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AUFMERKSAMKEITSDEFIZIT- HYPERAKTIVITÄTSSTÖRUNG (ADHS) DDDr. Ulrike Kipman EINORDNUNG AD(H)S ist ein viel diskutiertes und oft diagnostiziertes Syndrom Es fällt unter die Verhaltens- und emotionalen Störungen und ist im ICD-10 mit F90 codiert ADHS-K...

AUFMERKSAMKEITSDEFIZIT- HYPERAKTIVITÄTSSTÖRUNG (ADHS) DDDr. Ulrike Kipman EINORDNUNG AD(H)S ist ein viel diskutiertes und oft diagnostiziertes Syndrom Es fällt unter die Verhaltens- und emotionalen Störungen und ist im ICD-10 mit F90 codiert ADHS-Kinder haben massive Schwierigkeiten, die Aufmerksamkeit aufrecht zu halten, sind vielfach überaktiv und können Impulse nicht oder nur schwer stoppen Unterschieden wird zwischen Kindern: die Probleme mit der Aufmerksamkeit haben (ADS) und solchen, die zusätzlich überaktiv und impulsiv sind (ADHS) EINORDUNG Prävalenzrate: 4–5 %, davon weisen zusätzlich ca. 30 % (komorbide) Lernstörungen auf männliche Personen häufiger betroffen als weibliche ADHS lässt sich stark auf genetische Ursachen statistisch gesehen ist in jeder zurückführen Klasse mit 25 SchülerInnen ein d.h., dass für das Kind, einer von ADHS betroffenen Person, AD(H)S-Kind! die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, später selbst mit dieser Störung diagnostiziert zu werden zusätzlich treten Defizite in der Selbstregulation, worunter das Regulieren von Gedanken, Gefühlen und Handlungen durch das Selbst und die exekutive Kontrolle fallen, auf STÖRUNGSBILD ADHS geht mit drei Leitsymptomen einher 1. Unaufmerksamkeit: Kindern passieren Flüchtigkeitsfehler in der Schule und bei sonstigen Arbeiten schaffen es oft nicht die Aufmerksamkeit beim Spielen aufrechtzuerhalten hören Gesagtes häufig nicht und können Anweisungen oftmals nicht folgen sie verlieren relevante Gegenstände, wie z. B. Schulsachen sie lassen sich leicht von äußeren Reizen ablenken sie tun sich schwer bei der Organisation von Aufgaben und Aktivitäten sie sind bei Verläufen, was bestimmte alltägliche Aktivitäten betrifft, vielmals vergesslich STÖRUNGSBILD 2. Überaktivität: betroffene Kinder sind oftmals sehr zappelig und können nicht ruhig auf Stühlen sitzen bleiben und stehen häufig auf zudem weisen sie ein anhaltendes Muster exzessiver motorischer Aktivitäten auf, zum Beispiel klettern oder laufen sie in unangebrachten Situationen herum und lassen sich weder von Vorschriften noch von der sozialen Umgebung davon abhalten STÖRUNGSBILD 3. Impulsivität Betroffene stören oder unterbrechen andere häufig und reden sehr viel nehmen oft keine Rücksicht auf soziale Gepflogenheiten und platzen vor Beendigung einer Frage bereits mit der Antwort heraus Kindern mit ADHS gelingt es oftmals nicht darauf zu warten, bis sie bei einem Spiel oder einer anderen Aktivität an der Reihe sind STÖRUNGSBILD ADHS betrifft nicht nur Kinder, das Krankheitbild kann sich auch stabil bis ins Erwachsenenalter fortsetzen: Hyperaktivität tritt dabei weniger häufig auf Symptomatik verlagert sich vermehrt in den Aufmerksamkeitsbereich häufige Komorbiditäten bei Kindern: Störungen des Sozialverhaltens, Angststörungen und Depressionen auftreten oder es können sich Tics und Lernprobleme entwickeln häufige Komorbiditäten bei Erwachsenen: Substanzmittelmissbrauch, affektiven Störungen oder Angststörungen STÖRUNGSBILD Langzeitfolgen: das Bildungsniveau leidet unter der Störung es kann zu psychosozialen und psychiatrischen Problemen kommen betroffene Personen setzen sich vermehrt Risiken aus dies kann zu Arbeitslosigkeit, Unfällen und Kriminalität führen eine frühzeitige Diagnose und eine umfassende, konsequente und multimodale Behandlung sind daher unumgänglich! TYPISCHE SYMPTOME Betroffene: leiden unter Konzentrationsschwäche leiden unter leichtem Gedankenabdriften