Medizin für Nichtmediziner II Course Book PDF
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IU Internationale Hochschule
2023
N. N.
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Summary
This course book provides an introduction to the medical classification systems. It also details the theoretical processes and limitations of diagnosing and treating illness. The textbook uses anatomical and biological terminology.
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MEDIZIN FÜR NICHTMEDIZINER II DLGMOE02-01 MEDIZIN FÜR NICHTMEDIZINER II IMPRESSUM Herausgeber: IU Internationale Hochschule GmbH IU International University of Applied Sciences Juri-Gagarin-Ring 152 D-99084 Erfurt Postanschrift: Albert-Proeller-Straße 15-19 D...
MEDIZIN FÜR NICHTMEDIZINER II DLGMOE02-01 MEDIZIN FÜR NICHTMEDIZINER II IMPRESSUM Herausgeber: IU Internationale Hochschule GmbH IU International University of Applied Sciences Juri-Gagarin-Ring 152 D-99084 Erfurt Postanschrift: Albert-Proeller-Straße 15-19 D-86675 Buchdorf [email protected] www.iu.de DLGMOE02-01 Versionsnr.: 001-2023-0929 N. N. © 2023 IU Internationale Hochschule GmbH Dieses Lernskript ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Lernskript darf in jeglicher Form ohne vorherige schriftliche Genehmigung der IU Internationale Hochschule GmbH (im Folgenden „IU“) nicht reproduziert und/oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet wer- den. Die Autor:innen/Herausgeber:innen haben sich nach bestem Wissen und Gewissen bemüht, die Urheber:innen und Quellen der verwendeten Abbildungen zu bestimmen. Sollte es dennoch zu irrtümlichen Angaben gekommen sein, bitten wir um eine dement- sprechende Nachricht. 2 INHALTSVERZEICHNIS MEDIZIN FÜR NICHTMEDIZINER II Einleitung Wegweiser durch das Studienskript................................................. 6 Literaturempfehlungen............................................................ 7 Übergeordnete Lernziele.......................................................... 9 Lektion 1 Klassifikationssysteme 11 1.1 Geschichte, Entwicklung und Akteure.......................................... 12 1.2 Die International Classification of Diseases (ICD)................................ 14 1.3 Das OPS-Klassifikationssystem................................................ 15 1.4 Die ICF...................................................................... 15 1.5 Das DSM.................................................................... 16 Lektion 2 Ablaufschemata in der medizinischen Heilbehandlung 19 2.1 Klinische Pfade.............................................................. 20 2.2 Diagnostische Pfade......................................................... 22 2.3 Grenzen klinischer Pfade..................................................... 23 Lektion 3 Krankheitsbilder – somatisch 25 3.1 Arteriosklerose, Hypertonie und Herzinfarkt.................................... 26 3.2 Erkältung, Echte Grippe und COVID-19......................................... 31 3.3 Epilepsie.................................................................... 33 3.4 Neurodermitis............................................................... 35 3.5 Osteoporose................................................................ 36 Lektion 4 Krankheitsbilder – psychisch/psychosomatisch 41 4.1 Autismus.................................................................... 42 4.2 Depression und Burn-out..................................................... 44 4.3 Schizophrenie............................................................... 48 4.4 Suchtmittelabhängigkeit..................................................... 49 4.5 Zwangsstörungen............................................................ 50 3 Lektion 5 Medizin kontrovers 53 5.1 Embryonale Stammzellforschung............................................. 54 5.2 Präimplantationsdiagnostik.................................................. 57 5.3 Pränataldiagnostik und Schwangerschaftsabbruch............................. 58 5.4 „Dr. Internet“ und Selbstmedikation........................................... 61 5.5 Transplantationsmedizin..................................................... 63 5.6 Sterbehilfe.................................................................. 66 Verzeichnisse Literaturverzeichnis.............................................................. 72 Abbildungsverzeichnis........................................................... 81 4 EINLEITUNG HERZLICH WILLKOMMEN WEGWEISER DURCH DAS STUDIENSKRIPT Dieses Studienskript bildet die Grundlage Ihres Kurses. Ergänzend zum Studienskript ste- hen Ihnen weitere Medien aus unserer Online-Bibliothek sowie Videos zur Verfügung, mit deren Hilfe Sie sich Ihren individuellen Lern-Mix zusammenstellen können. Auf diese Weise können Sie sich den Stoff in Ihrem eigenen Tempo aneignen und dabei auf lerntyp- spezifische Anforderungen Rücksicht nehmen. Die Inhalte sind nach didaktischen Kriterien in Lektionen aufgeteilt, wobei jede Lektion aus mehreren Lernzyklen besteht. Jeder Lernzyklus enthält jeweils nur einen neuen inhaltlichen Schwerpunkt. So können Sie neuen Lernstoff schnell und effektiv zu Ihrem bereits vorhandenen Wissen hinzufügen. In der IU Learn App befinden sich am Ende eines jeden Lernzyklus die Interactive Quizzes. Mithilfe dieser Fragen können Sie eigenständig und ohne jeden Druck überprüfen, ob Sie die neuen Inhalte schon verinnerlicht haben. Sobald Sie eine Lektion komplett bearbeitet haben, können Sie Ihr Wissen auf der Lern- plattform unter Beweis stellen. Über automatisch auswertbare Fragen erhalten Sie ein direktes Feedback zu Ihren Lernfortschritten. Die Wissenskontrolle gilt als bestanden, wenn Sie mindestens 80 % der Fragen richtig beantwortet haben. Sollte das einmal nicht auf Anhieb klappen, können Sie die Tests beliebig oft wiederholen. Wenn Sie die Wissenskontrolle für sämtliche Lektionen gemeistert haben, führen Sie bitte die abschließende Evaluierung des Kurses durch. Die IU Internationale Hochschule ist bestrebt, in ihren Skripten eine gendersensible und inklusive Sprache zu verwenden. Wir möchten jedoch hervorheben, dass auch in den Skripten, in denen das generische Maskulinum verwendet wird, immer Frauen und Män- ner, Inter- und Trans-Personen gemeint sind sowie auch jene, die sich keinem Geschlecht zuordnen wollen oder können. 6 LITERATUREMPFEHLUNGEN ALLGEMEIN Eckart, W. U. (2017):Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin. 8. Auflage, Springer, Berlin. Grün, A. H./Viebahn, R. (2011):Medizin für Nichtmediziner. Das Handbuch von Ärzten und weiteren Experten für Nichtmediziner im Gesundheitswesen. MGO Fachverlage, Kulm- bach. Maio, G. (2017):Mittelpunkt Mensch. Ethik der Medizin.2. Auflage, Schattauer, Stuttgart. Strametz, R. (2017):Grundwissen Medizin.UTB Lucius, Konstanz. LEKTION 1 Schopen, M. (2000): Die Einführung der International Classification of Diseases (ICD-10) in Deutschland. Werkzeuge und Informationen im Internet. In: Schmerz, 14. Jg., Heft 2, S. 97–103. LEKTION 2 Hellmann, W. (2011): Klinische Pfade und Behandlungspfade als Chance im Umgang mit vorhandenen Ressourcen. In: KU Gesundheitsmanagement, 80. Jg., Heft 12, S. 37. Schmola, G. (2014): Klinische Pfade beschreiten. Eine Managementherausforderung für Krankenhäuser. In: KU Gesundheitsmanagement, 83. Jg., Heft 7, S. 58. LEKTION 3 Chang, R. et al. (2017):Classification of seizures and epilepsies, where are we? – A brief histo- rical review and update. In: Journal of the Formosan Medical Association, 116. Jg., Heft 10, S. 736–741. Haverich, A./Kreipe, H. H. (2016): Ursachenforschung Arteriosklerose: Warum wir die KHK nicht verstehen. In: Deutsches Ärzteblatt, 113. Jg., Heft 10, A 426. LEKTION 4 Bush, H. et. al. (2017): Parents’ Educational Expectations for Young Children with Autism Spectrum Disorder. In: Education and Training in Autism and Developmental Disabili- ties, 52. Jg., Heft 4, S. 357–368. 7 Grimmer, B. (2015): Burnout – Psychodynamische und soziodynamische Überlegungen zu einem neuen Leiden. In: Figurationen, 16. Jg., Heft 1, S. 9–25. LEKTION 5 Weißer, B. (2016): Strafrecht am Ende des Lebens – Sterbehilfe und Hilfe zum Suizid im Spie- gel der Rechtsvergleichung. In: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, 128. Jg., Heft 1, S. 106–137. 8 ÜBERGEORDNETE LERNZIELE Der Kurs Medizin für Nichtmediziner II vermittelt Ihnen einen Überblick über die in der Medizin verwendeten Klassifikationssysteme. Sie erfahren, welche theoretischen Ablauf- schemata es in Klinik und Diagnostik gibt und welche Grenzen diese haben. Nach Abschluss dieses Kurses werden Sie somatische und psychosomatische Krankheits- bilder unterscheiden und beispielhaft erklären können. Sie werden die physiologischen Ursachen sowie die möglichen Behandlungsmethoden kennen. Abschließend werden Sie die wissenschaftlichen Hintergründe und die ethischen Schwie- rigkeiten in kontroversen medizinischen Bereichen wie der embryonalen Stammzellfor- schung, der Pränataldiagnostik, der Transplantationsmedizin und der Sterbehilfe kennen- lernen. 9 LEKTION 1 KLASSIFIKATIONSSYSTEME LERNZIELE Nach der Bearbeitung dieser Lektion werden Sie wissen, … – welchen geschichtlichen Hintergrund die medizinischen Klassifikationssysteme haben. – welche Klassifikationssysteme es gibt. – in welchen Bereichen sie Verwendung finden. 