Design: Form Und Variation - IU International University of Applied Sciences PDF
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IU International University of Applied Sciences
2024
Karin Greisner und Christian Köcher
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This reader provides a detailed introduction to design: form and variation. It covers the iterative design process, historical styles of visual design, creative methods, and representation techniques. It also explores the importance of briefings and re-briefings in successful design projects and emphasizes the iterative nature of the design process.
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DESIGN: FORM UND VARIATION DLBMDDFV01 DESIGN: FORM UND VARIATION IMPRESSUM Herausgeber: IU Internationale Hochschule GmbH IU International University of Applied Sciences Juri-Gagarin-Ring 152 D-99084 Erfurt Postanschrift: Albert-Proeller-Straße 15-19 D-86675...
DESIGN: FORM UND VARIATION DLBMDDFV01 DESIGN: FORM UND VARIATION IMPRESSUM Herausgeber: IU Internationale Hochschule GmbH IU International University of Applied Sciences Juri-Gagarin-Ring 152 D-99084 Erfurt Postanschrift: Albert-Proeller-Straße 15-19 D-86675 Buchdorf [email protected] www.iu.de DLBMDDFV01 Versionsnr.: 001-2024-0328 Konzept: IU Internationale Hochschule Verfasser:innen: Karin Greisner und Christian Köcher Fachliche Abnahme: Steffi Neukirchen Erstellt mit Midjourney im Auftrag der IU, 2024, unter der Nutzung des Prompts: „tock photo, Media design shapes and variations, --style raw --ar 16:9 --v 6.0“ © 2024 IU Internationale Hochschule GmbH Dieser Reader ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Dieser Reader darf in jeglicher Form ohne vorherige schriftliche Genehmigung der IU Inter- nationale Hochschule GmbH (im Folgenden „IU“) nicht reproduziert und/oder unter Ver- wendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Die Autor:innen/Herausgeber:innen haben sich nach bestem Wissen und Gewissen bemüht, die Urheber:innen und Quellen der verwendeten Abbildungen zu bestimmen. Sollte es dennoch zu irrtümlichen Angaben gekommen sein, bitten wir um eine dement- sprechende Nachricht. 2 INHALTSVERZEICHNIS DESIGN: FORM UND VARIATION Einleitung Wegweiser durch den Reader...................................................... 6 Literaturempfehlungen............................................................ 7 Übergeordnete Lernziele.......................................................... 8 Lektion 1 Der iterative Designprozess 9 Autor:in: Christian Köcher 1.1 Planung und Definition....................................................... 10 1.2 Recherche, Analyse.......................................................... 17 1.3 Konzeption und Ideenfindung................................................. 24 1.4 Prototyping und Entwurf..................................................... 29 1.5 Realisierung und Implementierung............................................ 32 Lektion 2 Geschichte und Stile des visuellen Designs 37 Autor:in: Christian Köcher, Karin Greisner 2.1 Von 1850 bis 1900............................................................ 38 2.2 Von 1900 bis 1950............................................................ 45 2.3 Von 1950 bis 2000............................................................ 75 2.4 Ab 2000..................................................................... 82 Lektion 3 Kreativmethoden 87 Autor:in: Karin Greisner 3.1 Kreativität und der kreative Prozess........................................... 88 3.2 Intuitiv-kreative Methoden.................................................... 92 3.3 Systematisch-analytische Methoden........................................... 97 Lektion 4 Darstellungstechniken 103 Autor:in: Christian Köcher 4.1 Analog & Digital............................................................ 107 4.2 Generative Techniken....................................................... 115 4.3 Kompositorische Methodik und Techniken.................................... 127 3 Lektion 5 Visuelle Variantenbildung 145 5.1 Interpretation.............................................................. 146 5.2 Variation................................................................... 147 5.3 Permutation & Kombination................................................. 150 5.4 Relation................................................................... 153 5.5 Reflexion & Selektion........................................................ 153 Verzeichnisse Literaturverzeichnis............................................................. 158 Tabellen- und Abbildungsverzeichnis............................................. 168 4 EINLEITUNG HERZLICH WILLKOMMEN WEGWEISER DURCH DEN READER Dieser Reader bildet die Grundlage Deines Kurses. Ergänzend zum Reader stehen Dir wei- tere Medien aus unserer Online-Bibliothek sowie Videos zur Verfügung, mit deren Hilfe Du Dir Deinen individuellen Lern-Mix zusammenstellen kannst. Auf diese Weise kannst Du Dir den Stoff in Deinem eigenen Tempo aneignen und dabei auf lerntypspezifische Anforde- rungen Rücksicht nehmen. Die Inhalte sind nach didaktischen Kriterien in Lektionen aufgeteilt, wobei jede Lektion aus mehreren Lernzyklen besteht. Jeder Lernzyklus enthält jeweils nur einen neuen inhaltlichen Schwerpunkt. So kannst Du neuen Lernstoff schnell und effektiv zu Deinem bereits vorhandenen Wissen hinzufügen. Die IU Internationale Hochschule ist bestrebt, in ihren Readern eine gendersensible und inklusive Sprache zu verwenden. Wir möchten jedoch hervorheben, dass auch in den Rea- dern, in denen das generische Maskulinum verwendet wird, immer Frauen und Männer, Inter- und Trans-Personen gemeint sind sowie auch jene, die sich keinem Geschlecht zuordnen wollen oder können. 6 LITERATUREMPFEHLUNGEN Hierbei handelt es sich um Standardwerke und vertiefende Literatur zum jeweiligen Kurs, die nicht prüfungsrelevant sind und nicht zwingend in den Datenbanken der Bibliothek verfügbar sein müssen. Vorhandene Titel sind mit einem Link versehen. ALLGEMEIN Heiz, A. V. (2012). Grundlagen der Gestaltung: Prozesse und Programme. Strukturen und Sys- teme. Zeichen und Kontext. Identitäten und Differenzen. niggli Verlag. Lindauer, A. & Müller, B. (2015). Experimentelle Gestaltung: Visuelle Methode und systemati- sches Spiel. niggli Verlag. Müller, J. & Wiedemann, J. (2022). Geschichte des Grafikdesigns. Band 1, 1890–1959. Verlag TASCHEN GmbH. Müller, J. & Wiedemann, J. (2022). Geschichte des Grafikdesigns. Band 2, 1960 bis heute. Ver- lag TASCHEN GmbH. Poschauko, M. & Poschauko, T. (2018). NEA MACHINA: Die Kreativmaschine (2. Aufl.). Verlag Hermann Schmidt. Schneider, B. (2005). Design – eine Einführung. Entwurf im sozialen, kulturellen und wirt- schaftlichen Kontext. Birkhäuser. https://search.ebscohost.com/login.aspx?direct=true &AuthType=sso&db=cat09158a&AN=iuo.oai.edge.iu.folio.ebsco.com.fs00001148.c446 3449.d483.5a58.a34e.1ac31ddb9125&lang=de&site=eds-live&scope=site&custid=s606 8579 7 ÜBERGEORDNETE LERNZIELE Der Designprozess ist sowohl dynamischer und iterativer Prozess als auch methodisch strukturierter Entwicklungsprozess. Im Kurs Design: Form und Variation entwickeln die Studierenden ein tieferes Verständnis für die strukturellen Besonderheiten des Design- prozesses. Wesentliche methodische Aspekte, wie die Bildung von Varianten und die Entwicklung eigenständiger Darstellungsformen werden vorgestellt und an Beispielen eingeübt. Ein weiterer Fokus des Kurses liegt auf dem Bewerten, Editieren, Weiterentwickeln, Reflek- tieren, Artikulieren und Argumentieren der eigenen Entwurfsarbeit. 8 LEKTION 1 DER ITERATIVE DESIGNPROZESS LERNZIELE Nach der Bearbeitung dieser Lektion wirst Du in der Lage sein,... – zu wissen, wie ein iterativer Designprozess strukturiert ist. – zu verstehen, welche Bedeutung ein gutes Briefing und Rebriefing für einen erfolgrei- chen Designprozess haben. – zu wissen, warum die Iteration ein essenzieller Part guter Designlösungen ist. – zu verstehen, warum eine analytische Konzeption als Basis visueller Entwürfe notwen- dig ist. – zu wissen, warum das Erzeugen zahlreicher Varianten förderlich für Designlösungen ist. 1. DER ITERATIVE DESIGNPROZESS Einführung Zwischen der Idee sowie der Formulierung eines Vorhabens im Design und der fertigen Iterativ Designlösung steht ein methodisch strukturierter Entwicklungsprozess – der iterative Ein iterativer Prozess Designprozess. beinhaltet Wiederholun- gen. Iteration ist der Pro- zess mehrfachen Wieder- Visuelle Medien werden – vergleichbar mit Spezialanfertigungen aller Art – von holens gleicher oder einem:einer Auftraggeber:in initiiert und von verschiedensten Fachbereichen interdiszipli- ähnlicher Abläufe, um sich an ein bestimmtes när entwickelt. Bei vielen Designprojekten arbeiten Designer:innen, Informatiker:innen Ziel anzunähern. oder Fachleute aus sehr unterschiedlichen Themenfeldern und Branchen zusammen. Visuelle Medien, Objekte und Ergebnisse aus anderen Designdisziplinen werden in nahezu allen Fach- und Lebensbereichen eingesetzt: Ob ein Layout, eine Internetseite, ein Plakat oder ein Produkt gut wirkt und richtig funktioniert, hängt nicht nur von der Kompetenz des beteiligten Fachpersonals ab, sondern gleichermaßen von den Kommunikationsproz- essen zwischen Auftraggeber:innen und Designer:innen. Der Designerfolg ist also davon abhängig, ob Auftraggeber:innen, Gestalter:innen, Umsetzer:innen, Marketingfachleute usw. gemeinsam arbeiten können und die jeweils nötigen Abläufe und Entwicklungspro- zesse der anderen Disziplinen verstehen und respektieren. Um diese Kommunikation zu unterstützen, werden Briefing und Rebriefing genutzt. 1.1 Planung und Definition Erfolgreiches Design ist keine Einzelaktion, vielmehr ist es ein fester und kontinuierlicher Bestandteil der Kommunikationsstrategie eines Unternehmens (Heufler, 2016, S. 119). Ein damit verbundenes strategisches Vorgehen wird in Designprozessen beschrieben. Design- prozesse sind analytisch, zielorientiert und iterativ. Sie stellen das eigentliche Herzstück des Designs dar, nehmen viel Zeit in Anspruch und sind dabei deutlich komplexer, als es das finale Produkt erahnen lässt (Walker, 1992, S. 80). 10 Abbildung 1: Designprozesse sind dynamisch und iterativ Quelle: Christian Köcher, 2023 in Anlehnung an Heufler, 2019, S. 78. Bei der Entwicklung von Design wird nach wichtigen Entwicklungsschritten überprüft, ob ein Arbeitsschritt wiederholt werden soll, um ein bestimmtes gutes Ergebnis zu erzielen. Es sind gleichermaßen kreative und zielorientierte Prozesse. Zu einem gesetzten Ziel – dem Design- oder Kommunikationsziel – werden Informationen gesammelt und ausge- wertet. Diese Ergebnisse werden in einem kreativen Prozess schöpferisch verknüpft (Löbach, 1976, S. 138) und systematisch entwickelt. Durch Designprozesse werden Pro- dukte oder Medien mit entsprechenden Eigenschaften entworfen. Diese Designs decken durch die Erfüllung bestimmter Anforderungen menschliche Bedürfnisse. 