Pädagogisch-psychologische Lernförderung im Kindergarten- und Einschulungsalter PDF

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Marco Ennemoser and Kristin Krajewski

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preschool education learning support educational psychology early childhood development

Summary

This document from a pedagogical and psychological perspective examines the support of learning in kindergartens and primary schools. It explores the need for proactive measures to prevent future learning difficulties and highlights various areas of development where targeted support can be beneficial, including language skills, inductive thinking, and foundational literacy skills. It concludes by emphasising that effective intervention programs should be evidence-based.

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377 Pädagogisch-psychologische Lernförderung im Kindergarten- und Einschulungsalter Marco Ennemoser und Kristin Krajewski 16.1 Notwendigkeit vorschulischer Fördermaßnahmen – 379 16.1.1 Die präventive Funktion vorschulischer Fördermaßnahmen – 380 16.1.2 Inhaltliche Schwerpunkte beim Einsatz von pä...

377 Pädagogisch-psychologische Lernförderung im Kindergarten- und Einschulungsalter Marco Ennemoser und Kristin Krajewski 16.1 Notwendigkeit vorschulischer Fördermaßnahmen – 379 16.1.1 Die präventive Funktion vorschulischer Fördermaßnahmen – 380 16.1.2 Inhaltliche Schwerpunkte beim Einsatz von pädagogisch-psychologischen Trainingsprogrammen – 380 16.1.3 Fazit – 382 16.2 Sprachförderung in Kindergarten und Vorschule – 382 16.2.1 Möglichkeiten einer effektiven Sprachförderung – 382 16.2.2 Evaluationsstudien zur Wirksamkeit des dialogischen Lesens – 384 16.2.3 Fazit – 385 16.3 Förderung des induktiven Denkens – 385 16.3.1 Möglichkeiten einer effektiven Förderung induktiven Denkens – 386 16.3.2 Evaluationsstudien zur Wirksamkeit von Denktrainings – 388 16.4 Förderung von Vorläuferfertigkeiten des Schriftspracherwerbs – 389 16.4.1 Die Bedeutung von phonologischer Bewusstheit und ­BuchstabenLaut-Zuordnung in der schriftsprachlichen Entwicklung – 389 16.4.2 Möglichkeiten einer effektiven Förderung von phonologischer Bewusstheit und Buchstaben-Laut-Zuordnung – 391 16.4.3 Evaluationsstudien zur Wirksamkeit der Förderung von phonologischer Bewusstheit und Buchstaben-Laut-Zuordnung – 393 © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 E. Wild und J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61403-7_16 16 16.5 Förderung mathematischer Kompetenzen im Kindergarten und im Schuleingangsbereich – 394 16.5.1 Die Bedeutung von Z ­ ahl-Größen-Kompetenzen in der mathematischen Entwicklung – 394 16.5.2 Möglichkeiten einer effektiven Förderung von Zahl-GrößenKompetenzen – 395 16.5.3 Evaluationsstudien zur Wirksamkeit der Förderung von Zahl-GrößenKompetenzen – 399 Literatur – 401 16 379 Pädagogisch-psychologische Lernförderung … Die Kinder eines Einschulungsjahrgangs bringen bereits am ersten Schultag sehr unterschiedliche Ausgangsvoraussetzungen mit. Diese Unterschiede haben einen nachhaltigen Einfluss auf die weitere Schullaufbahn. Mit dem Ziel ungünstigen Entwicklungsverläufen frühzeitig vorzubeugen, wird in den letzten Jahren ein immer größeres Augenmerk auf Möglichkeiten der vorschulischen Prävention gerichtet. Da das konventionelle Bildungsangebot in dieser Hinsicht bislang wenig erfolgreich ist, bieten sich insbesondere pädagogisch-psychologisch fundierte Förderansätze an. Diese stützen sich nicht nur auf solide theoretische Grundlagen, sondern können in vielen Fällen auch empirische Wirksamkeitsnachweise vorlegen. Das vorliegende Kapitel befasst sich mit der Frage, in welchen Lernbereichen die Implementation von pädagogisch-psychologisch fundierten Präventionsmaßnahmen besonders sinnvoll ist, welche vorschulisch vorhandenen (Vorläufer-)Kompetenzen für diesen Zweck vielversprechende Ansatzpunkte bieten, welche konkreten Förderansätze jeweils existieren und welche empirischen Befunde bislang zur Wirksamkeit dieser Maßnahmen vorliegen (. Abb. 16.1). Schultag mit ungünstigen Eingangsvoraussetzungen zum Unterricht an. Wie aus den Befunden verschiedener Längsschnittstudien hervorgeht, können diese anfänglichen Rückstände in den nachfolgenden Schuljahren nur noch bedingt aufgeholt werden (z. B. Klicpera und Gasteiger-Klicpera 1993; Stern 2003). Die Erkenntnis, dass die Ursachen für spätere Lernschwierigkeiten bereits vor dem Schuleintritt zum Tragen kommen, hat das Augenmerk in den letzten Jahren zunehmend auf Möglichkeiten der Prävention und damit auf vorschulische Bildungsprozesse gelenkt. Früh einsetzende Fördermaßnahmen sollen drohenden Entwicklungsrückständen vorbeugen und allen (insbesondere auch sozial benachteiligten) Kindern eine gute Ausgangslage für den Anfangsunterricht in der Schule ermöglichen. Vor dem Hintergrund der oben beschriebenen, eher ernüchternden Befunde gewinnt dabei zunehmend das Kriterium der Evidenzbasierung an Bedeutung. Definition Fördermaßahmen gelten als evidenzbasiert, wenn sie nicht nur eine solide theoretische Fundierung aufweisen, sondern darüber hinaus auch überzeugende empirische Belege für ihre Wirksamkeit vorliegen. Idealerweise liegen mehrere empirische Untersuchungen vor, die bestimmten methodischen Anforderungen genügen (7 Kap. 17, Fries und Souvignier in diesem Band), sodass die Befunde eine möglichst klare Aussage darüber erlauben, ob die jeweilige Maßnahme tatsächlich wirksam ist. Hintergrund der Forderung nach einer stärkeren Evidenzbasierung im Bildungswesen ist der international. Abb. 16.1 (© Jupiterimages/Getty Images) 16.1  Notwendigkeit vorschulischer Fördermaßnahmen Schulische Bildung gilt als wesentliche Voraussetzung für die individuelle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Dementsprechend zählt es zu den wichtigsten Zielen unseres Bildungssystems, jedem Kind einen angemessenen, das heißt einen aufgrund der jeweiligen individuellen Voraussetzungen erreichbaren Bildungserfolg zu ermöglichen. Allerdings zeigen die Befunde internationaler Vergleichsstudien, dass unser Bildungssystem diesbezüglich nicht allzu erfolgreich ist. Insbesondere gelingt es offenbar nicht, herkunftsbedingte Bildungsbenachteiligungen auszugleichen, wie etwa die Herkunft aus sozial schwächeren Verhältnissen oder einen Migrationshintergrund. In diesem Sinne benachteiligte Kinder treten häufig bereits am ersten vielfach replizierte Befund, dass viele Maßnahmen in Unterricht und Lernförderung nicht die gewünschte Wirkung entfalten (Mayer 2005; Hsieh et al. 2005). Unter den zahlreichen Maßnahmen, die mit präventiver Intention in den Kindergärten zum Einsatz kommen, wird das Kriterium der Evidenzbasierung jedoch nur von sehr wenigen erfüllt. Selbst in so prominenten Bereichen wie der Sprachförderung liegen viel zu wenige aussagekräftige Studien vor, die Gewissheit geben könnten, welche Maßnahmen tatsächlich die erhofften präventiven Förderpotenziale entfalten (Weinert und Lockl 2008). Erschwerend kommt hinzu, dass viele Studien methodische Schwächen aufweisen, sodass die Befunde oft nur eingeschränkt interpretierbar sind. Wertvolle Beiträge zur Verbesserung dieser Situation stammen aus der pädagogisch-psychologischen Interventionsforschung. Diese definiert, welche methodischen Anforderungen an empirische Evaluationsstudien zu stellen sind und welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit die Wirksamkeit der evaluierten Maßnahme beurteilet werden kann (7 Kap. 14, Köller in diesem Band). Die entsprechenden Maßnahmen orientieren sich üblicherweise an theoretischen Modellen der natürlichen Kompetenzentwicklung. Die Programme zielen auf einen systematischen 380 16 M. Ennemoser und K. Krajewski Kompetenzaufbau ab, sie sind klar strukturiert und beinhalten standardisierte Durchführungsrichtlinien. Hierdurch wird sichergestellt, dass die Förderpotenziale der Maßnahmen nicht durch willkürliche Abweichungen und Ausschmückungen untergraben werden (Sicherung der Treatment-Validität; Pressley und Harris 1994). Idealerweise liegen mehrere und aussagekräftige empirische Studien vor, die die Wirksamkeit des jeweiligen Förderprogramms belegen. Von anderen Fachdisziplinen im Bereich der Bildungs­ forschung wird der programmatische Aufbau pädagogischpsychologischer Trainings gelegentlich kritisch bewertet. Dabei wird häufig die Auffassung vertreten, dass durch die standardisierte Vorgehensweise individuelle Lernwege und Entfaltungsmöglichkeiten unterdrückt würden. Als alternative Ansätze werden vielfach „ganzheitliche“ Methoden oder „selbstentdeckendes Lernen“ hervorgehoben, die individuellen Entwicklungsbedürfnissen angemessen entgegen kämen. Eine differenzierte Diskussion dieser Kontroverse würde den Rahmen des vorliegenden Beitrags sprengen (vgl. hierzu Probst und Kuhl 2006). Insgesamt kann jedoch der Nutzen ­pädagogisch-psychologischer Trainingsprogramme angesichts der internationalen Befundlage nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden. Zudem kann ein global konstruktivistisches, allein auf selbstentdeckendes Lernen ausgerichtetes Vorgehen unter präventiven Gesichtspunkten als ungeeignet gelten, da dies gerade für Kinder mit Lern- und Vorwissensdefiziten regelmäßig Überforderungen mit sich bringt (Grünke 2006; Heward 2003; Krajewski und Ennemoser 2010). Da vorschulische Förderprogramme üblicherweise mit präventiven Zielsetzungen verbunden sind, wird im Folgenden zunächst beleuchtet, was unter dem Begriff Prävention zu verstehen ist und welche präventive Funktion pädagogisch-psychologische Trainingsprogramme in einem institutionellen Bildungskontext erfüllen (können). Anschließend soll diskutiert werden, in welchen Lernbereichen eine Prävention durch entsprechende Trainingsprogramme besonders sinnvoll scheint. Hierbei werden vier Bereiche vorgeschlagen, die für die weitere Bildungslaufbahn besonders wichtig sind. Jedem dieser Bereiche wird ein eigener Abschnitt gewidmet, in dem zunächst die Relevanz der jeweiligen Kompetenz für den Bildungserfolg begründet wird und anschließend geeignete Förderansätze im Detail beschrieben werden. Dabei wird auch auf die jeweils vorliegende Befundlage zur Wirksamkeit der einzelnen Maßnahmen eingegangen. 16.1.1  Die präventive Funktion vorschulischer Fördermaßnahmen Im Allgemeinen dienen vorschulische Fördermaßnahmen dazu, Kinder auf die Schule und das spätere Leben vorzubereiten. Insbesondere sollen sie Problemen in der späteren Bildungslaufbahn vorbeugen, das heißt, sie verfolgen eine präventive Zielsetzung. Um die präventive Funktion vorschulischer Fördermaßnahmen genauer definieren zu können, muss berücksichtigt werden, dass Prävention als Fachbegriff weiter gefasst wird als dies in der alltagssprachlichen Begriffsverwendung der Fall ist. Einer gängigen Einteilung zufolge können drei Stufen der Prävention unterschieden werden. Definition Drei Stufen der Prävention (vgl. von Suchodoletz 2007) 1. Maßnahmen, die allen Personen einer bestimmten Population (z. B. allen Kindergartenkindern) zuteilwerden, dienen der primären Prävention. Das heißt, hier wird keine Auswahl danach getroffen, ob ein Kind im anvisierten Bereich einen besonderen Förderbedarf hat oder nicht. 2. Maßnahmen der sekundären Prävention beziehen demgegenüber nur Kinder ein, bei denen bereits ein gewisses Risiko für die Entstehung entsprechender Probleme identifiziert wurde. Die betreffenden Kinder weisen zwar noch keine substanziellen Schwierigkeiten (beispielsweise im Sinne einer Rechenstörung) auf, es sind jedoch bereits ungünstige Ausgangsvoraussetzungen erkennbar (z. B. fehlendes Zahlverständnis). 3. Der Begriff der tertiären Prävention bezieht sich schließlich auf Maßnahmen, die erst dann einsetzen, wenn bereits massive Probleme im jeweiligen Bereich evident sind. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn eine Lese-Rechtschreib-Schwäche oder eine Rechenschwäche diagnostiziert wurde oder wenn im klinischen Sinne von einer Erkrankung oder einer Störung gesprochen werden kann. Bei den Trainingsprogrammen für das Kindergarten- und Einschulungsalter, die in diesem Kapitel behandelt werden, handelt es sich naturgemäß eher um primär- und sekundärpräventive Maßnahmen, da sie Schwächen beziehungsweise Störungen im schulischen Lernen vorbeugen sollen, die zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht manifestiert sind. Tertiärpräventive Maßnahmen fallen demgegenüber eher in den Bereich der Therapie (schulischer Lernstörungen) und können im Rahmen vorschulischer Fördersettings nicht geleistet werden. 