Beratung, Intervention, Supervision PDF
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Mara Gerich Simone Bruder Silke Hertel Tina Hascher Bernhard Schmitz
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This document discusses the concepts of counseling, intervention, and supervision in pedagogical contexts. It outlines the relevance, definitions, and application of these approaches in various educational settings. The document details the phases of the counseling process, highlighting the role of the counselor in facilitating problem-solving and skill development.
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© Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:38 20 Beratung, Intervention, Supervision Mara Gerich Simone Bruder Silke Hertel Tina Hascher Bernhard Schmitz 20.1 Beratung 20.1.1 Relevanz in pädagogischen Handlungsfeldern 20.1.2 Begriffsbestimmung...
© Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:38 20 Beratung, Intervention, Supervision Mara Gerich Simone Bruder Silke Hertel Tina Hascher Bernhard Schmitz 20.1 Beratung 20.1.1 Relevanz in pädagogischen Handlungsfeldern 20.1.2 Begriffsbestimmung und theoretischer Hintergrund 20.1.3 Anwendungsfelder im pädagogischen Bereich 20.2 Intervention 20.2.1 Relevanz und Ansatzpunkte in pädagogischen Handlungsfeldern 20.2.2 Begriffsbestimmung, Aspekte und Evaluation 20.2.3 Anwendungsfelder im pädagogischen Bereich 20.3 Supervision 20.3.1 Relevanz in pädagogischen Handlungsfeldern 20.3.2 Begriffsbestimmung und theoretischer Hintergrund 20.3.3 Formen der Supervision 20.3.4 Anwendungsfelder im pädagogischen Bereich Frau M. ist 30 Jahre alt und seit zwei Jahren als Lehrerin an einem Gymnasium beschäftigt. Sie unterrichtet die Fächer Deutsch und Geschichte. Ihren Beruf mag sie sehr gerne und bisher hatte sie noch nie Schwierigkeiten mit ihren Klassen. Sie fühlt sich an ihrer Schule auch sehr wohl und hat eine unterstützende und engagierte Schulleiterin. Am liebsten unterrichtet Frau M. in den höheren Klassenstufen, aufgrund des längeren Ausfalls einer Kollegin musste sie aber die Leitung einer 6. Klasse übernehmen. Sie ist nun erst seit zwei Wochen in der neuen Klasse, aber mit den Nerven schon völlig am Ende. Die Klasse zeigt sich ihr gegenüber wenig respektvoll, im Unterricht ist es extrem laut und auch unter den Schülern scheint es große Schwierigkeiten zu geben; Frau M. hat mitbekommen, dass mindestens zwei Schüler aus der Klasse gemobbt werden. Nachdem Frau M. mit ihrer Schulleiterin darüber gesprochen hat, ist diese bereit, sie zu unterstützen. Sie wusste auch von der letzten Klassenlehrerin, dass diese Klasse nicht einfach zu führen ist. Die Schulleiterin stellt Frau M. verschiedene Möglichkeiten vor: Frau M. könnte sich von der zuständigen Schulpsychologin beraten lassen, wie sie mit der Situation umgehen soll und welche Schritte sie als Erstes unternehmen könnte. Oder sie könnte die Situation mit einem Supervisor ausführlich besprechen und gemeinsam Lösungen erarbeiten. Außerdem schlägt die Schulleiterin Frau M. vor, an einer Fortbildung (Intervention) zum Klassenmanagement teilzunehmen, weil sie weiß, dass dies ein zentrales Thema ist und häufig in der pädagogischen Ausbildung zu kurz kommt. Auch eine Kombination der verschiedenen Maßnahmen wäre für die Schulleiterin denkbar. Frau M. ist sehr zufrieden mit den Angeboten der Schulleiterin und entscheidet sich, zunächst als schnellste Lösung die Schulpsychologin zu konsultieren und sich dann supervidieren zu lassen. Eine passende Fortbildung hat sie auf die Schnelle leider nicht gefunden, sich aber fest vorgenommen, sich innerhalb des nächsten Jahres für Fortbildungen zu den Themen Klassenmanagement und Mobbing anzumelden. Wie das Fallbeispiel zeigt, gibt es allein im schulischen Bereich eine Vielzahl