11 Abbildung 2: Designprozess in vier Phasen Quelle: Christian Köcher, 2023 in Anlehnung an Löbach, 1976, S. 138. Abhängig von der Zielsetzung können Designprozesse sehr umfassend sein. Als Übersicht möglicher Teilprozesse folgt eine Eingrenzung zielorientierter Designprozesse in die fol- genden vier Phasen (Löbach, 1976, S. 141–152; Heufler, 2016, S. 78): die Analyse inklusive Informationsbeschaffung sowie Wissensauswertung (Recherche) mit dem Ergebnis der Bestimmung des Ziels des Designs/der Kommunikation, der Konzeption mit dem Ergebnis der Erzeugung von Lösungsvarianten (Ideen), des Entwerfens mit dem Ergebnis der Zielerreichung und der Realisierung mit Optimierung sowie Ausarbeitung. In der Praxis sind diese Phasen in der Regel nicht scharf voneinander abgegrenzt, doch sind sie zur Strukturierung von Designprozessen essenziell. 12 Neben dieser Struktur sind regelmäßige Absprachen und Feedbackrunden für einen Pro- zessablauf mit positivem Endergebnis sehr ausschlaggebend (Heufer, 2016, S. 77). Im Pro- zess selbst wirken dann zwei Kräfte aufeinander, die einander benötigen und den Design- prozess so vorantreiben. Zum einen spricht man hier von einem rational-analytischen Vorgehen und zum anderen von einem emotional-intuitiven. Beide Methoden fließen von Beginn des Prozesses, dem Briefing, an ein, sodass in manchen Prozesszyklen analytisch und in anderen gestalthaft, kreativ vorgegangen wird – immer unter Einbezug des Ergeb- nisses: das Erreichen des Designziels (Heufler, 2016, S. 74–75). Abbildung 3: Designprozesse zwischen Theorie und Praxis Quelle: Christian Köcher, 2023 in Anlehnung an Heiz, 2012, S. 193. Faktor Mensch im Designprozess Entwicklungen im Design sind visuell konnotierte Prozesse. Visuelle und haptische Eindrü- cke werden meist unbewusst wahrgenommen. Ob in der Handhabung eines Produktes oder der Auseinandersetzung mit einem Medium, Personen werden permanent mit einer Vielzahl von Sinneseindrücken konfrontiert. So beeinflussen Designer:innen als Gestal- ter:innen visueller Medien mit ihrem Tun permanent Wahrnehmungsprozesse, also das Leben der Medienkonsument:innen. Je logischer die Designer:innen das Medium oder Produkt gestalten, desto klarer und nachvollziehbarer erscheinen die Aussagen, die die Nutzer:innen erreichen. Wird logisches Design im Sinne eines kommunikativen Ziels ent- wickelt, kann das Medium bei den Rezipient:innen etwas bewirken: eine gewünschte Ent- scheidung hervorrufen und eine Handhabung erleichtern. Bedient diese gewünschte Ent- scheidung ein Bedürfnis der Rezipient:innen, dient das Design der Verbesserung ihrer Lebensumstände. Neben den personen- bzw. menschbezogenen Faktoren, die physisch, psychisch oder sozial sein können, spielen technische Faktoren wie die Wahl des geeigneten Materials und des Herstellungsverfahrens, wirtschaftliche Faktoren wie Material-, Herstellungs- und Lohn- bzw. Dienstleistungskosten und auch ökologische Faktoren wie der Verbrauch von Ressourcen oder Energie sowie Nachhaltigkeit und Umweltbelastung eine wesentliche 13 Rolle im Designprozess. Design soll all diese verschiedenen, teilweise gegensätzlichen Fak- toren, die die Anforderungen an ein Produkt oder ein Medium formen, mithilfe von Ana- lyse-, Konzeptions-, Entwurfs- und Gestaltungsprozessen zu einer Einheit werden lassen (Heufler, 2016, S. 73). Teilprozesse von Designprozessen Am Beginn eines zielorientierten Designprozesses steht eine Vorstellung von etwas, ausge- drückt in Wünschen und Bedürfnissen der Auftraggeber:innen. Am Ende desselben steht die Bewertung des Ergebnisses, die Reflexion einer Designlösung (Prototyping und Ent- wurf). Diese Bewertung kann bei Auftraggeber:innen und Auftragnehmer:innen unter- schiedlich ausfallen. Schließlich folgen die Realisierung und finale Umsetzung. Designprozesse beginnen mit Arbeitsschritten, die Gestaltung und Entwürfe vorbereiten. Das sind Briefing, Rebriefing sowie darauffolgend die Analyse und Recherche. Mit dieser ersten Phase ist die Aufgabe geklärt und der kreative Gestaltungsprozess beginnt bereits: Ideen werden reflektiert, Machbarkeiten werden geprüft und erste strukturelle Skizzen werden angefertigt. Die Konzeption wird erarbeitet, der Designprozess mit einem theoreti- schen Fundament untermauert und letztlich damit die Grundlage für die spätere Ausarbei- tung geschaffen. In den meisten Fällen werden weitere Recherchen und Analysen notwen- dig. Die Konzeption steuert den Entwurfsprozess und die Prozesse der Realisierung. Der geplante Prozess von Auftragsannahme bis zur Abgabe des Designergebnisses beinhaltet damit sowohl theoretische als auch praktische Elemente, die beide unablässig für den erfolgreichen Abschluss eines Designprojektes sind. Zur Theorie zählen Wissen aus Designgrundlagen und Wahrnehmungsprozessen sowie soziale Aspekte visueller Kommu- nikation. Alle Aspekte des Entwurfsprozesses beeinflussen die Entwurfspraxis. Der designpraktische Entwurfsprozess ist Teil des Gestaltungsprozesses. Hier werden Ideen in Entwurfsvarianten überführt, wobei Methoden der Formfindung wie Variation, Permutation und Kombination genutzt werden. Der designpraktische Entwurfsprozess ist wie der konzeptionell-theoretische iterativ: Viele Arbeitsschritte werden mit den überge- ordneten Gestaltungsprozessen abgestimmt, Zwischenergebnisse fließen mit ein und beeinflussen den Weg zum Designziel. Parallel zum Gestaltungs- und Entwurfsprozess beginnt die Realisierung, die anhand von Briefing, Rebriefing und den Entwürfen geplant wird. Zeitlich kann – abhängig von der Art des Projektes – die Realisierungsphase sehr umfangreich oder kürzer angelegt sein. Bei digitalen Medienlösungen werden Machbarkeit und Produktionszeiten geprüft und notwendige Ressourcen, beispielsweise für die Pro- grammierung, aktiviert. Bei Printmedien werden potenzielle Druckereien ausfindig gemacht und angefragt. Je nach Projekt und dessen Anforderungen können verschiedene Materialien oder Veredelungstechniken gesichtet oder Prototypen, Modelle und Beispiele für z. B. mögliche Falzungen erstellt werden. Alle Termine werden vom Designmanage- ment vermittelt. Zwischen dem Erstkontakt (Anfrage) mit den Auftraggeber:innen und der Übergabe des Designergebnisses gibt es Termine für Rebriefing, Zwischenpräsentationen und Produktionsabstimmungen. Der Umfang dieser Abstimmungs- und Korrekturtermine mit Kund:innen und Produktion hängt vom Umfang des Projektes und vom Projektablauf selbst ab. 14 Zusammengefasst ist es wichtig herauszustellen, dass der Designprozess nicht nur aus Designmanagement einem Entwurfsprozess besteht, sondern die theoretische Grundlage mit Recherche, Ana- Bei umfangreichen Designprojekten werden lyse, Konzeption und den regelmäßigen Feedbackschleifen mit Auftraggeber:innen und Kundenkommunikation, unter Designer:innen jeweils wesentliche Teilprozesse des Gesamten sind, ohne die eine Kalkulation, Recherche zielführende Realisierung nicht möglich ist. Der designpraktische Prozess gliedert sich und weitere Arbeits- schritte in unterschiedli- damit in vier iterative Phasen: die Vorbereitung mit Briefing, Rebriefing, Recherche und che Abteilungen verla- Analyse, die Konzeption, das Prototyping und die Entwürfe sowie die Realisierung, wie in gert. Um diese zu koordinieren, wird ein der nachfolgenden Abbildung gezeigt wird. Designmanagement oder auch Projektmanagement Abbildung 4: Phasen guter Praxis im iterativen Designprozess eingerichtet. Quelle: Erstellt im Auftrag der IU, 2023. Abhängig vom Designvorhaben kann der Designprozess in weitere Einzelphasen unterteilt werden. Design ist bestimmt von verschiedenen ineinandergreifenden Prozessen von Pro- jektbeginn bis zum Abschluss. Tabelle 1: Einzelne Projektphasen im iterativen Designprozess Vorbereitung Konzeption/Gestal- Entwurf/Prototyping Realisierung tung Briefing Konzeption Formfindung Reinzeichnung Reflexion theoretische Fundie- Layout Programmierung Rebriefing rung Fotografie Druck Recherche Präsentationen Modellbau Messebau Kalkulation Dokumentation Illustration Debriefing Analyse Management Animation Auswertung Quelle: Erstellt im Auftrag der IU, 2023. 15 Faktoren für einen erfolgreichen Designprozess Aus der Designpraxis können sieben Faktoren für erfolgreiche Designprozesse abgeleitet werden (Heufler, 2016, S. 114–119): 1. die Größe eines Unternehmens, 2. die Art des Unternehmens, 3. die Wahl der Designer:innen, 4. der Beginn der Zusammenarbeit, 5. die Designleistung, 6. das Designhonorar und 7. die Rahmenbedingungen. Von der Unternehmensgröße hängt es ab, ob ein Designauftrag in einer eigenen Abteilung, von externen Designer:innen oder in Zusammenarbeit von internen und externen Desig- ner:innen bearbeitet wird. Kleine und mittlere Unternehmen bieten gute Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit mit freien Designer:innen, weil Betriebe eine überschaubare Größe besitzen. Es kann flexibel reagiert und Entscheidungen können häufig schneller gefällt werden als in Großunternehmen. Bei Unternehmen, die Konsumgüter produzieren, liegt in der Regel eine längere Tradition und damit Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Designer:innen vor als beispielsweise in der Investitionsgüterbranche. Das Profil der Designer:innen sollte zur Aufgabenstellung passen. Dazu zählen Ausbildung, etwa Spezialisierungen im Messedesign, Produktdesign oder Kommunikationsdesign. Ebenso können Erfahrungen mit einer bestimmten Branche oder Unternehmensgröße wichtig sein. Die Größe und Fähigkeiten des Designbüros spielen zudem eine Rolle, um beispielsweise ein umfangreiches Projekt bewältigen zu können. Erfolgreiche Designprozesse zeichnet in vielen Fällen aus, dass Designer:innen in der Ent- wicklungsphase zu einem frühen Zeitpunkt hinzugezogen werden. So können auch kom- plexe Designaufgaben im interdisziplinären Team erarbeitet und gemeinsam Erfahrungen gesammelt werden. Nur wenn Designer:innen das Produkt, die (Marketing-)Strategie, die Auftraggeber:innen sowie deren Branche und auch den Markt, in dem sie agieren, kennen, kann Designleistung über reine Oberflächenkosmetik oder Dekoration hinausgehen. Vor dem eigentlichen Designprozess wird durch das Briefing und Rebriefing eine Vereinba- rung getroffen, die die Designleistung aus der Perspektive der Auftraggeber:innen und der Designer:innen beschreibt. In vielen Fällen ist dies eine ausgehandelte Leistung, die im Umfang erst erarbeitet werden muss oder aus einem gemeinsamen vorgeschalteten Work- shop hervorgeht, beispielsweise die mögliche Anknüpfung an ein bestehendes Corporate Design oder eine Markenstrategie. Designhonorare werden in Leistungs- und Erfolgshonorare unterschieden. Leistungshono- rare sind pauschale Vereinbarungen, die sich beispielsweise auf ein bestimmtes Leistungs- paket, eine bestimmte Designleistung oder eine bestimmte Anzahl an Arbeitsstunden 16 beziehen. Erfolgshonorare dagegen hängen von verkauften Stückzahlen ab. Unter Umständen kann sich das Gesamthonorar auch aus der Kombination eines Leistungs- und Erfolgshonorars zusammensetzen. Die Rahmenbedingungen schließen nicht nur Unternehmenskultur und Budget ein. Ob ein Design erfolgreich ist oder nicht, hängt in vielen Fällen von den beteiligten Akteur:innen insbesondere auf Entscheiderebene ab und deren allgemeinen Design- sowie Kommuni- kationskompetenzen. 