1. KLASSIFIKATIONSSYSTEME Einführung Klassifikationssysteme Ordnungs- und Klassifikationssysteme sind Begriffe aus dem Dokumentationswesen. In Diese dienen als Ord- der medizinischen Dokumentation dienen Ordnungssysteme der Erfassung, Beschreibung nungssysteme dem Erfas- sen, Beschreiben, Spei- (Indexierung), Speicherung und dem Wiederfinden (Retrieval) von medizinischen Daten chern und Wiederfinden (Gaus 2005, S. 13ff.). Aufzeichnungen über Patientendaten, Anamnese, Untersuchung(ser- von Informationen. gebnisse), Diagnose und Therapie müssen bei der Suche nach Informationen für Abrech- nungszwecke, Nach- bzw. Weiterbehandlungen, Gesundheitsstatistiken etc. eindeutig for- muliert und systematisch geordnet sein, damit Informationen schnell abrufbar sind. 1.1 Geschichte, Entwicklung und Akteure Um Informationen leichter auffinden zu können, arbeiten medizinische Ordnungssysteme mit Deskriptoren in einem Hierarchiesystem (Leiner et al. 2012, S. 31ff.). Bei Klassifikati- onssystemen werden sie (z. B. Diagnosen) in Klassen aufgeteilt. Daten, die in mindestens einem Merkmal übereinstimmen, werden anhand dieses sogenannten klassenbildenden Merkmals in einer Klasse zusammengefasst (Klassierung). Tabelle 1: Beispiel für eine Klassifizierung Erkrankungen mit diesem klassebildenden Klassenbildendes Merkmal Merkmal Krankheiten des Kreislaufsystems (I00–I99) Hypertonie (I10–I15) ischämische Herzkrankheiten (I20–I25) pulmonale Herzkrankheiten und Krankheiten des Lungenkreislaufes (I26–I28) Krankheiten des Nervensystems (G00–G99) entzündliche Krankheiten des Zentralnervensys- tems (G00–G09) Polyneuropathien und sonstige Krankheiten des peripheren Nervensystems (G60–G64) zerebrale Lähmung und sonstige Lähmungs- syndrome (G80–G83) Quelle: erstellt im Auftrag der IU, 2018 nach ICD-10-GM Version 2018 in Anlehnung an Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2017a. Mehrere Klassen bilden das Klassifikationssystem mit einer bestimmten hierarchischen Struktur. Ihre Inhalte dürfen sich nicht überlappen, müssen aber den zu dokumentieren- den Bereich vollständig abdecken (Leiner et al. 2012, S. 33). 12 Jede Klasse ist mit einer Notation (meist ein einfacher Code aus Buchstaben und/oder Notation Zahlen) versehen, mit deren Hilfe man die gesuchte Information schnell und einfach wie- Diese ist ein Schlüssel oder Code eines Klassifi- derfindet. Im obigen Beispiel ist die Notation für Hypertonie I10–I15, wobei I die Zuord- kationssystems. In ihm nung zu „Krankheiten des Kreislaufsystems“ darstellt und die Nummern 10–15 die ver- spiegelt sich die hierarchi- schiedenen Subklassen der Hypertonie (z. B. I10.- Essentielle [primäre] Hypertonie). sche Struktur wider. Die Notation ist auch Ausdruck der hierarchischen Struktur eines Klassifikationssystems. Man unterscheidet dabei zwischen ein- und mehrachsigen monohierarchischen sowie Monohierarchisch polyhierarchischen Klassifikationen. In einem monohierarchischen Klassifikationssystem In der monohierarchi- schen Klassifikation hat ist jede (Sub-)Klasse höchstens einer Oberklasse zugeordnet (Hypertonie nur den Erkran- eine Klasse nur eine Ober- kungen des Kreislaufsystems). Hat diese Klassifizierung keine weiteren semantischen klasse, d. h., einem Begriff Bezugssysteme (z. B. Ätiologie oder Topografie), handelt es sich um ein einachsiges mono- kann nur ein Oberbegriff zugeordnet werden. hierarchisches Klassifikationssystem. Ein zweiachsiges Diagnoseklassifikationssystem Polyhierarchisch läge vor, wenn der Essentiellen (primären) Hypertonie als Teilklassifikation in der Ätiolo- Bei der polyhierarchi- gie-Achse z. B. A1 stressbedingt zugeordnet werden könnte. Die Notation wäre für dieses schen Klassifikation hat eine Klasse mehr als eine Beispiel demnach: A1-I10.0-. Oberklasse, d. h., einem Begriff können mehrere Eine polyhierarchische Klassifikation unterscheidet sich von dem monohierarchischen Oberbegriffe zugeordnet werden. System nur durch die Anzahl der übergeordneten Klassen, die einer Klasse zugeordnet werden können (Leiner 2017, S. 34f.). Beispiele und Entwicklung medizinischer Klassifikationssysteme Bereits im 18. Jahrhundert wurden erste Versuche unternommen, Krankheiten systema- tisch einzuteilen. Zu den am häufigsten verwendeten Veröffentlichungen gehörte die „Synopsis Nosologiae Methodicae“ von William Cullen (1710–1790), obwohl sie nie aktua- lisiert wurde und für statistische Zwecke ungeeignet war (Deutsches Institut für Medizini- sche Dokumentation und Information 2016). Darauf folgte eine Reihe weiterer Verzeich- nisse, die entweder Todesursachen oder Krankheiten klassifizierten, u. a.: 1855 (verbessert 1864) ein Todesursachenverzeichnis, vorgelegt von William Farr auf Forderung des Zweiten Internationalen Statistischen Kongresses; 1893 die Klassifikation von Todesursachen von Jacques Bertillon (Arzt und Direktor des Statistischen Amtes von Paris; 1851–1922) international als ILCD (International List of Causes of Death) erstmals anerkannt. Krankheitsverzeichnisse wurden bis zur 6. Revision des ILCD getrennt aufgeführt; ein inter- national anerkanntes Klassifikationssystem der Krankheiten existierte allerdings bis dahin nicht. 1946 wurde auf der Internationalen Gesundheitskonferenz in New York zwecks 6. Revision des ILCD ein Verzeichnis erstellt, das Krankheiten und Todesursachen gleichermaßen berücksichtigte: die „Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und ver- wandter Gesundheitsprobleme“ (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems [ICD-6]). 13 Seit 1948 wird die ICD von der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organisation, WHO) beständig revidiert. Zurzeit gültig ist die ICD-10, eine 11. Revision wurde im Mai 2019 verabschiedet und soll am 01. Januar 2022 in Kraft treten. Wann allerdings eine ICD-11-GM Version in Deutschland eingeführt werden kann, ist noch fraglich (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2020a). Weitere wichtige medizinische Ordnungs- bzw. Klassifikationssysteme sind: TNM (T = Tumor, N = Nodes/Nodules (engl. für Lymphknoten), M = Metastasis (engl. für Metastasen), System zur einheitlichen Klassifizierung der anatomischen Ausdehnung maligner Tumorerkrankungen; OPS (Operationen- und Prozedurenschlüssel); ICF (International Classification of Functioning, Disability and Health, engl. für Inter- nationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit); DSM (Diagnostic and Statistic Manual of mental Disorders, engl. für Diagnostischer und statistischer Leitfaden psychischer Störungen). 1.2 Die International Classification of Diseases (ICD) Die ICD-10 ist eine einachsig-monohierarchische Klassifikation. Es existieren 22 Krank- heitskapitel (I–XXII), mehrere 100 Krankheitsgruppen und über 1000 Krankheitsklassen. Das System kann entweder mit einer drei- oder einer vier- bis fünfstelligen Notation ver- wendet werden (Dreistellige Allgemeine Systematik [DAS], Vierstellige Allgemeine Syste- matik [VAS]). Tabelle 2: Beispiel für eine Klassifizierung nach ICD-10-GM Version 2020 in DAS Kapitel Bezeichnung DAS-Code I Bestimmte infektiöse und parasitäre Krankheiten A00–B99 VI Krankheiten des Nervensystems G00–G99 IX Krankheiten des Kreislaufsystems I00–I99 Quelle: erstellt im Auftrag der IU, 2018 in Anlehnung an Deutsches Institut für Medizinische Doku- mentation und Information 2017a. Die Notation ist alphanumerisch, d. h., sie ist eine Kombination aus Buchstaben (immer an 1. Stelle) und Ziffern (an 2., 3., 4. und 5. Stelle). Die ICD-10 wird weltweit zur einheitlichen Kodierung von Krankheiten und Todesursachen verwendet. In Deutschland wird sie für die Todesursachenstatistik eingesetzt, eine deut- sche Modifikation ICD-10-GM (German Modification) wird für die Diagnosenverschlüsse- lung in der ambulanten und stationären Versorgung verwendet (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2017b; Leiner et al. 2017, S. 47). In der stati- 14 onären Versorgung dient die ICD-10-GM vor allem der Fallpauschalenabrechnung im DRG- DRG (Diagnosis Related System (Diagnosis Related Groups, engl. für diagnosebezogene Fallgruppen) durch exakte Groups) Diagnosebezogene Fall- Einordnung der Diagnosen in die Fallpauschalen. Im ambulanten Bereich erfolgt die gruppen sind ein Patien- Abrechnung erbrachter Leistungen über den sogenannten Einheitlichen Bewertungsmaß- tenklassifikationssystem stab (EBM), dazu müssen ebenfalls die Diagnosekodierungen nach dem ICD-10-GM durch- nach medizinisch- ökono- mischen Richtlinien. geführt werden. Krankenhausfälle werden nach Diagnose und erfolgter Behandlung in Fallgruppen klassifiziert, 1.3 Das OPS-Klassifikationssystem die anschließend nach ökonomischem Aufwand bewertet werden. Das OPS-System (Operationen- und Prozedurenschlüssel) ist in Deutschland die offizielle Prozedurenklassifikation für Leistungsnachweise und deren Abrechnung (Leiner et al. 2017, S. 49ff.). Es wird sowohl bei stationären als auch ambulanten Operationen und anderen medizinischen Prozeduren verwendet. Herausgeber des OPS und des ICD-10-GM ist seit Mai 2020 das Bundesinstitut für Arznei- mittel und Medizinprodukte (BfArM). Der OPS ist ein monohierarchisches Klassifikationssystem aus 6 Prozedurenkapiteln, 68 Gruppen, über 200 Prozedurenklassen mit dreistelliger Codierung und mehr als 1.000 bis 20.000 Prozedurenklassen mit vier- bis sechsstelligen Notationen (numerisch und alpha- numerisch). Neben der ICD-10-GM ist der OPS der wichtigste Faktor in der Fallpauschalenabrechnung der Krankenhäuser und der Ambulanzen (Deutsches Institut für Medizinische Dokumenta- tion und Information 2017c). Er wird derzeit jährlich überarbeitet. 