und gleichzeitig Hyperfokus, wenn etwas subjektiv interessant ist können nicht gut zuhören beginnen viele Projekte, beenden aber wenige davon lehnen Langeweile ab, sind immer auf der Suche nach Stimuli und können mit Regeln und Routinen wenig anfangen sind oft unorganisiert, chaotisch, vergessen und verlegen viele Dinge sind unruhig, immer in Bewegung, setzen impulsive und unüberlegte Aktionen und sagen oft sofort, was ihnen in den Sinn kommt TYPISCHE SYMPTOME Betroffene sind laut haben eine geringe Frustrationstoleranz sind ungeduldig leiden an Stimmungsschwankungen und Wutausbrüche glauben an eine externale Kontrollüberzeugung: d.h., dass die Betroffenen eher davon überzeugt sind, dass äußere Umstände oder andere Personen mehr Einfluss auf ihr Leben haben, als sie selbst TYPISCHE SYMPTOME IM SCHULKONTEXT Betroffene sind eher minimalistisch bringen schwächere Leistungen, als es ihrer Begabung entsprechen würdn sind häufiger von Klassenwiederholungen und Suspendierungen betroffen verfügen eher über keinen Schulabschluss als andere Kinder die Leistungen schwanken je nach Lehrkraft, nach Fach und nach Anforderung, aber auch nach Klassensituation die Beziehungsqualität zwischen Lehrkräften und Kind ist entscheidender als bei anderen Kindern Desinteresse und Interesse wirken sich stärker aus als bei anderen Kindern Schwieriges und Neues ist für diese Kinder interessanter als Routineaufgaben DIAGNOSTISCHE KRITERIEN Definition nach ICD-10: DIAGNOSTISCHE KRITERIEN DSM-V weist eindeutigere Definitionen und Typenunterscheidung auf entscheiden für Eltern, Lehrer, Ärzte,.. (v. a. wegen möglicher Medikamentengaben und auch wegen der Unterscheidung zwischen Hyperaktivität und Impulsivität) Unaufmerksamkeit nach DSM-V: beobachtet häufig Einzelheiten nicht oder macht Flüchtigkeitsfehler bei Tätigkeiten hat Schwierigkeiten, längere Zeit die Aufmerksamkeit bei Aufgaben oder beim Spielen aufrecht zu erhalten scheint oft nicht zuzuhören, wenn andere es ansprechen führt Anweisungen anderer nicht vollständig durch und kann Arbeiten und Pflichten nicht zu Ende bringen es bestehen Schwierigkeiten, Aufgaben und Aktivitäten zu organisieren Das Kind vermeidet es, sich mit Aufgaben zu beschäftigen, die eine länger dauernde geistige Anstrengung erfordern Das Kind verliert häufig Gegenstände Das Kind ist leicht ablenkbar Das Kind ist bei Alltagstätigkeiten leicht vergesslich DIAGNOSTISCHE KRITERIEN Hyperaktivität nach DSM-V: Das Kind zappelt mit Händen oder Füßen Das Kind hüpft oder rutscht auf dem Stuhl herum Das Kind steht in der Klasse auf, wenn das Sitzenbleiben erwartet wird Das Kind läuft häufig umher und klettert exzessiv in Situationen, in denen dies unpassend ist Das Kind hat Schwierigkeiten, ruhig zu spielen oder sich mit Freizeitaktivitäten zu beschäftigen Das Kind ist häufig auf Achse und handelt getrieben Das Kind spricht übermäßig viel Impulsivität nach DSM-V: Das Kind platzt häufig mit Antworten heraus, bevor die Frage zu Ende gestellt ist; Das Kind kann nur schwer warten, bis es an der Reihe ist; Das Kind unterbricht und stört andere häufig (platzt in Spiele oder Gespräche hinein) DIAGNOSTISCHE KRITERIEN Unterschieden werden im DSM-5 drei Subtypen: Der vorwiegend unaufmerksame Typ Der vorwiegend impulsive und überaktive Typ Der Mischtyp ABLAUF DER DIAGNOSTIK 1. Exploration- und Anamnesegespräch: Risikofaktoren werden abgefragt: AD(H)S in der Familie, Frühgeburt, Sauerstoffmangel bei der Geburt, Alkohol oder Nikotinkonsum in der Schwangerschaft, Lakritzkonsum in der Schwangerschaft u. a.) und Merkmale der Entwicklung (wechselnde Reflexmuster in der Säuglingszeit, magisches Denken im Volksschulalter…) 2. Durchführung eines standardisiertes Interviews mit Eltern oder einem Elternteil und (je nach