. [...]“ (Stanzel: Typische Formen des Romans. 1987, S. 16) Instanz gehört nicht zum Roman (eher nicht Identiät) Kann überall gleichzeitig sein, Einblicke in jede Figur, kommentieren, werten, eingreifen, Leser direkt ansprechen (Sandmann nach ersten 3 Briefen Problematisierung) Sandmann Achtung: geht teilweise in Gedanken von Nathaniel ein (Problematiken des Modells) 18 und 19 Jh. 2. Ich-Erzählsituation „Die Ich-Erzählsituation unterscheidet sich von der auktorialen Erzählsituation zunächst darin, daß hier der Erzähler zur Welt der Romancharaktere gehört. Er selbst hat das Geschehen erlebt, miterlebt oder beobachtet, oder unmittelbar von den eigentlichen Akteuren des Geschehens in Erfahrung gebracht. Auch hier herrscht die berichtende Erzählweise vor, der sich szenische Darstellung unterordnet. [...]“ (ebd.) Ps. Sg. Erzählendes ich: ich in der erzählten Gegenwart des Erzählens Erzählt Geschichte und kennt Geschichte Erzähltes ich: ich in einer erzählten Vergangenheit Das ich von dem in der Vergangenheit berichtet wird: ich hat etwas erlebt von dem das Erzählende ich berichtet Distanz zwischen den Ichs kann groß oder klein sein kein gesicherter Blick in das Innere anderer Figuren 3. Personales Erzählen „Verzichtet der Erzähler auf seine Einmengungen in die Erzählung, tritt er so weit hinter die Charaktere des Romans zurück, daß seine Anwesenheit dem Leser nicht mehr bewußt wird, dann öffnet sich dem Leser die Illusion, er befände sich selbst auf dem Schauplatz des Geschehens oder er betrachte die dargestellte Welt mit den Augen einer Romanfigur, die jedoch nicht erzählt, sondern in deren Bewusstsein sich das Geschehen gleichsam spiegelt. Damit wird diese Romanfigur zur persona, zur Rollenmaske, die der Leser anlegt. [...]“ (ebd., S. 17) Reflektorfigur Erzähler vermittelt das Erzählte über Figuren Vorteil des Stanzel’schen Modells: Anschaulichkeit Nachteile: viele widersprüchliche Mischformen der modernen Literatur lassen sich in Stanzels Typologie nicht erfassen etwa: auktorialer Erzähler, der aber nicht allwissend ist und z.T. aus mitunter auch wechselnden Figurenperspektiven berichtet (z. B. E.T.A. Hoffmann: Der Sandmann, 1816). (personal: in Nathaniel, flammende Augen, aus seiner Perspektive berichtet) Trennung der Ebenen: Wer sieht? (man sieht mit den Augen von Nathaniel) und Wer spricht? (Erzählinstanz) nicht geleistet 5 Narratologische Grundbegriffe von Genette in der Darstellung von Martinez / Scheffel 5.1 Stimme a. Wer spricht? (Stellung des Erzählers zum Geschehen) Erzählter Teil der erzählten Welt? Unterscheidung von drei Erzählsituationen: heterodiegetisch (von griech. hetero = verschieden u. griech. diegesis = Erzählung, Darstellung) Der Erzähler ist nicht Teil der erzählten Welt und erscheint daher in der Geschichte auch nicht als Figur. homodiegetisch (von griech. homo = gleich und griech. diegesis = Erzählung Darstellung) Der Erzähler ist Teil der erzählten Welt Er tritt erlebend als eine der Figuren in der Geschichte auf, die er erzählt. Ich Erzählsituation kann ohne die Verwendung der 1. Ps. Sg auskommen→ homodiegetisch präziser als bei Stanzel autodiegetisch (von griech. auto = selbst und griech. diegesis = Erzählung, Darstellung) Der autodiegetische Erzähler