Vorlesung Kriminologie II - Drogenkriminalität PDF
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Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
2024
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This document is a lecture on criminology and drug crime. It details the legal definition of drugs under the German Drug Act (BtMG). It examines different aspects of drug crime, including how substances are classified, and offers critical analyses of the German law and its implementation.
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Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht...
Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht § 8: Drogenkriminalität I. Begriff 1. Drogen a) Allgemeine Definitionen „Drogen sind chemische Wirkstoffe, die auf das zentrale Nervensystem wirken und die Stimmung, das Ver- halten, die Wahrnehmung und das Denkvermögen beeinflussen können. Insofern sind auch Psychophar- maka als Drogen zu bezeichnen. Im engeren Sinne wird der Begriff Droge allerdings nur auf psychoaktive Substanzen verwendet, die durch das Betäubungsmittelgesetz verboten sind.“ (www.drugcom.de, Aufklä- rungsseite der BZgA) „Das Wort Droge (auch Rauschdroge, Rauschmittel oder Rauschgift, von ‚Rausch‘; umgangssprachlich auch Stoff) bezeichnet jeden Wirkstoff, der kein Nahrungsmittel ist, sowie Zubereitungen aus solchen Wirkstof- fen. Drogen sind also Substanzen, die in einem lebenden Organismus Funktionen zu verändern vermögen. Dies betrifft immer Funktionen der Psyche und meistens auch andere Körperfunktionen.“ (Wikipedia) § 12 KK 206 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht b) Definition nach dem BtMG § 1 I BtMG: „Betäubungsmittel im Sinne dieses Gesetzes sind die in den Anlagen I bis III aufgeführten Stoffe und Zubereitungen.“ System der sog. Positivlisten, d.h. nur die in den Anlagen aufgeführten Stoffe sind BtM. Die Anlagen haben eine abschließende Wirkung, daher keine entsprechende oder analoge An- wendung, solange Substanz nicht aufgeführt ist. Allerdings sind die Anlagen gem. § 1 II-IV BtMG durch die Bundesregierung und das Bundes- ministerium für Gesundheit änderbar (insb. erweiterbar). Anlagen zu § 1 I BtMG: Anlage I: Nicht verkehrsfähige BtM (z.B. Heroin, Amphetaminderivate wie MDMA). Anlage II: Verkehrsfähige, aber nicht verschreibungsfähige BtM, Rohstoffe, Grundstoffe, Halbsynthetika zur Verwendung in Pharmaindustrie. Hergestellte Arzneien aus Stoffen der Anlage II unterfallen den in § 2 I Nr. 3 BtMG ausgenommenen Zubereitungen. Anlage III: Verkehrsfähige und verschreibungsfähige BtM. Verschreibung durch Ärzte, Zahn- und Tierärzte. Das BtMG enthält auch einen materiellen Begriff für Betäubungsmittel (der zusammen mit den in § 1 II-IV BtMG aufgeführten Voraussetzungen maßgeblich für die Anlagenaufnahme gewisser Sub- stanzen ist). Demnach müssen die Mittel nach wissenschaftlicher Erkenntnis: Abhängigkeiten hervorrufen und § 12 KK 207 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht Mittelbare oder unmittelbare Gefahren für die Gesundheit durch missbräuchliche Verwen- dung begründen. § 2 BtMG: Definitionen von „Stoff“, „Zubereitung“, „ausgenommene Zubereitung“ und „Herstel- lung“. Kritik: Aufgrund des Verweises in § 1 I BtMG auf die Anlagen handelt sich um ein Blankettgesetz. Durch die Aufnahme neuer Stoffe in die Anlagen I-III können neue Strafbarkeiten entstehen, wobei sowohl die Bundesregierung als auch das Bundesministerium für Gesundheit über die Aufnahme ohne Mitwirkung des Bundestages entscheiden können. Verfassungsrechtlich wird eine solche Verweisungstechnik als zulässig angesehen. BtM-Eigenschaft wird durch bloße Aufnahme in eine der Anlagen pauschal begründet, ohne dass es einer zusätzlichen, spezifischen Feststellung oder Konkretisierung bedarf, etwa bzgl. der Berauschungsqualität, Konsumfähigkeit, Gewichtsbeschränkung. Einwendungen gegen Aufnahme sind nur durch verfassungsrechtliche Rüge möglich. Auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse bzgl. der (Un-)Gefährlichkeit von Stoffen und neu in Verkehr gebrachte Stoffe mit leicht anderer Zusammensetzung, als der bereits gelisteten, kann nur verzögert reagiert werden. § 12 KK 208 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht c) Definition nach dem KCanG § 1 KCanG: „Im Sinne dieses Gesetzes und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen ist oder sind 1.Cannabinoide: Inhaltsstoffe von Cannabis, die sich an Rezeptoren des Endocannabinoidsystems im menschlichen Körper binden können; 2.Tetrahydrocannabinol (THC): die natürliche Wirkstoffgruppe Delta-9-Tetrahydrocannabinol; 3.Cannabidiol (CBD): die natürliche Wirkstoffgruppe Cannabidiol; 4.Marihuana: die getrockneten Blüten und die blütennahen Blätter der Cannabispflanze; 5.Haschisch: das abgesonderte Harz der Cannabispflanze; 6.Stecklinge: Jungpflanzen oder Sprossteile von Cannabispflanzen, die zur Anzucht von Cannabispflanzen verwendet werden sollen und über keine Blütenstände oder Fruchtstände verfügen; 7.Vermehrungsmaterial: Samen und Stecklinge von Cannabispflanzen; 8.Cannabis: Pflanzen, Blüten und sonstige Pflanzenteile sowie Harz der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen einschließlich den pflanzlichen Inhaltsstoffen nach Nummer 1 und Zubereitungen aller vorgenann- ten Stoffe mit Ausnahme von a) Cannabis zu medizinischen Zwecken oder Cannabis zu medizinisch-wissenschaftlichen Zwecken im Sinne von § 2 Nummer 1 und 2 des Medizinal-Cannabisgesetzes, § 12 KK 209 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht b) CBD, c) Vermehrungsmaterial, d) Nutzhanf und e) Pflanzen als Teil von bei der Rübenzüchtung gepflanzten Schutzstreifen, wenn sie vor der Blüte vernich- tet werden; (…) 11. Eigenanbau: nichtgewerblicher Anbau zum Zweck des Eigenkonsums; 12. privater Eigenanbau: der Eigenanbau im Bereich der Wohnung; (…) 16. Wohnsitz: der Ort, an dem eine Person seit mindestens sechs Monaten eine Wohnung unter Umstän- den innehat, die darauf schließen lassen, dass sie die Wohnung beibehalten und benutzen wird; 17. gewöhnlicher Aufenthalt: der Ort, an dem sich eine Person unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass sie an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt; solche Umstände sind bei einem zeitlich zusammenhängenden Aufenthalt an einem Ort von mindestens sechs Monaten Dauer anzunehmen, wobei kurzfristige Unterbrechungen unberücksichtigt bleiben; e) Umgang mit Cannabis Der Umgang (Besitz, Anbau, Herstellen, Handel treiben etc.) mit Cannabis ist grds. verboten (§ 2 KCanG). § 12 KK 210 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht Besitz iSv § 2 Abs. 1 Nr. 2 KCanG setzt – wie im BtMG – ein tatsächliches Innehaben, ein tatsächliches Herr- schaftsverhältnis und einen Besitzwillen voraus, der darauf gerichtet ist, sich die Möglichkeit ungehinderter Einwirkung auf die Sache zu erhalten. Maßgeblich ist ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis, dh eine auf eine gewisse Dauer angelegte Einwirkungsmöglichkeit mit einem tatsächlich ungehinderten Zugang zur Sa- che (Patzak/Fabricius/Patzak, 11. Aufl. 2024, KCanG § 2 Rn. 11, beck-online). Ausnahme vom Besitzverbot: Nach § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 iVm § 3 Abs. 1 KCanG ist der Besitz von bis zu 25 g Cannabis zum Eigenkonsum durch Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, außerhalb des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts erlaubt (sog. Freimenge). Dies umfasst zB das Aufbewahren von Cannabis in einer fremden Wohnung, ebenso wie das