von Belastungen und schwierigen Situationen, mit denen Lehrkräfte im Schulalltag umgehen müssen. Wie auch in anderen pädagogischen Ar- beitsfeldern treten immer wieder schwierige Situationen mit Kindern, Eltern und Kollegen auf. Beratung, Intervention und Supervision bieten aber nicht nur Möglichkeiten der Unterstützung der im pädagogischen Bereich 20 Beratung, Intervention, Supervision 517 © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:38 tätigen Personen, sondern werden insbesondere von diesen selbst im Zusammenhang mit der Gestaltung von Entwicklungs-, Bildungs- und Bewältigungsprozessen verschiedenster Personengruppen angeboten. Wie genau Beratung, Intervention und Supervision unterstützend eingesetzt werden können, was sie gemeinsam haben und was sie unterscheidet, wird in diesem Kapitel geschildert. 20.1 Beratung 20.1.1 Relevanz in pädagogischen Handlungsfeldern Die zunehmende Komplexität unserer Gesellschaft und der beruflichen Tätigkeitsfelder erfordert vom Einzelnen ein hohes Maß an Orientierungs-, Umstellungsund Lernfähigkeit, aber auch die Fähigkeit zur Lösung von Konflikten oder zur Bewältigung ungewohnter Aufgaben und Schwierigkeiten. In vielen Situationen fühlen sich Handelnde überfordert und bedürfen der Unterstützung von außen, z. B. durch eine fachkundige Beratung. Tatsächlich gewinnt derzeit die professionelle Beratung in vielen Handlungsfeldern zunehmend an Bedeutung. Sie stellt heute eines der am besten entwickelten und vielfältigsten professionellen Hilfsangebote dar und hat sich besonders in pädagogischen und psychologischen Arbeitsfeldern etabliert. In pädagogischen Kontexten wird Beratung als ein zentraler Handlungsbereich verstanden, der sich in den letzten Jahren zu einem breiten Praxisfeld entwickelt hat. Auf der Grundlage unterschiedlicher theoretischer Ansätze und Konzepte kommt sie in verschiedenen pädagogischen Bereichen, wie z. B. der Schule, der Ausund Weiterbildung oder der Erziehungsberatung, zur Anwendung. Das generelle Ziel pädagogisch-psychologischer Beratung ist die Erarbeitung von Lösungen für spezifische Problemfälle und das Aufdecken individueller Ressourcen im Zusammenhang mit Erziehung, Unterricht und Ausbildung. In den Bereichen Schule, Ausbildung und Hochschule geht es häufig um die Optimierung von Lehr-Lern-Prozessen. 20 518 20 Beratung, Intervention, Supervision 20.1.2 Begriffsbestimmung und theoretischer Hintergrund Definition der professionellen Beratung Im alltäglichen Sprachgebrauch bezeichnet man mit Beratung die Hilfe und Unterstützung bei der Bewältigung persönlicher Probleme. Professionelle Beratung geht jedoch über das Ratgeben oder Sich-Beraten hinaus. Sie kann als eine Sonderform der sozialen Interaktion aufgefasst werden, die im Gegensatz zur Alltagsberatung planvoll und von einem fachkundigen und methodisch geschulten Berater durchgeführt wird und die auf einer beidseitigen Verbindlichkeit, Verantwortung sowie auf einem beidseitigen Vertrauensverhältnis beruht. Definition Beratung ist eine zumeist kurzfristige soziale Interaktion zwischen Ratsuchenden und Beratenden, bei der dem Ratsuchenden Unterstützung zur Bewältigung seines Problems angeboten wird. Sowohl bei lebenspraktischen Fragen als auch in psychosozialen Krisen erarbeiten Ratsuchende und Beratende gemeinsam kognitive, emotionale und praktische Problemlösungen. Beratung wird dabei als Hilfe zur Selbsthilfe verstanden, bei der ein professioneller Berater eine kooperative und vertrauensvolle Beziehung zu einem (Individualberatung) oder mehreren Klienten (Gruppenberatung, Systemberatung) eingeht und den Beratungsprozess planvoll und zielgerichtet gestaltet. Hierbei unterstützt er die Eigenbemühungen des Ratsuchenden bei der Verbesserung seiner Fähigkeiten zur Bewältigung eines anstehenden Problems unter