Schultheorie Zusammenfassung PDF
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Universität Potsdam
Rebecca Lazarides
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Diese Zusammenfassung der Schultheorie I behandelt verschiedene Theorien und Funktionen der Schule, mit besonderem Augenmerk auf den strukturfunktionalistischen Ansatz von Parsons und die Kritik von Fend. Die Folien analysieren die Beziehung zwischen Schule und Gesellschaft und untersuchen die Rolle von Schule in der Reproduktion von Werten und gesellschaftlichen Strukturen.
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Schultheorie I Prof. Dr. Rebecca Lazarides Arbeitsbereich Schulpädagogik – Schul- und Unterrichtsentwicklung Profilbereich Bildungswissenschaften Campus Golm Sprechzeiten: nach Vereinbarung (E-Mail zur Voranmeldung) 1 Heutige Sitzung –Ab...
Schultheorie I Prof. Dr. Rebecca Lazarides Arbeitsbereich Schulpädagogik – Schul- und Unterrichtsentwicklung Profilbereich Bildungswissenschaften Campus Golm Sprechzeiten: nach Vereinbarung (E-Mail zur Voranmeldung) 1 Heutige Sitzung –Ablauf: 1. Inhalt ▪ Schultheorien 2. Fragen zur nächsten Sitzung 2 Fragestellungen schultheoretischer Forschung ▪ Was ist Schule? ▪ Welche zentralen Faktoren (Institution, Prozesse, Produkte) charakterisieren Schule? ▪ Wie ist die Schule zu dem geworden, was sie heute ist? ▪ Welche Funktionen und Aufgaben hat die Schule? ▪ Wie sollte die Schule reformiert werden? Wiater 2007 3 Wozu dienen Schultheorien? ▪ Sind ein Ordnungszusammenhang für alle Sachverhalte, die mit Schule zu tun haben ▪ Dienen der Analyse von Schule unter verschiedenen Gesichtspunkten ▪ Klären und strukturieren die Bedingungen des Handelns in der Schule ▪ Haben kritische Funktion gegenüber der Schulpraxis und Bildungspolitik ▪ Begründen das Berufsethos von Lehrkräften ▪ Bilden die Grundlage für die quantitative und qualitative Schulforschung 4 Nutzen für die Schulpraxis? ▪ Verständnis der Zusammenhänge zwischen schulischer Bildung und gesellschaftlichen Strukturen https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle- meldungen/2014/dezember/bildungschancen-stark-abhaengig- von-sozialer-herkunft-und-wohnort/ https://www.faz.net/aktuell/wissen/geist-soziales/soziale- unterschiede-an-schulen-14953323.html 5 Nutzen für die Schulpraxis? ▪ Reflexion der eigenen Rolle als Lehrkraft und damit verbundener gesellschaftlicher Erwartungen https://www.sueddeutsche.de/bildung/erwartungen-an- paedagogen-lehrer-sind-keine-sozialarbeiter-1.1998488 6 Theorien zum Schultheorien zu den Verhältnis von Schule Binnenstrukturen der und Gesellschaft Schule Empirisch-analytische- Normativ Empirisch- Normativ Sozialisationstheoretische orientierte analytische orientierte Ansätze Schultheorien Schultheorien Schultheorien Strukturfunktionalistische Gesellschaftskritische Symbolischer Geisteswissenschaftliche Theorie der Schule (Parsons) Schultheorien Interaktionismus und Pädagogik (Foucault) Sozialpsychologie (von Hentig) (Mead) Theorie der Schule (Fend) Sozialisationstheoretischer Ansatz nach Bourdieu 7 Systematisierung von Schultheorien Theorien zum Verhältnis von Schule und Gesellschaft: Empirisch-analytische Schultheorien Strukturfunktionalistische Theorie der Schule (Talcott Parsons) ▪ 1960er / 1970er Jahren zunächst stark soziologisch orientierte Betrachtung des Bildungswesens ▪ Reproduktion der Gesellschaft wird als Problem betrachtet, zu dessen Lösung Schule beiträgt 8 Sozialsystem Gesellschaft Politisches Schule System Wirtschafts- und Beschäftigungs- system Wiater 2009, S.66 9 Strukturfunktionalistische Theorie der Schule (Parsons) Ökonomisches System – Bildungssystem: Politisches System – Bildungssystem: ▪ Bildungssystem vermittelt Individuen Politisches System liefert rechtliche Fertigkeiten, die sie in späterer Tätigkeit Rahmenbedingungen für Bildungssystem brauchen und trifft Vorauswahl geeigneter Bewerber und Bewerberinnen nach Bildungssystem stützt Leistung politisches System durch Reproduktion von Werten und Normen ▪ Ökonomisches System stellt finanzielle Ressourcen für das Bildungssystem bereit 10 Theorien zum Verhältnis von Schule und Gesellschaft: Empirisch-analytische Schultheorien Strukturfunktionalistische Theorie der Schule (Talcott Parsons) ▪ Gesellschaft wird als soziales System beschrieben, deren Subsysteme jeweils durch Interaktionen einen spezifischen Beitrag zur Systemleistung erbringen ▪ Vier Grundfunktionen, die nach Parsons bei sozialen Systemen erfüllt sein müssen (AGIL Schema): A daption (Anpassung) G oal attainment (Zielerreichung) I ntegration L atent pattern maintenance (Normerhaltung) ▪ Jedes Subsystem muss an seine Umwelt angepasst sein, zu spezifischen Zielsetzungen der Gesellschaft beitragen, zur Integration – also der Verteilung vorhandener Ressourcen und Aufgaben – beitragen und der gesellschaftlichen Normerhaltung dienen 11 Theorien zum Verhältnis von Schule und Gesellschaft: Empirisch-analytische Schultheorien Strukturfunktionalistische Theorie der Schule (Talcott Parsons) ▪ Erziehungssystem übernimmt Normerhalten bzw. die Verinnerlichung gesellschaftlich adaptiver Werte ▪ Schule vollbringt Sozialisationsleistungen und trägt dazu bei „die Bereitschaft und Fähigkeit zur Erfüllung der späteren Erwachsenenrolle zu verinnerlichen“ → Normerhaltung ▪ Schule vollbringt Selektionsleistungen, nämlich „menschliche Ressourcen innerhalb der Rollenstruktur der Erwachsenengesellschaft zu verteilen“ → Integration Parsons, 1959 12 Strukturfunktionalistische Theorie der Schule (Parsons) Funktion der Schule ▪ Parsons identifiziert zwei Funktionen von Schule, die zum Erhalt der Gesellschaft beitragen Sozialisations-/Integrationsfunktion Selektionsfunktion Lernende setzen sich mit Werten auseinander, Lernende werden gemäß ihrer Fähigkeiten auf die ihnen ein Bestehen in der Gesellschaft ermöglichen verschiede Positionen in der Gesellschaft verteilt – damit erfüllt das Bildungssystem gegenüber dem – damit erfüllt das Bildungssystem gegenüber politischen System die Funktion der Stabilisierung von dem ökonomischen System die Funktion der Werten und Normen Vorauswahl qualifizierter Personen 13 Strukturfunktionalistische Theorie der Schule (Parsons) Kritische Würdigung ▪ Keine klare empirische Evidenz für die Annahme des strukturtheoretischen Ansatzes, nach der die Selektion von Personen für berufliche Positionen/Studiengänge rein leistungsabhängig sei z.B. PISA Studien zeigen, dass familiäre Herkunft (sozialer Status) eine Rolle bei der Leistungsbeurteilung spielt 14 Strukturfunktionalistische Theorie der Schule (Parsons) Kritische Würdigung ▪ Kritik Fend‘s („Theorie der Schule“, 1980): Starke Betonung von Normen und Werten als „naturgegeben“ – geltende gesellschaftliche Normen und Wertvorstellungen sind keine natürlichen Prozesse, sondern ideengeschichtliche Entwicklungen, die bildungstheoretisch reflektiert werden können und sollten 15 Theorien zum Verhältnis von Schultheorien zu den Schule und Gesellschaft Binnenstrukturen der Schule Empirisch-analytische - Normativ Empirisch- Normativ Sozialisationstheoretische orientierte analytische orientierte Ansätze Schultheorien Schultheorien Schultheorien Strukturfunktionalistische Theorie Symbolischer Geisteswissenschaftliche der Schule (Parsons) Gesellschaftskritische Interaktionismus und Pädagogik Schultheorien (Foucault) Sozialpsychologie (von Hentig) (Mead) Theorie der Schule (Fend) Sozialisationstheoretischer Ansatz nach Bourdieu 16 Theorien zum Verhältnis von Schule und Gesellschaft: Empirisch-analytische Schultheorien Theorie der Schule nach Fend ▪ 1980 Theorie der Schule; 2006 weiterentwickelt zu Neue Theorie der Schule 17 Theorien zum Verhältnis von Schule und Gesellschaft: Empirisch-analytische Schultheorien Theorie der Schule nach Fend ▪ Bezieht sich auf Strukturfunktionalismus, entwickelt diese Perspektive jedoch weiter auf eine Mehrebenenanalyse der Schule und ihrer Akteure ▪ 1980 Buchveröffentlichung: Theorie der Schule: Will man, dass die Ist das Bildungssystem Schule bestimmte tatsächlich ausreichend Funktionen für die funktional? Gesellschaft übernimmt? 