1.2 Recherche, Analyse Bevor Designer:innen mit den ersten Schritten im Designprozess, der Recherche und der Analyse, beginnen können, benötigt es eine Problem- oder Aufgabenstellung, die an sie herangetragen wird. Die wichtigsten Akteur:innen sind dabei neben den Designer:innen, also den Auftragnehmer:innen, die Auftraggeber:innen. In den meisten Anwendungsfällen beauftragt ein:e Kund:in eine:n Designer:in damit, eine Designaufgabe zu erfüllen. Die Abstimmung zwischen Kund:innen und Designer:innen wird vom Briefing und dem darauffolgenden Rebriefing begleitet: „Ein Briefing ist eine Zusammenstellung der Erfor- dernisse, denen ein Produkt genügen sollte“ (Habermann, 2003, S. 446). Designprozesse und deren Teilprozesse benötigen Zeit, sollten durchdacht stattfinden und sind damit in gewisser Weise unsichtbar (Walker, 1992, S. 80). Um auf dem Designziel basierend in diesen Prozess starten zu können, ist eine genaue Beschreibung des gewünschten Ziels, der Aufgabe und des Anspruchs im Briefing seitens der Auftragge- ber:innen eine wichtige Grundlage, womit die Recherche und Analyse beginnen kann. Briefing und Rebriefing Die Auftraggeber:innen teilen dem Designbüro oder den Designer:innen mit dem Briefing ihre Wünsche und Bedürfnisse schriftlich oder im Gespräch mit, übergeben notwendige Unterlagen und klären Rahmenbedingungen wie Budget und zeitlichen Ablauf. Ein Brie- fing beinhaltet eine klare Formulierung der Aufgabe und stellt dar, was und für wen zu ent- werfen ist (Bergmann, 2016, S. 224). Oft sind die Vorstellungen der Kund:innen allerdings noch vage und werden im Briefinggespräch konkretisiert. Für den Designprozess notwen- dige Informationen und Materialien werden übergeben oder für das Rebriefing vorge- merkt. Ein Designbriefing ist eine kompakte Beschreibung oder Auflistung aller Faktoren, die das zu entwickelnde Design betreffen, Anforderungen und Wünsche (Heufler, 2016, S. 223). Bestandteile eines Briefings Ein Briefing sollte folgende Bestandteile enthalten: möglichst klare Formulierung der Aufgabe, Übergabe notwendiger Materialien (oder beim Rebriefing), konzeptionelle Vorgaben, 17 inhaltliche Vorgaben, Zeitplan und Deadlines und Budgetvorstellungen. Die 8-K-Regel „Ein gutes Briefing ist kurz, knapp, klar, konkret, komplett, konstruktiv, konsequent und kooperativ“ (Back & Beuttler, 2003, S. 11). Ein Briefing (Back & Beuttler, 2003, S. 10) … … vermittelt von Auftraggeber:innen und Auftragnehmer:innen gemeinsam verfolgte Ziele. … vermittelt die Ziele möglichst konkret und prägnant. … schafft den für das Projekt notwendigen Verständnishintergrund. … beinhaltet Daten und Fakten zum Designprodukt, zum Unternehmen, zu den Kom- munikationszielen und Zielgruppen sowie zu Kommunikations- und Vertriebsstrate- gien. … beinhaltet Wünsche und persönliche Erwartungen der Auftraggeber:innen. … räumt kreativen Spielraum ein: Konkrete Vorgaben für die Umsetzung sind möglich, ergeben aber nur in engen Grenzen Sinn. … versteht sich als Austausch zwischen Partner:innen. Im Rebriefing werden die Informationen zwischen Auftraggeber:innen und Auftragneh- mer:innen abgeglichen, wodurch kontrolliert wird, ob das Briefing richtig verstanden wurde. Es wird zu einem frühen Zeitpunkt des Designprozesses im Anschluss an das Brie- fing durchgeführt. Ein Rebriefing dient dazu, sicherzustellen, dass alle im Briefing definier- ten Wünsche, Anforderungen und gewünschten Leistungen richtig verstanden wurden, und es bildet damit die Vertragsgrundlage des Auftrags. Ein Rebriefing enthält Ort, Datum und Zeit des Briefings, eine Auflistung aller Teilneh- mer:innen sowie deren Funktionen (Auftraggeber:innen, Auftragnehmer:innen und bei größeren Gesprächsrunden die Funktion aller Akteur:innen) und fasst den Ablauf des Briefings zusammen. Die Aufgabenstellung wird schriftlich wiedergegeben. Zudem können bestehende Hintergrundinformationen gelistet werden. Schließlich werden Termine und Honorare festgelegt, die übergebenen Materialien aufgelistet und die konkreten Ansprech- personen genannt. Offene Fragen, ungeklärte Sachverhalte oder ausstehende Material- übergaben werden geklärt oder festgehalten. Bestandteile eines Rebriefings Ein Rebriefing sollte folgende Bestandteile enthalten: Setting (Ort, Zeit, Datum, Akteur:innen), Funktion der Akteur:innen, Zusammenfassung des Briefings, schriftliche Aufgabenstellung, Liste notwendiger Informationen, 18 Liste notwendiger Materialien, Liste offener oder übergebener Informationen und Materialien, Honorare, Termine und Deadlines, Ansprechpersonen und nächste Schritte im Projektverlauf. Der zeitliche Rahmen und auch der schriftliche Umfang eines Briefings und Rebriefings können unterschiedlich ausfallen und hängen vom Volumen des Auftrags ab. Es kann sich um ein kurzes Telefongespräch bis zu einer mehrstündigen Sitzung handeln, um einen schriftlichen Kommentar der Designer:innen, eine Auftragsbestätigung via Post, E-Mail oder Fax, die Leistungsverzeichnis und Etat zusammenfasst, oder gar um einen mehrseiti- gen Leistungskatalog mit Vertrag. Recherche Wurden alle Parameter über Briefing und Rebriefing definiert, beginnt der nächste Schritt des Designprozesses: das Sammeln von Informationen. Im Designalltag heißt das, sich über bestehende Produkte, Projekte und Medien der Auftraggeber:innen, der jeweiligen Branche oder des Markts und der Konkurrent:innen oder Mitbewerber:innen zu informie- ren und nach unterschiedlichen Aspekten (z. B. Material, Technik, Inhalte oder Erfolg) zu sortieren (Heufler, 2016, S. 81). Bei dieser Recherche geht es primär darum, möglichst viele unterschiedliche Informatio- nen zu sammeln, sei es materiell, ästhetisch, interaktiv, physisch, gesellschaftlich, histo- risch oder kulturell. Alle Aspekte müssen ergründet werden. Die Designer:innen sind in diesem Prozessschritt Beobachter:innen in Bereichen, die ihnen noch neu sind. Deswegen sind eine sorgfältige Recherche und Analyse vonnöten. Um an weitere Informationen zu gelangen, können unterschiedliche Methoden angewandt werden; von Erhebungen über Fragebögen hin zu Interviews oder gar Fallstudien ist alles möglich. Diese Methoden sind vor allem dann hilfreich, wenn man in direkten Kontakt mit Nutzer:innen, Teilneh- mer:innen oder der Zielgruppe tritt und Erfahrungen, Meinungen sowie Wahrnehmungen aus erster Hand sammeln möchte. Fragebögen, Interviews und Erhebungen müssen dabei behutsam erstellt, ausgewertet und unbedingt mit weiteren Recherchen kombiniert wer- den, um ein Gesamtbild zu erhalten (Martin & Hanington, 2013, S. 14, S. 102, S. 140, S. 172). Mögliche Arten von Fragen für Interviews oder Erhebungen sind u. a. (Martin & Hanington, 2013, S. 172): geschlossen: eine festgelegte Auswahl mit begrenzten Antworten; offen: ohne vorgegebene Antworten, um eine Diskussion anzuregen; allgemein: breites Themenspektrum; spezifisch: auf Details oder Situationen bezogen; faktisch: durch Beobachtung oder Informationen belegbar; hypothetisch: Spekulation über Verhalten, Aktionen oder Gegebenheiten; urteilend: auf Meinung oder Einstellung von Teilnehmer:innen bezogen; vergleichend: Abschätzen zweier oder mehrerer Alternativen; 19 neutral: möglichst objektiv; nach Vorschlägen bittend: Einbringung von Ideen oder Meinungen und nach Fragen bittend: neue Fragen werden vorgeschlagen. Neben dem Stellen von gezielten Fragen, die man auch an sich selbst als Designer:in adressieren kann, um an weitere Informationen zu gelangen, ist die Auswertung von textli- chen oder visuellen Inhalten notwendig. Dazu zählen u. a. Inhalte in der Literatur wie Büchern, Zeitschriften oder Magazinen, anderen Printwerken wie Flyern und Diplom-/ Bachelor-/Masterarbeiten, Inhalten auf Webseiten bzw. Blogs oder auch Ausstellungen, Museen und weiteren Veranstaltungen. Zwar gehören Literaturrecherchen klassischerweise zum wissenschaftlich-akademischen Arbeiten, sie sind allerdings auch sehr hilfreich im Designprozess, um Ergebnisse zu einem Thema zu sammeln und letztlich zu analysieren. Dabei werden Informationen aus veröf- fentlichten Quellen erarbeitet, wobei nicht alles aus jeder Quelle direkt zusammengefasst werden muss. Informationen sollten so erstellt werden, dass zwar die Beziehungen der Quellen klar werden, das Designprojekt und die Frage- bzw. Problemstellung jedoch wei- ter im Mittelpunkt stehen. Wichtig für die Auswahl der Informationen muss immer die Relevanz für das Designprojekt sein. Aus diesem Grund kann es hilfreich sein, das gefun- dene Material nach Kategorien zu filtern und auszuwerten. Geht es beispielsweise beim Projekt um eine digitale App für eine jüngere Zielgruppe, so sollten Bücher, Webseiten und weitere Informationsquellen nach dafür relevanten Themenbereichen wie Technologie, Trends, Generationen oder Spieldesign untersucht werden (Martin & Hanington, 2013, S. 112). Wichtig zu verstehen ist, dass das Sammeln und Recherchieren von Informationen die Basis für die spätere Entwurfsphase und Realisierung sind. Aufgrund des gesammelten Wissens werden Designentscheidungen konzeptionell gefällt, daher sollten dieser Phase des Designprozesses ausreichend Zeit und Gedanken gewidmet werden. Ohne eine tief- greifende Recherche verbleiben Konzepte und Ideen meist auf einer oberflächlichen Ebene, wirken nicht verständlich oder unklar und erzeugen rein dekorative Gestaltungsan- sätze. Analyse Nach der Zusammenstellung gilt es, diese Informationen und den Istzustand zu erforschen und zu analysieren. Dabei können unterschiedliche Aspekte betrachtet werden wie Pro- dukte, Medien, Personen, Nutzung, Hintergründe oder Zielgruppen. Oftmals ist es so, dass man im Briefing und Rebriefing erste analysierte Inhalte erhält. Dabei ist jedoch festzuhal- ten, dass diese Informationen größtenteils noch allgemein sowie nicht oder nur teilweise vollumfänglich sind und daher weiter vertieft sowie ausgearbeitet werden müssen, um ein stimmiges Gesamtbild zur Lösung der Designaufgabe zu erhalten. Es ist für die Zielbestim- mung sehr nachteilig, auf eine sorgfältige Analyse zu verzichten: Nicht die offensichtlich zu erkennenden Anhaltspunkte sind es, die ein Designziel langfristig und nachhaltig errei- chen können, sondern die tief sitzenden Ursachen sind festzustellen und zu bearbeiten, um letztlich eine Designlösung zu erarbeiten, die die Aufgabenstellung löst und damit zu keiner oberflächlichen Dekoration wird. Ohne ausreichende Analyse ist damit kein effizi- enter und zielführender Designprozess möglich (Heufler, 2016, S. 82). 