Berücksichtigung der individuellen Eigenschaften des Klienten, dessen aktuellen und potenziellen Kompetenzen und dessen Lebenssituation. In Anlehnung an Honal und Schlegel (2002) können folgende vier Aspekte als grundlegende Charakteristika professioneller Beratung aufgefasst werden (s. Übersicht). © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:38 Übersicht Kennzeichen professioneller Beratung Freiwilligkeit: Der Klient wählt den Berater eigenständig aus und entscheidet über Beginn, Beendigung oder Fortführung des Beratungsprozesses. " Vertraulichkeit: Das Vertrauensverhältnis und die Vertraulichkeit der Informationen und Angaben im Beratungsgespräch sind wichtige Voraussetzungen für den Erfolg der Beratung. Nur wenn ein stabiles Vertrauensverhältnis besteht, kann der Berater alle " Beratung als (Problemlöse-)Prozess Da professionelle Beratung auf die Lösung umschriebener, subjektiv bedeutsamer Probleme von Individuen, Gruppen oder Institutionen hinarbeitet, kann der Beratungsprozess auch als Problemlöseprozess aufgefasst werden. Das Problem stellt dabei im Allgemeinen eine von dem oder den Ratsuchenden wahrgenommene Diskrepanz zwischen einem unerwünschten Ist-Zustand und einem anzustrebenden Soll-Zustand dar, welche im Verlauf des Beratungsprozesses verringert oder überwunden werden soll. " " für den Beratungsprozess wichtigen Informationen seitens des Klienten erhalten. Wissenschaftliche Fundierung: Der Berater gestaltet den Beratungsprozess mithilfe wissenschaftlicher Theorien und Methoden und unterstützt damit einen erfolgreichen Verlauf der Beratung. Unabhängigkeit: Der Beratungsprozess findet möglichst unabhängig von externen Einflüssen statt. Der Beratungsprozess kann als eine Sequenz aufeinanderfolgender Phasen oder Ablaufschritte dargestellt werden (vgl. Abb. 20.1), die jedoch nicht als starre und lineare Abfolge, sondern vielmehr als Phasen eng miteinander vernetzter Rückkopplungsschleifen zu verstehen sind. Zur Bewältigung der im Verlauf einer Beratung anstehenden Aufgaben stehen dem Berater jeweils eine Vielzahl an Strategien und Methoden zur Verfügung. Durch deren gezielte Anwendung versucht der Berater das jeweilige Problem genauer zu analysieren, die Zielvorstellungen des Ratsuchenden zu klären und Orientierungsphase 1. Gesprächseröffnung, Kontakt und Einstieg (Gestaltung der Erstbegegnung, Aufbau einer vertrauensvollen Arbeitsbeziehung) 2. Bestimmung des Problems oder der Ausgangssituation 3. Festlegung von Beratungszielen Klärungs- und Veränderungsphase 4. 5. 6. 7. diagnostische Analyse (Sammeln von Informationen, Eingrenzung auf spezielle Fragestellungen oder Probleme) Entwicklung und Bewertung von Lösungsalternativen; Informationsvermittlung Entscheidung für eine/mehrere Handlungsalternative/-n und Planung ihrer Umsetzung Umsetzung der gewählten Lösungsstrategie/-n Bewertungs- und Abschlussphase 8. Evaluation der Wirkung der gewählten Lösungsstrategie/-n und möglicher Veränderungen 9. ggf. Modifikation der Beratungsziele und Lösungsstrategien Abbildung 20.1 Phasenverlauf des Beratungsprozesses 20.1 Beratung 519 © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:38 ggf. die für ihn realisierbaren Handlungsalternativen zu erweitern, um so dessen Kompetenzen zur eigenständigen Bewältigung seines Problems zu stärken. Zielsetzung von Beratung Neben der Bewältigung von Problemsituationen besteht das Ziel professioneller Beratung auch in der Prävention antizipierter Problemzustände unter optimaler Ausschöpfung vorhandener Potenziale. Dies soll durch die Verbesserung der Bewältigungskompetenz, der Selbsthilfebereitschaft und Selbststeuerungsfähigkeit des Klienten erreicht werden. Das heißt, Beratung versteht sich stets als Hilfe zur Selbsthilfe. Durch die Anregung aktiver Lernprozesse sollen Kompetenzen für eine