ist ein Sonderfall des homodiegetischen Der Erzähler erscheint nicht nur als eine der Figuren in der Geschichte, er ist zudem auch ihre Hauptperson. Polyphonie: in Sandmann verschiedene Sichten auf die gleiche Geschichte (Brief: Sichtweise von Klara; Nathaniels Sicht) Sandmann: Erzähler hat Platz in Welt (homodiegetisch), streiten über beteiligt (Kontakt zu Freund von nathaniel) und unbeteiligt (nimmt im Rahmen der Geschehnisse keinen Platz ein) b. Von wo aus wird erzählt? (Ort / Ebene des Erzählers) Erzählen auf der Handlungsebene? Unterscheidungen bei verschachtelten Erzählungen (Rahmen und Binnenerzählungen wichtig (Sandmann) Extradiegetisch o Grundposition einer Erzählung o Eine Erzählinstanz erster Ordnung erzählt außerhalb der erzählten Welt die Ereignisse auf der diegetischen bzw. intradiegetischen Ebene. o Erzähler nach den 3 Briefen Intradiegetisch o in einer Erzählung wird erzählt, Erzählinstanz zweiter Ordnung o 3 Briefe Metadiegetisch o Erzählinstanz dritter Ordnung o Buch Ammenmärchen (1. Brief) c. Wer spricht zu wem? Intradiegetisch: Subjekt und Adressat konkret fassbar Briefe (Erzähler: Nathaniel, Adressat: Lothar) Extradiegetisch: Erzähler mit Realitätsanspruch und Selbstaussage (scheint mit Autor identisch zu sein, Sandmann: nach den Briefen) Erzähler in Kommentierungen und Ähnlichem greifbar, aber ohne Selbstaussage (präsentiert sich nicht unmittelbar als Erzähler) Erzählter hinter dem Geschehen nicht mehr fassbar (verschwindet) Entstehungszeit des Texts berücksichtigen (Moral) ----------------------- - Unzuverlässiges Erzählen (Ereignisse und / oder Wertungen) - Metafiktionales Erzählen (Bewusstes Ausstellen der Bedingungen und Bedingtheiten des eigenen Erzählens) (Erzähler reflektiert seine eigenen Möglichkeiten ein Geschehen erzählerisch vermitteln zu können, wie er erzählt, Ziele verfasst) 5.2 Modus Wie uns in Form dieser Stimme Geschehnisse vermittelt werden a. Fokalisierung → Wer sieht? (Aus welcher Perspektive ermittelt wird) Wahrnehmen und Wissen relevant (die dem Beobachter zur Verfügung stehen) Nullfokalisierung: Erzähler > Figur Übersicht: Erzähler sagt / weiß mehr, als die Figuren wissen. interne Fokalisierung: Erzähler = Figur Mitsicht: Erzähler ist an Wissens- und Wahrnehmungs-möglichkeiten einer spezifischen Figur gebunden sind; er sagt nicht mehr, als die Figur weiß. externe Fokalisierung: Erzähler < Figur Außensicht: Erzähler sagt / weiß weniger, als die Figuren wissen/ wahrnehmen Keine Informationen über Innenwelt, Außernsicht ☞ Wenden Sie die genannten drei Fokalisierungsformen auf die drei Texte an! Fürsorgliche Kaffeemischung Wieder einmal hatten sie sich gestritten. Leider. Eigentlich hatte sie ja nur eine halbe Stunde lang hysterisch geschrien, und Robert war besorgt darum bemüht gewesen, sie zu beruhigen. Es war wieder einmal schlimm für ihn gewesen. Da war auch noch Christine gekommen. Sie sollte nicht wissen, wie es um Melanie stand. So hatte er versucht, ihren Streit zu vertuschen. Nur hatte sie das aufs Neue wütend gemacht. Wenn er sie jetzt nicht zur Ruhe brachte, konnte er sie morgen wieder in die Klinik bringen! Er musste etwas tun, so schwer es ihm fiel. Er goss den Kaffee ein. Heimlich ließ er ein Schlafmittel in die Tasse