DiF I - VL3

• Die Vorlesung behandelt die Grundlagen der Diagnostik in pädagogischen Handlungsfeldern und konzentriert sich auf diagnostische Verfahren.
• Die Inhalte und Materialien sind urheberrechtlich geschützt und dürfen nur für persönliche, universitäre Zwecke genutzt werden.
• Zuwiderhandlungen können zivil- und strafrechtlich verfolgt werden.

Überblick über die Themen

• Überblick über diagnostische Verfahren
• Informationen zur Lebenssituation
• Verhaltensbeobachtung
• Selbst- und Fremdbericht
• Psychometrische Verfahren
• Unimodale vs. Multimodale Diagnostik

Diagnostische Informationen

• Ziel der (Psycho-)Diagnostik ist das systematische Sammeln und Aufbereiten von Informationen.
• Es geht um die Erfassung relevanter (psychologischer) Merkmale wie Wissen, Intelligenz, Persönlichkeit und Motivation.
• Diagnostisch relevante Informationen können durch ASOF-Verfahren erfasst werden.
• ASOF Verfahren sind: Informationen zur Lebenssituation, Beobachtungsdaten, Selbst- und Fremdberichte und objektive Testdaten.
• Weitere diagnostische Informationen: Befragung (schriftlich oder mündlich), objektive Leistungstests, Verhaltensbeobachtung, (Reaktions-)Zeitmessungen, physiologische Messungen.

Informationen zur Lebenssituation

• Erhebung über objektive Außenkriterien wie Geschwisterzahl, Geburtsposition, sozioökonomischer Status, Schulausbildung.
• Informationen zur Lebenssituation umfassen biographische Daten.

Direkte Selbstauskunft

• Direkte Selbstauskunft bezieht sich auf Informationen der befragten Person.
• Sie kann sich auf objektive Daten (personenbezogene Fakten) oder subjektive Daten (z.B. Einstellungen, Meinungen, Interessen) beziehen.
• Die Erfassung kann mündlich (Interview) oder schriftlich (Fragebogen) erfolgen.
• Standardisierte Fragebögen erleichtern die Auswertung und Vergleichbarkeit der Ergebnisse.
• Selbstauskünfte eigenen sich nicht zur Leistungserhebung.

Psychologische Testverfahren

• Leistungstests eignen sich zur Leistungsbeurteilung.
• Erfassung von Kompetenzen/Fähigkeiten durch objektiv richtige/falsche Antworten.
• Es wird maximales Verhalten erfasst, Dissimulation ist möglich.
• Beispiele: Intelligenztests, Schulleistungstests.
• Persönlichkeitstests eignen sich nicht zur Leistungsbeurteilung.
• Sie erfassen Persönlichkeitsmerkmale, Einstellungen, Interessen und die resultierende Selbstauskunft.
• Es werden keine richtigen/falschen Antworten erfasst, sondern individuelle Merkmalsausprägungen.
• Es besteht die Gefahr von Antworttendenzen/Verfälschungsmöglichkeiten.
• Beispiele: Erfassung von Leistungsängstlichkeit, Leistungsmotivation.

Wissenschaftliche Beobachtung

• Diagnostische Verfahren setzen eine konkrete Fragestellung voraus.
• Die Beobachtung sollte Gütekriterien genügen:
• Objektivität: Durchführung, Auswertung und Interpretation sind unabhängig vom Beobachter.
• Reliabilität: Beobachter kommen wiederholt zum gleichen Ergebnis.
• Validität: Die Beobachtung bildet den Interessenbereich ab und kann die Fragestellung gültig beantworten.

Verschiedene Beobachtungsformen

• Unsystematisch vs. systematisch (standardisiert)
• Nicht-teilnehmend vs. teilnehmend
• Offen vs. verdeckt
• Im Feld vs. im Labor
• Selbstbeobachtung vs. Fremdbeobachtung

Registrieren der Beobachtung

• Qualifizierung (Welches Verhalten wird gezeigt?)
• Indexsystem:
  • Offenes System, in dem verschiedene Verhaltensäußerungen während der Beobachtung gleichzeitig auftreten können.
  • Es ist nicht vollständig und kann beliebig erweitert werden.
  • Wichtig ist, alle interessierenden Merkmale in das System aufzunehmen.
• Kategoriensystem:
  • Geschlossenes System, in dem sich Kategorien gegenseitig ausschließen.
  • Während der Beobachtung kann nur eine Verhaltenskategorie innerhalb des Systems auftreten.
  • Die Kategorien decken das interessierende Verhalten vollständig ab.
• Quantifizierung (Wie ausgeprägt ist ein bestimmtes Verhalten?): Ausmaß/Häufigkeit/Dauer eines Verhaltens wird festgehalten.