18 Theorie der Schule nach Fend ▪ Fend beschreibt in ,,Theorie der Schule” (1980) weitere Funktionen des Bildungssystems: → Legitimationsfunktion: Schule reproduziert privilegierte gesellschaftliche Positionen → Enkulturationsfunktion: Schule reproduziert kulturelle Sinnsysteme (Sprache, Werte) ▪ Fend kritisiert in „Neue Theorie der Schule“ (2006) an den strukturfunktionalen Ansätzen, dass die Akteure hinter die Strukturen treten – ergänzt Darstellung des Bildungswesens um handlungsorientierte Sichtweise → Nicht die Institution, sondern das Individuum ist handelnd im System 19 Funktionen der Schule nach Fend Qualifikationsfunktion ▪ Kenntnisse, die benötigt werden, um einen Beruf auszuüben – z.B. berufsorientierte Einstellungen wie Fleiß, Lernbereitschaft und Mobilität ▪ Geht aber über diese Perspektive hinaus - Kritik an strukturfunktionalististischem Verständnis von „Qualifikation“: Schule kann nicht passgenau qualifizieren, da gesellschaftlich-ökonomische Anforderungen zu schnelllebig sind ▪ Humanes Recht auf Bildung: Vermittlung von Fertigkeiten und Kenntnissen, die Lernende zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben befähigen 20 Funktionen der Schule nach Fend Selektions- und Allokationsfunktion ▪ Schule als entscheidende Instanz, die unabhängig von sozialer Herkunft über die zukünftige soziale Stellung entscheidet ▪ Während im Mittelalter die Geburt in einen Stand entscheidend war, stellt in der Moderne die schulische Leistung eines Individuums ein wichtiges Verteilungsprinzip dar ▪ Kritik Fend‘s an dieser Funktion: Intelligenz und soziale Herkunft sind maßgeblich für Selektionsprozesse – dies verstärkt jedoch ungleiche Anlage- und Umwelteinflüsse (Chancenungleichheit) – Fend setzt diesen Überlegungen den Selbstwert des intellektuellen Strebens einzelner Individuen entgegen 21 Funktionen der Schule nach Fend Integrations- und Legitimationsfunktion ▪ Durch Verinnerlichen bestimmter Werte und Normen trägt Schule als Institution des Erziehungssystems dazu bei, Gesellschaftsverhältnisse zu legitimieren: Internalisierung von Ordnungsstrukturen „durch hundertfaches Erbringen von Prüfungen und Leistungen“ würden Normen der Leistungsgesellschaft angeeignet → Leistungsorientierung, die „die ungleiche Verteilung knapper Güter“ legitimiere ▪ Schaffung von Zustimmung zum politischen Regelsystem und Vertrauen in seine Träger ▪ Erziehungssystem trägt dadurch zur Stabilisierung der Gesellschaft bei 22 Funktionen von Schule nach Fend Enkulturationsfunktion ▪ Schule trägt zur Überlieferung der Kultur bei (Wertorientierungen, Symbolsysteme etc.) ▪ Laut Fend haben Gesellschaften „eine gemeinsame Geschichte“ mit Sinnformen, die der Weitertradierung bedürfen ▪ „Kultur“ → alle menschlichen Aktivitäten und ihre Vergegenständlichung, die über die Anforderungen des Produktionssystems und über die psychische und physische Reproduktion des Arbeitsvermögens, aber auch über die Ausübung oder die Anerkennung von politischen Herrschafts- und Ordnungsfunktionen hinausgehen 23 Kritische Würdigung ▪ Fend beschreibt in seiner Schultheorie eine Sicht auf Schule, die handlungsorientierend wird (individuumzentriert und gesellschaftsorientiert) ▪ Große Stärke liegt in Absicht, sowohl Wirkungsanalysen zu bieten, als auch praktisch relevant zu sein 24 Selektionsfunktion von Schule: Welche Rolle spielt soziale Herkunft für Benotung und Leistung? 25 26 Theorien zum Verhältnis Schultheorien zu den von Schule und Binnenstrukturen der Gesellschaft Schule Empirisch-analytische - Normativ Empirisch- Normativ Sozialisationstheoretische orientierte analytische orientierte Ansätze Schultheorien Schultheorien Schultheorien Strukturfunktionalistische Theorie Symbolischer Geisteswissenschaftliche der Schule (Parsons) Gesellschaftskritische Interaktionismus und Pädagogik Schultheorien (Foucault) Sozialpsychologie (von Hentig) (Mead) Theorie der Schule (Fend) Sozialisationstheoretischer Ansatz nach Bourdieu 27 Theorien zum Verhältnis von Schule und Gesellschaft: Empirisch-analytische Ansätze Sozialisationstheoretischer Ansatz nach Bourdieu ▪ *1930 – † 2002: französischer Soziologe und Sozialphilosoph ▪ Bourdieu beschreibt ungleiche Verteilung von Kapital als systematische Ursache dafür, dass gesellschaftliches Alltagsleben nicht völlig zufälligen und unvorhersehbaren Gesetzen folgt 28 Sozialisationstheoretischer Ansatz nach Bourdieu ▪ Sozialisationsprozesse: Zusammenwirken des Erwerbs bzw. der Verfügbarkeit über Kapital (verschiedene Kapitalarten) mit der (c) Prozess der (a) Erwerb Positionierung im sozialen Raum Habitualisierung verschiedener (Habitus – erworbene (Beziehungen der Akteure) und darauf Arten von Haltung; Lebensstil) bezogenen Prozessen der Habitualisierung Kapital (Gewohnheitsbildung, z.B. Geschmack in Bezug auf Kleidung, Restaurants, Besuche Sozialisation als kultureller Institutionen) -> Reproduktion gesellschaftlicher Positionierung von Individuen ▪ Schule als Sozialisationsinstanz vermittelt (b) Positionierung im kulturelles Kapital, ist jedoch auch geprägt sozialen Raum durch Positionierung von Individuen im sozialen Raum und trägt zu deren Stabilisierung bei 29 Sozialisationstheoretischer Ansatz nach Bourdieu ▪ These: Bildungswesen trägt zur Reproduktion sozialer Ungleichheit bei ▪ Bourdieu zielt darauf ab, die verborgene und daher besonders wirksame Mechanismen sozialer und kultureller Reproduktion sichtbar zu machen ▪ Gleichzeitig sollen Möglichkeiten aufgezeigt werden, die es erlauben, im Bildungswesen diesen Reproduktionskreislauf zu durchbrechen ▪ die Kenntnis der Ursachen herkunftsbedingter Bildungsungleichheit eröffnet erst einen Umgang mit diesen Ungleichheiten, der es ermöglicht, in die Mechanismen verändernd einzugreifen (Bourdieu 1985) 30 Sozialisationstheoretischer Ansatz nach Bourdieu »Zu meinen, wenn man allen gleiche wirtschaftliche Mittel bereitstelle, gäbe man auch allen, sofern sie die unerlässliche ›Begabung‹ mitbrächten, gleiche Chancen für den Aufstieg in die höchsten Stufen der Bildungshierarchie, hieße in der Analyse der Hindernisse auf halbem Wege stehen bleiben und übersehen, dass die an Prüfungskriterien gemessenen Fähigkeiten weit mehr als durch natürliche ›Begabung‹ (…) durch die mehr oder minder große Affinität zwischen den kulturellen Gewohnheiten einer Klasse und den Anforderungen des Bildungswesens oder dessen Erfolgskriterien bedingt sind.« (Bourdieu/Passeron 1971: 40) 31 Klassengesellschaft wird nicht ausschließlich über das Eigentum und Nichteigentum an ökonomischen Gütern erklärt, sondern auch über kulturelle, soziale und symbolische Dimension Ökonomisches Kapital Kulturelles Kapital Soziales Kapital - Entstehung durch akkumulierte - Entstehung durch akkumulierte Arbeit - Entstehung: akkumulierte Arbeit (Ansammeln und Ansparen (Investition von Geld und Zeit, um Arbeit = Beziehungsarbeit von Arbeitserträgen) Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben) - Netzwerk institutionalisierter - stellt Ressource dar, die gezielt zur Beziehungen gegenseitigen Erzeugung von Profiten eingesetzt - ermöglicht die Erklärung von Kennens und Anerkennens werden kann (Geld, Eigentum) Bildungsungleichheit bzw. die Abhängigkeit des Schulerfolgs von der - verdeutlicht, warum Menschen sozialen Herkunft trotz formaler trotz vergleichbarer Ausstattung Chancengleichheit mit ökonomischem und kulturellem Kapital unterschiedliche Erfolge erzielen 32 Inkorporiertes kulturelles Kapital ▪ Gesamtheit nicht angeborener Fähigkeiten, Eigenschaften und Kenntnisse, die in irgendeiner Weise als Ressource dienen könnten, z.B. Sprechweisen ▪ Zeit zum Erwerb inkorporierten Kulturkapitals muss persönlich investiert werden und kann nicht an andere delegiert werden ▪ Kulturelles Kapital ist davon abhängig, wieviel Zeit man investieren kann - dies wiederum hängt indirekt vom ökonomischen Kapital einer Person ab ▪ wird weitergegeben durch „soziale Vererbung“ 33 Objektiviertes kulturelles Kapital ▪ kann im Gegensatz zur inkorporierten Form auch materiell übertragen werden; Beispiel: Bücher, Musikinstrumente, Kunstwerke ▪ materielle Aneignung ist durch ökonomisches Kapital möglich, symbolische Aneignung ist nur durch geistige Erschließung/Inkorporierung möglich 34 Institutionalisiertes Kulturkapital ▪ Beispiel: Bildungstitel (Abschlüsse, Zeugnisse) ▪ stellt dauerhafte institutionelle Anerkennung bestimmter Kenntnisse und Fähigkeiten dar und ist daher relativ unabhängig vom kulturellen inkorporierten Kapital ▪ ist auf Arbeitsmarkt in ökonomisches Kapital umwandelbar 35 Kritische Würdigung ▪ sozialisationstheoretische Perspektive kann dazu anhalten, sich als Lehrkraft für Stereotypisierungsprozesse und soziale Ungleichheiten zu sensibilisieren ▪ z.B. „milieuspezifischer Habitus“: Sprache, Wertpräferenzen ▪ Kritik: Kaum Anmerkungen dazu, ob und wie Veränderungen möglich wären 36 „Soziologie, und insbesondere Bourdieu, ernst genommen, heißt nicht mehr daran zu glauben, dass Schule mit Gerechtigkeit zu tun hat (die „Illusion der Chancengleichheit“) […] dass man mittels Bildung seine Herkunft „abstreifen“ kann und ein ganz eigenes „Ich“ bilden kann, dass Bildung eine ganz eigene Sphäre bildet und frei von Interessen ist“ https://schulheft.at/wp-content/uploads/2018/02/schulheft-142.pdf 37 https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s11618-013-0466-1.pdf 38 Soziale Ungleichheiten im schulischen Kontext ▪ Sekundäre Herkunftseffekte der Leistungsbeurteilung: Schülerinnen und Schüler aus niedrigeren sozialen Schichten erhalten trotz gleicher Testleistungen schlechtere Noten als Schülerinnen und Schüler aus höheren Schichten ▪ Sekundäre Herkunftseffekte der Schullaufbahnempfehlung: Schülerinnen und Schüler aus höheren sozialen Schichten erhalten eher eine Gymnasialempfehlung als hinsichtlich ihrer Leistungen vergleichbare Schülerinnen und Schüler aus sozial niedrigeren Schichten → Erklärungsansatz: Beurteilungsverzerrungen – in manchen Fällen schreiben Lehrkräfte jenen Schülerinnen und Schülern aus bildungsnahen Familien eine höhere Leistungsfähigkeit zu oder gehen davon aus, dass diese Kinder eine bessere elterliche Unterstützung erfahren und somit größere Erfolgschancen am Gymnasium haben Dumont et al. (2014) 39 Soziale Ungleichheiten im schulischen Kontext: Empirische Befunde ▪ ÜBERGANG-Studie und IGLU-Studie zeigen auf der Basis von national repräsentativen Stichproben, dass Kinder aus sozioökonomisch starken Familien bei gleichen Testleistungen im Vergleich zu Kindern aus sozioökonomisch schwachen Familien besser benotet wurden (Arnold et al. 2007; Stubbe und Bos 2008; Maaz und Nagy 2009) ▪ Deutschlandweit haben Kinder aus sozial schwächeren Familien selbst bei gleichen Testleistungen und gleichen Schulnoten eine signifikant geringere Chance, eine Gymnasialempfehlung zu bekommen, als Kinder aus sozial starken Familien, wie in der ÜBERGANG- und der IGLU-Studie gezeigt werden konnte (Bos et al. 2004; Arnold et al. 2007; Stubbe und Bos 2008; Maaz und Nagy 2009) Dumont et al. (2014) 40 ▪ Sensibilisierung von schul- und sozialpädagogischen Professionellen für den Gegenstand der Bildungsungerechtigkeit und dessen Reproduktionslogiken ▪ Reflexion des Schulalltags: Wie hätte ich anders reagieren können? Welche Wendung hätte das Gespräch dann genommen? Wollte mein Gegenüber wirklich das ausdrücken, was ich gedacht habe? Und warum bin ich davon ausgegangen, dass er/sie ausgerechnet das meint und nicht etwas Anderes? 41 Take Home Messages ▪ Theorien zum Verhältnis von Schule und Gesellschaft beschreiben Schule als ein Subsystem der Gesellschaft, das mit anderen gesellschaftlichen Subsystemen in Austauschbeziehungen steht und zur Stabilisierung der Gesellschaft durch institutionelle Sozialisationsprozesse beiträgt Strukturfunktionalistische Perspektiven beschreiben dabei den gesellschaftlichen Einfluss auf schulische Bildungsprozesse und die Funktion des Bildungssystems für die Gesellschaft Sozialisationstheoretisch ausgerichtete Betrachtungen beschreiben Rolle der Schule für Etablierung und Verfestigung gesellschaftlicher Ordnungen und damit verbundener sozialer Ungleichheiten 42 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 43 Literatur Bourdieu, Pierre (1985), Sozialer Raum und »Klassen«. Leçon sur la Leçon, Frankfurt a.M. Bourdieu, Pierre/Passeron, Jean-Claude (1971), Die Illusion der Chancengleichheit. Untersuchungen zur Soziologie des Bildungswesens am Beispiel Frankreichs, Stuttgart. Dumont, H., Maaz, K., Neumann, M., & Becker, M. (2014). Soziale Ungleichheiten beim Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe I: Theorie, Forschungsstand, Interventions-und Fördermöglichkeiten. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 17(2), 141-165. Fend, H. (2009). Neue Theorie der Schule: Einführung in das Verstehen von Bildungssystemen. Springer-Verlag. Wiater, W. (2009). Theorie der Schule (3. überarb. Aufl.). Donauwörth: Auer. 44 Schultheorie II Prof. Dr. Rebecca Lazarides Arbeitsbereich Schulpädagogik – Schul- und Unterrichtsentwicklung Profilbereich Bildungswissenschaften Campus Golm Sprechzeiten: nach Vereinbarung (E-Mail zur Voranmeldung) 1 Theorien zum Verhältnis von Schultheorien zu den Schule und Gesellschaft Binnenstrukturen der Schule Empirisch- Normativ Empirisch- Normativ analytische orientierte analytische orientierte Schultheorien Schultheorien Schultheorien Schultheorien Strukturfunktionalistische Gesellschaftskritische Symbolischer Geisteswissenschaftliche Theorie der Schule (Parsons) Schultheorien Interaktionismus und Pädagogik (Foucault) Sozialpsychologie (von Hentig) Theorie der Schule (Fend) (Mead) Sozialisationstheoretischer Ansatz nach Bourdieu 2 Theorien zum Verhältnis von Schule und Gesellschaft: Normativ orientierte Schultheorien Gesellschaftskritische Schultheorie (Foucault) ▪ Paul-Michel Foucault; französischer Philosoph, Soziologe, Historiker… *1926 - †1984 in Paris (Frankreich) ▪ Arbeiten zum Verhältnis von Macht und Wissen: Wissen ist nach Foucault verknüpft mit Machtstrategien − Schule als Disziplinarmacht, die Wissen vermittelt um Machtstrukturen zu festigen, die wiederum der Wissensvermittlung dienen (z.B. Schule) ▪ Position gegen ökonomisch motivierte Bildungspolitik und Forderung nach Verknüpfung von Schule und Politik 3 ,,Jedem Individuum seinen Platz und auf jeden Platz ein Individuum. (... ) Es geht darum, die Anwesenheiten und Abwesenheiten festzustellen, zu wissen, wo und wie man die Individuen finden kann, die nützlichen Kommunikationskanäle zu installieren und die anderen zu unterbrechen; jeden Augenblick das Verhalten eines jeden überwachen, abschätzen und sanktionieren zu können; die Qualitäten und die Verdienste zu messen. Es handelt sich also um eine Prozedur zur Erkennung, zur Meisterung und zur Nutzbarmachung." (Foucault 1977: 183-184). 4 Theorien zum Verhältnis von Schule und Gesellschaft: Normativ orientierte Schultheorien Gesellschaftskritische Schultheorie (Foucault) ▪ Bestandteil und Funktion des Bildungssystems ist Wissensvermittlung ▪ Problematisch ist diese, da sie mit Machtbeziehungen verknüpft ist und somit ihren aufklärerischen Anspruch verliert – und stattdessen zum Selektionsprozess wird Schule als räumlich und zeitlich durchstrukturierte Institution, in der Techniken der Übung und der Prüfung das Unterrichtsgeschehen beherrschen 5 Theorien zum Verhältnis von Schule und Gesellschaft: Normativ orientierte Schultheorien Gesellschaftskritische Schultheorie (Foucault): Funktion und Bedeutung von Schule ▪ Foucault sieht keine Logik des Fortschritts bzw. der Emanzipation von autoritären Machtsphären hin zu mehr Autonomie, zu der Schule und Bildung seit dem 19. Jahrhundert beizutragen in der Lage gewesen wären ▪ Schule lässt sich durch machtanalytische Betrachtung Foucaults stets als ein Spiegel unterschiedlicher gesellschaftlich dominierender Machtkonfigurationen dechiffrieren → Schule als Dispositiv der Macht: Umfassende Konstellation aus „spezifischen Orten, eigenen Regelungen, sorgfältig ausgebildeten hierarchischen Strukturen“ – und nicht zuletzt spezifischen Wissensregimes 6 Theorien zum Verhältnis von Schule und Gesellschaft: Normativ orientierte Schultheorien Gesellschaftskritische Schultheorie (Foucault): Funktion und Bedeutung von Schule ▪ Steht Freiheitsgewinn der Aufklärung ambivalent gegenüber – Bildungssemantik im 19. Jahrhundert nach der nicht mehr Stoff gepaukt wird, sondern die „menschlichen Kräfte“ geübt werden (z.B. gymnasiales Alte-Sprachen-Studium) steht weniger für Autonomiegewinn als vielmehr für „Einbindung in die Disziplinargesellschaft“ „Die Aufklärung, welche die Freiheiten entdeckt hat, hat auch die Disziplinen erfunden“ (Foucault, 1977) ▪ Kritik an neuzeitlicher Didaktik: Lehrstoff wird elementarisiert, in einfachste Elemente zerlegt „Schule wird zum Lernapparat, in welchem alle Schüler, alle Niveaus, alle Augenblicke bei richtiger Kombination ständig im allgemeinen Unterrichtsprozess eingesetzt sind“ 7 Theorien zum Verhältnis von Schule und Gesellschaft: Normativ orientierte Schultheorien Gesellschaftskritische Schultheorie (Foucault): Funktion und Bedeutung von Schule Funktionen von SCHULE Schule als Disziplinarmacht: Nicht Erziehung zur Freiheit und Mündigkeit stehen laut Foucault im Fokus des Schulsystems, sondern Disziplinierung wird als Ziel von Schule angesehen Schule als Machtverhältnis, das auf Individuen einwirkt und sie von innen heraus in ein verändertes Verhältnis zu sich und zur Gesellschaft setzt 8 Theorien zum Verhältnis von Schule und Gesellschaft: Normativ orientierte Schultheorien Gesellschaftskritische Schultheorie (Foucault): Kritische Würdigung ▪ Foucault beschreibt Schule als Spiegelbild von sich stets verändernden Machtdynamiken ▪ Foucault hat zum Ziel, diese aufzudecken und abzuweisen ▪ Nutzen für das Schulsystem: Erkenntnis solcher Mechanismen erlaubt damit verbundene Machtdeformationen aufzuzeigen und ihnen entgegenzuwirken 9 Theorien zum Verhältnis von Schultheorien zu den Schule und Gesellschaft Binnenstrukturen der Schule Empirisch- Normativ Empirisch- Normativ analytische orientierte analytische orientierte Schultheorien Schultheorien Schultheorien Schultheorien Strukturfunktionalistische Theorie Symbolischer Geisteswissenschaftliche der Schule (Parsons) Gesellschaftskritische Interaktionismus und Pädagogik Schultheorien (Foucault) Sozialpsychologie (von Hentig) (Mead) Theorie der Schule (Fend) Sozialisationstheoretischer Ansatz nach Bourdieu 10 Theorien zu den Binnenstrukturen von Schule: Normativ orientierte Schultheorien Geisteswissenschaftliche Pädagogik ▪ dominierende pädagogische Richtung in Weimarer Republik und der alten Bundesrepublik nach 1945 bis ca. 1960 ▪ Vertreter: Nohl, Spranger, Wilhelm ▪ Normative Ausrichtung: Formulierung von Zielen „wie Schule sein soll“ 11 Theorien zu den Binnenstrukturen von Schule: Normativ orientierte Schultheorien Geisteswissenschaftliche Pädagogik ▪ Aufgaben der Schule: Überführung des Kindes aus der Gebundenheit an die Familie in die Willensform des öffentlichen Lebens „…die Kräfte in ihm [dem Kind] zu entwickeln, die alle Organisationen tragen“ (Nohl 1963, S. 197) ▪ Ziel der Institution Schule: Entwicklung des Kindes im Sinne der optimalen Entfaltung aller seiner Möglichkeiten 12 Theorien zu den Binnenstrukturen von Schule: Normativ orientierte Schultheorien Schule…. Geisteswissenschaftliche Pädagogik (von Hentig, 2003) ▪ Hartmut von Hentig, *1925 ▪ einflussreicher Erziehungswissenschaftler und Publizist ▪ war seit 1965 Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der zu gründenden Universität Bielefeld und dort ab 1968 Professor für Pädagogik ▪ Individuum steht im Zentrum der Betrachtungen, das durch Sozialisationsinstanzen und geschichtliche Entwicklungen geprägt wird 13 Geisteswissenschaftliche Pädagogik (von Hentig): Bildungsbegriff ▪ Prozess, durch den ein Mensch eine „sich selbst bestimmende Individualität“ wird und als solche „die Menschheit bereichert“ → Neuhumanistische Tradition ▪ Bildung junger Menschen zielt auf die Fähigkeit und den Willen, sich zu verständigen und damit einhergehend auf ein „Bewusstsein von der Geschichtlichkeit der eigenen Existenz“ ▪ Bildung wird dort zuteil, wo Individuen „bestimmte Gefühls- und Meinungsausstattung“, die im Kontext eigener prägender Verhältnisse erworben wurden, bewusst werden und darauf hin Verhalten selbst gesteuert und verantwortet werden kann 14 Theorien zu den Binnenstrukturen von Schule: Normativ orientierte Schultheorien Geisteswissenschaftliche Pädagogik (von Hentig): Funktion und Bedeutung der Schule ▪ Schule wird vom emanzipatorischen Denken her konzipiert – ist Schule keine emanzipatorische Institution „wird sie bald keine Schule mehr sein, sondern ein sozialpädagogisches Heim einerseits und eine Berufsvorbereitungsanstalt andererseits“ → Kritisiert Qualifikationsfunktion von Schule 15 Theorien zu den Binnenstrukturen von Schule: Normativ orientierte Schultheorien Geisteswissenschaftliche Pädagogik (von Hentig): Funktion und Bedeutung der Schule ▪ Zielt auf eine Schule, in der das kritische Denken neben dem erfahrungsgesättigten Leben für Schülerinnen und Schüler und Lehrer und Lehrerinnen gleichermaßen konstitutiv ist ▪ Schule soll Kulturtechniken vermitteln und „einen beträchtlichen Anteil an Wissen, das für sich wichtig ist und nicht zu etwas“ ▪ In Schule soll Gemeinschaftsleben bildenden Charakter haben: „Man muss die Schule…zur polis machen“ → Schule als überschaubarer Lebens- und Erfahrungsraum, in dem die Demokratie im Kleinen erlebt und eingeübt werden kann 16 Theorien zu den Binnenstrukturen von Schule: Normativ orientierte Schultheorien Geisteswissenschaftliche Pädagogik (von Hentig): Funktion und Bedeutung der Schule Schule sollte nicht ausschließlich Kenntnisse und Fertigkeiten vermitteln, sondern… als Schonraum für die natürliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen fungieren, als Institution zur Erziehung dienen oder als Institution über die gesellschaftliche Verteilung von Berechtigungen entscheiden, und versteht sich als „Lebens- und Erfahrungsraum“ 17 Theorien zu den Binnenstrukturen von Schule: Normativ orientierte Schultheorien Geisteswissenschaftliche Pädagogik (von Hentig, 2003) ▪ Fünf Merkmale seiner Schulkonzeption: 1. Schule als Lebensraum fördert Kreativität und Emotionen 2. Fordert individualisierten Unterricht 3. Als Polis verfügt die Schule über selbst aufgestellte Regeln für das Zusammenleben 4. Im Interesse der Förderung des gesamten Menschen ist Unterricht fächerübergreifend angelegt und behandelt auch alltagswichtige Gegenstände 5. Als Brücke zwischen der Privatwelt der Familie und der öffentlichen Welt der Gesellschaft lässt Schule die Erfahrungsbereiche Lernender mit zunehmendem Alter größer werden ▪ Praktische Umsetzung dieser Prinzipien in der Bielefelder Laborschule 18 Geisteswissenschaftliche Pädagogik (von Hentig) https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2F978-3-531-90516-7_8.pdf https://shop.auditorium-netzwerk.de/detail/index/sArticle/10376 Demokratie an der Laborschule – research_tv der Universität Bielefeld https://www.youtube.com/watch?v=bUutiT5qtgg 20 Theorien zum Verhältnis von Schultheorien zu den Schule und Gesellschaft Binnenstrukturen der Schule Empirisch- Empirisch- Normativ Normativ analytische analytische orientierte orientierte Schultheorien Schultheorien Schultheorien Schultheorien Symbolischer Strukturfunktionalistische Theorie Geisteswissenschaftliche Gesellschaftskritische Interaktionismus und der Schule Pädagogik Schultheorien (Foucault) Sozialpsychologie (Parsons, Fend) (von Hentig) (Mead) 21 Theorien zu den Binnenstrukturen von Schule: Empirisch-analytische Schultheorien George Herbert Mead *1863 – †1931: US-amerikanischer Philosoph, Soziologe und Psychologe Vordenker des Symbolischen Interaktionismus Mikro-soziologische Perspektive: Stellt Beziehung zwischen Sozialisationspersonen (z.B. Lehrkräfte und Lernende) und die Kommunikation zwischen diesen Interaktionspartnern in den Mittelpunkt der Analyse schulischer Binnenstrukturen Mead, G. H. (1967). Mind, self, and society: From the standpoint of a social behaviorist (Works of George Herbert Mead, Vol. 1). 22 Theorien zu den Binnenstrukturen von Schule: Empirisch-analytische Schultheorien Symbolischer Interaktionismus Fokussiert das Handeln von Personen – Handeln wird immer als Interaktion zwischen mehreren Personen verstanden, die sinnhaft ist und in sozialen Situationen stattfindet Theorie schärft den Blick für die Mikroebene und die agierenden Individuen in der Schule 23 Theorien zu den Binnenstrukturen von Schule: Empirisch-analytische Schultheorien Symbolischer Interaktionismus: Menschenbild ▪ Identität entsteht in Interaktion ▪ Lernende entwickeln ihre Identität im Wechselspiel der eigenen Persönlichkeit und der schulisch-institutionellen Bedingungen → Wer ich bin, erfahre ich in Interaktion mit Anderen, z.B. mit der Lehrperson, die mir Können attestiert (dann erfahre ich mich durch diese Interaktion als begabt) 24 Symbolischer Interaktionismus: Menschenbild ▪ Fähigkeit zu reflektieren und zu handeln aber auch Identität und Verhältnis zu sich selbst wird von Mead auf Kommunikation zurückgeführt ▪ Identität entsteht in Interaktion – Herausbildung und Zusammenspiel der Phasen des Selbst prägen Handlungen des Individuums 25 Theorien zu den Binnenstrukturen von Schule: Empirisch-analytische Schultheorien Symbolischer Interaktionismus: Phasen des Selbst Self = Selbst, Selbstbewusstsein entsteht aus Zusammenspiel von „I“ und „Me“ z.B. Lehrkraft versteht sich als professioneller Akteur/Akteurin im schulischen Handlungsfeld und reagiert entsprechend auf Störungen I = „Reaktion des Organismus auf die Haltungen anderer“ Me = Generalisierter (Spontane) Handlungen und Anderer/gesellschaftliche Identität Reaktionen des Individuums, Einnehmen der Erwartungen Anderer z.B. Lehrkraft reagiert auf Störungen in der Klasse z.B. Lehrkraft ist sich der professionellen Rolle und damit verbundener Erwartungen an Lehrkräfte bewusst 26 Theorien zu den Binnenstrukturen von Schule: Empirisch-analytische Schultheorien Symbolischer Interaktionismus: Funktion und Bedeutung der Schule ▪ Interaktionen basieren auf Erwartungen, Normen und Regeln – dauerhaft etablierte Erwartungen gelten als Institutionen [Schule als Institution] ▪ Schulforschung im Sinne des symbolischen Interaktionismus bedeutet, dass interaktionales Geschehen im Mittelpunkt steht – Schule als identitätsstiftende Institution 27 Theorien zu den Binnenstrukturen von Schule: Empirisch-analytische Schultheorien Symbolischer Interaktionismus: Kritische Würdigung ▪ Theorie schärft – anders als Parsons Strukturfunktionalismus – Blick für die Mikroebene der am Interaktionsgeschehen beteiligten Personen ▪ universale Normen als Resultat verständigungsorientierter Kommunikation: alles ist verhandelbar und alles, was keine gesellschaftliche Anerkennung erfährt, wird verworfen ▪ somit würde das gelten, was sich in gesellschaftlichen Prozessen durchsetzt, was sich also als funktional erweist → schulische Etikettierungsprozesse (z.B. Etikettierung von Lernenden mit Verhaltensproblemen als „störend“ und abgeleitete Konsequenzen) rücken dabei in die Nähe moralischer Legitimation, wenn sie sich als funktional erweisen 28 GEORGE MEAD'S THEORY https://www.youtube.com/watch?v=fPRk-VKdjsg 29 Take Home Messages ▪ Machtanalytische Perspektive auf Schule (Foucault) - betrachtet Schule als Disziplinarmacht und Schule als Machtverhältnis - nicht Erziehung zur Freiheit stehen laut Foucault im Fokus des Schulsystems, sondern Disziplinierung wird als Ziel von Schule angesehen ▪ Geisteswissenschaftliche Schultheoretische Ansätze (von Hentig) betrachten Schule als Lebens- und Erfahrungsraum, in dem die Demokratie im Kleinen erlebt und eingeübt werden kann und in dem Kulturtechniken vermitteln werden ▪ Symbolischer Interaktionismus (Mead) Interaktionales Geschehen steht im Mittelpunkt – Schule als identitätsstiftende Institution Schule aus dem Blickpunkt unterschiedlicher Theorien zu betrachten, ermöglicht es, sowohl die ihr immanenten Machtstrukturen als auch die ihr innewohnenden identitäts- und menschenbildenden Prozesse in den Blick zu nehmen 30 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 31 Literatur: Foucault, M. (1977). Überwachen und Strafen: d. Geburt d. Gefängnisses. Mead, G. H. (1967). Mind, self, and society: From the standpoint of a social behaviorist (Works of George Herbert Mead, Vol. 1). Nohl, H. (1933/1963): Die pädagogische Bewegung in Deutschland und ihre Theorie (1933). 