1.4 Die ICF Die International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF; engl. für Interna- tionale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit) wurde von der WHO 2005 verabschiedet und soll als einheitliche Beschreibung von Gesundheitszu- ständen mit Berücksichtigung des biopsychosozialen Kontextes dienen (Leiner et al. 2017, S. 61ff.). Angewendet wird die ICF u. a. in der Forschung für Umwelt- oder Lebensqualitätsstudien; für Bevölkerungsstudien (Gesundheitsversorgung, Prävention etc.); als Messinstrument in der Beurteilung der gesundheitlichen Versorgung im Rahmen von Behandlungsbedarf, -anpassung, berufsbezogenen Beurteilungen sowie Rehabilitation und Ergebnisbeurteilung und als sozialpolitisches Instrument (z. B. in der Politikgestaltung und -umsetzung, für Ent- schädigungssysteme sowie im Rahmen der Planung von sozialer Sicherheit) (Leiner et al. 2017, S. 63). 15 Die ICF ist ein vierachsiges Klassifikationssystem (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2012): 1. Körperfunktionen (Code b = bodyfunction), 2. Körperstrukturen (Code s = bodystructures), 3. Aktivitäten und Partizipation (Code d = daily activity), 4. Umweltfaktoren (Code e = environmental factors). Die Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit kann anhand der vier Komponenten eingeordnet und beurteilt werden. Dies geschieht vor allem auch unter Berücksichtigung der individuellen und gesellschaftlichen Bedingungen (Code d). Der verwendete Code ist alphanumerisch. An erster Stelle steht der Buchstabe der jeweili- gen Komponente b, s, d oder e. Die vier Komponenten sind in Kapitel unterteilt: b1 (men- tale Funktionen), b2 (Sinnesfunktionen und Schmerz), d3 (Kommunikation), usw. (World Health Organization/DIMDI 2012). Die Kapitel wiederum sind in Kategorien eingeteilt (z. B. b330 – Funktion des Redeflusses und des Sprechrhythmus [Leiner et al. 2017, S. 63]) und diese wiederum in Subkategorien (z. B. b3302 – Sprechtempo). Dies unterscheidet die ICF nicht wesentlich von anderen Klassifikationssystemen. Aller- dings wird zur Beurteilung des Gesundheitszustandes jedem Code eine Beurteilungsklasse 0–9 hinzugefügt, ohne die der Code nicht ausreichend aussagekräftig ist (Deutsches Insti- tut für Medizinische Dokumentation und Information 2012). Jede Komponente hat dabei ihre eigenen Beurteilungsmerkmale, die anhand bestimmter Regeln dem Code hinzuge- fügt werden müssen. Dabei ist zu beachten, dass das Beurteilungsmerkmal positiv oder negativ gewertet werden kann. Z. B. ist ein abgesenkter Bordstein für einen Blinden als negativer (Barriere-)Faktor zu werten, für einen Rollstuhlfahrer hingegen als positiver (För- der-)Faktor. 1.5 Das DSM Das DSM ist das in den USA offiziell verwendete Handbuch für die Kategorisierung und Beschreibung von psychischen Störungen: Diagnostic and Statistical Manual of Mental Dis- orders (engl. für Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen) (Ameri- can Psychiatric Association 2017). Es existiert derzeit in der 5. Version (DSM-5), die 2013 von der APA nach 14 Jahren intensiver Überarbeitung der DSM-IV publiziert wurde (Ameri- can Psychiatric Association 2013a). Obwohl in Form eines wissenschaftlichen Nachschlagewerks bzw. Handbuches verfasst und publiziert, stellt es ein Klassifikationssystem für psychische Erkrankungen dar (Uni- verstitätsklinikum Hamburg-Eppendorf 2015). In 22 Kapiteln werden alle derzeit wissen- schaftlich anerkannten psychiatrischen Störungsbilder erfasst, klassifiziert und beschrie- ben (American Psychiatric Association 2013b). 16 Das DSM-5 wurde bei seiner Einführung teils heftig kritisiert, vor allem wegen der Klassifi- zierung von ADHS bei Kindern und Jugendlichen und der Depression bei Erwachsenen nach einem Trauerfall. Kritiker befürchteten eine vermehrte ADHS-Diagnose mit verstärk- ter Medikamentenbehandlung bei Kindern und Jugendlichen aufgrund der Aufweichung der Diagnosekriterien. Die gleiche Gefahr sahen sie bei der Trauerverarbeitung mit depres- siver Tendenz. Eine „Inflation“ vermehrter Fälle hat sich allerdings weitestgehend nicht bestätigt, teils wurden Kriterien auch angepasst (Asselmann 2014). Weiterhin bestehen bleibt die Kritik, dass bestimmte Diagnosen wie Burn-out oder Internetspielsucht nicht aufgenommen wurden und eine Anpassung in diesen Bereichen bleibt weiterhin fraglich. ZUSAMMENFASSUNG Klassifikationssysteme sind Ordnungssysteme, die der Klassifizierung dienen. Mit ihrer Hilfe werden in der Medizin Krankheitsbilder eindeutig voneinander getrennt und einander zugeordnet. Dies dient der Ver- gleichbarkeit in internationalen Bereichen und im medizinischen Dis- kurs der Ärzte. In Deutschland werden manche Systeme auch zur Abrechnung der Fall- pauschalen mit den gesetzlichen Krankenkassen verwendet, so z. B. das ICD-10-GM und das OPS-System. Das DSM dient in Deutschland vor allem als Nachschlagewerk für psychi- atrische Erkrankungen. Es wird auch bei der Revision des ICD herangezo- gen. Das aktuelle DSM-5 ist allerdings für einige Diagnosekriterien heftig umstritten. 17 LEKTION 2 ABLAUFSCHEMATA IN DER MEDIZINISCHEN HEILBEHANDLUNG LERNZIELE Nach der Bearbeitung dieser Lektion werden Sie wissen, … – welchen Sinn bestimmte Ablaufschemata haben. – welche klinischen und diagnostischen Pfade es gibt. – welche Grenzen klinische Pfade haben. 2. ABLAUFSCHEMATA IN DER MEDIZINISCHEN HEILBEHANDLUNG Einführung Aufgrund des immer größer werdenden Kosten- und Konkurrenzdrucks der Krankenhäu- ser und der Forderung, im Rahmen eines Qualitätsmanagements die Qualität der Patien- tenversorgung zu verbessern, Behandlungszeiten und Behandlungsfehler zu reduzieren, mussten Leitlinien und Ablaufschemata entwickelt werden, die diesen Anforderungen ent- sprechen konnten (Krusch et al. 2006). Diese Ablaufschemata werden im Allgemeinen als Klinische Pfade bezeichnet. 2.1 Klinische Pfade Klinischer Pfad Klinische Pfade (auch: clinical pathways, klinische Behandlungspfade) ist ein Oberbegriff „Ein Klinischer Pfad ist ein für die in der medizinischen Heilbehandlung vorhandenen Ablaufschemata. Diese stan- netzartiger, berufsgrup- penübergreifender dardisierten Behandlungsabläufe werden auf den neuesten, evidenzbasierten wissen- Behandlungsablauf auf schaftlichen Erkenntnissen entwickelt und sollen zu einer qualitativ besseren Patienten- evidenzbasierter Grund- versorgung führen (Kahla-Witzsch/Geisinger 2004, S. 1ff.). Im Grunde ist ein klinischer Pfad lage, der Patientenerwar- tungen, Qualität und Wirt- „[…] ein Rahmenkonzept zur berufsgruppenübergreifenden Beschreibung und Lenkung schaftlichkeit aller medizinischen Leistungen während eines Krankenhausaufenthalts“ (Hofmann/ gleichermaßen berück- Hofmann 2012, S. 4). sichtigt und auf ein homogenes Patientenkol- lektiv ausgerichtet ist.“ Die im Rahmenkonzept enthaltenen Teilschritte sind den verschiedenen agierenden Beru- (Hellmann/Eble 2010, S. 6). fen (Pfleger, Ärzte etc.) zu- und zeitlich eingeordnet, sodass bei einer bestimmten Diag- nose eine bestimmte Reihenfolge an Tätigkeiten vorgegeben ist. Wichtig ist allerdings, dass klinische Pfade lediglich eine Rahmenhandlung für eine bestimmte Diagnose vorge- ben. Die individuelle Beurteilung einer bestimmten Situation muss stets in der Verantwor- tung des fachlichen Personals bleiben (Hellmann/Eble 2010, S. 6). Klinische Pfade können in diagnostische (Diagnosepfade) und therapeutische Pfade (Behandlungspfade) unterteilt werden (Hoffmann 2012, S. 3); oft werden allerdings klini- sche Pfade und (klinische) Behandlungspfade synonym verwendet (Roeder/Küttner 2007, S. 21). 20 Abbildung 1: Klinische Pfade - Unterteilung und Verwendung synonymer und nichtsynonymer Begriffe Quelle: erstellt im Auftrag der IU, 2018 in Anlehnung an Medizinisches Versorgungszentrum Labor 28 2018. Entwicklung und Sinn Entwickelt wurden klinische Pfade ursprünglich in den 1980er-Jahren in den USA in Anleh- nung an das industrielle Prozessmanagement. Sie sollten mithilfe der Prozessoptimierung der Kostendeckelung dienen und gleichzeitig die Qualität der Patientenversorgung ver- bessern. Mit der Einführung des DRG-Systems in Deutschland wurden solche Optimie- rungsprozesse für die Patientenbehandlung bzw. die Behandlungsabläufe ebenfalls immer wichtiger (Roeder/Küttner 2007, S. 19; Weidlich 2013, S. 9). Neben dem Argument der Kostensenkung durch standardisierte Behandlungsabläufe (Ver- meidung unnötiger Maßnahmen, verkürzte Klinikaufenthalte etc.) sollte die Qualität der Patientenversorgung und somit auch die Patientenzufriedenheit im Vordergrund stehen. Klinische Pfade sollen ebenfalls helfen, die Kommunikation zwischen den verschiedenen Fach- und Berufsgruppen zu verbessern, die Kostentransparenz und die Behandlungstran- sparenz für die Patienten erhöhen sowie zu einer Risikoreduktion und somit einer Fehler- vermeidung führen (Weidlich 2013, S. 10ff.). Struktur und Elemente klinischer Pfade (Klinische) Behandlungspfade werden als Instrumente der Steuerungs- und Dokumentati- onsprozesse für die Behandlung eines Patienten und seiner Diagnose bzw. eines sehr homogenen Patientenkollektivs entwickelt. Dies findet meist in und durch die jeweiligen Stationen eines Krankenhauses statt, d. h., jeder klinische Pfad bildet die für ein spezifi- sches Behandlungsteam eigene Vorgehensweise (berufsgruppen- und stationsübergrei- fend, falls notwendig) ab (Roeder/Küttner 2007, S. 20ff.). Grundsätzlich sollte ein klinischer Pfad folgende Elemente beinhalten (Reimbursement Institute o. J.): 21 Abfolge der Prozessschritte, Terminierung, Inhalte, Verantwortlichkeiten für die jeweiligen Schritte. Seine Struktur ist meist netzartig und bildet alle Schritte, Prozesse und Behandlungsoptio- nen für eine bestimmte Diagnose ab (z. B. ischämischer Insult, akutes Koronarsyndrom etc.). Abbildung 2: Ablaufschema/Netzstruktur klinischer Behandlungspfade Quelle: erstellt im Auftrag der IU, 2018 in Anlehnung an: Roeder/Küttner 2007, S. 24. 