erfolgreichere Auseinandersetzung mit Problemen und Schwierigkeiten erworben werden. Dies betrifft auch die Fähigkeit, selbstständig Entscheidungen zu treffen und bestimmte Vorhaben zielorientiert zu realisieren. Um dies zu erreichen, kann der Berater für die Problemlösung oder Entscheidung wichtige Aspekte erfragen und/oder allgemeine Voraussetzungen herbeiführen, welche den Klienten bei der Lösung seines Problems unterstützen. Dies geschieht in der Regel durch die Vermittlung neuer Informationen und/oder durch die Analyse, Neustrukturierung und Neubewertung vorhandener Informationen (Schwarzer & Posse, 2005). Im pädagogischen Kontext liegt der Fokus von Beratung insbesondere auf der Optimierung der Entwicklungsprozesse von Lernenden (Brem-Gräser, 1993). Übersicht Abgrenzung von Beratung zur Psychotherapie Viele der im pädagogischen Bereich eingesetzten Beratungsansätze und -techniken haben ihren Ursprung in der Psychotherapie. Das ist einer der Gründe, warum die beiden Interventionsformen nur schwer voneinander abzugrenzen sind. Wesentliche Unterschiede bestehen in der Regel jedoch in den folgenden Merkmalen: " Dauer der Intervention: Beratung erstreckt sich in der Regel über einen kürzeren Zeitraum als Therapie bzw. beinhaltet weniger Sitzungen. " Schwere des Problems: Therapie setzt meist an Störungen mit Krankheitswert an, während in der Theoretische Ansätze der Beratung In der Literatur findet sich eine Vielzahl von Beratungsansätzen, die in der Praxis nicht unbedingt konkurrierend nebeneinander stehen. Besonders in den letzten Jahren gibt es immer mehr Versuche einer integrativen Beratung, bei der sich die einzelnen Ansätze und Techniken je nach Art der Problemstellung in ihrer Anwendung gegenseitig ergänzen (Rausch, Hinz & Wagner, 2008). Klientenzentrierte Beratung. Grundlage dieses Beratungskonzepts bildet die klientenzentrierte Gesprächs- 20 520 20 Beratung, Intervention, Supervision " " Beratung hauptsächlich nicht-pathologische Problemfälle thematisiert werden. Grad der aktiven Einflussnahme: Im Gegensatz zu einer professionellen Therapie, deren Verlauf von einem Therapeuten geplant und kontrolliert wird, erhält ein Klient von einem Berater in der Regel nur Anregungen für eine Veränderung des Verhaltens. Bei der Beratung steht die Selbststeuerungsfähigkeit des Klienten stärker im Vordergrund. Einbezug des Unbewussten: Beratung verzichtet auf die Thematisierung unbewusster Elemente des psychischen Geschehens, die in der klassischen Psychotherapie oft eine wichtige Rolle spielen. therapie nach Rogers (1973). Ein wesentliches Kennzeichen dieses Konzepts ist die starke Fokussierung des Beratungsprozesses auf die Individualität des Ratsuchenden. Sie gilt als besonders geeignet, um dem Ratsuchenden mehr Vertrauen in die eigenen Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten zu vermitteln (Weinberger, 2011). Das Verhalten des Beraters gegenüber dem Klienten orientiert sich an bestimmten allgemeinen Prinzipien, welche nach Rogers grundlegende Bedingungen für ein wachstumsförderliches Interaktionsklima im Beratungsprozess darstellen. © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:38 Übersicht Grundhaltungen des klientenzentrierten Beraters Einfühlsames Verstehen: die Fähigkeit und Bereitschaft des Beraters, sich in den Klienten hineinzuversetzen, um so dessen Erlebnisse und Gefühle nachvollziehen zu können, dabei jedoch auch eine kritische Distanz zu bewahren. Neben den verbalen Aussagen des Klienten sollte der Berater auch die nonverbalen Äußerungsformen von Gedanken und Gefühlen berücksichtigen und die von ihm wahrgenommenen emotionalen Erlebnisinhalte des Klienten an diesen zurückmelden. " Verhaltensbezogene Beratung. Die an klassischen lernund verhaltenstheoretischen Ansätzen orientierte Beratung basiert auf der Annahme, dass (fast) alle Verhaltensweisen – auch fehlangepasste – im Laufe der Zeit erlernt und deshalb auch wieder umge- bzw. verlernt werden können (vgl. Abschn. 