20 Bei einer Analyse geht es um die systematische Untersuchung von materiellen, ästheti- schen, interaktiven sowie ortsbezogenen Eigenschaften von Objekten, Produkten und Medien, von Zielgruppen, von Märkten sowie Branchen und von Bedürfnissen. Dabei soll- ten neben Produkten oder Medien der Auftraggeber:innen auch die der direkten und indi- rekten Konkurrent:innen einbezogen werden (Heufler, 2016, S. 82; Martin & Hanington, 2013, S. 14). Mit der Analyse der jeweiligen Medien, Produkte oder Objekte sollen deren Essenz und Eigenschaften verstanden werden. Dabei geht es um materielle Merkmale wie Material, Haltbarkeit und Abnutzung, um ästhetische Merkmale sowie historische Bezüge beispielsweise zu einer Epoche, einer Zeitspanne oder einem Ort, um die Erfahrung im Umgang mit bzw. bei der Nutzung der Medien oder Produkte, einer emotionalen Beurtei- lung und möglicher Bedeutung, die aus dem Medium, dem Produkt oder dessen Inhalt/ Thema abgeleitet werden kann (Martin & Hanington, 2013, S. 14). Interaktive Aspekte der Analyse beschreiben die Benutzung und das Verhalten der Konsu- ment:innen gegenüber dem finalen Produkt wie funktional oder instrumental, mecha- nisch oder technologisch, einfach oder komplex, eindeutig oder vielseitig, positiv oder negativ. Im Zuge dieser Eigenschaften sollten auch gesellschaftliche, soziale Aspekte und deren Wirkung einbezogen werden (Martin & Hanington, 2013, S. 14). Diese grundlegende Analyse kann am eigenen Arbeitsplatz oder teilweise bei den Auftrag- geber:innen durchgeführt werden, je nach Briefing und Zielsetzung. Die systematische Untersuchung von Punkten wie Material, Herstellungsprozess, Farbe, Marke, inhaltlichen Komponenten und Gestaltungen – auch der anderen Marktteilnehmer:innen und Konkur- rent:innen – ist ein wesentliches Werkzeug, um die Zielsetzung zu verstehen und lösen zu können. Je nach Briefing können die zu untersuchenden Aspekte variieren und müssen von den Designer:innen nach dem Rebriefing und der ersten Recherche zielführend und lösungsorientiert ausgewählt werden (Martin & Hanington, 2013, S. 14). Alles ist dabei unter dem Gesichtspunkt zu betrachten, dass die Designer:innen die Auftraggeber:innen, den Markt und die Zielsetzung verstehen und möglichst viele Informationen zusammen- tragen müssen, um darauf aufbauend in den Konzeptions- und Gestaltungsprozess über- gehen zu können und daraus abgeleitete Designentscheidungen fällen zu können, die auf einer konzeptionell-analytischen Grundlage basieren. Nach diesen Recherchen und Analysen zum thematischen Inhalt, der historischen Ent- wicklung, den kulturellen Gegebenheiten, dem Material, der Herstellung und der techni- schen Fakten muss eine tiefere Beschäftigung mit der Zielgruppe erfolgen. Bei der Erstel- lung exemplarischer Personas und einer definierten Zielgruppe geht es jedoch nicht um eine Art Klasseneinteilung, sondern vielmehr um Gemeinsamkeiten bei Aktivitäten, Inte- ressen und Meinungen im Sinne einer modernen „Patchwork“-Gesellschaft (Heufler, 2016, S. 56). Dazu kommen Einflussfaktoren wie Zeitgeist sowie kulturelle Facetten, soziale Gruppen, Emotionalität und (emotionale) Objektbesetzung durch individuelle Erfahrun- gen sowie Erinnerungen als auch der Wunsch nach Anpassung oder Differenzierung (Heuf- ler, 2016, S. 54–55). Mit den nun vorliegenden Informationen aus Recherche und Analyse können alle Erkennt- nisse in Zusammenarbeit mit allen an der Produktion beteiligten Abteilungen und Part- ner:innen in einem Pflichten- oder Lastenheft definiert werden. Effizienter ist allerdings die Ausarbeitung der Aufgabenstellung/Zielsetzung, also des Briefings inklusive Rebrie- 21 fings, zum Designbriefing, in dem alle designrelevanten Parameter kompakt dargestellt werden. Mit diesem Designbriefing kann während des gesamten Prozesses überprüft wer- den, ob dieser noch zielführend und lösungsorientiert verläuft (Heufler, 2016, S. 82). Ein Designbriefing besteht nach Heufler (2016, S. 839) u. a. aus: Funktionen und Einsatzmöglichkeiten; ausschlaggebenden Eigenschaften; Zielgruppendefinition; Konkurrenzanalyse und Marktsituation; Unternehmensleitbild und Corporate Identity; technischen Daten; Umgebungsbedingungen; Nutzung, Wartung und Verwendungsdauer; Verfahren und Wirkungsweise; Vorschriften, Normen und Patente; Stückzahl oder Auflage; Umweltverträglichkeit und Terminplan. Mindmap und kognitive Karten Als gutes Werkzeug zur Strukturierung von Informationen und einer weiteren Vertiefung eignen sich sogenannte Mindmaps und kognitive Karten. Dies sind Instrumente zum visu- ellen Denken, welche die Vernetzung von Gedanken und Assoziationen eines Themas ermöglichen und dabei das Ziel verfolgen, Ideen und Konzepte zu entwickeln. Eine Mind- map verbessert das Verständnis und das Durchdringen einer Zielsetzung, da es als nonli- neares Mittel Informationen aus Menschen hervorbringt, um diese festzuhalten, zu inter- pretieren, zu kommunizieren und zu sammeln. Bedingt durch das nichtlineare Denken der Menschen und der Komplexität der Aufgabenstellungen, denen keine klar trennbare Struk- tur in Reihenfolge zugrunde liegt, können Mindmaps als Methode der Analyse und Sinnbil- dung dazu dienen, zeitgleich das Thema, die Verbindungen und die Bedeutung der Infor- mationen anschaulich aufzuzeigen. Auf dieser Basis können Aspekte zusammengefasst, vertieft und geordnet werden. Je tiefgreifender eine Mindmap mit vielen Verästelungen und Ebenen weiterer Informationen ausgearbeitet wird, desto mehr Assoziationen und Inhalte können erzeugt werden, die die Grundlage zur Ideenentwicklung und Konzeption bilden (Martin & Hanington, 2013, S. 30, 118). Bei einer Mindmap arbeitet man sich von der Mitte (dem Thema oder Ziel) aus mit Verb- Substantiv- oder Substantiv-Clustern nach außen. Die Verbindung der unterschiedlichen Ebenen der primären, sekundären, tertiären, quartären (usw.) Informationen werden mit Linien verbunden. Jede Verbindung geht von einer Information zu einer weiteren Ebene über, bis alle wesentlichen Inhalte gesammelt wurden. Die Verbindung der Assoziationen und Informationen stellt dabei die Bedeutung und den Gedankengang dar (Martin & Hanington, 2013, S. 118). 22 Abbildung 5: Beispielhafte schematische Darstellung einer Mindmap Quelle: Christian Köcher, 2023. 23 WEITERE DESIGNMETHODEN ZUR RECHERCHE UND ANALYSE AEIOU Bergmann (2016, S. 255) nennt folgende weiteren Designmethoden: AEIOU, Das Akronym steht für Artefaktanalyse, Auswahlverfahren, Automatisierte Fernrecherche, Behavioral Activities, Environments, Interactions, Objects und Mapping, Bildkarten, Businessorigami, Critical Incident Technique, Cultural Pro- Users. bes, Designethnografie, Designresearch, Designworkshop, Erhebung, Evidence- based Design, Experience-Sampling, Eyetracking, Fallstudie, Fokusgruppen, Gelenktes Storytelling, Graffitiwände, Image Board, Inhaltsanalyse, Kano-Ana- lyse, KJ-Methode, Kognitive Karten, Kontextabhängiges Design, Kontextanalyse, Laddering, Liebes- und Abschiedsbrief, Literaturauswertung, Nonreaktive Ver- fahren, PAR-Methode, Persönlichkeitsinventar, Projektkarte, Schattentage, Semantisches Differenzial, Speeddating, Stakeholdermap, Tagebuchstudien, Thematische Netzwerke, Triadenmethode, Verdeckte Beobachtung, Wortwol- ken. 1.3 Konzeption und Ideenfindung Bei Designprojekten bildet die Konzeption eine Zusammenfassung der inhaltlichen, for- malen und theoretischen Bedingungen, die aus der Recherche und Analyse gewonnen wurden. Sie verfolgt das Ergebnis, das gesetzte Design- bzw. Kommunikationsziel in der gegebenen Zeit mit den vorhandenen und zu erzeugenden Mitteln zu erreichen. Abhängig von den Erwartungen der Auftraggeber:innen kann die Konzeption neben der ausführli- chen designtheoretischen Beschreibung des Vorhabens, welche Mittel als Designlösung eingesetzt werden soll, auch Scribbles, Moodboards, inhaltliche (Bild-)Ideen und Ent- wurfsvarianten beinhalten. Die Konzeption zielt darauf ab, das Thema und die Zielsetzung darzulegen und auf die zum Einsatz kommenden Methoden hinzuweisen, die zur Lösung der behandelten Frage- stellung herangezogen werden sollen. Es wird damit zeitgleich beschrieben, was zu entwi- ckeln und zu planen ist, und auch klar aufgezeigt, welches Ziel mit welchem Lösungsan- satz erzielt werden soll (Habermann, 2003, S. 67). Zur Ausformulierung des Konzepttextes und Bestimmung der Ziele sowie der Lösungsan- sätze können sich die Designer:innen fragen (Habermann, 2003, S. 67; Bühler et al., 2019, S. 2): Was ist das Ziel (prägnant auf den Punkt gebracht)? Wie soll das geschehen? Welche Ideen und Inhalte sollen vermittelt werden? Was soll gemacht werden? Welche Handlungen sollen ausgelöst werden? Womit soll das geschehen? Welche Mittel, Medien oder Methoden werden dazu eingesetzt? Wer ist die Zielgruppe und was macht sie aus? 24 Wie viel Zeit wird benötigt? Im Rahmen der Konzeption muss zudem abgewogen werden, welches wesentliche Design- bzw. Kommunikationsziel verfolgt wird. Die durch die Analyse erarbeiteten und bestätigten Anforderungen müssen dabei erreicht werden. Ergänzende Wünsche oder Erwartungen können berücksichtigt werden, es muss jedoch eine Auswahl oder Gewich- tung getroffen werden, welche Ziele auf jeden Fall zu erbringen sind. Einzubeziehen ist dabei immer, für wen, also welche Zielgruppe mit all ihren Eigenschaften, gestaltet wird (Habermann, 2003, S. 89). Ideenfindung Wesentlich für die Erarbeitung des finalen Konzepts ist das Erzeugen einer Vielzahl an Ideen, Lösungsvarianten und -alternativen. In dieser Prozessphase sollten Designer:innen sich nicht einschränken und unbedingt Unkonventionelles oder Ungewohntes zulassen, wodurch innovative Ansätze generiert werden können. Mit Einschränkungen – sei es hin- sichtlich der Machbarkeit, Finanzierung oder Produktion – werden Designer:innen früh genug konfrontiert werden. Im weiteren Konzeptionsprozess wird dann vom ausführli- chen Grundkonzept zu Detaillösungen hingearbeitet (Heufler, 2016, S. 87). Dabei kann es helfen, eine Aufgabenstellung, ein Produkt oder ein Ziel in Gesamt- („Was macht es als Ganzes?“) und Teilfunktion/-bedeutung („Was macht das einzelne Element?“) zu strukturieren, also dessen übergeordneten bzw. ihm auferlegten Zweck zu betrachten. Um neue Lösungsansätze zu erzeugen, gilt es, in Folge noch weiter zu abstrahieren. Für den Designprozess ist es unerlässlich, dass dieser Schritt zum funktions- bzw. bedeutungs- orientierten und damit zielbezogenen Denken stattfindet, sodass sich der Horizont für die Ideensuche vergrößern kann. Aus allen Teilaspekten oder -bedeutungen können dadurch mehrere Ideen als Lösungsvariante gefunden werden (Heufler, 2016, S. 87–89). Die nachfolgende Grafik zeigt nur einen Auszug der Elemente des Gesamten und dient der Veranschaulichung der Herangehensweise. Die Lösungsideen beziehen sich dabei auf die Teilbedeutungen und werden davon abgeleitet. 