Wahrnehmung - Pp Test Stoff 2024 PDF
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2024
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This document provides an overview of the perceptive process in psychology. It discusses how sensory input is processed by the brain, creating our personal understanding of the world. Additional information about individual differences and factors impacting perception are also covered.
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## Wahrnehmung ### 3.1 Der Prozess der Wahrnehmung * Dank unserer Wahrnehmungsfähigkeit können wir unsere Umwelt räumlich erfassen und uns orientieren. * Sie macht es möglich, dass wir uns an die sich ändernden Umweltbedingungen anpassen und dadurch angemessen agieren: * Es gelingt uns, beim F...
## Wahrnehmung ### 3.1 Der Prozess der Wahrnehmung * Dank unserer Wahrnehmungsfähigkeit können wir unsere Umwelt räumlich erfassen und uns orientieren. * Sie macht es möglich, dass wir uns an die sich ändernden Umweltbedingungen anpassen und dadurch angemessen agieren: * Es gelingt uns, beim Fahrradfahren unser Gleichgewicht zu halten, * wir weichen einem Auto auf der Straße rechtzeitig aus und * wir haben die notwendige Ausrüstung, um Diskussionen mitverfolgen zu können. * Im Folgenden wird gezeigt, wie es möglich ist, physikalische Reize so zu verarbeiten, dass sie für uns „verständlich“ sind, also als Farbe oder Geräusch wahrgenommen werden. **Definition** Als SENSOR (Sinneszelle, Rezeptor) bezeichnet man eine für die Aufnahme von Sinnesreizen spezialisierte Zelle. * Sie nimmt physikalische Reize aus der Umwelt auf und wandelt sie in Nervenimpulse um. **Objektive Wirklichkeit** * Um wahrnehmen zu können, müssen zunächst unsere Sensoren aktiviert werden. * In der objektiven Welt existieren keine Töne, Geräusche oder Gerüche. * Es ist das Gehirn, das sensorische Informationen aus der Außenwelt in sinnvolle Wahrnehmungen verwandelt. * Die Außenwelt vermittelt Informationen in Form physikalischer Reize, die wir über unsere Sinnesorgane erfassen. * Diese physikalischen Reize werden in Nervenimpulse umgewandelt. * Diese Nervenimpulse wiederum werden zu den Gehirnzentren weitergeleitet und in Empfindungen umgewandelt, die den verschiedenen Sinnesbereichen zugeordnet werden. * Im Gehirn werden diese zu subjektiven Eindrücken verarbeitet, indem sie mit Erinnerungen und Erfahrungen in Verbindung gebracht, entsprechend organisiert und schließlich interpretiert werden. * Die empfangenen Reize werden eingeordnet, indem ihnen eine Bedeutung gegeben wird: * Wir empfinden nicht einfach Farben, sondern sehen Bilder. * Wir hören nicht nur eine Mischung aus Tönen und Rhythmen, sondern erkennen darin eine Melodie aus Mozarts Zauberflöte wieder. * Die Summe bestimmter Informationen kann unser Gehirn auch zu einem Gesamtbild unseres Gegenübers verarbeiten: Wie unser Gegenüber riecht, wie es aussieht, welche Geräusche es von sich gibt, wie es sich anfühlt. * Die subjektive Wirklichkeit ist die Interpretation dieser Wahrnehmungen. | Reiz | Rezeptoren | Empfindung/Erleben | |---|---|---| | **sehen** | Lichtwellen | Stäbchen, Zapfen | Farben, Form, Bewegung, Tiere | | **hören** | Schallwellen | Haarzellen der Basilarmembran | Geräusche, Töne | | **fühlen** | Äußerer Kontakt | Nervenendigungen in der Haut | Berührungen, Schmerz, Wärme, Kälte | | **schmecken** | Substanzen | Geschmacksknospen | Geschmack (süß, sauer, salzig, bitter) | | **riechen** | Duftmoleküle | Haarzellen des olfaktorischen Epithels | Gerüche (moschusartig, blumig, verbrannt, minzig) | | **bewegen** | Bewegung des Körpers | Rezeptoren in Gelenken, Muskeln und Sehnen | Bewegung, Aktivität des Körpers | | **Gleichgewicht halten** | Körperlage im Raum | Härchen in Flüssigkeiten im Innenohr | Gleichgewicht | ### 3.2 Nicht-sensorische Einflüsse auf die Wahrnehmung * Etwa 11 Millionen Informationseinheiten (Bits) treffen pro Sekunde auf unsere Sinnesorgane und müssen verarbeitet werden. * Doch nicht nur unsere Sinne sind dafür verantwortlich, was wir sehen, hören, tasten, riechen oder schmecken. * Auch nicht-sensorische Faktoren beeinflussen und verändern unsere Wahrnehmung: * Individuelle Faktoren sowie die momentane selektive Aufmerksamkeit bestimmen die Art, wie wir Informationen aufnehmen, verarbeiten und schließlich unsere Umwelt interpretieren. * Unser Gehirn versucht zwar ein möglichst wirklichkeitsgetreues Abbild der Umwelt zu erstellen, letztendlich konstruieren