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Pädagogische Hochschule Salzburg Stefan Zweig
Ulrike Kipman
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This document discusses the concept of Theory of Mind (ToM), focusing on the developmental aspects. It explores the different stages and abilities associated with ToM, explaining both implicit and explicit components and how to assess it in children and adolescents.
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3 Theory of Mind Ulrike Kipman Dieser Beitrag beschreibt die Fähigkeit „Theory of Mind“ (ToM) und betrachtet sie aus entwicklungspsychologischer Perspektive. Ferner werden klassische Experimente sowie typische Irrtümer, denen (Klein-)Kinder entwicklungsbedingt unterliegen, vorg...
3 Theory of Mind Ulrike Kipman Dieser Beitrag beschreibt die Fähigkeit „Theory of Mind“ (ToM) und betrachtet sie aus entwicklungspsychologischer Perspektive. Ferner werden klassische Experimente sowie typische Irrtümer, denen (Klein-)Kinder entwicklungsbedingt unterliegen, vorgestellt. Susi, hast du eine Schwester? Ja. Wie heißt sie? Marlen. Und hat Marlen eine Schwester? Nein. 1 Einleitung Die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme (referentielle Kommunikation, Reflexion auf Bezugssysteme, affektive Perspektivenübernahme) und das rekursive Denken wer- den im vorliegenden Beitrag aufgegriffen und erläutert. Weiter werden pädagogi- sche Methoden angeboten, um im Rahmen des Schulunterrichts die explizite und implizite ToM feststellen zu können. Zudem wird gezeigt, wie man handlungsori- entiert im Rahmen des Schulunterrichts an der sozialen Bewusstheit, der sozialen Kognition, der sozialen Kommunikation und der sozialen Motivation von Kindern und Jugendlichen mit schwacher Ausprägung der Theory of Mind arbeiten kann. Dies kann insofern ein Beitrag zur Lehrergesundheit sein, da ein besseres Wissen über dieses Phänomen zu einem reflektierten Umgang mit den Schülerinnen und Schülern bei Konflikten führen kann und Missverständnisse zwischen Kindern oft besser durchschaut und schneller geklärt werden können. 2 Theory of Mind – Was ist das? ToM bezeichnet die Fähigkeit, eigene mentale Zustände (z.B. Gedanken, Gefüh- le, Absichten) als auch jene anderer Personen zu erkennen und die gewonnenen Informationen nutzen zu können (Premack & Woodruff, 1978; Bischof-Köhler, 2011; Förstl, 2012). Es kann unterschieden werden zwischen der impliziten und Theory of Mind | 45 der expliziten ToM: Die implizite Komponente umfasst primär unbewusste und intuitive Aspekte, die explizite Komponente setzt kognitive und sprachliche Hand- lungskompetenz voraus und befähigt uns zum Erkennen von Absichten, Gedan- ken, Wünschen und Gefühlen anderer in sozialen Interaktionen (Paschke-Müller, Biscaldi, Rauh, Fleischhaker & Schulz, 2012; Bischof-Köhler, 2011; Förstl, 2012). Die Theory of Mind wird im Bereich der Psychologie im Rahmen der Abklärung von ADHS und von möglichen Autismus-Spektrum-Störungen (u.a. Asperger-Au- tismus) im Rahmen der Entwicklungsdiagnostik sowie zur Diagnostik im neurolo- gischen und geriatrischen Gesundheitsbereich regelmäßig getestet. Auch im päda- gogischen Bereich gibt es Verfahren, mit welchen Lehrkräfte arbeiten (können), um Informationen zur Fähigkeit der sozialen Perspektivenübernahme von Schülerin- nen und Schülern zu bekommen und somit Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern, z.B. bei Gruppenarbeiten richtig begegnen zu können. Geprüft wird die Fähigkeit, Absichten anderer zu erkennen und entsprechende Handlungen davon abzuleiten, also vor allem, ob die Testpersonen mentale Zustände anderer erschließen können. Um die erwartete Fähigkeit zur ToM richtig einschätzen zu können, ist nötig, vorab zu klären, welche Fähigkeiten sich in welchem Alter entwickeln. 