25 Abbildung 6: Veranschaulichung der Gesamt- und Teilbedeutung Quelle: Christian Köcher, 2023 in Anlehnung an Heufler, 2016, S. 88–89. Die entstandenen Lösungs- und Ideenvarianten sowie -alternativen decken dabei im bes- ten Fall vom pragmatisch-klassischen über den innovativen bis zum visionär-futuristi- schen alle Ansätze ab. Die Auftraggeber:innen können durch den breiten Entscheidungs- spielraum, der ihnen dadurch gegeben wird, dann je nach ihrer Strategie, der Situation innerhalb der Branche und bei Konkurrent:innen sowie dem Zielgruppenverhalten und deren Bereitschaft/Akzeptanz wählen. Der französisch-amerikanische Designer Raymond MAYA Loewy formulierte dazu die MAYA-Schwelle: So progressiv wie möglich, aber so, dass es steht für „most advanced, die Auftraggeber:innen akzeptieren können (Heufler, 2016, S. 93). yet acceptable“ Scribbles Scribbles sind im Konzeptionsprozess der erste Schritt, die Ideen und Konzepte zu visuali- sieren und ihnen eine Gestalt zu geben. Sie gehören zum festen Bestandteil von Desig- ner:innen, da sie durch ihre Bildhaftigkeit eine klare visuelle Richtung vorgeben – im Gegensatz zur mündlichen Beschreibung, bei der jeder Mensch eine andere Vorstellung bekommt. Scribbles dienen daher als Diskussionsgrundlage für die Erarbeitung weiterer Entwürfe im Designprozess. Designer:innen müssen folglich imstande sein, ihre Lösungs- ansätze visualisieren zu können. 26 Scribbles haben die Eigenschaft, dass sie zu neuen Ideen führen können, da man sich in einen entspannten, fast schon meditativen Arbeitsprozess begibt, wodurch neue Bilder oder Inspirationen zu Ideen werden können. Sie können offen und ehrlich zeigen, was die Designer:innen in einem Moment gefühlt oder gedacht haben. Diese neu generierten Assoziationen können für die Weiterarbeit genutzt werden, wobei auch dabei die Ergeb- nisse stets hinterfragt, überprüft und angepasst werden sollten. Daneben ermöglichen sie es, den Auftraggeber:innen zu zeigen, dass sich die Designer:innen intensiv mit der Zielset- zung befasst haben. Durch Scribbles erhalten Auftraggeber:innen einen Blick in die Gedan- ken der Designer:innen, bevor sie ein fertiges Produkt oder Medium haben. Sie laden dadurch zum Austausch und weiteren Auseinandersetzung ein. Scribbles eignen sich zudem dazu, Produkte oder Medien klar zu strukturieren. Bei der Erstellung eines Buch- layouts ist es so einfach möglich, den Ablauf für das Buch durch die Verteilung der Inhalte wie Bilder, Texte oder die Anordnung der Seitenzahlen und Kolumnentitel im Layout zu planen. Durch diese Skizzen formt sich letztlich das Buchkonzept, sie fungieren als Denk- sowie Vorstellungsstütze in einem. Wichtig zu erwähnen ist, dass die Angst vor dem weißen Blatt und die Sorge vor Fehlern oder Scheitern bei Scribbles unbegründet sind. Durch den Arbeitsprozess und das schlichte Machen gelangt man in eine Stimmung, die neue Ansätze generieren kann, die zuvor nicht angedacht wurden. Sie bieten daher einen sehr hohen Mehrwert beim Denken und Visualisieren (Bergmann, 2016, S. 54–55). 27 Abbildung 7: Beispiele möglicher Layoutscribbles Quelle: Erstellt im Auftrag der IU, 2023. 28 Moodboards Moodboards dienen im Konzeptionsprozess dazu, die vorgestellte Ästhetik und den Stil, die Zielgruppe oder weitere Aspekte des Lösungsansatzes zu beschreiben. Sie sollen inspi- rieren und ein Gefühl für die spätere Umsetzung erzeugen. Dabei bestehen sie beispiels- weise aus Bildern, Grafiken, Illustrationen, Materialien, Mustern, Schriften und Farben, die gesammelt und zu einer Art Collage kombiniert werden. Durch diese Zusammenstellung sollen Moodboards die Vorstellungen und Interpretationen der Designer:innen visuell wie- dergeben. Bei der Arbeit im Team helfen sie dabei, sich auf einen Designstil, eine Ästhetik oder Kontext für alle am Projekt arbeitenden Personen zu einigen. Moodboards sind wich- tige Instrumente, um den Auftraggeber:innen die visuelle Richtung und damit Interpretati- onen der Designer:innen zu vermitteln (Martin & Hanington, 2013, S. 100). Bei der Gestaltung von Moodboards sollten die Designer:innen darauf achten, dass sie eine klare visuelle Aussage verfolgen. Werden beispielsweise unterschiedliche Stile gemischt, seien es Illustrationsstile (Aquarellzeichnung und Cartoon), Perspektiven sowie Blickwinkel in der Fotografie (Vogelperspektive und Nahaufnahme) oder unterschiedliche grafische Stile, erzeugt das letztlich visuelles Chaos und es kann keine eindeutig zuweis- bare und stimmige Designrichtung ausgemacht werden. Ebenso wie bei der Erarbeitung der konzeptionellen Lösungsansätze muss auch beim visuellen Stil immer analytisch ziel- orientiert, zielgruppenrelevant und mit einer klaren Aussage gearbeitet werden. Es muss klar sein, dass mit der Designentscheidung ein Ziel erreicht und eine bestimmte Ziel- gruppe visuell angesprochen werden muss. Durch unterschiedliche Größenverhältnisse bei der Darstellung der einzelnen Bilder der Collage ist es möglich, eine Gewichtung von Bestandteilen des Moodboards – je nachdem, welches Element bei der Designlösung prägnant zum Einsatz kommen soll – vorzunehmen. 1.4 Prototyping und Entwurf Mit Beendigung der konzeptionellen Arbeit, bei der vorwiegend analytisches und rational- logisches Denken erforderlich war, startet mit der Entwurfs- und Prototypingphase nun der Prozess des kreativen Umsetzens verschiedener Variationen und Ansätze. Aus der Konzeption werden in diesem Schritt praxisgerechte, produzierbare Entwürfe erzeugt (Heufler, 2016, S. 95). Um die Bedeutung der Konzeptionsphase und der analytischen Herangehensweise für den weiteren Designprozess zu unterstreichen und darzulegen, warum dieser für jeglichen Gestaltungsansatz essenziell ist, sei ein Blick auf den allgemeinen Anspruch und Wert von Design in der Gesellschaft erlaubt. Design wird in der pluralistischen Gesellschaft der kon- sumorientierten Welt oftmals als rein ästhetische Aufwertung von Produkten oder auch Leistungen verstanden. Es verwendet dabei meist typische Design-Systematiken, die diese Formen jedoch nur ohne inhaltlich-konzeptionelle Aspekte wiederholen. Es wird da ver- wendet, wo es nutzt, und nicht dort, wo es notwendig ist. Die vollständige Digitalisierung des Designprozesses beschleunigt und potenziert diese Problematik dabei: Aus dem Nichts können mittels Bild-Generatoren oder Apps verschiedenste visuelle Entwürfe inner- halb weniger Minuten generiert werden. Das steht im Widerspruch zu den Gedanken, aus 29 denen die noch junge Designdisziplin mit der Arts-and-Crafts-Bewegung entstanden ist, als es darum ging, eine Verbesserung der Lebenssituation der Menschen zu entwickeln, also um die Gestaltung der Lebensumstände. Design und die Produkte aus diesem Prozess wirken direkt auf die menschlichen Lebensumstände ein, denn sie geben nicht vor, ob Menschen ein Fahrzeug lenken, sondern wie sie es lenken, wie sie leben, wie sie Inhalte aufnehmen und wie sie kommunizieren etc. Damit hat Design automatisch einen globalen Bezug zum Verbrauch von Ressourcen, von Energie oder zum Umgang mit Umwelt und Nachhaltigkeit. Designprozesse beeinflussen das menschliche Leben, obwohl sie oftmals eher als Mittel statt als Lösungsansatz gesehen werden (Wagner, 2015, S. 32–35). Darum setzt die Entwurfs- und Prototypingarbeit, die letztlich zur Lösung der Aufgabenstellung bzw. zum Erreichen des gesetzten Ziels beitragen soll, eine grundlegende konzeptionell- inhaltliche Beschäftigung sowie Analyse der Zielsetzung voraus. Andernfalls sind die Ergebnisse des Prozesses nur rein dekorative, oberflächliche Designentwürfe und -lösun- gen. Unterschiedliche Techniken, wie Druckverfahren oder Rapid Prototyping, sind dabei kei- neswegs nur Instrumente der Praxis von Designer:innen, sondern genauso Bestandteile eines Produktes oder Mediums wie Farbe oder Form. Im Entwurfsprozess sind sie daher noch dynamisch und veränderbar. Der Kern des Prozesses ist der Prozess selbst (Feige, 2018, S. 156). Dem finalen Produkt oder Medium ist diese prozessuale Auseinandersetzung selbst nicht anzusehen. Laut Feige (2018) ist es falsch, anzunehmen, dass der Entwurfs- prozess als reine Ausfaltung von etwas gilt, das bereits vor dem Entwerfen und Variieren selbst im Kopf von Designer:innen komplett produktionsbereit vorhanden ist. Erst durch den Prozess und durch das Machen definieren sich die Designidee, ihr Sinn und ihre Dar- stellungsform (Feige, 2018, S. 160): „Die Idee muss als etwas verstanden werden, was nur im und durch den Prozess zu haben ist“ (Feige, 2018, S. 161). Entwurfsprozesse können damit auch in Teilen Eigenschaften von improvisatorischen Prozessen bzw. deren Logik in sich tragen – im Sinne der Kombination verschiedener, sinnvoller Aspekte zu einer Gesamtheit, die vorher so nicht abzusehen waren (Feige, 2018, S. 158–160). Konzeptionell-inhaltliche Ideen müssen nicht nur erarbeitet, sondern auch in eine visuelle Form gebracht werden. Das „visuelle Denken“ kommt ursprünglich aus der Psychologie und beschreibt eine Art der zeichnerischen Konzeption, welche auf Einbildungskraft sowie Vorstellungen basiert. Die ersten Entwurfsscribbles, die angefertigt werden, unterscheiden sich meist vom finalen Produkt oder Medium. Sie dienen als Methode der Ausarbeitung, des Überdenkens, des Prüfens und des Überarbeitens (Spankie, 2010, S. 33). Zu entwerfen bedeutet also dementsprechend Ausdenken, Planen, Vorschlagen, Erfinden, Darstellen, Beschreiben und Systematisieren. Dabei ist nebensächlich, ob dies über eine Skizze mit dem Stift, am Computer oder am Modell passiert. Im Entwurfsprozess entsteht in Zusammenspiel von Auge, Intellekt, Fantasie und Hand ein verborgener Austausch zwi- schen Impuls, Ideen und dem visuell Erzeugten, was zwangsläufig zu weiteren Inspiratio- nen führt. Am Ende müssen Auftraggeber:innen dann Entwürfe oder Modelle vorgelegt werden, die als Diskussionsgrundlage für den Lösungsansatz dienen (Spankie, 2010, S. 18). Entwürfe sowie Modelle, die von Designer:innen erstellt werden, sind dabei als Beschreibungen ihrer Lösungsvorschläge zu verstehen, um ihre inhaltlichen sowie gestal- terischen Ideen visuell zu vermitteln. Ferner erleichtern sie damit die Transformation von der Idee zur konkreten Form. Auch im Rahmen der Entwurfsphase gilt es, diese Zwischen- 30 ergebnisse regelmäßig zu besprechen und zu diskutieren – innerhalb der Designer:innen, mit den Auftraggeber:innen, aber beispielsweise auch mit Zuliefernden, Ämtern oder sonstigen Geschäftspartner:innen, die zur Abwicklung des Designprojekts beitragen (Spankie, 2010, S. 20, 23). Variation und Selektion Im Entwurfsprozess oder genauer gesagt bei den unterschiedlichen Methoden zur Ent- wurfsfindung ist wichtig zu verstehen, dass sich die Wahrnehmung von Designer:innen mit steigender Erfahrung zu einer Art Kreativpool entwickelt. Je intensiver und tiefgreifender sich mit einem Thema oder auch einer Entwurfsmethode beschäftigt wird, desto mehr Aspekte und Informationen werden abgespeichert, auf die Designer:innen in der Folge zurückgreifen können. Durch diese Darstellungstechniken können Elemente verändert, abgewandelt, variiert und neu zusammengesetzt werden (Bergmann, 2016, S. 16–17). Auf diese Techniken gilt es dann zurückzugreifen, sofern es zu Problemen bei der Überset- zung der