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StunnedTerbium

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Universität Bern

2024

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psychology clinical psychology education

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Einführung in die Klinische Psychologie (1. Termin) Einführungstermin: Was ist Klinische Psychologie? Definitionen, Konzepte und Modelle PD Dr. Tobias Krieger Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie 21.02.2024 Vorlesung 1 Vorlesun...

Einführung in die Klinische Psychologie (1. Termin) Einführungstermin: Was ist Klinische Psychologie? Definitionen, Konzepte und Modelle PD Dr. Tobias Krieger Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie 21.02.2024 Vorlesung 1 Vorlesungen im Bachelor-Studium Klinische Psychologie 2 Organisatorisches Präsenzvorlesung mit Podcast & Live-Stream Achtung: – Live-Stream ist etwas zeitverzögert – Nach dem Live-Stream dauert es in der Regel einige Zeit bis der Podcast in Ilias verfügbar ist (i.d.R. jedoch am gleichen Tag) Folien Stehen in der Regel am Vorabend des Vorlesungstermins auf Ilias zur Verfügung (spätestens kurz vor dem Vorlesungstermin) Forum für Austausch Auf Ilias für Fragen, Austausch und gegenseitige Hilfestellung unter Studierenden; wenn nötig auch Klärung von offenen (prüfungs-)relevanten Fragen durch mich Zusatzliteratur auf Ilias Ein Teil der in der Vorlesung erwähnten Studien/Artikel wird in einen Ordner auf Ilias hochgeladen. Dies zur weiteren freiwilligen Vertiefung. Das Lesen dieser Artikel ist für das Bestehen der Prüfung nicht erforderlich. Fragen - während/unmittelbar nach der Vorlesung - beim letzten Termin (nach Voranmeldung, siehe später) 3 Generelle Anmerkungen zu Podcast & Live-Streaming Lückenlose Aufzeichnung und Übertragung nicht garantiert: Aufgrund technischer Störungen kann es vorkommen, dass einzelne Vorlesungen nicht oder nicht störungsfrei aufgezeichnet resp. per Live-Stream übertragen werden. Verfügbarkeit: Die ununterbrochene Verfügbarkeit der Podcast und Live-Streams kann aus technischen Gründen nicht garantiert werden. Verwendung der Aufzeichnungen/Podcasts: Die Aufnahmen dürfen nur für den Privatgebrauch verwendet werden. Eine Weiterverbreitung in welcher Form auch immer, ganz oder in Auszügen, ist ohne Einverständnis der Dozentin/des Dozenten nicht erlaubt. 4 Vorlesungsbegleitende Literatur (für beide Bachelor-Vorlesungen) - Vorlesungsinhalte basieren lose auf versch. Kapiteln des Buches - Zentral: Inhalte der Vorlesung! (siehe nächste Folie) - Buchkapitel vor allem zur weiteren Vertiefung - è Bei Termin #4 (13.03.24) wird auf ein Kapitel einer vorherigen Auflage zurückgegriffen (siehe später resp. Ilias für PDF des betreffenden Kapitels) 5 Für Prüfung relevant (aus dieser Vorlesung) Inhalte der Vorlesung (è Buchkapitel zur Vertiefung) Fragen, die jeweils auf der zweiten Folie zu finden sind Heute - weil Einführungsveranstaltung – sind die Fragen am Ende zu finden (zweitletzte Folie) è Modulprüfung "Psychopathologie/Klinische Psychologie» im KSL in Planung nehmen! 6 Inhalte der Vorlesung Ø Siehe auch PDF „Übersicht Termine“ auf Ilias 8 Klinische Psychologie in den Medien Wirtschaftswoche, 06.01.2024 9 Klinische Psychologie in den Medien SRF, 15.01.24 https://www.srf.ch/play/tv/puls/video/maenner-und-depressionen-raus-aus-der- tabuzone?urn=urn:srf:video:7879121b-7dc5-4c87-9954-0f28d8a93891 10 Klinische Psychologie in den Medien Schweizerische Ärztezeitung, 06.11.2019 11 Klinische Psychologie in den Medien Der Standard, 06.02.2017 12 Klinische Psychologie in den Medien 13 Klinische Psychologie in den Medien NZZ, 25.09.23 14 Klinische Psychologie = ein komplexes Fach Psychologie der Ursachen und Aufrechterhaltung psychischer Probleme/Störungen Entwicklungspsychologie Definition und Beschreibung Klassifikation Sozialpsychologie psychischer Störungen Allgemeine Psychologie Diagnostik und Psychometrie Diagnostik Anwendung Grundlagen Prävention Psychotherapie Biopsychologie Psychische Aspekte bei Psychiatrie somatischen Erkrankungen Rehabilitation Pharmakologie 15 Was ist Klinische Psychologie? Teildisziplin der Psychologie, die sich mit psychischen Störungen und den psychischen Aspekten somatischer Störungen und Krankheiten in der Forschung, der Diagnostik und Therapie aller Altersstufen beschäftigt. Dazu gehören u. a. die Themen: Ätiologie und Bedingungsanalyse Klassifikation und Diagnostik Prävention, Psychotherapie und Rehabilitation Epidemiologie, Gesundheitsversorgung und Evaluation Aufbauend auf den wissenschaftlichen Grundlagen der Psychologie mit ihren Teildisziplinen ist es ein Charakteristikum der Klinischen Psychologie, dass sie enge Beziehungen zu vielen anderen Wissenschaftsdisziplinen aufweist, insbesondere zur Psychiatrie, der Soziologie, den neurobiologischen Fächern (einschliesslich der Gebiete Genetik und Psychopharmakologie) und anderen medizinischen Fächern. 