Kapitel 5 Interpersonale Beziehungen PDF
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Stefan Stürmer & Markus Barth
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This document details interpersonal relationships, discussing their formation, maintenance, and progression. It covers factors that influence attraction, including context and characteristics of the individuals involved, with a focus on social psychology.
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Interpersonale Beziehungen 109 5 Interpersonale Beziehungen Stefan Stürmer & Markus Barth In den folgenden Abschnitten werden wir uns dem Aufbau, Erhalt und Verlauf sozialer Bezie- hungen widmen. Wie Befragungen von Men...
Interpersonale Beziehungen 109 5 Interpersonale Beziehungen Stefan Stürmer & Markus Barth In den folgenden Abschnitten werden wir uns dem Aufbau, Erhalt und Verlauf sozialer Bezie- hungen widmen. Wie Befragungen von Menschen ganz unterschiedlicher Altersgruppen ergeben, haben insbesondere enge soziale Beziehungen und Freundschaften für das subjektive Wohlbefin- den eine herausragende Bedeutung (vgl. Berscheid & Reis, 1998). Wann aber führt sozialer Kon- takt zu einer Freundschaft? Was kennzeichnet eine Freundschaft im Vergleich zu anderen sozialen Beziehungen? 5.1 Begriffsbestimmung In der Beziehungsforschung bezieht sich der Beziehungsbegriff typischerweise auf Dyaden (d.h. zwei Personen). Von einer sozialen Beziehung spricht man dann, wenn zwei Menschen miteinan- der interagieren und sich durch diese Interaktion in ihrem Erleben und Verhalten gegenseitig be- einflussen. Ob es sich um eine oberflächliche oder eine enge Beziehung handelt, hängt von den spezifischen Merkmalen der Interaktion ab. Enge Beziehungen sind u.a. dadurch gekennzeichnet, dass (a) ein hohes Maß an wechselseitiger Abhängigkeit besteht, (b) die Partner auf unterschied- lichen Ebenen (kognitiv, affektiv und verhaltensbezogen) Einfluss aufeinander ausüben, (c) dieser Einfluss intensiv ist, i.d.R. als positiv erlebt wird und in unterschiedlichen (und nicht nur wenigen) sozialen Situationen besteht, und (d) alle diese Eigenschaften die Beziehung über eine gewisse Dauer kennzeichnen. Wie Befragungen von Menschen ganz unterschiedlicher Altersgruppen er- geben, haben insbesondere enge soziale Beziehungen für das subjektive Wohlbefinden eine her- ausragende Bedeutung (vgl. Berscheid & Reis, 1998). Wann aber führt sozialer Kontakt zu einer engen Beziehung? 5.2 Von der flüchtigen Bekanntschaft zur festen Beziehung 5.2.1 Interpersonale Attraktion Ein entscheidender Faktor dafür, dass sich aus einem sozialen Kontakt eine enge Interpersonale Beziehung entwickelt (z.B. eine Freundschaft), ist die Gegenseitigkeit der inter- Attraktion personalen Attraktion. Positive Gefühle gegenüber einer anderen Person, die mit dem Bedürfnis einhergehen, die Gegenwart der anderen Person zu suchen. Interpersonale Attraktion ist eine wichtige sozialpsychologische Grundlage für die Aufnahme enger Beziehungen. Mit Sympathie wird eine wenig differenzierte Form der interpersonalen Attraktion bezeichnet, die bereits auf- grund einer flüchtigen Begegnung und weniger personaler Informationen entstehen kann. Die Faktoren, die das Auftreten von interpersonaler Attraktion fördern, lassen Sympathie sich folgenden Kategorien zuordnen: 110 Interpersonale Beziehungen Merkmale des Kontexts: Einer der basalsten kontextuellen Faktoren der Attraktion fördert, ist die Häufigkeit, mit der eine Person mit einer anderen Person Kontakt hat – Menschen tendieren dazu, andere Menschen umso mehr zu mögen, je vertrauter sie ihnen sind. In einer experimentel- len Demonstration dieses Zusammenhangs brachten Saegert, Swap und Zajonc (1973) ihre Ver- suchspersonen mit anderen Versuchspersonen unterschiedlich häufig in Kontakt, indem sie eine unterschiedliche Anzahl von Versuchsdurchgängen in dem gleichen Raum absolvierten. Während des Kontakts verbrachten die Versuchspersonen paarweise etwa 40 Sekunden in einem Raum, ohne miteinander zu sprechen oder zu interagieren. Die Ergebnisse zeigten, dass die Versuchsper- sonen sich umso mehr mochten, je mehr Kontakt sie miteinander gehabt hatten (zur Erklärung dieses auch als Mere-Exposure-Effekt bezeichneten Phänomens siehe Kapitel 7). Merkmale der Zielperson: Eine wichtige Quelle von Attraktion ist die positive Bewertung der individuellen Charakteristika der Zielperson (ihres Aussehens, ihrer Eigenschaften, Präferenzen etc). Bei der ersten Begegnung werden spontane positive Gefühle und Sympathie typischerweise durch die wahrgenommene physische Attraktivität der Zielperson ausgelöst – Menschen neigen im Allgemeinen dazu, physisch attraktive Menschen sympathisch zu finden (Langlois et al., 2000). Studien zeigen, dass die wahrgenommene Attraktivität einer Person offenbar mit der Durch- schnittlichkeit ihrer Gesichtszüge zusammenhängt – das Ausmaß wahrgenommener Attraktivität steigt linear mit der Durchschnittlichkeit des Gesichts (Langlois & Roggman, 1990). Personen schreiben physisch attraktiven Personen häufig automatisch auch viele andere positive Eigenschaf- ten zu (z.B. Feingold, 1992) – physische Attraktivität wirkt bei der Personenwahrnehmung damit im Sinne einer Heuristik. Merkmale der Beziehung zwischen der beobachtenden und der Zielperson: Einer der wir- kungsvollsten interpersonalen Faktoren für die Entstehung von Attraktion ist die Wahrnehmung von Ähnlichkeiten im Hinblick auf persönlich relevante Einstellungen (Byrne, 1971). Drei Gründe tragen zu diesem Zusammenhang bei: (a) ähnliche Einstellungen bereiten die Grundlage für ge- meinsame Aktivitäten, die wiederum zu einer Intensivierung der Beziehung führen; (b) Menschen gehen häufig davon aus, dass Personen, die ihnen ähnlich sind, sie selbst auch mögen (z.B. Con- don & Crano, 1988); (c) Menschen fühlen sich durch die wahrgenommenen Ähnlichkeiten in ihren Einstellungen bestätigt, was positive Affekte erzeugt. Dieser Zusammenhang ist sogar in Bezug auf Einstellungen zum Selbst nachweisbar. So konnte gezeigt werden, dass Personen mit negati- vem Selbstbild eine stärkere innere Festlegung auf ihre romantische Beziehung angaben, wenn ihr Partner ein ähnlich negatives Bild von ihnen hatte, wie sie selbst (Swann, Hixon, & De La Ronde, 1992). Merkmale der beobachtenden Person: Ein personenseitiger Faktor, der die Beurteilung der Attraktivität einer Zielperson beeinflusst, ist seine Stimmung – Stimuli werden häufig kongruent zur eigenen Stimmung beurteilt (z.B. Fedorikhin & Cole, 2004). Typischerweise finden Menschen andere Personen daher sympathischer oder attraktiver, wenn sie selbst in positiver Stimmung sind, als wenn ihre Stimmung beeinträchtigt ist (z.B. Gouaux, 1971). Viele Menschen sind überzeugt davon, dass sie das Interesse an der eigenen Person steigern kön- nen, indem sie sich als besonders „schwer zu kriegen“ darstellen. Diese Überzeugung wird auch in diversen Ratgebern, Internet-Foren sowie von befreundeten Personen und Bekannten vertreten, Interpersonale Beziehungen 111 die Tipps in Liebesdingen geben möchten. Kann die sozialpsychologische Forschung die Annahme dieses sogenannten ‚hard-to-get’ Effekts empirisch bestätigen? Wright und Contrada (1986) konnten diese Vermutung in ihrer Untersuchung nicht bestätigen. Teilnehmende an dieser Unter- suchung erhielten einige Informationen über eine (fiktive) Person des anderen Geschlechts, auf deren Grundlage sie sich einen ersten Eindruck bilden