16.1.2  Inhaltliche Schwerpunkte beim Einsatz von pädagogisch-psychologischen Trainingsprogrammen Unter den Begriff der primären Prävention könnten theoretisch sämtliche Maßnahmen gefasst werden, die im Kindergartenalltag durchgeführt werden, um Kinder auf die Schule beziehungsweise ganz allgemein auf das Leben in der Gesellschaft vorzubereiten. Wie bereits eingangs dargestellt, werden unsere konventionellen Bildungsangebote dieser 381 Pädagogisch-psychologische Lernförderung … präventiven Zielsetzung jedoch nicht in vollem Umfang gerecht. Um die präventive Wirksamkeit vorschulischer Bildungsangebote sicherzustellen, scheint es daher sinnvoll, die konventionellen Routinen durch strukturierte Fördermaßnahmen im Sinne pädagogisch-psychologischer Trainings (7 Kap. 17, Fries und Souvignier in diesem Band) zu ergänzen. Es stellt sich jedoch die Frage, in welchem Umfang und in welchen Lernbereichen eine Ergänzung durch entsprechende Förderprogramme sinnvoll und zielführend ist. Nicht zuletzt angesichts der begrenzten Ressourcen des vorschulischen Bildungssystems scheint es zwingend notwendig, eine gewisse Priorisierung vorzunehmen. Grundsätzlich ist es naheliegend, vorrangig solche Fähigkeiten und Fertigkeiten in den Blick zu nehmen, die für den weiteren Entwicklungsverlauf beziehungsweise die nachfolgende Schullaufbahn besonders relevant sind und die – im Falle einer ungünstigen Entwicklung – zusätzliche Sekundärproblematiken nach sich ziehen. Es sollten also Kompetenzbereiche im Fokus stehen, die für die anschließende Entwicklung eine besonders breite „Streuwirkung“ aufweisen. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet sollten theoretisch insbesondere die nachfolgend beschriebenen drei Bereiche einen jeweils vielversprechenden Ansatzpunkt für präventive Maßnahmen bieten. Allgemeine kognitive Fähigkeiten Mit Blick auf die geforderte Streuwirkung der Maßnahmen bieten sich zunächst allgemeine kognitive Fähigkeiten und Fertigkeiten als potenzielle Ansatzpunkte für eine Förderung an. Diese haben auf breiter Front leistungslimitierende Einflüsse auf den Lernprozess sind damit lerngegenstandsübergreifend relevant. Naheliegend ist beispielsweise eine gezielte Förderung des Arbeitsgedächtnisses, das beim Lernen allgemein als eine Art „Flaschenhals“ gilt (Hasselhorn und Gold 2006). Die präventiven Potenziale von Arbeitsgedächtnistrainings sind allerdings umstritten. So genügt es für den Zweck der Prävention nicht nachzuweisen, dass nach der Förderung bessere Leistungen in verschiedenen Arbeitsgedächtnistests erzielt werden. Vielmehr muss zudem sichergestellt sein, dass mit dem Training auch die gewünschten Transferwirkungen auf andere Lernbereiche erzielt werden. Insbesondere für den Vorschulbereich konnte jedoch bislang nicht überzeugend belegt werden, dass sich eine Förderung des Arbeitsgedächtnisses auch tatsächlich in späteren Schulleistungen niederschlägt (Melby-Lervåg und Hulme 2013). Ähnliche Einschränkungen gelten für Trainings zur Förderung exekutiver Funktionen. Die unter diesen Begriff gefassten kognitiven Regulations- und Kontrollmechanismen (z. B. Hemmung von Denk- und Handlungsimpulsen, Wechseln des Aufmerksamkeitsfokus, Aktualisieren von Informationen im Arbeitsgedächtnis; Drechsler 2007; Miyake et al. 2000) haben ebenfalls einen substanziellen Einfluss auf zukünftige Lernentwicklungen (z. B. Mischel et al. 1988; Roebers et al. 2011; Krajewski und Simanowski 2017). Wie im Falle des Arbeitsgedächtnisses liegt jedoch auch für vorschulische Trainings der exekutiven Funktionen keine hinreichende empirische Evidenz vor, aus der sich überzeugend ableiten ließe, dass die Maßnahmen präventiv wirksam sind, das heißt, dass sie sich auch tatsächlich positiv auf die spätere Schulleistungsentwicklung auswirken. Anders verhält es sich mit Maßnahmen zur Förderung des induktiven Denkens. Unter induktivem Denken wird das Ableiten von Regelhaftigkeiten aus konkreten Beobachtungen verstanden (Klauer 1989). Das induktive Denken gilt als eine zentrale Komponente der allgemeinen Intelligenz, die bekanntermaßen substanzielle Zusammenhänge mit der Schulleistung aufweist. Die Annahme, dass eine erfolgreiche Förderung nicht nur spezifisch auf das induktive Denken wirkt, sondern auch Transfereffekte auf das schulische Lernen nach sich zieht, ist daher theoretisch überaus plausibel. Zudem liegen inzwischen umfangreiche empirische Wirksamkeitsnachweise vor, die diese Annahme bestätigen. Sprachkompetenz Ein Kompetenzbereich, der das Kriterium einer großen Streuwirkung auf den späteren Schulerfolg in besonderem Umfang erfüllt, ist die Sprachkompetenz. Da die Sprache als wichtigstes Kommunikationsmedium auch das dominierende Medium der Wissensvermittlung darstellt, hat sie einen entsprechend nachhaltigen Einfluss auf die gesamte schulische Leistungsentwicklung und zählt somit zu den wichtigsten Ansatzpunkten für eine wirksame Prävention. Bereichsspezifische Vorläuferfertigkeiten Einen weiteren Ansatzpunkt für präventive Fördermaß­ nahmen, die eine breite Streuwirkung erwarten lassen, stellen sogenannte bereichsspezifische Vorläuferfertigkeiten für den Erwerb der Kulturtechniken Schriftsprache und Mathematik dar. Hierbei handelt es sich um Fähigkeiten und Fertigkeiten, die zwar noch nicht im engeren Sinne als Lesen, Schreiben oder Rechnen zu bezeichnen sind, die aber eine wichtige Voraussetzung für deren Erwerb darstellen. Bezogen auf den Schriftspracherwerb ist dies vor allem die phonologische Bewusstheit, also die Einsicht in die Lautstruktur der Sprache. Analog hierzu werden für den mathematischen Kompetenzerwerb sogenannte mathematische Basiskompetenzen, also grundlegende Fähigkeiten im Umgang mit Zahlen und Mengen oder Größen, als zentrale Voraussetzung betrachtet (Krajewski und Ennemoser 2013). Die genannten Vorläuferfertigkeiten entwickeln sich in der Auseinandersetzung mit der Umwelt bereits vor dem Schuleintritt und sind in der Regel nicht, oder zumindest nicht in hinreichendem Umfang, Gegenstand der formalen Instruktion im Unterricht. Das heißt, sie werden im Anfangsunterricht weitgehend vorausgesetzt oder implizit als „beiläufig erlernbar“ betrachtet. Für Kinder, die aufgrund fehlender Anregungen im sozialen Umfeld mit unzureichend entwickelten Vorläuferfertigkeiten in die Schule kommen, hat dies weitreichende Konsequenzen. Viele dieser Kinder gehen in den beiden wichtigsten Grundschulfächern bereits mit Rückständen an den Start, die im Anfangsunterricht nicht gezielt ausgeglichen werden. 16 382 M. Ennemoser und K. Krajewski 16.1.3  Fazit 16 Ausgehend von der Argumentation, dass im Rahmen vorschulischer Präventionsbemühungen vor allem Maßnahmen zu priorisieren sind, die – idealerweise nachweislich – eine breite Wirkung auf die spätere Schulleistung entfalten, sollte das Augenmerk vor allem auf folgende vier Schwerpunkte gerichtet werden: induktives Denken, Sprache sowie jeweils spezifische Vorläuferfertigkeiten für den Erwerb der Schriftsprache (phonologische Bewusstheit) und der Mathematik (mathematische Basiskompetenzen). Die vorgeschlagene Fokussierung auf bestimmte Schwerpunkte bedeutet nicht, dass man andere Lernbereiche nicht ebenfalls für eine frühe Förderung in Erwägung ziehen oder als erstrebenswert betrachten kann. Wie bereits dargelegt, scheint es jedoch vor dem Hintergrund der begrenzten finanziellen, personellen und zeitlichen Ressourcen im Bereich der frühkindlichen Bildung notwendig, eine klare Abgrenzung vorzunehmen zwischen Kompetenzbereichen, die im oben beschriebenen Sinne als „must have“ zu bezeichnen sind, und solchen, die zusätzlich in den Fokus genommen werden können, wenn die zuerst genannten hinreichend gesichert sind. So kann etwa über Sinn und Unsinn der frühkindlichen Vermittlung von Chinesisch in hiesigen Bildungseinrichtungen trefflich diskutiert werden. Die meisten Menschen in unserem Kulturkreis kommen jedoch auch ohne C ­ hinesisch-Kenntnisse ganz gut zurecht, ohne in ihren Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe nennenswerte Einschränkungen in Kauf nehmen zu müssen. Es handelt sich also um Kompetenzen, die eher der Kategorie „nice to have“ zuzuordnen sind. Davon abgesehen sollte bei der Entscheidung, welche und wie viele Fördermaßnahmen letzten Endes implementiert werden, schließlich auch ein ausgewogenes Verhältnis zwischen fokussierten, formalen Förderangeboten und Freiräumen beziehungsweise informellen Lerngelegenheiten berücksichtigt werden. 16.2  Sprachförderung in Kindergarten und Vorschule Die Sprache ist ein extrem flexibles Kodiersystem, das es uns einerseits ermöglicht, komplexe, abstrakte Informationen „nach außen“ zu kommunizieren, und das uns umgekehrt auch dabei hilft, Wahrgenommenes verbal „nach innen“ zu kodieren, Informationen zu strukturieren, sie problemlösend zu verarbeiten und in größere Zusammenhänge einzubetten. Um Sprache in diesem Sinne nutzen zu können, muss jedoch das ihr zugrunde liegende Regelsystem erworben werden (vgl. Weinert und Lockl 2008). Die Kompetenzen, die hierbei aufgebaut werden müssen, lassen sich im Wesentlichen auf vier Ebenen verorten. Ebenen der Sprachkompetenz (vgl. Weinert und Grimm 2008) 1. Die phonetisch-phonologische Ebene bezieht sich auf die Kenntnis des Lautsystems und die Verarbeitung lautlicher Information. 2. Die morphologisch-syntaktische Ebene umfasst Regularitäten der Wort- und Satzbildung und damit den Erwerb der Grammatik. 3. Auf der lexikalisch-semantischen Ebene stehen der Wortschatz sowie auch wortübergreifende Bedeutungszusammenhänge im Vordergrund. 4. Die kommunikativ-pragmatische Ebene bezieht sich schließlich auf den sachgerechten, situationsangemessenen Gebrauch von Sprache. Der Erwerb dieser Kompetenzen zählt zweifellos zu den wichtigsten Entwicklungsaufgaben des Kindesalters. Defizite in der Sprachkompetenz ziehen langfristige Beeinträchtigungen im späteren Bildungserfolg nach sich, was nicht zuletzt durch die massiven Bildungsbenachteiligungen von Kindern mit Migrationshintergrund dokumentiert wird (Baumert et al. 2001; Bos et al. 2007; Stanat 2003). Aber auch über den Bildungserfolg hinaus stellt die Sprache eine zentrale Voraussetzung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben dar. Die Unterstützung des Spracherwerbs zählt somit zu den wichtigsten Zielen frühkindlicher Bildung und ihr gebührt auch unter präventiven Gesichtspunkten besondere Beachtung. 16.2.1  Möglichkeiten einer effektiven Sprachförderung Vor dem geschilderten Hintergrund ist es erstaunlich, wie wenig über die Wirksamkeit vorschulischer Fördermaßnahmen bekannt ist. Obwohl inzwischen eine Vielzahl an Förderkonzepten existiert (vgl. Jampert et al. 2005), liegt bislang kein Programm vor, für das in einem hinreichenden Umfang empirische Wirksamkeitsnachweise existieren und das in diesem Sinne als „evidenzbasiert“ gelten kann (7 Abschn. 