Alter) mit dem Kind : Diagnosekriterien werden anhand verschiedener Fragen abgeklärt 3. Ausfüllen diverser standardisiertr Fragebögen durch Eltern(teil) und Kind (je nach Alter) fallweise und wenn möglich werden auch Lehrer, Kindergärtner befragt zusätzlich wird das Kind testpsychologisch mit diversen Leistungstests untersucht (Intelligenztest und computerbasierte Verfahren zur Messung der Aufmerksamkeit und Konzentration) D I AG N OS E S TAN DA R D I S I E RT E V E R FA H R E N DISYPS III von Döpfner und Görtz-Dorten (2017): mit dem unter anderem Aufmerksamkeitsstörungen in Selbst- und Fremdbeurteilung (Eltern, Lehrer) in zwei Varianten (kleinere Kinder und größere Kinder) gemessen werden können DISYPS – Beurteilungsbogen für Eltern, Lehrer/-innen und Erzieher/-innen DISYPS – SBB-ANG: Beurteilungsbogen für Kinder und Jugendliche – 11 bis 18 Jahre DISYPS – SBB-TBS: Beurteilungsbogen für Kinder und Jugendliche – 11 bis 18 Jahre DISYPS – SBB-DES: Beurteilungsbogen für Kinder und Jugendliche – 11 bis 18 Jahre AUFMERKSAMKEITSFORMEN MESSUNG VON AUFMERKSAMKEITSFORMEN COMPUTERVERFAHREN WAF-Batterie am Schuhfried-Testsystem: mit der die Teilfunktionen der Aufmerksamkeit erfasst werden können die gemessenen Teilfunktionen umfassen: Alertness, Vigilanz und Daueraufmerksamkeit, Fokussierte Aufmerksamkeit, Geteilte Aufmerksamkeit, Selektierte Aufmerksamkeit, Räumliche Aufmerksamkeit und Neglect, Augenfolgebewegungen und Visuelles Scanning MESSUNG VON AUFMERKSAMKEITSFORMEN COMPUTERVERFAHREN TAP-Batterie von Zimmermann und Fimm (2017): Messung am PC von: Alertness selektiver Aufmerksamkeit geteilter Aufmerksamkeit Vigilanz zu jedem dieser Bereiche werden Tests vorgegeben (können insg. 13 sein) MESSUNG VON AUFMERKS AMKEITSFORMEN COMPUTERVERFAHREN KiTAP von Zimmermann et al. (2016): bei der die Aufgaben der TAP in kindergerechte Situationen eingebaut wurden z.B. soll bei der Go-/No-Go-Aufgabe eine Vampirfledermaus so schnell wie möglich verjagt werden, bevor sie einer Katze wehtut; zusätzlich zu den Tests, die sich auch in der TAP finden, können Ablenkbarkeit, Scanning, Vigilanz und Daueraufmerksamkeit mithilfe eines PC-Tests gemessen werden MESSUNG VON AUFMERKS AMKEITSFORMEN COMPUTERVERFAHREN Cognitrone aus dem Wiener Testsystem (Schuhfried): bei dem eine geometrische Figur mit vier weiteren geometrischen Figuren verglichen werden muss. CKV von Drühe-Wienholt und Wienholt (2011): bei dem Probanden am Bildschirm vier Zielkarten dargeboten werden, die sich in sechs Kategorien unterscheiden die Symbole auf den Karten werden vom Untersucher beschrieben anschließend erhält der Patient einen Stapel mit 96 Reaktionskarten, die er einzeln den Zielkarten zuordnen soll MESSUNG VON AUFME RKS AMKEITSFORMEN PAPIER-BLEISTIFT-VE RFAHREN / DURCHSTRE ICHTEST DL-KE von Kleber et al. (1974): bei dem in zehn Intervallen von jeweils 1,5 min ein bestimmter, auf der Reizvorlage mehrfach abgebildeter Gegenstand markiert werden muss ausgewertet wird der Test nach der Gesamtzahl der bearbeiteten Zeichen sowie nach relevanten und irrelevanten Bearbeitungsfehlern DL-KG von Kleber et al. (1999): der dieselbe Aufgabenstellung hat wie der DLKE und drei Messwerte für verschiedene Leistungsvariablen (Quantität, Qualität und Gleichmäßigkeit der Leistung) liefert MESSUNG VON AUFMERKS AMKEITSFORMEN PAPIER-BLEISTIFT-VERFAHREN / DURCHSTREICHTEST FAIR-2 von Moosbrugger et al. (2011): der die genaue und schnelle Diskrimination visuell ähnlicher Zeichen unter gleichzeitiger Ausblendung aufgabenirrelevanter Information fordert. d2-R von Brickenkamp et al. (2017): der die Schnelligkeit und Genauigkeit bei der Unterscheidung ähnlicher visueller Reize (Detail-Diskrimination) misst. FAKT -II von Moosbrugger et al. (2007): mit dem die Aspekte Konzentrations-Leistung (KL), Konzentrations-Genauigkeit (KG) und Konzentrations-Homogenität (KH) erfasst werden. DIAGNOSE S TA N D A R D I S I E RT E V E R FA H R E N IKT von Zentner (2010): mit dem fünf Eigenschaften des Kind-Temperaments in der Fremdbeurteilung durch die Eltern erfasst werden können: Frustrationsanfälligkeit, Gehemmtheit, Aktivität, Ausdauer/Aufmerksamkeit und sensorische Empfindlichkeit (Alter: Kindergarten, Volksschule); VSK von Koglin und Petermann (2016): mit dem Verhaltensprobleme und sozialemotionale Kompetenzen von Kindern im Kindergartenalter erfasst werden können. Sie liegen in zwei parallelen Versionen, eine für Eltern (VSK-EL) und eine für pädagogische Fachkräfte (VSK-PF) vor BRIEF von Drechsler und Steinhausen (2013): mit dem ein Verhaltensregulations- Index aus den Skalen Hemmen, Umstellen und emotionale Kontrolle sowie ein kognitiver Regulations-Index aus den Skalen Initiative, Arbeitsgedächtnis, Planen/ Strukturieren, Ordnen/Organisieren und.berprüfen gebildet werden kann (diesen Fragebogen gibt es auch in einer Vorschulversion: BRIEF-P); MESSUNG VON AUFMERKS AMKEITSFORMEN PAPIER-BLEISTIFT-VERFAHREN / DURCHSTREICHTEST ADHS-KJ von Petermann und Petermann (2019): mit dem im neuropsychologischen Einzeltest (verschiedene Testfragen und Mappen werden durchgearbeitet) die Leistungen des Kindes in den folgenden Bereichen erhoben werden: Aufmerksamkeit, Organisation der Informationsverarbeitung und Inhibition zusätzlich ist ein Eltern- und Lehrerfragebogen enthalten sowie eine Checkliste für Psychologen Beispiel-Items aus dem ADHS-KJ DIAGNOSE zusätzlich sollte mit dem Kind ein möglichst kurzer Intelligenztest durchgeführt werden, um eine Lernbehinderung oder auch Intelligenzminderung auszuschließen es gibt keine Aufgaben, die ausschließlich Aufmerksamkeit oder Konzentration verlangen die genannten Tests verwenden einfache Aufgaben, um den Einfluss von speziellen Fähigkeiten und Fertigkeiten auf die Testleistung zu minimieren in manchen Fällen sind Kinder/Jugendliche mit Dyskalkulie oder Legasthenie oder Kinder/Jugendliche, die eine eingeschränkte Merkfähigkeit oder Wahrnehmungsgeschwindigkeit aufweisen, benachteiligt auch die Leistungsmotivation ist hier von großer Bedeutung es lässt sich insbesondere bei Jugendlichen nicht immer feststellen, ob die Testperson nicht besser (schneller) arbeiten konnte oder wollte MUSTERBEISPIEL DIAGNOSTIK MUSTERBEISPIEL DIAGNOSTIK MUSTERBEISPIEL DIAGNOSTIK UNTERSTÜTZENDE MASSNAHMEN I M S C H U L I S C H E N KO N T E X als Lehrkraft kann man betroffene Kinder z. B. allein auf einen Platz in der Türreihe setzen, um den durch deren Bewegungsdrang störenden Einfluss auf die Klasse zu reduzieren als sinnvoll hat sich auch erwiesen, AD(H)S-Kinder mit Zusatzaufgaben zu versorgen, wenn Wartezeiten entstehen und nicht zu viele Anweisungen auf einmal zu geben auch Intervisionen mit Fachkollegen bzw. Fachkolleginnen können helfen, die eigene Interaktion mit dem AD(H)S-Kind zu beobachten und zu reflektieren UNTERSTÜTZENDE MASSNAHME IM ALLTÄGLICHEN KONTEX Eltern sind gut beraten, wenn sie sich Hilfe bei Elternberatern und Psychologen holen auch das Kneten mit Knetmasse oder das Verwenden von Gewichtsdecken kann wirkungsvoll sein, um Kindern die Möglichkeit zur Fokussierung zu geben wichtig ist es auch, den Kindern Raum für Bewegung zu ermöglichen ein angepasster Unterricht in Bewegung und Sport oder die Aktivität von AD(H)S-Kindern in Sportvereinen können ebenfalls eine Hilfestellung für AD(H)S-Kinder sein (z. B. Parkourtraining) Wichtig ist, Geduld und Ruhe zu zeigen, wenn (wie so oft) etwas vergessen oder verlegt wurde oder Konsequenzen nicht das gewünschte Ergebnis bringen (Kind lernt nicht aus Erfahrung!)

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