Lebensweltorientierung und Lebensbewältigung PDF
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This academic document details the concept of life orientation and coping with life challenges. It explores how social work methods can be applied to these aspects. It analyses the practical applications of theory.
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Lebensweltorientierung / Lebensbewältigung Hintergrund Hans Thiersch (* 1935) und Lothar Böhnisch (* 1944) haben das Begriffsfeld um „Lebensweltorientierung“ und „Lebensbewältigung“ maßgeblich geprägt. Dabei stehen die Lebenswelt bzw. der A...
Lebensweltorientierung / Lebensbewältigung Hintergrund Hans Thiersch (* 1935) und Lothar Böhnisch (* 1944) haben das Begriffsfeld um „Lebensweltorientierung“ und „Lebensbewältigung“ maßgeblich geprägt. Dabei stehen die Lebenswelt bzw. der Alltag – die beiden Begriffe werden nicht trennscharf verwendet – und deren Bewältigung, die von der Sozialen Arbeit verstanden (z.B. Hermeneutik) und unterstützt (z.B. Sozialpädagogik) werden können, im Fokus „Die Fragen danach, wie Menschen ihren Alltag bewältigen, sind Thema und Aufgabe der Sozialen Arbeit, und der lebensweltorientierten im Besonderen. […] Der Alltag muss gleichsam als Vorderbühne verstanden werden, auf der die dahinterliegenden Probleme sichtbar werden; Alltag ist – noch einmal anders formuliert – die Schnittstelle der objektiven gesellschaftlichen Strukturen und der subjektiven Bewältigungsarbeit.“ (Thiersch 2017, S. 5) Orientierung an Lebenswelt und Alltag „Man kann sagen: Die Menschen leben in ihrem Alltag, das ist sozusagen die Grundbedingung der menschlichen Daseinsweise, und in der Regel richten sie darin auch gut ein. Sie bewältigen die Aufgaben, die ihnen gestellt sind, und kommen mit ihren Mitmenschen zurecht. Soziale Arbeit greift dann ein, wenn es Probleme, Sorgen und Nöte gibt, die die Menschen nicht allein lösen können. Für diese Arbeit nun ist es wichtig, die Menschen in ihrem Alltag zu verstehen, sie in der Lebenswelt zu sehen, in der sie sich vorfinden, und Chancen zur Verbesserung ihrer Verhältnisse zu erkennen und erreichbar zu machen.“ (Thiersch 2017, S. 5) Raum, Zeit und Beziehungen als Dimensionen der Lebenswelt „Die Frage nach dem Raum meint, dass es wichtig ist, wo und wie Menschen wohnen, wo sie arbeiten und wohin sie sich mit Freunden zurückziehen können, was der Stadtteil bietet, in dem sie wohnen. […] Die Frage nach der Zeit meint, wie Menschen sich ihre Zeit einteilen, ob sie darin mit den Aufgaben zurechtkommen oder immer im Chaos versinken, ob sie zu spät und verhetzt sozusagen immer hinter sich herjapsen; es interessiert auch, ob man sich auf das, was nächstens passiert, freuen kann oder davor Angst hat, ob man eine weitere Perspektive kennt und in ihr lebt, […] Neben Raum und Zeit ist die Lebenswelt strukturiert in Beziehungen: Wem kann man trauen und oder nicht trauen, wer sind die besten Freunde? Es geht aber auch um Rivalitäten, um Macht und Unterdrückung und darum, wer das Sagen hat, wer sich unterordnen muss, auf wen Verlass ist.“ (Thiersch 2017, S. 7) Prinzipien lebensweltorientierter Sozialer Arbeit Alltagsnähe („Gelegenheiten und Strukturen, in denen der Alltag der Adressat*innen zur Sprache kommt, und in denen die alltägliche Lebenswelt der Adressatinnen mit ihren Ressourcen in die Hilfen einbezogen werden kann...“) Regionalisierung („Lebensweltorientierte Soziale Arbeit organisiert sich im erreichbaren Sozialraum; sie entwickelt in ihm ein Netz von Aktivitäten unterschiedlicher Angebote...