Niedriginferente vs. Hochinferente Urteile

• Niedriginferente Urteile:
  • Der Grad der Schlussfolgerungen durch den Beob achter wird möglichst geringgehalten.
  • Kodierer wenden die vorgegebenen Regeln an, ohne viele verschiedene Informationen integrieren und bewerten zu müssen.
• Hochinferente Urteile:
  • Bestehen meist aus einem Gesamturteil, das mehrere verhaltensnah definierte Indikatoren berücksichtigt.
  • Die Mischung der Einzelfacetten Im Gesamturteil verlangt ein hohes Ausmaß an Interpretationen und Schlussfolgerungen.
  • Jedoch ist, die unterschiedliche Interpretierbarkeit problematisch

Schritte bei der Verhaltensbeobachtung

• Was ist die Fragestellung und was soll beobachtet werden?
• Welche angemessenen Indikatoren gibt es?
• Wie registriert man das gezeigte Verhalten?
• Operationalisierung: Das zu beobachtende Merkmal messbar machen.
• In welcher Situation will man beobachten?
• Wer wird beobachtet und wie lange?
• Welche Hilfsmittel werden benötigt (z. B. Kamera, Stoppuhr)?
• Beobachtungsplan und Beobachtungsbogen werden erstellt.
• Was kann ich aus dem Beobachteten ableiten?
• Festlegen von Bewertungskriterien und Interpretationshilfen
• Beobachtung durchführen: Notizen auf Beobachtungsbogen.
• Einzelbeobachtungen anhand der festgelegten Bewertungskriterien zu einer Leistungsbeurteilung integrieren.
• Fragestellung beantworten oder weitere Informationen für diagnostisches Urteil sammeln.
• Güte überprüfen und Verfahren ggf. anpassen sowie weitere Voruntersuchungen durchführen.

Häufige Fehler bei der Verhaltensbeobachtung

• Wahrnehmungsfehler (Einflüsse von Erwartungen, Einstellungen)
• Erinnerungsfehler
• Interpretation statt Beobachtung.

Selbst- und Fremdbericht

• Selbstberichte: Die Person selbst gibt Auskunft über ihr Verhalten.
• Erhebung im Rahmen des diagnostischen Gesprächs oder durch Fragebögen (z.B. zur Leistungsmotivation).
• Problem: Verfälschbarkeit durch unbewusste oder bewusste Selbstbeurteilungen.
• Kontrolle durch Lügenskalen oder Hinweis auf ehrliche Beantwortung.
• Fremdberichte: Eine andere Person gibt Auskunft über das Verhalten des Probanden.
• Erhebung durch Befragung (Gespräch mit Bezugspersonen) oder durch Fragebögen.
• Problem: Verfälschbarkeit durch Beurteilerfehler.

Objektive Testdaten

• Nicht verfälschbare Resultate von Messungen des Verhaltens unter standardisierten Bedingungen.
• Testergebnisse unterliegen jedoch auch Schwankungen.

Beispiele für objektive Testdaten

• Anzahl der gelösten Aufgaben in Intelligenztests
• Latenzzeit bei Reaktionsaufgaben
• Konzentrationstests
• Pulsfrequenz, Hautwiderstand, Alkoholspiegel
• Ergebnisse von Klausuren/Klassenarbeiten

Psychometrische Testdaten

• Ein Test ist ein wissenschaftliches Routineverfahren, um Persönlichkeitsmerkmale quantitativ auszudrücken (Lienert, 1969).

Typische Psychologische Tests/Verfahren

• Allgemeine Intelligenz- und Begabungstests: Feststellung der kognitiven Leistungsfähigkeit, Tests für medizinische Studiengänge.
• Spezielle Fähigkeitstests: Feststellung von Lese-Rechtschreibschwäche, Schulleistungstests
• Entwicklungs- und Reifetests: Feststellung des Entwicklungsstandes von Kindern/Jugendlichen im Vergleich zur Altersgruppe
• Verfahren zur Messung motivationaler und emotionaler Lern- und Leistungsvoraussetzungen: Fragebögen zur Prüfungsängstlichkeit/Leistungsmotivation
• Persönlichkeitstests
• Standardisierte Interviews

Testverfahren

• Situationen/Reize, auf die reagiert werden soll (Aussagen, Aufgaben, Reize)
• Testmaterial: computergestützt, Paper-Pencil, Bildertests
• Verwendung von Sprache: verbal oder nicht-verbal
• Setting: Einzel- oder Gruppentest
• Dimensionen: ein- oder mehrdimensional
• Strukturiertheitsgrad: hoch bis niedrig
• Zeitliche Komponente: Speedtest oder Powertest