16 Überschneidungs- und Nachbargebiete – Verhaltensmedizin Grundgedanke: Verhaltensaspekte bei medizinischen Fragestellungen zu berücksichtigen und verhaltenstherapeutische Prinzipien in der Medizin zu erforschen und anzuwenden (z.B. Psychoedukation, Stressmanagement, Krankheitsbewältigung z.B. bei Diabetes, Krebs, Kreislauf- und Herzkrankheiten) https://www.unispital-basel.ch/tumorzentrum/angebot/stress-aktiv-mindern 17 Überschneidungs- und Nachbargebiete – Gesundheitspsychologie Grundgedanke: Die Gesundheitspsychologie beschäftigt sich mit der Herstellung und Aufrechterhaltung von Gesundheit. Allgemein geht es um die Erforschung von personenbezogenen, sozialen und strukturellen Einflussfaktoren auf die körperliche und psychische Gesundheit (in der Praxis insb. Gesundheitsförderung und Prävention) h3ps://www.youtube.com/watch?v=2lXh2n0aPyw 18 Überschneidungs- und Nachbargebiete – Klinische Neuropsychologie Schwerpunkte sind die wissenschaftliche und klinische Erfassung sowie die Analyse und Veränderung von Beeinträchtigungen in den Bereichen Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Lernen und Gedächtnis, Denken, Sprache, zielgerichtetes Handeln (inkl. Sensomotorik), Motivation und Emotionalität bezogen auf schädigungsbezogene Zustände und Veränderungen des Zentralnervensystems. 19 Wisconsin Card Sorting Test (WCST) siehe Link Überschneidungs- und Nachbargebiete 20 Psychotherapie ein Teilgebiet der Klinischen Psychologie „Langsam und schwerfällig kommt die Patientin in mein Zimmer und lässt sich in ihren Stuhl fallen. Sie schaut mich kaum an. Ihre Stimme wirkt erschöpft. „Ich bin so müde. Es hat doch alles keinen Zweck mehr. Sie können mir auch nicht mehr helfen. Dieser tägliche Kampf... die Arbeit... die Kinder kriegen nichts alleine auf die Reihe... mein Mann... nur auf der Couch... und der Haushalt sieht aus. Ich mag nicht mehr. Am liebsten wäre ich nicht mehr da“. „Solche oder ähnlich klingende Einleitungen setzen mich auch nach 30 Berufsjahren noch unter Druck. Das schreit nach Problemlösen, eine To-do- Liste machen, Prioritäten setzen usw. Bei manchen Leuten funktioniert das auch. Bei anderen nicht. Ich spüre den Drang, es auch hier zu versuchen, und ein Gefühl von Hilflosigkeit. Ich antworte nicht sofort. Was soll ich tun?“ Bsp. von R.F. Sonntag 21 Psychotherapie als Teilgebiet der Klinischen Psychologie lässt sich definieren als: „(…) ein bewusster und geplanter interaktionaler Prozess zur Beeinflussung von Verhaltensstörungen und Leidenszuständen, die in einem Konsensus (möglichst zwischen Patient, Therapeut und Bezugsgruppe) für behandlungsbedürftig gehalten werden, mit psychologischen Mitteln (durch Kommunikation) meist verbal, aber auch averbal, in Richtung auf ein definiertes, nach Möglichkeit gemeinsam erarbeitetes Ziel (Symptomminimalisierung und/oder Strukturänderung der Persönlichkeit) mittels lehrbarer Techniken auf der Basiseiner Theorie des normalen und pathologischen Verhaltens. In der Regel ist dazu eine tragfähige emotionale Bindung notwendig“ (Strotzka 1969) 22 Kurze Wiederholung Vorlesung Psychopathologie: Was sind psychische Störungen? Merkmal 1 Ø Definition über Normabweichung (z.B. abweichend von statistischer oder sozialer Norm) Ø Aber: Ist zum Beispiel Hochbegabung (statistisch „abnorm“) eine psychische Störung? Ø Piercings waren noch vor 30 Jahren hochgradig abnorm (Verletzung von statistischen und sozialen Normen) Ø Überangepasstheit an Normen kann auch zu Beeinträchtigungen und Leidenszuständen führen (z.B. Zusammenhang von Perfektionismus mit verschiedenen psychischen Störungen; vgl. z.B. Egan, Wade & Shafran, 2011) American Psychiatric Association (APA; 1989): „Weder normabweichendes Verhalten (z.B. politischer, religiöser oder sexueller Art) noch Konflikte des Einzelnen mit der Gesellschaft sind psychische Störungen, solange die Abweichung.... “ 23 Was sind psychische Störungen? Merkmal 