persönliche Mitführen im öffentlichen Raum (Patzak/Fabricius/Patzak, 11. Aufl. 2024, KCanG § 2 Rn. 12, beck-online). Am Wohnsitz oder dem gewöhnlichen Aufenthalt ist der Besitz von bis zu 50g Cannabis erlaubt (§ 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 iVm § 3 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 KCanG). Besitz von bis zu 3 lebenden Pflanzen: § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 iVm § 3 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 KCanG stellt klar, dass der Besitz von Personen über 18. Jahren von bis zu 3 lebenden Pflanzen am Wohnsitz bzw. ihrem gewöhnlichen Aufenthalt erlaubt ist. Beispiel: Es wurde dabei das Fallbeispiel der 8er-Wohngemeinschaft von Silvana, Sarafina, Estefania, Kelenta, Lore- dana, Sara-Jane, Lavinia und Jeremy Pascal gebildet und besprochen, die alle über 18 Jahre alt sind und § 12 KK 211 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht Cannabis anbauen möchten. Sie fragen sich, in welchem Umfang das möglich ist, ohne dass sich jemand strafbar macht. Problem: „Besitz“ von mehr als 3 Pflanzen? (sicher) straffrei: Anbau von insg. nur bis zu 3 lebenden Pflanzen in der WG. Mit Risiken verbunden: (räumlich) getrennter Anbau von bis zu 24 Pflanzen, soweit die individuellen Besitz- verhältnisse auch durch weitere Umstände klar erkennbar sind. Rückschluss aus objektiven Erkenntnissen (z.B. Namensschilder an den Pflanzen) / getrennte Aufbewahrung der Pflanzen auf den (nicht bestehenden) Besitzwillen bzgl. mehr als 3 lebende Pflanzen zwingend erforderlich, um der Gefahr der Strafbarkeit zu begegnen. § 12 KK 212 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht 2. Drogenkriminalität a) Nach der PKS Zum Feld der Drogenkriminalität gehören bei den von der PKS erfassten Daten allgemeine Verstöße gegen § 29 BtMG, der Verstoß gegen § 30 BtMG (illegale Einfuhr nicht geringer Mengen) sowie sonstige Verstöße gegen das BtMG. Zudem wird auch die direkte Beschaffungskriminalität, etwa der Diebstahl von Betäubungsmitteln aus Apotheken, zu den sog. „Rauschgiftdelikten“ gezählt. b) Kriminologische Einteilung nach Kreuzer (Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts) § 12 KK 213 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht Folgekriminalität: Delikte, die unter dem Einfluss von BtM begangen werden, wie z.B. Verkehrsdelikte unter Drogeneinfluss, Gewaltdelikte (nicht ausgelöst durch die Drogen, aber durch die Drogen angeblich ent- hemmt/geweckte Aggressionsbereitschaft). Versorgungskriminalität: Straftaten zur Bereitstellung von Drogen, Erwerb für den Konsum. Verschaffungskriminalität: Unzulässiger Verkehr mit BtM im Rahmen von Produktion und Vertrieb, wie z.B. Herstellung, Handel, Schmuggel oder Transport sowie Förderung der Delikte. Geprägt durch hohe Arbeitsteilung und hierarchische Struktur. Beschaffungskriminalität: o Direkte Beschaffungskriminalität: Unmittelbare Ausrichtung auf das Erlangen von BtM. Straf- rechtliche Relevanz durch Verstöße gegen das BtMG durch unerlaubten Erwerb, Besitz, aber auch Straftaten mit anderen Schutzgütern, wie Erschleichen von Verschreibungen, Rezept- fälschungen, Diebstahl von Rezepten, Einbrüche in Praxen, Apotheken, Herstellungsbe- triebe, Raub von Rauschmitteln. Indirekte Beschaffungskriminalität: Unter indirekter Beschaffungskriminalität werden solche Straftaten zusammengefasst, die nicht auf eine unmittelbare Erlangung von Rauschmitteln abzielen, sondern durch die Taterträge (Geld, Wertsachen) den Kauf von Rauschmitteln fi- nanzieren sollen. Typische Delikte sind Ladendiebstahl, Einbruchsdiebstahl bei Kfz und Woh- nungen, Raub in der „Szene“ und ebenso in szenefremder Umgebung, Hehlerei, Scheck- und Kreditkartenbetrug, Prostitution, Zuhälterei. Die indirekte Beschaffungskriminalität hat also einen bloß mittelbaren Zusammenhang mit Betäubungsmitteln. § 12 KK 214 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht II. Hell- und Dunkelfeldbefunde 1. Umfang der Drogenkriminalität Drogenkriminalität machte 2023 (inklusive der direkten Beschaffungskriminalität) 6 % aller erfassten Fälle aus. 94% 6% Sonstige Kriminalität Drogendelikte und direkte Beschaffungskriminalität Quelle: PKS 2023 § 12 KK 215 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht Laut PKS 2022 wurden bei 9,1 % aller aufgeklärten Fälle (Straftaten insgesamt) die ermittelten Tatverdäch- tigen als Konsumenten harter Drogen eingeordnet. Das kann ein Anhaltspunkt für indirekte Beschaffungs- kriminalität sein. Jedoch sind Erkennbarkeit und Erfassung der indirekten Beschaffungskriminalität für die Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten sehr schwierig und erfolgen unvollständig, da die Drogenabhängig- keit nicht immer erkannt wird (vgl. zum Heranziehen dieser Zahlen als „Erfolgsindikator“ von Präventions- praktiken KK 246). Die direkte Beschaffungskriminalität (insbesondere Rezeptfälschung, Apothekeneinbruch) macht lediglich 0,7 % der Fälle von Rauschgiftkriminalität aus. Hier würde man eigentlich erwarten, dass diese Delikte fast ausschließlich von drogenabhängigen Personen begangen werden. In der PKS werden jedoch nur rund 40 % der aufgeklärten Fälle direkter Beschaffungskriminalität Personen zugeordnet, die als „Konsumenten harter Drogen“ eingestuft werden, was im Umkehrschluss bedeutet, dass rund 60 % der direkten Beschaffungskri- minalität von nichtkonsumierenden Personen begangen wurde. Ein derartiges Verhältnis erscheint verzerrt. Generell haben die erfassten Rauschgiftdelikte im Vergleich zum Vorjahr um 1,7 % zugenommen. Insgesamt ist in den vergangenen Jahren ein starker Anstieg in dieser Deliktskategorie zu verzeichnen. Zu beachten ist dabei, dass die Entwicklung stark abhängig vom jeweiligen Kontrollverhalten durch Polizei und Zoll ist (sog. „Holkriminalität“). Das Dunkelfeld wird sehr viel größer eingeschätzt. Die Drogendelikte nach der Drogenart aufgeschlüsselt, ergeben einen dominierenden Anteil von Cannabis (und Zubereitungen), die mit 64,2 % weit über die Hälfte der Delikte ausmachen, gefolgt von Amphetami- nen (12,0 %) und Kokain (11,0 %). Nahezu unbedeutend sind Delikte im Zusammenhang mit LSD (0,2 %). § 12 KK 216 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht PKS 2023 Die Aufklärungsquote von Betäubungsmitteldelikten liegt nach Daten der PKS 2023 mit 90,8 % weit über dem Durchschnitt (58,4 %): Erklärung hierfür ist, dass es sich maßgeblich um Kontroll- bzw. Überwachungs- delikte handelt. Aufgrund der Opferlosigkeit der Delikte gelangen sie maßgeblich über die proaktive poli- zeiliche Ermittlungstätigkeit ins Hellfeld. Zudem bringt die Aufdeckung des Falls regelmäßig zugleich eine tatverdächtige Person hervor, sodass der Fall als aufgeklärt gilt. § 12 KK 217 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht Bezüglich der räumlichen Verteilung ist ein Stadt-Land-Gefälle deutlich zu beobachten; besonders Groß- städte sind typische Tatorte. Die höchste Häufigkeitszahl nach Daten der PKS 2023 hat Hannover (1.143,8), Berlin hingegen „nur“ 466,1 und Hamburg 898,5. Freiburg hat eine Häufigkeitszahl von 657,2. Der allge- meine Mittelwert für Städte ab 100.000 Einwohnern liegt bei 562,3. Weil die Delikte weit überwiegend allein durch Ermittlungstätigkeiten der Polizei entdeckt werden, sind die Zahlen der PKS stark davon abhängig, welche Schwerpunkte bei der Polizeiarbeit in den verschiedenen Städ- ten gesetzt werden, wie die Personalsituation aussieht, welche internen Absprachen hinsichtlich des Abse- hens von der Strafverfolgung bei geringen Mengen vorliegen