6.4). Hierzu wird das spezifische Problemverhalten im Rahmen einer differenzierten Verhaltensanalyse zunächst genau untersucht. Dabei steht insbesondere der Zusammenhang zwischen Verhalten und den situationsspezifischen Kontextbedingungen – also die einem beobachtbaren Verhalten vorausgehenden und nachfolgenden Ereignisse – im Fokus. Um das Problemverhalten in erwünschter Weise zu modifizieren, empfiehlt der Berater die Anwendung von Strategien und Handlungsmustern, die sich auch im verhaltenstherapeutischen Kontext bewährt haben, wie z. B. Techniken der Handlungskontrolle durch gezielt eingesetzte Formen der Verstärkung oder Bestrafung, systematische Desensibilisierung oder andere erprobte Maßnahmen der Verhaltensänderung (Margraf & Schneider, 2009). Seit der »kognitiven Wende« in den 1960er-Jahren (vgl. Abschn. 2.2.6 und 7.1) werden in der verhaltensbezogenen Beratung auch kognitive Aspekte berücksichtigt, wie die subjektive Bewertung äußerer Ereignisse und die damit einhergehenden Gedanken und Gefühle sowie die Planung, Bewertung und Überprüfung des eigenen Handelns durch den Ratsuchenden (Hautzinger, 2011). Verhaltensbezogene Beratungsansätze werden z. B. in der Sozialarbeit, im Elterntraining sowie im schulischen und erwachsenenpädagogischen Bereich eingesetzt. Systemische Beratung. Die systemische Beratung geht davon aus, dass das Problemverhalten eines Individuums weniger durch innerpsychische Prozesse als viel- " " Wertschätzung: die grundlegend positive Einstellung des Beraters gegenüber seinen Klienten; er soll sie in ihrer individuellen Erlebniswelt vorbehaltlos und vorurteilsfrei annehmen. Echtheit: die Unverfälschtheit und Transparenz des Beraterverhaltens gegenüber dem Klienten sowie seine Fähigkeit, sich seiner selbst und seiner Gefühle so weit wie möglich bewusst zu sein. mehr durch Störungen im sozialen Gefüge der betreffenden Person hervorgerufen und aufrechterhalten wird. Das individuelle Problemverhalten erweist sich aus dieser Sicht als Symptom für Störungen im sozialen Netzwerk und betrifft damit auch alle anderen Mitglieder der Gruppe. Bei einer systemischen Beratung werden nicht allein die Verhaltensmuster des primären »Symptomträgers«, sondern insbesondere die Kommunikation innerhalb des sozialen Systems und der Umgang der Mitglieder untereinander betrachtet. Die Beratung zielt sowohl auf Veränderungen der Person als auch auf Veränderungen ihres sozialen Lebensraumes ab. Dabei geht es v. a. um die Identifizierung und Förderung der Ressourcen und Kompetenzen des Ratsuchenden und seines sozialen Systems. Die systemischen Ansätze werden derzeit v. a. in der Familienberatung, aber auch in der Organisations- und Einzelberatung eingesetzt (Barthelmess, 2005). Lösungsorientierte Beratung. Ein weiteres Konzept ist der auf De Shazer (1985) und Berg (1993) zurückgehende lösungsorientierte Ansatz, der sich aus der systemischen Beratung entwickelt hat. Im Vergleich zu klassischen Ansätzen werden Probleme und Konflikte nicht vertieft auf ihre Ursachen hin untersucht; vielmehr wird der Fokus der Beratung auf die Entwicklung möglichst rasch realisierbarer Lösungen gelegt. Zudem findet die lösungsorientierte Beratung meist in Form einer Kurzzeitberatung (mit nur einem oder wenigen Terminen) statt, in der häufig nur Anregungen und Anstöße gegeben werden für die eigentlichen Veränderungsprozesse, die sich im Alltag des Ratsuchenden vollziehen müssen. Ratsuchende werden im Rahmen dieses Beratungskonzepts aufgefordert, sich gleich zu Beginn selbst aktiv an der Lösungsfindung zu beteiligen. 