wir aber unsere Wirklichkeit aufgrund unserer Stimmung, Erfahrungen, Einstellungen und unserer selektiv gerichteten Aufmerksamkeit. * Diese subjektive Wahrnehmung der Umwelt erklärt, warum wir uns teilweise über Größe und Farben von Objekten uneinig sind oder Lautstärke und Düfte unterschiedlich wahrnehmen. **Individuelle Faktoren der Wahrnehmung** * Die individuellen Faktoren der Wahrnehmung bestehen aus unserem augenblicklichen emotionalen Zustand, unserer Erfahrung und unseren Einstellungen: * Unser augenblicklicher emotionaler Zustand setzt sich aus Gefühlen wie Freude oder Angst sowie unseren Bedürfnissen zusammen. * Er bestimmt zum Großteil unsere soziale Wahrnehmung: * Wer gut gelaunt ist, wird seine Umwelt auch positiv wahrnehmen. * Mit schlechter Stimmung hingegen konzentriert man sich eher auf das Negative. * Unsere Erfahrung entsteht aus vorangegangenen Lernprozessen: * Das Kind sieht in einem Baum die Möglichkeit, zu klettern oder ein Baumhaus zu bauen, die Malerin sieht darin ein potenzielles Kunstobjekt und der Förster Brennholz, das er im Winter verwerten kann. * Die Erfahrung ist insofern relevant, als wir neue Eigenschaften und Objekte in vertraute Kategorien (Schemata) einordnen und dementsprechend interpretieren. * Wenn wir Menschen in entsprechende Kategorien einordnen, kann das zu Vorurteilen führen. * Wie andere Menschen wahrgenommen und aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes eingeschätzt werden, ist eine Angelegenheit der Interpretation, abhängig vom jeweiligen kulturellen Hintergrund: * Während zusammengekniffene Augen und herabhängende Mundwinkel in Europa als Zeichen für depressive Stimmung gedeutet werden, schreibt man in Asien einem Menschen mit dieser Mimik Freundlichkeit, unter Umständen auch Angestrengtheit zu. * Ebenso beeinflussen kulturell bedingte Einstellungen und Werthaltungen unsere Wahrnehmung: Ob wir etwas als groß oder klein empfinden, als wertvoll oder weniger wertvoll, haben wir in unserem sozialen und kulturellen Kontext gelernt. **Selektive Aufmerksamkeit** * Pro Minute nehmen wir durchschnittlich 660 Megabyte an Informationen auf. * Aus dieser Flut von Sinnesreizen wählt unser Gehirn die für uns momentan wichtigen Eindrücke und blendet Millionen von Details aus: Es selektiert. * Durch diesen Prozess der selektiven Aufmerksamkeit nehmen wir nicht alles bewusst wahr, was um uns herum geschieht. * Wir weichen Menschen aus, die wir kaum wahrnehmen, erkennen aber Freunde/Freundinnen und Bekannte problemlos in der Menge wieder, obwohl sie jeden Tag anders aussehen. * Die Welt entsteht nicht im Auge, sondern im Gehirn: Jeder Mensch sieht und hört also etwas anderes, nämlich das, was das Gehirn aus den eingehenden Signalen herausfiltert. * Im Sehzentrum des Gehirns werden die neuronalen Informationen, die das Auge liefert, geordnet und interpretiert. * Würde das Gehirn alle optischen Informationen auswerten, würde es in einer Bilderflut ertrinken. * Dasselbe gilt für Nebengeräusche: * Der Cocktailparty-Effekt besagt, dass unser Gehirn selbst bei zahlreichen Nebengeräuschen immer noch fähig ist, genau das herauszufiltern, was es für wichtig hält (z. B. unseren Namen). ### 3.3 Unsere Sinne * Die Unterscheidung der fünf Sinne – Sehen, Hören, Tasten, Riechen und Schmecken –, mit denen wir die Welt wahrnehmen, geht auf ARISTOTELES zurück. * Bei dieser klassischen Einteilung der Sinne werden jedoch der Gleichgewichtssinn und der kinästhetische Sinn nicht berücksichtigt, da diese an keine sichtbaren Sinnesorgane wie Augen oder Zunge gekoppelt sind. * Der Gleichgewichtssinn informiert über die Körperlage im Raum. * Die Rezeptoren bestehen aus kleinen Haaren in Säcken und Kanälen des Innenohrs, die mit Flüssigkeit gefüllt sind. * Der kinästhetische Sinn gibt Rückmeldung über unsere motorischen Aktivitäten, also Position und Bewegungen unserer Körperteile (beim Malen, Laufen oder Sitzen). * Kinästhetische Informationen werden über Rezeptoren in Gelenken, Muskeln und Sehnen aufgenommen. **Der Sehsinn** * Das Farbspektrum, das wir wahrnehmen können, reicht von 400 (rot) bis 800 (violett) Billionen Hertz (elektromagnetische Schwingungen bzw. Lichtwellenlänge pro Sekunde). * Menschliche Augen sind so empfindlich, dass sie bei Dunkelheit den Schein einer Kerze noch aus 50 km Entfernung wahrnehmen. * Die meisten Sinneszellen des Menschen sitzen im Auge. * Rund 80 % aller Sinneseindrücke nehmen wir daher auch über unsere Augen wahr. * Das