konzeptionellen Scribbles in die Ausarbeitung des Entwurfs kommt oder um viele verschiedene Lösungsvarianten zu erzeugen. Mögliche Herangehensweisen sind das Experiment, das Warten auf Inspiration oder das methodische Vorgehen. Die ersten bei- den nehmen meist einige Zeit in Anspruch, wohingegen bei der methodischen Herange- hensweise unterschiedliche Techniken herangezogen werden können, um zeiteffizient zu Lösungsvarianten zu gelangen (Heufler, 2016, S. 95). Nach dem Erstellen dieser Varianten muss anschließend eine Selektion getroffen werden. Dieser Vorgang kann beliebig wiederholt werden, bis relevante Ergebnisse generiert wer- den. Je mehr Variationen erzeugt werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, bessere Ergebnisse zu erhalten. Diese Herangehensweise ähnelt der wissenschaftlichen Untersu- chung, bei der am Ende neben der Ermittlung aller Fakten und Daten die Unvollständig- keit oder Zufälligkeit dazu führen, das zur Verfügung stehende Material auszulesen und mithilfe der Intuition zu interpretieren (Lindauer & Müller, 2015, S. 14). Das variable Ent- werfen schult das gestalterische Gefühl, da jedes Element einzeln betrachtet, analysiert, verändert und verglichen werden kann. Durch dieses einfache Prinzip des Ausprobierens wird der Denk- und Entwurfsprozess flexibler. Dieses Vorgehen kann beliebig wiederholt werden, bis eine stimmige Variante entstanden ist, welche abgespeichert werden kann und zeitgleich wieder als Grundlage für die nächste Variation dient (Poschauko & Poschauko, 2013, S. 13, 16). Dieser methodische Ansatz kommt in den meisten Kreativbe- rufen meist viel zu kurz, da dem genialen Geistesblitz eine zu große Bedeutung im Ent- wurfsprozess zuteilwird (Lindauer & Müller, 2015, S. 16). Lösungsansätze und -varianten zu entwickeln, bedeutet auch, sich vom thematischen Ziel zu lösen. Die ersten Ideen sowie Ansätze, die nach der analytischen und konzeptionellen Vorarbeit entstehen, sind meist nicht wirklich kreativ und eher konventionell. Solche soge- nannten Spontanlösungen gilt es loszulassen, um für die Entwicklung weiterer, span- nungsvoller Entwürfe frei zu sein. Hier setzen die unterschiedlichen Methoden und Techni- ken an, wie die Analogienbildung. Bei all diesen Herangehensweisen zeigt sich, dass nicht zwingend ein besonderes Fachwissen notwendig ist, sondern Allgemeinbildung, Fantasie und unkonventionelles Denken. Je zahlreicher die Erfahrungen, die Darstellungstechniken oder Methoden und das Wissen der Designer:innen ist, desto größer ist die Möglichkeit, 31 Analogienbildung Innovatives und Unkonventionelles zu generieren. Durch das kreative Kombinieren von Dies beschreibt eine bekannten Elementen, Funktionsweisen und Wirkungen kann etwas Neues geschaffen Methode, bei der für ein Problem Lösungsansätze werden. Fachwissen wird dann erst bei der Realisierung des Produktes oder Mediums in einem entfernten benötigt (Heufler, 2016, S. 97–98). Gebiet gesucht werden. Ein bekanntes Beispiel ist die Analogie des Münch- Um die Entwürfe zu visualisieren, stehen verschiedene Darstellungsmöglichkeiten zur Ver- ner Olympiastadions zu fügung (Heufler, 2016, S. 99–103): einem Spinnennetz. Ansichtszeichnungen; schematische Schnitte oder Wandabwicklungen (z. B. für die Gestaltung von Ausstellun- gen oder Messeständen); Explosionszeichnungen; perspektivische Ansichten; virtuelle Renderings; Modelle im kleinen Maßstab via Plotter, Lasercutter, CNC-Fräse oder 3D-Drucker; Ausdrucke via Plotter oder Digitaldruck (z. B. für Flyer, Ansichten der Seiten einer Bro- schüre oder Plakate); Mock-up Mock-ups oder Dies ist ein Vorführ- bzw. Klick-Dummy/interaktive Prototypen (z. B. für Webseiten oder Apps). Anschauungsmodell, teil- weise komplett digital generiert, um das Design Möglich ist auch die Erstellung eines Prototyps, der über alle Funktionen des finalen Pro- in einer bestimmten Situ- duktes oder Mediums verfügt. Das sogenannte Rapid Prototyping bietet eine schnelle ation oder Setting, z. B. der späteren Anwendung, Möglichkeit zur Umsetzung von Entwürfen mittels 3D-Daten. Prototypen können auch für darzustellen. Webseiten, Apps, sogenannte Klick-Dummys, bei denen eine Benutzeroberfläche simuliert Rapid Prototyping wird, oder Software erstellt werden. Mithilfe dieser Prototypen können die unterschiedli- Dies beschreibt die schnelle Herstellung chen Funktionen oder die Benutzerführung sowie -freundlichkeit getestet und anschlie- eines Musters oder Ele- ßend optimiert werden. Zudem kann abgesehen werden, welche Designentscheidung des ments nach 3D- und CAD Lösungsansatzes zu Problemen führen kann, und die Kostenschätzung überprüft werden (Computer-aided Design)- Daten. In der Regel erfolgt (Heufler, 2016, S. 108). dies mittels 3D-Druckern. Am Ende des Entwurfsprozesses wird der entstandene Lösungsansatz wieder unter Einbe- ziehung des Briefings oder Lastenhefts geprüft. Liegen mehrere unterschiedliche Lösungs- varianten vor, muss sich auf einen Entwurf geeinigt werden, der letztlich realisiert werden soll. Wird keine Variante den Anforderungen gerecht, muss zunächst kontrolliert werden, ob die vorgegebenen Bedingungen zu halten sind. Ist dem nicht der Fall, so müssen neue Lösungsansätze generiert werden. Es kann dabei notwendig sein, wieder in der Konzept- phase anzusetzen (Heufler, 2016, S. 98). 1.5 Realisierung und Implementierung Nachdem in Absprache mit den Auftraggeber:innen die Festlegung auf einen finalen Lösungsansatz erfolgt ist, wird der Entwurf für die Realisierung abgestimmt. Dazu werden die Ausarbeitung verfeinert und schlussendlich die Reinzeichnung des Produktes oder Mediums angefertigt, die Herstellungsverfahren, Coding- sowie Produktionsabläufe beschlossen und alle Materialien und zu erstellenden Bestandteile des Gesamtwerkes wie beispielsweise zusätzliches Bildmaterial, Grafiken, Textinhalte oder Illustrationen festge- 32 legt und erstellt. Im Zuge der Umsetzungsphase können weitere Abstimmungsschleifen zwischen Auftraggeber:innen und Designer:innen notwendig sein. Regelmäßige Treffen werden auch als Jour fixe bezeichnet (Heufler, 2016, S. 107; Burrack & Nöcker, 2012, S. 164). Bevor es schließlich an die reale Produktion geht, kann vom zur Zielerreichung ausge- wählten Entwurf ein serienreifer Prototyp, Andruck und Proof oder ein finales Mock-up hergestellt werden, wobei Aufbau, Layout und Anordnung konkret fixiert werden (Löbach, 1976, S. 152). Die Bedeutung und Ausmaße dieses Schritts sind groß, da damit das endgül- tige Produkt oder Medium bis ins letzte Detail perfekt dargestellt wird. Für diesen Schritt benötigen sowohl Designer:innen als auch die weiteren zur Produktion oder Implementie- rung notwendigen Dienstleister:innen das entsprechende Know-how und Qualifikation dafür (Heufler, 2016, S. 107). Nachdem die Konzept- und Entwurfsphase primär durch kreative Herangehensweisen geprägt war, tritt bei der Realisierung wieder eine logisch-geplante Struktur in den Vorder- grund. Neben dem Ausarbeiten aller Details müssen Absprachen mit weiteren Dienstleis- ter:innen wie Programmierer:innen, Innenarchitekt:innen, Softwareentwickler:innen oder weiteren Designer:innen unterschiedlicher Sparten und Produktion wie Druckereien oder Werbetechnikunternehmen getroffen werden (Heufler, 2016, S. 107). Zu diesen Abspra- chen gehört neben der Machbarkeit bestimmter Herstellungsverfahren auch die Konkreti- sierung und das Einhalten des Zeitplans, damit das Projekt Hand in Hand ohne Verzug oder unnötige Pausen zwischen Bearbeitungsschritten abgeschlossen werden kann. Zudem können Anforderungen für Druckdaten wie Auflösung, Farbprofile, PDF-Versionen oder Beschnittzugaben, für digitale Anwendungen Elemente wie Responsivität, User Expe- rience oder Datengrößen und für räumliche Umsetzungen Aspekte wie mögliche Beein- trächtigung der Sichtachsen durch Aufbauten, Weg- bzw. Besucherführung oder Zerstü- ckelung als auch auflösungsgerechte Maßstabsumsetzung der Druckdatei besprochen werden. Mit diesen Maßnahmen und Absprachen soll die ausgearbeitete Umsetzung wei- ter optimiert und finalisiert werden, um den Prototypen dann in die Produktion oder Implementierung zu überführen. Im Anschluss werden die zur Herstellung und Einbindung notwendigen Daten wie Werk- zeichnungen, CAD-Daten oder reingezeichnete (Druck-)Daten geschrieben. Diese Daten sollten vor der Übermittlung nochmals von den Designer:innen auf alle Anforderungen der Produktion kontrolliert werden. Zudem sollte sich im Vorfeld eine schriftliche Freigabe von den Auftraggeber:innen eingeholt werden, da sonst die Designer:innen bei möglichen Fehlern, die im Nachhinein auffallen oder in der Herstellung entstanden sind, haftbar gemacht werden können (Witham, 2011, S. 174). Je mehr Realisierungen und Implementierungen Designer:innen durchlaufen, desto erfah- rener werden sie im Umgang mit den Herausforderungen dieser finalen Phase. Je öfter Daten für den Druckprozess aufbereitet werden und sich mit den unterschiedlichen Ver- edelungs- und Herstellungsmöglichkeiten beschäftigt wird und je besser man verschie- dene externe Dienstleister:innen kennenlernt, desto zielführender und effizienter kann für die Auftraggeber:innen und die Zielsetzung gearbeitet werden (Witham, 2011, S. 175). Es wird dabei ein Verständnis für die Produktion und die Herangehensweise der anderen 33 Gewerke aufgebaut, ganz analog zum Datenspeicher der Kreativmethoden der Entwurfs- phase. Auch hier ist das Wissen am Ende zentral, da es gewährleistet, hochwertige Design- arbeit und damit zielgenaue Lösungsansätze generieren zu können. Nach Abschluss des Designprojekts können unter Umständen Erfolgskontrollen erfolgen, die Unternehmen dabei helfen, zu sehen, ob das Designziel erreicht wurde. Das kann Tracking vorab in Form von sogenannten Pre-Tests, währenddessen mit Tracking oder im Der Begriff stammt aus Anschluss mit Post-Tests erfolgen. Auch bei Marktforscher:innen erfreuen sich diese dem Englischen und bedeutet „Verfolgung“. Er Erfolgskontrollen großer Beliebtheit. Letztlich zeigen und unterstreichen diese Tests die beschreibt u. a. das Nach- Bedeutung einer guten Analyse und Konzeption als Basis der Umsetzung, inwiefern die vollziehen von Nutzer- visuelle Ausformulierung beispielsweise mit der Strategie, dem Markenverständnis oder handlungen auf Websei- ten und Apps oder auch den Eigenschaften und Erwartungen der Zielgruppe einhergeht – und dementsprechend regelmäßige Untersu- zum Erfolg der ausgearbeiteten Problemlösung beiträgt (Burrack & Nöcker, 2012, S. 177– chungen zu Themen wie 179). Bekanntheit, Erinnerun- gen und Zufriedenheit in Bezug auf gewisse Pro- Debriefing dukte und Medien. Gegen Ende eines Designprozesses kann ein Debriefing als Ergänzung zu Briefing und Rebriefing vorgesehen werden. Dabei handelt es sich um eine Nachbesprechung. Im gemeinsamen Gespräch von Auftraggeber:innen und Auftragnehmer:innen lässt man das Projekt Revue passieren. Erfolge, aber auch Pannen werden kurz kommentiert. Ein Debrie- fing ergibt