2.2 Diagnostische Pfade Diagnostische Pfade sind spezifische Standardanweisungen für die Labordiagnostik zur Vorgehensweise bei bestimmten Symptomen, klinischen Fragestellungen oder Zufallsbe- funden (Medizinisches Versorgungszentrum Labor 28 2018). Diagnostische Pfade dienen der Optimierung der Handlungsabläufe in diagnostischen Laboren bei der Sicherstellung von Diagnosen. In ihrer Struktur ähneln sie den klinischen Behandlungspfaden, als ein- zelne Prozessschritte sind hier jedoch die durchzuführende Diagnostik (Blutbild, Erreger- nachweis etc.) je nach Symptom bzw. Anfangsverdacht festgehalten. Abschließend kann 22 auf Basis der Laborwerte eine Diagnose gefestigt oder erstellt werden und eventuell eine Therapieempfehlung angegeben werden (Institut für Medizinische Diagnostik Greifswald o. J.; Medizinisches Versorgungszentrum Labor 28 2018). 2.3 Grenzen klinischer Pfade Kritisch betrachtet werden klinische Pfade vor allem aus drei Gründen: 1. aufgrund ihrer Funktion als „Kostensenkungsinstrument“ (Roeder/Küttner 2007, S. 24; Schmola 2014, S. 59); 2. wegen ihrer scheinbar starren Struktur, die den Ärzten und Pflegern eine Behandlung einer bestimmten Symptomatik oder Diagnose für jeden Patienten vorschreibt, ohne dass diese die individuelle Situation berücksichtigen darf, als sogenannte „Kochbuch- medizin“ (Pföhler 2011); 3. wegen der zeit- und personalintensiven Entwicklungsphase vor und während ihrer - Implementierung (Schmola 2014, S. 59). Eine 2009 durchgeführte Metaanalyse von 24 Artikeln über Kosteneffizienz und patienten- bezogenen Nutzen von klinischen Behandlungspfaden in der orthopädischen Endopro- thetik kam jedoch zu einem nicht hinreichend signifikanten Ergebnis eines positiven Mehr- nutzens der Implementierung solcher klinischer Pfade in diesem Bereich (Krummenauer/ Kirschner/Günther 2009). Dennoch kann die Einführung klinischer Pfade bei richtiger Nutzung der vorhandenen (Personal-)Ressourcen zu einer Gesamtkostenersparnis und damit zu einem Wettbewerbs- vorteil führen. Bei der Erstellung neuer, aufgrund des demografischen Wandels notwendig gewordener Versorgungskonzepte könnten sie zu einer besseren Patientenversorgung bei- tragen (Hellmann 2011). Befürworter der klinischen Pfade argumentieren, dass diese Ablaufschemata lediglich „standardisierte, indikationsbezogene Handlungskorridore“ (Roeder/Küttner 2007, S. 24) darstellen. Sie sollen dem Behandlungsteam eine Behandlungsmöglichkeit aufzeigen, die möglichst effektiv und effizient ist, ohne die Therapiefreiheit des Arztes einzuschränken (Pföhler 2011; Roeder/Küttner 2007, S. 24ff.). Zudem sind klinische Behandlungspfade weniger ein Kosten- als ein Kontrollinstrument des Qualitätsmanagements. Sie sollen helfen, ökonomische und medizinische Entschei- dungen in Einklang zu bringen und die Transparenz zwischen Behandlungsergebnissen und -kosten zu erhöhen (Pföhler 2011; Roeder/Küttner 2007, S. 26f.). Der Einsatz von bereits stark belasteten Ressourcen wie Personal, Zeit oder Geld kann sich, so wird von Befürwortern argumentiert, vor allem langfristig auszahlen (Schmola 2014). 23 ZUSAMMENFASSUNG Klinische Pfade (auch Behandlungspfade, klinische Behandlungspfade oder kritische Pfade genannt) sind in der Medizin angewandte Ablauf- schemata. Meist werden sie in Krankenhäusern für stationäre Behand- lungen eingesetzt, aber auch für teilstationäre Therapien sind sie inzwi- schen gebräuchlich. Klinische Pfade wurden ursprünglich aus Methoden der industriellen Prozessoptimierung heraus entwickelt und sollen zur Kostenoptimierung und Qualitätsverbesserung in der Patientenbehand- lung dienen. Sie haben eine netzartige Struktur, die konkrete Angaben über „Wer“, „Was“, „Wann“ und „Wie“ enthält. Neben klinischen Pfaden gibt es auch noch sogenannte diagnostische Pfade. Diese haben eine ähnliche Struktur mit ebenfalls sehr konkreten Angaben über die jeweiligen diagnostischen Mittel zur Unterstützung oder Widerlegung einer bestimmten medizinischen Vermutung bzw. Diagnose. Sie werden in den diagnostischen Laboratorien entwickelt und eingesetzt. Kritisiert werden vor allem klinische Pfade für ihre vermeintliche „Koch- buchmedizin“, die den Handlungsspielraum der Ärzte zu sehr ein- schränkt, sowie für ihren Einsatz als Kostensenkungsinstrument. 24 LEKTION 3 KRANKHEITSBILDER – SOMATISCH LERNZIELE Nach der Bearbeitung dieser Lektion werden Sie wissen, … – welche Ursachen hinter den Krankheitsbildern Arteriosklerose, Hypertonie und Herzin- farkt stecken. – was der Unterschied zwischen Erkältung, grippalem Infekt und Influenza ist. – wie es zu epileptischen Anfällen kommt und welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt. – was Neurodermitis ist. – wie es zum Knochenabbau durch Osteoporose kommt. 3. KRANKHEITSBILDER – SOMATISCH Einführung Soma Der Begriff Soma stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet Körper. Er wird in der Dieser Begriff kommt aus Medizin und in der (Zell-)Biologie in etwas unterschiedlicher Bedeutung verwendet. Die dem Altgriechischen und bezeichnet in der Medi- Medizin meint Soma im Sinne von Körper, nicht Geist oder Seele bzw. Psyche. Somatische zin/Psychologie den Kör- Krankheitsbilder beschreiben also Krankheiten körperlichen Ursprungs, davon abzugren- per im Gegensatz zu zen sind alle psychischen Krankheitsbilder. Seele, Geist, Gemüt. 3.1 Arteriosklerose, Hypertonie und Herzinfarkt Das Herz-Kreislauf-System des menschlichen Körpers ist ein hochkomplexes, unter physi- ologischen Bedingungen sehr gut arbeitendes Netzwerk aus Herz und Blutgefäßen. Das Herz ist ein Hohlmuskel, der aus zwei durch die Herzscheidewand getrennten Hälften besteht. Jede Hälfte wiederum besteht aus einer Kammer sowie einem zugehörigen Vor- hof. Die linke Herzhälfte pumpt das O2-reiche Blut in den Körperkreislauf, die rechte Herz- hälfte pumpt das O2-arme Blut in den Lungenkreislauf, damit es dort wieder mit O2 ange- reichert wird. 26 Abbildung 3: Lage und Aufbau der Kammern, Vorhöfe und Muskulatur des Herzens Quelle: leonello/www.istockphoto.com/178036886. Das Gefäßsystem besteht aus Arterien (führen immer vom Herzen weg, in der Abbildung rot dargestellt), Venen (führen immer zum Herzen hin, in der Abbildung blau dargestellt) und einem weitverzweigten Kapillarnetz, das für den Stoffaustausch mit dem Gewebe ver- antwortlich ist (Menche 2012, S. 245ff.). Pathologische Veränderungen der Gefäße, des Herzens oder anderer wichtiger Organe für eine intakte Herzleistung (z. B. Niere) stören den geregelten Ablauf aus Sauerstoffauf- nahme (Lungenkreislauf), Herz und Sauerstoffabgabe (Körperkreislauf). Die arterielle Hypertonie (Bluthochdruck), Arteriosklerose und der Herzinfarkt sind sehr weit verbreitete Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems und ein typisches Beispiel für das Zusammen- spiel aus Grunderkrankungen und Folgeerkrankungen. 27 Hypertonie Systole Eine Hypertonie, genauer eine arterielle Hypertonie liegt vor, wenn der systolische Blut- Diese bezeichnet die Kon- druck bei über 140 mmHg (normal: ca. 120 mmHg) und der diastolische Blutdruck bei traktion des Herzmuskels und Blutausstoß in die über 90 mmHg (normal: ca. 80 mmHg) liegt. Meist werden zur Diagnose aber mehrere Mes- beiden Kreisläufe. sungen durchgeführt, um eine einmalige Abweichung aufgrund einer eventuell unge- mmHg wöhnlichen Situation auszuschließen. Dies misst die Höhe der Quecksilbersäule; (veral- tete) Maßeinheit des Dru- Man unterscheidet bei der arteriellen Hypertonie grundlegend zwischen der primären ckes. (Ursachen weitestgehend unbekannt) und der sekundären Hypertonie, die immer eine Diastole Folgeerkrankung einer Grunderkrankung ist. Dazu gehören u. a.: Diese bezeichnet die Erschlaffung des Herz- muskels und Bluteinströ- Erkrankungen der Niere oder des Nierenparenchyms (renale Hypertonie); mung in Vorhöfe und Hyperthyreose, Cushing-Syndrom, Conn-Syndrom (endokrine Hypertonie); Kammern. Aortenklappeninsuffizienz, Aortenisthmusstenose (kardiovaskuläre Hypertonie); Hirntumoren, Enzephalitis, Vergiftungen (neurogene Hypertonie). Daneben existieren noch weitere temporäre Ursachen wie z. B. schwangerschaftsbedingte sekundäre Hypertonie oder medikamentöse sekundäre Hypertonie durch Kortikosteroide, Ovulationshemmer etc. (Schoppmeyer 2014, S. 44f.; Vaupel/Schaible/Mutschler 2015, S. 304ff.). Anzeichen für einen Bluthochdruck können Kopfschmerzen (oft frühmorgens), Schwindel, Druckgefühl über dem Herz, Atemnot oder Ohrensausen sein (Schoppmeyer 2014, S. 45; Menche 2012, S. 260). Therapiert werden muss der Bluthochdruck selbst (symptomatische Therapie) sowie bei gegebener Grunderkrankung auch diese (kausale Therapie). Eine symptomatische Thera- pie kann medikamentöser Art sein und/oder auf eine Änderung der Lebensgewohnheiten (Gewichtsabnahme, weniger rauchen, mehr Bewegung etc.) abzielen. Blutdrucksenkende Mittel sind z. B. ACE-Hemmer, Betablocker und Diuretika. Kausale Therapien hängen grundlegend von der Ursache ab und können daher sehr ver- schieden ausfallen (Schoppmeyer 2014, S. 46). Tabelle 3: Drei wichtige Medikamente zur Blutdrucksenkung Typ Wirkung Diuretika Harntreibende Mittel; sie senken das Blutvolumen durch Erhöhung der renalen Flüssigkeitsausscheidung. Betablocker Betarezeptorenblocker; sie senken die Herzfrequenz und den Belas- tungsblutdruck. ACE-Hemmer Angiotensin-Converting-Enzyme-Hemmer; sie hemmen das renale Angiotensin-konvertierende Enzym des Renin-Angiotensin-Aldoste- ron-Systems (RAAS). RAAS ist ein für die Blutdruckregulation ele- mentares Hormon-Enzym-System der Niere. Quelle: erstellt im Auftrag der IU, 2018 in Anlehnung an Schoppmeyer 2014, S. 46f. 28 Problematisch bei einer Hypertonie ist der oft über lange Zeit beschwerdefreie Verlauf. Eine unerkannte und unbehandelte Hypertonie ist einer der Hauptrisikofaktoren für eine Arteriosklerose, deren schwerwiegendste Folgeerkrankungen