menschliche Auge besteht aus 6 Millionen Zapfen, die uns Informationen über die Farben liefern und ermöglichen, scharf zu sehen, sowie aus 120 Millionen Stäbchen, durch die wir Helligkeitsunterschiede bemerken. * Die Stelle an der Netzhaut, an der keine Lichtsinneszellen vorhanden sind, bezeichnet man als „blinden Fleck“. ### 3.4 Visuelle Informationsverarbeitung * Visuelle Informationen gelangen zunächst auf die Netzhaut (Retina) und werden dann zur Großhirnrinde (Cortex) weitergeleitet. * Das Gehirn analysiert visuelle Informationen nach vier Aspekten: * Farbe, Bewegung, Form und Tiefe. * Mit jedem einzelnen dieser Aspekte beschäftigt es sich gleichzeitig (Parallelverarbeitung), allerdings in unterschiedlichen Gehirnarealen. * Wie das Gehirn die auseinandergenommenen Anteile der visuellen Information schließlich wieder zu einem einheitlichen Bild der Außenwelt zusammenfügt, ist nach wie vor ungeklärt. **Farbwahrnehmung** * Farbe ist in Wahrheit eine Empfindung, die im Gehirn entsteht. * Wir können etwa 7 Millionen Farbabstufungen wahrnehmen. * Farbe hilft, Objekte voneinander zu unterscheiden, wenn Helligkeitsunterschiede nicht ausreichen. * Farbe wird nach Farbton, Sättigung und Helligkeit verarbeitet. * Die Farbrezeptoren (Zapfen) der Netzhaut sind dafür verantwortlich, dass wir Rot, Grün und Blau sehen. * Kurzwelliges Licht nehmen wir als Blau, mittelwelliges Licht als Grün und langwelliges als Rot wahr. * Farbenblinden Menschen fehlen rot- und/oder grünempfindliche Zapfen, sie haben daher Schwierigkeiten, Rot von Grün zu unterscheiden. * 8 % der männlichen Bevölkerung sind von einer Rot-Grün-Schwäche betroffen. **Theorien** * Untersuchungen zur Frage, wie wir Farben sehen, stützen sich auf zwei Theorien aus dem 19. Jahrhundert: * Der Arzt und Physiologe Thomas YOUNG und der Physiker und Physiologe Hermann von HELMHOLTZ gehen in der Dreikomponententheorie von drei Primärfarben des Lichts aus. * Der Arzt und Physiologe Ewald HERING belegt in seiner Gegenfarbentheorie, dass unser Nervensystem farbbezogene Informationen von Zapfen in Gegenfarbenpaare umwandelt. * **Dreikomponententheorie:** * Die menschliche Farbwahrnehmung beruht laut Young und Hemholtz auf drei Grundfarben: Rot, Grün und Blau. * In der Netzhaut des menschlichen Auges befinden sich nämlich nur drei Typen von Farbrezeptoren, von denen der eine Typ besonders empfindlich auf langwelliges Licht (also Rot), ein anderer auf mittelwelliges Licht (Grün) und der dritte auf kurzwelliges Licht (also Blau) reagiert. * Wenn die drei Farbrezeptortypen nun in unterschiedlicher Kombination stimuliert werden, können sie die Wahrnehmung jedes beliebigen Farbtones erzeugen. * Alle Farbwahrnehmungen entstehen somit durch Stimulation dieser drei Zapfentypen; Gelb etwa wird wahrgenommen, wenn die rot- und grünempfindlichen Zapfen stimuliert werden. * Werden alle drei Typen gleich stark stimuliert, dann entsteht der Farbeindruck Weiß. Dies ist jedoch nur beim additiven Farbmischen - beim Mischen der entsprechenden Lichtstrahlender Fall. * Beim subtraktiven Farbmischen, also von Farben im Malkasten, sehen wir dagegen Braun oder Schwarz. * Das liegt daran, dass beim Mischen von Lichtstrahlen Wellenlängen hinzugefügt, beim Mischen von Malfarben aber Wellenlängen entzogen werden, da diese das Licht nur reflektieren. * **Gegenfarbentheorie:** * Laut Hering beruhen alle Farbempfindungen auf vier Primärfarben, die er in jeweils gegensätzliche Paare ordnet: Rot-Grün und Blau-Gelb. * Diese Komplementär- bzw. Gegenfarbenpaare schließen sich nach dem Farbempfinden - wie jeder Farbkreis zeigt - gegenseitig aus: Blau kann entweder in Rot oder Grün, nicht aber in Gelb übergehen, Rot entweder in Blau oder Gelb, nicht aber in Grün. * Um Helligkeit zu erfassen, nannte Hering als drittes Gegensatzpaar Schwarz-Weiß. * Hering fand außerdem heraus, dass die physiologischen Primärfarben Nachbilder in ihrer Komplementärfarbe erzeugen. **Bewegungswahrnehmung** * Ob Schreiben, Laufen oder Autofahren - unser Gehirn wertet laufend unsere motorischen Informationen aus. * Spielen wir Tennis oder Volleyball, müssen wir zum richtigen Zeitpunkt unser Verhalten visuell koordinieren. * Damit das gelingt, müssen wir die Distanz und die Geschwindigkeit von Objekten (z. B. des Balles) richtig einschätzen. * Distanz und Geschwindigkeit sind besonders wichtig, wenn auf Reize reagiert werden muss, etwa beim Bremsen im Verkehr oder beim Fangen des Balles. * Das Gehirn berechnet die Bewegung: * Kleiner werdende Objekte entfernen sich, größer werdende Objekte nähern sich. * Der Wahrnehmungspsychologe Günther KEBECK unterscheidet zwischen zwei grundsätzlichen Fällen von Bewegung: * **Man selbst steht still und das Objekt ist in Bewegung.