etc. Vor diesem Hintergrund sind die Zahlen von keiner gravierenden Aussagekraft. § 12 KK 218 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht Rauschgiftdelikte (nach PKS 2022, Städte ab 100.000 Einwohner) Platzierung nach Stadt (nur Städte ab Häufigkeitsziffer nach Zensus erfasste Fälle Häufigkeitsziffer 100.000 Einwohnern) (Fälle pro 100.000 Einwohner) 1 Hannover 6.234 1.143,3 2 Frankfurt 8.579 1.109,71 3 Schwerin 908 949,7 4 Bremerhaven 1.095 948,3 5 Kaiserslautern 959 947,4 6 Heilbronn 1.155 900,0 7 Hamburg 17.001 898,5 8 Koblenz 1.033 896,2 9 Stuttgart 5.511 870,8 10 Würzburg 1.099 859,9 § 12 KK 219 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht 2. Tatverdächtige Die Tatverdächtigen von Rauschgiftkriminalität sind überwiegend junge Personen. So waren 2023 40,06 % der Tatverdächtigen von Rauschgiftkriminalität insgesamt unter 25 Jahre alt. Der Altersdurchschnitt steigt jedoch mit der Härte der Drogen an. So sind die jungen Personen insbesondere bei allgemeinen Verstößen (§ 29 BtMG) im Zusammenhang mit Cannabis und seinen Zubereitungen überrepräsentiert. Hingegen sind 88,63% der Tatverdächtigen von allgemeinen Verstößen mit Heroin über 25 Jahre alt. Verstöße junger Per- sonen mit Heroin werden kaum registriert (2023: Jugendliche: 0,87%, Heranwachsende: 2,97%). Tatverdächtige nach Alter (in Prozent) PKS 2023 § 12 KK 220 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht Ein Anstieg des Altersschnitts ist zudem hinsichtlich der Schwere der Delikte festzustellen. Bei allgemeinen Verstößen gem. § 29 BtMG liegt der Anteil der unter 25-jährigen Tatverdächtigen bei 41,16 %, bei der un- erlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln gem. § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG (in nicht geringer Menge) lediglich bei 21,85 %. Tatverdächtige nach Alter (in Prozent) PKS 2023 § 12 KK 221 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht Bei den Säulendiagrammen sind die unterschiedlichen Größen der zusammengefassten Altersgruppen zu beachten, insbesondere ist die Altersgruppe 20-29 auf mehrere Balken aufgeteilt. 3. Entwicklung der Drogenkriminalität a) Anhand der PKS-Entwicklung und der Entwicklung von Drogentoten Während die Drogenkriminalität bis Mitte der 2000er Jahre leicht anstieg, fiel die Anzahl der Verdachtsfälle in diesem Bereich zwischen 2005 und 2010 ab. Seit 2010 ist wieder ein massiver Anstieg der Tatverdachts- fälle zu verzeichnen. Die Gesamtzahl der Drogentoten nahm in den letzten 20 Jahren zunächst in der Tendenz ab. Während 2000 noch über 2.000 Drogentote zu verzeichnen waren, blieb die Zahl zwischen 2003 und 2019 durchgängig unter 1.500, erreichte ihren Tiefstand im Jahr 2012 (944 Drogentote) und stieg seitdem wieder an, sodass 2023 mit 2.227 Drogentoten der Wert aus dem Jahr 2000 überschritten wurde. Allerdings ist bei diesen Zahlen zu beachten, dass ein großes Dunkelfeld existiert und die Zahlen stark abhängig von den Meldungen sind. Eine Meldepflicht besteht hinsichtlich aller Todesfälle, die in kausalem Zusammenhang mit miss- bräuchlichem Konsum stehen. Eine Obduktion wurde (2022) bei 1.056 der 1.990 Drogentoten, also nur bei etwas mehr als der Hälfte der gemeldeten Fälle, durchgeführt. Auch mit Blick auf die verschiedenen Gründe für einen Drogentod (anhaltender körperlicher Verfall, Mischkonsum, unreine Drogen bzgl. des Wirkstoff- gehalts …) und das häufige Fehlen einer einfachen Überdosis als Todesursache ist Vorsicht mit Blick auf die Zahlen der Drogentoten geboten. § 12 KK 222 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht Hinsichtlich eines internationalen Vergleichs ist zu beachten, dass in Ländern mit einer hohen Drogenkrimi- nalität regelmäßig auch die Opfer von gewaltbezogener Drogenkriminalität, beispielsweise Tötungen durch Bandenkriege, mitgezählt werden (so etwa in Mexiko). Quelle: PKS 2023, Bundeslagebild Rauschgiftkriminalität 2023 § 12 KK 223 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht b) Anhand von Dunkelfeld-Konsum-Forschungen Ein Forschungsbericht der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) aus 2022 ergab, dass 50,8 % der 18-25-Jährigen und jede:r Elfte zwischen 12 und 17 Jahren (9,3 %) schon mindestens einmal im Leben (sog. Lebenszeitprävalenz) Cannabis konsumiert hat. Ein Viertel der 18-25-Jährigen (25,0 %) gab an, im letzten Jahr Cannabis konsumiert zu haben und 12,0 % im letzten Monat. 1,6 % der 12-17-Jährigen und 8,6 % der 18-25-Jährigen gaben an, regelmäßig (also häufiger als zehnmal in den letzten zwölf Monaten) Cannabis zu konsumieren. Sowohl mit Blick auf die Lebenszeit- prävalenz als auch hinsichtlich des regelmäßigen Konsums stieg der Anteil der jungen Männer und Frauen (18-25 Jahre) in den letzten zehn Jahren kontinuierlich. Bei den Jugendlichen (12-17 Jahre) sind die Zahlen über die letzten Jahre hinweg hingegen recht konstant. Im Forschungsbericht der BZgA aus dem Jahr 2020 wurden neben Cannabis auch Daten für andere illegale Drogen außer Cannabis veröffentlicht. Die hierzu ermittelten Zahlen weichen deutlich von den obigen zum Cannabiskonsum ab. So konsumierten nur 0,1 % der Jugendlichen und 1,0 % der jungen Männer und Frauen regelmäßig andere illegale Drogen als Cannabis. Auch die überhaupt gesammelten Erfahrungen mit ande- ren illegalen Drogen sind nicht mit Werten von Cannabis vergleichbar. So betrug die Lebenszeitprävalenz bei den 18-25-Jährigen bzgl. Ecstasy 7,8 %, bzgl. Kokain 4,7 % und bzgl. Heroin gar nur 0,3 %. Ähnliche Zahlen mit Blick auf die Lebenszeitprävalenz hat auch die, im Wintersemester 2023/24 durchge- führte, Umfrage des LSH zur selbstberichteten Delinquenz unter Studierenden im ersten Semester hervor- gebracht. Von knapp 200 Besuchenden der Vorlesung Strafrecht AT haben 50,25 % bereits mind. einmal Cannabis konsumiert. Hinsichtlich Ecstasy und Kokain trifft dies auf jeweils 6,47 % der Studierenden zu. § 12 KK 224 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht In der Langzeitbetrachtung ist hinsichtlich des illegalen Konsums „harter“ Drogen (illegale Drogen außer Cannabis) ein Rückgang festzustellen. Hingegen ist beim Cannabiskonsum in der Tendenz in den letzten Jahrzehnten eine Zunahme zu erkennen, sodass sich 2021 ein höheres Niveau als bei dem bisherigen Höchststand 2004 feststellen lässt. § 12 KK 225 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht 4. Struktur der Drogenkriminalität Bezüglich der Struktur der Drogenkriminalität machen allgemeine Verstöße gegen § 29 BtMG 76,7 % aller erfassten Fälle aus. Der Anteil illegalen Handels und Schmuggels nach § 29 BtMG an allen Fällen von Dro- genkriminalität betrug 15,4 %. Der restliche Anteil von direkter Beschaffungskriminalität, der nicht vom BtMG erfasst ist, betrug 0,7 %, hierunter zählen in der PKS solche Raub- und Diebstahlsdelikte, die unmit- telbar auf die Erlangung von Drogen ausgerichtet sind, wie z.B. Einbruch in eine Apotheke, Diebstahl von Rezeptblöcken, die Fälschung zur Erlangung von BtM etc. PKS 2023 § 12 KK 226 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht a) Direkte Beschaffungskriminalität Insgesamt wurden 1.224 Delikte der direkten Beschaffungskriminalität verübt. Das sind mehr Fälle als 2020 aber erheblich weniger als noch zehn Jahre zuvor (seit 2008 Rückgang). 