sollten. Teil der Informationen war unter anderem auch eine kurze Beschreibung des Datingverhaltens der Zielperson. Im Anschluss gaben die Versuchspersonen an, wie interessant die beschriebene Person für sie war und ob sie sich vorstellen könnten, einmal mit ihr auszugehen. Die Versuchspersonen bewerteten zudem einige Persönlichkeitseigenschaften der Zielperson (z.B. ob sie sie für sehr intelligent, für sehr freundlich oder sehr arrogant hielten). Es zeigte sich, dass Zielpersonen, die als extrem selektiv bei ihrer Part- nerwahl beschrieben wurden („schwer zu kriegen“), von den Untersuchungspersonen als weniger interessante potentielle Datingpartner eingeschätzt wurden als solche Zielpersonen, die als durch- schnittlich selektiv beschrieben wurden. Gleiches galt für solche Personen, die als überhaupt nicht selektiv in ihrem Partnerwahlverhalten beschrieben wurden („leicht zu kriegen“). Auch sie wurden als weniger interessante potentielle Datingpartner eingeschätzt. Extrem wählerische Personen wurden ferner durch die Teilnehmenden auch deutlich negativer eingeschätzt (also weniger intel- ligent, weniger gesellig als durchschnittlich selektive Personen, dafür aber deutlich arroganter usw.). Zusammenfassend legen diese Ergebnisse nahe, dass die Strategie, das Interesse an der eigenen Person dadurch zu wecken, dass man sich als besonders schwer zu erobern darstellt, sich als ineffektiv herausstellen kann, weil man dadurch eventuell eher als überkritisch wahrgenom- men wird. Gleiches gilt aus etwas anderen Gründen für die Personen, die sich als besonders leicht zu erobern darstellen. Es liegt nahe, in diesem Zusammenhang Unterschiede im Attributionsprozess für Unterschiede in den Erfolgsaussichten der Strategie, „schwer zu kriegen“ zu sein, verantwortlich zu machen. Wird das Verhalten eher auf stabile interne Dispositionen oder Attribute zurückgeführt (z.B. mangeln- des Interesse der Zielperson, extreme Selektivität usw.), dann sollte das persönliche Interesse an dieser Person eher sinken. Anders sieht die Sache aus, wenn externe Ursachen als Grund für die „Hürden“ beim Kennenlernen ausgemacht werden. Ein solcher Fall wird z.B. im Shakespear’schen Drama „Romeo und Julia“ beschrieben, in der die beiden Familien der Titelhelden gegen eine Verbindung waren. Das Interesse an der Zielperson sollte in diesem Fall nicht sinken, sondern unter Umständen noch ansteigen. Immer wenn sich Menschen in ihrer Freiheit bedroht fühlen, eine eigene Wahl zu haben oder darin, so handeln zu dürfen, wie sie selbst wollen, neigen sie dazu, sich dieser Freiheit durch entsprechendes Verhalten zu versichern. Gemäß der Reaktanztheorie halten Menschen in einer Situation wie bei Shakespeare beschrieben als Reaktion auf ein Verbot oder Hindernis an ihrem Verhalten mit besonderem Nachdruck fest. Der Effekt ist dabei nicht allein auf die behaviorale Ebene beschränkt, sondern beeinflusst auch die kognitive und emotio- nale Ebene. Die sprichwörtlich verbotene Frucht wird noch begehrenswerter als zuvor. 5.2.2 Beziehungstypen Einer der einflussreichsten theoretischen Ansätze zur Analyse von interpersonalen Beziehungen inklusive enger Beziehungen ist der Austausch- oder Interdependenzansatz (z.B. Thibaut & Kelley, 1959; Blau, 1964). Austausch- und Interdependenztheorien gehen davon aus, dass Menschen 112 Interpersonale Beziehungen soziale Beziehungen aufbauen, weil sie im Hinblick auf ihre Bedürfnisbefriedigung wechselseitig voneinander abhängig sind. Interpersonale Beziehungen dienen aus dieser Perspektive dem Aus- tausch individuell benötigter materieller, sozialer oder psychologischer Ressourcen. Ob Personen eine Beziehung aufnehmen, aufrechterhalten oder abbrechen, hängt vom Verhältnis des wahrge- nommenen Nutzens und der Kosten ab, die aus der Beziehung (bzw. dem Austauschprozess) für die Beteiligten resultieren. So wird beispielsweise angenommen, dass eine Beziehung dann auf- genommen oder fortgesetzt wird, wenn (a) der wahrgenommene Nutzen (die Bedürfnisbefriedi- gung) die wahrgenommenen Kosten (eigene Investitionen) übersteigt und (b) das Resultat über dem erwarteten Ergebnis der besten Beziehungsalternative liegt (z.B. der möglichen Beziehung zu einer anderen Person). Austausch- Wie Margaret Clark und ihr Kollege in einem umfangreichen Forschungspro- beziehungen vs. gramm herausgearbeitet haben, unterscheiden sich interpersonale Beziehun- Gemeinschafts- beziehungen gen bezüglich der Normen oder Prinzipien, nach denen das wechselseitige Ge- ben und Nehmen von Ressourcen erfolgt (z.B. Clark & Mills, 1993). Aufbauend auf ihren Untersuchungen differenzieren sie zwischen zwei Beziehungstypen: Austauschbeziehun- gen („exchange relationships“) und Gemeinschafts- (oder auch sozial motivierte) Beziehungen („communal relationships). In Austauschbeziehungen erwarten die Beziehungspartner, dass die Ressourcen, die sie dem Partner bereitstellen, vom Rezipienten durch die Bereitstellung vergleich- barer Ressourcen „bezahlt“ werden – das Geben und Nehmen orientiert sich am Gleichheitsprin- zip. Wenn eine Person einer anderen einen Gefallen tut, fühlt sich der Rezipient daher verpflichtet, diesen Gefallen in gleicher Weise zu erwidern. Jeder Partner achtet genau darauf, wie viel er vom Partner zurückbekommt, wenn er ihm etwas gegeben hat bzw. wie viel er seinerseits dem Partner für etwas schuldet, was er von ihm erhalten hat. Mit einer zunehmenden Intensivierung der emo- tionalen Bindung zwischen den Partnern verändern sich allerdings häufig die Regeln für den sozi- alen Austausch – die Beziehung nimmt den Charakter einer Gemeinschaftsbeziehung an. In Be- ziehungen dieses Typs gehen die Partner davon aus, jeder habe ein Interesse am Wohlergehen des anderen. Die Partner achten daher weniger darauf, was sie vom Beziehungspartner erhalten (oder was sie ihm schulden), sondern darauf, welche Bedürfnisse der andere hat – das Geben und Nehmen von Ressourcen orientiert sich am Bedürfnisprinzip. Die Beziehungspartner sind daher auch dann bereit, dem anderen etwas zu geben, wenn für sie absehbar ist, dass der andere dies nicht entsprechend erwidern kann. Idealtypische Beispiele für Austauschbeziehungen sind Beziehungen zwischen Fremden, Arbeits- kolleg*innen, Nachbarn oder Bekannten; idealtypische Beispiele für Gemeinschaftsbeziehungen sind enge Familienbeziehungen, Liebesbeziehungen oder eben auch enge Freundschaften. Die meisten Beziehungen lassen sich allerdings als Mischformen der beiden Beziehungstypen charak- terisieren, wobei eher der eine oder der andere Typ überwiegt. Der Wechsel von einer Austauschbeziehung zu einer Gemeinschaftsbeziehung markiert einen bedeutenden Wendepunkt in der Entwicklung interpersonaler Beziehungen. Mit zunehmender emotionaler Intensität der Beziehung wird im Hinblick auf den sozialen Austausch vom Gleich- heitsprinzip zum Bedürfnisprinzip übergegangen; aus einer Bekanntschaft entwickelt sich eine Freundschaft. Interpersonale Beziehungen 113 Ein wichtiger kommunikativer Faktor, der die emotionale Intensivierung interpersonaler Beziehun- gen fördert, ist der Grad an Selbstenthüllungen. Unter einer Selbstenthüllung versteht man die bewusste Bereitstellung von In- Selbstenthüllungen formationen über die eigene Person, die dem Kommunikationspartner ansons- ten nicht zugänglich sind. Selbstenthüllungen beinhalten Fakten über das eigene Leben, Denken und Fühlen. Die Wirkung von Selbstenthüllungen hängt mit dem Gefühl der Verpflichtung gegenüber dem Gleichheitsprinzip zusammen. Der Empfänger der Botschaft fühlt sich verpflichtet, die Selbstent- hüllung eines Kommunikationspartners mit einer ungefähr gleichwertigen persönlichen Informa- tion zu erwidern. Dadurch tauschen die Partner Schritt für Schritt persönlichere Informationen aus, was das gegenseitige Kennenlernen und den Aufbau wechselseitigen Vertrauens fördert (Alt- man & Taylor, 1973). Die genaue „Dosierung“ von Selbstenthüllungen ist allerdings ein sensibler Vorgang – ein überhöhtes Maß an Selbstenthüllungen in einer frühen Phase einer Beziehung kann, insbesondere wenn die offenbarten Inhalte gegen normative Erwartungen oder Konventio- nen verstoßen, zu Verunsicherung des Adressaten führen und die Entwicklung der Beziehung beeinträchtigen (z.B. wenn ein flüchtiger Bekannter unerwartet intime Probleme offenlegt). 