6. Auf- lage. Frankfurt/M.: Schulte-Bulmke. Tatsachen, K., der Diskursanalyse Foucaults, D. P., der politischen Vernunft, E. K., der modernen Gouvernementalität, F. A., Foucault, M., Denken, W. M. F., & Sellhoff, M. 7. Überwachen und Strafen. Foucault- Handbuch, 68. 32 Schultheorie III: Klassische neuzeitliche Schultheorien Prof. Dr. Rebecca Lazarides Arbeitsbereich Schulpädagogik – Schul- und Unterrichtsentwicklung Profilbereich Bildungswissenschaften Campus Golm Sprechzeiten: nach Vereinbarung (E-Mail zur Voranmeldung) 1 Fragen zur heutigen Sitzung Wie verorten neuzeitliche Klassiker die Schule im Spannungsfeld gesellschaftlicher Mächte wie Kirche, Staat und Ökonomie? Was verstehen die Klassiker unter allgemeiner Menschenbildung? Inwiefern sind die Klassiker auch für gegenwärtige Überlegungen zu Schule relevant? 3 17. Jahrhundert: Allen alles umfassend lehren Jan Amos Comenius *1592 - †1670: Philosoph, Theologe und Pädagoge mit Kontakt zu Descartes Historischer Kontext: Dreißigjähriger Krieg (1618-1648) → Philosophie soll zum Zweck einer besseren Gesellschaft politisch wirken ▪ Alles Existierende hat eine Bestimmung und einen Daseinszweck ▪ Mensch ist von Natur aus zum Auszug aus dem Labyrinth der unvollkommenen Welt bestimmt – soll Vernunftwesen werden (Mensch als Ebenbild Gottes) 4 Menschenbild ▪ Religiöse Denkfiguren sind entscheidend für das Menschenbild und Bildungsverständnis des Comenius ▪ Bild eines ursprünglich guten Menschen, Anfang und Ende der Erziehung des Menschen liegt in Gott ▪ Aufgabe des Menschen ist Selbstentwicklung: Erziehung ist dabei nötig, um Menschen anzuleiten und mit Hilfe methodischen Vorgehens können tatsächlich alle Menschen erreicht werden ▪ Alle Menschen sind Ebenbild Gottes und alle Menschen bedürfen Bildung - Alle sollen die Schule besuchen „Alle Menschen, so sehr sie sich auch in ihren geistigen Anlagen voneinander unterscheiden, haben doch die gleiche Natur“ → Allgemeine Didaktik als „die vollständige Kunst, alle Menschen alles zu lehren auf sichere und vorzügliche Art und Weise“; Hauptwerk: Didactica Magna 1657 5 Funktion der Schule ▪ Schulen als… „Werkstätten der Menschlichkeit, indem sie eben bewirken, dass der Mensch Mensch werde“ ▪ In den Schulen soll allen „alles“ (Sprachen, Wissenschaft, Künste) gelehrt werden ▪ Zunächst die „Grundlagen der Allgemeinbildung“ – Vermittlung jeder Sprache, Wissenschaft und Kunst von den Anfangsgründen aus ▪ Später Vertiefung – Schwerpunkt liegt auf Frontalunterricht: Es solle „nur ein Lehrer einer Schule oder wenigstens einer Klasse vorstehen“ 6 Schule ▪ Didaktik als geordnete Vermittlung von Wissen: Der Zögling soll sich durch eigene Anschauung entwickeln, er wird selbstständig im Bildungsprozess ▪ Didaktik als Frage des Lehrens und des Lernens: Mensch als Wesen, dass von sich selbst heraus nach Wissen strebt ▪ Es gilt nicht, stückchenweise Wissen anzuhäufen, das erst am Ende der Erziehung ein Ganzes ergibt, sondern jede Entwicklungsstufe impliziert die Übermittlung einer Ganzheit ▪ Stufen des Unterrichts: Comenius geht von vier jeweils sechs Jahre dauernden Stufen aus, wobei auf jeder Stufe eine Ganzheit des vermittelten Inhalts erreicht werden soll Stufen des Unterrichts: - Mutterschule (Schärfung der äußeren Sinne) - Muttersprachenschule (Übung der inneren Sinne - Rechnen, Lesen, Schreiben, basales religiöses, politisches oder geschichtliches Wissen) - Lateinschule (klassische Sprachen und verschiedene Wissenschaften ) - Universität (aktueller Stand von Wissen und Forschung) 7 Bildungsbegriff ▪ Mensch wird aus dem Zustand der rohen Unvollkommenheit herausgeführt durch Bildung ▪ Drei Ziele von Bildung: Gelehrige Bildung, Bildung zu Sittlichkeit und Tugend und Bildung der Frömmigkeit ▪ Ziel von Bildung ist Menschwerdung – das heißt, sich seines Menschseins bewusst werden 8 Bildungsbegriff „Kaum gibt es einen so unreinen Spiegel, dass er nicht auf irgendeine Weise Bilder aufnähme, kaum eine so rauhe Tafel, dass sich nicht irgendwie darauf schreiben ließe“ ▪ Statt konstruktivistischem Verständnis („Schüler konstruieren Wissen selbst“) geht es darum „den Docht zu entzünden“ (frontale Vermittlung von Wissensinhalten) ▪ Bildungsprozesse als „Gebildet-Werden“ – Wissensvermittlung statt Wissenskonstruktion „Das Gehirn gleicht dem Wachs, das es ermögliche dass Abbilder der Dinge dem Gehirn eingedrückt werden“ 9 Kritische Würdigung ▪ Betont das Einende des Menschseins vor aller Verschiedenheit Gegenwartsbezug: Verweist auf Verantwortung von Schule für chancengleiche Bildung angesichts sozialer Ungleichheiten ▪ Nimmt Gedanken neuzeitlicher Pädagogik vorweg: Konzept einer vernünftigen Bildung als Herauskriechen/Auszug aus der Bewusstlosigkeit gesellschaftlich bedingter Determination ▪ Leistete maßgeblichen Beitrag zur Methodisierung des Unterrichts 10 18. Jahrhundert: Natürliche Erziehung und Unterricht Jean-Jacques Rousseau *1712 - †1778: Vertreter der Aufklärung, Gesellschaftskritiker und Wegbereiter der französischen Revolution Erziehungsroman „Émile oder Über die Erziehung“ (1762) „Was die Schüler auf dem Schulhof untereinander lernen, ist hundertmal nützlicher als alles, was man ihnen in der Klasse sagen kann.“ 11 Schule ▪ Kritik an bestehenden Bildungs- und Schulstrukturen: Schule befördere Eigennutz, Eitelkeit und Habsucht – Haltungen, die nach Rousseau in der korrumpierten Gesellschaft insgesamt vorherrschen ▪ Kritik am vorherrschenden ‚Katechismusunterricht‘: In Schulen sind Schüler „daran gewöhnt, Worte auszusprechen, die sie nicht verstehen“ → Menschen bleiben unverständig, manipulierbar und dem äußeren Zwang der sie regierenden Mächte ausgesetzt 12 Bildungs- und Erziehungsbegriff ▪ Erziehungskonzept der „negativen Erziehung“ – Erziehung verfolgt keine positiven (= gesetzten) Zielsetzungen, sie hat nicht die Absicht, aus dem Zögling etwas Bestimmtes zu machen – Erziehung zielt nur darauf ab, dass natürliche Entwicklung des Menschen nicht behindert wird → Kritik am Schulsystem, das zu stark in gesellschaftlich vorgegebene Zwecksetzungen eingebunden ist ▪ Erzieher muss Zögling den „Schein der Freiheit“ erhalten, muss selbst aber Herr der Lage sein – Herrschaft des Erziehers über den Zögling wird jedoch nicht als Tyrannei betrachtet, da sie den natürlichen Bedürfnissen des Kindes Rechnung trägt ▪ Erziehung soll es dem Zögling ermöglichen, nur solche Erfahrungen machen, an denen er wachsen kann 13 Menschenbild Der Mensch ist wesentlich frei, empfindsam und vernünftig ▪ Rousseau sucht nach Bedingungen, die es dem heranwachsenden Menschen erlauben, sukzessiv sein Wesen, seine Natur verwirklichen zu können „Alles ist gut, wie es aus den Händen des Schöpfers kommt, alles entartet unter den Händen des Menschen“ ▪ Mensch als aktives, intelligentes Sinnes- und Geisteswesen – Mensch als Erkennender und Handelnder ▪ Gesellschaft als entartet: Gesellschaft erzieht nicht zu natürlicher Ordnung, in der alle Menschen gleich sind und sich als Gleiche dem Ganzen einordnen – stattdessen geht es in der Gesellschaft um Herrschen und Beherrscht werden ▪ Entfaltung des Wesens gipfelt in seiner Vernünftigkeit 14 Menschenbild ▪ Rousseau definiert vier Entwicklungsphasen Heranwachsender, in denen jeweils ein Moment der Entwicklung im Vordergrund steht 1. Körper (ca. bis 5. Lebensjahr) 2. Sinne (ca. bis 12. Lebensjahr) 3. Geistige Fähigkeiten und Wissenserwerb (ca. bis 15. Lebensjahr) 4. Eingliederung in die Gesellschaft und Herausbildung eines moralischen und religiösen Bewusstseins (ca. bis 20. Lebensjahr) → Eine der Natur des Menschen gemäße Erziehung stellt sich auf jeweils vorherrschende natürliche Bedürfnisse des Heranwachsenden ein 15 Schule ▪ Weitreichende Konsequenzen für den Unterricht: Nicht jeder Gegenstand ist in jeder Entwicklungsphase adäquat Schüler_innen