64,4 % dieser Delikte sind Rezept- fälschungen. Der Diebstahl von Rezeptblöcken macht weitere 3,1 % aus. Gering dagegen ist mit 1,6 % der BtM-Diebstahl bei Herstellern/Großhändlern. PKS 2023 § 12 KK 227 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht b) Finanzstruktur des Drogenkonsums In einer Studie zur Lebenswelt der offenen Drogenszene im Frankfurter Bahnhofsviertel (Bernard/Wer- se/Müller Zur Lebenswelt der offenen Drogenszene im Frankfurter Bahnhofsviertel, in: Benkel (Hrsg.), Das Frankfurter Bahnhofsviertel: Devianz im öffentlichen Raum, 2010, S. 125 ff.) wurde u.a. die Finanzierungs- struktur des Drogenkonsums über Befragungen (n = 150) untersucht. Demnach benötigte eine Person, die intravenös BtM konsumiert, 75-100 €/Tag für ihren Konsum. Knapp 80 % der Einnahmen wurden für Drogen aufgewendet. Dabei ist auffällig, dass dealende Personen und Pros- tituierte, die tendenziell über höhere Einnahmen verfügten, sogar über 80 % ihrer Einnahmen für Drogen ausgaben, sodass sie schlussendlich finanziell nicht besser dastehen als die übrigen Szenemitglieder. In aller Regel greifen die Befragten dabei auf eine Mischfinanzierung zurück. Als Haupteinnahmequelle diente für 40 % die staatliche Unterstützung (in Form von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld). 23 % finanzier- ten sich hingegen primär über Drogengeschäfte. Bei den weiblichen Konsumentinnen finanzierten sich über ein Viertel überwiegend über Beschaffungsprostitution ihren Konsum. Bei den Männern spielte diese Form der Finanzierung hingegen keinerlei Rolle. Arbeiten bzw. andere legale Aktivitäten waren für 13 % die Haupteinnahmequelle. Schließlich stellten auch sonstige Kriminalität sowie Unterstützung durch Freunde und Familie eine relevante Einnahmequelle dar. Fast jeder zweiten Person gelang die Finanzierung allein über legale Quellen (zumeist Kombination aus ver- schiedenen legalen Einkommensquellen). Eine Finanzierung ausschließlich über illegale Wege nutzt hinge- gen nicht einmal ein Zehntel der Befragten. Der Beschaffungsdruck der Konsument:innen kann daher nur sehr bedingt als Erklärung von Kriminalität (in Form der indirekten Beschaffungskriminalität) herangezogen werden. § 12 KK 228 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht Zu beobachten war zudem, dass bei Drogengeschäften regelmäßig nicht Geld gegen die Ware getauscht wurde, sondern Dienstleistungen, geldwerte Informationen oder andere Gegenstände. Immerhin 45 % der Szenegänger:innen gaben an, innerhalb der letzten 7 Tage zumindest auch Drogen im Austausch für Dienste erhalten zu haben. Als Dienste in Betracht kommen insbesondere die Prostitution, das Aufbewahren von Drogen („Bunkern“) oder das Setzen einer Injektion, wenn die konsumierende Person dazu nicht mehr selbst in der Lage ist („Service“). Neben Kleidung oder Handys sind vor allem auch Utensilien zum Konsum (Spritzen, Nadeln…) begehrte Tauschobjekte. Hinsichtlich geldwerter Informationen ist an Tipps zu Dea- ler:innen mit einer guten Qualität der Drogen oder Zivilbeamten der Polizei zu denken. III. Ursachenzusammenhänge 1. Zusammenhang mit Konsum Hinsichtlich der Frage, warum Menschen überhaupt Drogen nehmen, gibt es ein breites Spektrum an Auf- fassungen. Durch das LG Lübeck wurde bei BVerfGE 90, 145 (154) vertreten, dass der Rausch zu den funda- mentalen Bedürfnissen des Menschen zähle, sodass das „Recht auf Rausch“ auch als zentraler Sektor der menschlichen Selbstbestimmung über Art. 2 I GG geschützt sei. Darüber hinaus gibt es eine ähnliche Vielfalt an Erklärungsansätzen wie bei den Kriminalitätstheorien. Weit verbreitet ist insbesondere das sog. Trias-Modell, wonach mit Drogenkonsum die drei Bedingungsfel- der Persönlichkeit, Drogenbeschaffenheit und gesellschaftlicher Einfluss in Zusammenhang stehen. Als Ein- zelaspekte werden unter diesen Überbegriffen beispielsweise Gruppen- und Milieueinflüsse, Lebenskrisen, § 12 KK 229 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht Neugier oder Langeweile diskutiert. So soll z.B. der Alkoholkonsum im Besonderen mit der Peer-Group zu- sammenhängen. Gerade der Erstkonsum findet häufig im Freundes- und Bekanntenkreis statt. Aber auch das Verhalten der Eltern im Umgang mit legalen wie illegalen Betäubungsmitteln kann bei den Kindern zu Nachahmungstendenzen führen. Auch Störungen in Familie und Erziehung sowie Probleme bzw. generelle Auffälligkeiten in Schule und Ausbildung wird eine Bedeutung mit Blick auf den Drogenkonsum zugeschrie- ben. Insofern kann an dieser Stelle an die Lern- und Kontrolltheorien, die Subkulturtheorie sowie die Ano- mietheorien erinnert werden. Neben einer Betrachtung des Individuums sind jedoch in gleicher Weise gesamtgesellschaftliche Phäno- mene wie modische Trends und soziale Bewegungen in den Blick zu nehmen. Der Drogenkonsum kann da- bei sowohl als Abgrenzungsmerkmal zum „Establishment“ (vgl. z.B. die 68er-Bewegung) als auch als Aus- druck der Zugehörigkeit zu den Erfolg- und Einflussreichen (vgl. z.B. teurer Kokainkonsum in der Yuppie- Ära) fungieren. Ein aktuelles Beispiel für die Bedeutung kultureller Strömungen für den Konsum bestimmter Drogen ist der Lean-Konsum innerhalb der Hip-Hopper-Szene (Lean = Mischgetränk aus Limonade, zerkrü- melten Bonbons und verschreibungspflichtigem codeinhaltigem Hustensaft). Das lilafarbene Getränk taucht regelmäßig in den Texten und Videos bekannter deutschsprachiger Rapper wie Money Boy, Bausa, Capital Bra oder auch T-Low auf, was dessen Konsum auch in der deutschen Rap-Szene populär gemacht hat. Häufig wird „weichen“ Drogen, wie Nikotin, Alkohol oder Cannabis, eine Einstiegsbedeutung zu „härteren“ (illegalen) Drogen zugeschrieben. Empirisch lässt sich zwar feststellen, dass Personen, die „harte“ Opiate konsumieren, häufig zuvor auch „weiche“ Cannabisprodukte sowie Alkohol und Nikotin eingenommen ha- ben, allerdings lässt sich aus diesem Befund nicht der Umkehrschluss ziehen, dass die meisten, die „weiche“ § 12 KK 230 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht Drogen konsumieren, später auch zu „härteren“ greifen. Nur wenige Cannabis-Konsument:innen nehmen später auch „harte“ Rauschdrogen. Insofern lässt sich keine „Drogenkarriere“ prognostizieren. 2. Zusammenhang mit Prostitution Das Erscheinungsbild von Beschaffungsprostitution ist heterogen. Homogen ist allein die Gleichzeitigkeit von Prostitution und Drogenkonsum. Dabei sind allerdings zwei Erklärungsmuster denkbar: Durch den Dro- genkonsum bedingte Prostitution oder durch die Prostitution bedingter Drogenkonsum (insb. verbreiteter Kokainkonsum unter Prostituierten). Meist ist die Prostitution der letzte Weg, um die finanzielle Deckung des Drogenkonsums zu erreichen (vgl. KK 224 f.). Wahrgenommen wird diese Finanzierungsmöglichkeit je- doch (fast) ausschließlich von weiblichen Konsumentinnen. 