5.3 Der Einfluss sozialer Beziehungen auf kognitive, emotionale und somatische Prozesse 5.3.1 Beziehungen und Gesundheit Eine Vielzahl von Studien, die der Frage nach dem Zusammenhang zwischen sozialen Beziehungen und individueller Lebensfreude nachgingen, kommen zu einem recht eindeutigen Ergebnis: Men- schen, die stärker sozial eingebunden sind, sind auch glücklicher (für einen Überblick z.B. Argyle, 1987; Myers & Diener, 1995). Viele dieser Untersuchungen befassten sich insbesondere mit ehe- lichen Beziehungen. So fand eine Metaanalyse von Wood und Kolleginnen (1989), dass verheira- tete Personen durchschnittlich zufriedener als unverheiratete Menschen sind. Da viele Studien ein korrelatives Design verwendeten, ist jedoch der kausale Zusammenhang zwischen Glück und Be- ziehungen keineswegs so eindeutig zu benennen. Nicht auszuschließen ist die Wirkung von drit- ten Variablen, die sowohl Einfluss auf das psychische Wohlergehen nehmen als auch auf Merk- male von Beziehungen. So beeinflussen z.B. auch genetische Prädispositionen das subjektive Wohlbefinden. Die Neigung zu eher guter oder schlechter Stimmung ist dann wieder mitverant- wortlich für Verhalten, das für die Aufnahme oder den Erhalt von Beziehungen eher förderlich oder eher hinderlich ist (Lykken & Tellegen, 1996). Die Existenz von dispositionellen Unterschieden bedeutet umgekehrt aber nicht, dass soziale Beziehungen selbst keinen Einfluss auf unser Wohl- befinden haben. So berichten Menschen in Gesellschaft unabhängig von ihrer genetischen Dispo- sition eine positivere Stimmung als Menschen, die allein sind. Eine Veränderung der Stimmung ist für die Zeit nach Verlassen oder Aufsuchen anderer Personen feststellbar (mit Hilfe der sogenann- ten „experience sampling“ Methode; Larson & Csikszentmihalyi, 1983). 114 Interpersonale Beziehungen Experience sampling method: Bei dieser Untersuchungsmethode werden Probanden gebe- ten, ihre Alltagsempfindungen in Echtzeit festzuhalten. So sollen z.B. Gefühle im Moment des Erlebens erfasst werden, nicht erst später aus der Erinnerung. Probanden tragen dazu immer ein Notizbuch bei sich, in dem auf jeder Seite eine Skala oder einige offene Fragen zu bearbei- ten sind, die das Erleben in der gegebenen Situation festhalten sollen. In unregelmäßigen Ab- ständen erhalten sie dann über den Tag oder einen längeren Zeitraum hinweg Signale (über eine programmierte Uhr o.ä.), die sie zum Verwenden des Notizbuches auffordern. Den positiven Effekten, die Beziehungen für unser Wohlergehen haben können, stehen auf der anderen Seite ausgeprägte negative Effekte entgegen. Diese können durch konflikthafte Bezie- hungen bedingt sein, durch die Auflösung einer Beziehung (Trennung, Tod des Partners usw.) oder durch das Erleben von Einsamkeit. Einsamkeit: Einsamkeit lässt sich als eine sowohl emotionale als auch kognitive Reaktion auf eine Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Anzahl sozialer Beziehungen und ihrer Qualität auf der einen Seite und der gewünschten Anzahl und Qualität auf der anderen Seite definieren. Menschen, die es vorziehen, allein zu sein und die Zurückgezogenheit suchen, fühlen sich nicht einsam (Burger, 1995). Ursachen für Einsamkeit können u. a. mangelnde soziale Fähigkeiten sein, oder aber der individuelle Bindungsstil (siehe nächster Abschnitt). Trainings und andere Interven- tionsformen können helfen, Kompetenzen in relevanten Bereichen interpersonaler Kommunika- tion aufzubauen. Neben Zusammenhängen zu Faktoren psychischer Gesundheit konnten große epidemiologische Studien auch Korrelationen zwischen sozialen Beziehungen und körperlicher Gesundheit nach- weisen. Diese Studien kamen übereinstimmend zu dem Schluss, dass eine stärkere Einbindung in soziale Netzwerke mit besserer Gesundheit und einer geringeren Sterblichkeitsrate assoziiert ist (für einen Überblick: Berkman, 1995). Diese Ergebnisse aus der Epidemiologie regten eine Reihe von Psycholog*innen dazu an, durch eigene Forschung zum Verständnis der für den beschrieb- enen Zusammenhang verantwortlichen Prozesse beizutragen. Dabei rückten strukturelle und funktionelle Merkmale sozialer Unterstützung in den Vordergrund. Während die Untersuchung struktureller Merkmale z.B. den Einfluss der Größe des sozialen Netzwerks auf die Gesundheit prüfte oder auch die Häufigkeit sozialer Kontakte, befasste sich die funktionale Analyse mit den Bedürfnissen und Zielen, die mit sozialen Beziehungen verknüpft sind. In diesem Zusammenhang konnten drei grundlegende Funktionen sozialer Unterstützung ausgemacht werden: 1. emotionale Unterstützung (Zuneigung, Intimität, Bindung, Wertschätzung usw.) 2. Unterstützung bei Bewertung und Entscheidungsfindung (Anleitung und Beratung, Informa- tionen, Feedback usw.) 3. instrumentelle Unterstützung (materieller oder finanzieller Beistand). Die negativen Folgen unzureichender Bedürfnisbefriedigung auf diesen Dimensionen für z.B. das Immunsystem wurden bereits dokumentiert (z.B. Uchino, Cacioppo, & Kiecolt-Glaser, 1996). Es werden aber noch weitere Untersuchungen nötig sein, bis die offene Frage beantwortet werden kann, wie stark der Einfluss einzelner sozialer Faktoren auf die Gesundheit wirklich ist. Interpersonale Beziehungen 115 5.3.2 Die mentale Repräsentation von Beziehungen Bereits in Kapitel 3 haben wir darauf hingewiesen, dass die individuelle Wahrnehmung der sozia- len Wirklichkeit von den Wissensstrukturen beeinflusst wird, die wir erworben haben, sowie von grundlegenden Bedürfnissen wie dem nach Konsistenz oder positiver Selbstbewertung. Auch Be- ziehungen sind Gegenstand der kognitiven Reflexion und Bewertung. Die erste Begegnung mit einer anderen Person generiert Erwartungen über den Interaktions- partner und über zukünftige Begegnungen mit dieser Person. Prozesse, wie die sich selbst erfül- lende Prophezeiung, bestätigen in der Folge die Erwartungen. Solche Erwartungen müssen nicht einmal auf eigenen Erfahrungen beruhen. Überlegen Sie einmal, wie viele Informationen Sie über eine andere Person im Vorfeld Ihres ersten Treffens mit ihr*ihm durch gemeinsame Freunde oder Bekannte erhalten. Ihr so erworbenes Wissen (unabhängig davon, ob es einen hohen Wahrheits- gehalt hat), wird in der Folge Ihre Aufmerksamkeit auf solche Hinweisreize und Verhaltensweisen Ihrer neuen Bekanntschaft lenken, die Ihre Erwartungen bestätigen. In der Erinnerung sind solche konsistenten Informationen später auch leichter zugänglich. Eindrücke über und Erfahrungen mit der anderen Person bilden den Kern für sogenannte Beziehungsschemata, die nach Baldwin (1992) drei Komponenten beinhalten: ein