insbesondere bei einer längerfristigen Zusammenarbeit von Auftragge- ber:innen und Designer:innen Sinn. Die beteiligten Akteur:innen tauschen ihre Erfahrun- gen aus und lernen daraus für mögliche Folgeprojekte. ZUSAMMENFASSUNG Designprozesse sind gleichermaßen kreative wie analytisch-konzeptio- nelle Prozesse. Sie können zielorientiert und lösungsorientiert beschrie- ben werden. Designprozesse werden in die vier Phasen Analyse und Recherche, Konzeption und Ideenfindung, Prototyping und Entwurf sowie Realisierung und Implementierung zusammengefasst. Gute Designlösungen wie Produkte oder Medien nützen Benutzer:innen, bestimmten Benutzergruppen, der Gesellschaft und dem Erfolg eines Unternehmens. Design beeinflusst das Leben seiner Rezipient:innen. Designprozesse sind zielorientiert und iterativ, benötigen regelmäßige Feedbackschleifen und laufen schrittweise ab. Die Zusammenarbeit von Auftraggeber:innen und Designer:innen wird über Briefing und Rebriefing zum Designbriefing hin festgelegt. Dabei wird eine möglichst klare Aufgabe formuliert, das Design- bzw. Kommu- nikationsziel geprüft und die Realisierung geplant. Nach einer ausgiebi- gen Recherche werden die Ergebnisse analysiert und mittels unter- schiedlicher Designmethoden inhaltlich vertieft. Mit der Konzeption beginnt der Gestaltungs- und Entwurfsprozess, bei dem lösungsorien- tierte Ansätze und Ideen generiert werden, die mittels erster Scribbles in 34 eine Form visuellen Denkens überführt werden. Unter Verwendung wei- terer Darstellungstechniken entsteht im Entwurfs- und Prototypingpro- zess eine Vielzahl von verschiedenen Lösungsvarianten. Abschließend wird ein Entwurf unter Einbeziehung technischer, wirtschaftlicher und produktionstechnischer Faktoren sowie weiterer Dienstleister:innen im Realisations- und Implementierungsprozess ausgearbeitet und umge- setzt. Mit Erfolgskontrollen und Debriefing kann der Designprozess reflektiert werden. 35 LEKTION 2 GESCHICHTE UND STILE DES VISUELLEN DESIGNS LERNZIELE Nach der Bearbeitung dieser Lektion wirst Du in der Lage sein,... – zu verstehen, aus welcher sozialen Situation die junge Disziplin des Designs entstan- den ist und warum sie eng mit der jeweiligen gesellschaftlichen Entwicklung verbun- den ist. – zu wissen, welche Rolle die Wechselwirkung zwischen industrieller Fertigung und Handwerk für das Design bis heute spielt. – die unterschiedlichen Stile des visuellen Design zu erkennen, zu benennen und histo- risch einzuordnen. – die Besonderheiten der einzelnen Stile zu bezeichnen. 2. GESCHICHTE UND STILE DES VISUELLEN DESIGNS Einführung Die Geschichte und die Stile des visuellen Designs sind eng mit jenen der Kunst, der Kultur, des Handels und der Werbung verbunden. Mensch und Werbung wollen wirken, jemanden einnehmen und vor allem überzeugen (Müller-Brockmann, 1986, S. 6). Design, und in die- sem Fall wird die Werbung als Bereich des visuellen Designs eingeschlossen, ist eine ext- rem junge Disziplin und hängt mit der andauernden und schnellen technischen Weiterent- wicklung der Menschheit zusammen. Vor der Erfindung der Maschinen und der industriellen Revolution war die hauptsächliche Weise, Informationen weiterzugeben und zu erhalten, das Buch. Mit dem technischen Fortschritt wie Dampf-, Satz- oder Papierherstellungsmaschinen nahmen Kommunikati- onsmöglichkeiten und daher auch das Kommunikationsbedürfnis der Menschen sprung- artig zu. Die Herstellung von Postern und Zeitschriften wurde deutlich einfacher, die Foto- grafie ermöglichte ganz neue Wege der Kommunikation. Es sollte eine Ära des Lernens, des Wissens und der stetigen (Weiter-)Bildung beginnen (Schneider, 2009, S. 21). 2.1 Von 1850 bis 1900 Dieser Lernzyklus beschäftigt sich mit den Kunst- und Designbewegungen sowie deren Theorien und Herangehensweisen in der Zeit zwischen 1850 und 1900. Arts-and-Crafts (1860–1900) Im späten 19. Jahrhundert entstand die sogenannte Arts-and-Crafts-Bewegung in Eng- land, die sich in Zeiten der industriellen Revolution für die traditionelle Handwerkskunst, die Verwendung von lokal verfügbaren Materialien und die Integrität und Qualität der Pro- duktion aussprach. Bekannte Vertreter:innen dieser Bewegung wie John Ruskin oder Wil- liam Morris lehnten die Massenfertigung und die oftmals minderwertig maschinell herge- stellten Produkte ab (Black et al., 2022, S. 26). Vor allem William Morris gilt dabei als einer der wichtigsten und einflussreichsten Fürsprecher einer neuen Gestaltung, da er die Prob- lematiken der passenden Form, der unbedachten Verwendung von historischen Ornamen- ten und ungenügender Arbeitsbedingungen als einer der Ersten in Relation zueinander setzte. Die Auswirkungen der industriellen Revolution wie Umweltverschmutzung, min- derwertige Massenware und die katastrophalen Lebensbedingungen beschrieb Morris als „teuflisches kapitalistisches Machwerk und Feind des Menschen“ (Morris, n. d. zitiert nach Hauffe, 2014, S. 46). 38 Vor der Industrialisierung lag die Formgebung bei den Handwerker:innen, die einen ethi- schen Anspruch an Qualität und Schönheit ihrer Produkte anlegten und daraus letztlich Bestätigung für ihre Arbeit schöpften. Für Morris bestand das Hauptproblem darin, dass die Gestaltung der industriell produzierten Objekte bei ungebildeten Fabrikant:innen lag, denen die Arbeitsbedingungen ihrer Arbeiter:innen zudem gleichgültig waren (Hauffe, 2014, S. 46). In Morris’ Augen führte diese Massenproduktion zu einem Werteverfall. Sein Engagement für die Wiederetablierung hochwertiger Handwerkskunst sollte also nicht nur bessere Möbel, Keramikwaren, Textilien und andere Erzeugnisse hervorbringen, sondern ebenfalls dafür sorgen, dass sich der Lebensstandard der Menschen wieder besserte (Black et al., 2022, S. 26). Gemeinsam mit anderen Autor:innen publizierte Morris seine kunst- und auch sozialrefor- merischen Ideen in einigen Werken, wodurch viele (Künstler:innen-)Gruppen beeinflusst wurden. Auch daraufhin entstand die Arts-and-Crafts-Bewegung, indem eine Kunstform als Antwort auf die industrielle Revolution entwickelt wurde – diese Bewegung besann sich auf das Mittelalter zurück, in dem den Künstler:innen und Autor:innen zufolge noch eine Einheit aus Handwerk und Kunst sowie Nützlichkeit und Schönheit vorlag. Die Arts- and-Crafts-Bewegung machte sich deswegen charakteristische Merkmale von Naturmate- rialien, handgewebten Teppichen, leuchtenden Farben des Nahen Ostens oder gar ägypti- sche Motive zu eigen (Hauffe, 2014, S. 47; Black et al., 2022, S. 27; Schneider, 2009, S. 30). Ferner hatte die Arts-and-Crafts-Bewegung einen bedeutenden Einfluss auf den Bereich des Grafikdesigns. Denn nicht nur die Produktion von Objekten litt unter den Entwicklun- gen der Industrialisierung, auch die Gestaltung und damit einhergehend die Qualität von Büchern mussten Einbußen hinnehmen, weswegen einige Verfechter:innen der Arts-and- Crafts-Bewegung – darunter Arthur H. Mackmurdo und auch William Morris – ein neues, künstlerisch angehauchtes Design initiierten, anspruchsvolle Bücher in privaten Drucke- reien produzierten und damit auch das Buchdesign in Europa inspirierten wie etwa die Schriftentwürfe von Rudolf Koch (Schneider, 2009, S. 31). Dank der Arts-and-Crafts-Bewegung erlebten das Kunsthandwerk und dessen Entwürfe einen wahren Aufschwung. Der Historismus wurde abgelehnt und folgende Kunst-/Desig- Historismus nepochen wie der Jugendstil, der Deutsche Werkbund und auch das Bauhaus wurden beschreibt eine Epoche, bei der sich auf vergan- durch eine Vorliebe für ein handwerkliches Design mit einfachen sowie organischen For- gene Kunststile zurückbe- men aus der Natur geprägt. Eine neue Art des Industriedesigns entstand dabei jedoch sinnt wurde, um daraus nicht. Insgesamt kann die Position der Arts-and-Crafts-Bewegung als zwiespältig angese- einen neuen Stil zu kreie- ren, wie die Neoromantik, hen werden, denn sie lehnt die industrielle Produktion – auch jeglichen Annäherungsver- Neogotik, Neorenais- such – kategorisch ab, was allerdings aufgrund der technischen und ökonomischen Ent- sance oder Neobarock wicklung in der Zeit nicht lange zu halten sein wird. Die Beschäftigung mit den Beziehungen zwischen der Ästhetik, der Qualität sowie der Produktions- und Lebensweise zeigt in eine neue Richtung. Deutlich wird dabei, dass die Entwicklung in der Designge- schichte bereits von Beginn an vielschichtig und nicht geradlinig ist (Schneider, 2009, S. 31; Hauffe, 2014, S. 48). 39 Art Nouveau (1880–1914) Als Reaktion auf die historisierenden Strömungen des 19. Jahrhunderts entwickelte sich um die Jahrhundertwende eine internationale Reformbewegung mit unterschiedlichen Namen wie u. a. „Art Nouveau“, „Decorative Style“, „Stilo Liberty“, „Secessionsstil“ oder „Jugendstil“. Im Folgenden wird der in Deutschland bekannte Name Jugenstil verwendet. In ähnlicher Weise wie Arts-and-Crafts suchte diese Bewegung nach Inspiration und Vor- bildern in der Natur und in abstrakten Motiven. Morris’ Gedanken dienten dabei als Grund- lage dieser sprunghaften Entwicklung. Obwohl der Jugendstil zwar den Historismus ablehnte, verleugnete er dessen dekorative Tendenz nicht. Allerdings wurden die Orna- mente einfacher und konstruktionsgerechter, d. h. nach natürlichem Vorbild, gestaltet. Charakteristisch waren asymmetrische, organisch geschwungene Linien sowie stilisierte Blumenformen und -ranken, welche die Ästhetik des Jugendstils prägten. Weitere Ausprä- gungen des Jugendstils setzten dagegen auf eher geometrisch anmutende Ornamente, die aus der japanischen Kunst übernommen wurden. Das Ornament diente als Bindeglied, welches organisch aus der Konstruktion und der Funktion des Gegenstands erwächst und diesen mit dem Ziel durchdringen sollte, alle Lebensbereiche zu gestalten (Hauffe, 2014, S. 48–49; Schneider, 2009, S. 32). Vor allem aus dem Bereich des Grafikdesigns, bedingt durch die lineare, florale und asym- metrisch geometrische Gestaltung, genossen die Jugendstilströmungen viel Zuspruch (Schneider, 2009, S. 32). Fortschritte in der Druckproduktion um 1880 ermöglichten die Herstellung farbiger Bilder in großer Stückzahl – die Geburtsstunde des Plakats. Künst- ler:innen wie Jules Chéret und Eugène Grasset gestalteten in Frankreich erste Plakate für Kabarettveranstaltungen. Zu sehen waren elegante, junge Frauen in Kombination mit far- big-verzierter Schrift, aber auch aufwendige Plakate mit blumigen Hintergründen und prachtvollen Verzierungen im Sinne der „Art Nouveau“. Seit dieser Zeit werden Plakate als eigenständige Kunstwerke betrachtet und sind bei Sammler:innen sehr gefragt (Black et al., 2022, S. 106). Trotzdem blieb der Jugendstil primär eine künstlerische Bewegung, bei der die Ästhetik über die Funktion gestellt wurde, auch wenn Minderheiten innerhalb des Jugendstils eher eine einfache Linie bevorzugten und den funktionalen Aspekt betonten. Ein Beispiel ist die Wiener Werkstätten schottische Gruppe um Charles Rennie Mackintosh, die Wiener Werkstätten oder Teile Die Wiener Werkstätten der Darmstädter Künstlerkolonie. Dabei wurden die Gegenstände einfacher, glatter und wurden 1903 als Produk- tionsgemeinschaft von ohne Ornamente ausgestaltet. Letztlich waren es gerade diese Gruppierungen, die dazu Kunsthandwerker:innen beitrugen, den Jugendstil zu überwinden (Schneider, 2009, S. 33). gegründet. Der Wunsch nach edler und schöner Kunst als durchdringendes Gesamtwerk entstand in einer satten und dekadenten Zeit, die jedoch mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs abrupt endete. Laut Thomas Hauffe (2014, S. 62–63) gilt der internationale Jugendstil als gescheitert: Nicht nur deswegen, weil sich die Anhänger:innen des Jugendstils als Künst- ler:innen sahen, sondern viel mehr, da sie die technische Weiterentwicklung des moder- nen Industriedesigns trotz der nachvollziehbaren Ablehnung des Historismus und der geringwertigen Massenproduktion verzögerte (Schneider, 2009, S. 34). 