wiederum Schlaganfall und Herzinfarkt sein können (Menche 2012, S. 260). Arteriosklerose Die Arteriosklerose (auch Atherosklerose) kann eine Folgeerkrankung der arteriellen Hypertonie sein. Es existieren aber noch eine Reihe weiterer Risikofaktoren, die ihre Ent- wicklung begünstigen können. Dazu gehören u. a. (Menche 2012, S. 247; Vaupel/Schaible/ Mutschler 2015, S. 296f.): Rauchen, Diabetes mellitus, Hyperlipoproteinämie, Übergewicht. Definition und Pathogenese Arteriosklerose ist eine langsam progressive, chronische Entzündung der Arterienwand. Sie kommt im Körper lokal vor, d. h., sie betrifft meist nur bestimmte Gefäßregionen. Nach ihrem epidemiologischen Stellenwert lassen sich hierbei die Koronargefäße, die Hirnge- fäße und die peripheren Arterien trennen (Vaupel/Schaible/Mutschler 2015, S. 296). Eine Funktionsstörung des Arterienendothels (Endotheldysfunktion) mit nachfolgender Schädigung (Endothelläsion) führt über eine Kaskade von Prozessen (Adhäsion von aggre- gierten Thrombozyten, Einwanderung von Immunzellen, Proliferation von glatten Muskel- zellen etc.) zur Bildung herdförmiger Plaques (Ablagerungen von Lipiden und Bindege- webe) an der betroffenen Stelle. Die Arterienwände verhärten und verdicken, wodurch das Lumen (Gefäßinnenraum) verengt wird (Stenose). Eine Durchblutungsstörung ist die Folge. Eine schwerwiegende Komplikation der Arteriosklerose ist die Plaqueruptur. An der Stelle der ruptierten Plaque bilden sich Blutgerinnsel (Thrombus), die das Gefäß vollstän- dig verschließen können. Folgeerkrankungen der Arteriosklerose können u. a. sein: KHK (koronare Herzkrankheit) bei Arteriosklerose der Herzkranzgefäße (Koronarskle- rose), Schlaganfall Herzinfarkt, periphere arterielle Durchblutungsstörungen. Vorbeugende Maßnahmen sind hauptsächlich ein gesunder Lebensstil und damit ein Umgehen der wichtigsten Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Rauchen und Diabetes melli- tus (Tepohl 2017). Medikamentös können blutverdünnende Mittel (z. B. Acetylsalicylsäure) zur Verhinderung der Bildung der Blutgerinnsel gegeben und damit das Risiko von Folge- erkrankungen (Herzinfarkt, Schlaganfall etc.) gesenkt werden. Vorhandene Grunderkran- 29 kungen wie Bluthochdruck, erhöhter Cholesterinspiegel oder Diabetes mellitus müssen entsprechend ihren Symptomen und Ursachen therapiert werden, um ein Fortschreiten der Arteriosklerose zu verhindern. Herzinfarkt (Myokardinfarkt) Das Myokard ist die Herzmuskulatur, die für die Kontraktion des Herzens zuständig ist. Im Längsschnitt durch das Herz kann man die verschiedenen Schichten erkennen: Zum Myo- kard gehören die dicke Kammermuskulatur (der linken und rechten Herzkammern) und die dünne Vorhofmuskulatur (des linken und des rechten Vorhofes). Bei Kontraktion wird das O2-gesättigte Blut aus der linken Herzkammer in den Körperkreislauf und das sauer- stoffarme Blut aus der rechten Herzkammer in den Lungenkreislauf gepumpt. Die Musku- latur der Vorhöfe unterstützt lediglich die Fließrichtung des Blutes aus den Vorhöfen in die Herzkammern. Sie besitzt deswegen auch nur einen Bruchteil der Dicke der Kammermus- kulatur (Menche 2012, S. 228ff.). Bei einem Myokardinfarkt stirbt Herzmuskelgewebe aufgrund einer akuten O2-Mangelver- sorgung ab (ischämische Myokardnekrose). Diese plötzlich auftretende Myokardischämie Koronararterien entsteht durch einen akuten Verschluss einer Koronararterie (Herzkranzgefäß) durch eine Koronararterien (Herz- Thrombose. Meist geschieht das im Bereich einer bereits vorhandenen Stenose (Gefäßver- kranzgefäße) umgeben das Herz kranzförmig engung), z. B. aufgrund einer Arteriosklerose (Koronarsklerose). Der Thrombus entsteht (corona [latein.] = Kranz). durch das Aufbrechen der arteriosklerotischen Plaques. Wandert er in Richtung Herz- Sie dienen der Eigenver- kranzgefäße, kann er durch den Verschluss einer solchen Engstelle den Herzinfarkt verur- sorgung des Herzens. sachen. Auslöser eines Herzinfarktes ist meist Stress oder körperliche Belastung. Symptome Meist entwickelt sich innerhalb weniger Minuten bis Stunden ein typisches Druck- und Schmerzgefühl in der linken Brustgegend, die auch in den Arm ausstrahlen können (ähn- lich einer Angina pectoris). Im Gegensatz zur tatsächlichen Angina pectoris verschwinden die Symptome aber nicht bei Ruhe oder Medikamentengabe (Schoppmeyer 2014, S. 12). Hinzu können noch vegetative Symptome (Übelkeit, Erbrechen, Schweißausbruch, Angst oder Unruhe), Herzrhythmusstörungen, Blutdruckabfall oder Dyspnoe (Atemnot, Kurzat- migkeit) kommen. Diagnose und Therapie Ein akuter Herzinfarkt kann mittels eines Elektrokardiogramms (EKG) und Blutuntersu- chungen gut festgestellt werden. Mithilfe der gemessenen Herzströme ist eine Lokalisation des betroffenen Gebietes, dessen Größe und das Alter des Infarktes möglich. Die Blutun- tersuchungen erfassen erhöhte Konzentrationen betimmter Muskelproteine und -enzyme, beispielsweise das Muskelprotein Troponin oder die Kreatinkinase (ein Muskelenzym). Eine Erhöhung der Leukozytenzahl (Leukozytose), der Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) und des Blutzuckers sowie Veränderungen des K+-Spiegels sind ebenfalls möglich. Zu den Erstmaßnahmen bei Verdacht oder bestätigtem Herzinfarkt gehören: 30 eine Lagerung mit erhöhtem Oberkörper, evtl. beruhigende Medikamente (Diazepam), Intensivüberwachung mit Vitalzeichen-Kontrolle und EKG-Monitoring, Sauerstoffgabe (über Nasensonde), schmerzlindernde Medikamente (Opiate). Anschließende Maßnahmen können eine Koronarangiografie und eine PTCA (perkutane transluminale Coronar-Angioplastie) sein. Die Angiografie dient der Darstellung der Koro- nararterien mittels eines Röntgen-Kontrastverfahrens. Die PTCA ist ein Verfahren zur Auf- weitung der verengten, teilweise auch verschlossenen, Arterien mithilfe eines Katheters (Kunststoffschlauch). Der Katheter wird an die Engstelle gebracht, und ein an der Spitze befindlicher Ballon wird aufgeblasen und so die Engstelle geweitet (Ballondilatation). Wird ein zusätzlicher Stent (engl. für Gefäßprothese) – ein röhrenförmiges Metallgitter – gesetzt, dient dieser dazu, die betroffene Stelle weiter offen zu halten (Menche 2012, S. 243; Schoppmeyer 2014, S. 11ff.). Bei Bypass-Operationen (bypass: engl. für Umgehung) wird die Engstelle mithilfe körpereigener Arterien oder Venen umgangen. Dies geschieht vor allem bei mehreren oder komplexen Gefäßverengungen (Deutsche Herzstiftung 2016). Komplikationen und AHB Komplikationen bei Herzinfarkten sind relativ häufig, auch bei sofortiger guter Behand- lung. Diese treten entweder innerhalb der ersten 48 Stunden auf (Frühkomplikationen) oder erst später. Zu diesen zählen u. a. (Schoppmeyer 2014, S. 14; Vaupel/Schaible/ Mutschler 2015, S. 241f.): Herzrhythmusstörungen (Frühkomplikation), Links- oder Rechtsherzinsuffizienz (Frühkomplikation), Mitralklappeninsuffizienz (Frühkomplikation), Mitralklappeninsuffi- Ruptur der Herzscheidewand (Spätkomplikation), zienz Diese bezeichnet die Perikarditis/Herzbeutelentzündung (Spätkomplikation), Funktionsschwäche der Herzwandaneurysma (Spätkomplikation), Herzklappe zwischen Angina pectoris und/oder erneuter Myokardinfarkt (Spätkomplikation), dem linken Vorhof und der linken Herzkammer. Lungenembolie (Spätkomplikation). Herzwandaneurysma Dies ist die sackartige Eine wichtige therapeutische Maßnahme nach einem Herzinfarkt ist die sogenannte Auswölbung im Bereich des vernarbten Gewebes. Anschlussheilbehandlung (AHB). Der Patient erlernt (stationär oder ambulant), mit Risiko- faktoren wie Stress, Rauchen, ungünstigen Essgewohnheiten etc. besser umzugehen und somit das Risiko eines Zweitinfarktes möglichst zu senken. Eine medikamentöse Nachbe- handlung mit Betablockern, Thrombozyten-Aggregationshemmern (z. B. Acetylsalicyl- Thrombozyten-Aggrega- säure) oder Cholesterinsenkern ist ebenfalls in den allermeisten Fällen notwendig. tionshemmer Diese erhöhen die Fließ- geschwindigkeit des Blu- tes durch Verhinderung der Verklumpung der 3.2 Erkältung, Echte Grippe und COVID-19 Blutplättchen (Thrombo- zyten). Die Bezeichnungen Erkältung, grippaler Infekt und Influenza werden von Laien häufig synonym verwendet. Es existieren jedoch zwischen einer Erkältung (auch: grippaler Infekt) und der Echten Grippe (Influenza) wichtige Unterschiede. 