Selbst-Schema, das das Selbst in der betreffenden Interaktion oder Beziehung betrifft (wie man sich selbst wahrnimmt oder in der Situation erlebt) ein Partner-Schema, das die Eigenschaften des Beziehungspartners beschreibt ein Skript, das die erwartete Abfolge von Interaktionssequenzen enthält, die auf Grundlage von Interaktionen mit dieser Person in der Vergangenheit angelegt wurde (enthalten sind nicht nur beobachtbare äußerliche Verhaltensweisen, sondern auch Annahmen über den inneren Zustand von Selbst und Partner). Beziehungsschemata helfen dabei, das eigene Verhalten auf die andere Person abzustimmen und Vorhersagen über den wahrscheinlichen Ausgang einer Interaktion zu machen. Das Konzept des Beziehungsschemas spielt auch in der neueren Bindungsforschung eine wichtige Rolle. Ein Aus- gangspunkt neuerer Forschungsansätze ist die Unterscheidung unterschiedlicher Bindungsstile, wie sie von Ainsworth et al. (1978) zur Beschreibung der Bindung von Kleinkindern an ihre pri- mären Bezugspersonen beschrieben wurde. Ainsworth et al. (1978) unterschied zwischen drei Typen von Beziehungen: 1. sicherer Bindungsstil: Kinder mit diesem Stil zeigen großes Vertrauen zu ihrer Bezugsperson, haben keine Angst vor dem Verlassen werden und glauben, von Anderen gemocht und ge- schätzt zu werden 2. vermeidender Bindungsstil: Die Bezugspersonen dieser Kinder sind häufig abweisend und distanziert und reagieren entsprechend ablehnend auf Versuche der Kinder, ihnen nahe zu kommen. Infolgedessen vermeiden die Kinder weitere Versuche, intimen Kontakt herzustel- len. Sie lernen, ihr Bedürfnis nach Nähe zu unterdrücken. 3. ängstlich/ambivalenter Bindungsstil: Kinder mit diesem Stil sind überdurchschnittlich ängstlich und um die Qualität ihrer Bindung besorgt. Die Bezugspersonen dieser Kinder sind 116 Interpersonale Beziehungen im Ausdruck ihrer Zuneigung inkonsistent, so dass die Kinder nur schwer vorhersagen lernen, welche Reaktion auf den Versuch einer Annäherung folgen wird. Die ursprünglich von Ainsworth et al. (1978) vorgeschlagenen Bindungsstile wurden zunächst nur im Kontext der Beziehung zwischen Kleinkindern und einer primären Bezugsperson untersucht. Hazan und Shaver (1987) vertraten die Auffassung, dass romantische Beziehungen viele derselben Funktionen erfüllen, die in der Kindheit von der Beziehung des Kindes zur Bezugsperson erfüllt wurden, so dass die drei Bindungsstile nach Ainsworth et al. (1978) auch für die Beschreibung von Beziehungen zwischen Erwachsenen herangezogen werden könnten. Im Rahmen eines Fra- gebogens über Einstellungen zur Liebe, den sie in einer Zeitung veröffentlichten, baten Hazan und Shaver darum, sich für eine Aussage zu entscheiden, die am besten die eigene Liebesbeziehung beschreibt. Für jeden der drei Bindungsstile war eine entsprechende Aussage formuliert worden. Die Verteilung der Teilnehmenden über die drei Kategorien ist in Tabelle 5.1 angegeben und konnte auch in einer späteren Untersuchung noch einmal gefunden werden (Mickelson, Kessler, & Shaver, 1997). Befragte Personen mit einem sicheren Bindungsstil berichteten, befriedigende Beziehungen zu haben, die sie selbst als glücklich, freundlich und von gegenseitigem Vertrauen geprägt beschrieben. Demgegenüber fürchteten Menschen mit vermeidendem Stil Intimität und brachten die Überzeugung zum Ausdruck, dass romantische Liebe zum Scheitern verurteilt sei. Partner mit einem ängstlichen Stil berichteten ein Liebesleben voller emotionaler Höhen und Tie- fen. Sie beschäftigten sich gedanklich ausgiebig mit der Beziehung, entwickelten eine vergleichs- weise sehr hohe Bereitschaft, sich langfristig zu binden und erlebten immer wieder Episoden ex- tremer Hingabe und Eifersucht. Bindungsstile sind über die Zeit veränderbar. Sie unterliegen dem Einfluss von Erfahrungen und Erlebnissen, die Menschen in ihren aktuellen oder vergangenen Be- ziehungen gemacht haben. So konnte z.B. eine Untersuchung von Kirkpatrick und Hazan (1994) zeigen, dass 30% der Teilnehmenden einer früheren Studie nach vier Jahren einen anderen Be- ziehungsstil pflegten. Interpersonale Beziehungen 117 Tabelle 5.1: Bindungsstile bei Erwachsenen (Hazan & Shaver, 1987). Übersetzung durch den Autor. Frage: Welche der folgenden Beschreibungen kommt Ihren eigenen Gefühlen am nächsten? Antworten Sicher 56% Es fällt mir relativ leicht, anderen Menschen nahe zu kommen. Ich habe keine Prob- leme damit, mich auf andere zu verlassen oder damit, dass andere sich auf mich ver- lassen. Ich habe nur selten Sorge, verlassen zu werden oder dass mir jemand zu nahe kommt. Vermeidend 25% Mir ist etwas unbehaglich, wenn ich anderen sehr nahe bin. Es fällt mir schwer, ihnen vollständig zu vertrauen oder mich selbst auf andere einzulassen. Ich werde nervös, wenn mir jemand zu nahe kommt. Oft ist es auch so, dass meine Partnerin/mein Part- ner sich mehr Intimität von mir wünscht, als ich geben kann. Ängstlich 19% Ich habe das Gefühl, dass Andere zögern, mir so nahe zu kommen, wie ich es gern hätte. Ich sorge mich häufiger, dass meine Partnerin/mein Partner mich nicht richtig liebt oder nicht mit mir zusammenbleiben will. Ich möchte eins mit meinem Partner sein und dieser Wunsch schreckt die Menschen manchmal ab. 5.4 Liebesbeziehungen 5.4.1 Partnerwahl Gegenseitige Attraktion führt nicht automatisch zu einer Liebesbeziehung (oder intimen Bezie- hung; in der englischsprachigen Literatur ist häufig auch die Rede von romantischen Beziehungen, romantic relationships). Die unter 5.2.1 beschriebenen Faktoren zur Förderung interpersonaler Attraktion können Sie einzeln oder auch alle zusammen bei einem guten Freund oder einer guten Freundin beobachten, bei einem Nachbarn, mit dem Sie sich gelegentlich auf der Straße unterhal- ten oder einer Kollegin, mit der Sie sich einfach besser verstehen als mit den anderen Personen im Büro. Gibt es also zusätzliche Hinweisreize oder Merkmale, die wir bei der Wahl eines potentiellen Sexualpartners beachten? Forschende, die sich mit dieser Frage beschäftigten, stellten fest, dass Frauen und Männer gleich- ermaßen solche Partner in Liebesbeziehungen bevorzugen, die ihnen selbst sehr ähnlich sind (der aus der Biologie entlehnte Begriff der „positiven assortativen Paarung“ wird mitunter in der Lite- ratur verwendet, um diesen Umstand zu beschreiben). Den Aspekt der Ähnlichkeit finden wir hier also genauso wie bei allen anderen Beziehungsformen. So berichtet Buss (1985) eine Reihe von Merkmalsdimensionen, für die der Zusammenhang zwischen romantischen Partnern besonders hoch war: Alter, Bildung, Religion und ethnischer Hintergrund. Man muss hier aber einschränkend anmerken, dass das soziale Umfeld einer Person von dieser aktiv mitgestaltet wird und damit die 118 Interpersonale Beziehungen Gruppe potentieller, verfügbarer Sexualpartner beinahe ausschließlich aus Personen besteht, die einander in Hinblick auf eine oder mehrere Dimensionen ähneln. Trotz vieler Gemeinsamkeiten gibt es auch einige bemerkenswerte Unterschiede zwischen den Geschlechtern, wenn es um die Frage geht, was einen potentiellen Partner besonders interessant macht. Buss (1989) bat insgesamt 10047 Frauen und Männer aus 37 Ländern darum, eine Reihe von Eigenschaften nach ihrer Wichtigkeit bei der Wahl eines Sexualpartners zu bewerten und zu ordnen. Während vielen Eigenschaften von beiden Geschlechtern eine ähnliche Bedeutsamkeit beigemessen wurde, waren Männern Attribute wie „gutes Aussehen“ und „sexuell