16.1). Darüber hinaus gelangen jüngste Begleitstudien zu verschiedenen Förderinitiativen in Deutschland vergleichsweise konsistent zu ernüchternden Ergebnissen (z. B. Gasteiger-Klicpera et al. 2010; Roos et al. 2010; Wolf et al. 2011; für einen Überblick vgl. Lisker 2011). Folglich ist es an dieser Stelle nicht möglich, ein bestimmtes Förderprogramm im Sinne eines empirisch bewährten „Gesamtpakets“ hervorzuheben. Allerdings lassen sich aus der internationalen Forschung Hinweise auf bestimmte übergeordnete Prinzipien ableiten, die im Rahmen der vorschulischen Sprachförderung vielversprechend sind. Insbesondere kann es als vergleichsweise gesichert gelten, 383 Pädagogisch-psychologische Lernförderung … dass große Förderpotenziale in der Art der sprachlichen Interaktion mit dem Kind liegen. Richtungsweisend sind in diesem Zusammenhang die inzwischen als klassisch zu bezeichnenden Arbeiten von Whitehurst und Kollegen zur Wirksamkeit des sogenannten dialogischen Lesens (dialogic reading; Whitehurst et al. 1988). Definition Das dialogische Lesen basiert auf der konsequenten Anwendung einfacher Sprachlehrstrategien, wie sie auch im Rahmen der natürlichen Eltern-Kind-Interaktion beobachtbar sind („Motherese“; Hoff-Ginsberg 1986; Weinert und Lockl 2008). Als Plattform für die Umsetzung sprachförderlicher Dialoge wird die klassische Vorlesesituation gewählt, die hierfür ideale Möglichkeiten bietet (Ennemoser 2008). Im Zuge des kommunikativen Austauschs über möglichst interessante Inhalte erhalten Kinder die Gelegenheit, eher beiläufig neue Wörter zu erlernen und aus dem „wohlgeformten“ Input intuitiv sprachliche Regelmäßigkeiten abzuleiten (vgl. Ritterfeld 2000; Polotzek et al. 2008). Das dialogische Lesen stellt somit – wie die meisten Sprachfördermaßnahmen für das Kindergartenalter – einen impliziten Vermittlungsansatz dar (Polotzek et al. 2008; 7 Exkurs „Implizite vs. explizite Vermittlungsstrategien“). Eine Besonderheit besteht jedoch darin, dass das dialogische Lesen im Grunde ausschließlich auf die konsequente Anwendung sprachförderlicher Interaktionsprinzipien setzt (Ennemoser et al. 2013). Das heißt, der Förderansatz umfasst weder elaborierte Programmbausteine, die jeweils gezielt auf die Vermittlung bestimmter Sprachkompetenzen (z. B. Pluralbildung, Wortschatz) zugeschnitten sind, noch werden hierfür bestimmte Übungsmaterialien vorgehalten, wie dies in verfügbaren Trainingsprogrammen üblicherweise der Fall ist (z. B. Penner 2005; Küspert und Schneider 2006). Neben der Vorlesesituation, die als Plattform für die Realisierung sprachförderlicher Interaktionen genutzt wird, gilt lediglich die Vorgabe, dass sich die Auswahl der Bücher an den Interessen und Bedürfnissen der Kinder orientieren soll. Was genau ist nun mit sprachförderlichen Interaktionen im Sinne des dialogischen Lesens gemeint? Nach Ennemoser und Kollegen (2013) lassen sich die von Whitehurst et al. (1988) beschrieben Interaktions- Exkurs Implizite vs. explizite Vermittlungsstrategien In der Sprachförderung und insbesondere in der Zweitspracherwerbsforschung wird häufig zwischen impliziten und expliziten Vermittlungsstrategien unterschieden (Gasparini 2004; Hulstijn 2005). Im Rahmen impliziter Vermittlungsstrategien werden formale Aspekte der Sprache üblicherweise nicht zum Gegenstand der Betrachtung gemacht. Die Förderung setzt hier, wie dies auch beim dialogischen Lesen der Fall ist, weitgehend auf die kommunikative Auseinandersetzung mit relevanten Inhalten. Demgegenüber rückt der Bedeutungsaspekt der Sprache im Rahmen expliziter Vermittlungsstrategien in den Hintergrund. Ein Fokus liegt hier auf der expliziten Vermittlung sprachlicher Strukturen und grammatischen Regelwissens prinzipien drei sprachstimulierenden Funktionen zuordnen (. Tab. 16.1; Ennemoser et al. 2013): 1. Anregung der kindlichen Sprachproduktion 2. Modellierung sprachlicher Äußerungen 3. Verstärkung/Motivation. Die hierunter gefassten Maßnahmen sind allerdings keinesfalls spezifisch dem Ansatz des dialogischen Lesens zuzuordnen. Vielmehr handelt es sich um Techniken, die in der Forschung zu elterlichen Sprachlehrstrategien allgemein als besonders geeignet gelten, um Kindern implizite Kenntnisse über die formale Struktur der Sprache zu vermitteln (Weinert und Lockl 2008). Im Rahmen des dialogischen Lesens sollen diese Prinzipien lediglich systematisch angewendet werden. > Eine der wichtigsten Strategien zur Anregung der Sprachproduktion ist der gezielte Einsatz von Fragen (Arnold et al. 1994; Whitehurst et al. 1988), wobei jedoch die Art der Fragen eine Rolle spielt. (vgl. hierzu auch die Unterscheidung zwischen Focus on Meaning vs. Focus on Form; z. B. Darsow et al. 2012). Während im Kindergartenbereich noch implizite Förderansätze dominieren (Hofmann et al. 2008), gelten im späteren Entwicklungsverlauf zunehmend explizite oder auch kombinierte Vermittlungsansätze als potenziell überlegen (Stanat et al. 2012). Beispielsweise gelten Entscheidungsfragen für die Anregung der Sprachproduktion als weniger geeignet, da sie gegebenenfalls schlicht mit Ja oder Nein zu beantworten sind. Dem vorzuziehen sind Ergänzungs- und offene Fragen beziehungsweise W-Fragen (z. B. Wie…? Warum…?), deren Beantwortung es erfordert, im Text enthaltene Wörter und grammatische Strukturen zu reproduzieren oder diese auf alternative Weise auszudrücken. Vertiefende Nachfragen auf die Äußerungen des Kindes halten den bereits initiierten Dialog aufrecht und können etwa dazu anregen, die wiedergegebenen Inhalte zu vervollständigen oder präziser sprachlich zu elaborieren. Die durch Fragetechniken stimulierten sprachlichen Äußerungen der Kinder bieten der Förderkraft zum einen die Gelegenheit, den Sprachgebrauch konsequent zu loben und zu verstärken, um ihnen Zutrauen in die eigene sprachliche Ausdrucksfähigkeit zu vermitteln. Zum anderen ermöglichen sie der Förderkraft, diese Äußerungen gezielt zu modellieren. Die Modellierungstechniken umfassen neben der lobenden Wiederholung korrekter 16 384 M. Ennemoser und K. Krajewski. Tab. 16.1 Sprachförderliche Interaktionsmerkmale im Sinne des dialogischen Lesens und ihre jeweilige Funktion. (Ennemoser et al. 2013, mit freundlicher Genehmigung von Hogrefe, Göttingen) 16 Funktion Maßnahme/Technik Anregung der Sprachproduktion – W-Fragen – offene Fragen – Nachfragen zu Äußerungen des Kindes – Sätze vervollständigen lassen Modellierung – korrektive Wiederholung der Äußerungen des Kindes/Wiederholung eigener Äußerungen – Erweiterung und Umformulierung – Unterstützung Verstärkung/Motivation – Lob und Verstärkung – Orientierung an Interessen und Erfahrungen des Kindes – Spaß haben Verbalisierungen gezielte Ergänzungen (Expansion) sowie unterstützende bzw. korrektive Modellierungen bei Fehlern (recasts). So greift die Förderkraft Äußerungen des Kindes wiederholend auf und ändert diese gegebenenfalls geringfügig ab, um die verwendeten Wörter zu festigen und grammatische Strukturen salient zu machen. Bei sprachlich unkorrekten Äußerungen wird auf eine explizite, tadelnde Benennung von Fehlern (z. B. „Es heißt nicht Teppe, sondern Treppe!“) verzichtet. Stattdessen werden die Äußerungen aufgegriffen und in korrigierter Form wiederholt, eventuell etwas erweitert und zum Anlass für weitere Nachfragen genommen. So könnte eine Förderkraft auf die Aussage „Teppe nunterfallt!“ beispielsweise erwidern: „Ja, genau! Die Puppe ist die Treppe hinuntergefallen! Warum ist sie denn die Treppe hinunter gefallen?“. Da die genannten Modellierungstechniken direkt an den sprachlichen Äußerungen des Kindes ansetzen, entfaltet sich der anschließende Dialog jeweils ausgehend vom individuellen Entwicklungsniveau des Kindes. Die Äußerungen des Kindes stellen gleichsam das Grundgerüst dar, das im gemeinsamen Dialog weitergebaut und ausgestaltet wird. Hierbei werden durch die Modellierung im Idealfall Reize gesetzt, die in der Zone der nächsten Entwicklung (Vygotskij 1934) liegen und die die weitere Sprachentwicklung optimal stimulieren. Wie bereits erwähnt, spielen neben den spezifisch sprachbezogenen Interaktionsprinzipen auch allgemeine motivationspsychologische Aspekte eine wichtige Rolle. Hierzu zählen Lob und Bekräftigung der kindlichen Äußerungen, die Beachtung der Interessen des Kindes und nicht zuletzt eine unterhaltsame Gestaltung der Fördersituation (vgl. auch Ritterfeld et al. 2006). Ergebnissen zufolge zeigen Kinder, deren Eltern eine Einführung in die genannten Sprachlehrstrategien erhalten haben, im Anschluss substanziell größere sprachliche Kompetenzzuwächse, als eine Kontrollgruppe, in der die Eltern gemäß ihren üblichen Gewohnheiten vorlesen (Whitehurst et al. 1988; Whitehurst et al. 1994). Inzwischen wurde das dialogische Lesen in verschiedenen Kontexten jenseits des häuslichen Eltern-Kind-Settings und auch bei älteren Kindern evaluiert. So wurde es erfolgreich im Kleingruppenformat in Kindergärten und Tagesstätten sowie als Maßnahme innerhalb des Head Start Programms1 eingesetzt (vgl. Lonigan und Whitehurst 1998; Whitehurst et al. 1994; Whitehurst et al. 1999). Neben unausgelesenen Normalstichproben wurden auch für Risikokinder (Fielding-Barnsley und Purdie 2003; Hargrave und Sénéchal 2000) sowie für Kinder mit Hörschädigungen positive Effekte gefunden (Fung et al. 2005; Dale et al. 1996). Die hierbei registrierten Fördererfolge betreffen eine breite Palette sprachlicher Kompetenzen und reichen von einer Erweiterung des Wortschatzes über Zugewinne in der mittleren Äußerungslänge (mean length of utterances; MLU) beziehungsweise in den ­ morphologisch-syntaktischen Fähigkeiten bis hin zu verbesserten schriftsprachlichen Vorläuferkompetenzen (vgl. Mol et al. 2008; Mol et al. 2009). Einschränkend ist jedoch festzuhalten, dass das dialogische Lesen in vielen Studien nicht isoliert eingesetzt wurde, sondern mit anderen Maßnahmen kombiniert war, sodass nicht eindeutig bestimmt werden kann, welcher Anteil der Fördererfolge ausschließlich dem dialogischen Lesen zugeschrieben werden kann. Für den deutschen Sprachraum waren lange Zeit keine Untersuchungen verfügbar, die das dialogische Lesen im Sinne eines eigenständigen Förderansatzes evaluiert 16.2.2  Evaluationsstudien zur Wirksamkeit des dialogischen Lesens Die Wirksamkeit des dialogischen Lesens wurde zunächst im Kontext der elterlichen Vorlesesituation mit Kleinkindern im Alter von zwei bis drei Jahren untersucht. Den 1 Head Start ist ein Programm zur kompensatorischen Erziehung in den USA, das bereits in den 1960er Jahren initiiert wurde und das Ziel verfolgt herkunftsbedingte Bildungsbenachteiligungen auszugleichen beziehungsweise in sozial schwachen Familien brachliegende Bildungsressourcen zu mobilisieren. 385 Pädagogisch-psychologische Lernförderung … haben. Ennemoser und Kollegen (2013) konnten in einer ersten Studie zeigen, dass Migrantenkinder, die aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse von der Einschulung zurückgestellt worden waren, bereits nach wenigen Fördersitzungen vom dialogischen Lesen profitieren. Dabei wurde eine Trainingsgruppe, die nach den Prinzipien des dialogischen Lesens gefördert wurde, mit einer parallelisierten Kontrollgruppe verglichen, die in derselben Zeit konventionell angebotene Sprachfördersitzungen absolvierte (hessische Vorlaufkurse). Die Trainingsgruppe erzielte im Untersuchungszeitraum signifikant größere Leistungszuwächse in den durchgeführten Sprachtests als die Kinder der Kontrollgruppe. Zwei deutlich größer angelegte Folgestudien, die nicht nur auf Migrantenkinder begrenzt waren, belegen ebenfalls kurzfristige Fördereffekte des dialogischen Lesens auf die Entwicklung der Sprachkompetenz (Ennemoser und Hartung 2017; Ennemoser et al. 2015). Die Befunde deuten jedoch auch darauf hin, dass die Trainingserfolge massiv von der realisierten (per Videoanalyse erfassten) Durchführungsqualität abhängen und dass zur Sicherung langfristiger Erfolge größere Bemühungen in die Qualifizierung der Förderkräfte investiert werden müssen. 16.2.3  Fazit Angesichts der fundamentalen Bedeutung, die dem Spracherwerb zur Teilhabe an der Gesellschaft und im Besonderen für eine erfolgreiche Bildungslaufbahn zukommt, überrascht, wie wenige gesicherte Erkenntnisse über die Wirksamkeit primär- und sekundarpräventiver Sprachfördermaßnahmen vorliegen. Ein Problem ist darin zu sehen, dass die verfügbaren Programme gar nicht oder bestenfalls als Gesamtpaket evaluiert wurden, sodass aus den Befunden keine Schlussfolgerungen darüber abgeleitet werden können, welche Programmanteile Förderpotenziale bergen und welche nicht. Die Befunde zum dialogischen Lesen lassen zumindest darauf schließen, dass die systematische Anwendung einfacher Sprachlehrstrategien wirksam ist und insofern auch im Sinne eines eigenständigen Förderansatzes Beachtung verdient. Dabei bleibt festzuhalten, dass es sich beim dialogischen Lesen streng genommen nicht um ein klassisches Trainingsprogramm handelt. Die angewendeten Sprachlehrstrategien sind keinesfalls an die Vorlesesituation oder an spezielle (additive) Einzel- oder Kleingruppensitzungen gebunden. Vielmehr handelt es sich um allgemeine Interaktionsprinzipien, die im Kindergarten quasi alltagsintegriert einsetzbar sind und idealerweise zum standardmäßigen „Handwerkszeug“ pädagogischer Fachkräfte gehören sollten. Inwiefern das dialogische Lesen auch als ein solcher alltagsintegrierter Ansatz erfolgversprechend ist, kann jedoch mangels empirischer Befunde derzeit nicht beurteilt werden. Aktuelle Befunde sind sehr ermutigend, sie deuten aber auch darauf hin, dass die konkrete Umsetzung dieser Interaktionsprinzipien nicht ganz so einfach ist, wie es auf den ersten Blick scheinen mag, und dass es vielen Förderkräften selbst in einer klar umgrenzten Trainingssituation nicht gelingt, die entsprechenden Sprachlehrstrategien konsequent und gewinnbringend anzuwenden. Für eine erfolgreiche Implementierung in die Praxis liegt somit eine besondere Herausforderung darin sicherzustellen, dass die mit der Förderung betrauten Fachkräfte durch geeignete Trainingsmaßnahmen in die Lage versetzt werden, die vermittelten Sprachlehrstrategien konsequent anzuwenden. 