20.1 Beratung 521 © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:38 Kompetenzen des Beraters Unabhängig von der Orientierung an spezifischen Beratungsansätzen lassen sich allgemeine Kompetenzen eines professionellen Beraters benennen, die generell für einen erfolgreichen Beratungsverlauf erforderlich sind. Die meisten Konzepte zur Aufschlüsselung der verschiedenen Komponenten der Beratungskompetenz integrieren inhaltliches Wissen und (praktische) Handlungskompetenzen (vgl. Honal & Schlegel, 2002). Schwarzer und Buchwald (2006) weisen darauf hin, dass ein kompetenter Berater auch personale Ressourcen benötigt, die eine reflektierte Auseinandersetzung mit dem eigenen professionellen Beraterhandeln erlauben. Trotz der Vielzahl unterschiedlicher Ansätze zur Beschreibung der Beratungskompetenz besteht weitgehend Konsens über die Relevanz der im Folgenden dargestellten Kompetenzbereiche eines professionellen Beraters (vgl. Abb. 20.2). Fachwissen Gesprächsführungskompetenz soziale Kompetenz Kompetenzen des Beraters diagnostische Kompetenz Prozesskompetenz Abbildung 20.2 Allgemeine Kompetenzen des Beraters Fachwissen. Um ihre Funktion adäquat wahrnehmen zu können, benötigen professionelle Berater ein hinreichend differenziertes und wissenschaftlich fundiertes pädagogisch-psychologisches Fachwissen, das dem Beratungsprozess zugrunde liegt. Diese professionelle Wissensbasis setzt sich zusammen aus Theorien, Modellen und empi- 20 522 20 Beratung, Intervention, Supervision risch gesicherten Erkenntnissen zur Beschreibung, Erklärung und Modifikation problematischer Phänomene. Da Beratung immer unter bestimmten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen stattfindet, benötigt der Berater je nach Beratungsanlass außerdem Wissen über die aktuelle Gesetzeslage (z. B. Schulpflichtgesetz, Sozialgesetzgebung) oder andere Rahmenbedingungen in der Lebenswelt der Klienten, die für deren Probleme bedeutsam sein können, wie z. B. die Beschäftigungslage oder die speziellen Lern- und Arbeitsbedingungen in einem bestimmten pädagogischen Setting. Soziale Kompetenz. Eine zentrale Komponente ist die Fähigkeit, eine vertrauensvolle und offene Beziehung und Atmosphäre aufzubauen, die es dem Ratsuchenden erleichtert, sich zu öffnen und auch persönlich belastende Sachverhalte zur Sprache zu bringen. Hierzu ist ein hohes Maß an Einfühlung und Akzeptanz gegenüber dem Klienten, soziales Fingerspitzengefühl und kommunikative Sensibilität für verbale sowie nonverbale Signale notwendig. In diesem Zusammenhang besitzen die von Rogers (1973) hervorgehobenen Merkmale eines positiven persönlichen Interaktionsstils im Rahmen einer klientenzentrierten Beratung (s. o.) einen besonderen Stellenwert. Prozesskompetenz. Damit ist gemeint, dass der Berater in der Lage sein muss, den Ablauf der Beratung angemessen zu steuern. So ist es z. B. erforderlich, den Beratungsprozess sinnvoll zu strukturieren, die notwendigen Schritte zu identifizieren und in eine adäquate Reihenfolge mit richtigem zeitlichen Verhältnis zueinander zu bringen. Hierbei sind seine Kompetenzen zur Beschreibung und Analyse von Problemsituationen, zur Identifizierung und Reflexion von Zielen, zur Suche nach alternativen Lösungswegen, zur Planung ihrer Umsetzung, zur Steuerung der Durchführung und zur Überprüfung ihrer Wirkung von Bedeutung. Dies erfordert kognitive Flexibilität und Sensibilität sowie die Fähigkeit, die vom Ratsuchenden vermittelten Informationen in ein Gesamtbild einzuordnen. Diagnostische Kompetenz. Der professionelle Berater sollte weiterhin über hinreichende diagnostische Kompetenzen verfügen, um je nach Beratungsanlass die Situation oder die Problematik des Ratsuchenden richtig erfassen und verstehen zu können. Dazu ist u. U. auch der Einsatz spezieller diagnostischer Instrumente und Strategien erforderlich, mit denen der Berater hinreichend vertraut sein muss (vgl. Abschn. 