3. Zusammenhang mit Kriminalität Eine Gleichung, wonach Konsument = Delinquent bzw. Delinquent = Konsument, lässt sich nicht allgemein aufstellen. So gibt es beispielweise auch Dealerinnen und Dealer, die selbst nicht konsumieren. Zwar spielt die indirekte Beschaffungskriminalität eine Rolle bei der Finanzierung des Konsums, wie oben festgestellt jedoch nur eine untergeordnete. Somit führt der Beschaffungsdruck der konsumierenden Personen keines- wegs zwingend auch zu Kriminalität (vgl. hierzu bereits KK 224). Allein durch das Verbot von Drogen entsteht zwangsläufig eine Kriminalität, da Verkauf, Handel, Erwerb und Besitz von Betäubungsmitteln strafbar sind, §§ 29–32 BtMG. § 12 KK 231 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht Die Hintergrundwirkungen des Suchtmittelgebrauchs, sei es kurzfristig in Folge des Drogenrauschs oder langfristig durch eine Wesensveränderung der chronisch konsumierenden Person, bei Tatbegehungen (Fol- gekriminalität) sind mannigfaltig und verschließen sich insofern einer generalisierenden Betrachtung. IV. Strafrechtliche Reaktion 1. Allgemeines Die angeblich geschützten Rechtsgüter sind die Individual- und die sog. „Volksgesundheit“ sowie das soziale Zusammenleben. Daneben sollen der Jugendschutz und der Schutz vor der sog. Organisierten Kriminalität (OK) wesentliche Aspekte sein. Richtigerweise handelt es sich bei der Volksgesundheit um ein Scheinrechtsgut. Es gibt keine Gesundheit des Volkes, sondern „nur“ die jeweilige Gesundheit eines Gesellschaftsmitglieds. Das soziale Zusammenle- ben und der Jugendschutz sind ebenfalls keine eigenständigen Rechtsgüter. Die Jugendlichen haben ihre jeweiligen Rechtsgüter, die geschützt sind, das einvernehmliche soziale Zusammenleben mag ein eher va- ges Ziel der Gesellschaft sein, wird aber nicht zum eigenen Rechtsgut. Der Schutz vor der sog. OK ist nicht mehr als eine politische Phrase, der ganz überwiegend nicht einmal den Hauch von Relevanz entfaltet. Aus rechtsdogmatischer und verfassungsrechtlicher Sicht ist die individuelle Gesundheit wegen der Mög- lichkeit, sich mit Risiken einverstanden zu erklären, nicht schutzwürdig, es sei denn, man vermag die Risiken nicht hinreichend einzuschätzen. § 12 KK 232 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht Ganz h.M. ist, dass Strafrecht nicht allein die Drogenproblematik lösen kann, daher rührt auch das Drei- Säulen-Modell der Drogenpolitik: § 12 KK 233 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht Streitig ist die Säule des Strafrechts, wie Legalisierungsmaßnahmen (z.B. die seit 2017 zulässige Abgabe von Cannabis zu medizinischen Zwecken auf Kassenrezept) bzw. -die Teillegalisierung (Konsumcannabisgesetz 1.4.2024) zeigen. Teilweise wird die Aufnahme einer vierten Säule erwogen, die Säule der Harm Reduction, die etwa durch Selbstausstiegsprozesse oder die Verteilung steriler Spritzen etc. erfolgt. Hierbei bestehen Schnittmengen mit den Säulen von Prävention und Therapie (vgl. KK 244 ff.). § 12 KK 234 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht 2. Juristische Ebene a) Auf nationaler Ebene aa) Verfassungsmäßigkeit von Strafverfolgung bzgl. des Drogenkonsums 1994 entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 90, 145), dass auch die Kriminalisierung des Besit- zes kleinster Eigenkonsummengen durch das BtMG nicht gegen das Übermaßverbot verstoße und daher verfassungskonform sei, da durch § 29 V BtMG bzw. §§ 153 ff. StPO dem Gericht sowie der Staatsanwalt- schaft die Möglichkeit eröffnet wird, von Strafe bzw. der Strafverfolgung abzusehen. bb) BtMG Das BtMG wurde 1982 als Nachfolger des Opiumgesetzes von 1929 sowie des Gesetzes über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Betäubungsmittelgesetz 1972) eingeführt, um auf den gestiegenen Drogenkonsum Ende der 1960er Jahre zu reagieren. In der DDR trat Ende 1973 das Suchtmittelgesetz in Kraft. Grundlegend neu geregelt und ausgebaut wurde durch das BtMG die Möglichkeit Strafverfolgung und -vollstreckung zugunsten von Therapiemöglichkeiten zurückzustellen (§§ 35 ff. BtMG). Hinsichtlich schwe- rer Delikte kam es durch das BtMG zu einer Strafschärfung. Seit 1990 erfolgten zahlreiche Änderungen und Neuverkündungen des BtMG, wobei wesentliche Änderun- gen folgende Punkte betrafen: die Aufnahme neuer Betäubungsmittel, insb. sog. „Designerdrogen“ § 12 KK 235 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht Erleichterung von Therapiemaßnahmen und Harm reduction, v.a. durch Grundlage für Substituti- onsprogramme (1992), Zulässigkeit von Drogenkonsumräumen (2000). Verabschiedung des sog. Nationalen Rauschgiftbekämpfungsplans (1990), um die Gewinne der OK aus Drogengeschäften zu minimieren. Einführung des Gesetzes zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG) (1992) zur Eindämmung der sog. OK (Grund: Dominanz des internationalen Drogenmarktes und erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit). Gleichzeitig wird die Lösung des Drogenproblems als gesamtge- sellschaftliche Aufgabe betrachtet. Das Konzept des BtMG ist eine umfassende Kontrolle des Umgangs mit BtM und deren strafrechtliche Ab- sicherung (vgl. dazu die Nationale Strategie zur Drogen- und Suchtpolitik der Bundesregierung). Ziel ist die Beschränkung der Verfügbarkeit, um so auch den Einstieg zu erschweren. Angesichts der quantitativen Ver- breitung von Drogenangeboten und Drogenkonsum im Allgemeinen sowie der in letzter Zeit immer stärker werdenden Stimmen, die eine Legalisierung weicher Drogen fordern, kann man sich jedoch die Frage stel- len, ob das Konzept des BtMG noch zeitgemäß ist oder an der Realität vorbeigeht. Zu berücksichtigen ist aber, dass trotz der gesellschaftlichen Verbreitung von Drogen die Verhaltensgeltung der Norm, keine illegalen Drogen zu nehmen (also die Normgeltung „im Alltagsleben“), sehr hoch ist. Dies gilt in besonderem Maße bei Heroin und Kokain (BMI/BMJ [Hrsg.] Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht, 2006, S. 293 [hier abrufbar]). Gerade bei Cannabis lässt sich der gestiegene Konsum (vgl. KK 221) aber wo- möglich auf einen geänderte gesellschaftlichen Einstellung zum Cannabis-Konsum zurückführen (dazu auch S. 73 des BzgA-Forschungsberichts). § 12 KK 236 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht Hingegen ist der Steuerungseffekt der Norm auf die bereits konsumierenden Personen (also deren [ver- suchte] Durchsetzung durch amtliche Kontrolle, Verfolgung und ggf. Bestrafung) extrem niedrig. Wie auch in anderen Lebensbereichen stellen nur wenige Personen ihr Verhalten aufgrund eines Ermittlungsverfah- rens oder einer gerichtlichen Verurteilung um (BMI/BMJ [Hrsg.] Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht, 2006, S. 293 [hier abrufbar]). Regelmäßig durchgeführte Kontrollen führen aber zu einem Verdrängungsef- fekt aus dem öffentlichen Raum mit nachteiligen Folgen für die Ausführung des Konsums (Stichwort: dre- ckiger Konsum; eindringlich hierzu die SPIEGEL-TV Reportage „Saarbrooklyn“). Hier ist über Harm reduction- Maßnahmen wie Spritzenabgaben, Drogenkonsumräume („Fixerstuben“/„Druckräume“) gegenzusteuern. cc) Konsumcannabisgesetz Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz - KCanG). Das Gesetz wurde als Artikel 1 des G v. 27.3.2024 I Nr. 109 vom Bundestag beschlossen. Es tritt gem. Art. 15 Abs. 1 dieses G am. 1.4.2024 in Kraft. § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4, § 3 Abs. 3, § 4 Abs. 3, § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6, die §§ 6, 8 Abs. 2, die §§ 11 bis 17 Abs. 1 bis 3, die §§ 18 bis 21 Abs. 1 bis 3, die §§ 22 bis 27 Abs. 1 bis 6, die §§ 28, 29, 34 Abs. 1 Nr. 15 u. 16 u. § 36 Abs. 1 Nr. 7 bis 37 treten gem. Art. 15 Abs. 2 dieses G am. 1.7.2024 in Kraft. Die §§ 40 bis 42 treten gem. Art. 15 Abs. 3 dieses G am 1.1.2025 in Kraft. Stand: KCanG: Geändert durch Art. 1 G v. 20.6.2024 I Nr. 207. § 12 KK 237 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht b) Auf internationaler Ebene Grundlegend waren die Internationalen Opiumkonferenzen von 1912 und 1925, die erstmals Morphin und Kokain hinsichtlich der Produktion und Handel strengen Kontrollen unterwarfen und die Grundlage für das Opiumgesetz von 1929 bildeten. 