16.3  Förderung des induktiven Denkens Bereits als Neugeborene nehmen wir unsere Umwelt nicht nur passiv wahr, sondern beginnen unmittelbar, die Eindrücke und Beobachtungen in unserer Umwelt zu strukturieren. Als Motor fungiert dabei eine intuitive Strategie des Vergleichens (Klauer 1989). > Vergleiche ermöglichen es uns, Ähnlichkeiten und Unterschiede zu entdecken und daraus Annahmen über Regelhaftigkeiten abzuleiten. Sie dienen dazu, Wissen nicht lediglich unsystematisch anzuhäufen, sondern es zu organisieren und strukturieren. So können bereits als Neugeborene die Stimme der Mutter von anderen Stimmen unterscheiden und lernen – einige Zeit später –, dass bestimmte Gegenstände allesamt als „Ball“ bezeichnet werden, obwohl sie sich gleichzeitig in vielerlei Hinsicht (z. B. in Farbe, Größe, Material) unterscheiden und im Grunde nur ein einziges Merkmal gemeinsam haben (rund). Auf diese Weise können nach und nach auch abstrakte Begriffe sowie komplexe Schemata erworben werden, die sich im Entwicklungsverlauf immer weiter präzisieren und ausdifferenzieren. Das beschriebene Ableiten von Regelhaftigkeiten aus konkreten Beobachtungen bezeichnet man als induktives Denken (Klauer 1989). Auch wenn der Begriff „induktiv“ dies nahelegt, ist damit allerdings nicht zwingend gemeint, dass hierbei tatsächlich verallgemeinerbare Gesetzmäßigkeiten abgeleitet werden. Vielmehr werden auf der Grundlage von wahrgenommenen Beobachtungen lediglich Hypothesen über Regelhaftigkeiten generiert, die im Zuge weiterer Erkenntnisse gegebenenfalls wieder verworfen oder relativiert werden müssen (z. B. kleine pelzige Objekte mit vier Beinen fallen in die Kategorie „Hund“). Unter präventiven Gesichtspunkten ist das induktive Denken von besonderem Interesse, weil es grundlegende Strategien und Verarbeitungsprozesse umfasst, die in sehr vielen Lernbereichen und bei verschiedensten Problemstellungen anwendbar sind. Sie versetzen den Lernenden in die Lage, auch neuartige Probleme zu lösen, indem Analogien zu bereits Bekanntem hergestellt und entsprechende Erkenntnisse und Strategien auf das jeweils aktuelle Problem angewendet werden. Es steht außer Frage, dass das induktive Denken für den Bildungserfolg von sehr großer Bedeutung ist. Diese Bedeutung ist auch daran abzulesen, dass das 16 386 M. Ennemoser und K. Krajewski induktive Denken eine zentrale Komponente in etablierten Intelligenzmodellen darstellt (im Sinne eines „allgemeinen“ Intelligenzfaktors bzw. des g-Faktors nach Horn und Cattell 1966). Eine erfolgreiche Förderung des induktiven Denkens sollte demnach eine vergleichsweise breite Wirksamkeit erzielen, das heißt, die durch das Training erzielte Verbesserung spezieller, induktiver Denkprozesse sollte auch in anderen Bereichen zu verbesserten Lernerfolgen führen (Theorie des paradigmatischen Transfers; Klauer 2011). 16.3.1  Möglichkeiten einer effektiven Förderung induktiven Denkens 16 Um eine gezielte Förderung spezieller Denkstrukturen zu ermöglichen, schlägt Klauer eine präskriptive Definition des induktiven Denkens vor (z. B. Klauer 2001). Diese zeichnet sich zum einen dadurch aus, dass sie die kognitiven Prozesse spezifiziert, die für das induktive Denken charakteristisch sind. Zum anderen lassen sich auf Grundlage dieser Definition bestimmte Aufgabenklassen festlegen, deren Lösung die genannten „induktiven Prozesse“ erfordert. Dies ermöglicht eine systematische Konzeption von Trainingsaufgaben, die sehr gezielt auf die Förderung induktiver Denkprozesse abzielen. Die kognitiven ­(Vergleichs-)Prozesse, die es ermöglichen sollen, aus konkreten Beobachtungen Regelhaftigkeiten abzuleiten, werden nach Klauers Theorie des induktiven Denkens durch zwei Kernfacetten (A und B) sowie eine Materialfacette (C) charakterisiert (. Abb. 16.2). Facette A bezeichnet zunächst das Ergebnis der Vergleichsprozesse. Dabei kann der vorgenommene Abgleich von Ähnlichkeiten und Unterschieden grundsätzlich zu drei Ergebnissen führen: Gleichheit, Verschiedenheit oder Gleichheit und Verschiedenheit (z. B. gleiche Farbe, verschiedene Form). Facette B kennzeichnet die Vergleichsdimension. Hier geht es um die Frage, worauf sich der Vergleich bezieht. Diesbezüglich werden zwei. Abb. 16.2 Kognitive Vergleichsprozesse nach Klauer (1989, modifiziert, mit freundlicher Genehmigung von Hogrefe, Göttingen) übergeordnete Vergleichsdimensionen unterschieden: zum einen Merkmale (z. B. Farbe, Größe, übliche Art der Nutzung) und zum anderen Relationen (z. B. „mehr als“, „weiter entfernt von“, „wohnt in“). Facette C ist eine Materialfacette, die lediglich bezeichnet, auf welche Art von Material sich die vorgenommenen Vergleichsprozesse beziehen. Hier unterscheidet Klauer verbales, bildhaftes, geometrisch-figurales, numerisches sowie „sonstiges“ Material. Aufgabenklassen zum induktiven Denken Lässt man die Materialkomponente einmal unberücksichtigt, ergeben sich aus Facette A und Facette B sechs grundlegende Aufgabentypen, die induktives Denken erfordern. Diese unterscheiden sich einerseits darin, ob Merkmale oder Relationen verglichen werden müssen, und andererseits in der Art der geforderten Feststellung (Gleichheit, Verschiedenheit oder beides). Die Systematik der Aufgabentypen ist in. Abb. 16.3 illustriert. Aufgabenklassen zum Vergleich von Merkmalen Als Aufgabentypen für den Vergleich von Merkmalen nennt Klauer Generalisierung (Gleichheit von Merkmalen), Diskrimination (Verschiedenheit von Merkmalen) und Kreuzklassifikation (Gleichheit und Verschiedenheit von Relationen). Die theoretisch voneinander abgegrenzten Aufgaben zur Generalisierung und zur Diskrimination sind jedoch nicht ganz trennscharf. So geht etwa die Feststellung, dass drei von fünf dargestellten Möbeln „zusammen gehören“ (also gleich sind, weil es sich um Sitzmöbel handelt; Generalisierung) einher mit der Einschätzung, dass die übrigen zwei Möbelstücke (z. B. ein Tisch und ein Schrank) die entscheidende Gemeinsamkeit eben nicht teilen, also in diesem Punkt von den anderen verschieden sind (Diskrimination). In ähnlicher Weise erfordert die Feststellung, welches von fünf Fahrzeugen nicht zu den anderen passt (also von ihnen verschieden ist; Diskrimination) gleichzeitig die Erkenntnis,... Feststellung der... von... c1 verbalem a1 Gleichheit b1 Merkmalen a2 Verschiedenheit a3 Gleichheit und Verschiedenheit bei... c2 c3 geometr.-figuralem b2 c4 numerischem c5... 387 Pädagogisch-psychologische Lernförderung …. Abb. 16.3 Aufgabenklassen zum induktiven Denken nach Klauer (1989, modifiziert, mit freundlicher Genehmigung von Hogrefe, Göttingen) Aufgabenklasse Merkmal Beispielaufgabe gleich Generalisierung - Klassen bilden - Klassen ergänzen verschieden Diskriminierung - Unpassendes streichen gleich + verschieden - 4-Felderschema - 6-Felderschema gleich Beziehungserfassung - Folgen ergänzen - Folgen ordnen - einfache Analogie verschieden Beziehungsunterscheidung - gestörte Folge gleich + verschieden Systembildung dass die anderen vier Fahrzeuge ein bestimmtes Merkmal gemeinsam haben (z. B. es handelt sich um Lastenfahrzeuge; Generalisierung). Alle anderen Fahrzeuge sind also in diesem Punkt ähnlich bzw. gleich. Die theoretische Abgrenzung der beiden Aufgabentypen basiert demnach im Wesentlichen darauf, welche Art Feststellung in der Fragestellung ausdrücklich gefordert wird: Ähnlichkeit (Generalisierung) oder Unterschied (Diskrimination). Die Aufgaben zur Kreuzklassifikation erfordern demgegenüber explizit eine gleichzeitige Feststellung von Gleichheit und Verschiedenheit von Merkmalen. Im Gegensatz zu den beiden anderen Aufgabentypen muss hier notwendigerweise mehr als ein Merkmal in den Vergleich einbezogen werden. So kann man beispielsweise bei vier vorliegenden Objekten einerseits feststellen, welche sich hinsichtlich ihrer Farbe gleichen beziehungsweise sich darin unterscheiden (z. B. rot vs. gelb), und andererseits, welche dieser vier Objekte sich in ihrer Form gleichen – oder diesbezüglich verschieden sind (z. B. rund vs. eckig). Es können also, je nachdem welches der beiden Merkmale zugrunde gelegt wird, unterschiedliche Klassen von Objekten gebildet werden, die sich sozusagen „überkreuzen“ (daher der Begriff Kreuzklassifikation, z. B. rot und rund, rot und eckig). Aufgabenklassen zum Vergleich von Relationen Beim Vergleich von Relationen werden die ­ Aufgabentypen Beziehungserfassung (Gleichheit von Relationen), Bezie­ hungs­unterscheidung (Verschiedenheit von Relationen) und Systembildung (Gleichheit und Verschiedenheit von Relationen) unterschieden (. Abb. 16.3). Eine typische Aufgabe zur Beziehungserfassung besteht darin, mehrere Schwäne der Größe nach (d. h. entsprechend der Relation „größer als“) - Matrizenaufgaben - komplexe Analogien zu sortieren, während bei der Beziehungsunterscheidung ein Element identifiziert werden muss, das die ansonsten bereits korrekte Größensortierung stört. Streng genommen müssen also auch hier bei vielen Aufgaben sowohl Gleichheit als auch Verschiedenheit in irgendeiner Weise berücksichtigt werden. Die Gleichheit von Relationen wird neben Aufgaben zu Folgenergänzungen auch durch einfache Analogien erfasst. Hier muss beispielsweise erkannt werden, dass ein Fisch zum Aquarium eine ganz ähnliche Beziehung hat wie ein Vogel zum Käfig. Analog zur Kreuzklassifikation hebt sich auch die Systembildung, also die Feststellung von Gleichheit und Verschiedenheit, von den beiden anderen Aufgabentypen dadurch ab, dass mindestens zwei Vergleichsdimensionen – in diesem Fall zwei verschiedene Arten von Beziehungen – gleichzeitig berücksichtigt werden müssen. Dies ist beispielsweise dann erforderlich, wenn bestimmte Anordnungen so ergänzt werden müssen, dass sie die erkennbaren Beziehungen zwischen bereits vorgegebenen Objekten systematisch fortführen beziehungsweise vervollständigen. Ein einfaches Beispiel ist ein Vierfelderschema, in dem Fische abgebildet sind. Im Feld oben links befindet sich ein großer Fisch. Rechts daneben sind zwei Fische dargestellt, die genauso groß sind wie der im ersten Feld. Unten links ist ebenfalls ein Fisch abgebildet, der jedoch wesentlich kleiner ist. Wenn das Feld unten rechts frei ist, liegt die Vermutung nahe, dass hier zwei kleine Fische hingehören. Das „System“ besteht darin, dass von oben nach unten die Relation „größer als“ gilt, während die Beziehung von links nach rechts „eins weniger als“ heißen könnte (alternativ wäre in diesem Fall auch „ist halb so viel wie“ plausibel). Mit einer zunehmenden Anzahl von Feldern können deutlich komplexere Matrizen gebildet werden. 16 388 M. Ennemoser und K. Krajewski Trainingsprogramme zur Förderung des induktiven Denkens 16 Die Förderung induktiven Denkens ist nicht allein als vorschulische Präventionsmaßnahme zu betrachten, sondern es werden auch im Grundschulalter und darüber hinaus noch bedeutsame Förderpotenziale gesehen. So gibt es neben dem „Denktraining für Kinder I“ (Klauer 1989), das für Kinder im Alter von fünf bis acht Jahren konzipiert wurde, zwei weitere Programme mit älteren Zielgruppen. Während das „Denktraining für Kinder II“ (Klauer 1991) den Altersbereich zwischen zehn und 13 Jahren abdeckt, richtet sich das „Denktraining für Jugendliche“ (Klauer 1993) schließlich speziell an Schüler mit Lernschwierigkeiten im Altersbereich zwischen 14 und 17 Jahren. Die Trainingsaufgaben der drei Programmversionen sind sowohl inhaltlich als auch im Hinblick auf Schwierigkeit und Abstraktionsniveau an die jeweilige Zielgruppe angepasst. Zudem unterscheiden sie sich hinsichtlich der verwendeten Materialkomponenten. Während im Denktraining I vorwiegend mit konkreten Materialien und bildlichen Darstellungen gearbeitet wird, enthalten die Programmversionen für ältere Kinder zu gleichen Teilen verbale, numerische sowie figurale Aufgaben (7 Kap. 17, Fries und Souvignier in diesem Band). Davon abgesehen sind die Programme im Wesentlichen identisch strukturiert. Die Durchführung kann sowohl als Einzelförderung als auch paarweise oder im Rahmen eines Gruppentrainings erfolgen. Im Verlauf von zehn 45-minütigen Sitzungen werden insgesamt je 120 Aufgaben aus den sechs beschriebenen Aufgabenklassen bearbeitet. Für die einzelnen Sitzungen sind bestimmte inhaltliche Schwerpunkte vorgesehen, um einen schrittweisen Aufbau und eine zunehmend flexiblere Anwendung der vermittelten Strategien zu gewährleisten. Dieser Aufbau erfolgt in drei Phasen. In den ersten Sitzungen wird zunächst die Grundstruktur der Aufgabenklassen erarbeitet und es werden die Begriffe Eigenschaft und Beziehung eingeführt. Anschließend bildet die Einübung metakognitiver Kontrollstrategien einen Schwerpunkt. Das heißt, ergänzend zu den induktiven Strategien werden Strategien eingeübt, die darauf abzielen, die eigenen Problemlöseversuche zu planen, zu überwachen und zu regulieren. Dies geschieht anhand der Leitfragen: 1) „Was ist gesucht?