3 Entwicklungsstufen der ToM (1) Babys erkennen sich spätestens mit einem Alter von ca. 1,5 Jahren selbst im Spiegel (Versuch: Roten Punkt auf die Stirn geben und das Kind in den Spiegel schauen lassen, wischt das Kind bei sich selbst, ist diese Fähigkeit vorhanden). In diesem Alter lernen sie außerdem, Empathie für ihre Mitmenschen aufzu- bringen und die eigenen Emotionen und Wünsche von denen anderer Per- sonen zu differenzieren. Aufbauend darauf verstehen die Kinder zunehmend besser, dass das menschliche Verhalten von inneren Bedürfnissen und Zielen geleitet wird (Bischof-Köhler, 2011; Förstl, 2012; Haug-Schnabel & Bensel, 2017). (2) Kinder im Alter von 2 bis 3 Jahren sind in der Lage, einfache mentale Zustände (Wünsche, Emotionen und Intentionen) zu deuten. Sie sind zu einer einge- schränkten Rollenübernahme fähig (Bischof-Köhler, 2011; Förstl, 2012). (3) Kinder mit etwa 4 Jahren können zwischen ihrem eigenen mentalen Status und dem Status von anderen Menschen unterscheiden. Sie verstehen, dass jeder Mensch die Welt in einer anderen Art und Weise wahrnimmt und begreifen, dass sich das eigene Wissen von dem anderer unterscheiden kann. Sie wissen jetzt auch, dass sich mentale Repräsentationen der Realität verändern können und dass diese nicht immer richtig sein müssen. Damit verbunden ist die Fä- higkeit, andere Personen absichtlich in die Irre zu führen, indem man bei ih- nen absichtlich falsche Repräsentationen erzeugt (Bender & Beller, 2013). Diese Phase ist die spannendste und zeichnet sich durch die folgenden Kompetenzen 46 | Ulrike Kipman aus: das Verstehen falscher Überzeugungen (false beliefs), das Auseinanderhalten von Schein und Sein (appearance reality distinction) sowie die Fähigkeit zum repräsentationalen Wandel (representational change). Diese drei Kompetenzen werden als Dimensionen der ToM bezeichnet (Bender & Beller 2013; Bischof- Köhler, 2011; Förstl, 2012). Um vom Vorhandensein einer ToM sprechen zu können, müssen Kinder zudem mindestens sekundäre Repräsentationen bilden können: Dies bedeutet, dass sie Emotionen nicht nur selbst erleben und bei an- deren erkennen, sondern sie auch in Form von theoretischen Konzepten zum Teil ihrer Gedankengänge machen können (Fonagy & Target, 1996). In dieser Zeit verliert sich auch das sogenannte magische Denken (z.B. „Ich weiß, dass Kuscheltiere Gefühle haben; sie können zwar nicht wachsen, aber dazulernen.“ oder „Ein magischer Bus bringt meine Kuscheltiere jeden Tag in die Schule und wieder nach Hause.“). (4) Spätestens im Grundschulalter gelingt den Kindern die soziale Perspektiven- übernahme vollständig. Sie sind nun auch fähig, sich vorzustellen, was ein an- derer über einen Dritten oder über sich selbst denkt (Bender & Beller 2013; Bischof-Köhler, 2011; Förstl, 2012) (z.B. „Der Vater will mit dem Kind baden gehen, weil das Kind sich darüber freut“). (5) Kinder ab etwa 10 Jahren können auch die Perspektive einer dritten Person einnehmen und daraus die Ansichten von zwei Personen vergleichen (Bender & Beller 2013; Bischof-Köhler, 2011; Förstl, 2012). (6) Kinder ab etwa 12 Jahren haben die Fähigkeit, noch einen Schritt weiter zu denken: z.B. „Ich denke, dass du denkst, dass ich denke…“. (7) Im Erwachsenenalter ist man im Normalfall dann fähig, verschiedene Pers- pektiven zu relativieren und zu erkennen, dass Beurteilungen von subjektiven Einstellungen mitbestimmt werden können (Förstl, 2012; Haug-Schnabel & Bensel, 2017). 