unerfahren“ wichtiger als den befragten Frauen. Umgekehrt waren den weiblichen Teilnehmerinnen z.B. „gute finanzielle Aussichten“ und „Ehrgeiz und Fleiß“ wichtiger als den Männern. Wie lassen sich solche Unterschiede erklären? Buss und auch andere (z.B. Trivers, 1972) beantworten diese Frage mit dem Wirken evolutionärer Prozesse. Dieser evolutionspsychologische oder auch soziobiologische Ansatz geht davon aus, dass Männer und Frauen sich naturbedingt hinsichtlich ihrer optimalen Partnerselektionsstrategien unterscheiden müssen. Frauen müssten demnach hoch selektiv vorge- hen, da sie gewissen biologischen Begrenzungen unterliegen, wenn es darum geht, wie viele Kin- der sie in ihrem Leben gebären und aufziehen können. Ein geeigneter Sexualpartner sollte daher die nötigen Ressourcen besitzen und die Bereitschaft zeigen, diese Ressourcen für gemeinsame Nachkommen einzusetzen. In der Folge sollten Frauen von finanziell abgesicherten, älteren Män- nern angezogen werden oder aber von solchen potentiellen Partnern, die Intelligenz, Ehrgeiz und andere Eigenschaften besitzen, welche prädiktiv für zukünftigen beruflichen Erfolg sind. Männer sind dagegen in der Zahl ihrer potentiellen Nachkommen kaum begrenzt und können ihren Re- produktionserfolg durch Geschlechtsverkehr mit vielen Frauen sichern. Voraussetzung sind dabei fruchtbare Sexualpartner und die relative Sicherheit, dass die Neugeborenen tatsächlich die eige- nen Erbinformationen in sich tragen. Demnach sollten Männer insbesondere an jungen, attrakti- ven Frauen interessiert sein – also an Eigenschaften, die Gesundheit und Fruchtbarkeit signalisie- ren. Zudem sollten diese Frauen mit hoher Wahrscheinlichkeit sexuell treu sein. Wie Sie sehen, sind die Ergebnisse der Studie, die wir weiter oben beschrieben haben, konsistent mit diesen An- nahmen. Auch die vorhergesagten Unterschiede in der Alterspräferenz konnte Buss mit seinen Daten belegen. Männer beschrieben ihre Wunschehefrau als durchschnittlich 2,7 Jahre jünger als sie selbst, Frauen bevorzugten Männer, die durchschnittlich 3,4 Jahre älter waren. Die Diskussion um diese neue Sicht auf das Phänomen der Partnerwahl wurde kontrovers und heftig geführt. Gegnerische Parteien dieser Perspektive versuchten mittels alternativer Erklärungen die Befunde von Buss und anderen Vertretern soziobiologischer Ideen zu entkräften. So verwies Alice Eagly (1987) auf die Bedeutung sozialer Strukturen für Geschlechtsunterschiede im Verhalten. Sie legte dar, dass die sozialen Positionen, die Frauen und Männer in einer Gesellschaft einnehmen können, zu unterschiedlichen Rollenerwartungen geführt haben, die an Frauen und Männer herangetra- gen werden. Frauen verfügen in der Regel über weniger Status und Macht als Männer. Weiterhin stehen ihnen weniger Ressourcen zur Verfügung. Noch immer ist eine regelrechte Arbeitsteilung üblich, nach der die Frau häusliche Aufgaben verrichtet und der Mann als „Brötchenverdiener“ agiert. Selbst in westlichen Ländern, wie Deutschland oder den USA, wo Frauen häufig auch selbst einer bezahlten Arbeit nachgehen, gibt es Unterschiede in den Gehältern, die Frauen und Män- nern ausgezahlt werden. Zudem scheinen gewisse Berufsbilder fast ausschließlich männlich ge- Interpersonale Beziehungen 119 prägt, während andere wiederum eher weiblich dominiert sind. Eaglys Analysen zufolge entwi- ckelten Frauen und Männer unterschiedliche Kompetenzen, um die ihnen zugewiesenen gesell- schaftlichen Aufgaben optimal bewältigen zu können. Dazu gehört auch ein entsprechend ange- passtes Verhaltensrepertoire. Das Verhalten wird dabei von Geschlechtsrollenbildern beeinflusst, sozialen geteilten Vorstellungen darüber, über welche erwünschten Eigenschaften und Fähigkei- ten Frauen oder Männer verfügen sollten. Diese Bilder wirken im Sinne von Geschlechtsstereoty- pen und damit verbundenen Verhaltenserwartungen von außen auf uns ein. Sie werden aber ebenso auch internalisiert und zu einem festen Teil des individuellen Selbstkonzeptes (Kapitel 6). Eagly schlussfolgerte, dass Geschlechtsunterschiede im Verhalten vor dem Hintergrund dieser The- orie eher die jeweiligen gesellschaftlichen Zustände widerspiegeln, als dass sie Schlüsse auf biolo- gische Prädispositionen zuließen. Bei der Partnerwahl seien Frauen und Männer daran interessiert, einen Partner zu finden, dessen Kompetenzen ihre eigenen ergänzen, insbesondere in Bereichen, die aufgrund der gesellschaftlichen Rollenerwartungen für das eigene Geschlecht nur einge- schränkt zugänglich sind. Wenn also gesellschaftliche Erwartungen und soziale Macht- und Sta- tusstrukturen für Geschlechtsunterschiede bei der Partnerwahl verantwortlich sind, so sollte ge- sellschaftlicher Wandel auch Veränderungen bei den Partnerpräferenzen mit sich bringen. Dieser Überlegung gingen Eagly und Wood (1999) nach, indem sie die Daten von Buss (1989, siehe oben) noch einmal analysierten. Sie verwendeten dabei zusätzliche Maße, die Aussagen über die Gleichstellung von Männern und Frauen in den jeweiligen Ländern erlaubten und korrelierten diese Maße mit den Partnerpräferenzen, die Frauen und Männer angegeben hatten. Wie sich zeigte, verringerten sich die Unterschiede zwischen den Präferenzen von Männern und Frauen mit zunehmender Gleichstellung der Geschlechter. Die Diskussion über die Stärke des Einflusses biologischer und gesellschaftlicher Determinanten bei der Partnerwahl hält an. Die Schwierigkeit besteht letztlich darin, kulturelle Einflüsse und evo- lutionäre Einflüsse zu trennen, um so ein klareres Bild von der tatsächlichen Bedeutung evolutio- närer Faktoren zu erhalten. 5.4.2 Liebe Können Sie beschreiben, was Liebe ist? Fraglos ist die Liebe ein komplexes und facettenreiches Phänomen, das nicht so einfach erklärt, geschweige denn verstanden werden kann. Einer der ersten Ansätze zur Erklärung, demzufolge Liebe letztlich nur eine stärkere Form gegenseitiger Attraktion sei, konnte nicht beibehalten werden, nachdem gezeigt werden konnte, dass Liebe und Zuneigung als zwei unabhängige Dimensionen messbar waren (Rubin, 1973). Jemanden sehr zu mögen bedeutet nicht gleichsam, sie oder ihn zu lieben. Dies bedeutet aber auch, dass Liebe und gegenseitige Zuneigung nicht dieselben Ursachen haben müssen. Wie relativ jung der For- schungsbereich „Liebe“ wirklich ist, wird vielleicht am besten dadurch verdeutlicht, dass es bisher noch keine einheitliche, von allen Forschenden akzeptierte Konzeption darüber gibt, was Liebe ausmacht. Folglich bietet die Literatur eine ganze Reihe von Taxonomien, die sich dem Forschungs- gegenstand annähern. Fehr und Russel (1991) baten die Teilnehmenden an ihrer Studie darum, alle Varianten der Liebe zu notieren, die ihnen einfielen. Beachtliche 93 Arten der Liebe wurden so zusammengetragen, 120 Interpersonale Beziehungen von denen die „mütterliche Liebe“ von den Teilnehmenden als die für den Begriff „Liebe“ ty- pischste bewertet wurde, dicht gefolgt von der Liebe von Eltern zu ihrem Kind, romantischer Liebe usw. Die Autor*innen stellten fest, dass die Definition von Liebe in unserer Alltagssprache komplex sei und obendrein unscharf in der Abgrenzung zu anderen, ähnlichen Erfahrungen. Diese Studie illustriert somit noch einmal, wie schwierig es sein kann, Kategorien oder Klassen der Liebe zu definieren. Ein verbreitetes Klassifikationssystem der Liebe wurde von John Alan Lee vorgeschlagen (1973). Es war das Ergebnis umfassender Analysen von romantischer Prosa sowie