1961 wurde das Einheitsabkommen über Betäubungsmittel beschlossen. Ziel war die Einschränkung der Verfügbarkeit von Drogen, aber auch die weltweite Ächtung von Opium, Kokain und Cannabis. Das Suchtstoffübereinkommen von 1988 verfolgte eine verbesserte internationale, strafrechtliche Zusam- menarbeit, sowie die Sanktionierung der Geldwäsche. § 12 KK 238 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht c) Auf europäischer Ebene Pompidou-Gruppe des Europarates (1971) für den interdisziplinären Erfahrungsaustausch bzgl. Dro- gentausch und Drogenhandel, sowie Impulsgeber für die Geldwäscheübereinkommen. Übereinkommen von Schengen (1985), das in Art. 19 eine Gesetzangleichung bzgl. des Betäubungs- mittelrechtes vorsieht. Einrichtung von TREVI III (Arbeitsgruppe, 1985) zur Bekämpfung der OK und Bekämpfung des inter- nationalen Rauschgifthandels. Einrichtung der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD); um objek- tive und vergleichbare Informationen zum allgemeinen Drogenphänomen, der Drogensucht und de- ren Auswirkungen zur Verfügung zu stellen. Europol: wesentliche Aufgabe von Europol ist die Verbesserung der Zusammenarbeit und Steige- rung der Leistungsfähigkeit bei der Bekämpfung des Terrorismus, des illegalen Drogenhandels und anderer schwerwiegender Formen der internationalen Kriminalität. Art. 83 I, 2 AEUV, Richtlinienkompetenz des Europäischen Parlaments zur Festlegung von Straftaten und Strafen u.a. bzgl. des illegalen Drogenhandels, Geldwäsche, OK. Europäisches Justizielles Netz (EJN) als Kontaktstelle der Mitgliedsstaaten für die Zusammenarbeit der Justizbehörden. EUROJUST: sachgerechte Koordination der nationalen Staatsanwaltschaften in Fällen mit OK-Bezug. § 12 KK 239 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht 3. Strafverfolgung und -vollstreckung Nur 9,7 % der BtMG-Verfahren enden in einer Anklage, weit mehr als die Hälfte der Verfahren wird einge- stellt. In 21,6 % aller Verfahren erfolgt die Einstellung dabei über die Spezialregelung des § 31a Abs. 1 BtMG. Quelle: Staatsanwaltliche Statistik 2023 § 12 KK 240 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht 2021 wurde etwa die Hälfte aller nach dem BtMG Verurteilten wegen des unerlaubten Besitzes gem. § 29 I 1 Nr. 3 BtMG verurteilt (51,0 %). 30,9 % wurden nach § 29 I 1 Nr. 1 BtMG verurteilt (Handeltreiben, An- bauen, Herstellen, Ein-/Ausführen…). Wegen Verstoßes gegen § 29a I Nr. 2 BtMG (Handeltreiben in nicht geringer Menge) wurde etwas mehr als jede neunte Person verurteilt. § 12 KK 241 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht V. Alternativen zum Strafrecht Zur Diskussion stehen verschiedene Ansätze als Gegenentwürfe zum geltenden BtMG. Im Wesentlichen stehen die Legalisierung, Entkriminalisierung, Entpönalisierung und die Harm reduction zur Debatte. Zum 1.4.2024 hat sich der Gesetzgeber für eine Teillegalisierung (sog. Konsumcannabisgesetz) entschieden. 1. Legalisierung a) Freigabe aller Drogen Die Freigabe aller Drogen kann entweder generell oder in Form eines staatlichen Drogenmonopols erfolgen (vergleichbar dem skandinavischen Alkoholmonopol). Vermutete Vorteile: Austrocknung des Schwarzmarktes, Verbesserung der Konsum- und Lebensbedingun- gen (Stichwort: reiner Stoff). Negative Folgen von Verboten zeigten sich in der Zeit der Prohibition in den USA in den 1920er Jahren. Befürchtete Nachteile: Zunahme von Konsumentinnen und Konsumenten sowie der Konsummengen, Ab- nahme des Einstiegsalters, durch Abhängigkeit begründete Zunahme von Sozialfällen mit der Konsequenz der Überlastung des Sozial- und Gesundheitssystems, Zunahme der Folgekriminalität. Hinsichtlich des Monopol-Modells ist zudem ein Abbau des Schwarzmarktes nicht zu erwarten, da sich nicht alle Süchtigen an die staatlichen Vergabestellen wenden würden. Daneben sind neue Marktstrategien des Schwarzmarktes, um weiterhin zu existieren, etwa durch neue Drogen, günstigere Preise, etc. zu erwarten. § 12 KK 242 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht b) Freigabe der sog. weichen Drogen Als Argument für die Freigabe sog. „weicher Drogen“ (insbesondere von Cannabis) wird vorgebracht, Can- nabis sei vergleichbar mit oder sogar harmloser als Alkohol und bedürfe daher einer Legalisierung. Vollzo- gen wurde eine solche Legalisierung in den vergangenen Jahrzehnten bereits in anderen Ländern. Aus dem oben zitierten Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 90, 145) geht bereits aus den Leitsätzen her- vor, dass der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 I GG) einer unterschiedlichen Regelung potenziell gleich schädlicher Drogen nicht im Wege steht. aa) Legalisierung von Cannabis in anderen Ländern So hat etwa Uruguay im Jahr 2013 ein Gesetz verabschiedet, mit dem der Markt für Cannabis legalisiert wurde. Dieses Modell bedeutet allerdings keine unkontrollierte Freigabe, sondern beinhaltet eine staatliche Regulierung von Anbau und Abgabe von Cannabis. Die Umsetzung des Gesetzes erfolgte erst allmählich in den Jahren nach 2013. So legalisierte das Land im August 2014 den Anbau von bis zu sechs Pflanzen im privaten Bereich. Weiterhin wurde die Gründung von „Anbauklubs“ zugelassen, die maximal 99 Cannabis- pflanzen pro Jahr anbauen dürfen. Als Kontrollbehörde wurde ein staatliches Institut eingeführt (Instituto de Regulación y Control del Cannabis [IRCCA]). Im Jahr 2017 startete die Abgabe von Cannabis in zunächst 16 hierfür zugelassenen Apotheken (vgl. The Guardian v. 19.7.2017 [hier abrufbar]). Die bis heute geringe Anzahl von aktuell 23 lizensierten Apotheken führt allerdings neben dem Erfordernis einer vorherigen Ter- minvereinbarung und dem auf 10 % begrenzten THC-Gehalt des Cannabis dazu, dass nur 27 % der Konsu- ment:innen über offizielle Stellen kaufen. Viele Inhaber:innen der rund 1.000 Apotheken in Uruguay fürch- § 12 KK 243 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht ten wohl Probleme, da Banken dem Geschäft aus Gründen internationaler Geldwäschevorschriften fern- blieben. Immerhin habe die Marihuana-Einfuhr schlechter Qualität aus dem Ausland abgenommen, wäh- rend einheimische und registrierte Erzeuger:innen höhere Verkaufszahlen verzeichneten. Auch die Wirt- schaft Uruguays profitiert durch die seit 2019 generierten Einnahmen von über 20 Mio. Dollar (Frankfurter Rundschau v. 18.8.2023 [hier abrufbar]). In Kanada wurde im Jahr 2018 Cannabis (also dessen Besitz und Erwerb zum Eigenkonsum) legalisiert. Auch hiermit ist eine staatliche Regulierung verbunden, die sich etwa auf den Eigenanbau, die Vertriebswege und die Verkaufszeiten bezieht. So darf Cannabis nur in bestimmten Ladengeschäften zu bestimmten Zeiten verkauft werden. Die Geschäfte müssen von der Regierung in den jeweiligen Provinzen (ähnlich den deut- schen Bundesländern) zuvor genehmigt werden. Bestraft wird in Kanada weiterhin die Ausgabe von Canna- bis an Minderjährige oder etwa das Führen eines Kraftfahrzeugs im Rauschzustand. Kritisiert wird allerdings die teilweise fehlende gesundheitliche Aufklärung über Risiken des Cannabis-Konsums, was auf die starke Lobby der aufstrebenden Marihuana-Industrie zurückgeführt wird, der es vorrangig um wirtschaftliche In- teressen ginge. Zumindest werde durch die kontrollierte Abgabe jedoch Schadensbegrenzung gegenüber einem von Regeln freien Schwarzmarkt betrieben (Deutschlandfunk v. 9.6.2019 [hier abrufbar]. In den Niederlanden wird der Verkauf von Cannabis in den sog. Coffeeshops seit 1976 zum Eigenbedarf nicht mehr geahndet, wenngleich der Anbau und der Einkauf von Cannabis weiterhin illegal sind. Insbeson- dere Amsterdam wurde im Laufe der Jahre in der Folge immer mehr dafür bekannt und zog eine Menge Touristinnen und Touristen gerade aufgrund des legalen Cannabiskonsums an. In der Folge wurde im Jahr 2012 eine neue Regelung in den Niederlanden eingeführt: Cannabis darf nur noch an die niederländische Bevölkerung