4 Funktionen der Theory of Mind Die ToM befähigt zu sozial angemessenem Verhalten und eine gut ausgeprägte ToM wirkt sich im Normalfall positiv auf die Kommunikation mit dem jeweiligen Gegenüber aus, da sie es ermöglicht, eigenes und fremdes Verhalten und Erleben zu verstehen, zu beschreiben und vorherzusagen (Bischof-Köhler, 2011; Förstl, 2012). Verschiedene Studien konnten zeigen, dass Kinder, die über eine hohe Ausprägung der ToM verfügen, ein besseres Konfliktverhalten zeigen, sich leichter in andere Rol- len hineinversetzen können und bei der Bewertung verschiedener Dilemmata auf einem höheren moralischen Level argumentieren als Kinder, die nur eine niedrige Ausprägung der ToM aufweisen (Lane, Wellman, Olson, LaBounty & Kerr, 2010; Dunn & Cutting, 1999). Ein signifikanter Zusammenhang mit Empathiefähigkeit konnte interessanterweise nicht festgestellt werden. Abgesehen von der Bedeutung Theory of Mind | 47 für zwischenmenschliche Interaktionen spielt die ToM auch für alltagspsychologi- sche Vorstellungen eine fundamentale Rolle: Beispielsweise können Schlüsse über die Beweggründe einer Person gezogen werden, sich in einer bestimmten Art und Weise zu verhalten (Bender & Beller, 2013). Defizite in der ToM-Ausprägung sind hingegen häufig bei verschiedenen psychiatrischen und psychologischen Störungs- bildern zu finden, wie Autismus-Spektrum-Störungen, ADHS, Schizophrenie, An- orexie und Alkoholabhängigkeit (Förstl, 2012). 5 Erfassung der ToM-Ausprägung Wie bereits im vorangegangenen Abschnitt erläutert, zeichnet sich die ToM ab dem vierten Lebensjahr durch drei Dimensionen (Verstehen falscher Überzeugungen, Diffe- renzieren zwischen Schein und Sein und Fähigkeit zum repräsentationalen Wandel) aus. Deren Ausprägung kann durch spezifische Fragen zur Fähigkeit zum Perspektiven- wechsel erfasst werden (Bender & Beller 2013; Bischof-Köhler, 2011; Förstl, 2012). Nachstehend finden sich einige typische Experimente, die sich im Zusammenhang mit der Messung der ToM bewährt haben und die auch von Lehrpersonen einfach durchgeführt werden können (psychisch gesunde Kinder im Grundschulalter soll- ten diese Aufgaben korrekt lösen können). Die vorgestellten Methoden eignen sich im schulischen Kontext sowohl zur Erkennung von potenziellen Defiziten, als auch zur allgemeinen Förderung von ToM-Kompetenzen. 5.1 Das 3-Berge-Experiment Beim sogenannten 3-Berge-Experiment nach Piaget (1974) geht es um die Einnah- me dreier Perspektiven. Zur Verfügung stehen ein Modell mit drei Bergen sowie die dazugehörigen Fotos aus jeder Perspektive. Pos. 2 Pos. 3 Pos. 1 Abb. 1: Das 3-Berge-Experiment (Stangl, 2019) 48 | Ulrike Kipman Zunächst wird das Kind an Position 1 gesetzt. Es soll aus mehreren Fotos dasjeni- ge aussuchen, das seine Perspektive darstellt. Wenn man das Kind fragt, wie eine Person in Position 2 oder 3 die Berge sehen würde, wird es wahrscheinlich die Posi- tion 1 (eigene Perspektive) angeben. Dies auch dann, wenn es zu den Positionen 2 und 3 geführt wird, um diese Perspektiven einmal selbst einzunehmen. Kinder mit einer schwachen ToM oder Kinder, die unter 4 Jahre alt sind, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit den Perspektivenwechsel nicht nachvollziehen können. Als Lehrkraft kann man das Modell zum Beispiel mit Knetmasse oder mit kinetischem Sand nachstellen und die Fotos für alle drei Perspektiven vorgeben. 