fallen. Sie merkte wahrscheinlich, dass etwas in der Tasse war, war aber so erregt, dass sie den Kaffee einfach in sich hineinschüttete. Nach zwei Minuten war sie eingeschlafen. Robert atmete erleichtert auf und trug sie behutsam in ihr Bett. Erzähler nicht allwissend, sieht aber Innenwelt von Robert→ interne Fokalisierung Mord am Kaffeetisch Wieder einmal hatten sie sich gestritten. Robert war es recht, denn anders konnte er es nicht tun. Und er wollte es tun. Aber er musste wütend auf sie sein, sie hassen. Und so wird er es auch tun. Dann war Christiane gekommen. Sie wollte nur mal eben herein schauen, sagte sie, in Wirklichkeit wollte sie wissen, was bei Melanie und Robert eigentlich los war. Robert gelang es, den Streit zu vertuschen; er spielte den besorgten Ehemann. Christiane merkte nichts, er war eben, schlicht gesagt, ein großer Heuchler. Aber nun wurde Melanie mit ihrer krankhaften Eifersucht misstrauisch. Es reichte. Robert beschloss, es zu tun. Er goss Kaffee ein. Heimlich ließ er das Gift in die Tasse fallen. Sie merkte, dass etwas in der Tasse war, er tat aber so vollendet harmlos, dass sie den Kaffee trank. Nach zwei Minuten war sie tot. Na also, dachte Robert und trug sie in ihr Bett. großer Heuchler und krankhafte Eifersucht weiß der Leser→ Nullfokalisierung Kaffeetrinken »Weshalb sollte Christiane denn nicht wissen, dass wir uns gestritten haben? Was steckt dahinter?« Sie zerrte an ihrer Halskette. »Von mir aus kann jeder wissen, wie es um uns steht. Aber du willst es vertuschen. Was soll das? Allmählich hab ich deine ewige Heuchelei – ja, gib mir noch einen Kaffee!« Melanie sprach lauter: »Allmählich hab ich das satt, das kannst du mir glauben, und... Was war da in der Tasse?« Robert schaute verwundert: »Was soll in der Tasse sein, Melanie? Nichts. Was hast du nur?« »... und das eine sag ich dir, Rob«, sie stürzte den Kaffee herunter, »und das ist es, was ich habe: Ich halt es so nicht länger aus! Aber was mich fast umbringt, macht dir ja nichts. Ich will aber... Was ist das? Mir ist schwindelig... Ich bin plötzlich so... Was war... Ich...« Sie schwankte und fiel dann im Sessel zurück. Robert nahm sie auf und trug sie in ihr Bett. Kein Einblick in Innenwelt, berichtet nur neutral→ externe Fokalisierung b. Distanz Wie unmittelbar wird das Erzählte präsentiert? Erzählerbericht und Figurenrede Fürsorgliche Kaffeemischung: Distanz zur Handlung Kaffeetrinken: wenig Distanz, große Unmittelbarkeit →Unterscheidung von showing und telling: showing: dramatischer Modus bzw. szenische Darstellungsweise (Szene im Zimmer des Vaters wo sich N. versteckt (Figurenrede) telling: narrativer Modus bzw. Erzählerbericht (Ende, als spekulativ darüber berichtet wird dass man Klara sieht wie sie ihr häusliches glück fand) Unterschiede auf zwei Ebenen festzumachen: Vermittlung von gesprochener Rede und Gedankenrede (beides ist über Erzählerbericht oder Figurenrede möglich) Grundunterscheidungen: Gesprochene Rede (Erzählerbericht)/ Gedankenrede Zitierte Figurenrede Wiedergabe der Rede oder der Gedanken mit doppelten Anführungszeichen, evtl. eingeleitet durch verba dicendi bzw. credendi (Verben des Sagens oder Denkens) Form szenisch-dialogischen Erzählens, wenig Distanz Bei Gedankenrede