abgegeben werden. Seit 2021 gilt diese Regelung auch in Amsterdam, wo die Regelung zuvor § 12 KK 244 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht ignoriert worden ist, da die Stadt begann, sich an dieser Art des Massentourismus zu stören. Im Mai 2023 hat die Stadtverwaltung von Amsterdam auch das Kiffen in der Öffentlichkeit verboten. Vgl. dazu auch ARTE v. 6.4.2024 - Cannabis – in Deutschland legal | Mit offenen Karten - Im Fokus: https://www.youtube.com/watch?v=YexxsbEaiTE bb) Die Legalisierung von Cannabis in Deutschland In Deutschland wurde von der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen im Jahr 2015 ein Entwurf eines Cannabiskontrollgesetzes (CannKG) vorgelegt (hier abrufbar), mit dem auch in Deutschland Volljährigen ein legaler Zugang zu Cannabis als Genussmittel zum Eigenkonsum ermöglicht werden sollte. Vorgesehen war im Gesetzentwurf, dass in genehmigten Cannabisfachgeschäften maximal 30 Gramm Cannabis je Einkauf an Erwachsene kostenpflichtig abgegeben werden darf. Neben den Abgabemodalitäten waren im Gesetz- entwurf auch Regelungen zum Jugend- und Verbraucherschutz sowie zur Suchtprävention enthalten. Der Gesetzentwurf wurde einzig von der Fraktion Die Linke unterstützt und im Juni 2017 im Bundestag auf Emp- fehlung des Gesundheitsausschusses abgelehnt. Das Gesetz wurde im Februar 2020 erneut von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in den Bundestag eingebracht und scheiterte im Oktober 2020 nach dritter Lesung im Bundestag. Der aktuelle Koalitionsvertrag sieht nun die Einführung der kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwach- sene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften vor (Koalitionsvertrag 2021-2025, S. 87). Tatsächlich § 12 KK 245 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht wurde am 9.10.2023 ein neuer Gesetzentwurf der Bundesregierung zum kontrollierten Umgang mit Canna- bis und zur Änderung weiterer Vorschriften eingereicht und am 18.10.2023 fand die erste Lesung im Bun- destag statt. Dieser erste Entwurf sah vor, dass Erwachsene maximal 25 Gramm für ihren Eigenkonsum besitzen dürfen. Zudem sollten bis zu drei Hanfpflanzen zu Hause angebaut werden dürfen. Auch waren „Cannabisklubs“ vorgesehen, in denen gemeinschaftlich Cannabis angebaut und an Mitglieder verteilt werden kann. Der Konsum sollte in den Klubs allerdings nicht erlaubt sein. Es sollte zudem ein allgemeines Werbe- und Spon- soringverbot für Konsumcannabis und Anbauvereinigungen gelten, um v.a. Kinder und Jugendliche zu schützen. Durch eine Aufklärungskampagne der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung über die Wirkung und Risiken von Cannabis sollte außerdem die Prävention gestärkt werden. Der Bundestag überwies die Initiative gemeinsam mit einem CDU/CSU-Antrag („Cannabislegalisierung stop- pen, Gesundheitsschutz verbessern – Aufklärung, Prävention und Forschung stärken“) sowie einem AfD- Antrag („Die Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken aufgeben und eine wissenschaftliche Nutzen- bewertung von Medizinalcannabis analog zum Arzneimittelrecht einleiten“) in die Ausschüsse. Zuständig für die weiteren Beratungen soll der Gesundheitsausschuss sein. Am 6.11.2023 fand eine Expert:innenanhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestags zum Cannabisge- setz statt. Dabei wurden über 40 Stellungnahmen der einschlägigen Verbände und Organisationen einge- reicht. Diese Stellungnahmen wurden von der Ampelfraktion ausgewertet und ein zweiter Entwurf für das geplante CanG erarbeitet, der schließlich am 27.11.2023 vorgestellt wurde. § 12 KK 246 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht Der überarbeitete Entwurf enthält einerseits weitergehende Liberalisierungsmaßnahmen: So sollen die Konsumverbotszonen nur noch innerhalb der Sichtweite zu Schulen/Kindergärten/Spielplätzen etc. beste- hen, die erlaubten Besitzmengen an getrocknetem Cannabis wurden auf bis zu 50 Gramm am Wohnsitz und 25 Gramm im öffentlichen Raum erhöht und eine Entkriminalisierung bei geringer Überschreitung der zu- lässigen Grammzahlen eingeführt (sofern max. 60 Gramm bzw. 30 Gramm nur Ordnungswidrigkeit). Ande- rerseits wurde eine Strafschärfung zum Schutz Minderjähriger eingeführt (neuer § 30 I Nr. 5 BtMG, der Ab- gabe/Verabreichen/Überlassen zum unmittelbaren Verbrauch durch Erwachsene an Minderjährige mit Freiheitsstrafe nicht unter 2 Jahren bedrohen soll). Zudem soll die Möglichkeit verdeckter Ermittlungsmaß- nahmen (vgl. §§ 100a ff. StPO) nun doch erhalten bleiben. Die Teillegalisierung ist zum 1.4.2024 bzw. hinsichtlich der Anbauvereinigungen ab dem 1.7.2024 in Kraft getreten. Die Debatte um die Legalisierung und die dabei ausgetauschten Argumente sollen hier nur kurz angerissen werden: Gegen eine Legalisierung von Cannabis wird häufig vorgebracht, die Droge sei nicht harmlos, da ein konti- nuierlicher Anstieg des THC-Gehaltes zu beobachten ist (verdoppelt von 2006 bis 2016, vgl. die Studie von Freeman et al.). Im Jahr 2016 war der THC-Gehalt bei durchschnittlich 10,2 % (zum Vergleich: der aktuelle Gesetzentwurf erlaubt einen maximalen Gehalt von 10 %). Außerdem werden die stetige Zunahme von behandelten Süchtigen (stationär und ambulant), unklare Langzeitwirkungen sowie die Eigenschaft als Ein- stiegsdroge vorgehalten (vgl. die Studie der WHO aus dem Jahr 2016). Zudem wäre ein „Drogentourismus“ aus anderen Ländern, vergleichbar zu der Situation in Amsterdam, zu befürchten. § 12 KK 247 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht Die bereits den Besitz von geringen Mengen kriminalisierende Rechtslage sorgt allerdings für erhebliche Labelingeffekte und treibt Konsumenten in die Illegalität. Oft wird auch das Kostenargument für die Legali- sierung angeführt: Nicht nur würden die Kosten für Haftstrafen und Gerichtsverfahren eingespart, darüber hinaus könnten Steuern auf Cannabis und den Handel damit erhoben werden, sodass der Staat hiermit eine neue Einnahmequelle generieren würde. Auch Personalressourcen bei der Strafverfolgung und Ermittlung könnten erheblich eingespart und anderweitig eingesetzt werden. Solange ausreichend Ressourcen zur Aufklärung von Risiken, Nebenwirkungen sowie möglichen Langzeit- folgen bereitgestellt werde sowie Maßnahmen zum Kinder- und Jugendschutz bestehen, ist mithin nicht ersichtlich, wieso der Konsum nicht ebenso wie bei Tabak und Alkohol jeder mündigen Person selbst über- lassen werden sollte. c) Lizenz-/Verschreibungssysteme Der Forderung nach der Möglichkeit zur legalen Verschreibung bestimmter Betäubungsmittel wurde im § 13 BtMG unter engen Voraussetzungen nachgekommen. Dabei wird zwischen Originalpräparaten und der Abgabe von Substitutionsstoffen (zur Substitution s. KK 245 f.) differenziert. In Anlage III des BtMG werden die verschreibungsfähigen Stoffe aufgelistet. Konkret geht es in aller Regel um sog. Heroinprogramme (s. dazu KK 248) und Methadonsubstitution für Abhängige. Aber auch Cannabis kann aus medizinischen Grün- den verschrieben werden und wird insbesondere bei der Therapie von Palliativpatient:innen und chronisch Kranken eingesetzt. Seit Juli 2023 dürfen gem. § 13 Ib BtMG auch Notfallsanitäter entsprechende Mittel verabreichen, sofern das Eintreffen eines Arztes nicht abgewartet werden kann. § 12 KK 248 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht 2. Entkriminalisierung Die Grundidee ist, dass der Umgang mit Drogen nach wie vor rechtswidrig bleiben soll, jedoch nicht mit Kriminalstrafen, sondern mit Interventionsrecht oder als Ordnungswidrigkeit geahndet wird. Problem bzgl. einer Einordnung als Ordnungswidrigkeit ist, dass Bußgelder für die konsumierenden Personen meist nicht bezahlbar sind und somit neue Straftaten gefördert werden. Folglich würde das Problem so also schlicht verschoben und nicht gelöst. 