2 Leidensdruck wichtiges Merkmal psychischer Störungen, aber auch nicht immer gegeben... Klar bei z.B. Depression, Angststörungen, Schlafstörungen Aber: Wie ist es bei z.B. manischen Patient*innen (leiden nicht unmittelbar, wenn in einer manischen Phase) oder Alkoholismus (Leidensdruck, vielleicht erst nach Arbeitsplatz- oder Beziehungsverlust vorhanden) 24 Was sind psychische Störungen? Merkmal 3 Beeinträchtigung in Alltagstüchtigkeit = wichtiges Merkmal psychischer Störungen. Psychische Störungen können dazu führen, dass Menschen nicht mehr für sich sorgen können, soziale Beziehungen nicht mehr aufrechterhalten oder nicht mehr effektiv arbeiten können. Aber! Beeinträchtigung als Merkmal nicht immer eindeutig. Beispiel Flugangst oder Schlangenphobie. Wenn ich nicht reisen muss oder nicht mit Schlangen zu tun habe, fühle ich mich trotz erfüllen der Kriterien einer psychischen Störung („Spezifische Phobie“ ) nicht unbedingt beeinträchtigt. 25 Was sind psychische Störungen? Merkmal 4 Selbst- oder Fremdgefährdung Psychische Störungen können in Verhaltensweisen gipfeln, die die Betroffenen oder andere gefährden Wird gewöhnlich als Kriterium psychischer Störungen genannt, ist aber eher die Ausnahme als die Regel (insbesondere Fremdgefährdung) 26 Was sind psychische Störungen? Keine einheitliche, allgemein akzeptierte Definition psychischer Störungen. Die meisten Definitionen beziehen sich auf die vier genannten Merkmale „Devianz, Leidensdruck, Beeinträchtigung und Gefährdung“ (Comer, 2010) Ø Psychische Störungen sind letztlich Konstrukte, auf welche sich die Gesellschaft und Expert:innen (i.d.R) nach bestem Wissen und Gewissen geeinigt hat Definition nach APA (1989, sowie 2013) ==> 27 Exkurs: Finanzielle Interessenkonflikte bei der Erstellung des DSM-5 https://journals.plos.org/plosmedicine/article?id=10.1371/journal.pmed.1001190 28 Exkurs: Psychische Störungen als etwas „Besonderes“ PD Dr. phil. Peter Schneider 29 Modelle in der Klinischen Psychologie und Psychotherapie Historisch: Wiederholter Wechsel zwischen somatogenen und psychogenen Erklärungen psychischer Erkrankungen Somatogene Sichtweise: Psychische Erkrankungen haben körperliche Ursachen Hippokrates (460-377 v. Chr.; „Vater“ der modernen Medizin): Führte psychische Erkrankungen auf ein Ungleichgewicht von vier Körpersäften zurück 19. Jh.: Krafft-Ebing weist eine unmittelbare Verbindung zwischen Syphilis und progressiver Paralyse nach (Lähmung, Grössenwahn und Demenz): Damit wurde zum ersten Mal nachgewiesen, dass eine geistige Krankheit auf erkennbare somatische Ursachen zurückzuführen ist. Dieser Modellfall (= psychische Störung hat klare somatische Ursache) bleibt bis heute eine Ausnahme 30 Somatogene Sichtweise heute: Medizinisches Krankheitsmodell / Neurobiologische Perspektive Aktuelle Studie è Moncrieff et al. (2022). The serotonin theory of depression: a systematic umbrella review of the evidence. Molecular Psychiatry, 1-14. 31 Schwächen des traditionellen medizinischen Krankheitsmodells (1) Kausalitätsdenken: Psychische Erkrankung hat eine bestimmte biologische Ursache und muss zur „Heilung“ einfach behoben werden = ZU EINFACH! è Realität ist komplexer (Komplexe Wechselwirkungen im Gehirn; psychische und soziale Einflüsse spielen genauso eine Rolle etc.) 32 Schwächen des traditionellen medizinischen Krankheitsmodells (2) Die Möglichkeiten der Prävention werden zu wenig berücksichtigt. Medizinische Intervention wird erst dann als notwendig erachtet, wenn eine Erkrankung bereits manifest geworden ist. Das medizinische Krankheitsmodell kann zur «Medikalisierung» sozialer und gesellschaftlicher Probleme führen (vgl. Beispiel Einsamkeit) 33 Schwächen des traditionellen medizinischen Krankheitsmodells (3) Wechselwirkung zwischen biologischen und psychologischen Prozessen und Interventionen wird vernachlässigt 34 Beispiel Wechselwirkung zwischen biologischen und psychologischen Prozessen in der Psychotherapie Furmark et al. (2002): Patient*innen mit einer diagnostizierten Sozialen Angststörung erhielten entweder kognitive Verhaltenstherapie (KVT) oder Citalopram (SSRI) Beide Therapien erfolgreich: Patient*innen hatten weniger Angst in sozialen Situationen, vermieden sie weniger etc. (= Veränderung im Verhalten und Erleben) In beiden Bedingungen: Verringerung der Aktivität in der Amygdala und Hippocampus in stressiger sozialer Situation („Rede halten vor Publikum im PET-Scanner“) Ø