31 Katarrh Eine Erkältung ist eine „meist nach Kälteexposition auftretende katarrhalische [Hervor- Dieser bezeichnet eine hebung durch den Verfasser] Erkrankung der oberen Luftwege; i. d. R. durch Viren Entzündung der Schleim- häute, besonders der [Schnupfenviren] verursacht“ (Reuter 2005). Sie beginnt eher langsam mit schleichend Atmungsorgane. einsetzendem Schnupfen (Rhinitis), Halsschmerzen und moderatem Fieber. Husten (tro- cken oder verschleimt), Kopf- und Gliederschmerzen sowie eine leichte Entkräftung kön- nen ebenfalls auftreten. Echte Grippe Die Grippe (auch Echte Grippe oder Influenza) hingegen wird von Grippeviren (Influenza- Die Echte Grippe(Influ- viren Typ A, B oder C) verursacht. Der Krankheitsbeginn und -verlauf ist deutlich ausge- enza) wird durch Influ- enzaviren Typ A, B oder C prägter als der einer „normalen“ Erkältung. Die Inkubationszeit nach Ansteckung liegt zwi- verursacht. Symptome schen ein bis drei Tagen. Anzeichen sind plötzlich auftretendes, sehr hohes Fieber (über treten sehr plötzlich und 39° C) und eine sehr schnell eintretende deutliche Entkräftung. Hinzu kommen starke sehr schnell auf (meist Beginn mit sehr hohem Kopf- und Gliederschmerzen und Husten (Schoppmeyer 2014, S. 74f.). Fieber). Hinzu kommen starke Kopf- und Glieder- Therapiert wird meist symptomatisch, d. h. antipyretisch (fiebersenkend), analgetisch schmerzen sowie eine rasch einsetzende Ent- (schmerzlindernd) und antitussiv (hustenstillend). Mitunter können bei nachgewiesenen kräftung. Influenza-Erregern (mittels Schnelltest) Neuraminidase-Hemmer gegeben werden (Schoppmeyer 2014, S. 74). Ansonsten hilft nur wie bei einer Erkältung: viel Flüssigkeit und Bettruhe. Einen schwereren, mitunter tödlichen Verlauf (z. B. durch die Entwicklung einer Lungen- entzündung) kann die Infektion bei immungeschwächten Personen nehmen. Dazu gehö- ren ältere Menschen, Kleinkinder und Schwangere. Die Ständige Impfkommission Ständige Impfkom- (STIKO) empfiehlt für bestimmte Risikogruppen eine saisonale Grippeimpfung. Zu diesen mission (STIKO) Gruppen gehören u. a. (Robert-Koch-Institut 2018): Die Ständige Impfkom- mission (STIKO) ist ein unabhängiges Experten- alle Personen ab 60 Jahren; gremium unter der Orga- Schwangere ab dem 2. Trimenon (2. Schwangerschaftsdrittel); nisation des Robert- Koch-Instituts. Die von Personen mit bestimmten chronischen Erkrankungen (Nieren- und Lebererkrankungen, der STIKO empfohlenen angeborene oder erworbene Immundefizienz etc.); Impfungen der Schutz- Personen, die mit einer Person aus einer der Risikogruppen im gleichen Haushalt leben; impfungs-Richtlinie (SI- RL) gehören zur Pflicht- Personen bestimmter Berufsgruppen (Ärzte, Pfleger etc.). leistung der gesetzlichen Krankenkassen (Robert- Koch-Institut 2017). Eine neuartige Infektionskrankheit, die ebenfalls zu den ansteckenden Atemwegsinfekten Virus zählt, ist die COVID-19. Diese Erkrankung wird von dem Coronavirus SARS-CoV-2 verur- Viren sind Mikroorganis- sacht. men, die zum Wachstum oder zur Vermehrung einen Wirt benötigen. Ihre Symptomatisch kann diese Infektion Fieber, Husten und Schnupfen auslösen, so dass eine genetische Information Differentialdiagnostik zu den anderen Atemwegsinfekten mitunter schwer ist und haupt- ist entweder in Form von sächlich durch einen labordiagnostischen Nachweis erbracht werden muss. Typisch für DNA oder RNA gespei- chert. Die Vermehrung COVID-19 ist allerdings der (meist vorrübergehende) Verlust des Geschmacks- und des Virus in einem Wirt Geruchssinns (Bundesministerium für Gesundheit 2021). führt oft zu dessen Erkrankung, daher zählen die meisten bekannten Es treten bei dieser Erkrankung (ähnlich wie bei der Echten Grippe) stark unterschiedliche Viren zu den Krankheits- Verläufe auf. Diese reichen von asymptomatischen, leichten und mittelschweren Verläufen erregern (Reuter 2005; Pschyrembel 2014). bis zu schweren und tödlichen Verläufen. Atemnot ist ein typisches Symptom, bei dem Patienten intensivmedizinisch versorgt werden müssen (Bundesministerium für Gesund- 32 heit 2021a). Risikogruppen sind hauptsächlich Menschen im hohen Alter oder mit bestimmten Vorerkrankungen. Im Winter 2020/21 wurden weltweit die ersten Impfstoffe gegen COVID-19 zugelassen. Problematisch an der neuartigen Erkrankung ist die fehlende Grundimmunität in der Bevölkerung, die beispielsweise bei einer Grippe gegeben ist. Daher ist jeder Infizierte potentiell ansteckend und der Ausbruch der Erkrankung wurde im März 2020 von der WHO offiziell zur Pandemie erklärt (WHO 2020). 3.3 Epilepsie Epilepsien (Anfallsleiden) zählen zu den am weitesten verbreiteten neurologischen Stö- rungen. Ursächlich verantwortlich für epileptische Anfälle sind krankhafte Störungen im Erregungsverhalten von Neuronen. Sie sind leichter erregbar (depolarisierbar), und im Zustand ihrer Aktivität „feuern“ sie unkontrolliert langanhaltend und synchron, sodass es zu einer hochfrequenten Erregung nahe gelegener und weiter entfernter Neuronen kommt. Handelt es sich hierbei um eine lokal begrenzte Gehirnregion, spricht man von fokalen Anfällen, bei einem generalisierten Anfall sind fast alle Teile des Gehirns betroffen (Schoppmeyer 2014, S. 214ff.; Vaupel/Schaible/Mutschler 2015, S. 868ff.). Man unterscheidet sowohl bei den fokalen als auch bei den generalisierten Anfällen meh- rere Typen: Tabelle 4: Typen epileptischer Anfälle Fokale Anfälle Generalisierte Anfälle einfach-fokale Anfälle: Absencen: motorische, somatosensorische, autonome oder Bewusstseinsstörungen ohne weitere Symptome psychische Störungen ohne Bewusstseinsverlust komplex-fokale Anfälle: myoklonische und astatische Anfälle: motorische, somatosensorische, autonome oder Manifestation im Kleinkind- bzw. Jugendalter psychische Störungen myoklonisch: Muskelzuckungen mit Bewusstseinsverlust astatisch: plötzlicher Muskeltonusverlust häufig von sog. Aura angekündigt Aura Diese meint hier sensori- sche Halluzinationen (Geruch, Geschmack, optisch oder akustisch je nach Typ). 33 Fokale Anfälle Generalisierte Anfälle fokale Anfälle mit sekundärer Generalisation tonisch-klonische Anfälle (Grand-mal-Anfälle): häufig Prodromalerscheinungen (Kopfschmer- zen, Unwohlsein, Unruhe etc.) vorausgehend Aura, evtl. kurz vorher Beginn mit tonischer Krampfphase (starke Kon- traktion der Rücken- und Extremitätenmuskula- tur, manchmal begleitet von einem sog. Initial- schrei) Bewusstlosigkeit und Sturz Beginn der klonischen Phase (generalisierte Muskelzuckungen) Terminalschlaf Quelle: erstellt im Auftrag der IU, 2018 in Anlehnung an Vaupel/Schaible/Mutschler 2015, S. 869. Es werden noch weitere verschiedene Typen und Mischformen der oben genannten Typen unterschieden (z. B. Blitz-Nick-Salaam-Anfall, Lennox-Gastaut-Syndrom etc.). Grundsätzlich können bei allen Menschen jeden Alters epileptische Anfälle auftreten. Bei Kindern und Jugendlichen ist die Ursache häufig genetisch (genuine Epilepsie) oder idio- Idiopathisch pathisch, bei erstmaligem Auftreten im Erwachsenenalter (symptomatische Epilepsie) Das ist ein in der Medizin sind meist Schädel-Hirn-Trauma, Intoxikationen durch Alkohol, Medikamente oder Drogen verwendeter Begriff für Krankheiten, bei denen bzw. deren Entzug, Blutungen oder Tumoren die Ursache. die Ursache für die Ent- stehung nicht erkennbar Im Prinzip kann jeder Mensch einen Anfall erleiden, der u. a. durch Fieber (dem sogenann- ist. ten Fieberkrampf bei Säuglingen und Kindern unter 5 Jahren), Lichtreize (Flackerlicht), Schlafentzug, Schwangerschaft (Eklampsie) etc. ausgelöst werden kann. Allerdings spricht man erst bei wiederholtem Auftreten von Epilepsie (Schoppmeyer 2014, S. 214; Vaupel/ Schaible/Mutschler 2015, S. 871). Diagnostik und Therapie Besonders wichtig ist bei der Diagnose die Anamnese zum Hergang, Zeitpunkt des Anfalls und der Frequenz. Informationen zu Auslöser, Aura (falls vorhanden) sowie von Begleitper- sonen (Fremdanamnese) sind ebenfalls sehr hilfreich. EEG (Elektroenzephalogramm) zur Messung der Hirnströme, CT (Computertomografie) und MRT (Magnetresonanztomografie) zur Feststellung eventueller Schädigung des Gehirns bei symptomatischer Epilepsie können zur Diagnose herangezogen werden. Ein Anstieg der Kreatinkinase (ein Enzym des Muskelstoffwechsels) kann ebenfalls ein Hinweis auf einen epileptischen Anfall sein. Bei der Differenzialdiagnose sind vor allem folgende Krankheiten auszuschließen: Synkope (vorübergehende Mangeldurchblutung mit anfallsartiger, kurzer Bewusst- losigkeit); Fieberkrampf (ausschließlich durch Fieber und Infektionen ausgelöster Krampfanfall bei Säuglingen und Kleinkindern); 34 psychogener Anfall (eine Form der dissoziativen Störung, im Gegensatz zu einem epi- leptischen Anfall kann dieser durch Schmerzreize unterbrochen werden); Narkolepsie (sehr selten auftretende Krankheit mit anfallartigem Schlafbedürfnis - (Hypersomnie) (Schoppmeyer 2014, S. 215). Zur Therapie können verschiedene Antiepileptika und Antikonvulsiva (konvulsiv = kramp- fend) eingesetzt werden. Ihre Wirkweise ist teilweise sehr unterschiedlich, u. a. hemmen sie die Erregbarkeit der Neurone, erhöhen die Konzentration des Nervenbotenstoffs GABA GABA (Gamma-Aminobuttersäure) oder heben die Krampfschwelle. Allerdings müssen die Medi- GABA (gamma aminobu- tyric acid, engl. für kamente sehr genau eingestellt werden, da eine zu hohe oder zu niedrige Dosis meist Gamma-Aminobutter- keine positive Wirkung zeigt. Nebenwirkungen können vermehrt auftreten. säure) ist der wichtigste inhibitorische Neuro- transmitter, der eine hem- mende Wirkung auf die Reizweiterleitung ausübt. 3.4 Neurodermitis Neurodermitis (auch atopisches Ekzem, endogenes Ekzem) ist eine sehr weit verbreitete Hauterkrankung (Schoppmeyer, S. 300f.). Unter atopisch bzw. Atopie versteht man anlage- bedingte (durch genetische Disposition) körperliche Reaktion mit Überempfindlichkeit auf bestimmte allergene Stoffe (Reuter 2005, S. 50). Abbildung 4: Typische Ekzembildung bei Neurodermitis Quelle: tofumax/www.istockphoto.com/643570214. Die Krankheit verläuft häufig in Schüben, Auslöser können u. a. sein: klimatische Bedingungen (kalte und trockene Luft im Winter); psychische Belastungen; 35 andere Infektionen (Erkältungen etc.); Hautbelastungen (häufiges Waschen, Umgang mit reizenden Mitteln). Sie beginnt meist im Säuglingsalter mit dem sogenannten Milchschorf (hauptsächlich behaarte Kopfhaut und Gesicht). Im Kleinkind- bzw. Kindesalter bilden sich die Ekzeme meist an Kniekehlen und Ellbeugen. Nacken, Hals und Hände können auch betroffen sein. Insgesamt zeigt die Haut ein sehr trockenes Erscheinungsbild, die Schübe sind begleitet von starkem Juckreiz besonders an den betroffenen Hautpartien. Ca. 75 % der Betroffe- nen haben im Erwachsenenalter keine Probleme mehr, die Besserung tritt oft nach dem 5. Lebensjahr ein (Schoppmeyer 2014, S. 301; Vaupel/Schaible/Mutschler 2015, S. 902). Im IgE-Antikörper Blutserum zeigt sich häufig eine erhöhte IgE (Immunglobulin E)-Antikörperkonzentra- Dies sind Immunglobu- tion (Schoppmeyer 2014, S. 301). line (Antikörper). Sie wer- den während einer Immu- nantwort gebildet und Begleiterkrankungen sind aufgrund des genetischen Faktors weitere Atopien, d. h. Über- tragen als Antigen-Anti- empfindlichkeiten gegenüber Umweltstoffen: Asthma bronchiale, allergische Rhinitis körperkomplexe zu einer positiven Immunabwehr (Heuschnupfen) oder Nahrungsmittelallergien. bei. Immunglobuline des Typs E vermitteln meist Die Behandlung bei akuten Schüben sieht meist eine immunsupressive Therapie vor (z. B. bei allergischen Reaktio- nen (Hypersensitivitäts- durch Kortikosteroide). Zwischen den Schüben können wirkstofflose Cremes und rückfet- reaktionen) die Immun- tende Waschseifen zur verträglicheren Hautpflege verwendet werden (Schoppmeyer 2014, antwort (Vaupel/ Schaible/Mutschler 2015, S. 301). S. 196ff.). 