19.1). Neben einer Analyse der »inneren Welt« zielt die Diagnostik auch auf die © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:38 Identifikation der auslösenden Faktoren von Problemen oder die Einschätzung vorhandener Ressourcen des Ratsuchenden einschließlich seines sozialen Netzwerks. Eine sorgfältige Diagnose ist Voraussetzung für die Präzisierung des Problems und der Beratungsziele. Sie bildet auch die Grundlage für die Entscheidungen des Beraters, welche Beratungsstrategien, -techniken und -methoden im Beratungsprozess anzuwenden sind und welche pädagogischen Interventionen ggf. infrage kommen. Zur diagnostischen Kompetenz gehört nicht nur die fachgerechte Auswahl und Verwendung geeigneter diagnostischer Strategien und Methoden (wie Interviews, Fragebögen, Tests u. Ä.), sondern ebenso die Fähigkeit, auf der Basis dieser Daten und dem im Verlauf der Beratung gewonnen Gesamteindruck handlungsrelevante Hypothesen zu entwickeln. Gesprächsführungskompetenz. Um ein Beratungsgespräch zielführend gestalten zu können, benötigt man außerdem spezielle Kompetenzen der Gesprächsführung. Zu diesen zählt z. B. die Fähigkeit, durch gezielte Fragen die jeweils vorliegende Problematik möglichst exakt herauszuarbeiten oder die Erwartungen der am Beratungsprozess beteiligten Personen sowie das Ziel der Beratung zu klären. Darüber hinaus sollte der professionelle Berater über Fertigkeiten zur optimalen Strukturierung von Gesprächen verfügen sowie verschiedene Gesprächstechniken beherrschen und variabel einsetzen können. Unter der Lupe Gesprächstechniken Zwei grundlegende Techniken, die zu den Basisfertigkeiten professioneller Berater zählen, stellen das Paraphrasieren und das aktive Zuhören dar. Ihre Anwendung kann dem Berater dabei helfen, dem Ratsuchenden Wertschätzung zu vermitteln, diesem zu zeigen, dass er das Gespräch interessiert und aufmerksam verfolgt und dass er bereit ist, sich in die Perspektive seines Klienten hineinzuversetzen. Paraphrasieren. Beim Paraphrasieren spiegelt der Berater die sachlichen Aussagen des Klienten in seinen eigenen Worten wider. So signalisiert er dem Ratsuchenden, dass er das Wesentliche der Aussage erfasst hat und gibt ihm gleichzeitig die Möglichkeit, sich mit seinen angesprochenen Anliegen und Problemen auseinanderzusetzen und die paraphrasierten Inhalte im weiteren Gesprächsverlauf zu konkretisieren. Weiterhin kann der Berater durch den Einsatz dieser Technik überprüfen, ob er das vom Klienten Gesagte richtig verstanden hat, und somit Missverständnisse im Beratungsprozess frühzeitig vermeiden oder ausräumen. Dabei wiederholt der Berater nicht nur die Worte des Klienten, sondern bringt durch die Zusammenfassung und Schwerpunktsetzung des Gesagten in seinen eige- nen Worten die Problembearbeitung voran. Mögliche Einstiegsformulierungen für das Paraphrasieren sind z. B.: »Wenn ich Sie richtig verstehe, meinen Sie …«, »Ihnen ist also wichtig, dass …«. Aktives Zuhören. Es ist wichtig, dass der Berater nicht nur auf den sachlichen Inhalt der Äußerungen des Ratsuchenden achtet, sondern ebenso die begleitenden emotionalen Anteile des Gesagten wahrnimmt und diese dem Klienten ggf. widerspiegelt. Denn Gefühle, Hoffnungen, latente Wünsche und dergleichen werden oft nicht direkt vom Klienten formuliert, schwingen aber in fast jeder Äußerung mit. Der Berater denkt und fühlt sich in den Ratsuchenden hinein und zeigt ihm durch aktives Zuhören, dass er die Gefühle, die mit dessen Äußerungen verknüpft sind, erfasst hat. Auf diese Weise wird einerseits der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zwischen Berater und Ratsuchendem unterstützt und andererseits – ähnlich dem Paraphrasieren – eine Konkretisierung und ggf. Korrektur der angesprochenen gefühlsmäßigen Anteile erzielt. Typische