Psychologische Therapie wirkt auch auf biologische Parameter und umgekehrt medikamentöse Therapie auf psychologische Parameter 35 Modelle in der Klinischen Psychologie und Psychotherapie Psychogene Sichtweise: Hauptgrund für gestörtes Erleben und Verhalten ist in der Psyche zu finden Schon der römische Gelehrte Cicero vertrat die Meinung, dass nicht nur psychische Probleme, sondern auch körperliche Leiden durch die Psyche verursacht sein können Mehr Anhänger der psychogenen Sichtweise, als erste Erfolge mit der Hypnose berichtet wurden Die Franzosen Bernheim (1840-1919) und Liébault (1823-1904) zeigten, dass man bei „normalen“ Personen unter Hypnose hysterische Störungen erzeugen kann (sie erzeugten Taubheit, Gelähmtheit, Blindheit und Empfindungslosigkeit) Später untersuchten auch die Wiener Ärzte Josef Breuer (1842-1925) und Sigmund Freud (1856-1939) die Wirkung der Hypnose auf hysterische Störungen Ø Beginn der Entwicklung der Psychoanalyse 36 Seit Anfang des 20. Jahrhunderts Entwicklung verschiedenster psychologischer Theorien, Modelle und Therapieschulen Für die Psychologie relevante Theorien und Modelle des menschlichen Funktionierens und der Entwicklung psychischer Störungen (z.B. Lerntheorien) Daraus entstandene Therapierichtung (z.B. Verhaltenstherapien) 37 Wichtige Therapierichtungen (mit jeweils unterschiedlichen Theorien und Modellen) Psychodynamische Therapien (z.B. Psychoanalyse; Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie; Individualpsychologie; Katathymes Bilderleben) Humanistische Therapien (z.B. Klienten-zentrierte Gesprächstherapie; Psychodrama; Gestalttherapie; Emotionsfokussierte Therapien, Körperorientierte Therapie) Kognitiv-behaviorale Therapien (z.B. Systematische Desensibilisierung, Konfrontationsbehandlung; Biofeedback; Kognitive Therapien; Problemlösungstherapie; Selbstmanagement-Therapie; soziales Kompetenztraining; 3. Welle-Ansätze) Systemische und interpersonale Therapien (z.B. Familientherapiemodelle z.B. Mailänder Modell; Lösungsorientierte Kurztherapie; narrative Ansätze; [Interpersonale Therapie]) Ø Diese Therapierichtungen werden im Verlauf der Vorlesung vertiefter behandelt 38 Neuere Entwicklungen in der Psychotherapie Versuch der Überwindung des „Schulen“-Denkens Psychotherapie-Integration: – Technisch (Eklektizismus; Kombination von Interventionen aus verschiedenen „Schulen“; in der Psychotherapiepraxis oft realisiert) – Wirkfaktoren (Fokus auf Prozesse, die der Wirkung verschiedener Psychotherapierichtungen zugrunde liegen) 39 Neuere Entwicklungen in der Psychotherapie Störungsspezifische, empirisch validierte Behandlungsmethoden (folgt in der Logik dem medizinischen Modell der empirically based medicine, EBM) Manualisiert, standardisiert, häufig verhaltenstherapeutisch 40 Heute wichtigste Modelle zur Erklärung psychischer Erkrankungen: Integrative bio-psycho-soziale Ansätze Erklärt das menschliche Verhalten und das Auftreten psychischer Störungen als Zusammenspiel biologischer, psychologischer und sozialer Variablen Meist wird das Zusammenspiel der verschiedenen Variablen im Rahmen von Diathese-Stress-Modellen bzw. Vulnerabilitäts-Stress-Modellen erklärt Beispiel Schizophrenie: – Genetische Vulnerabilitätsfaktoren (genetische Faktoren sind lediglich Indikatoren für erhöhte Anfälligkeit für Schizophrenie = Vulnerabilität) – Erst beim Eintreten weiterer Faktoren (Stress, Lebensereignisse) tritt Störung auf – Weitere Einflussfaktoren bestimmen den Verlauf der Störungen mit (z.B. Arbeitslosigkeit) è Zur Relevanz von biopsychosozialen Modellen siehe z.B. Bolton (2023) 41 Zentrale Komponenten von Vulnerabilitäts- Stress-Modellen Vulnerabilität: Anfälligkeit/Disposition zur Entwicklung einer psychischen Störung. Vulnerabilität alleine führt noch nicht zu einer psychischen Störung. Zusammen mit Auslösersituation (Stressor) kann sich eine pathogene Dynamik entfalten. Vulnerabilitäten können genetisch bedingt, aber auch gelernt worden sein. Stress(or): Belastungen und kritische Lebensereignisse bzw. Anforderungssituationen, bei der die Person eine Anpassungsreaktion zeigen muss, um z.B. die Herausforderung von traumatischen Ereignissen, aber auch Alltagssituationen zu bewältigen. Resilienz: Während Vulnerabilitäten Risikofaktoren für die Entwicklung psychischer Störungen darstellen, werden protektive Faktoren im Zusammenhang mit Resilienz diskutiert. Als Resilienz wird die Fähigkeit einer Person bezeichnet, auch in Gegenwart von extremen Belastungsfaktoren und ungünstigen Lebensereignissen adaptiv und proaktiv zu handeln. Coping: Als Bewältigungskompetenzen („coping skills“) werden Fähigkeiten einer Person bezeichnet, die einer Person ermöglichen, über verschiedene Situationen hinweg flexibel und effizient zu reagieren. 