3. Entpönalisierung Der Umgang mit Drogen bleibt weiterhin strafbar, jedoch werden Möglichkeiten zur Verfahrenseinstellung bzw. zum Absehen von Strafe geschaffen. Ein anschauliches Beispiel für diese Bestrebungen liefert § 31a BtMG, wonach unter bestimmten Voraussetzungen die Staatsanwaltschaft von Strafe absehen kann. Zu verweisen ist hier zudem auf die Möglichkeit der Diversion im Jugendstrafrecht. 4. Harm reduction a) Abgabe von Einmalspritzen In § 29 I 2 BtMG wurde ausdrücklich geregelt, dass „[d]ie Abgabe von sterilen Einmalspritzen an Betäu- bungsmittelabhängige und die öffentliche Information darüber […] kein Verschaffen und kein öffentliches Mitteilen einer Gelegenheit zum Verbrauch nach Satz 1 Nr. 11 [sind].“ Durch die (kostenlose oder günstige) § 12 KK 249 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht Ausgabe steriler Spritzbestecke in zahlreichen Städten wird versucht, der Verbreitung von Krankheiten wie Aids oder Hepatitis durch mehrfache Spritzennutzung entgegenzuwirken. Problematisch ist jedoch die Abgabe von Spritzen in JVAs. In den 90er Jahren wurden hierzu Modellversuche Berlin, Hamburg und Niedersachsen gestartet, die größtenteils wenig später (nach Regierungswechseln) wieder eingestellt wurden. Argumente waren insb. ein Ankurbeln des Drogenkonsums sowie die Möglich- keit des Einsatzes der Spritzen als Waffe. Einzige JVA in Deutschland, die aktuell Spritzen im Wege eines anonymen Tausches an Insassen ausgibt, ist das Frauengefängnis in Berlin-Lichtenberg (vgl. dazu den Bei- trag im DLF v. 1.5.2019, hier abrufbar). b) Substitution In den § 13 BtMG sowie §§ 5, 5a BtMVV ebenfalls gesetzlich geregelt ist die Substitution. Spezielle Substi- tutionsärzt:innen können opioidabhängigen Personen Ersatzmittel (zumeist Methadon) verschreiben, wodurch eine gesundheitliche wie soziale Stabilisierung der Opioidabhängigen in Deutschland erreicht wer- den soll. Durch die künstlichen Opiate wird zwar der Suchtdruck gemildert, jedoch werden keine Rauschzu- stände erreicht, sodass die Befürchtung besteht, dass sich der Konsum auf andere Drogen verlagert. Vor- teilhaft an der Substitution ist die Befreiung von Entzugs- und Beschaffungsproblemen sowie der Gefahr der unsauberen Droge. Zudem ist ein Rückgang der Kriminalität im Zusammenhang mit Substitutionspro- grammen zu verzeichnen. Von der Gesellschaft wahrgenommen wird (außer durch den sichtbaren Konsum rund um bekannte Kon- sumorte) lediglich die indirekte Beschaffungskriminalität, da sie Schnittstelle von privatem Konsum und der § 12 KK 250 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht Gesellschaft ist (vgl. bereits KK 210). Daher werden Erfolge von Substitutionsprogrammen auch an der indi- rekten Beschaffungskriminalität gemessen (vgl. Poehlke/Heinz/Stöver Drogenabhängigkeit und Substitution – ein Glossar von A–Z, 5. Aufl. 2020, S. 34 f.). Eine problematische Entwicklung hinsichtlich der Substitutionsprogramme ist insofern zu verzeichnen, als die Zahl der Substitutionsärzt:innen in den vergangenen Jahren rückläufig ist (2012: 2.731; 2022: 2.444). Durch Ruhestand und fehlenden Nachwuchs wird sich dieses Problem in Zukunft vermutlich weiter ver- schärfen und die ohnehin schon unzureichende Versorgungslage (insb. im ländlichen Raum) sich weiter zu- spitzen. Gegenläufig zu diesem Trend ist festzustellen, dass die Zahl der gemeldeten Substitutionspati- ent:innen kontinuierlich steigt (2011: 75.400; 2022: 81.200). c) Substanzanalyse/„Drug-Checking“ Lange Zeit war in Deutschland in § 10a IV BtMG ausdrücklich festgehalten, dass eine Substanzanalyse, auch bekannt als „Drug-Checking“, auch in sog. Drogenkonsumräumen nicht stattfinden darf (und somit erst recht auch nicht außerhalb solcher Räume). Dahinter steckte die Idee, dass durch eine „positive“ Analyse der Eindruck entstehen könne, dass der Konsum ungefährlich sei. Im europäischen Ausland waren solche Einrichtungen bereits seit Längerem zulässig. Die aktuelle Ampelre- gierung hat 2021 in ihrem Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen“ niedergeschrieben, dass Modelle zum Drugchecking ermöglicht werden sollen (vgl. S. 87). Im Juli 2023 wurde konsequenterweise dann auch Abs. 4 von § 10a BtMG ersatzlos gestrichen. Nun können die einzelnen Bundesländer entscheiden, ob sie § 12 KK 251 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht Modellvorhaben erlauben. Bedingung ist dabei jedoch, dass die Analyseangebote mit einer Risikobewer- tung sowie einer gesundheitlichen Aufklärung verbunden sind. In Baden-Württemberg und Hessen soll es, wie auch in Berlin und Thüringen, solche Modellvorhaben geben, wobei Konsument:innen kostenlos ihre Drogen überprüfen lassen können. d) Drogenkonsumräume Drogenkonsumräume, auch bekannt als Fixerstuben, Fixerräume oder Druckräume wurden über Jahre von der INCB (International Narcotics Control Board) als Verstoß gegen das internationale Suchtstoffüberein- kommen betrachtet. Durch § 10a BtMG sind solche Einrichtungen in Deutschland jedoch, mit entsprechen- der Erlaubnis, zulässig. Insbesondere in deutschen Großstädten existieren solche Konsumräume schon lange. Häufig geht eine sol- che Einrichtung mit dem Versuch (insb. durch erhöhte Polizeipräsenz) einher, die offene Szene von ihren angestammten Plätzen (zumeist in der Nähe von Bahnhöfen) zu vertreiben (z.B. in Hamburg 2001 „Hand- lungskonzept St. Georg“ der SPD und Einführung klassischer Musik durch Schill-Partei; vgl. zur Vertreibung der Frankfurter Drogenszene im Bahnhofsviertel die Frankfurter Rundschau v. 3.9.2019 [hier abrufbar]). § 12 KK 252 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht e) Heroinabgabe Nach Vorgängermodellen in der Schweiz, den Niederlanden und in Großbritannien gibt es auch in Deutsch- land nun sog. Heroinmodelle durch staatlich kontrollierte Abgabe von Heroin (nicht nur von Substitutions- stoffen) an Schwerstabhängige auf Grundlage des § 13 BtMG. Vorteil der kontrollierten Heroinabgabe ist der erhebliche Rückgang der Kriminalität der Teilnehmenden (insb. besteht kein Drang zur indirekten Beschaffungskriminalität) und der Wegfall von Szenekontakten. Noch ausbaufähig an dem Modell ist die Teilnahmefähigkeit. Aktuell können lediglich langjährig Abhängige, die zudem bereits erfolglos eine Methadonsubstitution durchlaufen haben, staatliches Heroin beziehen. Festzustellen ist zudem, dass mit der staatlichen Heroinabgabe erhebliche (Mehr-)Kosten, insb. auch im Vergleich zur bloßen Substitution, einhergehen. § 12 KK 253 Vorlesung Kriminologie II Wintersemester 20240/2025 RA Dr. Janssen | Prof. Dr. Roland Hefendehl & Mitarbeiter:innen Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Institut für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht Literaturhinweise Weber/Kornprobst/Maier Betäubungsmittelgesetz, 6. Aufl. 2021, Einleitung Rn. 1 ff. (aus dem Uni-Netz bei beck-online abrufbar). Bock Kriminologie, 5. Aufl. 2019, § 25. Göppinger Kriminologie, 6. Aufl. 2008, § 27 Feustel, Schmidt-Semisch, Bröckling – Handbuch Drogen in sozial- und kulturwissenschaftlicher Perspektive, 2. Aufl. 2024 Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, 8. Aufl., § 44 Rn. 99 ff. Patzak et al - Betäubungsmittelgesetz - 11. Aufl. 2024 (aus dem Uni-Netz bei beck-online abrufbar). § 12 KK 254