“ 2) „Was kann ich tun, um die Lösung zu finden? 3) Wie kann ich meine Lösung kontrollieren?“ In den letzten Sitzungen liegt der Schwerpunkt schließlich auf der Festigung und Automatisierung sowie der flexiblen Anwendung des Gelernten. Unabhängig von den jeweiligen Schwerpunkten sollen in jeder Sitzung 12 Aufgaben aus allen sechs Aufgabenklassen bearbeitet werden. Generell steht dabei weniger das Ergebnis beziehungsweise die jeweilige Lösung als vielmehr die angewendete Lösungsstrategie im Fokus. So soll im Verlauf des Trainings zunehmend deutlich werden, dass die vermittelten Strategien nicht nur bei der konkret vorliegenden Aufgabe zielführend sind, sondern dass die Vorgehensweise systematisch auf sehr viele verschiedene Problemstellungen angewendet werden kann. Um die Lösungsstrategien zu verinnerlichen und deren Übertragbarkeit auf andere Problemstellungen zu erkennen, spielt die explizite Verbalisierung der jeweiligen Vorgehensweise eine große Rolle. Dies wird im Training durch die Methode der verbalen Selbstinstruktion gezielt unterstützt (Meichenbaum und Goodman 1971). Hierbei fungiert die Förderkraft zunächst als Modell, indem sie eine Lösungsstrategie anwendet und die Vorgehensweise laut kommentiert. Anschließend soll das Kind die Durchführung und die begleitende Verbalisierung schrittweise selbst übernehmen (sich sozusagen „selbst instruieren“) und so zunehmend in die Lage versetzt werden, seine Problemlöseversuche eigenständig zu planen und zu regulieren. Leistungsstärkere Kinder, bei denen eine Modellierung durch die Förderkraft nicht erforderlich ist, können ihre Vorgehensweise auch direkt begleitend verbalisieren (Methode des lauten Denkens) oder diese im Nachhinein kommentieren (Selbstreflexion). Der Förderperson kommt im Wesentlichen die Rolle zu, den Lösungsprozess durch gezielte Fragen zu unterstützen (Methode des „gelenkten Entdeckenlassens“). 16.3.2  Evaluationsstudien zur Wirksamkeit von Denktrainings Die Wirksamkeit der oben beschriebenen Programme zur Förderung des induktiven Denkens wurde in zahlreichen Studien überprüft. Eine Meta-Analyse von Klauer und Phye (2008), die auf den Ergebnissen von 74 Evaluationsstudien basiert, liefert vergleichsweise eindrucksvolle Belege für die Effektivität der drei Denktrainings. Die Wirksamkeit spiegelte sich nicht nur in den Ergebnissen von Intelligenztests wider (die einen substanziellen Anteil an induktiven Denkaufgaben enthalten), sondern es konnten darüber hinaus auch substanzielle Transfereffekte auf schulische Lernleistungen in verschiedenen Inhaltsbereichen registriert werden. Die vergleichsweise breiten Transferwirkungen belegen zugleich die Annahme, dass die trainierten induktiven Denkprozesse tatsächlich ihren Niederschlag in vielen anderen Lernbereichen finden. Interessanterweise fielen diese Transfereffekte mit einer Effektstärke von knapp 0.7 Standardabweichungen sogar noch größer aus als die Effekte auf die Intelligenz, die etwa eine halbe Standardabweichung betrugen. Zudem deuten die Befunde darauf hin, dass die gefundenen Effekte tatsächlich nachhaltig sind und im Falle der Intelligenz nach Abschluss des Trainings sogar geringfügig weiter zunehmen. Wie aus einer Studie von Möller und Appelt (2001) hervorgeht, können die langfristigen Effekte durch eine Auffrischung der geförderten Strategien (sog. Booster-Sitzung) sieben Monate nach Abschluss der Trainingsphase weiter verbessert werden. 389 Pädagogisch-psychologische Lernförderung … 16.4  Förderung von Vorläuferfertigkeiten des Schriftspracherwerbs Zum Schulanfang bringen Kinder unterschiedliche Fähigkeiten mit, die für den Erwerb der Lese- und Rechtschreibkompetenz bedeutsam sind. Sie verfügen bereits im Vorschulalter über sprachliche, auditive, visuelle und motorische Fähigkeiten, auf die beim späteren Lesenund Schreibenlernen zurückgegriffen werden muss. Eine Schlüsselrolle kommt dabei der Einsicht in die Lautstruktur der Sprache zu, der sogenannten phonologischen Bewusstheit (Wagner und Torgesen 1987). Damit gemeint ist die Fähigkeit, den sprachlichen „Lautstrom“ in kleinere Einheiten zerlegen und mit diesen Einheiten operieren zu können. Sie äußert sich beispielsweise darin, dass ein Kind Reime erkennen, Wörter in Silben untergliedern oder einzeln vorgesprochene Laute zu einem Wort zusammenziehen kann. Genau genommen handelt es sich also um eine metasprachliche Fähigkeit, da sie sich nicht auf den semantischen Gehalt (die Bedeutung) sprachlicher Äußerungen bezieht, sondern allein auf formale Aspekte, nämlich das Wissen über die lautliche Struktur der Sprache. Die unter den Begriff der phonologischen Bewusstheit gefassten Fähigkeiten entwickeln sich – mit gewissen Einschränkungen – bereits vor dem Schuleintritt und haben nachgewiesenermaßen einen substanziellen Einfluss auf den späteren Schriftspracherwerb in der Schule (Ennemoser et al. 2012). Insofern gilt die phonologische Bewusstheit als grundlegende Voraussetzung für den Erwerb unseres alphabetischen Schriftsystems, weshalb sie auch als spezifische Vorläuferfertigkeit des Schriftspracherwerbs bezeichnet wird. 16.4.1  Die Bedeutung von phonologischer Bewusstheit und ­Buchstaben-LautZuordnung in der schriftsprachlichen Entwicklung In der Forschung wurden bereits früh Hinweise darauf gefunden, dass metasprachliche Fähigkeiten wie die phonologische Bewusstheit mit dem Lesen- und Schreibenlernen in Verbindung stehen. Sowjetische Psychologen wiesen bereits in den 1960er-Jahren auf Zusammenhänge zwischen der Fähigkeit, Wörter in Laute zerlegen zu können, und der späteren Leseleistung hin (Zhurova 1963; Elkonin 1963). Auch ältere, in der ehemaligen DDR entwickelte Förderansätze zur Überwindung von Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten basierten schon auf der Annahme, dass Probleme im Schriftspracherwerb primär auf mangelnden Fähigkeiten der Lautanalyse, -artikulation und -­unterscheidung beziehungsweise einer Lautdifferenzierungs- und Wortaufgliederungsschwäche basieren (Kossakowski 1962; Kossow 1972). In den folgenden Jahrzehnten hat sich die internationale Forschung intensiv mit der phonologischen Bewusstheit befasst und ihre Rolle als bedeutsame Voraussetzung für das Lesen- und Schreibenlernen vielfach bestätigt (z. B. Bradley und Bryant 1985; de Jong und van der Leij 1999; Ennemoser et al. 2012; Landerl und Wimmer 1994; Lundberg et al. 1980; Mann und Liberman 1984; Lyytinen et al. 2004; Schneider und Näslund 1993, 1999; Vellutino und Scanlon 1987; Schneider et al. 2000; Krajewski et al. 2008). Allerdings wurde die Annahme, dass es sich bei der phonologischen Bewusstheit um eine Vorläuferfertigkeit des Schriftspracherwerbs handelt, im Forschungsverlauf auch angezweifelt. In den betreffenden Arbeiten wurde argumentiert, dass sich die phonologische Bewusstheit erst durch die Auseinandersetzung mit dem alphabetischen Schriftsystem entwickelt und somit eher eine Folge als eine Ursache für den ungestörten Schriftspracherwerb sei (z. B. Morais et al. 1979). Der vermeintliche Widerspruch konnte durch eine differenziertere Betrachtung der phonologischen Bewusstheit aufgelöst werden. So wird nun unterschieden zwischen der phonologischen Bewusstheit im weiteren Sinne und der phonologischen Bewusstheit im engeren Sinne (Skowronek und Marx 1989). Definition Einteilung der phonologischen Bewusstheit nach Skowronek und Marx (1989): Phonologische Bewusstheit im weiteren Sinn bezieht sich auf die Fähigkeit, den Lautstrom in größere sprachliche Einheiten zu unterteilen und diese zu manipulieren. Sie ermöglicht es beispielsweise, Wörter in Sätzen zu isolieren, sie in Silben zu zergliedern oder Reime zu erkennen. Phonologische Bewusstheit im engeren Sinn bezeichnet die Einsicht, dass sich der Sprachfluss in noch kleinere, abstrakte Einheiten – einzelne Laute bzw. Phoneme – zerlegen lässt, weshalb sie auch als phonemische Bewusstheit bezeichnet wird. Phonologische Bewusstheit im engeren Sinne ist beispielsweise erforderlich, um den Anlaut eines Wortes identifizieren zu können, einzeln vorgesprochene Laute zu einem Wort zusammenzuschleifen (Phonemsynthese) oder ein Wort in seine Einzellaute zu zerlegen (Phonemanalyse). Mit Blick auf das oben angesprochene Henne-Ei-Problem wird heute davon ausgegangen, dass sich die phonologische Bewusstheit im weiteren Sinn grundsätzlich auch ohne spezielle Schriftsprachinstruktion im Kindergartenalter entwickelt. Sie bezieht sich lediglich auf die Verarbeitung natürlicher, bedeutungstragender sprachlicher Einheiten, die keinerlei Einsicht in das (abstrakte) alphabetische Schriftsystem erfordern. Die Entwicklung der phonologischen Bewusstheit im weiteren Sinn geht dem Schriftspracherwerb voraus und kann somit tatsächlich als Voraussetzung beziehungsweise als Vorläuferfertigkeit für das Lesen- und Schreibenlernen bezeichnet werden. Demgegenüber erfordert die phonologische 16 390 M. Ennemoser und K. Krajewski Bewusstheit im engeren Sinn den Umgang mit Phonemen, also mit abstrakten sprachlichen Einheiten, die keine bedeutungstragende (sondern lediglich eine bedeutungsunterscheidende) Funktion haben. Grundsätzlich kann sich zwar auch diese Fähigkeit bereits vor dem Schriftspracherwerb herausbilden; im Allgemeinen geschieht dies jedoch lediglich rudimentär. Der größte Entwicklungsschub erfolgt erst mit der Einführung in das alphabetische Prinzip. Die gelernten Buchstaben stehen nun als externe Repräsentanten für bestimmte Phoneme zur Verfügung (Buchstabe-Laut-Verknüpfung). Durch die Verknüpfung eines Buchstabens mit dem zugehörigen Laut wird es für die Kinder leichter, das betreffende Phonem als abstrakte, aus dem Sprachfluss heraus isolierbare Einheit zu begreifen und es beispielsweise in einem gehörten Wort zu identifizieren. Die phonologische Bewusstheit im engeren Sinne entwickelt sich also erst im Wechselspiel mit der expliziten Schriftsprachinstruktion (Küspert et al. 2007; Schneider 1997). > Für die Mobilisierung der in der phonologischen Bewusstheit liegenden Förderpotenziale hat das Wechselspiel mit der Buchstabeninstruktion weitreichende Konsequenzen, denn es macht deutlich, dass eine Förderung der phonologischen Bewusstheit (im engeren Sinne) sinnvollerweise an die Vermittlung von Buchstabenkenntnissen gekoppelt werden sollte. Dies wird auch durch Befunde zur phonologischen Verknüpfungshypothese bestätigt, aus denen hervorgeht, dass die Wirksamkeit von Maßnahmen zur Förderung der phonologischen Bewusstheit durch die Verknüpfung mit einem Buchstaben-Laut-Training deutlich verbessert werden kann (Hatcher et al. 1994; Schneider et al. 2000). z 16 Präventive Potenziale der phonologischen Bewusstheit und ihre Grenzen In den letzten Jahrzehnten sind zahlreiche Forschungsarbeiten publiziert worden, die sich mit der Bedeutung der phonologischen Bewusstheit befassen. Durch diese starke Fokussierung ist allerdings etwas aus dem Blick geraten, dass die in der phonologischen Bewusstheit liegenden Präventionspotenziale für den Schriftspracherwerb auch klare Grenzen haben. Diese Grenzen werden besonders deutlich, wenn man sich zunächst vor Augen führt, welche kognitiven Prozesse (später in der Schule) am sinnentnehmenden Lesen eines Textes beteiligt sind, und anschließend analysiert, welche dieser Prozesse durch eine gute phonologische Bewusstheit begünstigt werden. Aus einer solchen Analyse des Wirkmechanismus lässt sich theoretisch differenziert ableiten, wo genau die Förderpotenziale der phonologischen Bewusstheit liegen – und wo sie an ihre Grenzen stoßen, sodass gegebenenfalls eine Ergänzung durch