müssen selbst den Nutzen und Wert des Gegenstandes, mit dem sie sich beschäftigen, entdecken können Kein Zwang zu lernen, jedoch arrangiert Erzieher Lernumgebung und Erkenntnisprozesse so, dass Vernünftiges vom Zögling entdeckt werden kann 16 Kritische Würdigung Einfluss auf die Schulentwicklung ▪ maßgebliche Bedeutung für schultheoretische Betrachtungen durch Kulturpessimismus bzw. Gesellschaftskritik – legt Instrumentalisierung von Erziehung und Bildung für willkürliche Herrschaftsinteressen offen ▪ beeinflusst gegenwärtige Diskurse um „entdeckendes Lernen“ ebenso wie reformpädagogische Bemühungen um offenen Unterricht ▪ Kritik an Entwicklungsphasen Rousseaus: aktuelle entwicklungspsychologische Erkenntnisse sprechen gegen ausschließliche Fokussierung des Körpers in ersten Lebensjahren 17 Kritik am Erziehungskonzept Rousseaus aus gegenwärtiger Perspektive ▪ Kritik an Annahmen zu geschlechtsspezifischer Erziehung: nach Rousseau brauchen Mädchen eine andere Art der Erziehung als Jungen, da sie von anderer Natur sind → Mann und Frau sind in Charakter und Temperament nicht gleich geartet (und sollen es nicht sein) Erziehung des Jungen Erziehung und Wesen der Mädchen „Es folgt daraus, dass ihre - „all ihre Launen bezähmen, um sich den - Mann, der nur für sich selbst Erziehung in dieser Hinsicht der handelt und von sich selbst unsrigen entgegengesetzt sein Willen anderer zu unterwerfen“ abhängt, kann öffentlichem muss." (Rousseau 1762/1979 , S. (Rousseau 1762/1979 , S. 483) 476). Urteil Trotz bieten - „Fast von Geburt an lieben Mädchen - Respekt des Eigenrechts des den Putz“ jungen Mannes - „Die Prinzipien und Axiome der Wissenschaft, alles was auf die Verallgemeinerung der Begriffe abzielt, ist nicht die Sache der Frauen“ Schmid, P. (1992). Rousseau Revisited. Geschlecht als Kategorie in der Geschichte der Erziehung. In: Zeitschrift für Pädagogik, 38 (6), S. 839-854 19 https://www.pedocs.de/volltexte/2018/13981/pdf/ZfPaed_199 Zum Weiterlesen 2_6_Schmid_Rousseau_Revisited.pdf 19 19. Jahrhundert: Schule und Allgemeine Menschenbildung Wilhelm von Humboldt *1767 - †1835: Gelehrter, Bildungsreformer ▪ Schule als allgemeine Menschenbildung „Im Mittelpunkt aller besonderer Arten der Thätigkeit nehmlich steht der Mensch, der ohne alle, auf irgend etwas Einzelnes gerichtete Absicht, nur die Kräfte seiner Natur stärken und erhöhen, seinem Wesen Werth und Dauer verschaffen will. […]“ 20 Bildungsbegriff ▪ Allgemeine Menschenbildung besteht für Humboldt darin, dass der Mensch seine Kräfte bildet ▪ Vier verschiedene Kräfte: 1) Physische Kraft: Körperliche Vitalität, innerer Antrieb, Energie 2) Denkkraft: Formale Denkstrukturen, Logik 3) Einbildungskraft: Abbildung der äußeren Welt in sich selbst → konsistentes Bild von der Welt erlangen 4) Moralische Kraft: Fähigkeit zu Handeln – Handeln als Reflektieren/sich von reizbedingten Reaktionen distanzieren können 21 Bildungsbegriff ▪ Humboldt vertritt in seinen allgemeinen Überlegungen zur Bildung von Menschen das Ideal einer Aufklärung und Kultur umfassenden Formung der Persönlichkeit durch die Entwicklung ihrer Kräfte und den Gewinn von Kenntnissen über die Welt ▪ Bildung als ,,Bildung der Gesinnungen und des Charakters“ – ermöglicht Selbstständigkeit und Freiheit 22 Schule ▪ Kritik an bestehenden Schulstrukturen: Vorherrschendes Ständewesen bestimmt, welche Bildung einzelne Individuen erfahren – Ritterakademien, Gelehrtenschulen für Adel und Klerus, Dorfschulen für Bauern und Handwerker ▪ Humboldt kritisiert, dass an existierenden Schulformen keine Menschenbildung betrieben wird, sondern dass staatsspezifische Interessen verfolgt werden – der Staat erziehe zum Bürger nicht zum Menschen ▪ Humboldts Kritik an schulischen Institutionen findet Eingang in seine späteren Lehrpläne, die er als Leiter der preußischen Sektion für Kultus und Unterricht verfasste (1809-1810) 23 Schulpläne Wilhelm von Humboldts ▪ 1809: Königsberger Schulplan; Litauischer Schulplan: Konzeption einer allgemeinbildenden Schule ▪ Distanziert sich von staatlichen und gesellschaftlich-ökonomischen Erwartungshaltungen gegenüber Schule ▪ Konzipiert Schule als gegliederte Einheitsschule, die nicht auf Abnehmerinteressen potentieller Schulabgänger ausgerichtet ist, sondern am inneren Entwicklungsgang des Bildungsprozesses ▪ Lernen des Lernens als Ziel von Schule, um frei und unabhängig zu werden, also urteilskräftig, ausdrucksfähig, empfindsam und körperlich beweglich -> den Mensch zum Menschen machen ▪ Notwendigkeit der schulischen Vermittlung allgemeiner Kenntnisse, deren jeder aufgeklärte Mensch und Bürger bedürfe 24 ▪ Schule als Institution allgemeiner, nicht spezifischer Bildung mit Unterricht in drei Stadien Universitätsunterricht Ort der freien geistigen Begegnung gebildeter Individuen angeleitetes Forschen; Unterricht hat keine Grenze und Ende des Bedarfes mündlicher Anleitung hängt allein vom Subjekt ab – Einheit von Forschung und Lehre Schulunterricht Vermittlung gymnastischer, ästhetischer und didaktischer (mathematische & philosophische) Bildung; Übung der Fähigkeiten und Kenntniserwerb als Grundlage wissenschaftlicher Einsicht Elementarunterricht Vermittlung elementarer Kulturtechniken 25 Kritische Würdigung ▪ maßgeblicher Einfluss der Überlegung, Schule aus der Idee der Bildung heraus zu entwickeln – breite Wirkung der Humboldt'schen Bildungstradition auf die Schule, insbesondere auf Gymnasien ▪ Humboldts Ideen zu Schule und Bildung trafen kurzfristig den Nerv der vorrestaurativen Zeit vielfältiger Reformbemühungen in Preußen – gleichzeitig erschienen viele seiner Ideen damals nicht umsetzbar bzw. erfuhren massiven Gegenwind durch restaurative Kräfte ▪ Inhaltlicher Kritikpunkt: eine Schule, die aus der reinen Idee der Bildung abgeleitet wird, stellt Abstraktion dar, da sie gesellschaftliche, religiöse, politische, ökonomische Einflusssphären auf Schule ausgrenzt ▪ Weitere Kritikpunkte: Abtrennung schulischer Bildungsgüter von späterer Verwendbarkeit erwies sich als schwierig und wurde in Bezug auf „fiktive Innerlichkeit“ als Abgrenzung zu technisch-ökonomischer Entwicklung kritisiert 26 19. Jahrhundert: Erziehender Unterricht und Schule Johann Friedrich Herbart *1767 - †1841: Philosoph, Psychologe, Pädagoge ▪ Unterrichtsentwicklung und didaktische Rezeption orientiert an Idee des erziehenden Unterrichts ▪ Problematische Verhältnisbestimmung von Erziehung, Schule, Staat und Gesellschaft 27 Menschenbild ▪ Mensch besitzt Fähigkeit zu innerer Freiheit Innere Freiheit besteht darin, nicht tun zu müssen, wozu man geneigt ist, sondern die verschiedenen Bestrebungen zu beurteilen und sich bewusst entscheiden zu können ▪ „innere Freiheit“ ist Voraussetzung dafür, dass Menschen ihren Willen beurteilen können ▪ Moralische Prinzipien zur Beurteilung des eigenen Willens: Rechtlichkeit und Güte → Gegenüber sollte stets als gleichberechtigtes Gegenüber betrachtet werden (Rechtlichkeit) und es sei ihm mit Wohlwollen zu begegnen (Güte) 28 Bildung - Bildsamkeit ▪ Betont Selbstbestimmtheit des Menschen – Konzept der Bildsamkeit: Entwicklung Heranwachsender ist weder gänzlich durch natürliche Anlagen noch durch ihr soziales Umfeld bestimmt sondern besagt, dass „Mensch sich bildet“ (aktiver, sich selbst bildender Mensch) ▪ „Idee der Menschenbildung“: ursprüngliche Unbestimmtheit des Menschen wird durch Bildung zu Festigung der Persönlichkeit und des Charakters geformt = feste Entschlossenheit des Willens, der begründet Entscheidungen zu treffen vermag und dabei nicht einseitig gesteuert wird ▪ Erziehung als bewusst gestaltete Einflussnahme auf die Bildsamkeit Heranwachsender muss klären, worin das legitime Ziel der Einflussnahme auf Individuen besteht, da äußere Einflussnahme der Selbstbestimmung und Freiheit des Menschen widerspricht 29 Bildung - Bildsamkeit ▪ Pädagogisches Wirken erfährt seine Legitimation dadurch, dass es an den Prinzipien der Rechtlichkeit und Güte ausgerichtet ist: Seinen Schülerinnen und Schülern mit Wohlwollen zu begegnen besagt in diesem Zusammenhang, dass die Lehrperson das Gegenüber nicht nach seinem Willen zu formen trachtet, sondern anerkennt, dass sich das Gegenüber als bildsames Wesen eigene Zwecke setzt und auf diese Weise eigene Bestimmung findet ▪ Unterricht ist an „Idee der Menschenbildung“ ausgerichtet: soll dazu führen, dass natürliche Begehren vielseitigen Interessen weichen - ähnlich wie bei Humboldt ist die „Harmonische Ausbildung aller Kräfte“ das Ziel von Bildung und Erziehung 30 Schule ▪ Um Ziel der „Allgemeinen Menschenbildung“ zu erreichen, wird Unterricht als „erziehender Unterricht“ konzipiert: Unterricht als ästhetische Darstellung der Welt - Zusammenhang zwischen Erkenntnisgegenständen wird zu Bewusstsein gebracht – Anhäufung unverbunden nebeneinander stehender Vorstellungen wird vermieden Unterricht muss an der Individualität des Heranwachsenden ausgerichtet sein – muss dort