42 Allgemeines Vulnerabilitäts-Stress-Modell psychischer Störungen 43 Beispiel Vulnerabilitäts-Stress-Modell Stressmodell zur Auslösung von Panikattacken Panika&acke Vulnerabilität = Schwelle kann höher oder 6efer liegen nach Falloon et al. (1984) 44 Beurteilung von Vulnerabilitäts-Stress-Modellen Integration verschiedener Perspektiven (eben bio-psycho-sozial) Integration von Anlage-Umwelt-Interaktionen erheblicher Wert in Bezug auf Grundlagen- und Anwendungsforschung (einzelne Komponenten können gemessen und miteinander in Bezug gesetzt werden) Heuristisch hilfreich für die therapeutische Praxis im Zusammenhang mit der Diagnostik und der Steuerung des Einsatzes von Interventionen Aber! Einzelne Komponenten und ihr Zusammenhang sind teilweise wenig spezifiziert (relativ abstraktes Modell) “Multifaktorielle Erklärungen haben den Nachteil, dass sie komplexer sind als einfachere Modelle, aber abgesehen von ihrer grösseren Richtigkeit, haben sie den Vorteil, dass sie ein therapeutisches Ansetzen an mehreren Stellen erlauben.” (Caspar et al., 2009) 45 46 Fragen zu dieser Vorlesung (für Prüfung relevant) Welche vier Merkmale beinhalten die meisten Definitionen psychischer Störungen? Was versteht man unter der psychogenen und der somatogenen Sichtweise von psychischen Störungen? Nennen Sie Beispiele für Vertreter der jeweiligen Sichtweise. Was sind mögliche Schwächen des traditionellen medizinischen Krankheitsmodells? Was ist mit bio-psycho-sozialen Ansätzen gemeint? Beschreiben Sie die zentralen Komponenten von Vulnerabilitäts-Stress-Modellen. Beschreiben Sie ein Beispiel für ein Vulnerabilitäts-Stress-Modell. Wie sind Vulnerabilitäts-Stress-Modelle zu bewerten? 47 Zur Vertiefung Ø 1. Kapitels in Hoyer & Knappe „Was ist Klinische Psychologie?“ 48 Klinische Psychologie (2. Termin) Epidemiologische Beiträge zur Klinischen Psychologie PD Dr. Tobias Krieger Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie 28.02.2024 Vorlesung 1 Fragen, die Sie beantworten können sollten Was sind zentrale Aufgaben der Epidemiologie für die Klinische Psychologie und Psychotherapie (Unterschied deskriptive und analytische Epidemiologie)? Erklären Sie zentrale Begriffe der Epidemiologie (Prävalenz und Inzidenz). Was sind wichtige Merkmale epidemiologischer Untersuchungen? Was sind typische Untersuchungsdesigns in der Epidemiologie? Was sind die wichtigsten Zahlen und Befunde aus epidemiologischen Untersuchungen? (s. Folie 26) Gesundheitsökonomie: Was versteht man unter direkten, indirekten und intangilen Kosten? Was ist mit einer Odds Ratio (OR) von (z.B.) 5.6 gemeint? Dürfen die in epidemiologischen Untersuchungen gefundenen Zusammenhänge kausal interpretiert werden? Wenn nicht, was sind Hinweise auf kausale Einflüsse? 2 Epidemiologie - Begriff Ursprünglich zum Verständnis von Epidemien übertragbarer Krankheiten Klassische Studie (John Snow, Mitte 19 Jh.): – Snow untersuchte Verbreitungswege der Cholera während Epidemie in London – stellte Ungleichverteilung der Cholera je nach Wohngebiet fest – stellte Verbindung zu Wasserversorgung her – identifizierte mit systematischer Forschung einzelne Wasserversorger, deren Wasser man nicht trinken sollte Erweiterung der Epidemiologie auf das gesamte Spektrum körperlicher und psychischer Störungen 3 Zentrale Aufgaben der Epidemiologie für die Klinische Psychologie und Psychotherapie? Deskriptive Epidemiologie: Feststellung der Häufigkeit von Krankheiten und der Verteilung von Krankheiten über Raum und Zeit Analytische Epidemiologie: Erkenntnisse über Ursachen, Risiko- und Auslösefaktoren psychischer Störungen gewinnen (geht über Beschreibung [= deskriptive Epidemiologie] hinaus) Ø Beispiele später 4 Zentrale Begriffe Prävalenz: Häufigkeit einer Erkrankung. Welcher Anteil der Menschen einer definierten Population ist zu einem bestimmten Zeitpunkt (bzw. während einer bestimmten Zeitspanne) an einer bestimmten Störung erkrankt? Punktprävalenz: Welcher Anteil einer Population ist an einem bestimmten Stichtag (= Punkt) an einer Störung erkrankt? Periodenprävalenz: Welcher Anteil einer Population