andere Maßnahmen sinnvoll ist. Im Erstunterricht geht es zunächst um den Erwerb basaler Lesefertigkeiten; das Verstehen von Texten steht hier noch im Hintergrund. Zu diesem Zeitpunkt bestehen die zentralen Herausforderungen etwa darin, eine vorgegebene Buchstabensequenz (d. h. ein geschriebenes Wort) in eine lautliche Entsprechung zu übersetzen. Dieser Vorgang, der als phonologische Rekodierung bezeichnet wird, erfordert den Abruf gelernter Buchstabe-Laut-Beziehungen sowie das „Zusammen­ schleifen“ der durch die vorliegende Buchstabensequenz repräsentierten Einzellaute (phonologische Bewusstheit). Das resultierende Klangbild kann dann mit dem mentalen Lexikon abgeglichen werden, wodurch – sofern eine Übereinstimmung mit einem bekannten Wort gefunden wird – der Zugriff auf die Wortbedeutung erfolgen kann (Dekodierung). In diese basalen Leseprozesse des Rekodierens und Dekodierens ist die phonologische Bewusstheit unmittelbar involviert, das heißt, sie hat einen direkten Einfluss auf die Effizienz dieser Prozesse. Auf indirektem Wege nimmt die phonologische Bewusstheit damit auch Einfluss auf Verstehensprozesse oberhalb der Wortebene (z. B. Bildung lokaler und globaler Kohärenz, Aufbau eines Situationsmodells; vgl. van Dijk und Kintsch 1983). Denn insbesondere in frühen Erwerbsphasen beeinflusst die Effizienz basaler Dekodierfertigkeiten das Leseverstehen noch maßgeblich (Perfetti 1985). Eine Schlüsselrolle nimmt hierbei das Arbeitsgedächtnis ein. Der anfänglich mühevolle Vorgang der phonologischen Rekodierung stellt eine große Belastung für das Arbeitsgedächtnis dar, sodass nur begrenzte Ressourcen für das Leseverstehen zur Verfügung stehen. Wenn der Rekodiervorgang durch eine gute phonologische Bewusstheit erleichtert wird, werden Arbeitsgedächtnisressourcen für hierarchiehöhere Verstehensprozesse freigesetzt, was letztlich in einem besseren Leseverständnis resultiert. Obwohl die phonologische Bewusstheit also (lediglich) basale Leseprozesse beeinflusst, nimmt sie doch einen – wenn auch nur indirekten – Einfluss auf das Leseverständnis. Dennoch greift ein rein phonologisch orientierter Präventionsansatz speziell im Hinblick auf die langfristige Leseverständnisentwicklung zu kurz. Diese Einschätzung lässt sich mit dem „Simple View of Reading“ begründen (Gough und Tunmer 1986; Hoover und Gough 1990), dem zufolge das Leseverständnis ein Produkt aus Dekodierfertigkeit und Hörverstehen ist. Das heißt, sobald die Dekodierfertigkeiten hinreichend automatisiert sind (einzelne Wörter also zügig und ohne größere Mühen erlesen werden können), stellen sie keinen leistungslimitierenden Faktor mehr dar. Stattdessen gewinnt nun das das Hör- beziehungsweise Sprachverständnis eine immer größere Bedeutung. Genau genommen stellt das Hörverstehen bereits von Anfang an die Obergrenze für das Leseverstehen dar (Marx und Jungmann 2000). Der maßgelbliche Einfluss des Hörverstehens kann jedoch anfänglich noch gar nicht sichtbar werden, da mit dem Schuleintritt zunächst einmal – notwendigerweise – der Erwerb des schriftsprachlichen Symbolsystems und damit basaler Dekodierfertigkeiten im Vordergrund steht (Ennemoser et al. 2012; 7 Exkurs „Einflüsse von phono- logischer Bewusstheit vs. allgemeiner Sprachkompetenz auf das spätere Leseverständnis“). 391 Pädagogisch-psychologische Lernförderung … Welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus für die Potenziale phonologisch orientierter Fördermaßnahmen ziehen? Trainings der phonologischen Bewusstheit erleichtern den Einstieg in den Schriftspracherwerb. Sie begünstigen den Erwerb des alphabetischen Prinzips und damit insbesondere basale Prozesse der phonologischen Rekodierung und des Dekodierens. Vor allem in frühen Erwerbsphasen sollte sich dies auch in verbesserten Leseverständnisleistungen niederschlagen. Mit stetig wachsenden Dekodierfertigkeiten sollte sich dieser Effekt jedoch zunehmend erschöpfen, da dann nicht mehr die Effizienz des Dekodierens, sondern das vorhandene Sprachverständnis den leistungslimitierenden Faktor darstellt. Im ungünstigen Fall ist ein Kind nun zwar in der Lage Wörter flüssig zu dekodieren, das Textverständnis bleibt aber dennoch auf einem unzureichenden Niveau, weil das hierfür erforderliche Sprachverständnis fehlt. Wenn durch präventive Maßnahmen nachhaltig bessere Ausgangsbedingungen für die Leseverständnisentwicklung in der Schule geschaffen werden sollen, muss demnach neben der phonologischen Bewusstheit auch die allgemeine Sprachkompetenz beziehungsweise das Hörverstehen gezielt gefördert werden. Analog gelten diese Überlegungen für die Schreibkompetenz. Auch hier beschränkt sich das Einflusspotenzial der phonologischen Bewusstheit auf den Erwerb des abstrakten schriftsprachlichen Symbolsystems. Dies befähigt zwar zur „Übersetzung“ von sprachlich formulierten Inhalten in die Schriftsprache und erfüllt damit zweifellos eine außerordentlich wichtige Funktion. Es ersetzt jedoch nicht die Notwendigkeit einer angemessenen sprachlichen Ausdrucksfähigkeit beziehungsweise der hierfür erforderlichen lexikalischen und morphologisch-syntaktischen Kompetenzen (7 Abschn. 16.2). Exkurs Einflüsse von phonologischer Bewusstheit vs. allgemeiner Sprachkompetenz auf das spätere Leseverständnis Ennemoser und Kollegen (2013) analysierten die Daten zweier Längsschnittstudien, um die Einflüsse der phonologischen Bewusstheit und der allgemeinen Sprachkompetenz auf die Lesekompetenzentwicklung in der Schule zu untersuchen. In beiden Studien erwies sich die phonologische Bewusstheit im Kindergarten als starker Prädiktor für die D ­ ekodierfertigkeiten am Ende der 1. Klasse. Diese beeinflussten wiederum das in der 4. Klasse erfasste Leseverständnis. Die phonologische Bewusstheit hatte somit einen indirekten Effekt auf das spätere Leseverstehen. Demgegenüber hatten die im Kindergartenalter erhobenen sprachlichen Kompetenzen („oberhalb“ der phonologischen Ebene) zwar noch keinen signifikanten Einfluss auf die 16.4.2  Möglichkeiten einer effektiven Förderung von phonologischer Bewusstheit und Buchstaben-Laut-Zuordnung Um Kindern den Einstieg in den Schriftspracherwerb zu erleichtern, sollten sie dazu in die Lage versetzt werden, den Sprachfluss in Sätze, Wörter, Silben (phonologische Bewusstheit im weiteren Sinn) und schließlich in einzelne Laute zerlegen (phonologische Bewusstheit im engeren Sinn) sowie mit diesen Segmenten operieren zu können. Darüber hinaus sollten die Kinder Buchstaben kennenlernen und verstehen, dass die Einzellaute der gesprochenen Sprache verschiedenen schriftlichen Zeichen – den Buchstaben – zugeordnet werden können ­(Buchstaben-Laut-Zuordnung). Wie dies konkret umgesetzt werden kann, wird im Folgenden exemplarisch anhand von zwei aufeinander aufbauenden Programmen dargestellt. Förderung von phonologischer Bewusstheit Das Förderprogramm „Hören, lauschen, lernen“ (HLL; Küspert und Schneider 2006) wurde in Anlehnung an ein skandinavisches Training entwickelt, das sich zuvor im Rahmen einer viel beachteten Interventionsstudie empirisch anfänglichen ­Dekodierfertigkeiten. Im erst vier Jahre später erfassten Leseverständnis klärten sie allerdings ebenso viel Varianz auf wie die Dekodierleistung in der 1. Klasse. Diese Befunde deuten darauf hin, dass die phonologische Bewusstheit einen wichtigen, aber keinesfalls hinreichenden Ansatzpunkt für präventive Maßnahmen im Vorschulalter darstellt. bewährt hatte (Lundberg et al. 1988). Das Training wird im letzten Kindergartenjahr durchgeführt und umfasst tägliche Fördersitzungen über einen Zeitraum von 20 Wochen. Das Programm besteht aus spielerischen Übungen zu beiden Bereichen der phonologischen Bewusstheit, die systematisch aufeinander aufbauen (. Abb. 16.4). In den ersten Wochen stehen zunächst verschiedene Spiele zur phonologischen Bewusstheit im weiteren Sinn (Reimen, Sätze und Wörter, Silben) auf dem Programm, bevor im Anschluss die phonologische Bewusstheit im engeren Sinn immer stärker in den Fokus genommen wird (Anlaut, Phonem). Die vorgeschalteten Lauschspiele dienen dazu, die Kinder für das genaue Hinhören zu sensibilisieren, indem ihre Aufmerksamkeit auf akustische Reize in ihrer Umgebung gelenkt wird. Im Bereich phonologische Bewusstheit im weiteren Sinn finden sich Reimspiele, die den Kindern verdeutlichen sollen, dass Wörter klangliche Ähnlichkeiten aufweisen können (sich reimen), was zugleich bedeutet, dass ein Wort in Teile untergliedert werden kann, die sich auch in anderen Wörtern wiederfinden (selbst wenn diese Wörter inhaltlich nichts miteinander zu tun haben, z. B. Schnecke – Ecke). In Übungen zu Sätzen und Wörtern sollen die Kinder unter anderem eine Vorstellung davon erhalten, dass Wörter 16 392 M. Ennemoser und K. Krajewski 16. Abb. 16.4 Die drei Ziele früher schriftsprachlicher Förderung, exemplarisch dargestellt an den Förderprogrammen HLL („Hören, lauschen, lernen“; Küspert und Schneider 2006) und HLL 2 („Hören, lauschen, lernen 2“; Plume und Schneider 2004) 393 Pädagogisch-psychologische Lernförderung … nicht nur zu Sätzen, sondern auch zu neuen Wörtern zusammengesetzt werden (z. B. „Schnee“ und „Mann“ ergeben „Schneemann“) und umgekehrt manche Wörter in kleinere Wörter zerlegt werden können („Fußball“ besteht aus „Fuß“ und „Ball“). In den anschließenden Silbenspielen wird dieses Prinzip fortgeführt, wobei Wörter nun nicht mehr in andere Wörter, sondern in Silben zerlegt und durch motorische Elemente wie Händeklatschen, Tanzen und Marschieren rhythmisch betont oder künstlich auseinandergezogene Silben zu Wörtern zusammengesetzt werden sollen (z. B. „Scho-ko-la-de“ zu „Schokolade“). Der Bereich phonologische Bewusstheit im engeren Sinn beinhaltet zunächst Übungen zur Identifikation des Anfangslauts. Hier sind die Kinder herausgefordert, aufmerksam auf den Anfang eines Wortes zu hören, um den ersten Laut bestimmen zu können (z. B. Rrrrrreis →/r/). Zudem lernen die Kinder – ähnlich wie bei den Silben –, dass Anfangslaute entfernt oder hinzugenommen werden können und dass dadurch neue Wörter mit anderer Bedeutung entstehen (z. B. „rot“ – „B…rot“). Schließlich folgen die abstrakteren Aufgaben zur Phonemanalyse und -synthese. Hier lauschen die Kinder beispielsweise einem Kobold, der – wie ein Roboter – Wörter so ausspricht, als seien sie in ihre Laute zerlegt (z. B./n/-/a/-/s/-/e/). Die Aufgabe der Kinder besteht darin, die Einzellaute zu einem Wort zu verbinden (Phonemsynthese). Umgekehrt sollen die Kinder Wörter in ihre Einzellaute zerlegen, das heißt, sie in lautierter Form aufsagen und dabei für jeden einzelnen Laut ein Klötzchen legen (Phonemanalyse). Förderung der Buchstaben-Laut-Zuordnung Um das Training der phonologischen Bewusstheit – wie in den vorangegangenen Abschnitten gefordert – mit der Vermittlung von Buchstaben-Laut-Zuordnungen zu verknüpfen, kann das Ergänzungsprogramm „Hören, lauschen, lernen 2“ herangezogen werden (HLL 2; Plume und Schneider 2004). Das an eine amerikanische Trainingskonzeption von Ball und Blachman (1991) angelehnte Programm wird in den letzten zehn Trainingswochen des HLL in dessen Durchführung integriert (Roth 1999). Das Training umfasst nicht das gesamte Alphabet, sondern konzentriert sich auf jene 12 Buchstaben, die im deutschen Sprachgebrauch am häufigsten vorkommen (A, E, M, I, O, R, U, S, L, B, T, N). Die entsprechenden ­Buchstabe-Laut-Beziehungen werden in zwei Schritten verdeutlicht (. Abb. 16.4). Zunächst werden die Buchstaben anhand kurzer Geschichten eingeführt. Diese Geschichten sind allesamt dadurch gekennzeichnet, dass jeweils ein bestimmter markanter Laut eine zentrale Rolle spielt, der anschließend von den Kindern nachgeahmt werden soll. So geht es beispielsweise um einen Zahnarztbesuch, anlässlich dessen die Kinder laut/aaaaa/sagen müssen. Dem jeweils fokussierten Laut wird in diesem Zusammenhang auch gleich der entsprechende Buchstabe („A“) zugeordnet. Anschließend lernen die Kinder, dass diese Laute nicht nur isoliert vorkommen, sondern tatsächlich in vielen Wörtern enthalten sind. Zu diesem Zweck müssen etwa bildlich dargestellte Objekte benannt, der Anlaut des entsprechenden Wortes identifiziert und dem richtigen Buchstaben zugeordnet werden. Die umgekehrte Aufgabe besteht darin, Buchstaben bestimmten Objektbildern zuzuordnen, deren Bezeichnung mit dem korrespondierenden Anlaut beginnt (z. B. das A dem Apfel). Ziel des Ergänzungsprogramms HLL 2 ist es also, dass die Kinder das Zuordnungsprinzip zwischen Lauten und Buchstaben erkennen. 