zudem innerer Monolog oder Bewusstseinsstrom möglich. Transponierte Rede Erste Möglichkeit: Wiedergabe durch verba dicendi bzw. credendi und einen syntaktisch abhängigen Nebensatz (Konjunktiv) Erzähler schaltet sich zwischen die sprechende/denkende Figur und den Leser. Zweite Möglichkeit: Wiedergabe durch erlebte (Gedanken-)Rede Erzählerbericht Alle Elemente der Erzählung, die nicht Äußerungen einer fiktiven Figur sind Größte Mittelbarkeit und Distanz; es müssen nicht einmal alle Inhalte berichtet werden Formen: Bericht, Beschreibung, geraffte Zusammenhänge Erläuterung von Begriffen: Gedankenrede Innerer Monolog Erzähltechnik, die die Gedanken, Gefühle, Assoziationen einer fiktiven Figur (Reflektor- bzw. Perspektivfigur) wiederzugeben versucht Erzählinstanz scheint ausgeschaltet: Eindruck von Unmittelbarkeit (→ showing) 1. Person Sing. Präsens ohne verbum credendi und Anführungszeichen Stream of consciousness dt. Bewusstseinsstrom; radikale Form des inneren Monologs, Verzicht auf jede Form geordneter Syntax. Ziel: unmittelbare, authentische Wiedergabe der oft schnell wechselnden Bewusstseinsinhalte Erlebte Rede Technik, um die Innenwelt der Figuren darzustellen. ‚Doppelstimme‘: die unterschiedlichen Sprech- und Wahrnehmungsorte von Erzählinstanz und erlebender Figur sind vermischt; manchmal daher nur schwer zu erkennen / zuzuordnen 3. Person Singular, im Modus Indikativ und im Tempus Imperfekt (‚episches Präteritum‘) ohne verba dicendi oder credendi. Bewusstseinsbericht erzählte gedachte Figurenrede, immer vom Erzähler vorgenommen, im Unterschied zur erlebten Rede spricht eindeutig der Erzähler, nicht die fiktive Figur selbst. Grenzen Sie im folgenden Beispiel Erzählerbericht und erlebte Rede voneinander ab. Frau Stuth aus der Glockengießerstraße hatte wieder einmal Gelegenheit, in den ersten Kreisen zu verkehren, indem sie Mamsell Jungmann und die Schneiderin am Hochzeitstag bei Tony’s Toilette unterstützte. Sie hatte, strafe sie Gott, niemals eine schönere Braut gesehen, lag, so dick sie war, auf den Knien und befestigte mit bewundernd erhobenen Augen die kleinen Myrtenzweiglein auf der weißen moiré antique... Dies geschah im Frühstückszimmer. Thomas Mann: Die Buddenbrooks (1901) Anfang und nach dem Satz: Erzählerbericht Sie hatte, strafe… Braut gesehen: erlebte Rede (strafe mich Gott→ 3. Ps) 5.3Zeit a) Ordnung Wie kommt der zeitliche Verlauf des Erzählten zur Darstellung? Sandmann: chronologische Reihenfolge wird gebrochen (Brief) 1. Chronologie: Der discours hält Ordnung der Ereignisse ein: A B C (nach den Briefen) 2. Anachronie: Umstellungen in der chronologischen Ordnung im Diskurs gegenüber der histoire a) Prolepse (Vorgriff): A C B (zukunftsgewiss oder –ungewiss) b) Analepse (Rückblende): B A C (Briefe) 3. Achronie: eine Ordnung ist nicht mehr festzustellen b) Dauer Wieviel Raum wird im discours einem Ereignis eingeräumt? Verhältnis von Erzählzeit (Zeit für das erleben selbst) und erzählter Zeit (Berichteter Zeitraum) Zeitdeckendes Erzählen Erzählzeit = erzählte Zeit Verhältnis von Erzählzeit und erzählter Zeit ausgewogen, etwa: szenische Darstellung eines Dialogs. Sandmann bei Figurendialoge v.a. Zeitdehnendes Erzählen I Erzählzeit > erzählte Zeit Dehnung der Erzählzeit