ist während einer bestimmten Periode krank? – 12-Monats-Prävalenz: während der letzten 12-Monate – Lebenszeitprävalenz: im Verlauf des Lebens Unterschiedliche Prävalenzraten der Depression in Abhängigkeit der verwendeten Zeitkriterien 5 Zentrale Begriffe Inzidenz: Häufigkeit des Neuauftretens einer Erkrankung innerhalb eines bestimmten Zeitraumes, unabhängig davon, ob die Erkrankung am Ende der Zeitperiode (z.B. 12-Monats-Inzidenz) noch besteht oder nicht Anzahl der Neuerkrankungen (in definiertem Zeitraum) Inzidenzrate = Alle Personen der definierten Population Zusammenhang Inzidenz und Prävalenz: Eine Krankheit kann durch viele Neuerkrankungen (hohe Inzidenzrate) und/oder durch eine niedrige Genesungsrate (z.B. chronische Krankheit) eine hohe Prävalenz erlangen. Schnelle Heilung führt über eine hohe Genesungsrate zu einer niedrigen Prävalenz Weiteres Konzept Kumulierte Inzidenz: Wie viele Menschen bis zu einem bestimmten Alter sind an einer Störung erkrankt? (Beispiel hierfür siehe später) 6 Wichtige Merkmale epidemiologischer Untersuchungen Populationsbezogenheit: Es wird die Population bzw. die Gesamtheit der Individuen (z.B. Allgemeinbevölkerung) betrachtet. Gegensatz: Klinische Wirksamkeitsstudien – Weisen in der Regel einen systematischen Selektionsbias auf: Untersucht werden nur Fälle, die aufgrund verschiedener Faktoren (z.B. Schwere oder Stadium der Störung) eine Behandlung in Anspruch nehmen Repräsentative Stichproben in epidemiologischen Untersuchungen besonders wichtig – z.B. muss gewährleistet werden, dass jede Person der Grundgesamtheit die gleiche Wahrscheinlichkeit hat, in die Stichprobe zu kommen – z.B. sog. „convenience samples“ (Individuen, die leicht erreichbar und kooperativ sind; z.B. gewonnen nur über online Rekrutierung) erlauben keine Rückschlüsse auf die Grundgesamtheit Ø oft Verwendung von systematischen und umfassenden Registern, aus denen eine Zufallsauswahl getroffen wird (z.B. Einwohnerregister; Krebsregister; siehe z.B. www.nkrs.ch/de) Ø auch die „Response Rate“ (Anzahl der Personen, die auf Befragung antworten) muss hoch sein, weil es ansonsten zu systematischen Verzerrungen kommen kann (z.B. bestimmte Bevölkerungsgruppen antworten nicht) 7 Wichtiges Merkmal (1): Populationsbezogenheit Beispiele verschiedener repräsentativer Stichproben (in Epidemiologie) im Gegensatz zu einer Stichprobe in einer klinischen Wirksamkeitsstudien Allgemeinbevölkerung (oder Teile daraus; z.B. Altersgruppe) Alle Personen mit (z.B. Angst-, depressiven) Symptomen Alle Personen mit einem (z.B. depressiven) Syndrom Alle unbehandelten Fälle mit einer DSM-Diagnose Alle Patienten mit Diagnose in Behandlung Clinical research samples 8 Wichtiges Merkmal (2) epidemiologischer Untersuchungen Exakte Falldefinition Details der Falldefinition müssen genau beachtet und in den Studien beschrieben werden z.B. werden etablierte diagnostische Kriterien für die Falldefinition verwenden? Mit welchen Methoden werden Diagnosen erfasst? Wird ICD oder DSM verwendet? Oder werden nur Personen mit bestimmten Symptomen/Syndromen untersucht? Wie genau werden Symptome erfasst? etc. Kleinste Variationen in der Fallfindung können grosse Effekte auf Prävalenz- und Inzidenzschätzungen haben Ø Erklärt, weshalb insbesondere in frühen epidemiologischen Untersuchungen die Bandbreite der Prävalenzschätzung so gross war (z.B. 12-Monats-Prävalenz Depression: 3%-60%) 9 Typische Untersuchungsdesigns in der Epidemiologie Epidemiologische Studien sind typischerweise nicht experimentell (d.h. keine bewusste Manipulation durch Forscher:innen) Querschnittstudie: Einmalige Untersuchung einer Population. Zum Beispiel Momentaufnahme zur Punktprävalenzschätzung einer bestimmten Störung in der Allgemeinbevölkerung. Teils retrospektive Erhebung (z.B. Depression in den letzten 12 Monaten zur 12-Monats-Prävalenzschätzung) Längsschnittstudie: Untersuchung einer Population in verschiedenen Wellen (zu verschiedenen Zeitpunkten). Erlaubt (a) die Feststellung von Inzidenzen (Neuerkrankungen seit letztem Messzeitpunkt), (b) die Beschreibung von Verläufen und (c) die Untersuchung bestimmter Wechselwirkungen zwischen Variablen (z.B. Untersuchung von Risikofaktoren zur Entwicklung psychischer Störungen) 10 Typische Untersuchungsdesigns in der Epidemiologie Kohortenstudien (cohort study): eine Beobachtungsstudie, bei der eine gewisse Gruppe von Menschen (eine Kohorte) bezüglich ihrer Exposition (Einflussgrössen) und dem Auftreten möglicher unerwünschter Wirkungen (Zielgrössen) über einen gewissen Zeitraum beobachtet wird. Können Quer- oder Längsschnittstudien sein. Untersucht wird eine bestimmte Kohorte (Personen mit gleichem Merkmal; z.B. alle haben ein Trauma erlebt; alle im Altersbereich von 20-30 Jahren; leben in derselben Stadt). Untersucht wird zum Beispiel, welcher Anteil der Kohorte, die ein Trauma erlebt hat, später eine Posttraumatische Belastungsstörung entwickelt (und was sind Risikofaktoren). Fallkontrollstudien (case-control study): Nicht- experimentelle, retrospektive Studien mit zwei Gruppen – die Gruppe der Fälle (z.B. mit psychischer Störung) und die Gruppe der Kontrollen (z.B. ohne psychische Störung). Dann z.B. Vergleich zwischen Merkmalen der Personen mit psychischer Störung mit Merkmalen der Personen, die keine psychische Störung entwickelt haben. Ziel: Identifikation von Risiko- oder Schutzfaktoren. Häufig auch bei seltenen Krankheiten. 11 Berühmte Beispiele für Kohortenstudien Framingham (Heart) Study (USA): Die Studie begann 1948 mit 5209 erwachsenen Probanden (30- 62 J., ohne Herzerkrankung oder Schlaganfall in der Vorgeschichte) aus Framingham (USA) und befindet sich nun in der dritten Teilnehmergeneration Dunedin-Study (Neuseeland): Geburtskohorte von 1037 Babys, die zwischen April 1972 und Ende März 1973 im ehemaligen Queen Mary Maternity Centre in Dunedin (NZL) geboren wurden (z.B. Caspi et al. 2003) Environmental Risk (E-Risk) Longitudinal Twin Study: Beispielstudie aus der Framingham- eine Geburtskohorte von 2232 Zwillingen, die in den Jahren 1994 Studie (Cacioppo et al., 2009) und 1995 in England und Wales geboren sind Zürcher Kohortenstudie (Schweiz): 591 Teilnehmer:innen (18-19 Jahre) wurden mit halb- strukturierten Interview befragt, um das Vorhandensein von 15 psychiatrischen Syndromen im vergangenen Jahr zu bewerten. Sieben Befragungen fanden zwischen 1979 und 2008 statt. 12 Beispiele: Deskriptive Epidemiologie Bundes-Gesundheitssurvey 1998/99 (Deutschland): Erste von der deutschen Bundesregierung beauftragte Studie zur Erforschung der Prävalenz somatischer und psychischer Störungen – Zufallsstichprobe aus den Einwohnermelderegistern in 130 repräsentativ ausgewählten Regionen (N=4181 zwischen 18-65 Jahren) – Stichprobe kann für die deutsche Bevölkerung von 18-65 Jahren als repräsentativ erachtet werden – Querschnittstudie: Personen wurden einmal für ein computergestütztes, strukturiertes klinisches Interview eingeladen – Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und ihr Zusatzmodul Psychische Gesundheit (DEGS1-MH): Rund 15 Jahre später durchgeführte ebenfalls repräsentative Studie N = 5317; N = Alter: 18 bis 79 Jahren Querschnittstudie 13 Der Bundes-Gesundheitssurvey (GHS-MHS) - Deutschland Lebenszeitprävalenz psychischer Störungen (DSM-IV) Jacobi et al., 2004 14 Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und ihr Zusatzmodul Psychische Gesundheit (DEGS1-MH): 12-Monatsprävalenz psychischer Störungen (DSM-IV) nach Alter und Geschlecht Jacobi et al., 2014 15 12-Monats-Prävalenzen (DSM-IV-TR) in der erwachsenen Allgemeinbevölkerung (Alter 18–79 Jahre) in Deutschland (DEGS1-MH) Störung durch Substanzgebrauch: 16.7% (ohne Nikotin: 5.7%) Angststörung: 15.4% Panikstörung: 2.0% Agoraphobie: 4.0% Soziale Phobie: 2.8% Spezifische Phobie: 10.3% Zwangsstörung: 3.6% PTBS: 2.3% Affektive Störungen: 9.8% Major Depression: 6.8% Bipolare Störung: 1.5% Somatoforme Störung: 3.5% Mögliche psychotische Störungen: 2.6% Essstörungen: 0.9% 17 12-Monatsprävalenz psychischer Störungen (DSM-IV) aus 21 europäischen Bevölkerungsstudien (Wittchen & Jacobi, 2005) 18 12-Monats-Komorbidität psychischer Störungen (Bundes-Gesundheitssurvey) OR = Odds Ratio (siehe Folien analytische Epidemiologie) 19 Ersterkrankungsalter Bundes-Gesundheitssurvey (retrospektive Befragung): 75% der psychischen Störungen treten erstmals in der Jugend oder im jungen Erwachsenenalter auf Depression, generalisierte Angststörungen, Panikstörungen und psychotische Störungen (z.B. Schizophrenie) beginnen später als Phobien (spezifische und soziale Phobien), Essstörungen oder somatoforme Störungen „Early Developmental Stages of Psychopathology Study“ (EDSP; Wittchen et al., 1998): Repräsentative Stichprobe von Jugendlichen im Alter zwischen 14-24 Jahren Längsschnittstudie: Vier Untersuchungswellen; nach der Baseline-Untersuchung nach 2, 4 und 10 Jahren (Baseline N=3021) Standardisiertes klinisches Interview Ø Ergebnisse siehe nächste Folie 20 Ergebnisse EDSP-Studie Kumulierte Inzidenz für die zu Beginn 14- und 17-jährigen Angststörungen: Früher Beginn; Nach dem 18. Lebensjahr nimmt die Zahl der Neuerkrankungen ab Depression: Späterer Beginn als Angststörungen; Ersterkrankungsrisiko beginnt bei ca. 13 Jahren und setzt sich auch nach dem 20. Lebensjahr fort Nikotinabhängigkeit: Starker Anstieg ab 13 Jahren; flacht nach dem 18. Lebensjahr ab (Kohortenunterschied?) 