** * Werden verschiedene Stellen der Netzhaut stimuliert, nehmen wir Objekte als bewegt wahr: ein Auto, das fährt, oder einen Menschen, der an uns vorbeigeht. * **Das Objekt steht still und man selbst bewegt sich.** * In diesem Fall wird unsere Netzhaut ebenfalls durch die Objekte gereizt, aufgrund unserer Körperempfindung spüren wir aber, dass sich nicht unsere Umgebung (z. B. Häuser oder Bäume) bewegt, sondern wir selbst in Bewegung sind. * Allerdings trägt nicht nur unsere Körperempfindung, sondern auch unsere Erfahrung zur Bewegungswahrnehmung bei: Wir wissen, dass es nicht das Haus sein kann, das sich bewegt. * Von einer **Bewegungstäuschung** spricht man, wenn ein bewegtes Objekt als ruhend oder ein ruhendes Objekt als bewegt wahrgenommen wird. * Wenn wir beispielsweise meinen, der Mond bewege sich (bei vorbeiziehenden Wolken), erliegen wir einer Bewegungstäuschung. * Dasselbe Phänomen erleben wir, wenn wir aufgrund eines benachbarten losfahrenden Zuges meinen, der eigene (in Wirklichkeit ruhende) Zug setze sich in Bewegung. * Wenn eine Bewegung wahrgenommen wird, die nicht existiert, spricht man vom sogenannten **Phi-Phänomen**. * Voraussetzung dafür ist der **Stroboskop-Effekt** - eine Scheinbewegung, die zustande kommt, wenn zwei Reize schnell hintereinander auftreten. * Filme bestehen bekanntlich aus unzähligen zusammengesetzten Einzelbildern. * Ab einer bestimmten Frequenz der Abfolge gelingt es nicht mehr, die Bilder einzeln wahrzunehmen. Sie verschmelzen zu einem Bewegungsablauf, fließende Übergänge entstehen. * Ein weiteres stroboskopisches Phänomen ist das **Daumenkino**: Dabei wird, ähnlich wie beim Film, eine Sequenz von einzelnen Bildern als bewegte Bildabfolge interpretiert. **Tiefenwahrnehmung** * Die Netzhaut unserer beiden Augen projiziert leicht unterschiedliche zweidimensionale Bilder, die erst in der Sehrinde des Gehirns zu einem dreidimensionalen Bild zusammengefügt werden. * Die Fähigkeit, Gegenstände in drei Dimensionen zu sehen, nennt man Tiefenwahrnehmung. * Die sogenannte **visuelle Klippe** zeigt, dass selbst ohne visuelle Erfahrung Abgründe wahrgenommen werden können: * In einem Experiment wurde ein steiler Tischabgrund mit einer Glasplatte überdeckt. * Die meisten Kleinkinder sträubten sich, über den Abgrund zu krabbeln, selbst wenn sie von ihren Müttern dazu ermuntert wurden. * Die Untersuchungen zeigten allerdings, dass Kinder eher dazu bereit waren, über die Glasplatte zu krabbeln, wenn die Mutter ein freundliches Gesicht machte. * Hatte sie hingegen einen ängstlichen oder ärgerlichen Gesichtsausdruck, krabbelte das Kind zurück. * Das Kind erkennt die Gefühle der Mutter und reagiert entsprechend darauf. * Auch Jungtiere sträubten sich, über die Glasplatte zu gehen. * Das Experiment beweist, dass Tiefenwahrnehmung eine angeborene Fähigkeit ist. * Wenn wir später auf einen Glasboden treten, unter dem es steil bergab geht, erzeugt auch das ein mulmiges Gefühl, selbst wenn wir wissen, dass wir nicht ins Leere, sondern auf Glas treten. * Die Tiefenwahrnehmung befähigt uns auch dazu, Entfernungen einzuschätzen: * Wir nehmen eine Straße nämlich nicht nur als dreidimensionalen Raum wahr, sondern sind auch in der Lage, Entfernungen von Menschen, Autos und anderen Gegenständen gut abzuschätzen. * Zur Einschätzung von Entfernungen benötigen wir zwei Mechanismen der Tiefenwahrnehmung: das binokulare und das monokulare Tiefensehen. * **Binokulares Tiefensehen** * Für das binokulare Tiefensehen brauchen wir beide Augen. * Zu den binokularen Tiefenmerkmalen zählen die Disparität und die Konvergenz. * Der Abstand unserer Augen beträgt in etwa 6 cm. * Die Netzhaut der beiden Augen empfängt daher leicht unterschiedliche Bilder. * Der Unterschied zwischen diesen Bildern wird Disparität genannt. * Das Gehirn vergleicht diese Bilder miteinander und berechnet daraufhin die Entfernung des fokussierten Objektes: Je mehr sich die Bilder voneinander unterscheiden, desto näher ist das Objekt. * Das Gehirn berechnet außerdem anhand der Konvergenz (einer Bewegung der Augäpfel), wie weit ein Objekt entfernt ist: * Betrachten wir entfernte Dinge, bewegen sich die Augen auseinander, betrachten wir Objekte