5.2 Fotoversuch Wenn das räumliche Denken noch nicht gut ausgebildet oder beeinträchtigt ist, kann überprüft werden, ob das Kind bereits die Fähigkeit der Perspektivenübernahme er- worben hat: Das Kind bekommt ein Foto auf den Tisch gelegt, das es gut anschauen kann, während gegenüber eine andere Person sitzt. Geprüft wird: Ist es schon in der Lage zu erfassen, dass sein/ihr Gegenüber das Bild auf dem Kopf herum sieht? Zu erwarten ist diese Fähigkeit ab einem Alter von ca. 4 Jahren (Bischof-Köhler, 2011). 5.3 Das Schokoladenexperiment/Change of location task (CLT) Beim Schokoladenexperiment (Wimmer & Perner, 1983) wird mittels eines Pup- penspiels die Geschichte von einem Jungen namens Maxi erzählt, der daheim auf die Ankunft seiner Mutter wartet. Als diese schließlich vom Einkauf zurückkehrt, hilft Maxi ihr beim Einräumen der Lebensmittel. Er legt u.a. eine Schokoladentafel in einen blauen Küchenschrank. Anschließend verlässt er das Haus, um draußen zu spielen. Währenddessen backt die Mutter einen Kuchen. Dazu verwendet sie einen Teil der Schokoladentafel. Den Rest der Tafel legt sie in einen grünen Küchenschrank. Danach verlässt die Mutter das Haus, um bei den Nachbarn nach Eiern zu fragen. In dieser Zeit kehrt Maxi zurück und geht mit dem Ziel in die Küche, ein Stück der leckeren Schokolade zu naschen. Die Geschichte endet an dieser Stelle und die Versuchsperson wird gefragt, in welchem Schrank Maxi nach der Schokolade suchen wird. Wenn das befragte Kind trotz des Wissens darüber, dass die Schokolade sich nun im grünen Küchenschrank befindet, die richtige Antwort „im blauen Schrank“ gibt, scheint es zu verstehen, dass Maxi fälschlicherweise davon ausgeht, dass sich die Schokoladentafel noch an dem Ort befindet, wo er sie ursprünglich hingelegt hat. Nahezu alle 3-Jährigen antworten „im blauen Schrank“, während 40–80% der 4-5-Jährigen korrekt „im grünen“ antworten (Wimmer & Perner, 1983). Kinder un- ter 4 Jahren können also noch nicht zwischen ihrem eigenen Wissen und dem von anderen unterscheiden und scheinen somit noch keine ToM zu haben. 5.4 Der Smarties-Test/Deceptive container task (DCT) Beim Smarties-Test (Perner, Frith, Leslei & Leekam, 1989) wird den Kindern eine typische Schachtel Smarties gezeigt. Wenn sie daraufhin gefragt werden, was sich Theory of Mind | 49 in der Schachtel befindet, antworten sie „Smarties“ oder „Süßigkeiten“. Dann wird die Schachtel vor ihren Augen geöffnet und die Kinder sehen zu ihrer Überraschung einen Bleistift anstelle der erwarteten Süßigkeiten. Nach genauer Betrachtung des Inhaltes wird die Schachtel wieder geschlossen. Hiermit wird die ToM-Dimension false belief (falsche Überzeugung), ähnlich wie bereits beim change of location task (siehe oben), mit der Frage geprüft, was andere Personen, die nicht in die Schachtel schauen konnten, über deren Inhalt sagen würden (Perner et al., 1989). Geben Kinder noch im Grundschulalter an, dass eine andere Person glauben würde, dass ein Bleistift in der Schachtel sei, ist die ToM unterdurchschnittlich entwickelt. 