16.4.3  Evaluationsstudien zur Wirksamkeit der Förderung von phonologischer Bewusstheit und Buchstaben-Laut-Zuordnung Die Wirksamkeit von Trainings der phonologischen Bewusstheit kann als empirisch sehr gut belegt gelten. Zahlreiche Interventionsstudien zeigen, dass die Fördermaßnahmen nicht nur eine Verbesserung der phonologischen Bewusstheit bewirken, sondern dass die Fördereffekte auch langfristig in verbesserten Schriftsprachkompetenzen resultieren (z. B. Lundberg et al. 1988; Schneider et al. 1997). Insbesondere konnte gezeigt werden, dass diese Effekte auch bei Risikokindern zum Tragen kommen, die eine schwache phonologische Informationsverarbeitung und damit eine besonders ungünstige Ausgangslage aufweisen (Schneider et al. 1999, 2000). Eine Förderung der phonologischen Bewusstheit ist demnach nicht nur als primärsondern auch als sekundärpräventive Maßnahme wirksam und führt zu einem substanziell verminderten Anteil von Kindern mit ­ Lese-Recht-Schreibschwierigkeiten. Allerdings deuten die Befunde auch darauf hin, dass phonologisch orientierte Fördermaßnahmen mit einem B ­ uchstaben-Laut-Training kombiniert werden sollten, da in diesem Fall mit deutlich größeren Effekten zu rechnen ist (Ball und Blachmann 1991; Bus und van IJzendoorn 1999; Hatcher et al. 1994; Schneider et al. 2000). Auch für die in der einschlägigen Forschung lange Zeit vernachlässigte Zielgruppe der Migrantenkinder liegen inzwischen ermutigende Befunde vor (Armand et al. 2004; Stuart 1999, 2004; Blatter et al. 2013; Weber et al. 2007). Grenzen phonologischer Trainings liegen darin, dass sie lediglich den Erwerb des schriftsprachlichen Symbolsystems begünstigen, aber naturgemäß nichts dazu beitragen können, das Hörverstehen zu verbessern, das – in langfristiger Perspektive – die letztendliche Obergrenze für das Leseverstehen markiert. Frühe Präventionsmaßnahmen sollten sich daher nicht lediglich auf eine Förderung der phonologischen Bewusstheit beschränken, sondern sich auch auf die Sprachkompetenz erstrecken. 16 394 M. Ennemoser und K. Krajewski 16.5  Förderung mathematischer Kompetenzen im Kindergarten und im Schuleingangsbereich Wie bei der schriftsprachlichen Förderung sollten auch Präventionsmaßnahmen zur mathematischen Kompetenzentwicklung auf Vorläuferkompetenzen abzielen, die im Anfangsunterricht mehr oder weniger vorausgesetzt werden, aber eben nicht bei allen Kindern vorhanden sind. Das Pendant zur phonologischen Bewusstheit stellen hier Zahl-Größen-Kompetenzen dar, die häufig auch als mathematische Basiskompetenzen bezeichnet werden. Definition Zahl-Größen-Kompetenzen bezeichnen die Entwicklungsschritte auf dem Weg zum Verständnis der Zahlen. Dies umfasst zunächst die bloße Kenntnis von Zahlwörtern und Ziffern sowie darauf aufbauend das Verständnis dafür, dass Zahlen Mengen und Mengenrelationen – beziehungsweise allgemeiner Größen und Größenrelationen – repräsentieren (vgl. Krajewski und Ennemoser 2013). 16 Wenn ein Kind dieses Verständnis zum Schuleintritt noch nicht erworben hat, bringt es ein deutlich erhöhtes Risiko für spätere Rechenschwierigkeiten mit (Krajewski und Schneider 2009a), denn im konventionellen Anfangsunterricht wird vergleichsweise schnell mit dem Rechnen begonnen. Das heißt, es werden kaum nennenswerte Bemühungen investiert um sicherzustellen, dass die Kinder grundlegende Zahl-Größen-Kompetenzen aufbauen und festigen konnten. Grundschulkinder mit Schwierigkeiten im Rechnen weisen üblicherweise eine in diesem Sinne verzögerte mathematische Entwicklung auf. Sie haben noch nicht verstanden, dass hinter Zahlen Mengen oder Größen stehen (Größenverständnis von Zahlen). Ohne diese Einsicht können sie weder Additions- noch Subtraktionsaufgaben verständnisbasiert lösen und sind folglich auch mit Sachaufgaben oder komplexeren Rechenoperationen völlig überfordert. Ziel der Frühförderung sollte es daher sein, das Verständnis für Zahl-Größen-Verknüpfungen spätestens bis Schulbeginn aufzubauen. 16.5.1  Die Bedeutung von ­Zahl-Größen- Kompetenzen in der mathematischen Entwicklung Inzwischen liegen zahlreiche Studien vor, die die Bedeutung der Zahl-Größen-Kompetenzen für das Rechnenlernen belegen. Sie zeigen unter anderem, dass diese Kompetenzen eine deutlich größere Rolle für die schulischen Mathematikleistungen spielen als beispielsweise die Intelligenz oder Fähigkeiten des Arbeitsgedächtnisses (z. B. Jordan et al. 2010; Krajewski und Ennemoser 2018; Krajewski und Schneider 2006, 2009b; Stern 2003). So konnte etwa in zwei unabhängigen Langzeitstudien mithilfe der im Vorschulalter erfassten Zahl-Größen-Kompetenzen jeweils ein Viertel der Unterschiede in den drei und vier Jahre später erfassten Mathematikleistungen erklärt werden, während Intelligenz oder Arbeitsgedächtnisfähigkeiten keinen direkten Einfluss auf die Mathematikleistungen hatten (Krajewski und Schneider 2006, 2009b). Zahl-Größen-Kompetenzen stellen somit einen wesentlichen Grundpfeiler in der mathematischen Entwicklung und einen potenziellen Ursachenfaktor für die Entwicklung einer Rechenstörung dar. Dennoch existieren in der Literatur unterschiedliche Auffassungen darüber, wo genau die Ursache von Rechenstörungen zu lokalisieren ist. Auffassung 1: Defekter angeborener Zahlensinn als Ursache von Rechenschwierigkeiten Viele Forscher gehen davon aus, dass Kinder bereits dann die Bedeutung von Zahlwörtern verstehen, wenn sie diese erstmalig einzeln aufsagen (z. B. Fuson 1988; Resnick 1989; von Aster und Shalev 2007; Fritz und Ricken 2008; Kaufmann und von Aster 2012). Wiederholt ein Kind beispielsweise die Handlung seiner Mutter, indem es „drei“ sagt und dabei auf drei Clementinen zeigt, meint das Kind dieser Auffassung folgend sofort die Anzahl „drei“ und nicht die Clementinen oder deren andere Eigenschaften. Dementsprechend müsste ein Kind im Laufe seiner mathematischen Entwicklung lediglich noch verstehen, dass Zahlen auch für Unterschiede, Veränderungen und Relationen zwischen Mengen stehen (Resnick 1989; Fuson 1988) und zudem ins visuell-arabische Ziffernsystem und in eine innere Zahlenstrahlvorstellung übersetzt werden können (von Aster und Shalev 2007). Dieser Grundgedanke, wonach Kinder Zahlwörter sofort als „Label“ für eine betrachtete Menge erkennen, beruht auf der Annahme, dass Neugeborene zwischen Stückzahlen unterscheiden können und daher bereits mit einem Sinn für Anzahlen („Zahlensinn“) zur Welt kommen (z. B. Antell und Keating 1983; Feigenson et al. 2004). Ausschließlich rechengestörten Kindern wird hierbei ein angeborener „defekter Zahlensinn“ zugeschrieben, der nachfolgend auch zur Unfähigkeit führt, Mengen und Größen in entsprechende Zahlwörter und Ziffern übersetzen zu können und umgekehrt (z. B. von Aster und Shalev 2007; Dehaene et al. 2004; Landerl et al. 2004). Nach diesen Modellvorstellungen nehmen normal entwickelte Kinder also von Geburt an Stückzahlen wahr, die sie aufgrund fehlender Wörter nur noch nicht benennen können. Mit den später gelernten Zahlwörtern jedoch (z. B. „drei“, „zwei“) werden die zugehörigen Bezeichnungen geliefert, die ein Kind dann sofort problemlos den entsprechenden Stückzahlen (z. B. drei Murmeln, zwei Schachteln) zuordnet. 395 Pädagogisch-psychologische Lernförderung … Auffassung 2: Unzureichend entwickelte Zahl-Größen-Verknüpfung als Ursache von Rechenschwierigkeiten Dem Entwicklungsmodell der Zahl-Größen-Verknüpfung (ZGV-Modell) zufolge basiert die oben beschriebene Annahme, dass einzelne Zahlwörter nach dem Erlernen sofort entsprechenden Stückzahlen zugeordnet werden können, auf unzulässigen Kompetenzzuschreibungen, da allein das Aufsagen von Zahlwörtern oder einer Zahlwortfolge keinesfalls auf ein vorhandenes Zahlverständnis schließen lasse (Prinzip der minimalistischen Kompetenzzuschreibung; Krajewski und Ennemoser 2013). Anstelle eines angeborenen Zahlensinns wird hier postuliert, dass jedes Kind den „Zahlensinn“ und das Verständnis dafür, dass Stückzahlen und Größen mit (Zahl-)Wörtern belegt werden können, erst erwerben muss. Den Erwerbsverlauf beschreibt das Modell über drei Kompetenzebenen, die durch eine zunehmende Verknüpfung von Zahlen mit Größen und Größenrelationen charakterisiert sind (7 Exkurs „Entwicklungsmodell der Zahl-Größen-Verknüpfung (ZGV-Modell; Krajewski 2007, 2013)“;. Abb. 16.5). Defizite in dieser – potenziell von außen steuerbaren – Entwicklung werden als Ursache von Rechenstörungen gesehen. Den Ausgangspunkt dieses Ansatzes bilden Studien, die einen angeborenen „(An-)Zahlensinn“ in Zweifel ziehen und nahe legen, dass Säuglinge zwar zwischen Flächen und Volumen von Mengen, nicht aber zwischen Stückzahlen differenzieren können (z. B. Clearfield und Mix 1999; Feigenson et al. 2002). Das ZGV-Modell geht also davon aus, dass ein Zahlensinn (bzw. ein „Zahldefekt“) nicht angeboren ist, sondern sich im natürlichen Entwicklungsverlauf erst herausbildet. Damit eröffnet es einen Ansatzpunkt für präventive Fördermaßnahmen, der in der Forschung aufgrund allzu optimistischer Kompetenzzuschreibungen lange Zeit völlig übersehen wurde (und in Teilen auch heute noch übersehen wird). Denn anders als bei Annahme eines angeboren „defekten Zahlensinns“ lässt sich daraus die Möglichkeit ableiten, die Entwicklung eines Zahlensinns systematisch zu fördern und so der Entstehung von Rechenschwierigkeiten vorzubeugen. 16.5.2  Möglichkeiten einer effektiven Förderung von Zahl-Größen-Kompetenzen Eine frühzeitige entwicklungsorientierte Förderung von Zahl-Größen-Kompetenzen sollte zunächst entlang der im ZGV-Modell beschriebenen Entwicklungsebenen geschehen. Entwicklungsorientierte Förderung von ­­ZahlGrößen-Kompetenzen Wie. Abb. 16.5 zeigt, sollten hierbei zunächst sprachliche Begriffe thematisiert werden, mit denen Unterschiede zwischen Größen beschrieben werden können (Ebene 1). Anfangs sind dies insbesondere die Begriffe größer/kleiner/ länger/kürzer/mehr/weniger als. Darüber hinaus sollte mit den Kindern frühzeitig die Zahlwortfolge eingeübt werden (Ebene 1). Dies sollte idealerweise so gut gelingen, dass die Kinder diese nicht nur vorwärts („eins, zwei, drei, …“) und rückwärts („zehn, neun, acht, …“) aufsagen können. Vielmehr sollten sie auch zu einem beliebigen Zahlwort (z. B. „vier“) problemlos das Nachfolger- („fünf“) oder Vorgängerzahlwort („drei“) finden können. So wird sichergestellt, dass ein Kind die einzelnen Zahlwörter als separate Einheiten wahrnimmt (z. B. „vier, fünf, sechs“) und nicht miteinander vermengt (z. B. zum vermeintlich dreisilbigen Zahlwort „vierfünfsechs“). Diese Entwicklung scheint auch durch eine gut ausgeprägte phonologische Bewusstheit im weiteren Sinn unterstützt zu werden (Krajewski et al. 2013; 7 Exkurs „Einfluss phonologischer Bewusstheit auf die mathematische Entwicklung“). 