in der Nähe, drehen sie sich nach innen. * Der jeweilige Konvergenzwinkel wird dem Gehirn als Entfernungsmaß weitergeleitet. * **Monokulares Tiefensehen** * Das monokulare Tiefensehen umfasst alle Merkmale der Umgebung, die jedes Auge für sich alleine erkennen kann. * Zu diesen monokularen Merkmalen zählen beispielsweise Größen- und Perspektivenunterschiede von Gegenständen, Licht-Schatten-Verhältnisse, Farbsättigung oder Konturenschärfe. * Das monokulare Tiefensehen beruht vor allem auf unseren Erfahrungswerten, die eine Orientierung im Raum ermöglichen: * Wir haben gelernt, dass nahe Gegenstände mehr Licht reflektieren und schwächer beleuchtete weiter weg sind (Licht-Schatten-Verhältnis-se). * Ebenso haben wir gelernt, dass sich verschwommene Gegenstände weiter weg befinden als Gegenstände mit klaren Konturen (Konturenschärfe). ### 3.5 Wahrnehmungsorganisation * Dem Prozess der Wahrnehmung liegen bestimmte Prinzipien zugrunde, die die Wahrnehmungsorganisation vereinfachen. * Darunter versteht man, dass sinnesphysiologische Reize (Umweltinformationen) von unserem Gehirn so strukturiert und interpretiert werden, dass sie Sinn ergeben. * Diese Organisationsprinzipien liefern auch die Erklärung für einige der bekanntesten optischen Täuschungen. **Gestaltgesetze** * Der gestalttheoretische Ansatz formulierte sogenannte Gestaltgesetze: Wir nehmen Reize nach verschiedenen Merkmalen z. B. Größe oder Form, wahr. **Wahrnehmungskonstanzen** * Der lerntheoretische Ansatz der Wahrnehmungspsychologie entdeckte die Wahrnehmungskonstanzen: Wir nehmen Objekte gemäß unserer Erfahrung als gleichbleibend wahr, selbst wenn sich ihr Aussehen (z. B. durch Schatten oder Entfernung) verändert. **Gestaltgesetze (Formwahrnehmung)** * Dem gestalttheoretischen Ansatz zufolge tendieren wir dazu, Einzelteile zu einer ganzen Form zusammenzusetzen. * Gestaltgesetze (auch: „Kohärenzfaktoren“ der Gestalt) sind Prinzipien, nach denen wir Reize so organisieren, dass ein sinnvolles Ganzes entsteht: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. * **Gesetz der Ähnlichkeit** * Ähnliche Figuren werden als zusammengehörig wahrgenommen, wie hier alle Kreise und alle Dreiecke. * Nach diesem Prinzip fassen wir auch Menschen nach ähnlichem Aussehen oder ähnlichen Persönlichkeitsmerkmalen zusammen. * **Gesetz der Nähe** * Reize, die nah beieinanderliegen, werden als Einheit wahrgenommen, wie hier die eng beieinanderliegenden Striche. * **Gesetz der Geschlossenheit** * Unvollständige Figuren werden als vollständig angesehen, wie das Kanizsa-Dreieck zeigt: Wir glauben im Bild ein weißes Dreieck zu sehen („kognitive Konturen“), obwohl das Bild nur Kreis-segmente zeigt. * Wir tendieren dazu, Reize als klar strukturierte, eindeutige Gestalten wahrzunehmen. * **Gesetz der Kontinuität** * Wir nehmen eine Fortsetzung an. In diesem Fall gehen wir davon aus, dass die Gerade und die Kurve jeweils aus einer durchgehenden Linie bestehen. **Wahrnehmungskonstanzen** * Wir sind offenbar fähig, Gegenstände konstant wahrzunehmen, d. h. sie in unserem Geist als etwas Gleichbleibendes zu erleben, auch wenn sich ihr Aussehen ständig zu verändern scheint. * Dieses Prinzip nennt man Wahrnehmungskonstanz. * Es ist unser Wissen um die Objekteigenschaften, das dazu beiträgt, dass wir bekannte Objekte trotz Änderungen aufgrund typischer Merkmale wiedererkennen. * **Formkonstanz** * Wir sind offenbar fähig, die wahre Form eines Objekts wahrzunehmen, obwohl sich seine Form auf der Netzhaut ändert: Die abgebildete Münze bleibt trotz unterschiedlicher Perspektivdarstellung in ihrer Form für uns konstant und wir würden eine blau gefärbte Banane allein aufgrund ihrer Form als solche erkennen. * **Größenkonstanz** * Aufgrund der Größenkonstanz nehmen wir Objekte konstant groß wahr, obwohl sich ihre Größe je nach Entfernung zu verändern scheint: * Ein Fußgänger/Eine Fußgängerin bleibt konstant groß, obwohl er/sie zu schrumpfen scheint, je mehr er/sie sich von uns entfernt. * Ebenso bleibt ein Haus konstant groß, auch wenn es aus der Entfernung betrachtet ein kleineres Bild auf der Netzhaut hinterlässt und dadurch kleiner wirkt. * Bei linear-perspektivischen Darstellungen (dreidimensionalen Tiefeneindrücken auf einer zweidimensionalen Fläche) wiederum verhält es sich anders: Die beiden Figuren werfen gleich große Bilder auf unsere Netzhaut. * „Aber unsere Erfahrung sagt uns, dass ein entferntes Objekt nur dann ein gleich großes Bild wie ein näheres