eines komplexen Inter- viewverfahrens. Nach Lee lassen sich drei primäre Liebes-Stile unterscheiden: Zum einen Eros, ein leidenschaftlicher, erotischer Stil, dann Ludus, ein Stil bei dem die Liebe als ein Spiel verstanden wird, das mit mehreren Partnern, auch zur selben Zeit, gespielt werden kann; dieser Stil zeichnet sich durch eine gewisse Unaufrichtigkeit gegenüber dem*der Partner*in aus und durch niedrige Selbstverpflichtung gegenüber der Beziehung. Als drittes Storge, ein kameradschaftlicher, ruhiger Stil, der Liebe als Freundschaft darstellt. Durch Vermischung dieser Primär-Stile ergeben sich noch drei weitere sekundäre Stile: Pragma (ein pragmatischer, kühl kalkulierender Stil), Agape (ein auf- opfernder Stil, der das Wohl der liierten Person über das eigene Wohl stellt) und Mania (intensiver, schmerzhafter, geradezu obsessiver Stil). Lees Taxonomie hat eine Reihe von Untersuchungen an- gestoßen, die Zusammenhänge zwischen den Liebes-Stilen und Persönlichkeitseigenschaften, so- wie Einstellungen zur Sexualität und demografischen Variablen wie Geschlecht und Kultur be- trachteten (für einen Überblick: Hendrick & Hendrick, 2006). Männer erreichen z.B. im Vergleich zu Frauen höhere Werte in Ludus, während Frauen höhere Werte in Storge, Mania und Pragma erzielen. Sternberg (1986; 1987) unternahm den Versuch, die Dimensionen zu identifizieren, die den mit Liebe assoziierten Gefühlen und Kognitionen zugrunde liegen. Seiner Taxonomie zufolge können unterschiedliche Varianten (oder „Spielarten“) von Liebe durch die jeweils unterschiedliche Kom- bination dreier basaler Komponenten erklärt werden: Intimität, Leidenschaft und Bindung. Intimi- tät steht in diesem Modell für Zuneigung und für Wohlwollen und Verbundenheit gegenüber der Partnerin oder dem Partner. Indikatoren für eine intime Beziehung sind z.B. gegenseitige emotio- nale Unterstützung oder der Wunsch, das Wohlergehen der Partnerin oder des Partners zu för- dern. Demgegenüber steht Leidenschaft als eine Art Motor für Romantik, physische Anziehung und sexuelle Handlungen. Die Bindungskomponente entspricht der kognitiven Entscheidung, eine andere Person zu lieben und der langfristigen Festlegung auf eine Beziehung. Sternberg spricht daher auch von Intimität als der warmen Komponente, von Leidenschaft als der heißen Kompo- nente und von Bindung als der kalten Komponente. Die Abbildung 5.1 gibt eine Übersicht über die resultierenden acht Varianten der Liebe. Es ist zu beachten, dass es sich bei diesen Varianten um Idealtypen handelt. In der Realität basieren Liebesbeziehungen nicht selten auf Mischformen, da die Komponenten dieses Modells unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. Interpersonale Beziehungen 121 Intimität (Mögen – nur Intimität) Romantische Liebe Kameradschaftliche Liebe (Intimität + Leidenschaft) (Intimität + Verbindlichkeit) Vollzogene Liebe (Intimität + Leidenschaft + Verbindlichkeit) Leidenschaft Verbindlichkeit (Vernarrtheit – nur Leidenschaft) (leere Liebe– nur Verbindlichkeit) Einfältige Liebe (Leidenschaft + Verbindlichkeit) Abbildung 5.1: Dreieck der Liebe (nach Sternberg, 1987). Zu Beginn haben wir darauf hingewiesen, dass Liebe und Zuneigung offenbar verschiedene Re- aktionen auf eine soziale Beziehung darstellen. Elaine Hatfield (1988) macht daher eine ganz grundlegende Unterscheidung zwischen zwei Formen der Liebe; der leidenschaftlichen Liebe ei- nerseits und der kameradschaftlichen Liebe andererseits. Leidenschaftliche Liebe ist demzufolge ein intensiver emotionaler und oft auch erotischer Zustand, geprägt durch erhöhte physiologische Erregung und die Überzeugung, dass diese Erregung durch die Person verursacht wurde, der die Liebe gilt. Aber wie sicher können wir sein, dass eine Partnerin oder ein geheimnisvoller Unbe- kannter in der Disco tatsächlich für diese Erregung verantwortlich sind? Herzklopfen, Schweißaus- brüche oder weiche Knie könnten auch andere Ursachen als einen plötzlichen Schub romantischer Leidenschaft haben. Zillmann (1984) spricht provokativ von einer Missattribution. Missattribution: Hier ein Erregungstransfer, bei dem die durch einen ersten Stimulus hervor- gerufene Erregung auf einen zweiten Stimulus transferiert wird (z.B. eine attraktive Person), so dass dieser zweite Stimulus fälschlicherweise als Ursache wahrgenommen wird. Einige einfallsreiche Experimente sind zu dieser Überlegung durchgeführt worden. In einer Feld- studie (Dutton & Aron, 1974) wurden männliche Spaziergänger gebeten, einen kurzen Fragebo- gen zu beantworten, nachdem sie kurz zuvor eine von zwei Brücken überquert hatten. Eine davon war breit, stabil gebaut und dicht über dem Wasser errichtet. Dann gab es noch eine Hängebrü- cke, schmal und wackelig, die etwa 70 Meter über den Stromschnellen aufgespannt war. Nach der Befragung erhielten die Versuchspersonen von der Person, die die Befragung durchführte, noch eine Telefonnummer, unter der sie sie für weitere Nachfragen erreichen konnten. Männer, die die Hängebrücke überquert hatten, wählten diese Nummer im Laufe der nächsten Tage häu- figer als Männer, die die sichere Brücke genommen hatten, allerdings nur dann, wenn sie die Nummer von einer attraktiven jungen Frau erhalten hatten. Auch andere Studien konnten zeigen, dass körperliche Erregung oder Anstrengung emotionale Reaktionen intensivierte (z.B. White, 122 Interpersonale Beziehungen Fishbein, & Rutstein, 1981). Diese Ergebnisse scheinen auch die Alltagsbeobachtung zu bestäti- gen, dass sich Menschen scheinbar mit Vorliebe in schwierigen, turbulenten Zeiten verlieben. Nicht immer ist die Beziehung zwischen Stimulus und Erregung mehrdeutig, insbesondere bei Gefühlen sexueller Anziehung und Leidenschaft. Viele Menschen würden wohl zustimmen, dass Sexualität dieser Liebesform doch überhaupt erst das Leidenschaftliche verleiht. Als Berscheid und Meyers (1996) Studierende darum baten, Listen über die Menschen anzufertigen, die sie liebten, in die sie verliebt waren und von denen sie sich sexuell angezogen fühlten, ergab sich eine Über- einstimmung von 85% zwischen der zweiten und dritten Liste, aber nur von 2% zwischen der ersten Liste und der dritten. Leidenschaftliche Liebe ohne Sex also undenkbar? Und was ist mit Heirat? „Stellen Sie sich vor, ein Mann oder eine Frau hätte alle anderen Eigenschaften, die Sie sich wünschen, würden Sie diese Person heiraten, obwohl Sie nicht in sie verliebt sind?“ Diese Frage beantworteten 1967 35% der befragten Männer und 76% der Frauen mit ja. 20 Jahre später bejahten dies noch 14% der Männer und 20% der Frauen (Simpson, Campbell, & Ber- scheid, 1986). Was ist nun andererseits kameradschaftliche Liebe? Hatfield (1988) beschreibt sie als eine part- nerschaftliche Beziehung, die durch Sicherheit, Vertrauen und Stabilität geprägt ist. Damit ist diese Form der Liebe dem Konstrukt der Zuneigung sehr ähnlich, das sowohl zwischen eng befreunde- ten Personen als auch bei Liebespaaren vorkommt. Im Vergleich zur leidenschaftlichen Liebe ist kameradschaftliche Liebe weniger intensiv, dafür aber anhaltender (Sprecher & Regan, 1998). Prägend für kameradschaftliche Liebe ist ein hohes Maß an Selbstenthüllung (siehe Kap. 5.2.2). Im Verlauf einer Beziehung werden zunächst eher oberflächliche Informationen ausgetauscht. Vertieft sich die Beziehung, werden auch die Selbstenthüllungen intimer. Das gegenseitige Ver- trauen, das sich die Beziehungspartner entgegenbringen, lässt sich unter anderem auch daran ablesen, dass Menschen mit zunehmender Nähe in der Beziehung weniger häufig auf (Not-)Lügen zurückgreifen (DePaulo & Kashy, 1998). Nicht alle Menschen neigen gleichermaßen dazu, ihre intimsten Gedanken mit anderen zu teilen. Zumindest in westlichen Kulturen ist die Tendenz zur Selbstenthüllung bei Frauen stärker ausgeprägt als bei Männern (Dindia & Allen, 1992). Folglich bewerteten Frauen aus diesem Kulturkreis Freundschaften zu anderen Frauen auch höher als Män- ner ihre gleichgeschlechtlichen Freundschaften. Dieser Geschlechtsunterschied konnte in einer chinesischen Stichprobe nicht gefunden werden (Wheeler, Reis, & Bond, 1989). 