anknüpfen, wo das Individuum aufgrund seiner Anlagen und Erfahrungen steht Unterricht muss Erwerb von Erkenntnissen und Fähigkeit zur Teilnahme gewährleisten - muss mehr leisten als Vermittlung von Wissen Unterricht hat als "erziehender Unterricht" die doppelte Aufgabe, den Gedankenkreis des Zöglings zu erweitern und zu ordnen 31 Schule: Formalstufentheorie ▪ Herbart (1806/1965) geht davon aus, dass beim Lernen qualitativ unterschiedliche geistige Akte vollzogen werden, an denen sich Unterricht orientieren sollte ▪ Vier formale Stufen des Unterrichts: 1) Klarheit: Lernende setzten sich Ziel und verschaffen sich Klarheit über den Lerninhalt 2) Assoziation: Bildung neuer Begriffe als Wechselwirkung zwischen Anschauung (Erfahrung) und vorhandenen Begriffen (Denken) – Anschauung und vorhandene Begriffe werden aufeinander bezogen 3) System: Anschauung und vorhandene Begriffe werden integriert 4) Methode: Anwendung des veränderten Begriffsumfangs → Konsequenzen für Lehrerausbildung und Schule 32 Schule ▪ Unterricht als an praktischen Ideen ausgerichtete Erziehung muss über unmittelbare Begehrlichkeiten und gesellschaftliche Einseitigkeiten hinausführen ▪ Erforschung der Bedürfnisse des Zöglings ist Voraussetzung, um Lehrplan entwerfen zu können ▪ Kritik an Schulsystem des 19. Jh.: Verhältnisbestimmung von Pädagogik: Erziehung verfährt nicht durch Anordnung sondern durch ästhetisch darzubietenden Unterricht – sie schwört auch nicht auf gerade herrschende Verhältnisse ein, sondern will Lernende dazu befähigen, aus innerer Einsicht zu handeln und sich zunehmend eigenständig bestimmen zu können 33 Kritische Würdigung ▪ Schulkritische Äußerungen Herbarts und pädagogische Begriffsbestimmung betonen pädagogischen Sinn der Schule angesichts gegenläufiger politischer und ökonomischer Einflussnahmen: „Schule heißt Muße“ ▪ Bezieht Kants Morallogik auf konkreten Kontext der Erziehung: Wille führt nicht unmittelbar zur Handlung sondern nur durch Einsicht → kein Zwang zur Bildung ▪ Kritik: Ist es der Wille des Lernenden, wenn sich ein Schüler dazu bestimmt, nicht am Unterricht teilnehmen zu wollen? Entspricht den Ideen Herbarts tatsächlich ein ‚freiwilliger Unterricht‘ oder ist die Pflicht zur Unterrichtsteilnahme nicht auch die moralisch gebotene Forderung, sich selbst zu bilden, um urteilsfähig zu werden? ▪ Kritik an Formalstufentheorie: stark schematisches Vorgehen im Lehr-Lernprozess widerspricht der Komplexität menschlicher Bildung 34 Zusammenfassung und Take Home Messages ▪ Neuzeitliche Betrachtung von Schule und Bildung ist geprägt durch Betrachtung des Menschen im Spannungsfeld von Anlagen und Umwelt ▪ Schule wird als Ort der allgemeinen Menschenbildung betrachtet ▪ Neuzeitliche Schultheorien kritisieren Zugriff gesellschaftlicher Mächte auf die Schule (z.B. Kirche, Staat, Ökonomie) und problematisieren insgesamt die institutionelle Organisation der Vergesellschaftung heranwachsender Individuen (Rousseau, Herbart) 35 Zusammenfassung und Take Home Messages ▪ Neuzeitliche Schultheorien unterscheiden zwischen Bildung und Ausbildung, also zwischen berufs- bzw. standesspezifischer Bildung und allgemeiner Menschenbildung ▪ Fragen, die aufgeworfen werden, betreffen Spannungen zwischen gesellschaftlichen Bedingtheiten von Schule und individuellen Freiheitsansprüchen (z.B. Humboldt) ▪ Antworten der neuzeitlichen Theorien auf diese Fragen werfen zum Teil Probleme auf, da sie tendenziell eine Abkopplung pädagogischer Bildungsansprüche von realen gesellschaftlichen Bedingungen bedeuten und eine ‚pädagogische Sonderwelt‘ erschaffen (z.B. Rousseau und Humboldt) 36 Systematische Pädagogik https://www.youtube.com/watch?v=rHcr9jDIz20 nach Herbart 37 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 38 Literatur: Bohl, T., Wacker, A., & Harant, M. (2014). Schulpädagogik und Schultheorie (Vol. 4180). UTB. Maier, U. (2017). Lehr-Lernprozesse in der Schule: Studium: Allgemeindidaktische Kategorien für die Analyse und Gestaltung von Unterricht (Vol. 3767). UTB. Raithel, J., Dollinger, B., & Hörmann, G. (2009). Einführung Pädagogik. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Rousseau, J. J. (1963). Emile oder Uber die Erziehung. Stuttgart, Reclam. 39 Schulevaluation Prof. Dr. Rebecca Lazarides Arbeitsbereich Schulpädagogik – Schul- und Unterrichtsentwicklung Profilbereich Bildungswissenschaften Campus Golm Sprechzeiten: nach Vereinbarung (E-Mail zur Voranmeldung) 1 Leitfragen zur heutigen Sitzung: Was ist Evaluation? Welche Vorgehensweisen und Arten von Evaluationen werden unterschieden? Welche Phasen von Evaluationen werden unterschieden? Welche Ziele hat Evaluation im schulischen Kontext? 2 STICHWORT: SCHULENTWICKLUNG https://bildungsserver.berlin- brandenburg.de/schule/schulentwickl ung/qualitaetssicherung/?L=0 1. Evaluationsberichte 2. Deskriptive Auswertungen 4. Veranstaltungen 3. Erhebungs- instrumente 5. Aktuelle Befragungen 3 (2) Die Schulen legen pädagogische Ziele und Schwerpunkte ihrer Arbeit mit dem Ziel fest, diese in einem Schulprogramm für die Sicherung und Entwicklung der Qualität schulischer Arbeit zusammenzuführen. Sie überprüfen regelmäßig das Erreichen ihrer pädagogischen Ziele und die Umsetzung ihrer verabredeten Arbeitsschwerpunkte oder ihres Schulprogramms (interne Evaluation) und können sich hierbei durch Dritte unterstützen lassen. 4 2.2 Interne Evaluation Die Wirksamkeit des Schulprogramms und der Erfolg der pädagogischen insbesondere der unterrichtlichen Arbeit werden über interne Evaluationsvorhaben regelmäßig durch die Schule reflektiert und bewertet. Die Schule beschreibt im Schulprogramm, welche der genannten Entwicklungsschwerpunkte wann, wie und durch wen evaluiert werden sollen. Dabei kann sie sich durch die im Beratungs- und Unterstützungssystem für die staatlichen Schulämter und Schulen (BUSS) eingesetzten Berater/innen für Schulentwicklung oder für Schulevaluation unterstützen lassen. Die Nutzung des Evaluationsinstruments Selbstevaluation in Schulen (SEIS) sowie des Selbstevaluationsportals (SEP) des Instituts für Schulqualität der Länder Berlin und Brandenburg (ISQ) wird besonders empfohlen 5 Evaluation – Begriffsbestimmung und Formen der Evaluation 6 Evaluation – Begriffsbestimmung und Formen der Evaluation Evaluation = Prozess des systematischen Sammelns und Analysierens von Daten mit dem Ziel begründeter Bewertungen (vgl. Kempfert / Rolff 1999, S. 23) Evaluation als Prozess, „innerhalb dessen eine zweckgerichtete Auswahl von Bewertungskriterien erfolgt, eine Institution oder Maßnahme auf Basis dieser Kriterien systematisch untersucht und bewertet wird und eine Kommunikation über die Bewertung stattfindet mit dem Ziel, Konsequenzen abzuleiten.“ Klieme (2005, S. 41) 7 Evaluation – Begriffsbestimmung und Formen der Evaluation Kennzeichen einer systematischen Evaluation ▪ Datengrundlage über den Evaluationsgegenstand bildet die Basis der Evaluation ▪ Verwendung wissenschaftlicher Forschungsmethoden und -techniken (z.B. Interviews, Fragebögen) ▪ Die Wirkung, der Nutzen bzw. der Wert eines Evaluationsgegenstandes wird evaluiert ▪ Ableitung von Bewertungen, die in Form von Berichten festgehalten werden ▪ Bewertungen müssen sich an im Vorhinein festgelegten Kriterien orientieren ▪ Nutzen besteht in der Überprüfung und Veränderung der Praxis Burkhard & Eikenbusch (2000) 8 Evaluation – Begriffsbestimmung und Formen der Evaluation Evaluationsarten: Formative Evaluation ▪ Evaluierung von in der Vorbereitungsphase befindlichen oder laufenden Programmen, die verbessert werden sollen ▪ Ermöglicht Veränderung der evaluierten Maßnahme während des Ablaufes ▪ Ermöglicht Veränderungsmessung durch Maßnahmen 9 Evaluation – Begriffsbestimmung und Formen der Evaluation Evaluationsarten: Summative Evaluation ▪ Evaluierung bereits stattgefundener Programme: „Ergebnisevaluation“ ▪ Ermöglicht keine Veränderungsmessung ▪ deskriptive (beschreibende) Evaluation der Maßnahme 10 Evaluation – Begriffsbestimmung und Formen der Evaluation Vorbedingungen der Evaluation Systematische Sammlung Festlegung und transparente von Informationen unter Kommunikation der für die Nutzung Bewertung der Daten wissenschaftlicher herangezogenen Kriterien Methoden Burkhard & Eikenbusch (2000) 11 Ebenen von Evaluation im schulischen Kontext Makroebene: Gesamtes Schulwesen der Bundesrepublik o Internationale Schulleistungsvergleichsstudien, Qualität des Bildungssystems Exosystem: Schulen eines Bundeslandes o Nationale Schulleistungsvergleichsstudien, Schulqualität Mesoebene: Einzelschule o Lernerfolgsfeststellung, Lehrevaluation Mikroebene: Unterricht o Lernerfolgsfeststellung, Unterrichtsqualität 12 Instrumente der schulischen Evaluation Methoden sozialwissenschaftlicher Forschung: ▪ Fragebögen ▪ Interviews / strukturierte Gespräche ▪ Schulleistungstests ▪ Beobachtungen ▪ Dokumentenanalyse „Weichere“ Methoden: offen und assoziativ angelegte