Klinische Psychologie (6. Termin) Forschung in der Klinischen Psychologie

Summary

This lecture notes on clinical psychology (6th session) discusses research in clinical psychology and psychotherapy, focusing on different phases of psychotherapy research, case studies, randomized controlled trials (RCTs), and meta-analyses. It also explains the concepts of efficacy and effectiveness, and examples of empirical validated interventions.

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Klinische Psychologie (6. Termin) Forschung in der Klinischen Psychologie und Psychotherapie PD Dr. Tobias Krieger Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie 27.03.2024 Vorlesung 1 Fragen, die Sie beantworten können sollten Was sind nach Grawe die vier Phasen der Psychotherapieforschung? Was...

Klinische Psychologie (6. Termin) Forschung in der Klinischen Psychologie und Psychotherapie PD Dr. Tobias Krieger Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie 27.03.2024 Vorlesung 1 Fragen, die Sie beantworten können sollten Was sind nach Grawe die vier Phasen der Psychotherapieforschung? Was sind die Vor- und Nachteile von... – Fallstudien? – Experimentellen Einzelfallstudien? – Randomisiert kontrollierten Studien (RCTs)? – Metaanalysen? Was sind Vorteile der Randomisierung in RCTs? Was sind Vor- und Nachteile verschiedener Kontrollgruppen in RCTs? Was ist mit efficacy und effectiveness gemeint? Was sind empirisch validierte Interventionen? Was ist mit Moderatoren und Mediatoren gemeint? Was sind Beispiele hierfür in der Therapieforschung? Welche Faktoren beinhaltet die Therapiebeziehung (‚Working Alliance‘) nach Bordin? 2 Fokus Psychotherapieforschung (andere klinische Forschung z.B. in anderen Vorlesungen) Vier Phasen der Psychotherapieforschung (nach Grawe, 1992): 1. Legitimationsphase: Wirkt Psychotherapie überhaupt? 2. Wettbewerbsphase: Vergleichende Wirkung / Welcher Therapieansatz wirkt am besten? 3. „Verschreibungsphase“: Differentielle Wirksamkeit / Welche Form der Psychotherapie ist bei wem (und unter welchen Umständen) indiziert? 4. Prozessforschungsphase: Wirkungsweise / Wie wirkt Psychotherapie? 3 Legitimationsphase: Wirksamkeitsforschung Phasen der Therapieevaluation Phase Inhaltlicher Schwerpunkt Art der Studien Phase I Konzeptentwicklung Explizierung der Intervention, Manualentwicklung Phase II Exploration mit (nichtkontrollierten) Pilot-Studien Einzelfallstudien*, Machbarkeitsstudien Phase III Wirksamkeitsprüfung in kontrollierten Untersuchungen Experimentelle Einzelfallstudien* Kontrolliert randomisierte Studien (RCTs)* Metaanalysen* Phase IV Wirksamkeitsprüfung in der Routinepraxis Randomisierte oder nicht randomisierte Studien unter naturalistischen Bedingungen (in der Routinepraxis)* * wird im Folgenden erklärt 4 Fallstudien Am Anfang der Klinischen und Psychotherapieforschung standen Breuers/Freuds Fallstudien (z.B. Anna O.; Dora) Typische Merkmale: - Untersucht wird EIN Fall (Patient:in, Familie, Gruppe) - Gesammelte Informationen oft sehr detailliert, aber auch anekdotisch und wenig systematisch - Oft Fokus auf das Einzigartige/Besondere an einem Fall - Daten werden retrospektiv erhoben / niedergeschrieben (keine experimentellen Manipulationen) Pragmatic Case Studies in Psychotherapy: https://pcsp.libraries.rutgers.edu/index.php/pcsp/issue/archive 5 Fallstudien Vorteile: helfen Kluft zwischen Forschung und Praxis zu verkleinern: Fallstudien sind nahe am Einzelfall und Kliniker:innen können leicht auch selbst Fallstudien durchführen auch seltene Phänomene können illustriert werden (Bsp. aus Neurowissenschaften: Oliver Sacks) Fallstudien können v.a. auch während der Entwicklung neuer Erhebungs- und Behandlungsformen nützlich sein (erste Erfahrungen berichten) 6 Fallstudien Nachteile: Generalisierungsmöglichkeiten stark eingeschränkt (Erkenntnisse haben nicht unbedingt Gültigkeit für andere Fälle) Viele unkontrollierte Variablen (z.B. können leicht «plausible» Geschichten geschrieben werden, welche Faktoren für ein Ergebnis wesentlich waren, aber aus einer anderen Perspektive lassen sich auch andere «plausible» Geschichten ableiten) Verminderte Objektivität (die Fallbeschreibungen werden oft von Kliniker:innenn erstellt, die gleichzeitig die Therapeut:innen waren; Beobachtung ist nicht unabhängig) 7 Experimentelle Einzelfallstudien Logik hinter experimentellen Einzelfalldesigns 1. 2. 3. Auswahl einer Zielvariablen (abhängige Variable): z.B. Intensität der Angst Wiederholte Messung der Zielvariablen: z.B. Wiederholte Messung der Angst mit Fragebogen Baseline Erhebung: Überwachen der Zielvariable über einen bestimmten Zeitraum (ohne Intervention) Baseline Angst 8 Experimentelle Einzelfallstudien Logik hinter experimentellen Einzelfalldesigns 4. Einführen der Intervention. Wiederholte Messung der abhängigen Variablen. Baseline Intervention Angst Ø Die Wirksamkeit einer Intervention wird getestet, indem die Veränderung in der abhängigen Variablen nach Einführung der Intervention evaluiert wird. 9 Experimentelle Einzelfallstudien Logik hinter experimentellen Einzelfalldesigns Logik: Wenn alle anderen Variablen konstant gehalten werden, und die einzige Variable, die verändert wurde, das Einführen der Intervention war, kann darauf geschlossen werden, dass die Intervention mit einiger Wahrscheinlichkeit kausal für die Veränderung verantwortlich war Ø Weil es nicht möglich ist, alle möglichen Störvariablen zu kontrollieren, sind Replikationen von Einzelfallexperimenten wichtig è Schluss auf kausale Wirkung einer Intervention ist umso stärker, je mehr Replikationen und je konsistenter die Ergebnisse 10 -Design Baseline Intervention Idee: Eine Rückkehr auf das Ausgangsniveau bei der zweiten Baseline-Erhebung stärkt Validität der Kausalitätsaussage Aber! In der klinischen Praxis häufiger... Veränderung bleibt auch bei der zweiten Baseline-Erhebung stabil, weshalb im klinischen Bereich ABA-Designs häufiger sind. 11 Verschiedene Kombinationen möglich!..... Zwanghaftes Händewaschen (Mills et al., 1973) Fünf erfolgreiche Replikationen mit 5 stationären Patient:innen, die unter starkem Waschzwang litten Während Replikationsserie Veränderung im Versuchsplandesign, zuerst A-B-A Design A = Baseline; B= Exposition mit Reaktionsverhinderung (Hände «verschmutzen» & Verhindern der Möglichkeit Hände zu waschen) Später A-B-BC-B-A Design, A=Baseline, B=Placebo, C=Expo mit Reaktionsverhinderung 12 Beispiel Zwanghaftes Händewaschen Beispielergebnis aus Mills et al. (1973) Frequenz des täglichen Händewaschens Expo & Baseline Placebo Placebo Placebo Baseline Zeit 13 Vor- und Nachteile Experimenteller Einzelfallstudien Hauptnachteil: Ergebnisse lassen sich möglicherweise nicht auf andere Fälle generalisieren; wenig systematisch Vorteile: Es kann eine kausale Beziehung zwischen einer Intervention und einer Veränderung aufgezeigt werden Sehr viel billiger als experimentelle Studien mit grossen Stichproben Verschiedene Einzelfallexperimente können in rascher Abfolge aufeinander aufbauen und so schnell zur Entwicklung oder Optimierung einer Intervention beitragen Im Gegensatz zu vielen Gruppenstudien wird nicht einfach Prä und Post gemessen. Die wiederholte Messung erlaubt die detaillierte Analyse von Veränderungsmustern und zeitliche Abfolge der Veränderung 14 Randomisierte kontrollierte Studien (RCTs; randomized controlled trials) Goldstandard in der klinischen Forschung RCTs = Art von Experiment Kontrolliert, weil die Ergebnisse in der Studiengruppe mit denen einer Kontrollgruppe (z.B. Warteliste, andere Intervention) verglichen werden Randomisiert bedeutet, dass die Zuordnung zu einer Studiengruppe nach dem Zufallsprinzip erfolgt Baseline-Messung (z.B. Ausprägung der Symptomatik; Diagnostisches Interview) Anwendung von Ein- und Ausschlusskriterien (z.B. nur Personen, die Kriterien einer Depression erfüllen; z.B. KEINE Personen, die antidepressive Medikamente nehmen) Randomisierung Experimentalgruppe Kontrollgruppe Post- und Follow-Up-Messung (z.B. Ausprägung der Symptomatik nach Intervention und 6-Monate nach Intervention) 15 Beispielresultat RCT: Online versus Face-to-Face kognitivverhaltenstherapeutische Therapie bei Depressionen Resultat der Randomisierung Ausprägung Depressivität unmittelbar nach der Therapie 3 Monate nach der Therapie Ø Kein Unterschied unmittelbar nach der Therapie; Überlegenheit von Online Therapie 3 Monate nach der Therapie Wagner, Horn & Maercker (2014) 16 Vorteile Randomisierung ermöglicht Vergleichbarkeit der Bedingungen hinsichtlich aller denkbaren Personenvariablen und anderen Einflüssen (Kontrolle von Störvariablen; bekannte und unbekannte Störvariablen werden gleichmässig auf die Experimental- und Kontrollbedingung verteilt) Vergleichbarkeit ist zwar nicht vollständig garantiert, aber sie gewährleistet sie innerhalb bestimmter statistischer Fehlergrenzen 17 Kontrollgruppen Ø Wartelistekontrollgruppe: Vorteil: Zeiteffekte werden kontrolliert (z.B. spontane Remission) Nachteile: Ethische Bedenken (Menschen warten lassen) unklar, ob Wirkung einer Intervention auf spezifische Aspekte der Intervention zurückzuführen ist (Effekt könnte auch auf allgemeine Faktoren wie Aufmerksamkeit der Therapeut:innen zurückzuführen sein) Einsatz: Nützlich in einer frühen Phase der Wirkungstestung (ist die neue Therapieform überhaupt wirksam?) Ø Placebokontrollgruppe: Vorteil: Nicht nur Zeiteffekte, sondern auch Erwartungs- und Aufmerksamkeitseffekte werden kontrolliert. Erlaubt Schlüsse auf die spezifische Wirkung einer Intervention Nachteil: In Psychotherapieforschung nur schwer zu realisieren (meist sog. supportive Therapien = unspezifisch Unterstützung geben); Therapeuten wissen, dass es sich um Placebobedingung handelt (Erwartungseffekte?); auch Probanden müssen darüber informiert werden, dass sie möglicherweise in einer Placebobedingung sind; ethische Bedenken (20 Sitzungen Placebotherapie?) Einsatz: aus o.g. Gründen relativ selten 18 Kontrollgruppen Ø Vergleich mit einer anderen etablierten Therapieform Vorteil: – Spezifische Wirkung einer Intervention kann gezeigt werden. Unterschied in der Wirkung kann auf spezifischen Inhalt der Intervention zurückgeführt werden – keine ethischen Bedenken (alle erhalten eine erfolgsversprechende Intervention) Nachteil: – Sehr aufwändig (auch Kontrollintervention muss gut und seriös durchgeführt werden; für beide Bedingungen müssen geschulte Therapeut:innen verfügbar sein) – Sehr grosse Stichproben erforderlich, da nur kleine Unterschiede erwartet werden können (s. nächste Folie) Einsatz: – In einer zweiten Phase - nach einem Wartelistekontrollgruppenvergleich - wichtig 19 Die wichtigsten Vorteile von RCTs KAUSALE Wirksamkeitsbelege (dass Effekte auf Intervention zurückzuführen sind) nur durch experimentelle Studien möglich Hohe interne Validität (Störvariablen werden kontrolliert; Alternativerklärungen für das Vorliegen von Effekten können weitgehend ausgeschlossen werden) In RCTs wird das therapeutische Vorgehen genau definiert (in Manualen): Manuale können gerade für Anfänger-Therapeut:innen von Vorteil sein Ø Dank RCTs konnte die Wirksamkeit von Psychotherapie eindeutig nachgewiesen werden, was zur Akzeptanz von Psychotherapie auch im medizinischen Kontext und in politischen Diskussionen geführt hat. 20 Einige Nachteile von RCTs in der Psychotherapieforschung Resultate können nur auf Routinepraxis generalisiert werden, wenn die Patient:innen in der Routinepraxis hinreichend ähnlich sind und Therapeut:innen genau gleich vorgehen wie in der Studie Ø Patient:innen in der Routinepraxis haben oft komplexere Probleme als Patienten in den Studien (z.B. hohe Komorbidität = mehrere Störungen) Ø Je nach Patient:in kann es schwierig sein, sich an ein Manual zu halten und die meisten Therapeut:innen in der Routinepraxis halten sich nicht an Manuale und kombinieren therapeutische Methoden aus verschiedenen Ansätzen (PraxisForschungs-Lücke) Ein wesentlicher Teil des Effektes von Psychotherapien ist gar nicht auf spezifische Interventionen/Techniken zurückzuführen, sondern auf interventionsübergreifende Aspekte (z.B. therapeutische Beziehung), was dazu führt, dass kaum Unterschiede zwischen etablierten Therapieformen gefunden werden 21 Von kontrollierten Studien in die Routinepraxis... Unterscheidung Efficacy- und Effectiveness-Studien (keine guten deutschen Begriffe) Efficacy: die Wirksamkeit einer Behandlung in der „Kunstwelt“ kontrollierter Studien (unter idealen „Labor“-Bedingungen) Ø hohe interne Validität (z.B. Drittvariablen kontrolliert), geringere externe Validität (möglicherweise nicht auf Routinepraxis generalisierbar) Effectiveness: die Wirksamkeit einer Behandlung in der routinemässigen Anwendung in der Routinepraxis mit nicht besonders selegierten Patient:innen mit nicht besonders stark trainierten Therapeut:innen Ø hohe externe Validität (kann auf Routinepraxis generalisiert werden), geringere interne Validität (weniger kontrolliert) Ø Effectiveness-Studien sind nach Efficacy-Studien gefordert 22 Metaanalysen Zusammenfassende empirische Studien über Einzelstudien (sog. Primärstudien) Drinkmann (1990): «Methode zur quantitativen Integration der Ergebnisse empirischer Primäruntersuchungen sowie zur Analyse der Variabilität dieser Ergebnisse» Beispiel einer Forschungsfrage (Vorgehen und Ergebnis nächste Folien): Ist Psychotherapie plus Pharmakotherapie bei Depressionen und Angststörungen wirksamer als Pharmakotherapie alleine? (Cuijpers et al., 2014) 23 Ist Psychotherapie plus Pharmakotherapie bei Depressionen und Angststörungen wirksamer als Pharmakotherapie alleine? Vorgehen 1. Sammlung aller relevanter Primärstudien: RCTs, in welchen Psychotherapie plus Pharmakotherapie vs. Pharmakotherapie verglichen wurde 2. Codierung und Bewertung der gefundenen Untersuchungen: z.B. Qualität der Primärstudien (kann zum Ausschluss von Studien führen; z.B. nur Studien einschliessen, die gewisse Qualitätskriterien erfüllen: z.B. korrekte randomisierte Zuteilung der Probanden) 3. Datenanalyse: Spezielle Computerprogramme (z.B. Review Manager), in welche Ergebnisse der Primärstudien eingegeben und analysiert werden 24 Ergebnis dargestellt in einem sog. «Forest Plot» Primärstudien mit Pharmakotherapie besser mit Kombination besser Ø „Kombination“ ist im Schnitt mit einer Effektstärke (standardisierte Mittelwertsdifferenz) von 0.43 besser als „Pharmakotherapie alleine“ Standardisierte Mittelwertsdifferenz 25 Vor- und Nachteile Metaanalysen Wichtigste Vorteile: Ø Grosse Stichproben (viele Versuchspersonen): in Primärstudien ist die Stichprobe oft zu klein, um z.B. wirklich Unterschiede zwischen zwei Interventionsgruppen finden zu können (Problem der unzureichenden statistischen Power) Ø Metaanalysen können helfen, Unterschiede in den Effekten von Interventionen zu erklären (beim wem und unter welchen Bedingungen werden gute oder schlechte Effekte erzielt = Identifizieren von sog. Moderatorvariablen) Ø Metaanalysen geben Überblick über Forschungsbereich und zeigen auf, wo noch Lücken bestehen (Anregung für neue Primärstudien) Wichtigste Nachteile: Ø „Garbage in à Garbage out“: wenn «Müll» reingeht (Primärstudien von schlechter Qualität) kommt auch «Müll» raus (Meta-Analysen sagen nichts aus) Ø Verzerrungen möglich: z.B. aufgrund des Publication Bias (signifikante und Ergebnisse, die den Vorstellungen der Forscher:innen (oder Fachzeitschriften) entsprechen, werden häufiger veröffentlicht, als nicht signifikante und Ergebnisse, die ggfs. den Vorlieben der Forscher:innen widersprechen) 26 Wann gelten Interventionen als evidenzbasiert? Ø Evidenzgrade einer Therapieform nach den Kriterien der Fachgruppe für Klinische Psychologie und Psychotherapie (in Anlehnung an Chambless & Hollon, 1988) Evidenzgrad Evidenzbasis Klassifizierung 1a Metaanalyse(n) über mehrere randomisierte, kontrollierte Studien (A) wirksam und spezifisch: Überlegenheit gegenüber medikamentöser oder psychologischem Placebo oder einer alternativen Bonafide-Behandlung in mind. zwei unabhängigen Untersuchungen 1b Mindestens zwei randomisierte, kontrollierte Studien (RCT) aus unabhängigen Gruppen (B) wirksam: Überlegenheit gegenüber Kontrollbedingung in mind. zwei unabhängigen Untersuchungen 2a Eine randomisierte kontrollierte Studie (C) möglicherweise wirksam 2b Serie von gut angelegten experimentellen Einzelfallstudien 27 Beim wem und wie wirkt Psychotherapie? Zwei wichtige Begriffe: Moderation und Mediation Ø Mediatoren ERKLÄREN den Zusammenhang zwischen zwei Variablen: z.B. welche Mediator-Variablen (z.B. Therapiebeziehung) erklären den Therapieerfolg = Wie (über welche Wirkmechanismen) wirkt Psychotherapie Ø Moderatoren VERÄNDERN den Zusammenhang zwischen zwei Variablen: z.B. welche Moderator-Variablen (z.B. Alter) beeinflussen/verändern den Therapieerfolg = beim wem (mit welchen Merkmalen) wirkt Psychotherapie 28 Mediatoren ERKLÄREN den Zusammenhang Beispiel: Eine Gitarre geschenkt zu kriegen, erhöht die Wahrscheinlichkeit einen Plattenvertrag zu erhalten. Gitarre erhalten einen Plattenvertrag erhalten 29 Mediatoren ERKLÄREN den Zusammenhang Beispiel: Die Variable «Praxis, üben, üben, üben» mediiert bzw. erklärt den Zusammenhang = indirekter Effekt wenn ich eine Guitarre erhalte, bin ich z.B. motiviert zu üben Gitarre erhalten Praxis Üben,üben,üben je mehr ich übe, desto grösser die Chance, einen Plattenvertrag zu erhalten einen Plattenvertrag erhalten = direkter Effekt 30 Beispiel aus der Therapieforschung Zusammenhang zwischen positiver Veränderungserwartung und Therapieoutcome wird teilweise über gute Therapiebeziehung mediiert (Johannson et al. 2011) Gute Therapiebeziehung (= Mediator) Positive Veränderungserwartung (Erwartung, dass Therapie helfen wird) Therapieerfolg Ø Positive Veränderungserwartung wirkt sich positiv auf Therapieerfolg aus. Dies kann über eine bessere Therapiebeziehung bei Patient:innen mit positiver Veränderungserwartung erklärt werden 31 Mediationsanalysen Voraussetzungen B (Mediator) z.B. Therapiebeziehung Prädiktor (A) muss mit Mediator (B) assoziiert sein A Prädiktor z.B. Veränderungserwartung (A) muss mit (C) assoziert sein Mediator (B) muss mit abhängiger Variable (C) assoziert sein C Abhängige Variable z.B. Therapieergebnis 32 Testung der Mediatorwirkung B (Mediator) z.B. Therapiebeziehung Die Stärke der Assoziation zwischen A und C wird reduziert, wenn die Assoziation zwischen A und B und B und C statistisch kontrolliert wird. Berechnung z.B. mittels Regressionsanalysen A Prädiktor z.B. Veränderungserwartung C Therapieergebnis 33 Moderatoren VERÄNDERN den Zusammenhang Beispiel: Die Variable «Talent, Gene» beinflusst bzw. verändert den Zusammenhang z.B. Talent, Gene Guitarre erhalten Moderator einen Plattenvertrag erhalten Prädiktor 34 Beispiel aus Psychotherapieforschung Kognitive Verhaltenstherapie (KVT/CBT) versus interpersonelle Psychotherapie (IPT) (McBride et al., 2007) B (Moderator; i.d.R. Baseline-Variable) Ängstlich-vermeidender Bindungsstil der Patienten (Angst vor Intimität; vermeiden von tiefergehenden Beziehungen) A 1. KVT 2. IPT C Therapieergebnis 35 Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) versus interpersonelle Psychotherapie (IPT; McBride et al., 2007) Depressivität zum Ende der Therapie (Beck Depressionsinventar) Ängstlich-vermeidender Bindungsstil Ø Patienten mit stark ausgeprägtem ängstlich-vermeidendem Bindungsstil profitieren mehr von kognitiver Verhaltenstherapie (CBT) als von interpersoneller Therapie (IPT); Patienten mit schwach ausgeprägtem ängstlich-vermeidendem Bindungsstil profitieren leicht besser von der IPT 36 Weiteres Beispiel aus der Psychotherapieforschung Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy (CBASP) vs. Supportive Therapie bei chronischer Depression Moderator: Komorbide Angststörung (insb. Soziale Angststörung) è Potentielle Erklärung: Fokus auf interpersonelle Probleme Assmann et al. (2018) Link zur Studie 37 Prozessforschung (wie wirkt Psychotherapie?) ist oft auch rein korrelativ Typische Fragestellung Hängt die Qualität der Therapiebeziehung im therapeutischen Prozess mit dem Therapieergebnis zusammen? Ergebnisse dazu: Therapiebeziehung korreliert in allen Phasen der Therapie positiv mit dem Therapieergebnis Robustes Ergebnis über verschiedene Patientengruppen/Kontexte hinweg Aber! Korrelation ist mit rund.28 (Metaanalyse von Flückiger et al., 2018) relativ gering. Therapiebeziehung erklärt damit ca. 8% der TherapieoutcomeVarianz Ø Wie kommen solche Resultate zustande? (siehe nächste Folien) 38 Therapiebeziehung eingeschätzt aus der Patientenperspektive Nach jeder Sitzung füllen die Patienten einen Fragebogen (Stundenbogen) aus Im Bereich der Therapiebeziehung z.B. das Working Alliance Inventar (WAI-SR); basiert auf der Konzeption von Bordin (1974) Beispielitems des WAI-SR: Mein/e Therapeut/in und ich achten einander (erfasst emotionale Bindung; «Bond»-Komponente der Therapiebeziehung) Meine Therapeutin und ich arbeiten auf Ziele hin, über die wir uns einig sind (erfasst Übereinstimmung bezüglich der Therapieziele; «Goal»-Komponente der Therapiebeziehung) Ich glaube, dass es richtig ist, wie wir an meinen Problemen arbeiten (erfasst die Übereinstimmung bezüglich des Vorgehens; «Task»-Komponente der Therapiebeziehung) Ø Berechnet wird z.B. die Korrelation zwischen den gemittelten WAI-Werten (gemessen in einer bestimmten Phase der Therapie; z.B. erste 4 Sitzungen) und der Veränderung der Symptomatik (Therapieoutcome) 39 Oder: Therapiebeziehung eingeschätzt aus der Beobachterperspektive Einschätzung einzelner Segmente einer Sitzung (oder einer ganzen Sitzung) durch unabhängige Beobachter auf der Basis von Video-, Audioaufzeichnungen oder Transkripten der Therapie Beispielitems WAI-OR, die die Rater einschätzen sollen (auf der Basis von Videoaufzeichnungen der Therapie): Die/Der Klient*in wird von dem/der Therapeuten*in wertgeschätzt («Bond»-Komponente) Die/Der Klient*in und die/der Therapeut*in arbeiten an Zielen, über die sie sich gemeinsam geeinigt haben («Goal»-Komponente) Die/Der Klient*in und die/der Therapeut*in stimmen in den konkreten Methoden überein, mit denen sie an den Problemen des Klienten/der Klientin arbeiten («Task»-Komponente) 40 Weitere Beispielstudie: Prozessforschung Therapiebeziehung – BOND (Patientenperspektive) Einfluss eines „Ressourcenprimings“ (während der ersten 5 Sitzungen) auf die Einschätzung der Qualität der therapeutischen Beziehung der Patient:innen (Flückiger & grosse Holtforth, 2009) 41 Klinische Psychologie (7. Termin) Differentialpsychologische Aspekte und ihr Nutzen für die Klinische Psychologie PD Dr. Tobias Krieger Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie 10.04.2024 Vorlesung 1 „Flashback“ 1. Frage zu Mediation - z.B. Zilcha-Mano et al. (2014) Link 2. Frage zu „Efficacy“ und „Effectiveness“ 2 Fragen, die Sie beantworten können sollten Was ist der Unterschied zwischen Trait und State? Was sind die Big Five? Wie erklärt das Tripartite-Modell Depression und Angststörungen? Welche Big Five Persönlichkeitsfaktoren korrelieren gemäss Metaanalysen mit Depression und Angststörungen? Erklären Sie die verschiedenen Modelle, die beschreiben, wie Persönlichkeit und psychische Störungen zusammenhängen können Welche Implikationen kann die Forschung zum Zusammenhang von Persönlichkeit und psychischen Störungen haben? Nennen Sie Merkmale einer Persönlichkeitsstörung (PS) nach DSM-5 In Bezug auf welche Aspekte gibt es im Kriterium A des Alternativen Modells der PS (AMPS) nach DSM-5 mögliche Funktionsbeeinträchtigungen? Nennen Sie die 5 Domänen (siehe Kriterium B) im AMPS nach DSM-5? Was bedeutet „ich-synton“ und „ich-dyston“? Was sind mögliche Probleme mit dem Begriff/der Diagnose Persönlichkeitsstörung? Was ist mit Treatment-Aptitude-Ansätzen gemeint? Nennen Sie ein Beispiel eines solchen Ansatzes Was versteht man unter „direktivem“ resp. „nicht-direktivem“ Therapeut:innenverhalten 3 Differentielle Psychologie Allgemeine Psychologie: Fokus auf allgemeine Gesetzmässigkeiten und Gemeinsamkeiten im Erleben und Verhalten Differentielle Psychologie: Fokus auf die Beschreibung, Erklärung und Vorhersage interindividueller Unterschiede im Erleben und Verhalten Wichtiges Konstrukt zur Beschreibung, Erklärung und Vorhersage interindividueller Unterschiede: Persönlichkeit bzw. Persönlichkeitsmerkmale (Traits) è Persönlichkeit = die Gesamtheit aller überdauernden individuellen Besonderheiten im Erleben und Verhalten eines Menschen 4 „Trait“ vs. „State“ Ø Von den relativ stabilen Persönlichkeitseigenschaften (= Traits) abzugrenzen ist der Begriff des aktuellen Zustandes einer Person (= State), der sich über die Zeit und Situationen deutlicher verändert. Beispiel Unterscheidung State-Trait-Angst nach Spielberger (1973) 5 Die „Big Five“ im letzten Jahrhundert wurden verschiedenste Persönlichkeitsklassifikationen vorgeschlagen seit den 1980er Jahr wurde vieles im Fünf-Faktoren-Modell (FFM) integriert FFM nimmt an, dass verschiedene spezifische Persönlichkeitsmerkmale letztlich 5 generellen Faktoren zugeordnet werden können (the „Big Five“) – Neurotizismus – Extraversion – Offenheit für Erfahrungen – Gewissenhaftigkeit (‚conscientiousness‘) – Verträglichkeit (‚agreeableness‘) Diese “Superfaktoren“ (oder „Faktoren 2. Ordnung“) entsprechen der höchsten Hierarchieebene und ergeben sich faktoranalytisch aus noch miteinander korrelierenden Subskalen / Dimensionen / Facetten / spezifischeren Persönlichkeitsmerkmalen (Faktoren 1. Ordnung). 6 Neurotizismus (auch „Negative Emotionalität“) Neurotizismus bezeichnet die stabile Tendenz, negative Emotionen und damit einhergehende Beschwerden und Kognitionen (z.B. Grübeln) zu erfahren Facette/Dimension Belastbarkeit (tiefer Neurotizismus) Negative Emotionalität (hoher Neurotizismus) Ängstlichkeit unbesorgt, entspannt ängstlich, besorgt Reizbarkeit ruhig, gelassen reizbar, erregbar, frustriert Depressivität optimistisch pessimistisch Soziale Befangenheit ungezwungen, unbefangen befangen, gehemmt Impulsivität beherrscht, kontrolliert ungezügelt, exzessiv Vulnerabilität stressresistent vulnerabel, verletzlich Facetten / Dimensionen / Faktoren 1. Ordnung von Neurotizimus 7 Extraversion (auch „Positive Emotionalität“) Extraversion zeichnet sich durch eine nach aussen gewandte Haltung aus (im Gegensatz zu Introversion). Extraversion und Introversion sind zwei Pole einer Persönlichkeitseigenschaft Facette/Dimension introvertiert extravertiert Freundlichkeit eher reserviert, formell herzlich, freundlich Geselligkeit zieht Zurückgezogenheit vor gesellig Durchsetzungsfähigkeit zurückhaltend bestimmt; durchsetzend Aktivität weniger Aktivität, mehr Ruhe hoher Grad von Aktivität Risikofreude, Abenteuerlust, Erlebnishunger geringer Bedarf an Aufregungen, selbstgenügsam liebt Erregung und Aufregung Heiterkeit nüchtern, trocken heiter, fröhlich 8 Offenheit für Erfahrungen Offenheit für Erfahrungen: Mit diesem Faktor wird das Interesse und das Ausmass der Beschäftigung mit neuen Erfahrungen, Erlebnissen und Eindrücken beschrieben Facette/Dimension konservativ, beharrlich, unbeweglich, traditionell offen, kreativ, beweglich, neugierig, liberal Fantasie pragmatisch, im Hier und Jetzt imaginativ, kreativ, visionär Ästhetik künstlerisch wenig Interesse; schnörkellos, ungekünstelt schätzt Kunst, z.B. Malerei, Musik, Poesie Emotionalität ignoriert Gefühle; Gefühle spielen erlebt Gefühle intensiv, keine Rolle; eher trockenGefühle spielen eine Rolle sachlich Unternehmungslust, Neugier konservativ – konventionell; verharrt im Vertrauten zieht Neues vor, schätzt Vielfalt und Veränderung Intellektualismus eher konkret und pragmatisch eher intellektuell, abstrakt, spekulativ Liberalismus konservativ, traditionell offen für die Infragestellung von Werten, liberal 9 Verträglichkeit Verträglichkeit beschreibt die Neigung zum Altruismus, zur Kooperation und Nachgiebigkeit Facette/Dimension kompetitiv, antagonistisch kooperativ, verträglich Vertrauen misstrauisch und vorsichtig gegenüber anderen vertrauensvoll gegenüber anderen Moral hält sich „bedeckt“, ist vorsichtig, zeigt seine Karten nicht offen aufrichtig, geradeheraus Altruismus egozentrisch, auf die eigenen Ziele gericht altruistisch, um das Wohl des Gegenübers bemüht Entgegenkommen kompetitiv, aggressiv kooperativ, entgegenkommend, anpassend Bescheidenheit überlegen, Anspruchshaltung bescheiden Mitgefühl distanziert zurückhaltend mitfühlend teilnehmend 10 Gewissenhaftigkeit Gewissenhaftigkeit beschreibt in erster Linie den Grad der Selbstkontrolle, Genauigkeit und Zielstrebigkeit Facette/Dimension nachlässig, locker gewissenhaft Kompetenz irritierbar, verunsicherbar selbstüberzeugt, sicher, fähig und effektiv Ordnung unorganisiert, unmethodisch, chaotisch gut organisiert, systematisch, ordentlich Pflichtbewusstsein flüchtig, unzuverlässig, locker gewissenhaft, zuverlässig Leistungsstreben geringes Bedürfnis nach Erfolg, gleichgültig ehrgeizig - erfolgsorientiert Selbstdisziplin nachlässig, zerstreut, ablenkbar Fokus auf Erledigung der Aufgabe, konzentriert Sorgfalt, Umsicht hastig, planlos, spontan Sorgfalt, Unbeirrtheit, Nachhaltigkeit Bei Interesse è Link zu Selbsttest mit Feedback: https://de.outofservice.com/bigfive/ 11 Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und psychischen Störungen Bekanntes Tripartite-Modell von Clark und Watson (1999): Depression gekennzeichnet durch hohe negative Emotionalität und tiefe positive Emotionalität (Angststörungen: nur negative Emotionalität plus Hyperarousal) Hyperarousal Angststörungen Hohe negative Emotionalität / Neurotizismus Tiefe positive Emotionalität / Extraversion Depression 12 Tripartite-Modell empirisch nicht vollständig bestätigt Metaanalyse (Kotov et al., 2010): Zusammenhang von Big-Five mit Depression und Angststörungen Hohe negative Emotionalität / Neurotizismus stärkster Zusammenhang Geringe Gewissenhaftigkeit starker Zusammenhang Depression Geringe positive Emotionalität / Extraversion nur mittelstarker Zusammenhang Ø Ähnliches Muster auch bei Angststörungen gefunden 13 Modelle, wie Persönlichkeit und psychische Störungen zusammenhängen können (Klein et al., 2011) 1. Common Cause Modell: Persönlichkeit und psychische Störungen haben gemeinsame Ursachen, sind aber nicht „direkt“ miteinander verbunden (Zusammenhang erklärt sich aus der gemeinsamen Ursache) z.B. gemeinsame genetische Risikofaktoren hohe Neurotizismuswerte Depression Empirische Evidenz: Zwillingsstudien, in welchen gezeigt wurde, dass Neurotizismus und Depression mit geteilten genetischen Risikofaktoren verbunden sind (z.B. Kendler et al., 2006) 14 Modelle, wie Persönlichkeit und psychische Störungen zusammenhängen können (Klein et al., 2011) 2. Kontinuum-Modell: Spezifische Persönlichkeitsmerkmale und spezifische psychische Störungen bilden ein Kontinuum. Psychische Störungen entsprechen Extremwerten auf diesem Kontinuum. Cut-Off Depression geringer Neurotizismus hoher Neurotizismus Empirische Evidenz spricht eher dagegen: Persönlichkeitsvariablen (z.B. Neurotizismus) hängen typischerweise nicht spezifisch mit einer spezifischen Störung zusammen. Zum Beispiel sind Neurotizismuswerte sowohl bei Depression, als auch Angst- und anderen Störungen erhöht (= Multifinalität). 15 Modelle, wie Persönlichkeit und psychische Störungen zusammenhängen können (Klein et al., 2011) 3. Vorläufermodell: Persönlichkeitsmerkmale sind Vorläufer psychischer Störungen. Spricht nicht gegen Modell 1 oder 2, aber es wird eine klare zeitliche Sequenz angenommen (hohe Ausprägung eines Traits è fördert die spätere Entwicklung einer psychischen Störung) Zeitpunkt 1: hoher Neurotizismus Zeitpunkt 2: Depression Empirische Evidenz: Verschiedene Längsschnittstudien zeigen, dass höhere Neurotizismuswerte das Auftreten einer späteren Depression voraussagen (z.B. de Graaf et al., 2002) 16 Modelle, wie Persönlichkeit und psychische Störungen zusammenhängen können (Klein et al., 2011) 4. Prädispositionsmodell: Bestimmte Persönlichkeitsmerkmale prädisponieren zur Entwicklung psychischer Störungen (= Vulnerabilitäts-Stress-Modell) Ø Wie im Vorläufermodell wird angenommen, dass die Persönlichkeitsmerkmale schon vor dem Auftreten der psychischen Störung da sind. Ø Im Gegensatz zum Kontinuumsmodell wird aber angenommen, dass die Persönlichkeit nur ein Risikofaktor darstellt und es keine phänomenologische Ähnlichkeit oder ein Kontinuum von Persönlichkeit zu psychischen Störungen gibt. Empirische Evidenz stützt eher das Prädispositions- als das Kontinuumsmodell, weil die gleichen Persönlichkeitsmerkmale mit unterschiedlichen Störungen zusammenhängen können 17 Modelle, wie Persönlichkeit und psychische Störungen zusammenhängen können (Klein et al., 2011) 5. Pathoplastizität: bezieht sich auf die sich gegenseitig beeinflussende, nichtätiologische Beziehung zwischen Psychopathologie und Persönlichkeit. Auf diese Weise beeinflussen Psychopathologie und Persönlichkeit die Ausprägung des jeweils anderen (z.B. Persönlichkeit beeinflusst das Ausmass und das Muster an Symptomen); aber keine der beiden verursacht ausschliesslich die andere. Neurotizismus Ausprägung, Verlauf der Depression (auch Ansprechen auf Behandlung) Empirische Evidenz: Verschiedene Studien zeigen, z.B. dass höhere Neurotizismuswerte und geringere Extraversionswerte mit einem schlechteren Verlauf einer Depression und einem schlechteren Ansprechen auf die Behandlung zusammenhängen (z.B. Tang et al., 2009) 18 Modelle, wie Persönlichkeit und psychische Störungen zusammenhängen können (Klein et al., 2011) 6. Begleiterscheinungsmodell: Die psychische Störung verändert/“färbt“ die Persönlichkeit während der Phase der psychischen Störung. Ist die psychische Störung abgeklungen, kehrt die Persönlichkeit wieder auf den prämorbiden Zustand zurück. Empirische Evidenz: Ø Individuen geben in einer Depression höhere Neurotizismuswerte an, als wenn sie nicht in einer Depression sind (z.B. Kendler et al., 1993) Ø Aber: Extraversion geringer bei „remittierten“ Depressiven als bei gesunden Kontrollen (Personen, die nie depressiv waren). Kann dagegen sprechen, dass Persönlichkeitsmerkmale wieder auf den prämorbiden Zustand zurückkehren 19 Modelle, wie Persönlichkeit und psychische Störungen zusammenhängen können (Klein et al., 2011) 7. Konsequenzmodell: Die psychische Störung hat einen anhaltenden Effekt auf die Persönlichkeit. Veränderungen in der Persönlichkeit bleiben auch postmorbid bestehen, also auch wenn psychische Störung „geheilt“ ist. Empirische Evidenz: Ergebnisse inkonsistent. Einige Studien, die Neurotizismuswerte vor und nach einer depressiven Episode verglichen haben, fanden eine Erhöhung des Neurotizismus (Kendler et al., 1993), andere nicht (Ormel et al., 2004) 20 Zusammenfassung zu Modellen, wie Persönlichkeit und psychische Störungen zusammenhängen können Assoziationen zwischen Persönlichkeitstraits wie Neurotizimus und psychischen Störungen sind vielfältig und komplex (bis auf das Kontinuum-Modell gibt es für alle Modelle empirischen Support): Ø Persönlichkeitsmerkmale (insb. Neurotizismus) und psychische Störungen haben teils gemeinsame Ursachen (Common Cause Modell) Ø Sie sagen das Auftreten psychischer Störungen voraus (Vorläufermodell) Ø Sie prädisponieren (sind Risikofaktoren) für die Entwicklung psychischer Störungen Ø Sie beeinflussen die Ausprägung, die Art der Symptomatik und den Verlauf psychischer Störungen und deren Behandlung (Pathoplastizität) Ø Psychische Störungen wiederum verändern die Persönlichkeit während der Phase der psychischen Störung (Begleiterscheinungsmodell) und haben möglicherweise auch längerfristige Konsequenzen auf die Persönlichkeit (Konsequenzmodell) 21 Mögliche Implikationen der Forschung zum Zusammenhang von Persönlichkeit und psychischen Störungen Persönlichkeitsmerkmale können helfen Menschen zu identifizieren, die gefährdet sind, eine psychische Störung zu entwickeln und von Präventionsmassnahmen profitieren könnten (selektive Prävention) Persönlichkeitsmerkmale können helfen, den Behandlungserfolg vorauszusagen und die Behandlung frühzeitig anzupassen (siehe später: differentielle Indikation) Die Erforschung von Persönlichkeit kann helfen die Ätiologie psychischer Störungen besser zu verstehen, Subgruppen bei Störungen zu identifizieren und möglicherweise auch ein ätiologisch fundierteres Klassifikationssystem aufzubauen (siehe später) 22 Kontinuum von Stil zu Störung (wenn stark ausgeprägt und unflexibel über viele Situationen) Stil Störung 23 Persönlichkeitsstörung (PS; DSM-5) A. Ein überdauerndes Muster von innerem Erleben und Verhalten, das merklich von den Erwartungen der soziokulturellen Umgebung abweicht. Dieses Muster ist unflexibel und tiefgreifend in einem weiten Bereich persönlicher und sozialer Situationen. Es manifestiert sich in mindestens zwei der folgenden Bereiche: 1. Kognition 2. Affektivität 3. Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen 4. Impulskontrolle B. Das überdauernde Muster führt in klinisch bedeutsamer Weise zu Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen. C. Das Muster ist stabil und lang andauernd, und sein Beginn ist mindestens bis in die Adoleszenz oder ins frühe Erwachsenenalter zurückzuverfolgen. D. Das überdauernde Muster lässt sich nicht besser als Manifestation oder Folge einer anderen psychischen Störung erklären. E. Das überdauernde Muster ist nicht Folge der physiologischen Wirkung einer Substanz oder eines medizinische Krankheitsfaktors. 24 Persönlichkeitsstörungen - Übersicht (DSM-5) Cluster-A-Persönlichkeitsstörungen (sonderbar oder exzentrisch) Bei der Paranoiden Persönlichkeitsstörung findet sich ein Muster von Misstrauen und Argwohn und zwar in dem Sinne, dass die Motive anderer als böswillig ausgelegt werden. Bei der Schizoiden Persönlichkeitsstörung findet sich ein Muster von Distanziertheit in sozialen Beziehungen und von eingeschränkter Bandbreite emotionaler Ausdrucksmöglichkeiten. Bei der Schizotypen Persönlichkeitsstörung findet sich ein Muster von starkem Unbehagen in nahen Beziehungen, von Verzerrungen des Denkens und der Wahrnehmung sowie von Eigentümlichkeiten des Verhaltens. Cluster-B-Persönlichkeitsstörungen (dramatisch, emotional oder launisch) Bei der Antisozialen Persönlichkeitsstörung findet sich ein Muster von Missachtung und Verletzung der Rechte anderer. Bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung findet sich ein Muster von Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und in den Affekten sowie von deutlicher Impulsivität. Bei der Histrionischen Persönlichkeitsstörung findet sich ein Muster von übermässiger Emotionalität und von Heischen nach Aufmerksamkeit. Bei der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung findet sich ein Muster von Grossartigkeitsgefühlen, einem Bedürfnis nach Bewundertwerden sowie mangelnder Empathie. Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen (ängstlich oder furchtsam) Bei der Vermeidend-Selbstunsicheren Persönlichkeitsstörung findet sich ein Muster von sozialer Hemmung, Unzulänglichkeitsgefühlen und Überempfindlichkeit gegenüber negativer Bewertung. Bei der Dependenten Persönlichkeitsstörung findet sich ein Muster von unterwürfigem und anklammerndem Verhalten, das in Beziehung zu einem übermässigen Bedürfnis nach Umsorgtwerden steht. Bei der Zwanghaften Persönlichkeitsstörung findet sich ein Muster von ständiger Beschäftigung mit Ordnung, Perfektion und Kontrolle. 25 „Parking Lot of the Personality Disordered“ 1 paranoid 2 narzisstisch 3 dependent 4 passiv-aggr. 5 borderline 6 antisozial 7 histrionisch 8 zwanghaft 9 selbstunsicher 10 schizoid 11 schizotypisch „Schon wieder zugeparkt!!!“ größtes Auto, imposante Kühlerfigur braucht andere Autos zum Schutz Parkt quer, um zwei Parkplätze zu b fährt ins Auto des Ex-Lovers blockiert andere Autos parkt im Zentrum mit dramatischer. Wirkung. hat perfekt eingeparkt! versteckt sich in der Ecke kann keine Nähe ertragen «intergalaktisches parken» 26 Prävalenzen von PS (Allgemeinbevölkerung und klinischer Kontext) Allgemeinbevölkerung Klinischer Kontext (aus Volkert et al. 2018; Expertenrating) (z.B. Zimmerman et al. 2005) Selbstunsichere PS 1.2% 14.7% Zwanghafte PS 2.4% 8.7% Narzisstische PS 0.3% 2.3% Dependente PS 0.2% 1.4% Paranoide PS 1.0% 4.2% Histrionische PS 0.2% 1.0% Schizoide PS 1.8% 1.4% Schizotype PS 0.7% 0.6% Borderline PS 0.9% 9.3% (in anderen Studien bis 24%!) 27 PS sind oft ich-synton Ich-Syntonie: Eigenes Verhalten und Erleben wird selbst nicht als störend, abweichend oder normverletzend empfunden. Es wird als Ich-zugehörig wahrgenommen. Ich-Dystonie: Phänomene, Zustände, Symptome psychischer Störungen werden als fremd, störend, nicht zu einem gehörig erlebt (z.B. Panikattacken) eher ich - dyston Ø Unterschiede zwischen den verschiedenen PS eher ich - synton 28 Zwei Beispiele von Persönlichkeitsstörungen 29 Narzisstische Persönlichkeitsstörung (nach DSM-5) „Nur wenn mich alle toll finden und auch so behandeln, geht es mir gut“ Ein tiefgreifendes Muster von Grossartigkeit (in Fantasie oder Verhalten), Bedürfnis nach Bewunderung und Mangel an Empathie. Der Beginn liegt im frühen Erwachsenenalter, und das Muster zeigt sich in verschiedenen Situationen. Mindestens fünf der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. Hat ein grandioses Gefühl der eigenen Wichtigkeit (z.B. übertreibt die eigenen Leistungen und Talente; erwartet, ohne entsprechende Leistungen als überlegen anerkannt zu werden). Ist stark eingenommen von Fantasien grenzenlosen Erfolgs, Macht, Glanz, Schönheit oder idealer Liebe. Glaubt von sich, „besonders“ und einzigartig zu sein und nur von anderen besonderen oder angesehenen Personen (oder Institutionen) verstanden zu werden oder nur mit diesen verkehren zu können. Verlangt nach übermässiger Bewunderung. Legt ein Anspruchsdenken an den Tag (d.h. übertriebene Erwartungen an eine besonders bevorzugte Behandlung oder automatisches Eingehen auf die eigenen Erwartungen). Ist in zwischenmenschlichen Beziehungen ausbeuterisch (d.h. zieht Nutzen aus anderen, um die eigenen Ziele zu erreichen). Zeigt einen Mangel an Empathie: Ist nicht willens, die Gefühle und Bedürfnisse anderer zu erkennen oder sich mit ihnen zu identifizieren. Ist häufig neidisch auf andere oder glaubt, andere seien neidisch auf ihn/sie. Zeigt arrogante, überhebliche Verhaltensweisen oder Haltungen. 30 Narzisstische Persönlichkeitsstörung (NPS) Typische Schemata, Motive und interpersonelles Verhalten Kernmotiv Was möchte er/sie erreichen? Selbstbild Dysfunktionales Selbstschema „Ich bin ein Versager, ich genüge nicht, ich bin allein“ erhalte Anerkennung und Bestätigung, vermeide Kritik Selbstbild nach aussen Wie möchte er/sie wahrgenommen werden? „Ich bin toll, ich bin erfolgreich, ich bin kompetent, ich habe Sonderrechte“ VERHALTEN Fordern einer besonderen Behandlung, setzen von Regeln, nutzen anderer für das Erreichen eigener Ziele in Anlehnung an Sachse und Frank 31 Subtypen der NPS? z.B. „offener“ und „verdeckter“ Narzissmus (z.B. Gabbard, 2005; Wink, 1991) «Offener»(‘overt’) Typus Exhibitionistische Darstellung der erlebten Grandiosität, ansprüchlich-fordernd arrogant, kühl, selbstsicher bis aggressiv auftretend will im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen sucht Bewunderung von anderen ausgeprägter Empathiemangel Unempfindlich gegenüber Kränkungen durch andere «Verdeckter»(‘covert’) Typus Gehemmt, schüchtern und bescheiden auftretend hypersensitiv bezüglich Kritik und Zurückweisung, Minderwertigkeitsgefühle sind bewusstseinsnah vermeidet, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen chronischer Neid, oberflächliche Empathie fühlt sich leicht gekränkt; neigt dazu sich beschämt oder gedemütigt zu fühlen 32 Zwanghafte Persönlichkeitsstörung (nach DSM-5) „Nur wer strengen Regeln folgt, kann Katastrophen verhindern“ Ein tiefgreifendes Muster von starker Beschäftigung mit Ordnung, Perfektion und psychischer sowie zwischenmenschlicher Kontrolle auf Kosten von Flexibilität, Aufgeschlossenheit und Effizienz. Mindestens vier der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein: 1. 2. Beschäftigt sich übermässig mit Details, Regeln, Listen, Ordnung, Organisation oder Plänen, sodass der wesentliche Gesichtspunkt der Aktivität dabei verlorengeht. Zeigt einen Perfektionismus, der die Aufgabenerfüllung behindert (z.B. kann ein Vorhaben nicht beendet werden, da die eigenen überstrengen Normen nicht erfüllt werden). 3. Verschreibt sich übermässig der Arbeit und Produktivität unter Ausschluss von Freizeitaktivitäten und Freundschaften (nicht auf offensichtliche finanzielle Notwendigkeit zurückzuführen). 4. Ist übermässig gewissenhaft und rigide in Fragen von Moral, Ethik oder Werten (nicht auf kulturelle und religiöse Orientierung zurückzuführen). 5. 6. Ist nicht in der Lage, verschlissene oder wertlose Dinge wegzuwerfen, selbst wenn sie nicht einmal Gefühlswert besitzen. Delegiert nur widerwillig Aufgaben an andere oder arbeitet nur ungern mit anderen zusammen, wenn diese nicht genau die eigene Arbeitsweise übernehmen. 7. Ist geizig sich selbst und anderen gegenüber; Geld muss im Hinblick auf befürchtete künftige Katastrophen gehortet werden. 8. Zeigt Rigidität und Halsstarrigkeit. 33 Zwanghafte Persönlichkeitsstörung Typische Schemata, Motive und interpersonelles Verhalten Selbstbild nach aussen Selbstbild Dysfunktionales Selbstschema „Inkompetent, nicht wichtig, nichts zu bieten, keine Kontrolle“ Kernmotiv Was möchte er/sie erreichen? Ich muss perfekt sein, Kontrolle behalten Wie möchte er/sie wahrgenommen werden? „kompetent, pflichtbewusst, moralisch überlegen, distanziert“ VERHALTEN Regeln genau beachten, kontrollieren, bewerten, kritisieren, alles selbst machen in Anlehnung an Sachse und Frank 34 Exkurs: Klinischer Perfektionismus (Shafran et al. 2002) Problem mit Begriff/Diagnose Persönlichkeitsstörung Stigmatisierung („Charakterdefizit“, schwere Störung) Beinhaltet die Idee einer unveränderbaren Disposition, die therapeutisch wenig/nicht beeinflussbar ist (mittlerweile überholt, s. später) Ø PS als Arbeitshypothese in der Psychotherapie hilfreich, aber Zurückhaltung bei der Diagnose Ø PS als Beziehungs-/Interaktionsstörung Ø Verhaltensmuster sind in den „passenden“ Umgebungen auch immer eine Ressource (z.B. histrionische Menschen sind gute Schauspieler:innen, narzisstische Menschen erfolgreiche Manager:innen etc.) 36 Probleme mit Klassifikationssystem von PS Gruppierung der einzelnen Kriterien zu den 10 Kategorien ist empirisch nicht haltbar – Mind. 10 publizierte Studien, in denen alle 79 DSM-IV Kriterien von PS (explorativ) faktoranalysiert wurden: auf der Mehrheit der extrahierten Faktoren luden Kriterien von 3 (oder mehr) verschiedenen PS – Schweregrad der Beeinträchtigung wird nicht berücksichtigt – Zugrundeliegendes normatives Modell einer „gesunden“ Persönlichkeit ist unklar u.a. daraus entstand das Bedürfnis nach einer anderen Art der Klassifikation von PS è Umsetzung im Alternativen Modell von PS im DSM-5 (siehe nächste Folien) und im ICD-11 37 Persönlichkeitsstörungen (PS): Alternatives Modell im DSM-5 Kriterium A: Schweregrad der Funktionsbeeinträchtigung betreffend des Selbst (1. Identität und 2. Selbststeuerung) und Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen (3. Empathie und 4. Nähe) – 5-stufige Schweregradskalierung (0) = gesundes, adaptives Funktionsniveau; (1) = etwas beeinträchtigt; (2) = mittelgradig; (3) = schwer beeinträchtigt; (4) = extrem beeinträchtigt Kriterium B: 5 pathologische Persönlichkeitsdomänen (s.u.) 25 feingliedrige Merkmalsfacetten (siehe nächste & übernächste Seite) (erfasst mit Fragebogen: Persönlichkeitsinventar für DSM-5; PID-5) 1. 2. 3. 4. 5. Negative Affektivität Verschlossenheit Antagonismus Enthemmtheit Psychotizismus è Kompromiss zw. kategorialer und dimensionaler Diagnostik Sechs spezifische PS mit prototypischen Mustern (siehe Beispiel übernächste Folie): Antisoziale PS Vermeidende PS Borderline PS Narzisstische PS Zwanghafte PS Schizotype PS Alternativ: „traitspezifizierte PS“ 38 Exemplarisches individuelles PID-5-Persönlichkeitsprofil; die Balken repräsentieren standardisierte Abweichungen vom Mittelwert der Vergleichsstichprobe (aus Zimmermann et al. 2014) 39 Mind. 2 von 4 Fähigkeitsbereichen von Kriterium A mind. „mittelgradig“ (z.B. Nähe und Identität, s.u. rechts für Identität) Deutliche Ausprägung bei mind. 3 von 4 spez. Persönlichkeitsfacetten aus Kriterium B (s.u. links) Beispiel: „Vermeidende PS“ Persönlichkeits -probleme Negative Affektivität Verschlossenheit (vs. Emotionale Stabilität) (vs. Extraversion) Antagonismus Enthemmtheit (vs. Verträglichkeit) (vs. Gewissenhaftigkeit) Psychotizismus (vs. Adäquatheit) Denk- und Wahrnehmungsstörungen Exzentrizität Ungewöhnliche Überzeugungen u. Erlebnisse Rigider Perfektionismus Neigung zu riskantem Verhalten Ablenkbarkeit Impulsivität Verantwortungslosigkeit Gefühlskälte Suche nach Aufmerksamkeit Grandiosität Unehrlichkeit Neigung zu Manipulation Feindseligkeit Anhedonie Vermeidung von Nähe Sozialer Rückzug Affektarmut - Misstrauen Depressivität Perseveration Unterwürfigkeit Trennungsangst Ängstlichkeit Emotionale Labilität - Bsp. für «Identität» aus Kriterium A; Auszug aus «mittelgradige Beeinträchtigung» (2) - Übermässige Abhängigkeit von anderen bei der Definition der eigenen Identität [...]; - Vulnerabler Selbstwert, der von übertriebener Sorge um Bewertung durch andere geprägt ist [...] - [...] Bedrohungen des Selbstwerts können starke Emotionen wie Wut oder Scham auslösen. 40 Persönlichkeitsstörungen im DSM-5 (alternatives Modell) und im ICD-11 Klassifikation im ICD-11 teilweise ähnlich wie im Alternativen Modell von PS im DSM-5 è Borderline Persönlichkeitsstörung bleibt als einzige diskrete Störung in ICD-11 erhalten 41 Nutzen für die Psychotherapie: Empirische Hinweise Persönlichkeitszüge beeinflussen die Wirksamkeit von Behandlungen (Bucher et al. 2019) Personen mit einer PS sprechen schlechter auf psychotherapeutische Behandlungen an (z.B. depressive Störungen: Newton-Howes et al. 2014) scheinbar kein Unterschied in Bezug auf Pharmakotherapie (Cave: bisher sehr wenige Studien; Cavanagh et al. 2021) Persönlichkeitsaspekte lassen sich verändern (z.B. Brent et al. 2017) Persönlichkeitsstörungen lassen sich behandeln (z.B. BPD: Rameckers et al. 2021) (sofern eine Änderungsmotivation vorhanden ist) 42 Forschung zu differentieller Indikation Ø „WHAT treatment, BY WHOM, is most effective for THIS individual with THAT specific problem and under WHICH set of cirumstances?“ (Gordon Paul, 1967) Ø Treatment-Aptitude Forschung und Ansätze: Welche Merkmale einer Person interagieren mit der Wirksamkeit einer Intervention und wie muss das therapeutische Vorgehen an die/den spezifische/n Patient:in angepasst werden 43 Bekanntester Treatment-Aptitude Ansatz in der klinischen Psychologie: Systematic Treatment Selection (STS) (Beutler & Clarkin, 1990) Modell zur differentiellen Selektion von Interventionen auf der Basis von individuellen Patient:innenmerkmalen Atheoretisch à Basis sind empirische Studien zur Frage, bei welchen Patient:innen welche Interventionen besser oder weniger gut wirken (Studien zu Patient-Behandlungs-Interaktionen) – Patient x treatment - Interaktionen wurden z.B. bei Depressiven, Angst- und Suchtpatient*innen, sowie gemischten Stichproben ambulanter Patient*innen untersucht und validiert Präskriptive Therapie, die daraus entstanden ist, berücksichtigt die wichtigsten Patient:innenmerkmale, auf die sich ein:e Therapeut:in differentiell einstellen sollte Modell wurde von APA als «empirically supported» anerkannt (Norcross, 2002) 44 Logik der präskriptiven Therapie Patient:innenmerkmale (Indexing Cues) Ø Erschliessbar aus: - Lebensgeschichte - aktuellem Verhalten - Fragebogendaten -… erfolgreiches Therapeut*innenverhalten wenig erfolgreiches Therapeut*innenverhalten Bsp: zentrale Patientenmerkmale (Beutler & Harwood, 2000) (1) Grad der Funktionsbeeinträchtigung (2) Bewältigungsstile: insb. Externalisierung/Impulsivität (3) Widerstandspotential (4) Leidensdruck 45 Beispiel Patient:innenmerkmal «Widerstandspotential» Widerstand tritt auf, wenn das Gefühl von Freiheit (Autonomie), Macht oder Kontrolle bei Patient:innen gefährdet ist (z.B. Beutler & Clarkin, 1990) Beispielhafte Hinweise für ein hohes Widerstandspotential: wirkt dominierend, fordernd und kontrollierend in interpersonalen Beziehungen «geniesst» kompetitive Situationen «kämpft» für ihre/seine Meinung (vermeidet bei Unstimmigkeiten als «Verlierer:in» aus der Situation zu gehen) ist glücklich, wenn er oder sie Verantwortung hat spricht oft negativ von anderen 46 Patient:innenmerkmal «Widerstandspotential» Beispielhafte Hinweise für ein geringes Widerstandspotential: eher submissiv (wenig dominant), wenig kontrollierend, wenig Konflikte mit anderen, vermeidet Konfrontationen mit anderen ist in seiner/ihrer Geschichte oft akzeptierend der Meinung von anderen Personen gefolgt 47 Anpassen des Therapeut:innenverhaltens am Beipspiel Hohes Widerstandspotential Geringes Widerstandspotential Erfolgreich: Non-direktive Interventionen Wenig erfolgreich: Direktive Interventionen Erfolgreich: Direktive Interventionen Wenig erfolgreich: Non-direktive Interventionen 48 Erfolgreiches Therapeut:innenverhalten (Was bedeutet nicht-direktiv/direktiv?) Widerstandspotential HOCH à Non-direktives Gesprächsverhalten Widerstandspotential GERING à Direktives Gesprächsverhalten viele offene Fragen Patient:innen wenig unterbrechen Empathisch reflektierend Patient:innen neue Themen, und Informationen einbringen lassen wenig strukturierend von Therapeut:in geschlossene Fragen Patient:innen unterbrechen nicht nur reflektierend, durchaus konfrontierend neue Themen, Informationen und Instruktionen einbringen stark strukturierend von Therapeut:in 49 Zur Vertiefung Ø Kapitel 6 in Hoyer & Knappe zu „Differentialpsychologische Perspektive in der Klinischen Psychologie “ 50 Klinische Psychologie (8. Termin) Lernpsychologische Grundlagen & (kognitive) Verhaltenstherapie PD Dr. Tobias Krieger Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie 17.04.2024 Vorlesung 1 Fragen, die Sie beantworten können sollten Durch welche Kernmerkmale zeichnet sich kognitive Verhaltenstherapie aus? Was ist der Unterschied zwischen Kompetenz und Performanz? Beschreiben Sie zwei alltägliche Beispiele für klassische Konditionierungsprozesse. Nennen Sie eine therapeutische Anwendung der klassischen Konditionierung. Nennen Sie ein Beispiel für positive und negative Verstärkung, sowie für direkte und indirekte Bestrafung. Nennen Sie bekannte Theorien zur lerntheoretischen Erklärung von Angststörungen und/oder Depression. Beschreiben Sie die Komponenten und ein Beispiel einer SORC(K)-Analyse. Nennen Sie verschiedene Arten von Expositionsverfahren. Was sind mögliche Wirkmechanismen der Konfrontationsbehandlung? Was wird bei der Systematischen Desensibilisierung gemacht? Was ist ein Schema nach Beck? Beschreiben Sie die Kognitive Triade nach Beck Was ist mit der A-B-C-Analyse nach Ellis gemeint? Was sind Selbstinstruktionen? Was sind die prototypischen Phasen einer (kognitiven) Verhaltenstherapie? 2 Kernmerkmale der Kognitive Verhaltenstherapie Orientierung an der empirischen Psychologie Orientierung an aktuellen Problemen Bezug auf prädisponierende, auslösende, und aufrechterhaltende Bedingungen der Störung, sowie Ressourcen Zielorientierung (gemeinsam festgelegt) Handlungsorientierung (z.B. aktive Mitarbeit und Bereitschaft alternatives Verhalten auszuprobieren) Alltagsbezug (Transfer z.B. mittels Hausaufgaben) Transparenz (bezüglich des Vorgehens) „Hilfe zur Selbsthilfe“ Evaluation und Weiterentwicklung 3 Etablierte Prinzipien der Lerntheorien = Basis der Verhaltenstherapie (VT) Klassisches lerntheoretisches Verständnis der VT später durch rege Forschungstätigkeit und neue empirische und theoretische Erkenntnisse erweitert (à insb. durch die Kognitive Wende: heute Kognitive Verhaltenstherapie) Heute wird VT oft als eine auf der empirischen Psychologie basierende Therapie definiert, die sich in ständiger Entwicklung befindet und den Anspruch hat, ihre Effektivität empirisch abzusichern (Margraf, 2009) Das Verständnis „klassischer“ Lerntheorien ist aber immer noch sehr zentral 4 Lernen - Definition Kompetenz: Fähigkeiten, die wir „theoretisch“ haben (was wir tun können) = deshalb Verhaltensdisposition. Nicht sichtbar. Performanz: Das zu einer Kompetenz zugehörige Handeln nennt man Performanz. Was wir tatsächlich tun. Ø Kompetenzveränderungen sind nicht direkt beobachtbar, sondern nur indirekt aus Veränderungen der Performanz erschliessbar. 5 Kompetenz und/oder Performanzproblem? Beispiel Soziale Phobie In den 70er Jahren wurden Soziale Phobien häufig mit sozialen Kompetenzdefiziten erklärt (z.B. Trower, Bryant & Argyle, 1978) Heisst: Soziale Phobiker:innen verfügen nicht über das nötige soziale Verhaltensrepertoire. Die Folge sind ungünstige soziale Konsequenzen und Ängste. è Konsequenz für therapeutisches Vorgehen: Soziales Kompetenztraining. Heute geht man eher davon aus, dass bei Sozialphobiker:innen sozial kompetentes Verhalten („Performanz“) durch die Angst unterdrückt wird (= Kompetenz eigentlich vorhanden, aber adäquate Verhaltensweisen können in der Situation nicht gezeigt werden; Stangier et al., 2003). Therapeutische Konsequenzen: Fokus auf Veränderung der Angst und von Sicherheitsverhaltensweisen, die sozial kompetentes Verhalten „unterdrücken“. 6 Lernmechanismen Klassische Konditionierung Lernen von Signalen und Assoziationen 7 Klassische Konditionierung Pawlow Funktion: Signallernen und Assoziationslernen „Lieber schon beim Brüllen eines Löwen auf den Baum, als erst beim Anblick“ 8 Alltägliche Beispiele für klassische Konditionierungsprozesse Grundlegendes Muster (NS)CS UCS Nach einem Autounfall erregt der Anblick eines Autos Angst Anblick eines Autos Autounfall und Verletzung Kind weint beim Anblick des Babysitter, ehe Eltern fortgehen Ständige Sorgen um die Arbeit, auch in der Freizeit, führen zu Magengeschwüren Angst Babysitter kommt Eltern verlassen das Kind Anblick einer Katze ruft Keuchen hervor, noch ehe ein Haar den Körper berühren kann UCR (CR) Weinen Anblick einer Katze allergische Reaktion Katzenhaar z.B. Keuchen an die Arbeit denken (Sorgen machen) Anspannung und Angst (bei der Arbeit) Produktion von Säure im Magen 9 Bedingungen für (schnellere) klassische Konditionierung Wenn CS und UCS wiederholt und verlässlich (kontingent) kombiniert werden (z.B. auf Ton (CS) folgt immer Schock (UCS) und keine Schocks ohne Ton) Rescorlas (1968) Experiment mit Ratten: Gruppe A: Vor jedem Schock ein Ton Gruppe B: Auch Schocks ohne Ton (aber gleich viele Schocks nach Ton) Ratte zeigt CR Ratte zeigt keine CR 10 Bedingungen für (schnellere) klassische Konditionierung Wenn der US oder die UR sehr intensiv sind, reicht manchmal eine Kopplung (Beispiel Nahrungsvermeidungslernen: wird uns übel, vermeiden wir die Speise in der Folge) Wenn zu konditionierende Reize und Reaktionen funktional zusammenpassen (z.B. Futter mit Übelkeit statt Futter mit Schmerz) „Preparedness“-Annahme (Seligman): Bestimmte ReizReaktionsverbindungen werden leichter gelernt, weil sie biologisch „vorbereitet“ (prepared) sind: z.B. Spinnen, Schlangen und Höhen werden häufiger gefürchtet als Steckdosen und Autos 11 Therapeutische Anwendungen der klassischen Konditionierung I „Klingelhose“ oder „Klingelmatte“ bei nächtlichem Einnässen (Enuresis) Ø Klingelsignal bei erstem Tropfen Urin Ø Kind kann urinieren stoppen und auf die Toilette Ø Mit der Zeit wird Kind schon vor dem Urinieren wach und kann auf die Toilette 12 Therapeutische Anwendungen der klassischen Konditionierung II Stimuluskontrolle bei Schlafstörungen Ø Häufiges Problem bei Schlafstörungen: Bett ist mit aktivierenden Tätigkeiten wie Grübeln oder Fernsehen assoziiert (zeigt sich z.B. in erhöhtem Blutdruck beim Anblick des Bettes bei Menschen mit Schlafstörungen) Ziel der Stimuluskontrolle: Bett soll wieder zum Ort werden, der mit Schlafen assoziiert ist: 1. 2. 3. Patienten dürfen nur ins Bett, wenn ausreichend müde Bett darf nur zum Schlafen genutzt werden Bett wieder verlassen, wenn man nicht innerhalb von 10 Minuten eingeschlafen ist 13 Operante Konditionierung: Das Lernen von Konsequenzen Operante oder instrumentelle Konditionierung bedeutet, dass Verhaltensweisen (oder physiologische Reaktionen) häufiger auftreten, wenn diesen ein verstärkender Reiz folgt; resp. weniger auftreten, wenn diesen ein bestrafender Reiz folgt. Ø Aufgrund unterschiedlicher Verstärker (negative oder positive Verhaltenskonsequenzen) gibt es vier verschiedene Formen des instrumentellen Lernens (s. nächste Folien). 14 Formen der operanten Konditionierung 1. Positive Verstärkung: Verhalten + positive Konsequenz Ø Verhalten häufiger Beispiel: Taschengeld bekommen, wenn man den Müll rausträgt 2. Direkte Bestrafung: Verhalten + negative Konsequenz Ø Verhalten seltener Beispiel: Kinder bekommen einen Klaps, wenn sie unanständige Wörter verwenden 15 Formen der operanten Konditionierung 3. Negative Verstärkung: Verhalten + Ausbleiben oder Enden eines unangenehmen Ereignisses Ø Verhalten häufiger Beispiel: Kopfschmerztabletten einnehmen reduziert Kopfschmerzen: „Kopfschmerztabletten“ einnehmen wird negativ verstärkt 4. Indirekte Bestrafung: Verhalten + Entzug positiver Reize Ø Verhalten seltener Beispiel: Fernsehverbot, wenn Kind Aufgaben nicht macht 16 Faktoren, die die Wirksamkeit von Verstärkung beeinflussen? Ø kurzfristige Konsequenzen sind verhaltenswirksamer als langfristige Konsequenzen Beispiel Rauchen: kurzfristig angenehm und verstärkend (z.B. Spannungsreduktion); negative langfristige Konsequenzen = wenig verhaltensbestimmend In Programmen zur Raucherentwöhnung oder zur Reduktion von Übergewicht wird deshalb das Belohnen von Zwischenzielen systematisch geplant (z.B. Theaterbesuch, neues Kleidungsstück kaufen, wenn eine Woche nicht geraucht wurde) 17 Verstärkerpläne Verstärkerplan = Variation in der Häufigkeit, mit der ein Verstärker auf das fragliche Verhalten folgt kontinuierliche vs. intermittierende Verstärkung: das Verhalten wird jedes Mal vs. nicht jedes Mal verstärkt Ø Kontinuierliche Verstärkung besonders günstig für den Aufbau neuen Verhaltens Ø Verhalten, das intermittierend verstärkt wurde, ist besonders löschungsresistent (Beispiel siehe nächste Folie)! 18 Beispiel Glücksspielautomat Intermittierende Verstärkung nach variablem Quotenplan (z.B. im Durchschnitt erfolgt jedes 5. Mal ein Gewinn; wann genau ist aber variabel) Ø Verhalten „Geld einwerfen“ = sehr löschungsresistent 19 Drei bekannte Theorien zur lerntheoretischen Erklärung psychischer Störungen Ø Zwei-Faktoren-Theorie von Mowrer (1947) (v.a. Angststörungen) Verbindung von klassischer und operanter Konditionierung zur Erklärung der Entstehung und Aufrechterhaltung von Angststörungen 1. Klassische Konditionierung: „Traumatische“ Erfahrung mit Objekt oder Situation 2. Operante Konditionierung: Vermeidungsverhalten wird negativ verstärkt (aversive Reaktion wird durch Vermeidung beendet), was zur Aufrechterhaltung der Angst beiträgt 20 Depression: Erlernte Hilflosigkeit (Seligman, 1975) Hunde, die einen unvermeidbaren Schock erhalten hatten, verhielten sich „hilflos, passiv (depressiv)“, auch wenn sie in der Folge den Schock vermeiden konnten Annahme von Seligman: Menschen werden depressiv, wenn sie die Überzeugung entwickeln, dass sie keine Kontrolle über Verstärkungen in ihrem Leben haben Später Ergänzung durch Attributionstheorien (z.B. Abramson, 1978): Nur wenn der Kontrollverlust global, stabil und internal attribuiert wird („Es ist in allen Situationen und immer so und es liegt an mir“) fühlt sich eine Person hilf- und hoffnungslos 21 Depression: Verstärker-Verlust-Theorie nach Lewinsohn (1974) Depression hängt mit einer geringen Rate an verhaltenskontingenten, positiven Umweltverstärkungen zusammen. Gründe hierfür können sein: 1. 2. 3. Geringe Anzahl und niedrige Qualität potentiell zu verstärkender Ereignisse oder Aktivitäten Mangelnde Erreichbarkeit und Verfügbarkeit von Verstärkern (z.B. nach Scheidung, Arbeitsplatzverlust, Umzug) Mangelnde Fähigkeiten führen zu einer niedrigen Verstärkungsrate (z.B. mangelnde soziale Kompetenzen) à Theorie ist v.a. heuristisch wertvoll (Was sind Gründe für geringe Verstärkung? Wie kann vermehrte Verstärkung gefördert werden? è Verhaltensaktivierung, s. nächste Seite) 22 Zentrale Intervention bei Depressionstherapien: Verhaltensaktivierung/Aktivitätsaufbau Erfassen von Ereignissen und Aktivitäten, die Verstärkerwert haben Erkennen des wechselseitigen Einflusses von Aktivitäten und Befinden geplante und abgestufte Heranführung an angenehme Aktivitäten Identifizieren und Kontrollieren depressionsfördernder Verhaltensweisen und Aktivitätsmuster Vermittlung von Fertigkeiten zur Aufrechterhaltung eines ausgeglichenen Aktivitätsniveaus 23 Weitere Anwendungen von Lerntheorien in der Verhaltenstherapie SORC(K)- bzw. situative Verhaltensanalysen bauen auf Lerntheorien auf (Kanfer, 1969): Zentrales diagnostisches Verfahren in der Verhaltenstherapie (Beispiel siehe nächste Folie) Ø Welche situativen und individuellen Merkmale hat eine (problematische) Reaktion und welche Konsequenzen und somit aufrechterhaltenden Faktoren hat die Reaktion? Ø Wo kann/sollte in der Therapie angesetzt werden? 24 SORC(K)-Analyse (Kanfer, 1969) S (Stimulus): Auslösende Situation O (Organismusvariable): Individuelle biologischen und lerngeschichtliche Ausgangsbedingungen, die die Reaktion auf den Stimulus beeinflussen Klassische S-R Konditionierung R (Reaktion): Reaktion auf den Stimulus (nach der Verarbeitung durch den Organismus) auf kognitiver, motorischer, physiologischer und emotionaler Ebene C (Konsequenz): Was folgt auf das Verhalten? Verstärkung oder Bestrafung des Verhaltens? Operante Konditionierung (K (Kontingenz): Regelmässigkeit des Auftretens der Konsequenz nach der Reaktion) 25 Beispiel SORC(K)-Analyse Patientin mit Kontrollzwang S: Patientin verlässt Wohnung O: Sich Sorgen zu machen, gehört zum habituellen Denkstil der Patientin R (kognitiv): „Das Haus könnte abbrennen, wenn ich vergessen habe, den Herd abzuschalten“ R (emotional): Angst, starke Beunruhigung R (physiolog.): Anspannung, Unruhe R (motorisch): Geht zurück in Wohnung und kontrolliert den Herd C-/(kurzfristig): Spannungs- und Angstreduktion; jedoch verstärkt sich der Kontrollzwang (negative Verstärkung C-/) C+/(langfristig): Das Vermeiden aus dem Haus zu gehen, bestraft sie langfristig indirekt (C+/; Entzug positiver Reize; Verlust sozialer Kontakte) 26 Konfrontationsrationale (bei Kontrollzwang z.B. Exposition mit Reaktionsverhinderung = Patientin muss Haus verlassen und darf nicht zurück) SubjekNve Erwartung eines weiteren AnsNegs der Angst Abnahme der Angst: Habituation; „Parasympathisches Nervensystem“ stellt „Normalzustand wieder her“ 27 Mögliche Wirkmechanismen der Konfrontationsbehandlung Extinktion (Löschung): Die gelernte Reaktion (Angst, Anspannung) nimmt im Verlauf der Konfrontation ab. Sie ist mit der Zeit nicht mehr mit Stimulus (Haus verlassen) assoziiert. è Moderne Lerntheorien und neurowissenschaftliche Modelle gehen allerdings davon aus, dass die Assoziation nicht gelöscht wird. Die Assoziation bleibt bestehen. Der Organismus hemmt die Reaktion erfolgreich durch inhibitorisches Lernen, durch vielfältige neu gesammelte und gespeicherte Erfahrungen in angstauslösenden Situationen. Dafür sprechen zum Beispiel Befunde, dass einmal erfolgreich bewältigte Ängste sehr schnell wieder erworben werden. Kognitive Neubewertung: Kognitionen (Befürchtungen, Erwartungsangst) werden durch Erfahrungen hinterfragt (Angst steigt nicht ins Unendliche, sondern nimmt ab; „ich kann die Situation bewältigen“, „es passiert nichts Schlimmes“ etc.) 28 Verschiedene Expositionsverfahren Exposition in vivo (Konfrontation mit Orten, Situationen oder Objekten, z.B. Phobien) Exposition in sensu (Konfrontation in der Vorstellung, z.B. PTSD, GAD) Cue exposure (Konfrontation mit Stimulus, z.B. BED) Interozeptive Exposition (Konfrontation mit Körperempfindungen, z.B. Panikstörung, Hypochondrie, è s. nächste Folie) Systematik der Expositionsverfahren: 29 Interozeptive Exposition: Beispiele der Symptomprovokation Symptom/ Befürchtung Übung Herzrasen, Herzklopfen Laufen, Rumpfbeugen machen, auf der Stelle rennen, Treppensteigen, Kniebeugen, Energydrink/Kaffee trinken Schwindel, Benommenheit Kopf für 30 Sekunden schnell von links nach rechts bewegen, Kopf für 30 Sekunden zwischen die Beine legen und dann rasch nach oben heben, auf einem Drehstuhl drehen, Schwindelbilder betrachten, Hyperventilation Schwitzen Laufen, Sit-ups machen, auf der Stelle rennen, Treppensteigen, Kniebeugen, warm anziehen und körperlich betätigen, scharfe Speisen essen Kribbelgefühle in Körperteilen Körperteil eiskalt abduschen, abtrocknen, 3 Minuten warten Atemlosigkeit, Atemnot Hyperventilation, atmen durch einen engen und/oder langen Strohhalm (dabei die Nase zuhalten), Kleidungsstücke eng um den Hals legen, Atem anhalten Übelkeit, Erbrechen Auf einem Drehstuhl drehen, Schaukeln, Holzspatel auf die Zunge drücken, viel essen und dann auf der Stelle laufen, fettige oder abgelaufene Lebensmittel verzehren, in einem sich bewegenden Fahrzeug lesen 30 Systematische Desensibilisierung – Eines der ersten und bekanntesten Verfahren der Verhaltenstherapie (Wolpe, 1958) 1. Systematische gesteigerte Reizkonfrontation in sensu (= in der Vorstellung) 2. kombiniert mit Entspannung (z.B. Progressive Muskelrelaxation; PMR) 31 Systematische Desensibilisierung (Wolpe, 1958) Therapeutisches Vorgehen: 1. Patient:in wird aufgefordert einen entspannten Zustand herzustellen (mit Entspannungsübung) 2. Anschliessend soll sie/er sich die am wenigsten angstbesetzte Situation vorstellen und dabei genau auf psychische und physiologische Reaktionen achten 3. Erst wenn es der/dem Patient:in gelingt, die jeweilige Situation in der Vorstellung angstfrei und entspannt zu erleben, wird die nächstschwierigere Situation vorgestellt 4. Zwischen den Durchgängen wird immer wieder Entspannung hergestellt 32 Systematische Desensibilisierung (Wolpe, 1958) Wirkung der systematischen Desensibilisierung gut belegt Wirkmechanismus nicht eindeutig belegt Mögliche Wirkmechanismen: Reziproke Hemmung (Annahme von Wolpe): Hemmung einer Reaktion (Angst) durch eine dadurch inkompatible Reaktion (Entspannung) Aber: Entspannung keine notwendige Bedingung (gestufte Darbietung von AngstItems ohne Entspannung bewirkt bereits eine Angstreduktion; Florin et al., 1975) Heutige Annahme: Konfrontation in sensu funktioniert genau gleich wie Konfrontation in vivo (siehe frühere Folien) à Entspannung erleichtert psychophysiologische Habituation, Kognitive Neubewertung und Inhibitorisches Lernen 33 Modelllernen als ein Ursprung der kognitiven Wende Banduras Arbeiten über Lernen durch Nachahmung lenkte die Aufmerksamkeit auf kognitive Faktoren in der Verhaltenstherapie Lernprozess der 4 Phasen durchläuft: (1) Aufmerksamkeit: Modell muss attraktiv sein, damit ihm Beachtung geschenkt wird (z.B. hoher sozialer Status; emotionale Beziehung) (2) Behalten und (3) Reproduktion („abspeichern und einüben“) Albert Bandura (4) Motivation: Ist das Modell erfolgreich mit seinem Verhalten (z.B. Modell hatte Spass) oder wird Verhalten des Modells verstärkt, ahmt der Beobachter das Verhalten häufiger nach (è stellvertretende Verstärkung) 34 Modelllernen wird in der VT häufig eingesetzt Ø Besonders zum Erlernen komplexer Verhaltensweisen, zum Beispiel sozialer Interaktionen nützlich Zentraler Bestandteil von VT sind Rollenspiele (z.B. im Rahmen sozialer Kompetenztrainings) Ø Therapeut:in als Modell Ø Mitpatient:innen oder Gruppenmitglieder als Modell Ø Identifikationsfiguren aus Büchern oder Filmen als Modell 35 „Kognitive Wende“ Seit den 50er Jahren wurde die Relevanz kognitiver Variablen immer mehr anerkannt Fokus auf die systematische Veränderung irrationaler/dysfunktionaler/negativer Wahrnehmungs-, Denk- und Einstellungsmuster Mit Begriffen wie „irrationale“ (Ellis) oder „dysfunktionale“ (Beck) Gedanken sind nicht-hilfreiche Gedanken bezüglich eigener Ziele gemeint (irrationale/dysfunktionale Wahrnehmungs-, Denk- und Einstellungsmuster hindern eine Person eigene Ziele zu erreichen) 36 Kognitive Modelle psychischer Störungen (nach Aaron T. Beck) Dysfunktionale kognitive Schemata sind entscheidend für die Entwicklung und Aufrechterhaltung psychischer Störungen Als Verarbeitungsmuster führen sie zu... 1. 2. A.T. Beck (1921-2021) störungsspezifischen Verzerrungen im Denken und Verhalten verzerrten/fehlerhaften Prozessen der Informationsverarbeitung, insbesondere der Aufmerksamkeit, des Gedächtnisses und der Interpretation von Erfahrungen 37 Dysfunktionale kognitive Schemata (nach Beck) „A schema is a structure for screening, coding and evaluating the stimuli that impinge on the organism“ (Beck, 1967, p. 283) Generalisierte Wissensstruktur, in welcher unsere Sicht der Welt, der Zukunft, und des Selbst repräsentiert ist (bei Depressiven negativ = kognitive Triade) Steuert Informationsverarbeitungsprozesse wie z.B. unsere Aufmerksamkeit (auf was fokussiert wird), Interpretation (welche Bedeutung einem Stimulus zugeschrieben wird), und Gedächtnis (welche impliziten und expliziten Erinnerungen getriggert werden) 38 Veränderung kognitiver Schemata: Kognitive Modelle psychischer Störungen beziehen sich auch auf Piaget (1923) Zwei Wege, wie Menschen mit Informationen verfahren, die mit einem bestehenden Schema nicht kompatibel sind (nach Piaget): – Assimilation (Standardmodus): Eine neue Erfahrung wird so transformiert, dass sie zu einem bestehenden Schema passt – Akkommodation: Wenn Diskrepanz zwischen Schema und neuer Erfahrung zu gross, wird das Schema transformiert, so dass es besser zur Erfahrung passt Ø Grundannahme kognitiver Theorien (nach Beck): Psychische Störungen werden deshalb aufrechterhalten, weil Menschen zu stark assimilieren, statt Schemata an die Realität anzupassen (Akkommodation) Ø Aufgabe von Psychotherapien: Akkommodation der dysfunktionalen Schemata 39 Das kognitive Modell der Depression nach Beck (1967) Latente depressive Schemata (inaktiv in depressionsfreien Phasen) Dysfunktionale depressive Schemata durch Stress aktiviert 40 Grundüberzeugungen, -annahmen und automatische Gedanken Grundüberzeugung: Ich bin unfähig Grundannahmen: Ich muss immer mein Bestes geben. Wenn ich mich nicht stark anstrenge, dann werde ich versagen Automatische Gedanken: Ich schaffe das niemals. Das ist viel zu schwer. Ich werde das niemals alles behalten können. Hautzinger, 1998 41 Automatische negative Gedanken Automatische Gedanken: Bewertende Gedanken, die schnell, nicht als Ergebnis langen Nachdenkens, sondern automatisch, oft gar nicht bewusst, als Reaktion auf eine Situation auftreten Automatische Gedanken haben Einfluss darauf, wie Menschen sich fühlen und Verhalten und sind bei psychischen Störungen oft durch «Denkfehler» verzerrt 42 Rational-emotive Theorie (RET) nach Ellis Ø Nicht ein äusseres Ereignis (A) führt zu emotionalen oder verhaltensmässigen Reaktionen (C), sondern Überzeugungen (Beliefs) sind die Ursache für jede Reaktion. Eine Erfahrung oder ein Ereignis aktiviert eine bestimmte Überzeugung in Bezug auf diesen Auslöser A-B-C-(D)-(E)-Analyse nach Ellis (z.B. 1962) Anschliessend Disputation (Hinterfragen der negativen automatischen Gedanken) Effect: Positive Effekte von hilfreicheren Gedanken spüren lassen 43 Selbstinstruktionstraining (Meichenbaum, 1975) Ø Annahme: Herbeiführen von Verhaltensveränderungen, indem Instruktionen, die sich Patient:innen selbst geben, verändert werden (negative Annahmen und Gedanken sollen in angemessene „Selbstgespräche“ verändert werden) Verschiedene Arten verhaltenssteuernder Selbstverbalisationen: Zur Orientierung und Planung: „Überlege, welche Möglichkeiten Du in dieser Situation hast.“, „Was ist als nächstes zu tun?“ Zur Bewältigung von Symptomen/Problemen: „Entspanne Dich! Du kannst Deine Angst in Grenzen halten.“, „Tue eins nach dem anderen.“ Zur Ermutigung des Aushaltens von Symptomen: „Du kennst diese Angst. Sie wird gleich weniger werden.“, „Was ist in der Situation trotz Angst möglich?“ Zur Bewertung und Verstärkung: „Ich habe durchgehalten. Es hat geklappt.“, „Es ging schon besser als beim letzten Mal.“ 44 Kognitive Therapie nach Aaron T. Beck Hauptziel: Verzerrte/Dysfunktionale Kognitionen, die der psychischen Störung des Klienten zugrunde liegen identifizieren, hinterfragen und verändern („kognitive Umstrukturierung“) Ø Kognitionen in Richtung einer realitätsadäquateren und funktionaleren Wahrnehmung verändern (≠ „rosarote Brille“) z.B. mittels Sokratischem Dialog, Verhaltensexperimenten, Tagebuch führen (mit Hilfe dessen Klienten selbständig lernen, negative Kognitionen im Alltag zu identifizieren und zu hinterfragen) In einem 1. Schritt werden automatische Gedanken identifiziert und hinterfragt und in einem 2. an Grundüberzeugungen gearbeitet 45 Kognitive Umstrukturierung: Sokratischer Dialog Geleitetes Entdecken: Als Therapeut:in nicht eigene Meinung einbringen, z.B. sagen was «richtig» oder «falsch» ist, sondern fragend Klienten zum eigenen Nachdenken anregen – Nicht: Denken Sie nicht auch, dass dieses negative Denken auf Dauer schädlich für Sie ist? – Sondern: Welche Vor- und Nachteile hat dieses Denken für Sie? Wie fühlen und verhalten Sie sich, wenn Sie diese Gedanken glauben? Ø Wie Sokrates nehmen Therapeut:innen die Rolle der «Unwissenden» ein und stellen Patient:innen «naive» und offene Fragen Ø Klienten wird auf prozessualer Ebene geholfen, selbständig Einsichten zu gewinnen 46 Kognitive Umstrukturierung mit Tagebüchern 47 Strategien der Verhaltenstherapie mit typischen, ausgewählten Einzelmethoden 48 Prototypische Anordnung der Phasen einer (kognitiven) Verhaltenstherapie 49 Zur Vertiefung Ø Kapitel 4 & 14 in Hoyer & Knappe zu „Lernpsychologische Grundlagen“ und „Verhaltenstherapie“ 50 Klinische Psychologie (9. Termin) Psychodynamische Psychotherapie PD Dr. Tobias Krieger Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie 24.04.2024 Vorlesung 1 Fragen, die Sie beantworten können sollten Wie unterscheiden sich „Analytische Psychotherapie“ und „Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie“? Was sind charakteristische Merkmale von psychodynamischen Therapien? Nennen Sie die drei Instanzen des Strukturmodells nach Freud. Was beschreiben sie? Nennen Sie Beispiele von Abwehrmechanismen. Wozu „braucht“ es Abwehrmechanismen laut psychodynamischer Theorie? Was ist ein Konflikt im psychodynamischen Sinne? Nennen Sie zwei prototypische Konflikte. Was ist mit „Strukturellen Störungen“ gemeint? Welche Interventionen aus psychodynamischen Therapien kennen Sie? Was ist mit „Übertragung“ und „Gegenübertragung“ gemeint? Was sind die angenommenen Wirkprinzipien von psychodynamischer Psychotherapie? Welche Achsen hat das OPD? Was bedeutet Mentalisierung? 2 Psychodynamische Perspektive Kein einheitliches Paradigma Inzwischen viele „Sub-Paradigmen“ und von der PA abgeleitete therapeutische Ansätze Auch Bezeichnungen wie „psychoanalytisch“, „psychodynamisch“ und „tiefenpsychologisch“ PA = Psychoanalyse; klassisch 5x/w über Jahre 3 Psychodynamische Therapien: 2 von 4 Richtlinienverfahren in Deutschland Analytische Psychotherapie Nahe an ursprünglicher Psychoanalyse 2-3h/Woche (2-3 Jahre) In der Regel liegt Patient:in; Therapeut:in sitzt neben oder hinter ihm/ihr Bearbeitung unbewusster Störungs- und Strukturanteile des Patienten Förderung von Übertragung und Regression (s. später) Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie Stärkerer Fokus auf Gegenwart; keine detaillierte Aufarbeitung der biographischen Vorgeschichte mit Erfahrungen in der Kindheit 1-2h/Woche (1-3 Jahre) Überwiegend Bearbeitung einer aktuellen Konfliktsituation und der dazugehörigen Symptome Weniger Förderung von Übertragung und Regression; Konzentration auf die Bearbeitung des aktuellen Konfliktes; aber auch unter Beachtung/Bearbeitung der Therapiebeziehungskonstellation 4 Psychodynamische Psychotherapie im Fernsehen 5 Charakteristische Merkmale psychodynamischer Therapien Explorieren von Versuchen belastende Gedanken und Gefühle zu vermeiden und zu verdrängen Identifikation von wiederkehrenden Themen und Mustern Auseinandersetzung mit Erfahrungen in der Vergangenheit Fokus auf zwischenmenschliche Beziehungen Fokus auf die therapeutische Beziehung Erforschung des Unbewussten und des Fantasielebens Shedler, 2011 6 Weitere Merkmale/Gemeinsamkeiten von psychodynamischen Therapieformen Psychischer Determinismus: Es wird davon ausgegangen, dass unbewusste Bedürfnisse einer Person ihre Wahrnehmung, ihre Gefühle und ihr Verhalten stark mitbeeinflussen. Symptom: Das Symptom wird den psychodynamischen Theorien zufolge entweder als Lösungsversuch eines unbewussten innerpsychischen Konfliktes oder als Ausdruck eines sog. »strukturellen Defizits« gesehen (è siehe später) Einzigartigkeit: Ein Symptom kann dem Anschein nach bei unterschiedlichen Personen gleich sein, aber jeweils eine andere psychodynamische Ätiologie haben. Unbewusstes: Ein Teil unserer mentalen und affektiven Abläufe entzieht sich unserem Bewusstsein und beeinflusst unser Verhalten, Fühlen und Denken. Die Psychodynamische Therapie zielt darauf ab, Unbewusstes bewusst zu machen, um das Verhalten und die Symptome besser zu verstehen. 7 Das topische Modell Sigmund Freud (1856 bis 1939) è Begründer der Psychoanalyse è Prägte u.a. Begriffe wie: Topisches Modell Strukturmodell Abwehrmechanismen 8 Freuds Strukturmodell 9 Freuds Strukturmodell (Es – Ich – Über-Ich) Das Es (id): Ebene der Triebe und Motive Zwei Triebe: Eros (Libido), der auf Bindung abzielt und Thanatos (Todestrieb/Destrudo), der nach Auflösung strebt Unbewusst, primärprozesshaftes, d.h. impulsives und alogisches, Denken Folgt dem Lustprinzip: strebt nach unmittelbarer Befriedigung seiner triebhaften Impulse (kennt keine Moral) Im Es sind auch aus dem Ich verdrängte, konflikthafte Inhalte lokalisiert, die die Tendenz haben, bewusst werden zu wollen. 10 Freuds Strukturmodell (Es – Ich – Über-Ich) Das Über-Ich (super-ego): Moralische Instanz bzw. das „Gewissen“ der Psyche Enthält die moralischen Normen und verinnerlichten Wertvorstellungen der kulturellen Umgebung, in der das Individuum aufwächst (insb. die der Eltern) Kontrollinstanz, deren Ziel es ist, durch Selbstbeobachtung das eigene Verhalten in Übereinstimmung mit dem Idealbild zu bringen Gegenspieler der elementaren Lusttriebe des Es 11 Freuds Strukturmodell (Es – Ich – Über-Ich) Das Ich (ego): Nach Freud aus einer „Rindenschicht“ des Es entstanden, durch den Kontakt mit der Realität Folgt dem Realitätsprinzip; logisches Denken Prozesse bewusst oder vorbewusst, d.h. bewusstseinsfähig Muss zwischen den Triebansprüchen des Es, den aktuellen Bedingungen der Realität und den moralischen Ansprüchen des ÜberIchs vermitteln Beziehung zwischen Ich und Es = Beziehung zwischen Reiter und Pferd: Das Pferd (Es) liefert die Energie, der Reiter (Ich) versucht es zu lenken. Der Reiter kann aber auch die Macht über das Pferd verlieren und es bestimmt dann selbst, wohin es galoppiert. Das Ich ist also nicht immer Herr über das Es. 12 Freuds Strukturmodell (Es – Ich – Über-Ich) Mensch = Energiesystem, welches versucht Spannung zu reduzieren Spannung entsteht, wenn libidinöse oder destruktive Impulse gar nicht oder nicht sofort umgesetzt werden können, weil sie im Widerspruch zu den Bedingungen der Realität und den Ansprüchen des Über-Ich stehen. Eine weitere Quelle von Spannungen sind ins Es verdrängte Bewusstseinsinhalte Verdrängung = wichtigster Abwehrmechanismus (durch Verdrängung werden unerwünschte oder gefährliche Triebimpulse aus dem Bewusstsein ins Unbewusste abgeschoben bzw. daran gehindert, wieder ins Bewusstsein zu treten). Ø Beispiel: „Ein Mann, der gegenüber der Ehefrau seines besten Freundes sexuelle Impulse verspürt, seinen Freund aber nicht verletzen will, könnte demnach mit diesem Konflikt und der damit verbundenen Angst dadurch fertig werden, dass er unerwünschte sexuelle Impulse verdrängt. Als verdrängter Inhalt ist der sexuelle Impuls zwar nicht mehr bewusst, aber dadurch nicht verschwunden; er „gärt“ im Es unbewusst weiter und muss auch in Zukunft daran gehindert werden, dass er wieder bewusst oder gar handlungsleitend wird.“ 13 Erklärung psychischer Störungen (am Beispiel der Angsttheorien von Freud) Erste Angsttheorie: Hier ging Freud davon aus, dass Libido (also ein sexueller Wunsch) verdrängt wird und dann in Angst umschlägt Zweite Angsttheorie: Angst als Signal, welches aufgrund von Konflikten zwischen den verschiedenen Instanzen entsteht. Das „Ich“ kann den Konflikt nicht lösen (Angst als Signal für eine Bedrohung des Ich). Um die entstehende Angst zu reduzieren, werden Abwehrmechanismen eingesetzt è Angst ist nicht mehr die Folge von Verdrängung (als ein möglicher Abwehrmechanismus) sondern die Ursache. 14 Nach/während Freud: Viele Abspaltungen und Weiterentwicklungen Alfred Adler: Individualpsychologie (zentral: Menschen versuchen ihr Leben lang, den „Minderwertigkeitskomplex“ zu überwinden, mit dem sie geboren sind) Carl Gustav (C.G.) Jung: Analytische Psychologie (hervorheben der symbolischen Ausdrucksmöglichkeiten des Unbewussten; wird in Traumanalysen herausgearbeitet) Objektbeziehungstheorien (z.B. Klein, Kernberg): Wunsch nach Verbundenheit (und nicht triebhafte Lust) als treibende Kraft; Mutter-Kind-Interkation zentral; Hauptbezugspersonen werden zum Modell („innere Objektwelt“) für die Bindungsmuster des späteren Lebens. Heute viele verschiedene Formen psychodynamischer, teils auch störungsspezifisch, Kurzzeittherapien (z.B. Strupp, Binder, Barber, Fonagy... à siehe Buchkapitel und später) 15 Abwehrmechanismen Abwehr: Vorgang, der das Bewusstsein von gefährdenden, konflikthaften, inneren Reizen (Triebe, Wünsche, Gefühle) sowie äusseren überfordernden Reizen schützen soll. è Abwehrmechanismen zeigen sich in unterschiedlichen »Reifegraden»: „Reife» Abwehrmechanismen: Eine intrapsychische Regulierung eines psychischen Konflikts, der sich nur sekundär belastend auf die sozialen Beziehungen auswirkt (z.B. Rationalisierung) «Unreifere» Abwehrmechanismen: Bei den unreifen Abwehrmechanismen werden im Versuch der Stabilisierung des eigenen psychischen Gleichgewichts andere Menschen einbezogen, was in der Folge zu einer Belastung dieser Beziehungen führen kann (z.B. projektive Identifizierung) 16 Einige Beispiele von Abwehrmechanismen (v.a. von Anna Freud, Tochter von S.F., herausgearbeitet) Rationalisierung: Ein problematisches Verhalten wird dadurch gerechtfertigt, dass scheinbar vernünftige, aber „fadenscheinige“ Gründe dafür angegeben werden. – Bei äusserst harter Bestrafung von Kindern: „Mein Kind soll schon früh die Härte des Lebens spüren. Dann hat es später weniger Probleme“. Sublimierung: Triebenergie wird in sozial und kulturell hoch bewertete Handlungen umgewandelt. – Die Werke von Künstlern und Wissenschaftlern wären demnach umgewandelte sexuelle/libidinöse bzw. aggressive Triebenergie Projektion: Eigene nicht akzeptable Impulse werden anderen zugeschrieben. – Zum Beispiel: Aggressive Impulse gegenüber einer Person werden abgewehrt, indem von der anderen Person behauptet wird, sie wäre aggressiv. Weitere Beispiele: Verdrängung; Verschiebung; Vermeidung; Wendung gegen die eigene Person; Reaktionsbildung; Regression, Entwertung etc. Ø Siehe z.B.: https://www.youtube.com/watch?v=v80Nd8w1uts&list=PL6LXsiDw28tQMPmejbZHWVZuAokbeaSO1 17 Beispiel (wie Abwehrmechanismen hineininterpretiert werden könnten) Eine Therapeutin möchte vor ihrem Auslandsaufenthalt eine Therapie einer stabilen Patientin abschliessen. Sie hat gute Gründe anzunehmen, dass ihre Abreise bei ihrer Patientin alte Konflikte aktualisieren könnte. Die Patientin reagiert allerdings scheinbar gleichgültig und besteht auf eine Weiterführung der Therapie mit einem stellvertretenden Therapeuten. Nach der ersten Stunde mit dem neuen Therapeuten bricht sie die Behandlung ab. Der neue Therapeut sei schlecht. 18 Vorgang und mögliche involvierte Abwehrmechanismen è Erste Therapeutin: “Ich gehe” à Bei der Patientin werden Konflikte aktualisiert Patientin denkt unbewusst: “Du schlecht!” è Übertragung (+ evtl. Entwertung) Patientin: “Es macht nichts” è Verdrängung è Neuer Therapeut fängt Stellvertretung an. Patientin denkt: “Du schlecht!” è Verschiebung (+ evtl. Entwertung) Patientin: Bricht ab, weil Th. schlecht è Rationalisierung 19 Krankheitsmodell psychodynamischer Therapieformen Psychische Störungen sind Ausdruck – unbewältigter innerer Konflikte (Konfliktpathologie) oder – eines «Entwicklungsdefizits»; d.h. für ein normales Erwachsenenleben wesentliche «seelische» (intrapsychische) Funktionen wurden nicht ausgebildet (Strukturpathologie) 20 Konflikt und Struktur Theater-Metapher: Sie besuchen ein Stück, über das Sie nichts wissen und versuchen, den Inhalt zu erschliessen Konflikt: Dramatischer Inhalt, innere Widersprüche der Personen Struktur: Beschaffenheit von Bühne und Requisiten, Störungen der Aufführung Wechselseitiger Einfluss! ○ ○ Chaotische Verhältnisse auf Bühne und Theater erschweren die Aufführung des Dramas Je dramatischer das Stück, desto eher kommt es zu Pannen und Zwischenfällen Das Konfliktmodell Konfliktthemen sind als »Lebensthemen« entwicklungsfördernd, sofern sie flexibel gestaltet, ausreichend bewusst oder passend zur inneren und äusseren Lebenssituation (»integriert«) sind. Psychische Störung als Folge der Internalisierung von frühen repetitiven unlösbaren, schwierigen Beziehungserfahrungen und abwehrbedingter Einschränkungen im Erleben und Verhalten Beispiel: Die Erfahrung, von wichtigen Bezugspersonen zurückgewiesen, verachtet, bestraft oder misshandelt worden zu sein, kann dazu führen, dass negative Affekte wie Schmerz, Scham, Angst und Schuld unbewusst mit dem Wunscherleben nach Nähe assoziiert werden, was einen Einfluss auf Beziehungen resp. das Bedürfnis danach haben kann. 22 Pathogene Konflikte Bei psychischen Erkrankungen sind innerpsychische Konflikte übermässig stark ausgeprägt und rigide (= pathogene Konflikte) – – – – Konflikte werden als unlösbar erlebt Wesentliche Aspekte des Konfliktes sind unbewusst Die Folge ist eine Symptombildung Symptome sind ein (unbewusster) Lösungsversuch Bipolare Konzeption von Konflikten (aktiver vs. passiver Modus, s. später) – Aktiv = eher selbstbezogen – Passiv = eher objektbezogen à Mischtypen im klinischen Alltag die Regel 23 Psychodynamisches Konfliktmodell 24 Kernkonflikte (Auswahl aus OPD; s. später) 1. Individuation vs. Abhängigkeit: Konflikt zwischen Streben nach Abhängigkeit/Geborgenheit vs. Autonomie 2. Autarkie vs. Versorgung: Konflikt zwischen dem Bedürfnis nach Selbstständigkeit/Aktivität vs. und Hilfe bekommen/Passivität 3. Unterwerfung vs. Kontrolle: Konflikt zwischen den Strebungen nach Macht und Kontrolle vs. Hingabe und Unterwerfung 4. Selbstwertkonflikt: Konflikt zwischen der Idealisierung anderer (mit korrespondierender Selbstentwertung und Gefühlen von Minderwertigkeit) vs. Selbstidealisierung und -überhöhung 5. Schuldkonflikt: übermässige Schuldannahme vs. gänzliche Ablehnung bzw. Zuweisung der Schuld an andere è Aktiver und passiver Modus 25 Modi des Konflikts: Individuation vs. Abhängigkeit Aktiver Modus ○ Streben nach Selbstständigkeit und Distanz ○ Übersteigerte emotionale/existentielle Unabhängigkeit Unterdrückung von Bedürfnissen nach Nähe Selbstwahrnehmung von Stärke und Nicht-Angewiesensein-auf-Andere Leitaffekt: Existentielle Angst vor Nähe Passiver Modus ○ Suche nach Beziehung und intensiver Nähe ○ Beziehung um (fast) jeden Preis Vermeidung von Eigenständigkeit Bagatellisierung von Beziehungskonflikten Selbstwahrnehmung von Hilfslosigkeit Leitaffekt: Existentielle Angst bei Verlust, Einsamkeit Struktur / Strukturelle Störungen Struktur = Ergebnis eines Reifungsprozesses; Verfügbarkeit von verschiedenen psychischen Funktionen, die für die Organisation des Selbst und seine Beziehungen notwendig sind und die im Verlauf des (frühen) Lebens erworben werden (à siehe nächste Folie) Es wird davon ausgegangen, dass strukturelle Defizite (= psychischen Funktionen sind nicht gut ausgebildet) durch unzureichende Entwicklungsbedingungen und/oder negative Beziehungserfahrungen, in denen die Bedürfnisse des Kindes nicht hinreichend befriedigt wurden (im Extremfall durch frühe Traumatisierungen), entstehen In diesem Zusammenhang wird auch von «strukturellen Störungen» gesprochen. 27 Strukturpathologie Störung der psychischen Funktionen in den folgenden Bereichen (immer ein Selbst- und ein Objekt-Aspekt) möglich: Selbstwahrnehmung: Fähigkeit, sich ein Bild des Selbst und der eigenen inneren Vorgänge zu machen Objektwahrnehmung: Fähigkeit, sich ein realistisches Bild des Gegenübers zu machen Selbstregulierung: Fähigkeit zur Regulation des inneren Erlebens Regulierung des Objektbezugs: Fähigkeit, die Beziehungen vor eigenen Impulsen unter Wahrung der eigenen Interessen zu schützen Kommunikation nach innen: Fähigkeit, innere Dialoge zu führen und sich selber zu verstehen Kommunikation nach aussen: Fähigkeit, mit anderen in einen emotionalen Austausch zu treten Bindung an innere Objekte: Fähigkeit, innere Bilder von wichtigen Menschen zu entwerfen, sie emotional positiv zu besetzen, aufrechtzuerhalten und darüber verfügen zu können Bindung an äussere Objekte: Fähigkeit sich in realen Beziehungen an andere zu binden und sich auch wieder von ihnen zu lösen 28 Einschätzung des Strukturniveaus - Das Strukturniveau kann auf einer globalen Skala eingeschätzt werden, indem die verschiedenen Strukturpathologien zusammen genommen werden. - Die Skala geht von 1 (gut integriert) bis 4 (desintegriert). Benecke, 2014 29 Psychodynamische Techniken und Interventionen I Freie Assoziation (P): Pat. soll alles, was ihr/ihm durch den Sinn geht, aussprechen und dabei Zensur und Kontrolle unterlassen. Alle Gedanken aussprechen, egal wie unsinnig, zusammenhangslos, unangenehm, beängstigend oder unwichtig ihm dieser erscheint. è Unbewusste Motive sollen hierdurch die Möglichkeit erhalten, ausgedrückt zu werden Gleichschwebende Aufmerksamkeit (T): Gegenstück zur freien Assoziation des Pat. Im Idealfall löst sich der/die Analytiker*in gänzlich von seinen Annahmen, Ideen und vor allem von seinem theoretischen Wissen, um aufnahmebereit für Neues und für die Einzigartigkeit des Analysanden zu sein è Oszillieren zwischen absichtsloser Offenheit für Neues und Hypothesenbildung Technische Neutralität (T): Die/Der Th. wertet nicht und ist neutral, wenn es um religiöse, moralische und gesellschaftliche Fragen geht. Dies beinhaltet auch, dass er keine Ratschläge gibt, sich und seine persönlichen Einstellungen (z.B. bei Entscheidungsfindungen) heraushält, nicht Partei ergreift, nicht wissbegierig ist und seine Ansichten nicht preisgibt. 30 Psychodynamische Techniken und Interventionen II Als primäre Quelle des Verstehens und der therapeutischen Veränderungen werden Übertragung, Gegenübertragung und Interpretationen/Deutungen betrachtet (Gabbard, 2000) – Übertragung: Gefühle, Affekte, Erwartungen, Wünsche, Befürchtungen, Beziehungsmuster aus der Kindheit werden unbewusst auf neue soziale Beziehungen übertragen und reaktiviert (z.B. Therapiebeziehung) – Gegenübertragung: Therapeut*in reagiert auf Übertragung der/des Patient*in und reagiert seinerseits mit Gefühlen, Erwartungen, Wünschen – Therapeut*in deutet diese Phänomene, was dazu führen soll, dass Patient*innen unbewusste Zusammenhänge (z.B. Wünsche) allmählich klarer werden sollen (siehe auch nächste Folie) 31 Psychodynamische Techniken und Interventionen III Klärungen (auch Klarifikation): durch präzises Fragen, ein spezifisches Thema herausgearbeiteen. Nachfragen in Bezug auf konfus und vage wirkende Wahrnehmungen des Patienten. Sie sind hilfreich, um psychische Phänomene zu verdeutlichen und fassbarer zu machen è Arbeit am Bewussten Konfrontationen weisen Patient:innen auf Widersprüche hin, die er oder sie nicht wahrnimmt oder nicht wahr haben will è Arbeit am Vorbewussten Deutungen sind Mitteilungen an den Patienten, die dem, was der Patient verbal und/oder «inszenierend» mitteilt, eine Bedeutung geben, die über dessen bewusstes Verständnis hinausgeht. Deutungen zielen darauf ab, dem Patienten den Zugang zum unbewussten Sinn zu eröffnen. Ursprünglich aus der Arbeit mit Träumen è Arbeit am Unbewussten è Widerstand: unbewusste Kräfte, die den Behandlungsprozess behindern. Widerstände richten sich gegen den Fortschritt der Therapie, die ja den Patienten von seinen Symptomen (und somit Lösungen) befreien will. Da das Symptom eine für den Patienten zunächst bestmögliche Bewältigungsform seines psychischen Konflikts darstellt (z.B. Schweigen, zu spät kommen, etc.) 32 Psychodynamische Techniken und Interventionen IV Durcharbeiten: Die Analyse der Übertragung, Gegenübertragung und Widerstände und die Interventionstechniken der Deutung, Konfrontation und Klärung begleiten den vielschichtigen Prozess des Durcharbeitens. Mit Durcharbeiten wird die psychische Arbeit bezeichnet, die ein Patient im Sinne eines Lern- und Veränderungsprozesses in der Behandlung leistet und die auch in Phasen, in denen die Behandlung zu stagnieren scheint, stattfindet (laut psychodynamischer Theorie). 33 Wirkprinzipien psychodynamischer Therapie Konfliktorientiertes Vorgehen Heilsame Beziehungserfahrung Strukturorientiertes Vorgehen Einsicht in die Hintergründe der eigenen Schwierigkeiten Förderung psychischer Kompetenzen Therapeutische Allianz als Voraussetzung der Zusammenarbeit Konfliktorientiertes Vorgehen Förderung von Regression ○ ○ Interpretierend-deutende («expressive») Tätigkeit der Therapeut:in ○ ○ ○ ○ durch Zurückhaltung, Abstinenz und Neutralität durch unstrukturiertes Setting Klarifizierung, Konfrontation, Deutung Fokus auf Widerstand Fokus auf abgewehrte Wünsche und Gefühle Fokus auf Beziehungsmuster Nutzung der Übertragungs-Gegenübertragungs-Beziehung ○ Übertragungsdeutungen Strukturorientiertes Vorgehen Supportive Technik ○ ○ ○ Therapeut*in als explizite Unterstützer*in Begrenzung von Regression und Übertragungsprozessen Förderung einer sicheren Therapieumgebung Förderung von Ich-Funktionen ○ Fokussierung auf die Entwicklung struktureller Bereiche ○ Stabilisierung und Selbstfürsorge Mentalisierung und Perspektivenübernahme Therapeut*in als „Hilfs-Ich“ Diagnostik in psychodynamischen Therapien Auf standardisierte Vorgehensweisen (»objektive Methoden«) wurde in den psychodynamischen Therapien lange verzichtet Ein wenig strukturiertes Vorgehen wurde bevorzugt. è Patient:in sollte Möglichkeit bekommen, den Gesprächsverlauf (unbewusst) zu gestalten, zum anderen sollte Therapeut:in die Möglichkeit bekommen, die subjektive Realität von Pat. und deren Beziehungsgestaltung zu erfassen Seit 1996 je

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