Erzählzeit übertrifft das Geschehen an Dauer (vgl. Zeitlupe) Darstellung des Experiments zwischen Vater und Kopelikus Zeitdehnendes Erzählen II Pause Geschehen stagniert, während Erzählung weiterläuft (etwa bei eingeschobenen Reflexionen und Beschreibungen) Zeitraffendes Erzählen I Erzählte Zeit > Erzählzeit Raffung Summarisches, zusammenfassendes Erzählen (nicht alle Ereignisse werden jeweils breit dargestellt; SM: Schlusspassagen Zukunft von Klara) Zeitraffendes Erzählen II Ellipse Aussparung einer bestimmten Zeitspanne im discours Zeit vor dem Studium von Nathaniel erfährt man nicht wie sich beide verliebt haben (spielt keine Rolle für den Hauptstrang der Erzählung genauso wie alle Sachen die nicht unmittelbar mit Kopenikus verbunden sind) c) Frequenz Wie oft findet ein Ereignis statt bzw. wie oft wird es erzählt? Singulatives Erzählen Einmal erzählen, was einmal geschehen ist: Ereignisse der Geschichte werden genau so oft erzählt, wie sie geschehen. Iteratives Erzählen Einmal erzählen, was wiederholt geschehen ist: Einmaliges Erzählen (summarisch (zeitraffend) oder exemplarisch) dessen, was sich wiederholt ereignet. SM: stricken von Klara Repetitives Erzählen Wiederholt erzählen, was einmal geschehen ist: Wiederholtes Erzählen eines einzelnen Ereignisses (besondere Aufmerksamkeit, evtl. auch verschiedenartige Perspektivierung). Kindheitstraumata wird nur einmal im Brief erwähnt, im Text aber immer wieder hierauf eingegangen 6.Analysekategorien auf der Ebene histoire 6.1 Thematik- Stoff, Thema, Motive Stoff: - Substrat der Geschichte, „Essenz“ (z.B. Faust als Stoff oder Prometheus-Mythos) - möglich: neue Geschichte oder Adaption eines bekannten Stoffes Thema: - Grundgedanke / Thematik eines Textes (z.B. für Der Sandmann: Abgründe der menschlichen Psyche, Verhältnis von Imagination und ‚Wirklichkeit‘, Persiflage des romantischen Ideals der Liebe…) Motiv: - "die kleinste strukturbildende und bedeutungsvolle Einheit innerhalb eines Textganzen“ (Lubkoll) - Begriff kann mit Blick auf narrative (vgl. Ereignis) oder thematisch-strukturelle Funktion verwendet werden (sog. Leitmotiv (Auge)) 6.2 Handlung Handlungsverlauf I- Ereignis, Geschehen, Geschichte Ereignis: - dynamische Funktion: Situationsveränderung (Geschehnis oder Handlung, zweiteres durch menschliche/antropomorphe Agenten hervorgerufen) - statische Funktion: Zustände oder Eigenschaften - jeweils: entweder verknüpft oder frei (nicht mit anderen Ereignissen verbunden) Geschehen: - seriell aneinandergereihte Ereignisse Geschichte: - Verknüpfung der Ereignisse im Geschehen infolge einer bestimmten Motivation Handlungsverlauf II – Motivierung kausal: - Ursache-Wirkungszusammenhang - Bezug auf Figurenhandlungen oder Geschehnisse (nichtintendierte Handlungen) möglich - zumindest retrospektiv (Rückblick) kausal-empirisch erklärbar - SM Lesart: Figurenperspektive von Klara: Auslöser liegt in den traumatischen Kindheitserlebnissen von Nathaniel→ Kette von Ereignissen ausgehend hiervon→ führt dazu, dass N. Selbstmord begeht final: - Handlung „findet vor dem mythischen Sinnhorizont einer Welt statt, die von einer numinosen (nicht unmittelbar greifbar) Instanz beherrscht wird“ (Martinez/Scheffel, S. 111) - kausal bestimmte Sequenzen