3.5 Osteoporose Die häufigste Knochenerkrankung beim Menschen ist die Osteoporose, wobei ca. 80 % aller Betroffenen weiblich sind. Die als Knochenschwund bezeichnete Erkrankung zeich- Knochendichte net sich durch eine progressive Abnahme der Knochendichte aus (Vaupel/Schaible/ Dieser Begriff bezeichnet Mutschler 2015, S. 697). Gleichzeitig ist auch die Mikrostruktur des Knochengewebes ver- die Knochenmasse pro Volumeneinheit. ändert. Man unterscheidet zwischen einer primären und einer sekundären Form, wobei die primäre ca. 95 % aller Fälle ausmacht. Zur primären Form gehören: 1. idiopathische juvenile Osteoporose, 2. postmenopausale Osteoporose, 3. senile (altersbedingte) Osteoporose. Die idiopathische juvenile Form tritt bei Jugendlichen während der Pubertät auf und heilt spontan wieder aus. Ihre Ursache ist unbekannt. Diese Form der Osteoporose ist sehr sel- ten (Vaupel/Schaible/Mutschler 2015, S. 697). Die postmenopausale Osteoporose ist am weitesten verbreitet (ca. 85 % der primären Form) und betrifft aus der Ursache heraus nur weibliche Patienten. Die postmenopausale stark erniedrigte Östrogenkonzentration bewirkt eine pathologische Veränderung des Ca2+-(Calcium-)Haushaltes und dadurch eine Verschiebung des Gleichgewichts zwischen Knochenaufbau und Knochendegradation (Abbau) hin zum Knochenabbau. 36 Abbildung 5: Abnahme der Knochendichte bei Osteoporose Quelle: eranicle/www.istockphoto.com/539149361. Die senile Osteoporose hängt im Wesentlichen mit einer verminderten Vitamin-D3-Auf- nahme durch die Nahrung zusammen, dessen verminderte Bildung durch verringerte Son- nenexposition sowie eine eventuelle genetische Prädisposition für die Krankheitsbildung verantwortlich ist (Vaupel et. al. 2015, S. 698). Vitamin D3 dient dem Körper als Vorstufe für das – für den Knochenaufbau elementare – Calcitriol. Calcitriol Calcitriol (auch Cholecal- ciferol) ist ein wichtiges Sekundäre Formen der Osteoporose sind meist Folgeerscheinungen von Grunderkrankun- Hormon, das den Kno- gen oder medikamentöse Nebenwirkungen: chenaufbau fördert und den Ca2+-Haushalt regu- liert. endokrinologische Störungen (Morbus Cushing, Hyperthyreose [krankhafte Überfunk- Morbus Cushing tion der Schilddrüse] etc.); Dieser oder Hypercortiso- Langzeittherapie mit Glucocorticoiden (gestörter Ca2+-Haushalt sowie Osteoblasten- lismus als Folge von Tumorbildung in der hemmung), Heparin (Osteolyse) oder Zytostatika (Hemmung der Osteoblasten). Hypophyse, der Neben- nierenrinde oder durch Aber auch Mangelernährung, Immobilität (bei Bettlägerigkeit) oder Schwerelosigkeit (Ast- therapeutische Gabe von Glucocorticoiden. ronauten) kann zu einer verminderten Knochenneubildung (Knochenaufbau < Knochen- abbau) führen (Schoppmeyer 2014, S. 313; Vaupel/Schaible/Mutschler 2015, S. 697). Symptome und Therapie Symptome einer Osteoporose-Erkrankung sind meist Knochenschmerzen, verbunden mit Deformierungen der Wirbelsäule, vor allem im Brust- und Lendenwirbelbereich (Rundrü- cken). Hinzu kommt ein generell stark erhöhtes Risiko für Knochenfrakturen (Oberschen- kelhalsbrüche etc.), selbst bei minimalen Belastungen oder leichten Stürzen. 37 Diagnostiziert wird eine primäre Osteoporose mittels einer sogenannten Osteodensito- metrie (Knochendichtemessung), Röntgen (erst ab 30 % verringerte Knochenmasse sicht- bar) und durch Ausschluss anderer möglicher Krankheiten (Schoppmeyer 2014, S. 314). Prophylaktisch können eine calciumreiche Ernährung, moderater Sport (Bewegung kann den Knochenabbau reduzieren) sowie ausreichender Aufenthalt im Freien (Vitamin D3-Bil- dung) bei gefährdeten Personen (insbesondere Frauen im Erwachsenenalter) helfen. Zur Therapie werden meist Calcium- und Vitamin-D-Präparate gegeben sowie verschie- Bisphosphonate dene andere Medikamente (z. B. Bisphosphonate), die den Knochenabbau verhindern Diese hemmen die Aktivi- bzw. den Knochenaufbau stärken sollen (Schoppmeyer 2014, S. 314). tät der knochenabbauen- den Osteoklasten und reduzieren so den Kno- chenabbau. ZUSAMMENFASSUNG Somatische Krankheitsbilder sind Krankheiten, deren Ursprung eine körperliche Ursache haben. Herzinfarkt (bzw. Myokardinfarkt), Hyperto- nie und Arteriosklerose sind miteinander eng verknüpfte Krankheitsbil- der des Herz-Kreislauf-Systems. Arteriosklerose und Herzinfarkt können schwerwiegende Folgeerkrankungen einer, vor allem unentdeckten, Hypertonie sein. Erkältung (grippaler Infekt) und Influenza sind entgegen dem häufigen synonymen Gebrauch unterschiedliche Erkrankungen mit völlig ver- schiedener Ursache und oft unterschiedlichem Verlauf. Die echte Grippe wird von Influenzaviren, die normale Erkältung von Viren unterschiedli- cher Art (Schnupfenviren = Rhinoviren) verursacht. Im Gegensatz zur Erkältung treten bei der Influenza die Symptome sehr schnell und sehr heftig auf. Das Fieber steigt meist innerhalb kürzester Zeit sehr hoch. Die STIKO empfiehlt deshalb für bestimmte vulnerable Personengruppen eine jährliche Grippeimpfung. COVID-19 ist eine neuartige Atemwegserkrankung, verursacht durch Coronaviren, mit teils kritischen Verläufen. Aufgrund der raschen, welt- weiten Ausbreitung der Erkrankung wurde diese von der WHO 2020 zur Pandemie erklärt. Epilepsie ist eine Erkrankung mit neurobiologischer Störung als Ursa- che. Sie zeichnet sich durch fokale oder generalisierte Anfälle aus, die motorische und psychische Störungen hervorrufen können. Sogenannte Grand-mal-Anfälle sind die schwerste Form eines epileptischen Anfalls mit besonders heftigen tonisch-klonischen Phasen. 38 Neurodermitis (atopisches Ekzem) ist eine verbreitete Hauterkrankung, deren Ursache in einer genetischen Veranlagung liegt. Meist werden die sogenannten Schübe durch Fremdstoffe, Hautbelastungen durch Waschen oder trockenes und kaltes Klima oder durch psychische Belas- tungen ausgelöst. Die krankhafte Abnahme der Knochendichte wird Osteoporose genannt. Es werden zwei Formen (primär und sekundär) unterschieden. Am bekanntesten, da am häufigsten vorkommend, ist die postmenopausale Osteoporose. Präventive Maßnahmen wie gesunde Ernährung und moderate Bewegung im Freien können der hormonbedingten Knochen- störung entgegenwirken, therapiert wird meist mit einer Vitamin-D- Zufuhr. 39 LEKTION 4 KRANKHEITSBILDER – PSYCHISCH/ PSYCHOSOMATISCH LERNZIELE Nach der Bearbeitung dieser Lektion werden Sie wissen, … – was sich hinter dem Begriff Autismus verbirgt. – welche Symptome eine Depression und ein Burn-out anzeigen und welche Behand- lungsmöglichkeiten existieren. – was Schizophrenie ist. – wie es zur Suchtmittelabhängigkeit kommen kann und welche Therapieansätze es gibt. – was Zwangsstörungen sind. 4. KRANKHEITSBILDER – PSYCHISCH/ PSYCHOSOMATISCH Einführung Psychische Krankheitsbilder sind Störungen der Psyche bzw. krankhafte Veränderungen der Psyche eines Menschen. Dazu zählen u. a. (Deutsches Institut für Medizinische Doku- mentation und Information 2017d): organische, einschließlich symptomatischer psychischer Störungen; psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen; Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen; affektive Störungen und Intelligenzstörungen. Bei psychosomatischen Krankheitsbildern werden psychische und somatische Störungen als Ursache für eine körperliche oder psychische Erkrankung angenommen. Das bedeutet auch, dass hier eine multidisziplinäre Behandlung erfolgen muss (Pschyrembel 2013, S. 2033f.). Beispiele hierfür sind atopisches Ekzem (Neurodermitis), Colitis ulcerosa (eine chronisch-entzündliche Dickdarmerkrankung) oder Depression. 4.1 Autismus Autismus bzw. Autismus-Spektrum-Störung ist eine seit frühester Kindheit auftretende tiefgreifende Entwicklungsstörung (Schneider 2015; Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e. V. et al. 2016, S. 13). Sie „stellt eine grundlegende, situationsübergreifende, lebenslange Beeinträchtigung dar“ (Schnei- der 2015). Die Diagnose beruht ausschließlich auf Beobachtung des Verhaltens sowie einer Entwick- lungsanamnese, da keine laboratorischen Testverfahren existieren. Typische Symptome, sogenannte „Kernsymptome“ (Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e. V. et al. 2016, S. 13), sind kommunikative und soziale Schwierigkeiten (Sprachentwicklung oft verzögert, Schwie- rigkeiten in dem Erkennen von Gestik, Mimik etc. sowie grundsätzliche Schwierigkeiten bei zwischenmenschlichen Beziehungen) und repetitive, eingeschränkte, stereotype Verhaltensmuster, bevorzugte ritualisierte Aktivi- täten und Interessen, starke Abneigung bzw. Schwierigkeiten im Umgang mit veränder- ten Tagesabläufen und Lebensumständen. 