16 396 M. Ennemoser und K. Krajewski Exkurs Entwicklungsmodell der Zahl-Größen-Verknüpfung (ZGV-Modell; Krajewski 2007, 2013) 16 Kompetenzebene 1 Dem Prinzip der minimalistischen Kompetenzzuschreibungen folgend, wird im Modell der Zahl-Größen-Verknüpfung lediglich die Fähigkeit zur (nichtnumerischen) Größenunterscheidung als angeboren betrachtet und auf einer ersten Kompetenzebene verortet. Die Fähigkeit zur Unterscheidung von Anzahlen wird Säuglingen nicht zugeschrieben. Darüber hinaus wird im Modell postuliert, dass ein Kind ab etwa zwei Jahren zwar dazu in der Lage sein mag eine Zahlwortfolge aufzusagen, dass dies aber nicht notwendigerweise auf ein Verständnis für die hinter den Zahlen stehenden Anzahlen und Größen schließen lässt. Vielmehr kann die Abfolge auch ohne dieses Verständnis „nachgeplappert“ werden – ähnlich wie auch Gedichte und Kinderreime aufgesagt werden können, ohne dass die wiedergegebenen Inhalte auch verstanden sein müssen. Da ein fehlendes Sinnverständnis weder ein Hindernis für das Auswendiglernen von Gedichten oder Reimen noch für das Aufsagen von Zahlwörtern darstellt, kann nach diesen Annahmen die korrekte Zahlwortfolge vorwärts und rückwärts prinzipiell auch ohne eine Verknüpfung mit Mengen und Größen erlernt werden. So ist die erste Kompetenzebene dadurch gekennzeichnet, dass Zahlwörter und Mengen oder Größen noch nicht miteinander in Verbindung gebracht werden. Läuft ein Kind also beispielsweise die Treppen hinauf und „zählt“ dabei laut „eins, zwei, drei, vier, …“, spiegelt dies nach dem ZGV-Modell nicht zwangsläufig, nur möglicherweise, wieder, dass das Kind beim Benennen der vierten Treppe („vier“) auch versteht, dass es bereits vier Stufen ( = zugehörige Menge) erklommen hat. Nach dieser Modellvorstellung ist eine „Mengenbewusstheit von Zahlen“ beziehungsweise eine Zahl-GrößenRepräsentation für das Aufsagen einzelner Zahlwörter oder der korrekten Zahlwortfolge also nicht notwendig. Dies kann auch ohne eine solche gelingen. Kompetenzebene 2 Erst auf einer zweiten Kompetenzstufe, die etwa ab dem Alter von drei bis vier Jahren erworben wird, werden Zahlwörter – und gegebenenfalls auch schon Ziffern – mit Mengen und Größen in Verbindung gebracht (Größenrepräsentation von Zahlen, einfaches Zahlverständnis; (. Abb. 16.5). Hierdurch wird den Zahlen ein numerischer Inhalt verliehen, sodass sie erstmals aufgrund ihrer „Größe“ miteinander verglichen werden können. Dieser Entwicklungsschritt vollzieht sich üblicherweise in zwei Phasen. So ordnen Kinder in der Phase der unpräzisen Größenrepräsentation (Ebene 2a) Zahlwörter zunächst groben Größenkategorien zu (z. B. eins, zwei und drei der Kategorie „wenig“, zwanzig und fünfundzwanzig der Kategorie „viel“, hundert und tausend der Kategorie „sehr viel“). Hierfür ist es weder notwendig, Mengen aufgrund ihrer exakten Stückzahl voneinander zu unterscheiden noch die Zahlwortfolge exakt zu beherrschen. Vielmehr wird eine noch sehr unpräzise Zuordnung von Zahlwörtern zu Mengen und Größen vorgenommen, wodurch weit auseinander liegende Zahlen (nämlich diejenigen, die nicht in dieselbe grobe Kategorie fallen), größenmäßig verglichen werden können. Im Beispiel könnte bereits angegeben werden, dass zwanzig weniger ist als hundert, weil „viel“ weniger ist als „sehr viel“. Welche der beiden Zahlwörter zwanzig („viel“) oder fünfundzwanzig (ebenfalls „viel“) mehr repräsentiert, könnte jedoch noch nicht entschieden werden. Dies wird erst in der Phase der präzisen Größenrepräsentation (Ebene 2b) möglich, wenn Zahlwörter durch genaue ­Eins-zu-Eins-Zuordnung auch ihren exakten Anzahlen zugewiesen werden können. Erst diese Fähigkeit ermöglicht es, eng nebeneinander liegende Zahlen anhand ihrer Größe zu unterscheiden (z. B. vierundzwanzig ist weniger als fünfundzwanzig). Im Gegensatz zur Phase der unpräzisen Größenrepräsentation, in der es etwa für einen Vergleich von „zwanzig“ und „hundert“ nicht zwingend notwendig ist, bis hundert zählen zu können, ist es in der Phase der präzisen Größenrepräsentation unabdingbar (im betreffenden Zahlenraum) die exakte Zahlwortfolge zu beherrschen. Dies macht deutlich, wie wichtig es ist die – stur auswendig lernbare – Folge der einzelnen Zahlwörter (vorwärts wie rückwärts, Ebene 1) auch tatsächlich auswendig zu können um die präzise Größenrepräsentation auf Ebene 2b zu erwerben. Das Verständnis dafür, dass Zahlen Größen repräsentieren, wird hier als der wichtigste Meilenstein betrachtet, den Kinder bis zum Schuleintritt vollzogen haben sollten. Dieses Verständnis stellt das Fundament dafür dar, dem mathematischen Anfangsunterricht überhaupt folgen zu können. Wie Untersuchungen mit rechenschwachen Grundschülern zeigen, kann im Fehlen dieses Entwicklungsschritts das Kerndefizit einer Rechenschwäche gesehen werden (Krajewski und Ennemoser 2013). Daher sollte in der Diagnostik und Förderung bei Rechenschwäche und vor allem bei präventiven Fördermaßnahmen hierauf ein besonderes Augenmerk gelegt werden. Obwohl auf der zweiten Kompetenzebene Zahlen bereits mit Mengen und Größen verknüpft werden, entwickelt sich parallel hierzu das Verständnis für Größenrelationen zunächst noch ohne einen Bezug zu Zahlen. So gelangen Kinder durch verschiedene Erfahrungen (oder eine entsprechende Förderung) zur Einsicht, dass Mengen oder Größen zueinander in Beziehung stehen und beispielsweise eine größere Menge oder Größe aus zwei kleineren Mengen oder Größen zusammengesetzt werden kann (. Abb. 16.5). Zahlwörter können für diese Überlegungen allerdings noch nicht herangezogen werden. Kompetenzebene 3 Damit der Übergang zum Rechnen gelingt, müssen die Kinder schließlich auch die zuletzt beschriebene Einsicht mit Zahlen verknüpfen. Sie müssen verstehen, dass Zahlen nicht nur Mengen und Größen abbilden, sondern dass sie auch Größenrelationen zwischen Zahlen beschreiben (tiefes Zahlverständnis). So müssen sie erkennen, dass der Größenunterschied zwischen zwei Zahlen (z. B. „drei“ und „fünf“) nicht nur mit „größer“ oder „kleiner“ bzw. „mehr“ oder „weniger“ beschreibbar ist („drei sind kleiner/weniger als fünf“, Ebene 2), sondern auch mit einer exakten Zahl angegeben werden kann („drei sind zwei kleiner/weniger als fünf“) und dass eine Zahl aus anderen Zahlen zusammengesetzt werden kann oder in diese zerlegbar ist (Ebene 3). 397 Pädagogisch-psychologische Lernförderung …. Abb. 16.5 Zunehmendes semantisches Verständnis von Zahlwörtern und Ziffern und zugehörige Förderziele in Anlehnung an das ZGV-Modell. (Krajewski 2007, 2013) 16 398 M. Ennemoser und K. Krajewski Exkurs Einfluss phonologischer Bewusstheit auf die mathematische Entwicklung Wie eine aktuelle Längsschnittuntersuchung von Krajewski, Simanowski und Greiner (2013) zeigt, weisen Kinder, die als Vierjährige über eine gute phonologische Bewusstheit im weiteren Sinn verfügen, als Fünfjährige auch einen flexibleren Umgang mit der Zahlwortfolge auf als Kinder mit schwächerer phonologischer Bewusstheit im weiteren Sinn. So wurden 45 % der Unterschiede im Aufsagen der Zahlwortfolge vorwärts und rückwärts sowie dem Bestimmen von Vorgänger- und Nachfolgerzahlen (ZGV-Modell Kompetenzebene 1) durch die vorher bestehenden Unterschiede in der phonologischen Bewusstheit im weiteren Sinn erklärt, also durch die Fähigkeit gesprochene Sätze in ihre einzelnen Wörter und Silben Die Förderung der Größenrepräsentation von Zahlen (Ebene 2) sollte zunächst über die Zuordnung von Zahlwörtern beziehungsweise Ziffernzahlen zu abzählbaren Mengen erfolgen (z. B. „drei“ steht für ▄ ▄ ▄,. Abb. 16.5). Wenn Kindern dies gelingt, kann sich der Größenvergleich von (An-)Zahlen anschließen (z. B. „drei sind weniger als fünf“). Bevor schließlich zu Ebene 3 übergegangen werden kann, sollte sichergestellt sein, dass die Kinder sprachliche Begriffe, die für die Beschreibung von Größenrelationen wichtig sind (z. B. „sind zusammen genauso viel/groß/lang wie“), sicher verwenden. So kann die Förderung schließlich darauf zielen, den Kindern bewusst zu machen, dass eine (An-)Zahl nicht nur in kleinere (An-)Zahlen zerlegt und aus diesen wieder zusammengesetzt werden kann (z. B. „drei und zwei sind zusammen genauso viele wie fünf“), sondern dass auch der Unterschied zwischen zwei Zahlen wieder eine Zahl ist und dass diese Zahl den Größenunterschied zwischen den beiden anderen Zahlen exakt angibt (z. B. „drei sind zwei weniger als fünf“; Ebene 3). Die Bedeutung geeigneter Darstellungsmittel 16 Im Rahmen der Förderung ist es wichtig, die zu erkennenden Größenverhältnisse von Zahlen hinreichend salient zu machen. Dies gilt insbesondere für Kinder mit Schwächen im Bereich der Aufmerksamkeitsregulation und des Arbeitsgedächtnisses. Aus diesem Grund ist eine sorgfältige Auswahl der Darstellungsmittel für die Zahlen erforderlich. zerlegen oder Reime bilden zu können. Eine gut ausgeprägte phonologische Bewusstheit auf Wort- und Silbenebene hilft demnach, die üblicherweise zusammenhängend erlernte und aufgesagte Zahlwortfolge („einszwei dreivierfünfsechs…“) in ihre einzelnen Bestandteile zu zerlegen („eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, …“) und als einzelne Zahlwörter zu begreifen. > Die Veranschaulichung der Zahlen sollte idealerweise anhand von Mengen erfolgen, die aus gleichen Elementen bestehen. Diese sollten sich durch nichts unterscheiden als allein durch ihre Anzahl (Krajewski und Ennemoser 2013). Wie die Veranschaulichungen in. Abb. 16.5 zeigen, korrespondieren dargestellte Mengen (z. B. drei vs. fünf Rechtecke) nur dann exakt mit der Flächen- oder Volumenausdehnung beziehungsweise der „Größe“ der jeweiligen Zahlen, wenn alle einzelnen Elemente der Mengen identisch und damit gleich groß sind (hier z. B. Rechtecke: ▄ ▄ ▄ vs. ▄ ▄ ▄ ▄ ▄). Nur in diesem Fall gibt die Flächen- oder Volumenausdehnung der einzelnen Stückzahlen auch das exakte Größenverhältnis der beiden zu vergleichenden Zahlen wieder. Dies stellt ein sehr wichtiges Prinzip dar, um Kindern im wörtlichen Sinne Einsicht in die Größenverhältnisse der Zahlen und damit in die ZahlGrößen-Verknüpfung (Ebene 2) sowie die Größenrelationen zwischen Zahlen (z. B. drei sind zwei weniger als fünf; Ebene 3) zu ermöglichen. Dennoch finden sich für den Kindergarten-, Vorschul- und Schuleingangsbereich nur wenige Materialien für die Beschäftigung mit Zahlen, die diesem Prinzip folgen. Die Auffassung, dass derart strukturiertes Material langweilig, nicht abwechslungsreich genug und damit nicht kindgerecht sein könnte, führt dazu, dass die Materialien tatsächlich nicht kindgerecht, weil nicht an der kindlichen Entwicklung orientiert sind (7 Exkurs „Beispiel für irreführende Darstellungsmittel“). Exkurs Beispiel für irreführende Darstellungsmittel Wenn Kinder noch kein Zahlverständnis (Ebene 2) erworben haben, sollten Darstellungsmittel zunächst so gewählt werden, dass numerische und räumliche Größen nicht, wie im dargestellten Beispiel (. Abb. 16.6), in Konflikt geraten. Gerade für schwächere Kinder ist es schwer nachvollziehbar, warum die flächenmäßig größere Menge (3 Teller) „weniger“ sein soll als die flächenmäßig kleinere (5 Nüsse). Zudem ist es gänzlich unmöglich zu erkennen, dass von der hier flächenmäßig größeren Zahl drei (Teller) die Zahl zwei (Teller? Nüsse?) hinzukommt, um die hier flächenmäßig kleinere Zahl fünf (Nüsse) zu erhalten. Die Verwendung verschiedenartiger Materialien erschwert es also aufgrund von irrelevanten Verschiedenheitsaspekten (Größe, Volumen, aber auch Farbe, Art, Funktion), Anzahlen als relevantes Unterscheidungsmerkmal von Zahlen zu erkennen und zwei Mengen aufgrund ihrer Stückzahl miteinander in Beziehung zu setzen. Nur wenn alle irrelevanten, nicht-zahlbezogenen Materialaspekte konstant gehalten werden, wird die Anzahl als Unterscheidungsmerkmal zwischen den zu repräsentierenden Zahlen unmittelbar sichtbar. 399 Pädagogisch-psychologische Lernförderung …. Abb. 16.6 Beispiel für irreführende Darstellungsmittel Anforderungen an mathematische Präventionsmaßnahmen Zusammenfassend lassen sich folgende vier Anforderungen an eine mathematische Frühförderung ableiten (vgl. Krajewski und Simanowski 2017). 5 Inhaltsspezifität. Die Förderung sollte sehr gezielt auf mathematikspezifische Fähigkeiten und Fertigkeiten fokussiert werden. Auf eher allgemeine oder zumindest nicht mathematikspezifische Kompetenzen ausgerichtete Maßnahmen (z. B. Motorik- oder Wahrnehmungstrainings) bleiben in der Regel gänzlich wirkungslos oder haben zumindest deutlich geringere Erfolgsaussichten (z. B. Grünke 2006). 5 Entwicklungsorientierung. Die Förderung sollte sich an der Abfolge der natürlichen mathematischen Entwicklung orientieren (vgl. ZGV-Modell). Das heißt, es macht keinen Sinn, Rechenoperationen oder das ­Teile-Ganzes-Verständnis von Zahlen (Ebene 3) zu fördern, wenn eine Größenrepräsentation von Zahlen (Ebene 2) oder gar ein flexibler Umgang mit der Zahlwortfolge (Ebene 1) noch nicht (sicher) vorhanden sind. 5 Verwendung gleichartiger, abstrakter Veranschaulichungsmaterialien. Hierdurch wird sichergestellt, dass quantitative Relationen zwischen den dargestellten Zahlen sichtbar werden. Wie im 7 Exkurs „Beispiel für irreführende Darstellungsmittel“ näher beschrieben, sollten also nicht „Äpfel mit Birnen“, sondern allenfalls Äpfel mit (exakt gleich großen, exakt gleichfarbigen) Äpfeln verglichen werden. Besonders gut geeignet scheinen Materialien, die möglichst wenige „ablenkende“ Eigenschaften haben, wie beispielsweise einfarbige Chips oder Klötzchen. Hierdurch wird vermieden, dass Kinder irrelevante Assoziationen mit Zahlen verbinden, wie dies insbesondere dann geschehen kann, wenn Zahlen bewusst durch Fantasiegestalten repräsentiert werden (z. B. wenn die Zahl 2 – aufgrund der gebogenen Halsform – durch einen Schwan repräsentiert werden soll). Letzteres kann gerade bei rechenschwachen Kindern den Aufbau eines Zahlverständnisses systematisch erschweren. Denn die quantitativ

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