sind finaler Bestimmung untergeordnet - Motivation wird sehr selten explizit ausgesprochen, allermeist ist sie implizit und wird in der Lektüre rekonstruiert (vom Leser), Motivation kann zudem uneindeutig bleiben - SM: Lesart von n. selbst: es gibt mythischer Sinnhorizont dieser erzählten Welt und an dessen Spitze ist Dämon Kopelius der es auf N. abgesehen hat→ N ist determiniert, dass es auf seinen Untergang hinführt kompositorisch / ästhetisch: - Funktion von Ereignissen im Kontext der Gesamtkomposition (bei verknüpften Ereignissen per se gegeben, bei freien durch Bezüge zu erschließen) - metaphorisch (Ähnlichkeitsbeziehung) oder metonymisch (Kontiguitätsbeziehung) - Nathanael sieht grauen Busch auf sich zukommen -> Farbe grau in Verbindung mit Coppola - Augen-Kindheitstrauma -> Kauf des Perspektivs, das seine Weltwahrnehmung verändert (Verschiebung) 6.3 Figuren Figur ungleich Person: Figuren sind literarische Konstrukte, im Kontext der Textstrukturen zu analysieren, weitergehende Spekulationen nicht zulässig! Konstellation: − Äquivalenzbeziehungen (2 Figuren entsprechen sich ihren Eigenschaften, z.B. Clara-Olimpia) − Oppositionsbeziehungen(2 Figuren stehen sich gegenüber) − Funktion der Figur im Kontext der Textkomposition, Figurenkonstellationen können sich verändern! Charakterisierung − explizit (direkte Benennung) oder implizit ((verlangt Interpretation, z.B. Grau als Farbe des Teufels -> Coppelius als Dämon) − durch Erzählinstanz oder Figuren (hier: Selbstcharakteristik oder Fremdcharakteristik möglich) – Unzuverlässigkeit möglich!!! − Beispiele für Charakterisierungen: Verhalten, Sprechweise, Überzeugungen / Werthaltungen, äußeres Erscheinungsbild (Aussehen, Kleidung etc.), sozialer Status, Lebens- / Aufenthaltsräume, Beziehungen zu anderen Figuren etc. Konzeption − Entwicklung: statisch (keine Veränderung: Klara) oder dynamisch (Nathanael) − Merkmale: ein- oder mehrdimensional (typisiert oder komplex) − Festlegbarkeit: offen / enigmatisch (widersprüchlich / lückenhaft) (Nathanael) oder geschlossen (eindeutig und nachvollziehbar) (Clara) charakterisiert; jeweils − explizit oder implizit möglich 6.4 Raum Topologische Struktur: - Raum der erzählten Welt „durch Oppositionen wie ‚hoch vs. tief‘, ‚links vs. rechts‘ oder ‚innen vs. außen‘ differenziert“ (Martinez / Scheffel, S. 140) Semantische Struktur: - Topologische Unterscheidungen oft semantisiert, häufig wertend: z.B.: oben vs. unten korreliert mit gut vs. böse Topographische Struktur: - Konkretisierung der semantisierten topologischen Struktur durch topographische Gegensätze, z.B. Berg vs. Tal (hoch vs. tief), Stadt vs. Wald / Land (innen vs außen) etc. - Konkrete Raumzuweisung zu diesen topologischen Strukturen die die Erzählung prägen - SM: Höhe: Gefahr (In Romantik steht Höhe für eine Gefährdung aber auch Erhabenheit der Menschen stehen) Lotman: Begriff des Ereignisses als Grenzüberschreibung zwischen zwei semantischen Räumen (auch im Sinne eines Verstoßes gegen die Regularitäten, Gebote / Verbote) Metaereignis: Transformation des Systems der semantischen Räume (Phantastische Erzählungen, z.B. durch Ärmel eines Mantels kommt man in einen Raum des Phantastischen mit anderen Normen, Werten, usw.) Konsistenzprinzip: