Sozialpsychologische Grundlagen von Kommunikation und Beratung (PDF)

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Lecture notes on social psychology, communication, and counseling. The document explains concepts like stereotypes, prejudice, and discrimination, emphasizing their different components and societal implications. The lecture material is for the Sommersemester 2024 at Fachhochschule Kiel..

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Sozialpsychologische Grundlagen von Kommunikation und Beratung Prof. Dr. Jeannette Bischkopf E-Mail: [email protected] Sprechstunde: nach Vereinbarung Sommersemester 2024 Definitionen: Vorurteil, Stereotyp, Diskriminierung ▪ Ein Vorurteil lässt sich definieren als eine explizite...

Sozialpsychologische Grundlagen von Kommunikation und Beratung Prof. Dr. Jeannette Bischkopf E-Mail: [email protected] Sprechstunde: nach Vereinbarung Sommersemester 2024 Definitionen: Vorurteil, Stereotyp, Diskriminierung ▪ Ein Vorurteil lässt sich definieren als eine explizite Einstellung gegenüber Angehörigen einer Fremdgruppe, die allein auf deren Gruppenzugehörigkeit beruht. ▪ Stereotyp (kognitive Komponente): sozial geteilten Überzeugungen bezüglich der Merkmale enthalten, die eine Gruppe und ihre Mitglieder auszeichnen. ▪ Positive oder negative Bewertung (affektive Komponente): Mit Bewertung wird die positive oder negative Empfindung gegenüber Personen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Fremdgruppe bezeichnet. ▪ Diskriminierung (Verhaltenskomponente): ungerechtfertigt negatives oder schädliches Verhalten gegenüber Personen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Fremdgruppe. Werth, L., Seibt, B., Mayer, J. (2020). Vorurteile. In: Sozialpsychologie – Der Mensch in sozialen Beziehungen. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-53899-9_4 Werth, L., Seibt, B., Mayer, J. (2020). Vorurteile. In: Sozialpsychologie – Der Mensch in sozialen Beziehungen. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-53899-9_4 Vorurteile, welche ▪ auf der Geschlechts- oder der ethnischen Zugehörigkeit (Sexismus und Rassismus), ▪ dem Alter (Ageism) und ▪ der körperlichen Erscheinung (Appearance Prejudice) beruhen. ▪ Weitere wichtige Bereiche von Vorurteilen sind zudem Religion, Behinderung (die Diskriminierung bezüglich dieser Merkmale ist nach Art. 3, Grundgesetz, verboten) ▪ sowie sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität. Werth, L., Seibt, B., Mayer, J. (2020). Vorurteile. In: Sozialpsychologie – Der Mensch in sozialen Beziehungen. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-53899-9_4 Beispiel: Vorurteile aufgrund der äußerlichen Erscheinung (Appearance Prejudice) ▪ Attraktiven Menschen werden mehr positive Eigenschaften wie Begabung, Ehrlichkeit oder auch Intelligenz zugeschrieben als unattraktiven, und sie werden insgesamt besser bzw. bevorzugt behandelt. Kinder zeigen diese Tendenzen von klein auf in vergleichbarer Weise wie Erwachsene, selbst untereinander. (Beauty-is-good-Stereotyp). ▪ bedeutsames und tendenziell zunehmendes Problem: Vorurteile gegenüber und Diskriminierung von übergewichtigen Menschen. (z.B. werden sie auf dem Arbeitsmarkt auch bei Jobs, bei denen Aussehen und Gewicht keinerlei Rolle spielen, benachteiligt. Selbst unter Kindern sind diese Vourteile bereits existent.) Werth, L., Seibt, B., Mayer, J. (2020). Vorurteile. In: Sozialpsychologie – Der Mensch in sozialen Beziehungen. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-53899-9_4 Vorurteile und ihr Ausdruck verändern sich mit der Zeit. So sind zwar Vorurteile gegenüber Homosexuellen nicht verschwunden (2016 gaben 40 % der befragten Deutschen an, es sei „ekelhaft, wenn Homosexuelle sich in der Öffentlichkeit küssten“; Decker et al. 2016), sind aber in den letzten 60 Jahren stark zurückgegangen. Während noch bis 1969 in der Bundesrepublik homosexuelle Handlungen unter Strafe standen, wurde in Deutschland 2017 die gleichgeschlechtliche Ehe eingeführt. Werth, L., Seibt, B., Mayer, J. (2020). Vorurteile. In: Sozialpsychologie – Der Mensch in sozialen Beziehungen. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-53899-9_4 Effekte auf die soziale Interaktion, Erwartung und Verhalten ▪ Selbsterfüllende Prophezeiung: Wenn eine Person eine Erwartung davon hat, was eine andere Person ist (Amy ist dumm), beeinflusst diese das Verhalten gegenüber dieser Person (gähnen, nicht zuhören), was wiederum diese veranlasst sich so zu verhalten, wie es den Erwartungen entspricht (fühlt sich unwohl und zieht sich zurück) (Erwartung bestätigt sich) Werth, L., Seibt, B., Mayer, J. (2020). Vorurteile. In: Sozialpsychologie – Der Mensch in sozialen Beziehungen. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-53899-9_4 Effekte von Stereotypen auf die stereotypisierte Person ▪ Bedrohung durch Stereotype (Stereotype- Threat): die Angst von Mitgliedern einer Gruppe, ihr Verhalten könne ein Stereotyp bestätigen Bsp: Mädchen schnitten in einem Mathematiktest schlechter ab, nachdem sie geschlechtsstereotype Bilder (z. B. Puppen) ausmalten oder bearbeiteten. Neben den Naturwissenschaften ergaben sich Leistungseinbrüche durch negative Stereotype auch im Sportunterricht, was sich in einer langsameren Sprintleistung (Hermann & Rumrich, 2018) zeigte. Bei Schüler*innen mit Migrationshintergrund führte die Information, einen Test zur sprachlichen Intelligenz zu absolvieren zu schlechteren Leistungen, die jedoch nicht auftraten, wenn zuvor nur die Aufgabenentwicklung als Testanlass vermittelt wurde (Froehlich et al., 2016). Grundschüler zeigten eine schlechtere Leseleistung, wenn die Aufgaben vorab als „Lesetest“ angekündigt wurden, lasen aber genauso gut wie die Mädchen, wenn die gleichen Aufgaben ein Lernspiel darstellten (Pansu et al., 2016). Hermann, J.M. (2022). Interventionen gegen Stereotype Threat: Ein Überblick. In: Glock, S. (eds) Stereotype in der Schule II. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-37262-0_7 In Anlehnung an das Stress- Modell von Lazarus und I Folkman (1984) wird unterschieden, ob die Maßnahmen an der Wahrnehmung der bedrohlichen Stereotype oder den persönlichen Ressourcen zum Umgang damit ansetzen. Taxonomie der Stereotype-Threat-Interventionen, nach Liu et al. (2021) in Hermann, J.M. (2022). Interventionen gegen Stereotype Threat: Ein Überblick. In: Glock, S. (eds) Stereotype in der Schule II. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-37262-0_7 ▪ Konnten Ben-Zeev et al. (2017) auch für Studierende mit Migrationshintergrund feststellen, die durch die Aufklärung über Stereotype Threat ihre Schlussfolgerungsfähigkeit und Noten im Studium verbessern sowie die Sorge, negative Stereotype zu bestätigen, reduzieren konnten. ▪ Identifikation mit der Domäne als auch dem eigenen Geschlecht sowie der Herkunft und Ethnie: wichtige Moderatoren des Stereotype Threat ▪ ABER: wichtig zu beachten, negative Stereotype nicht ungewollt implizit zu aktivieren. Inwiefern Interventionen gegen Stereotype Threat dabei dann sensible Gruppenkategorien wie „Geschlecht“, „Herkunft“ oder „Ethnie“ thematisieren, sollte daher immer kritisch reflektiert werden. in Hermann, J.M. (2022). Interventionen gegen Stereotype Threat: Ein Überblick. In: Glock, S. (eds) Stereotype in der Schule II. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658- 37262-0_7 Schritte in der Entwicklung von Selbst-Stigmatisierung Aware Agree Apply Ist sich die Stimmt die Wendet die Person der Person den Person die Stereotype Stereotypen Stereotype bewusst? zu? auf sich an? Sheehan, Lindsay; Nieweglowski, Katherine; Corrigan, Patrick W. (2017): Structures and Types of Stigma. In: Gaebel, Wolfgang; Rössler, Wulf; Sartorius, Norman (Hrsg.): The Stigma of Mental Illness – End of the Story? Cham u.a.: Springer, S. 43-66. (Abb. S. 52) Stigma Bsp. Self-Stigma psychisch krank (Selbstbezogen) (Gruppenbezogen) Scham Stereotyp (kognitiv) Stereotyp (kognitiv) („Ich - Inkompetenz Gruppenstereotyp wird auf die eigene bin…“) - Charakterschwäche Selbstkritischer Person bezogen Prozess, irrationale - Gefährlichkeit Glaubenssätze Vorurteil (affektiv) Vorurteil Reduzierte Hoffnung, Selbstwirksamkeits- (affektiv) erwartung, Selbstvertrauen… Diskriminierung (Verhalten) Reduziertes Diskriminierung Hilfesuchverhalten, geringere (Verhalten) Initiative in der Erreichung von Lebenszielen (Selbst-)Stigmatisierung Bsp. psychisch krank ▪ Zustimmung zum gruppenbezogenen öffentlichen Stigma sagt (Selbst-)Stigma 3 Monate später vorher ▪ (Selbst-)Stigma ist relativ stabil ▪ (Selbst-)Stigma ist mit geringerer Lebensqualitität verbunden, v.a. das Verheimlichen von psychischen Problemen (Sheehan, Nieweglowski & Corrigan, 2017, S. 51) Sheehan, Lindsay; Nieweglowski, Katherine; Corrigan, Patrick W. (2017): Structures and Types of Stigma. In: Gaebel, Wolfgang; Rössler, Wulf; Sartorius, Norman (Hrsg.): The Stigma of Mental Illness – End of the Story? Cham u.a.: Springer, S. 51. ▪ „Das stigmatisierte Individuum findet sich solcherart in einer Arena detaillierter Argumentation und Diskussion über das, was es über sich denken sollte, das heißt über seine Ich- Identität.“ (Goffman 1999, S. 155) („beschämende Andersartigkeit“) Goffman, Erving (1999). Stigma. Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität. 14. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp. (Original: 1963 Stigma. Notes on the Management of Spoiled Identity) “Internalized racial oppression is a multigenerational process of accepting social messaging about one’s standing in society and one’s comparative value. Unless there are conscious, rigorous, and well-informed efforts to challenge them, social messages become internalized and, thus, invisible. Once invisible, the legacies of privilege and oppression become part of what is handed down through generations as social, cultural, and institutional norms and practices. Therefore, to understand structural racism, we must understand internalized racial oppression.” ▪ „Empowerment bezeichnet einen Arbeitsansatz, der Menschen ermutigt, Regie über das eigene Leben zu führen und Lebenssouveränität zu erstreiten. Die Förderung von Selbstgestaltung und Handlungsmächtigkeit hinterlässt dort, wo sie erfolgreich ist, psychische und soziale Spuren…Empowerment weist vielfach über die Ebene der Selbstveränderung hinaus. Sichtbar wird dies im sozialen Engagement der Bürgerinnen und Bürger: in Aktionen bürgerschaftlicher Einmischung, in öffentlicher Teilhabe an der politischen Willensbildung, im strittigen Engagement in Solidargemeinschaften und Bürgerprojekten.“ Herriger, N. (2014). Empowerment-Landkarte: Diskurse, normative Rahmung, Kritik. Aus Politik und Zeitgeschichte. https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/180866/empowerment- landkarte-diskurse-normative-rahmung-kritik/?p=all 26.05.2024 Präsentationsname 18 Kajikhina, K., Koschollek, C., Bozorgmehr, K. et al. Rassismus und Diskriminierung im Kontext gesundheitlicher Ungleichheit – ein narratives Review. Bundesgesundheitsbl 66, 1099–1108 (2023). https://doi.org/10.1007/ s00103-023-03764-7 Wie können Vorurteile reduziert werden? Die wichtigste Art ist durch Kontakt, das Zusammenbringen von Eigen- und Fremd-Gruppen- Mitgliedern. Jedoch ist bloßer Kontakt nicht genug und kann sogar zur Ausweitung existierender negativer Einstellungen führen, wie es geschah, als öffentliche Schulen in den USA erstmals von der Rassentrennung befreit wurden. Stattdessen müssen Kontaktsituationen folgende Bedingungen erfüllen: 1. gegenseitige Abhängigkeit, 2. ein gemeinsames Ziel, 3. zwanglosen interpersonellen Kontakt, 4. vielfältige Kontakte und 5. soziale Normen von Gleichheit. Die Theorie des sozialen Lernens besagt, dass wir die angemessenen Normen unserer Kultur – einschließlich Stereotype und Einstellungen mit Vorurteilen – von Erwachsenen, Peers, den Medien und anderen Aspekten der Kultur erlernen. - z.B. Medien und Sprache („Multiproblemfamilien“, „unvollständige Familien“, Alters- und Genderstereotype in der Werbung, Berichterstattung über psychische Erkrankungen….) Blue Eyed Jane Elliott, ehemalige Lehrerin aus den USA führt seit über 20 Jahren einen engagierten Kampf gegen Vorurteile, Ignoranz und Rassismus in der Gesellschaft. In Workshops teilt sie die Menschen nach einem willkürlichen körperlichen Merkmal ein in Blauäugige und Braunäugige. Letztere erklärt sie für besser und intelligenter und stattet sie mit Privilegien aus. Innerhalb von 15 Minuten schafft sie einen Mikrokosmos unserer Gesellschaft. Quelle: „Blue Eyed“ DVD Erscheinungstermin: 1. August 2006; Produktionsjahr: 1996; Spieldauer: 93 Minuten Darsteller: Jane Elliott; Regisseur: Bertram Verhaag ; Studio: DENKmal-Film GmbH https://www.zdf.de/dokumentation/dokumentation-sonstige/der-rassist-in- uns-104.html Lesetipps: ▪ Gladwell, Malcom (2020): Talking to Strangers. Penguin. (Dt. Die Kunst, nicht aneinander vorbeizureden.) ▪ Hermann, J.M. (2022). Interventionen gegen Stereotype Threat: Ein Überblick. In: Glock, S. (eds) Stereotype in der Schule II. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-37262-0_7 ▪ Petersen, L.-E. & Six, B. (2020). Stereotype, Vorurteile und soziale Diskriminierung. Theorien, Befunde und Interventionen. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Weinheim, Basel: Beltz. ▪ Zick A. (2017) Sozialpsychologische Diskriminierungsforschung. In: Scherr A., El-Mafaalani A., Yüksel G. (eds) Handbuch Diskriminierung. Springer Reference Sozialwissenschaften. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-10976-9_4

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