Methoden, wie etwa Rollenspiele oder Gedankenlandkarten Hense & Mandl (2003) 13 Ziele der Evaluation im schulischen Kontext (Burkhard & Eikenbusch 2000) ▪ Qualitätssicherung ▪ Erweiterte Selbstverantwortung einzelner Schulen (z.B. durch Selbstevaluation) ▪ Erarbeitung von Schul- und Bildungsprogrammen → Herausforderung von Schulen liegt in der Entwicklung einer Evaluationskultur, in der Rückmeldungen zur Schulpraxis als Qualitätsentwicklungsmaßnahme verstanden werden 14 Evaluation – Begriffsbestimmung und Formen der Evaluation Formen von Evaluation im schulischen Kontext Schulexterne Evaluation Schulinterne Evaluation 15 Evaluation – Begriffsbestimmung und Formen der Evaluation Formen von Evaluation im schulischen Kontext: Schulexterne Evaluation ▪ Fremdevaluation; durch Verpflichtung veranlasst ▪ von schulexternem Personal durchgeführte Analyse vorhandener oder erhobener Daten der Schule ▪ Für Entwicklung der Schule kann es förderlich sein, wenn die externe Evaluation von der Haltung des ‚kritischen Fremden‘ geprägt ist Burkhard & Eikenbusch 2000 Müller-Kohlenberg & Beywl, 2003 16 Evaluation – Begriffsbestimmung und Formen der Evaluation https://mbjs.brandenburg.de/bildung/gute-schule/orientierungsrahmen-schulqualitaet-und-evaluation.html 17 Evaluation – Begriffsbestimmung und Formen der Evaluation Formen von Evaluation im schulischen Kontext: Schulinterne Evaluation ▪ Selbst-initiierter, kontinuierlicher, systematischer Lern- und Arbeitsprozess in der Schule ▪ Qualitätsentwicklungsprozess, der durch die Schule selbst geleitet, geplant und durchgeführt wird ▪ Voraussetzung ist der kompetente Umgang mit Evaluationsinstrumenten 18 Evaluation – Begriffsbestimmung und Formen der Evaluation https://mbjs.brandenburg.de/bildung/informationen-fuer-schultraeger/schulbau.html https://mbjs.brandenburg.de/bildung/gute-schule/orientierungsrahmen-schulqualitaet-und-evaluation.html 19 Evaluation – Begriffsbestimmung und Formen der Evaluation Schulinterne Evaluation: Standards zur Selbstevaluation an Schulen ▪ Informationsgewinnung muss störungsarm in den Alltag integriert werden; ▪ Ergebnisse werden i.d.R. als formative Evaluation zeitnah verwendet; ▪ Summative Evaluationen sollen i.d.R. als Fremdevaluation durchgeführt werden ▪ Verfahren und Instrumente, sowie die Anforderungen an die Gütekriterien dürfen die Kompetenzen der Selbstevaluator_innen nicht überfordern; ▪ Unparteilichkeit muss kein Grundsatz sein, da selbst-evaluierende Fachkräfte den Leitbildern und Zielen der Organisationen, in denen sie arbeiten, verpflichtet sind; ▪ Ergebnisse dienen sowohl der Programmoptimierung wie der eigenen Weiterqualifizierung Müller-Kohlenberg & Beywl 2003 20 „Evaluationszyklus“: Ablauf von Selbstevaluation (Hense & Mandl 2008, S. 23) 21 „Evaluationszyklus“: Ablauf von Selbstevaluation Welcher Inhaltsbereich soll evaluiert werden? z.B. Unterrichtsevaluation = Inhaltsbereich Unterricht Rückschlüsse & Konsequenzen aus Evaluationsergebnissen, z.B. regelmäßige Unterrichts- besprechungen im Kollegium Was konkret soll beurteilt werden? z.B. Unterrichtsqualität Wer gibt wem z.B. beobachtbare Anhaltspunkte, Feedback? z.B. an denen erkennbar wird, ob und Kollegium gibt inwieweit Ziele/Kriterien erreicht Lehrperson Feedback worden sind Vorgehensweise, z.B. Fragebogen- erhebungen in Auswertung wie Papier- oder Online- empirisch beobachtbare und durch wen? Form Indikatoren, z.B. z.B. Unterrichts- Checklisten, etc. dokumentationen oder Checklisten (Hense & Mandl 2008, S. 23) 22 Evaluation – Begriffsbestimmung und Formen der Evaluation „Evaluationszyklus“: Ablauf von Selbstevaluation 1. Evaluationsbereich klären: Welcher Inhaltsbereich soll evaluiert werden? z.B. Unterrichtsevaluation = Inhaltsbereich Unterricht 2. Zieldimensionen und Standards bestimmen: Operationalisierung der Zieldimensionen Was konkret soll beurteilt werden? z.B. Unterrichtsqualität 3. Indikatoren festlegen Was beeinflusst die Erreichung der Ziele? z.B. beobachtbare Anhaltspunkte, an denen erkennbar wird, ob und inwieweit die Ziele/Kriterien erreicht worden sind 4. Instrumente finden bzw. erstellen: Welche empirisch beobachtbare Indikatoren ermöglichen die Erfassung der Zieldimensionen? z.B. Checklisten, Fragebögen, pädagogische Tagebücher, Beobachtungsbögen, Gesprächsleitfäden 23 Evaluation – Begriffsbestimmung und Formen der Evaluation „Evaluationszyklus“: Ablauf von Selbstevaluation 5. Daten sammeln Wie soll bei der Erhebung vorgegangen werden? z.B. Fragebogenerhebungen in Papier- oder Online-Form 6. Daten auswerten und interpretieren Wie und durch wen werden die Daten ausgewertet? z.B. bei „unterrichtsnahen“ Erhebungen, wie Unterrichtsdokumentationen oder Checklisten gemeinsam im Kollegium 7. Feedback geben Wer gibt wem Feedback? z.B. Kollegium gibt Lehrperson Feedback, das sich auf die Evaluationsergebnisse und den Umgang damit bezieht 8. Konsequenzen ziehen Welche Rückschlüsse und Konsequenzen können aus den Evaluationsergebnissen abgeleitet werden? z.B. Einführung regelmäßiger Unterrichtsbesprechungen im Kollegium 24 (Hense & Mandl 2003, S. 17) Evaluation – Begriffsbestimmung und Formen der Evaluation „Evaluationszyklus“: Ablauf von Selbstevaluation Praxisbeispiel zur Selbstevaluation im schulischen Kontext 25 Evaluation – Begriffsbestimmung und Formen der Evaluation „Evaluationszyklus“: Ablauf von Selbstevaluation Ziel- dimensionen und Instrumente (Hense & Mandl 2003, S. 17) 26 Evaluation – Begriffsbestimmung und Formen der Evaluation „Evaluationszyklus“: Ablauf von Selbstevaluation Methoden (Hense & Mandl 2003, S. 17) 27 Evaluation – Begriffsbestimmung und Formen der Evaluation „Evaluationszyklus“: Ablauf von Selbstevaluation Daten- grundlage (Hense & Mandl 2003, S. 17) 2828 Evaluation – Begriffsbestimmung und Formen der Evaluation „Evaluationszyklus“: Ablauf von Selbstevaluation Praxisbeispiel zur Selbstevaluation im schulischen Kontext Stärken und Schwächen (Hense & Mandl 2003, S. 17) 29 Schulevaluation im Land Brandenburg 30 Evaluation als Bestandteil der Schulprogrammarbeit Brandenburgisches Schulgesetz (BbgSchulG) § 7 Abs. 2: Grundsätze für Schulprogramme und Schulprogrammarbeit: alle Schulen in öffentlicher Trägerschaft haben ein Schulprogramm erarbeitet und sind dazu aufgefordert, dieses regelmäßig weiterzuentwickeln 31 Schulinterne Evaluation: − Schulen sollen in regelmäßigen Abständen den Erfolg ihrer pädagogischen Arbeit eigenständig überprüfen − Schule beschreibt im Schulprogramm, welche der genannten Entwicklungsschwerpunkte wann, wie und durch wen evaluiert werden sollen − Unterstützung durch Berater/innen im Unterstützungssystem für die staatlichen Schulämter und Schulen 32 Selbstevaluation als Maßnahme der Qualitätssicherung an Schulen Angebot zur Unterstützung der internen Evaluation: Selbstevaluationsportal des Instituts für Schulqualität Berlin-Brandenburg (ISQ) https://www.isq-bb.de/Selbstevaluation.12.0.html 33 Selbstevaluation als Maßnahme der Qualitätssicherung an Schulen Angebot zur Unterstützung der internen Evaluation: Selbstevaluationsportal des Instituts für Schulqualität Berlin-Brandenburg (ISQ) 34 Selbstevaluation als Maßnahme der Qualitätssicherung an Schulen Angebot zur Unterstützung der internen Evaluation: Selbstevaluationsportal des Instituts für Schulqualität Berlin-Brandenburg (ISQ) 35 Beispielrückmeldung 36 Beispielrückmeldung 37 Beispielrückmeldung 38 Beispielrückmeldung 39 Beispielrückmeldung 40 Schulexterne Evaluation: ▪ Alle öffentlichen Schulen werden im Land Brandenburg im Zeitraum von vier bis sechs Jahren wiederholt extern evaluiert ▪ Schulvisitation: standardisiertes Erhebungsverfahren von 19 Profilmerkmalen sowie Einsicht in relevante Dokumente der Schule, Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern aller Personengruppen der Schulgemeinschaft und Unterrichtsbeobachtungen ▪ Beteiligung der Schulgemeinschaft: Präsentation des pädagogischen Profils der Schule durch die Schulleitung ▪ Bericht: Auswertung in der Schulöffentlichkeit https://www.schulen-aargau.ch/kanton/Dokumente_offen/bewertungsraster%20zum%20schulinternen%20qualit%C3%A4tsmanagement.pdf 41 Evaluation im schulischen Kontext Chancen der (Selbst-)Evaluation in Schulen ▪ zyklischer Charakter des Ablaufes einer (Selbst-)Evaluation ermöglicht, dass Ergebnisse bereits zur Laufzeit in den Prozess zurückgespeist werden, um so frühzeitig Verbesserungen zu initiieren ▪ Selbstevaluation ist primär auf Entwicklungsaspekt ausgerichtet – Möglichkeit der Weiterentwicklung der eigenen Schul- und Unterrichtspraxis ▪ Externe Evaluationen stellen Rückmeldungen bereit, die zur Weiterentwicklung der eigenen Praxis genutzt werden können 42 Herausforderungen schulischer Selbstevaluationen ▪ Je nach Evaluationsdesign liefern Evaluationsdaten möglicherweise nur begrenzte Angaben zu Ursachenzusammenhängen und keine Vorschläge oder didaktischen Konzepte zur Behebung von Defizite