“) Prävention („Unterstützungsmaßnahmen in Krisen, bei Gefährdungen, zur Stärkung des Selbstwertgefühls…“) Integration und Inklusion („gleiche Rechte und Möglichkeiten zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben…“) Partizipation („gemeinsame Aktivitäten, Teilhabe: ich teile und lasse teil-haben…“) Strukturierte Offenheit („Methoden, Verfahren, Kenntnisse, um professionell handeln zu können…“) Einmischung und Mitmischen („Kooperation mit Institutionen, bürgerschaftliches und zivilgesellschaftliches Engagement…“) Soziale Arbeit als Reaktion auf die Bewältigungstatsache „Aus sozialstrukturell-sozialpolitischer Sicht lässt sich die disziplinäre Eigenart der Sozialpädagogik/Sozialarbeit als institutionelles Ergebnis der industriellen Moderne rekonstruieren. Siegfried Bernfeld (1925, S. 49) hat Erziehung als „die Summe der Reaktionen auf die Entwicklungstatsache“ definiert. In Analogie dazu könnte man die Sozialpädagogik/ Sozialarbeit durchaus als gesellschaftliche Reaktion auf die Bewältigungstatsache verstehen. Das heißt, Sozialpädagogik und Sozialarbeit sind historisch unterschiedlich gewordene, aber gleichermaßen gesellschaftlich institutionalisierte Reaktionen auf typische psychosoziale Bewältigungsprobleme in der Folge gesellschaftlich bedingter sozialer Desintegration.“ (Böhnisch 2012, S. 219) Lebensbewältigung „Sozialstrukturelle Probleme sozialer Desintegration vermitteln sich in biografischen Integrations- und Integritätsproblemen und darauf bezogenen kritischen Lebensereignissen. Lebensbewältigung meint also in diesem Zusammenhang das Streben nach subjektiver Handlungsfähigkeit in kritischen Lebenssituationen, in denen das psychosoziale Gleichgewicht – Selbstwertgefühle und soziale Anerkennung – gefährdet ist. […] Lebenskonstellationen werden von den Subjekten dann als kritisch erlebt, wenn die bislang verfügbaren personalen und sozialen Ressourcen für die Bewältigung nicht mehr ausreichen. Deshalb ist dieses Streben nach Handlungsfähigkeit in der Regel nicht vornehmlich kognitiv-rational, sondern genauso emotional und triebdynamisch strukturiert (Böhnisch 2012, 220) Psychosoziale Erfahrungen und Formen des Bewältigungshandeln Im Kontext kritischer Lebenssituationen (z.B. Übergänge, Arbeitsplatzverlust, Krankheit) lassen sich nach Böhnisch vier psychosoziale Erfahrungen und daraus resultierende Formen des Bewältigungshandelns unterscheiden: Erfahrung von Selbstwertverlust / die Wiedererlangung von Selbstwert Erfahrung von fehlendem sozialen Rückhalt / die Suche nach Anerkennung Erfahrung von sozialer Orientierungslosigkeit / die Suche nach Orientierung Erfahrung von Handlungsunfähigkeit und Desintegration / und die Wiedererlangung von Handlungsfähigkeit und Normalisierung Drei-Ebenen-Modell zur Analyse der Lebensbewältigung Das sozialpädagogische Konzept der Lebensbewältigung stellt sich als Drei-Ebenen-Modell dar (Böhnisch/Schröer 2017, 320) Personal-psychodynamischen Ebene (z.B. subjektive Verlangen nach einem stabilen Selbstwert, entsprechender sozialer Anerkennung und der Erfahrung von Selbstwirksamkeit) Relationale bzw. intermediäre Ebene (z.B. soziale Beziehungen und Räume, Familie, Gleichaltrigengruppe, Schule, betriebliche Arbeitswelt, Internet-Community) Sozialstrukturelle und sozialpolitische Ebene (z.B. Verbesserung sozial riskanter Lebensverhältnisse und ungleicher Lebenschancen, Sozialstatistiken, Armuts-, Gesundheits-, Gleichstellungs-, Jugend- und Altersberichte) → Nach Böhnisch/Schröer kann Soziale Arbeit die Lebensbewältigung auf allen drei Ebenen untersuchen