Objekt erzeugen kann, wenn es in Wirklichkeit größer ist." * Deshalb nehmen wir die Figur, die weiter entfernt zu sein scheint, als größer wahr. * **Farb-Helligkeitskonstanz** * Wir sind fähig, die Farbe oder Helligkeit eines Objekts konstant wahrzunehmen, selbst wenn sich die Farbe durch die Beleuchtung ändert. * Die Wiese bleibt für uns grün, auch wenn Schatten darauf fällt. * Eine Rose bleibt während des Tagesverlaufs konstant rot, auch wenn sich durch den Lichteinfall der Sonne bedingt – die Farbe ändert. * **Orientierungskonstanz** * Wir können ein Objekt wiedererkennen, obwohl es anders als gewohnt dargestellt wird. ### 3.6 Optische Täuschungen * Wenn unsere Sinne getäuscht werden, sprechen wir von einer Illusion oder optischen Täuschung. * Eine optische Täuschung liegt dann vor, wenn ein visuelles Reizmuster so erlebt oder interpretiert wird, dass man nachweislich zu einem falschen Ergebnis kommt. * Fehler in der Wahrnehmung ergeben sich entweder * in der „falschen“ Aufnahme (Wahrnehmung) von mehrdeutigen Sinnesreizen * oder in der „falschen“ Verarbeitung (Interpretation) von Reizen. * So ist auch der Sonnenauf- und -untergang eine optische Täuschung: Wir sehen die Sonne zwar auf- und untergehen, doch in Wirklichkeit dreht sich die Erde und die Sonne steht unverändert im Zentrum unseres Sonnensystems. * Mit Wahrnehmungstäuschungen spielen wir auch im Alltag, wenn wir beispielsweise längs gestreifte oder schwarze Kleidung tragen, um schlanker zu erscheinen, oder eine Wohnung hell streichen und mit wenigen Möbeln gestalten, um sie größer wirken zu lassen. * Dass eine Täuschung selbst dann nicht verschwindet, wenn wir wissen, dass unser Eindruck falsch ist, beweist, dass eindeutig unser Wahrnehmen und nicht unser Denken von der Täuschung betroffen ist. * Durch Sinnestäuschungen erfahren wir einiges über die Struktur und die Arbeitsweise unserer Wahrnehmung. * Unsere Wahrnehmung ist bekanntlich kein getreues Abbild der Realität, sondern eine Interpretation durch unser Gehirn. * Täuschungen zeigen uns, wie viele komplexe Prozesse im Gehirn unbewusst und automatisch ablaufen, bis wir ein sinnvolles Bild sehen. * Zahlreiche dieser Prozesse sind jedoch bis heute nicht erforscht. * Wahrnehmungstäuschungen kommen nicht nur in der visuellen (optischen) Wahrnehmung vor, auch alle anderen Sinne lassen sich täuschen. * Es gibt eine zeitliche Täuschung (wenn eine Minute wie eine Ewigkeit erlebt wird), und ebenso können wir einer sozialen Wahrnehmungs-täuschung unterliegen. * **Kippbilder (Necker-Würfel)** * Kippbilder bzw. zweideutige Bilder enthalten je nach Ansicht mehrere Bilder. * Erwartet man ein bestimmtes Muster von Reizen (wenn beispielsweise gesagt wurde, dass im Bild eine alte Frau und eine junge Frau zu erkennen sind), ist es leichter, die Darstellung zu entschlüsseln. * **Unmögliche Figuren** * Unmögliche Figuren sind grafisch zweidimensionale, vorgeblich dreidimensionale Konstrukte in der Kunst, die körperhaft nicht existieren können. * Bei optischen Täuschungen in Form unmöglicher Figuren spricht man auch von Paradoxa. * Der niederländische Grafiker Maurits Cornelis ESCHER hat im 20. Jahrhundert zahlreiche solcher Werke geschaffen. * **Gestalt** * Bei manchen Sinneseindrücken glaubt der Betrach-ter/die Betrachterin Objekte wahrzunehmen, die nicht vorhanden sind. * Ein Beispiel dafür ist das Gitter aus durchbrochenen Linien: Man glaubt an den Schnittstellen weiße Scheiben zu sehen. * **Kontrast** * Die bekannteste Kontrast-Täuschung ist das Hermann-Gitter (nach Ludimar HERMANN) oder Hering-Gitter (nach Ewald HERING): Im Gitternetz erscheinen an den Schnittpunkten der Linien dunkle Punkte, die durch eine Überbetonung der Kontraste im Auge entstehen. * Ursache für diese Kontrastverstärkung ist die sogenannte laterale Hemmung, ein kompliziertes Verschaltungsprinzip von Nervenzellen. * Indem die Reize nebeneinander liegender Rezeptoren dadurch gehemmt bzw. verstärkt werden, erscheinen Kanten verstärkt und Bilder schärfer. * **Geometrisch-optische Täuschungen und Relativität** * Das Müller-Lyer-Phänomen lässt eine Linie zwischen zwei spitzen Winkeln deutlich kürzer erscheinen als eine gleich lange Linie, bei der die Pfeilspitzen in die andere Richtung zeigen. * Die nach innen oder nach außen gerichteten Winkel an den jeweiligen Enden der Linien rufen also eine Täuschung hervor. * Diese Täuschung wird mit einer mangelhaften Koordinierung zwischen Gehirn und Augenmuskulatur erklärt, doch