40 Abbildung 8: Plakat Gismonda, Mucha Quelle: NoJin, 2018 [Public Domain]. Glasgow School of Art Bereits in der Blütezeit der Arts-and-Crafts-Bewegung und des Jugendstils entstanden neue, sachliche Gestaltungsformen, so auch Ende des 19. Jahrhunderts an der Glasgow School of Art. Die Architekt:innen und Künstler:innen dieser Schule entwickelten einen Stil mit wenigen floralen Ornamenten, der von japanischer Ästhetik beeinflusst war. Bevor- zugt setzten sie zudem auf die Farben Schwarz und Weiß. Eine herausragende Person die- ser Zeit war Charles Rennie Mackintosh, der auf dem europäischen Kontinent große Aner- kennung fand und einen maßgeblichen Beitrag zur Entwicklung der Wiener Secession Wiener Secession leistete. Auf der achten Secessionsausstellung im Jahr 1900 wurde Mackintosh als Vorbild Die Wiener Secession ist eine Vereinigung von für moderne Gestaltung gefeiert (Hauffe, 2014, S. 67; Schneider, 2009, S. 40). Künstler:innen in Wien, die die Wiener Variante Das Grafikdesign der Glasgow School of Art zeichnete sich durch symbolische Bildwelten, des Jugendstils prägten: den Secessionsstil. stilisierte Formen und Figuren aus, deren teilweise abstrakte Interpretationen zuvor so noch nie gesehen worden waren (Schneider, 2009, S. 40). 41 Abbildung 9: Plakate von Mackintosh, The Scottish Musical Review Quelle: MOMA, 2009/2010. In einem Brief an Fritz Waerndorfer, einem Vertreter der Wiener Werkstätten, beschrieb Mackintosh sein künstlerisches Verständnis wie folgt: „Jeder Gegenstand … muss eine ausgesprochene Marke von Individualität, Schönheit und exakter Ausführung tragen. Ihr Ziel muss von allem Anfang an das sein, dass jeder Gegenstand den Sie erzeugen, für einen bestimmten Zweck und Platz gemacht wird“ (Mackintosh, 1903 zitiert nach Schnei- der, 2009, S. 40–41). Mit seinen geometrischen Formen, seinen flächigen, brettartigen Konstruktionen aus Waa- gerechten und Senkrechten lieferte Mackintosh entscheidende Impulse für die Entwick- lung des modernen Designs in Österreich und Deutschland. Diese flossen letztlich in den Wiener Werkstätten, in den Deutschen Werkbund und in das Bauhaus ein (Hauffe, 2014, S. 70). 42 Wiener Secession und Wiener Werkstätten Rund 19 Künstler:innen und Designer:innen, die sich selbst „Secessionisten“ nannten, unter ihnen u. a. Gustav Klimt, Josef Hoffmann, Koloman Moser, Joseph Maria Olbrich und Professor Otto Wagner, distanzierten sich 1897 vom konservativ-akademischen, traditio- nellen Kunstbetrieb und wie viele andere Jugendstilbewegungen vom allgegenwärtigen Historismus. Ihr Grundgedanke war ebenfalls der des Gesamtkunstwerks und einer Hand- werksreform. Durch die Organisation und die Veröffentlichung ihres eigenen Magazins „Ver Sacrum“ waren die Secessionisten im regelmäßigen Austausch und gut vernetzt mit internationalen Künstler:innen wie Henry van de Velde oder Charles Rennie Mackintosh (Black et al., 2022, S. 75; Hauffe, 2014, S. 70–71; Schneider, 2009, S. 41). Abbildung 10: Plakat für die „Erste große Kunstausstellung der Secession“, Moser Quelle: Mefusbren69, 2010a [Public Domain]. Klare geometrische Formen, rechte Winkel und eine strikte Linienführung prägten die Ästhetik der Wiener Secession. Diese grafische Erscheinungsform entwickelte sich nicht zuletzt unter dem Einfluss Mackintoshs. Ihr Ziel war dabei jedoch nicht die Etablierung eines festgelegten Stils, sondern viel mehr eine kreative Freiheit. Deutlich wird dies zudem durch die Inschrift über der Eingangstür ihres Secession-Gebäudes: „Der Zeit ihre Kunst. Der Kunst ihre Freiheit“. Dieser Leitspruch kann beinahe als Credo betrachtet werden (Black et al., 2022, S. 75; Schneider, 2009, S. 41). 43 Abbildung 11: Plakat für die erste Ausstellung der Wiener Secession, Klimt Quelle: Mefusbren69, 2010b [Public Domain]. Aus einer Nähe zum Jugendstil entwickelte Josef Hoffmann, Schüler von Professor Wag- ner und Mitbegründer der Wiener Secession, des Deutschen Werkbundes sowie Mitglied des Bauhauses in Weimar, eine sachlich-geometrische Formensprache, die bis heute modern wirkt und damals einem Paradigmenwechsel gleichkam. Aus diesen Entwicklun- gen heraus gründete Hoffmann gemeinsam mit Moser 1903 dann eine „Productiv-Genos- senschaft von Kunsthandwerkern“: die sogenannten Wiener Werkstätten. Neben den bekannten Gestaltungsmerkmalen wie dem Wegfall von floralen Elementen, der klaren Form, der Rechtwinkligkeit und der strikten Linienführung wurde das Quadrat zum wesentlichen grafischen Bestandteil. Die Wiener Werkstätten standen für die Produktion von Einzelstücken und waren nie am Design von Massengütern interessiert (Hauffe, 2014, S. 71–75; Schneider, 2009, S. 41–42). 44 Zwar waren sowohl die Glasgow School of Art als auch die Wiener Secession und Wiener Werkstätten nur Minderheiten innerhalb der Jugendstilbewegung. Ihr Einfluss jedoch, die Einfachheit und Funktionalität ihrer Gestaltung trugen dazu bei, den Jugendstil schließ- lich hinter sich zu lassen und Grundzüge einer neuen Ästhetik zu etablieren (Schneider, 2009, S. 42). 2.2 Von 1900 bis 1950 Dieser Lernzyklus beschäftigt sich mit den Kunst- und Designbewegungen sowie den The- orien und Herangehensweisen in der Zeit zwischen 1900 und 1950. Pictoral Modernism und Sachplakat Parallel zu den gestalterischen Entwicklungen konnten im Bereich der Drucktechnik deut- liche Fortschritte erzielt werden. Bereits 1799 erfand Alois Senefelder ein Flachdruckver- fahren, was Motive mittels Steinplatten auf das zu bedruckende Medium übertragen konnte: die Lithografie. Für diese kostengünstige Variante war jedoch für jede Farbe eine eigene Steinplatte vonnöten. Ende des 19. Jahrhunderts war es dann der Franzose Jules Chéret, selbst Gestalter und Plakatkünstler, der mit einer technischen Weiterentwicklung und Reduzierung der verwendeten Druckgänge die Geburtsstunde des Grafikdesigns ein- läutete – der Durchbruch für farbige Plakate. Auch visuell trieb Chéret die Entwicklung der Plakatgestaltung voran. Er reduzierte die Plakate auf den Kern der Aussage, Details wur- den reduziert – das Hauptmotiv stand farbig und großflächig im Mittelpunkt (Müller & Wie- demann, 2017, S. 44; Müller-Brockmann, 1986, S. 66). Bedingt durch die industrielle und gesellschaftliche Veränderung entstand eine neue Kon- sumgesellschaft. Zum wichtigsten Mittel, um Aufmerksamkeit zu generieren, wurden neu- artige Plakate mit moderner Bildsprache, ergänzt durch die Gestaltung erster Logos, Mar- ken und Anzeigen (Müller & Wiedemann, 2017, S. 96; Wilhide, 2016, S. 68–71). Als Folge des Ersten Weltkriegs fand jedoch ein klarer Schnitt hin zu den Stilen der Vor- kriegszeit statt. Die Designer:innen und Künstler:innen wollten sich bewusst vom über- schwänglichen Jugendstil abheben und distanzieren. Ein Neustart sollte begonnen wer- den und das Design sich dem neuen Maschinenzeitalter anpassen. Dabei fokussierte man sich auf eine einfache Formensprache und eine klar geordnete Struktur. Die Ornamente, die bereits die Wiener Werkstätten infrage gestellt hatten, wurden zurückgelassen und das Objekt in Relation zu seiner Funktion gesehen. Die aufstrebenden Gestalter:innen dieser neuen Art der Gestaltung fand man primär in England, wo die Beggarstaff Brothers, J. W. Simpson, Aubrey Vincent Beardsley, Charles Rennie Mackintosh oder Dudley Hardy eine neue visuelle Sprache – stark stilisiert, flächig – initiierten, aber auch in Deutschland, wo u. a. Lucien Bernhard, Julius Klinger, Hans Rudi Erdt, Julius Gipkens, Fritz Helmut Ehmcke oder Peter Behrens einen auf das Minimum reduzierten Plakatstil, bei dem ebenfalls Flä- chen unter dem bedachten Einsatz von Farben mit Schrift kombiniert wurden, etablierten. Dies ist der Beginn des englischen „Pictoral Modernism“ und des deutschen „Sachplakat“ (auch: „Plakatstil“) (Black et al., 2022, S. 166; Müller-Brockmann, 1986, S. 66). 45 Beggarstaff Brothers Die unter dem Pseudonym Beggarstaff Brothers bekannten britischen Künstler James Pryde (1866–1941) und William Nicholson (1872–1949) prägten einen Plakatstil, der unter dem Namen Pictoral Modernsim bekannt wurde, durch ihre flächige, reduzierte und colla- genartige Herangehensweise. James Pryde beschrieb ihre Weise zu gestalten selbst mit den Worten: „We decided that the silhouette treatment was the best, and it had this advantage, that it had not been done before. Moreover, it was a very economical way of producing a poster for reproduction, for the tones were all flat.“ (Pryde, n. d. zitiert nach Müller & Wiedemann, 2017, S. 62–63). Abbildung 12: Gestaltungsbeispiele des „Pictorial Modernism“, Beggarstaff Brothers Quelle: Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin, 2022a; Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, 2023a; Kunstbibliothek (museale Sammlung), 2022. Lucien Bernhard, Julius Klinger und Ludwig Hohlwein In Deutschland waren es Designer:innen wie Lucien Bernhard, Julius Klinger oder auch Ludwig Hohlwein, die die Gestaltung von Plakaten weiterentwickeln. Deren Kompositio- nen zeichneten sich dabei durch die Reduktion auf Produkt und Markennamen aus, die durch einfarbige Flächen spannungsvoll in Szene gesetzt werden. Jeder Gegenstand wurde markant präsentiert. Für Bernhard war dieses Herunterbrechen auf den Kern ein wesentlicher Punkt, um die Funktionalität und Bedeutung des Plakats im Stadtraum zu betonen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stiegen die Mobilität innerhalb einer Stadt und die Geschwindigkeit des Lebens rasant an. Plakate und deren Informationen mussten in Sekundenbruchteilen aufgenommen werden können – damit wurde ein neuer Stil geprägt: das Sachplakat (TSURIKRUFN! Ein Gemeinschaftsprojekt des Arbeitskreises selbstständiger Kultur-Institute e. V. – AsKI, 2021). Dieser neue, auf das Minimalistischste, von allen visuellen Dekorationen befreite Ansatz sollte in Folge auch beim Deutschen Werkbund zu finden sein. 46 Abbildung 13: Plakate von Julius Klinger Quelle: Klinger, 1923; Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, 2023a; Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, 2023b. 47 Abbildung 14: Plakate v