5.5 Erhalt und Auflösung von Beziehungen 5.5.1 Stabilität von Beziehungen Investitionsmodell Im Mittelpunkt der Forschung zur Stabilität von Beziehungen standen sehr häu- fig Liebesbeziehungen oder Ehen. Anders als bei z.B. freundschaftlichen Bezie- hungen lässt sich bei diesen Beziehungsformen ein Auflösungszeitpunkt relativ klar definieren, ab dem die Beziehung nicht länger aufrechterhalten wird. Ein prominentes Modell, das erklärt, was Menschen zur Aufrechterhaltung ihrer Beziehung motiviert (bzw. wann Beziehungen scheitern), ist das Investitionsmodell von Caryl Rusbult (z.B. Rusbult, Olsen, Davis, & Hannon, 2001). Das Interpersonale Beziehungen 123 Modell beruht auf einer Erweiterung klassischer austauschtheoretischer Überlegungen. Im Mittel- punkt des Modells steht das Konzept des „Commitment“ gegenüber einer bestehenden Bezie- hung. Commitment: Die innere Festlegung auf eine Beziehung. Commitment bein- Commitment haltet die Absicht, die Beziehung aufrechtzuerhalten (Verhaltenskompo- nente), ein Gefühl der affektiven Bindung an die Beziehung (emotionale Komponente) und die Orientierung, sich und den Beziehungspartner auch zukünftig als Paar zu sehen (kognitive Komponente). Rusbult zufolge hängt die Stärke des Commitment von drei unabhängigen Faktoren ab: Zufriedenheit: Das Commitment gegenüber einer Beziehung ist umso stärker, je zufriedener die Person mit der Beziehung ist. Die Beziehungszufriedenheit resultiert wiederum aus einer Vielzahl von unterschiedlichen Prozessen (z.B. der Intensität positiver Gefühle für den Partner). Diese Prozesse und die zugrundeliegenden Variablen sind nicht stabil in ihrer Wirksamkeit. Prädiktoren, die die gegenwärtige Zufriedenheit mit einer Beziehung gut vorhersagen konn- ten, stellten sich teilweise als eher schwache Prädiktoren für zukünftige Zufriedenheit heraus (z.B. Markman, 1979; Smith, Vivian, & O’Leary. 1990). Alternativen: Das Commitment gegenüber einer Beziehung sinkt, wenn die Person attraktive Alternativen zur bestehenden Beziehung wahrnimmt. Diese können beispielsweise darin be- stehen alleine oder in einer anderen Partnerschaft zu leben (Buunk ,1987). Investitionen: Unter Investitionen werden Faktoren verstanden, die unmittelbar mit der Be- ziehung verknüpft sind und dadurch die Beendigung einer Beziehung kostspielig machen. Wenn Menschen eine Beziehung oder Partnerschaft aufbauen, investieren sie einerseits Res- sourcen (Zeit, Energie, Geld, Emotionen), andererseits produzieren sie gemeinsam genutzte Ressourcen (gemeinsame Erinnerungen, Besitztümer, soziale Beziehungen). Hohe Investitio- nen und eine Vielzahl an geschätzten gemeinsamen Ressourcen erhöhen das Commitment gegenüber der Beziehung unabhängig von der Höhe der Zufriedenheit oder der Qualität der Ressourcen, da sie die Kosten des Beendens der Beziehung steigern. Die Bedeutung dieser drei Faktoren – Zufriedenheit, Alternativen und Investitionen für die Stärke des Commitment – und darüber vermittelt, die Stabilität oder Instabilität von Beziehungen, wird durch eine Vielzahl von empirischen Untersuchungen unterstützt (z.B. Rusbult & Buunk, 1993). 5.5.2 Beziehungskonflikte Mag eine Beziehung auch noch so stabil sein, es ist wohl unausweichlich, dass Partner hin und wieder uneins sind und in Streit miteinander geraten. Kommunikationsprobleme sind dabei nicht nur häufige Ursache für Konflikte, sondern können auch der Lösung des Problems im Wege ste- hen. Es wundert daher nicht, dass Schwierigkeiten in der Kommunikation zu den am häufigsten genannten Gründen für Trennungen gehören (Sprecher, 1994). Was aber ist das genau, schlechte Kommunikation? Zwei Kommunikationsmuster scheinen besonders häufig in gestörten Beziehun- gen aufzutreten. 124 Interpersonale Beziehungen 1. Reziprozität negativer Affektivität (negative affect reciprocity): Dieses Muster folgt ei- nem tit-for-tat Prinzip (Gleiches mit Gleichem), bei dem jeder Ausdruck negativen Affekts durch eine ähnlich emotionale Verhaltensreaktion beantwortet wird. Diese Form emotionaler Reziprozität ist nicht auf Paare in Konfliktsituationen beschränkt, allerdings ist sie bei solchen Paaren besonders stark ausgeprägt. Das geht soweit, dass positives Verhalten wie ein Lächeln geradezu übersehen wird, während auf jedes Stirnrunzeln und jeden verzogenen Mundwinkel eine scharfe Reaktion folgt (Gottman & Levenson, 1988). 2. Mitteilungsbedürfnis / Rückzugs-Interaktionsmuster (demand / withdraw interaction pattern): Diesem Muster liegen geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Reaktion auf Konflikte zugrunde. Frauen sind dabei gewöhnlich expressiver als Männer und berichten auch intensivere Emotionen (Grossman & Wood, 1993). Bei Beziehungsproblemen äußern Frauen daher verstärkt den Wunsch, die Situation mit ihrem Partner zu diskutieren und ihre Gefühle zu verbalisieren. Da Männer eher dazu neigen, sich zurückzuziehen und Probleme zu rationa- lisieren, wird der Wunsch der Partnerin oft nicht erfüllt, was zu Frustrationen und dem Gefühl, nicht verstanden zu werden, führen kann. Per se sind beide Strategien weder besser noch schlechter geeignet, um mit einer Konfliktsituation umzugehen, das Problem entsteht hier aus der Diskrepanz zwischen den Strategien. Neben der Kommunikation werden auch andere psychologische Prozesse von der Qualität der Beziehung mit beeinflusst. Abhängig davon, ob sie eher zufrieden oder unzufrieden mit ihrer Be- ziehung sind, neigen Menschen zu verschiedenen Attributionsmustern (Bradbury & Fincham, 1992). Partner in einer glücklichen Beziehung tendieren zu beziehungsdienlichen Attributionen. Unerwünschtes Verhalten des Partners wird dabei eher durch situationale Faktoren erklärt, es wird als vorübergehende Laune beschrieben oder auf einen überschaubaren Bereich eingegrenzt. Um- gekehrt wird wünschenswertes Verhalten der Persönlichkeit des Partners zugeschrieben, es wird als zeitlich relativ stabil eingeschätzt und erscheint auf andere Bereiche der Beziehung generali- sierbar. Durch beziehungsdienliche Attributionen kann somit das Schlechte minimiert und das Gute maximiert werden. Für unglückliche Paare stellt sich das Muster genau andersherum dar, man spricht hier von distress-maintaining attributions, also Attributionen, die die Spannungen zwischen den Partnern erhalten, statt sie abzubauen. Positives Verhalten wird dabei eher external und instabil attribuiert, negatives Verhalten eher internal und stabil. 