herrscht über das tatsächliche Zustandekommen dieser Täuschung nach wie vor Unklarheit. * **Bewegungsillusionen** * Es gibt eine Reihe optischer Täuschungen, in denen der Betrach-ter/die Betrachterin meint, dass sich Teile des Bildes bewegen. * Da die Bewegung an jenen Stellen bemerkbar ist, die gerade nicht fokussiert werden, nennt man dieses Phänomen peripheres Sehen. * Zu dieser falschen Verarbeitung der Reize und einer fehlerhaften Interpretation kommt es bei der visuellen Verarbeitung unterschiedlich starker Kontraste. ### 3.7 Eingeschränkte sinnesphysiologische Wahrnehmung * Alltägliche, einfach erscheinende Tätigkeiten meistern wir mithilfe unserer Wahrnehmung. * Ob Einkaufen oder Lernen - es gibt keine Tätigkeit, bei der nicht einer unserer Sinne eine wichtige Rolle spielt. * Unsere Fähigkeit, wahrnehmen zu können, ist für uns selbstverständlich. * Stellen Sie sich ein Leben ohne Sinnes-Fähigkeiten vor. * Überlegen Sie, welche Konsequenzen es für unseren Alltag hätte, auf a) Sehen, b) Hören, c) Tasten, d) Riechen, e) Schmecken oder f) Gleichgewicht verzichten zu müssen. * Mit welcher sinnesphysiologischen Einschränkung würden Sie Ihrer Meinung nach am besten umgehen können? Begründen Sie Ihre Entscheidung. ### 4. Gedächtnis ### 4.1 Der Aufbau des Gedächtnisses * Unsere Sinnesorgane werden mit bis zu 11 Millionen Bits pro Sekunde konfrontiert. * All das, was wir wahrnehmen, führt also zu einer gewaltigen Informationsflut, die ins Gehirn gelangt. * Das Gehirn filtert diese Informationsflut anhand von drei verschiedenen Speichern. * Das Mehrspeichermodell des Gedächtnisses wird nach den US-amerikanischen Psychologen Richard ATKINSON und Richard SHIFFRIN in Form eines Dreistufenprozesses dargestellt, der Ultrakurzzeitgedächtnis, Kurzzeitgedächtnis und Langzeitgedächtnis unterscheidet. **1. Das Ultrakurzzeitgedächtnis (sensorisches Gedächtnis)** * Ohne Ultrakurzzeitgedächtnis wüssten wir nicht mehr, wen wir bereits begrüßt haben, wenn wir einen Raum betreten. * Wir könnten auch keinen Satz sinngemäß erfassen, da wir beim Lesen des zweiten Wortes das erste schon wieder vergessen hätten. * Wir könnten also keine sinnvollen Handlungen vollziehen. * Das Ultrakurzzeitgedächtnis umfasst die unmittelbare, flüchtige sensorische Information, die wenige Zehntelsekunden bis höchstens ein paar Sekunden lang behalten wird. * Die Zeitspanne, in der wahrgenommene Sinneseindrücke uns noch unmittelbar bewusst sind, bezeichnet man nach William STERN als psychische Präsenzzeit. * Das Ultrakurzzeitgedächtnis ermöglicht uns also, uns mit erstaunlicher Genauigkeit an sämtliche Details zu erinnern, aber immer nur für sehr kurze Zeit. * Unsere sensorische Erinnerung leert sich sehr schnell, damit wieder Platz für neue Wahrnehmungen da ist. **2. Das Kurzzeitgedächtnis (Arbeitsgedächtnis)** * Das Kurzzeitgedächtnis kann - ohne bewusste Konzentration - nur 7 (+/-2) Informationseinheiten (Silben, Buchstaben, Zahlen) gleichzeitig aufnehmen. * Wir bemerken die Grenze des Behaltensvermögens unseres Kurzzeitgedächtnisses, wenn wir uns eine Telefonnummer merken wollen. * Je länger die Nummer, desto schwerer fällt es uns, die Ziffernabfolge zu erinnern. * Wenn wir die Nummer dann nicht sofort wählen oder aufschreiben, werden wir sie auch schnell wieder vergessen, denn die Behaltensgrenze des Kurzzeitgedächtnisses liegt bei durchschnittlich 20 Sekunden. * Werbefachleute, Lehrkräfte oder SeminarleiterInnen sollten daher berücksichtigen, dass das menschliche Gehirn zu jedem Zeitpunkt nur eine begrenzte Informationsmenge bewusst verarbeiten kann, und den Informationsgehalt entsprechend kurz fassen. * Mit den folgenden Aufgaben können Sie die Kapazitätsgrenze des Kurzzeitgedächtnisses feststellen: * Können Sie folgende Aufgabe auf Anhieb lösen? * Monika ist schneller als Hannes. Wer ist langsamer? * Lösen Sie folgende Aufgabe mit einmaligem Durchlesen: * Felix ist kleiner als Markus. * Sabine ist größer als Birgit. * Felix ist größer als Sabine. * Wer ist der/die Größte? * Prägen Sie sich folgende Ziffernfolgen bei einmaligem Durchlesen ein und notieren Sie anschließend die richtigen Reihenfolgen: * a) 1 5 7 8 6 8 3 9 8 1 7 6 1 5 * b) 1 2 1 3 1 4 1 5 1 6 1 7 1 8 * Versuch 4 dürfte keine Probleme bereitet haben. * Versuch 5 hingegen bedarf größerer Anstrengung. * Das liegt daran, dass der normale Arbeitsspeicher nicht groß genug ist, um alle Informationen und Relationen gleichzeitig zu erfassen. * Beispiel (a) von Versuch 6 wird ebenfalls gezeigt haben, dass Ihr Arbeitsspeicher begrenzt ist. * Wir sind allerdings in der Lage, uns mehr als 7 (+/-2) Informationseinheiten zu merken, wenn wir die Informationen entsprechend strukturieren oder ein System dahinter erkennen, wie Aufgabe (b) bei Versuch 6 zeigt. * Wir können dann bei einmaligem Durchlesen mehr Einheiten speichern, als das Kurzzeitgedächtnis eigentlich fassen kann. **3. Das Langzeitgedächtnis (Wissensgedächtnis)** * Enkodierte Informationen, die durch Aufmerksamkeitsprozesse vom Ultrakurzzeitgedächtnis bis ins Kurzzeitgedächtnis vorgedrungen sind, haben nun die Möglichkeit, bis ins Langzeitgedächtnis vorzudringen. * Eine Bedingung dafür ist allerdings, dass die Informationen wiederholt werden. * Alles, was wir wahrnehmen und so verarbeiten, dass es bis ins Langzeitgedächtnis gelangt, ist auch langfristig gespeichert. * Das Langzeitgedächtnis ist ein nahezu unbegrenzt aufnahmefähiger Speicher des Gedächtnissystems. * Die Speicherkapazität des Langzeitgedächtnisses wird auf 100 Billionen Bits geschätzt. * Tatsächlich enthält das Gedächtnis eines durchschnittlichen erwachsenen Menschen „nur“ etwa 1 Mrd. Bits. * Diese Speicherinhalte des Langzeitgedächtnisses „sind miteinander vernetzt und beeinflussen sich gegenseitig in vielfacher Weise." * Manchmal haben wir Inhalte, die bereits im Langzeitgedächtnis gespeichert sind und eigentlich jederzeit abrufbar sein sollten, wieder „vergessen“. * Diese Inhalte sind aber meist nicht gelöscht, sondern können bloß momentan nicht abgerufen werden, weil wir keinen Zugriff darauf haben. * Wir finden die gespeicherten Informationen dann im Augenblick nicht wieder, wie ein Buch, das in einer Bibliothek falsch eingeordnet wurde. * Alle im Langzeitgedächtnis gespeicherten Informationen liegen folglich in einer Art „Dornröschenschlaf“, bis die Erinnerung an sie z. B. durch einen Schlüsselreiz geweckt wird. * Das Abrufen von Informationen aus dem Langzeitgedächtnis ist ein rekonstruktiver Vorgang, was bedeutet, dass die Erinnerungen mithilfe kognitiver Prozesse wiederhergestellt werden. * Entsprechendes Training und Strategien helfen, Informationen richtig zu speichern und nutzbar zu machen. * Die Theorie der Mehrebenenverarbeitung nach Fergus CRAIK und Robert LOCKHART besagt: Je tiefgehender wir Informationen verarbeiten - d. h. je intensiver das Gelernte analysiert und mit anderen Informationen verbunden wird, desto leichter sind sie wieder auffindbar und desto schneller sind sie abrufbar. **explizites Gedächtnis** * Das explizite Gedächtnis umfasst alle Erinnerungen, die wir bewusst abrufen * Es umfasst das episodische und das semantische Gedächtnis: * Das episodische Gedächtnis (auch: autobiografisches Gedächtnis) speichert persönliche Erlebnisse und autobiografische Informationen wie den ersten Kuss oder die Maturareise. * Das semantische Gedächtnis speichert Fakten und Ereignisse wie beispielsweise die chemische Formel für Wasserstoff oder die Hauptstadt von Japan. **implizites Gedächtnis** * Das implizite Gedächtnis umfasst unser Wissen, das ohne bewusstes Abrufen vorhanden ist. * Zum impliziten Gedächtnis gehören das prozedurale sowie das perzeptuelle Gedächtnis: * Das prozedurale Gedächtnis umfasst alle verinnerlichten Fähigkeiten, die routiniert, also ohne Nachdenken ablaufen. * Beim Gehen oder Radfahren beispielsweise wissen wir unbewusst und ganz intuitiv, welche Bewegungsabläufe in Gang gebracht und welche Muskeln aktiviert werden müssen, und das Restaurant verlassen wir nicht, bevor nicht die Rechnung bezahlt wurde. * Laufen die entsprechenden Verhaltensmuster automatisch und unaufwendig ab, sprechen wir auch vom automatischen Gedächtnis. * Je automatisierter wir etwas tun bzw. besser wir etwas können, desto weniger Nervenzellen müssen dafür aktiviert werden. * Das perzeptuelle Gedächtnis ermöglicht uns, bereits bekannte Merkmale und Muster wiederzuerkennen, z. B. eine bekannte Person zu identifizieren oder einen Apfel als Apfel zu erkennen, obwohl sich jeder einzelne in Form und Farbe voneinander unterscheidet. * Dieser Prozess wird auch Priming genannt. * Darunter versteht man die unbewusste Aktivierung spezieller Assoziationen im Gedächtnis, die aufgrund von Vorerfahrungen mit den betreffenden Informationen entstehen. ### 4.2 Vergessen * 85% der Befragten haben Probleme beim Erinnern von Namen. * Mehr als die Hälfte vergisst, wo sie Dinge hinlegte, und kann sich nicht mehr an Telefon