42 Häufig sind die kognitiven Fähigkeiten allgemein eingeschränkt, dies muss aber nicht zwangsläufig der Fall sein. So weisen Betroffene des Asperger-Syndroms häufig keine kog- nitiven Einschränkungen auf, und zeigen mitunter sogar sogenannte Inselbegabungen (Freitag o.J.a, Schneider 2015, Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e. V. et al. 2016, S. 14). Als eine der häufigsten Ursachen werden genetische Veränderungen vermutet, die zu Fehl- entwicklungen und -funktionen des Gehirns führen. Aus diesem Grund sind auch Verhal- tens- und Intelligenzauffälligkeiten bereits in frühester Kindheitsentwicklung bemerkbar. Allerdings scheinen auch Alter oder Vorerkankungen der Eltern (vor allem psychische Stö- rungen bei der Mutter) und andere sozioökonomische Risikofaktoren eine Rolle zu spielen (Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychothe- rapie e. V. et al. 2016, S. 56ff.). Männliche Kinder sind mit einem Verhältnis von durchschnittlich (je nach Studie) 3:1 häu- figer betroffen als weibliche Kinder (Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychi- atrie, Psychosomatik und Psychotherapie e. V. et al. 2016, S. 25). Nach neuesten Studien geht man von einer Prävalenz von ca. 1 % für dieses Krankheitsbild aus. Prävalenz Dies bezeichnet die Häu- figkeit einer Erkrankung Klassifizierung früher und heute in der Bevölkerung (nicht zu verwechseln mit Inzi- denz: Anzahl der Neu- Kindliche Entwicklungsstörungen mit autismusähnlichen Symptomen wurden bereits erkrankten). Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts von Theodor Heller (Pädagoge, 1908), Eugen Bleuler (Psychiater, 1911) und Leo Kanner (Kinderpsychiater, 1943) beschrieben. Der Begriff „Autismus“ (autós [griech.]: selbst) wurde sowohl von Bleuler als auch dem Psychoanalyti- ker Sigmund Freud für sozial und kommunikativ beeinträchtigte Personen verwendet, allerdings hat die damalige Auffassung des Krankheitsbegriffes „Autismus“ heute ihre Gül- tigkeit verloren. Im derzeit noch aktuellen ICD-10-GM (International Classification of Diseases 10 German Modification) werden drei Subtypen unter der Kategorie „F84.- Tief greifende Entwick- lungsstörungen“ unterschieden (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2020b): F84.0 Frühkindlicher Autismus, F84.1 Atypischer Autismus, F84.5 Asperger-Syndrom. Die Einteilung dieser Klassifikation richtet sich nach dem in den USA standardmäßig ver- wendeten DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, ein Klassifikations- system in Form eines Handbuchs für die Kategorisierung und Beschreibung von psychi- schen Störungen). Seit der vollständigen Überarbeitung und Einführung des DSM-5 im Jahr 2013 wurde allerdings aufgrund neuester Erkenntnisse die Klassifizierung aller Unter- gruppen autistischer Störungen in eine einzige Kategorie „Autismus-Spektrum-Störung (ASS)“ überführt (Schneider 2015, Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiat- rie, Psychosomatik und Psychotherapie e. V. et al. 2016, S. 15). Dies soll in die neue, derzeit noch nicht fertige ICD-11 übernommen werden (Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e. V. et al. 2016, S. 14). 43 Aktuelle empirische Studien (neurobiologische, kognitive und klinische Untersuchungen) legen diese neue Klassifizierung nahe, da eine Unterscheidung zwischen den einzelnen Unterklassen nicht sicher durchführbar zu sein scheint (Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e. V. et al. 2016, S. 18). Dem Dimensionalen trägt eine dimensionale Diagnostik Rechnung, im Gegensatz zur üblichen kategorialen Diagnostik Diagnostik. In dieser ist die Ausprä- gung (schwach bis stark, entlang eines Kontinu- Grundsätzlich lässt sich jedoch festhalten, dass nur das Zusammentreffen der Kernsymp- ums, oft mehrdimensio- tome die Diagnose ASS zulässt (Schneider 2015). Einzelne Merkmale können auch bei nal) einer Symptomatik bzw. einer Störung aus- anderen Störungen auftreten, eine differenzialdiagnostische Abklärung ist hier zwingend. schlaggebend. Kategoriale Diagnostik Therapie Diese meint eine eindeu- tige Klassifizierung bzw. Zuordnung zu einer Diag- Autismus-Spektrum-Störungen können nicht kausal (causa [latein.]: Ursache) therapiert nose: Krank/Nichtkrank- bzw. geheilt werden. Allerdings können mithilfe von Verhaltens- oder Ergotherapien Kategorisierung. motorische, sprachliche und kognitive Fähigkeiten trainiert und somit verbessert werden (Freitag o. J.). Ziel ist es, das Leben der Betroffenen in ihrem sozialen Umfeld dadurch zu erleichtern. Allerdings müssen je nach Schweregrad und Alter der Patienten auch psychotherapeuti- sche oder medikamentöse Therapien in Erwägung gezogen werden. Zu den medikamen- tösen Mitteln zählen u. a. atypische Antipsychotika (bei Selbst- oder Fremdagression) oder Antiepileptika (bei Epilepsie als [häufige] Begleiterkrankung). 4.2 Depression und Burn-out Depression Depressionen gehören mit einer Prävalenz von 5 % zu den häufigsten Erkrankungen im Bereich psychiatrischer Störungen (Wittchen et al. 2010, S. 7; Vorderholzer/Pycha o. J.a), wobei Frauen etwa doppelt so häufig betroffen sind wie Männer. Depressionen werden zu den affektiven (gefühlsbetonten) Störungen gezählt, die wiederum in unipolare oder bipo- lare Störungen unterteilt werden. Bipolare Störungen zeichnen sich durch einen Wechsel Manie von depressiven und manischen Phasen aus, unipolare Störungen haben ausschließlich Diese bezeichnet eine depressive oder manische Phasen (Vaupel/Schaible/Mutschler 2015, S. 891). affektive Störung mit - multifaktorieller Ursache: genetisch, psychologisch, Depressive Phasen können einmalig oder rezidivierend (wiederkehrend) auftreten. Die neurobiologisch und häufigste Form affektiver Störungen ist die rezidivierende depressive Störung. umweltbedingt. Symp- tome: Euphorie, Labilität, Größenwahn, Schlaflosig- Symptome und Ursachen keit, Rededrang etc. (Vau- pel/Schaible/Mutschler 2015, S. 891). Obwohl in der Gesellschaft weit verbreitet als Ausdruck für eine negative Stimmungslage und traurige Gefühlssituation, weicht die Definition einer echten klinischen Depression nach ICD-10 und DSM etwas davon ab. Die Kriterien für die Diagnose „Depressive Episode“ bzw. „Major Depression“ sind tatsächlich ungleich härter: 44 1. Die Symptome müssen mindestens zwei Wochen lang vorliegen. 2. Sie müssen bedeutsam und ausgeprägt sein. 3. Sie müssen eine deutliche Veränderung gegenüber dem normalen Befinden darstel- len (Wittchen et al. 2010, S. 9f.). Klinisch elementare Symptome sind hierbei u. a.: Niedergeschlagenheit/Traurigkeit, Verlust von Interesse und Freude, Schlaflosigkeit, Müdigkeit oder Energieverlust an fast allen Tagen, Appetitverlust etc. Differenzialdiagnostisch müssen erst einige Erkrankungen (organisch und psychisch) aus- geschlossen werden, da diese Symptome auch als Begleiterkrankungen auftreten können (z. B. Demenz, Morbus Parkinson, Schizophrenie etc.). Ursächlich wird eine Kombination aus verschiedenen Faktoren angenommen. Dazu gehö- ren eine genetische Komponente sowie neurobiologische, psychologische und umweltbe- dingte Komponenten (Vaupel et al. 2015, S. 891). Neben einer genetischen Veranlagung (familiäre Häufigkeit), die vermutlich zu einer erhöhten Vulnerabilität der Risikopersonen gegenüber umweltbedingten Stressoren (psy- chosoziale Belastungen wie Stress, Krankheit etc.) führt, gibt es auch Hinweise auf neuro- biologische Stoffwechselstörungen. Hier spielen krankhaft erniedrigte Konzentrationen von Neurotransmittern (Botenstoffe der Neuronen, an der Signalübertragung beteiligt) wie Dopamin, Serotonin oder GABA (gamma-Aminobutyric acid [engl.]: gamma-Aminobut- tersäure) scheinbar eine wichtige Rolle. Gut wirksame Pharmazeutika, sogenannte Antide- pressiva, greifen an dieser Stelle in den Stoffwechselprozess ein und erhöhen die Konzent- ration dieser Neurotransmitter (Wittchen et al. 2010, S. 14ff.; Vorderholzer/Pycha o. J.b). Therapie Grundsätzlich können depressive Episoden mithilfe medikamentöser und/oder therapeu- tischer Mittel gut behandelt werden (Vorderholzer/Pycha o. J.b). Zu den therapeutischen Maßnahmen gehören u. a. Verhaltenstherapien und tiefenpsychologische Psychotherapie. Medikamentöse Mittel sind sehr häufig sogenannte Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (erhöhen die Serotonin-Konzentration durch Blockade des entsprechenden Wiederauf- nahmerezeptors im synaptischen Spalt) und andere ähnlich wirkende Psychopharmaka. Synaptischer Spalt Auch pflanzliche Mittel wie Johanniskraut können bei leichten depressiven Phasen einge- Dieser befindet sich zwi- schen der Prä- und Post- nommen werden. synapse zweier Neuro- nen. Die Allerdings liegt die Gefahr für ein erneutes Auftreten einer depressiven Episode bei über 50 Signalübertragung findet hier durch sog. Neuro- %, vor allem bei Absetzen der Behandlung ohne ärztlichen Rat (Wittchen et al. 2010, S. transmitter (u. a. Seroto- 28ff.;Vorderholzer/Pycha o. J.b). nin oder GABA) statt. Eine Konzentrationserhöhung von Serotonin im synapti- schen Spalt bewirkt eine - bessere Signalübertra- gung. 45 Burn-out Entgegen der gesellschaftlichen Meinung ist Burn-out keine Diagnose gemäß ICD-10 und DSM-5. Obwohl es medizinisch anerkannte Symptome gibt, die als Beschwerdebild sehr häufig vorkommen, existiert bis heute keine allgemein gültige Definition (Hillert/Vorder- holzer o. J.a). Tabelle 5: Zentrale Symptome eines Burn-out-Syndroms Symptome Weitere mögliche Anzeichen (u. a.) emotionale Erschöpfung und anhaltende Müdig- Konzentrations- und Gedächtnisprobleme keit Schlafstörungen, Erschöpfung reduzierte persönliche Leistungsfähigkeit Initiativmangel, Gleichgültigkeit, Entscheidungs- Depersonalisation (zynisch-distanzierte, nega- unfähigkeit tive Einstellung gegenüber Kunden/Schülern/ familiäre oder partnerschaftliche Schwierigkei- Klienten) ten ein Gefühl mangelnder Anerkennung vermehrtes Rauchen, Atembeschwerden, Enge- gefühl in der Brust etc. Quelle: erstellt im Auftrag der IU, 2018 in Anlehnung an Hillert o. J.b und c. Neben den drei zentralen Symptomen, die überwiegend vorkommen können (