Arten von Tests

• Grundintelligenztest Skala 2 – Revision (CFT 20-R; Weiß, 2008)
  • Nonverbaler Intelligenztest
    • Wichtigste Info: nicht lernabhängige Intelligenz
    • Ziel: Erfassung der Grundintelligenz
    • Aufbau: zwei gleichartig aufgebaute Testteile mit vier Untertests
    • Altersbereich: 8;5 bis 60;0 Jahre
• Würzburger Leise Lese-Probe (WLLP; Küspert & Schneider, 1998)
• Sprachentwicklungstest für 3-5-jährige Kinder (SETK 3-5; Grimm et al., 2010)
  • Sprachentwicklungstest
    • Entwicklungs- und Reifetests bei kleinen Kindern eher durchführen (unter 5 Jahren)
    • Ziel: Erfassung von rezeptiven und produktiven Sprachverarbeitungsfähigkeiten sowie auditive Gedächtnisleistungen
    • Aufbau: 4 oder 5 Untertests (je nach Alter)
    • Altersbereich: 3;0 – 5;11

Leistungsbeurteilung in der Schule

• Unter Schulleistung versteht man die von der Schule initiierten Lernprozesse und Lernergebnisse der Schüler.
• Methoden zur Erfassung der Schulleistung: Klassenarbeiten, mündliche Prüfungen, standardisierte Schulleistungstests.

Persönlichkeitstests in den Medien

• Vorsicht ist geboten, da viele schlechte Tests im Umlauf sind, die Sprache anders verwenden oder nicht validiert wurden.
• Gute Beispiele sind:
  • https://www.truity.com/test/holland-code-career-test
  • https://www.truity.com/test/type-finder-personality-test-new
  • https://iqtest.sueddeutsche.de/set task
• Es sollte darauf geachtet werden, ob Vergleiche (Normierungsstichprobe) aus anderen Teilnehmern eine repräsentative Stichprobe bilden une es sollten Angaben zu Gütekriterien vorliegen.

Auswahl von Testverfahren

• Name des Tests (Abkürzung, voller Name)
• Erscheinungsjahr
• Merkmale des Tests (Speed-, Power-, Gruppen-, Einzeltest)
• Theoretischer Hintergrund
• Welche Merkmale sollen erfasst werden?
• Unter welchen Voraussetzungen ist die Anwendung des Tests sinnvoll?
• Gibt es Hinweise zur Kontraindikation?
• Welche anderen diagnostischen Verfahren sind ebenfalls geeignet, Informationen zur Klärung der Hypothesen zu liefern?
• Die Qualität von psychometrischen Tests lässt sich an den Gütekriterien Objektivität, Reliabilität, Validität und Normierung ablesen.
• Standardisierte Verfahren kommen zum Einsatz, wenn nach Gespräch und Beobachtung weitere Daten zur Problemlösung benötigt werden.
• Die Lehrkraft muss mit dem Verfahren vertraut sein (Einarbeitung, Einübung oder Schulung) und sich über Gefahren der unsachgemäßen Nutzung bewusst sein.
• Informationen zu Testverfahren: Hogrefe Testzentrale, Testothek an der TU Dortmund.

Diagnostik am Beginn von Klasse 5

• Diagnostische Verfahren: Schulleistungstests (verschiedene Bereiche), Lesetests, Rechtschreibtests, Rechentests, Erfassung der Lernmotivation.
• Auf Basis der Ergebnisse passende Förderung auswählen und den Unterricht anpassen.

Unimodale/Multimodale Diagnostik

• Unimodal: Zur Beschreibung eines Merkmalsbereichs wird nur eine Erfassungsmethode herangezogen (z. B. Leistungsmotivation ausschließlich durch Fragebogen).
• Multimodal: zur Erfassung eines Merkmalsbereichs werden verschiedene Zugangsweisen herangezogen (z.B. Leistungsmotivation durch Selbstbericht, Verhaltensbeobachtung und Fremdbericht).
• Informationen aus einer Datenquelle können immer durch Informationen aus anderen Quellen relativiert werden und es sollten immer mehrere Informationsquellen einbezogen werden

Diagnostik der Unterrichtsqualität

• Selbstbeurteilung des Unterrichts durch die Lehrkraft (Checklisten, Selbstbefragung, Audio-/Videoprotokolle).
• Fremdbeobachtung/-beurteilung (Hospitation) durch Kollegen.
• Einholen von Schüler-Feedback (Fragebögen zu Qualitätsmerkmalen, Unterrichtsklima etc.).

Fazit

• Verschiedene Situationen machen explizite Diagnostik im Schulkontext notwendig.
• Pädagogisch-Psychologisches Hintergrundwissen und Anwendungswissen zu diagnostischen Verfahren sind Voraussetzung für eine zielgerichtete Diagnostik.

Fragen, die nach der heutigen Sitzung beantwortet werden können

• Welche unterschiedlichen diagnostischen Informationsquellen werden unterschieden?
• Beispiele für objektive Daten und deren Kennzeichen
• Was muss bei wissenschaftlichen Beobachtungen beachtet werden?
• Was sind typische psychodiagnostische Testverfahren?
• Worin unterscheiden sich Selbst- und Fremdbericht und was sind ihre Vor- und Nachteile?
• Was versteht man unter multimodaler Diagnostik?