21 Aktuelle Meta-Analyse zum Ersterkrankungsalter Solmi, et al. (2022). Age at onset of mental disorders worldwide: large-scale meta- analysis of 192 epidemiological studies. Molecular psychiatry, 27(1), 281-295. Link 22 Versorgungsepidemiologie Behandlungsraten nach Alter und Geschlecht in Deutschland (Mack et al., 2014) % 100 90 18-34 35-49 50-64 65+ 80 Befragte mit einer Diagnose einer 70 psychischen Störung 60 51.8 49.4 50 46.2 43.4 39.1 40.1 40 36.3 30 25.5 27.5 23.3 21.9 20 15.8 14.1 13.3 9.2 10 4.5 0 Männer Frauen Männer Frauen A. Lifetime Diagnose und B. 12-Monats Diagnose und lifetime „Behandlung“ 12-Monats “Behandlung“ 23 Behandlungsraten in Hausarztpraxen 24 Versorgungssituation in Europa (psychische Störungen) Nur 30-52% (je nach Land) mit psychischer Störung erhalten überhaupt irgendeine Behandlung (z.B. von Hausarzt) Nur 8-16% erhalten spezialisierte Behandlung (Psychiater:in, Psychotherapeut:in) Nur 2-9% erhalten eine minimal adäquate Therapie Wenn Behandlung, dann v.a. Medikamente, Psychotherapie nur für ca. 3% aller Betroffenen Die Behandlung erfolgt i.d.R. viel zu spät (Median: 15.6 Jahre nach Krankheitsbeginn) Ø Das Ausmass der Unter-, Fehl- und verzögerten Versorgung psychischer Störungen ist unter allen Krankheiten einzigartig Ø Hauptursache: Nicht ausreichende Kapazitäten (z.B. zu wenig Therapeut:innen) für die vielen Menschen mit psychischen Störungen, aber auch Stigmatisierung, etc. 25 Wittchen, 2013 Die wichtigsten Zahlen und Befunde (hauptsächlich; Deutschland; werden aber in anderen westlichen Ländern bestätigt) - Lebenszeitrisiko psychischer Störungen insgesamt: ca. 43% (ca. 50% -75 Jahre) - Die häufigsten Störungen sind Angststörungen, affektive Störungen und Substanzstörungen - 12-Monatsprävalenz: ca. 30%; Männer : Frauen = ca. 2 : 3 - Ausgeprägte Komorbiditäten - Ersterkrankungsrisiko: Es gibt früher und später auftretende Störungen (z.B. bestimmte Angststörungen (Phobien) früher als Depressionen) - Versorgungssituation schlecht: Insbesondere aufgrund mangelnder Versorgungsdichte (z.B. zu wenig Therapeut:innen) - Verlauf: variabel - eher episodisch: affektive Störungen (Major Depression, Bipolare Störungen) - eher persistierend/chronisch: Alkoholabhängigkeit, somatoforme Störungen, Dysthymie - hohe Spontanremission: frühe Phobien, Substanzmissbrauch 26 Gesamtkosten für (psychische) Erkrankungen in Europa (Gustavsson et al. 2011) pro Person (in €) Gesamt (in Millionen €) Direkte Kosten stehen unmittelbar mit der Behandlung der Krankheiten in Verbindung. Indirekte Kosten werden aufgrund von Produktivitätsverlusten wie beispielsweise krankheitsbedingter Arbeitsausfälle, dauerhafter Arbeitsunfähigkeit, vorzeitiger Pensionierung oder frühzeitigem Tod ausgelöst. Intangible Kosten entstehen durch verlorene Lebensqualität (s. nächste Folie). 27 Hauptursachen für verlorene Lebensjahre Psychische Störungen insgesamt auf Rang 6 und in der Gruppe der 15-49- jährigen auf Rang 1 für verlorene Lebensjahre durch frühzeitigen Tod und Krankheit oder Behinderung. DALY = disability-adjusted life years 28 Warum sinken die Prävalenzen trotz vermehrter Versorgungsangebote nicht ab? Drei mögliche Gründe: 1) Prävention und Versorgung sind mangelhaft und ineffektiv 2) eine durch zunehmende gesellschaftliche Risiken wachsende Morbidität wirkt Versorgungserfolgen entgegen, oder 3) ein psychologischer Kulturwandel bedingt sowohl die häufigere Wahrnehmung als auch Behandlung psychischer Symptome und Störungen. 29 Beispiele Analytische Epidemiologie Beispiel: Erkennen und quantifizieren von Risikofaktoren: Ist die Diagnose einer Sozialen Phobie bei den Eltern ein Risikofaktor für die Entwicklung einer Sozialen Phobie bei den Kindern? Diagnose bei Eltern Soziale Phobie nein ja Diagnose bei nein 253 126 Kindern ja 7 45 Odds ratio: 4.7** (95% CI: 1.7-13.0) ** p

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