5.5 Bilder Möglich ist es auch, den Kindern Bilder zu zeigen, auf denen beispielsweise ein Kind auf einem Karussell sitzt und eines zum Karussell hinläuft. Man fragt das Kind, welches der Kinder Karussell fahren will und welches Kind Karussell fährt (Verständnis der Absicht prüfen). Wenn Kinder antworten, dass nur das Kind, das die Handlung bereits ausführt, auch die Absicht dazu hat, dann ist die ToM noch nicht vollständig entwickelt (Bischof-Köhler, 2011). Zusätzlich zu den oben ge- nannten Methoden gibt es inzwischen auch normierte psychologische Testverfah- ren zur Messung der ToM in digitaler oder gedruckter Form. 6 Das rekursive Denken Interessant ist auch die Weiterführung der ToM im Sinne des rekursiven Denkens, welches sich bei Kindern im Grundschulalter langsam entwickelt. Kinder in die- sem Alter beurteilen Motive nun mit und bewerten absichtliches Verhalten strenger als fahrlässiges Verhalten. Unterschieden wird in diesem Stadium zwischen dem 1-Loop-Denken (z.B. „Max glaubt, dass Eva denkt…“) und dem 2-Loop-Denken (z.B. „Elke denkt, dass Peter von Maria denkt, sie würde an ihn denken“). Das rekursive Denken ist zum Beispiel wichtig, um Spielstrategien zu durchschau- en. Am Beispiel eines Ratespiels mit UNO-Karten (immer 4 Kinder spielen ge- meinsam) kann dies veranschaulicht werden. Es geht darum, eine Treppe zu erklim- men. Gewonnen hat, wer zuerst 20 Schritte gegangen ist. Man kann die Eins, die Drei oder die Fünf wählen. Ist man die einzige Person, die diese Zahl (1, 3 oder 5) wählt, darf man die den Punkten entsprechende Zahl auf der Treppe gehen. Zu erwarten ist Folgendes: 6-jährige machen keine Vorhersage. 7–10-jährige denken, dass der oder die andere die 5 wählen wird, weil er oder sie möglichst weit gehen will, ein Motiv wird unterstellt. 11-jährige gehen davon aus, dass der oder die andere die 3 wählen wird, weil er oder sie sich denkt, dass er oder sie ihn nicht gewinnen lassen will und deshalb den höheren Wert nehmen wird (bei 2 gleichen Werten darf die Figur nicht ziehen). 50 | Ulrike Kipman 12-jährige gehen davon aus, dass der oder sie andere sich denkt, dass der oder die die 3 wählen wird, weil er oder sie sich denkt, dass er oder sie ihn nicht gewinnen lassen will und wählt die 5. 7 Möglichkeiten zur Förderung der ToM und des rekursiven Denkens Im Unterricht ergibt sich vielfach die Möglichkeit, über Geschichten zu sprechen. Man kann bei den Diskussionen immer wieder Fragen einbauen: „Wie geht es dem Mädchen?“ oder „Was denkt der Bub und warum?“ Zudem kann man die oben angeführten Experimente durchführen, die Kinder im Grundschulalter bereits meistern sollten und im Falle von Verständnis-Problemen, die richtigen Lösungen genau erklären und diese mit den Kindern besprechen. Ein Brettspiel, das demselben Prinzip wie dem oben erklärten Spiel mit den Karten folgt und zudem Nebenbedingungen enthält – man kann den anderen Spieler oder die andere Spielerin schlagen – heißt Mind Twist (Imagination Games, 2007). Es ist ein Spiel für 2 Personen, wobei ein Spieler oder eine Spielerin auf einem Rad die Zahl 1, 2 oder 3 einstellt und – wenn die Zahl von der anderen Person nicht erraten wird – so viele Felder wie gedreht fahren darf. Spieler oder Spielerin 1 darf so lange drehen und fahren, bis die andere Person die Zahl errät oder angibt, nicht raten zu wollen. Wenn Spieler oder Spielerin 2 angibt, auf das Raten verzichten zu wollen, darf Spieler oder Spielerin 1 noch einmal fahren, muss das Rad aber dann übergeben. Schlägt man den anderen Spieler oder die andere Spielerin, muss er oder sie zum letzten Checkpoint