5.5.3 Trennung Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass sich die Beziehungsforschung nicht nur der Suche nach Bedingungen und Prozessen widmet, die das Entstehen von Beziehungen erklären, sondern ebenso sehr daran interessiert ist, warum Beziehungen sich wieder auflösen. Wir haben auch schon betont, dass Beziehungen die menschliche Gesundheit sowohl positiv als auch äußerst ne- gativ beeinflussen können. Unter diesem Gesichtspunkt und vor dem Hintergrund des gesell- schaftlichen Wandels, der sich z.B. auch durch stark erhöhte Scheidungsraten im Vergleich zu vergangenen Jahrzehnten ausdrückt, hat die Forschung zur Auflösung von Beziehungen neuen Aufschwung erhalten. Erneut standen auch hier insbesondere eheliche Beziehungen im Vorder- grund. Die Aufmerksamkeit galt dabei sowohl den Auswirkungen einer Scheidung auf das Wohl- ergehen von Kindern, die aus der Ehe hervorgegangen sind, andererseits aber auch den Eheleuten Interpersonale Beziehungen 125 selbst. Auch wenn diese Untersuchungen nicht frei von methodischen Schwächen waren (wir ha- ben bereits auf die Nachteile von rein korrelativen Designs hingewiesen) lässt sich festhalten, dass sich Scheidung stark negativ auf das Wohlergehen der Kinder (Amato & Keith, 1991) auswirkt und auch für die Geschiedenen selbst eine verminderte Gesundheit (körperlich wie psychisch) festgestellt werden konnte. Unklar bleibt jedoch, ob die Scheidung selbst als Stressor für die ne- gativen Effekte ursächlich ist, oder ob diese eher auf die Abwesenheit von ehelichen Nutzenfak- toren zurückzuführen sind, die Geschiedenen nicht mehr zugänglich sind. Interessant ist der Be- fund, dass Geschiedene auch nachdem sie erneut geheiratet haben eine höhere Sterblichkeitsrate haben als Personen, die sich in einer stabilen Ehe befinden. Allerdings geht es ihnen besser als den Menschen, die nach der Scheidung Single bleiben (Hemstrom, 1996). Diesen Effekt auf die Gesundheit kann man sicherlich zum Teil durch das Ausbleiben der positiven Auswirkungen sozi- aler Unterstützung (Kap. 5) und das gleichzeitige Auftreten zusätzlicher Stressoren erklären (einer Scheidung folgen häufig hoch belastende Auseinandersetzungen, z.B. über das Sorgerecht). Neu- ere Untersuchungen differenzieren und relativieren den Befund von Hemstrom, indem sie weitere Faktoren bei der Trennung mitberücksichtigen. Linda Waite und ihre Kolleginnen (2009) gingen z.B. der Frage nach, ob sich das Wohlbefinden unglücklich Verheirateter nach einer Trennung nicht eher verbessert. Ebenso interessierte sie, wie lange der negative Effekt für das Wohlbefinden nach einer Trennung anhält und ob es geschlechtsspezifische Effekte gibt. Die soziale Kognitionsforschung hat sich auch mit der mentalen Repräsentation der Scheidung bei den Betroffenen auseinandergesetzt. Personen, die retrospektiv zu ihrer Trennung befragt wur- den, sahen sich selbst mehrheitlich in der aktiven Rolle. Sie gaben also an, die Trennung im Ver- gleich zu ihrem Partner gewollt zu haben. Dieses Erinnerungsmuster ist relativ stabil über die Zeit. Gray und Silver (1990) berichten, dass die Befragten auch noch nach drei Jahren an dieser Version festhielten. Zudem nahmen sich jeweils beide Ex-Partner eher in der Rolle des Opfers wahr. Die individuelle Wahrnehmung, selbst aktiv die Scheidung herbeigeführt zu haben, wird mit dem Be- dürfnis nach Kontrolle assoziiert. In der genannten Untersuchung war diese Kontrollüberzeugung mit weniger Bedauern, weniger psychologischem Distress und einer besseren Bewältigung der Situation korreliert. Während einige Beziehungen absichtlich und willentlich aufgelöst werden können, stellt auf der anderen Seite der Tod eines Partners die häufigste Ursache für ein unfreiwilliges Beziehungsende dar. Die empirische Forschung auf diesem Gebiet sah sich dabei nicht nur methodischen Heraus- forderungen, sondern auch unzähligen tradierten Überzeugungen und Laientheorien gegenüber. Die weitverbreitete Annahme, dass ein Trauerfall tiefgreifende und womöglich andauernde psy- chologische Belastungen und Gesundheitsschädigungen mit sich bringt, wurde besonders gründ- lich erforscht. Stroebe und Stroebe schlagen in einem Überblicksartikel zu diesem Thema (1993) die folgende Verlaufsbeschreibung emotionaler und physischer Reaktionen im Anschluss an einen Todesfall vor: Die Zeit unmittelbar nach dem Todesfall ist in der Regel durch große Trauer, Depression, Verlustgefühle und eine umfassende Störung der kognitiven und behavioralen Aktivitäten geprägt. 126 Interpersonale Beziehungen Auch nach sechs Monaten ist die psychologische Belastung noch beträchtlich; der Zustand verbessert sich im Verlauf der folgenden 12 bis 18 Monate jedoch merklich und ist nach 2 – 3 Jahren überwunden – gleiches gilt für körperliche Beschwerden Die Sterblichkeitsrate bei den hinterbliebenen Partnern erreicht einen Höhepunkt in den Mo- naten im Anschluss an den Todesfall und langt nach etwa 2 – 3 Jahren wieder auf Normalni- veau an Die Allgemeingültigkeit dieser Beobachtungen kann jedoch infrage gestellt werden. Camille Wort- man und Kollegenschaft (z.B. Wortman, Silver, & Kessler, 1993) haben teils widersprüchliche Da- ten gefunden, die nahelegen, dass die Folgen des Verlustes auch stark von den individuellen Über- zeugungen und Einstellungen der Betroffenen abhängen und keinesfalls bei allen Menschen die gleichen Reaktionen zu beobachten sind. Diese Beobachtungen decken sich mit Befunden aus der Forschung zur Stressbewältigung und dem Einfluss von Persönlichkeitsmerkmalen auf die Wahl der Copingstrategien bei Stress erzeugenden Ereignissen (z.B. Bolger & Zuckerman, 1995). 5.6 Kapitelzusammenfassung Wechselseitige Attraktion ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Menschen enge Beziehun- gen zueinander aufbauen. Soziale Beziehungen haben Einfluss auf das physische und psychische Wohlbefinden. Allgemein lassen sich interpersonale Beziehungen anhand der Normen oder Prin- zipien, nach denen das wechselseitige Geben und Nehmen von Ressourcen erfolgt, unterscheiden. Während sich in Austauschbeziehungen der Ressourcenaustausch am Prinzip der Gleichheit ori- entiert, orientieren sich Menschen in Gemeinschaftsbeziehungen an den Bedürfnissen ihrer Inter- aktionspartner*innen. Enge Freundschaften haben in der Regel den von Gemeinschaftsbeziehun- gen. Beziehungsschemata sind kognitive Repräsentationen spezifischer Beziehungen, deren Nutzen in der Antizipation von Verhalten des Beziehungspartners und der Regulation des eigenen Handelns liegt. Diese Schemata können teils bereits in der Kindheit angelegt werden, sind aber durch Lebenserfahrungen formbar. Die Stabilität einer Beziehung hängt von der Stärke der in- neren Festlegung der Partner auf die Beziehung ab. Liebe ist ein besonders komplexes Phänomen interpersonaler Beziehungen, das sich in Bezug auf die große Variation an beobachtbaren Liebes- stilen und -formen näherungsweise durch eine Reihe von Taxonomien beschreiben lässt. Eine sehr grundlegende Unterscheidung trennt kameradschaftliche und leidenschaftliche Liebe. Bezie- hungskonflikte sind oft durch dysfunktionale Kommunikationsmuster geprägt. Trennungen ha- ben sowohl negative emotionale als auch physische Konsequenzen, denen Menschen zum Teil mit kognitiven Bewältigungsstrategien begegnen können. Interpersonale Beziehungen 127 5.7 Weiterführende Literatur Swami, V. (2016). Attraction explained: The science of how we form relationships. New York, NY, US: Routledge/Taylor & Francis Group. Schoebi, D., & Campos, B. (2019). New directions in the psychology of close relationships. Routledge/Taylor & Francis Group. 5.8 Übungsaufgaben 1. Welche Faktoren begünstigen die Entwicklung interpersonaler Attraktion? 2. Worin unterscheiden sich Austausch- und Gemeinschaftsbeziehungen? 3. Was sind die drei Komponenten eines Beziehungsschemas?