zurückfahren. Agent Undercover Ein anderes ideales Tool, um das rekursive Denken bei Kindern im Schul- alter spielerisch zu fördern, ist das Spiel „Agent Undercover“ (Ushan, 2014). Die- ses Spiel kann im Klassenverband einfach gespielt werden und eine Runde dauert max. 8 Minuten: 4 bis 8 Kinder spielen zusammen. Es werden Karten ausgeteilt, auf denen zu sehen ist, wo sich die Gruppe befindet (im Theater, im Restaurant, im Zug, im Flugzeug, auf einer Polarstation, …). Ein Spieler oder eine Spielerin bekommt eine blaue Karte (er oder sie ist der Agent Undercover) und weiß nicht, wo die Gruppe ist, darf dies aber nicht zu erkennen geben (die Gruppe weiß nicht, wer der Agent Undercover ist). Durch geschicktes Fragen muss die Gruppe innerhalb von 8 Minuten herausfinden, wer es ist. Agent Undercover muss derweil versuchen zu ermitteln, wo die Gruppe ist, ohne sich erkennen zu geben. Es wer- den reihum Fragen gestellt (der Empfänger der Frage kann frei gewählt werden). Spielt man das Spiel mehrfach, zeigt sich schnell eine Verbesserung des rekursiven Denkens. Theory of Mind | 51 Inkognito Ein weiterer Tipp für die häusliche und auch schulische Förderung (Grup- pensetting) des rekursiven Denkens und der ToM ist das Spiel „Inkognito“ (Randol- ph & Colovini, 1988), welches als Brettspiel (3 oder 4 Personen) und Kartenspiel (Randolph & Colovini, 1996) (bis zu 5 Personen) erhältlich ist. In diesem Spiel geht es darum, durch geschicktes Agieren den Spielpartner oder die Spielpartne- rin zu finden und gleichzeitig die Gegner und Gegnerinnen zu verwirren. Danach muss eine gemeinsame Mission ausgeführt werden. Sowohl bei der Partnersuche als auch beim Ausführen der Mission sind Kinder mit einer guten ToM klar im Vorteil. Durch das Spielen verbessert sich die Fähigkeit schnell (ausgenommen: es liegt eine psychische Erkrankung vor). Das Kartenspiel ist in den Regeln und der Spielzeit einfacher und schneller und erfordert deutlich weniger ToM-Kompetenzen als das Brettspiel. Kinder mit einer guten Fähigkeit zur Theory of Mind haben im sozialen S Miteinander einen Vorteil und gelten als sozial kompetent und emotional in- telligent, wobei hier anzumerken ist, dass Empathiefähigkeit und die Theory of Mind zwei unterschiedliche Konstrukte sind. Im Alter von vier Jahren sollten die Kinder schon über eine Theory of Mind verfügen und spätestens mit 12 Jahren sollte der Umkehrschluss: „ich denke, dass du denkst, dass ich denke…“ gelingen. Um festzustellen, ob die Theory of Mind oder die Weiterentwicklung der Theory of Mind in Form der Fähigkeit zur sozialen Perspektivenübernahme hinreichend vor- handen ist, können einfache Testverfahren verwendet werden. Stellt sich heraus, dass hier noch ein Entwicklungsfeld besteht, ist eine Förderung mit Spielen und Geschichten im schulischen Kontext sinnvoll. Literatur Bender, A. & Beller, S. (2013). Die Welt des Denkens. Kognitive Einheit, kulturelle Vielfalt. Bern: Huber. Bischof-Köhler, D. (2011). Soziale Entwicklung in Kindheit und Jugend. Stuttgart: Kohlhammer. Dunn, J. & Cutting, A.L. (1999). Understanding Others, and Individual Differences in Friendship Interactions in Young Children. Social Development, 8 (2), 201–219. Fonagy, P. & Target, M. (1996). Playing With Reality: I. Theory Of Mind And The Normal Develop- ment Of Psychic Reality. International Journal of Psycho-Analysis, 77, 217–233. Förstl, H. (Hrsg.) (2012). 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