Einstiegsformulierungen für das Aktive Zuhören lauten z. B.: »Sie sind verärgert, weil …«, »Sie hoffen nun, dass …«. Forschungsansätze zur Beratungskompetenz Die in Abbildung 20.2 genannten allgemeinen Kompetenzen des Beraters sind aus theoretischen Überlegungen hervorgegangen. Ob diese Klassifikation auch einer empirischen Überprüfung standhält, wurde bislang kaum untersucht. Erste Ansätze zur Entwicklung empirisch überprüfter Modelle der Beratungskompetenz von Lehrkräften bei der Lernberatung – einem der zentralsten Beratungsfelder von Lehrkräften – finden sich z. B. bei Hertel (2009), Bruder, Keller, Klug und Schmitz (2011) sowie Gerich, Bruder, Hertel, Trittel und Schmitz (submitted). 20.1 Beratung 523 © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:38 Studie Beratungskompetenz von Lehrkräften Das Ziel der Studie von Gerich et al. (submitted) bestand in der Identifikation der wichtigsten Komponenten der Beratungskompetenz von Lehrkräften und ihrer anschließenden Zuordnung zu übergeordneten Kompetenzbereichen in einem Kompetenzmodell. In einem ersten Schritt wurde anhand von Vorarbeiten von Hertel (2009) und Bruder et al. (2011) sowie auf der Grundlage der aktuellen Literatur zum Thema Beratung ein Modell mit vier zentralen Kompetenzbereichen bzw. Dimensionen theoretisch formuliert und anschließend im Rahmen einer Querschnittsuntersuchung (s. Abschn. 4.3.1) mit Lehrkräften der Primarund Sekundarstufe empirisch überprüft. In einer schriftlichen Befragung bearbeiteten die teilnehmenden Lehrkräfte hierzu ein handlungsnahes Fallszenario, das sich aus einem Fallbeispiel einer Schülerin mit Lernschwierigkeiten sowie verschiedenen offenen Fragen zur Durchführung eines Beratungsgesprächs mit deren Mutter zusammensetzte. Auf der Grundlage dieser Daten konnte mittels konfirmatorischer Faktorenanalysen (s. Abschn. 4.5.1) das postulierte vierdimensionale Modell bestätigt werden. Abbildung 20.3 zeigt die vier Kompetenzdimensionen mit ihren jeweils untergeordneten Teilkompetenzen. Im Vergleich zur Benennung allgemeiner Kompetenzbereiche von Beratern legt das Modell zum einen die Grundlage für die Entwicklung zielgruppenspezifischer Instrumente zur validen, reliablen und insbesondere differenzierten Messung der zentralen Beratungskompetenzen im Lehrberuf. Darüber hinaus liefert es konkrete inhaltliche Hinweise für die Konzeption und Evaluation von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen im Bereich der Beratung für (angehende) Lehrkräfte. Die detaillierte Aufgliederung der Beratungskompetenz in ihre einzelnen Teilbereiche ermöglicht dabei sowohl die Entwicklung von Programmen zur generellen Förderung der Beratungskompetenz als auch zur gezielten Entwicklung einzelner Teilkompetenzen. Beratungskompetenz Kommunikations-Skills ▶ Paraphrasieren ▶ aktives Zuhören ▶ Strukturierung Diagnostik-Skills ▶ Problemdefinition ▶ Ursachensuche ▶ Perspektivübernahme Problemlöse-Skills ▶ Strategieeinsatz ▶ Zielorientierung ▶ Lösungs- und Ressourcenorientierung ▶ kooperatives Handeln Bewältigungs-Skills ▶ Kritikfähigkeit ▶ Umgang mit schwierigen Situationen Abbildung 20.3 Modell der Beratungskompetenz von Lehrkräften in Bezug auf Lernberatung (Gerich et al., submitted) 20.1.3 Anwendungsfelder im pädagogischen Bereich Erziehungs- und Familienberatung Eines der wichtigsten Anwendungsfelder pädagogischer Beratung ist die Erziehungs- und Familienberatung. Sie zielt darauf ab, Erziehungsberechtigte in ihrer Erziehungsverantwortung zu unterstützen, um eine dem Wohl des Kindes oder Jugendlichen entsprechende Erziehung sicherzustellen (§ 27, SGB VIII, 1990). Nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz sollen Erziehungs- 20 524 20 Beratung, Intervention, Supervision und Familienberatungsstellen Kinder, Jugendliche, Eltern und andere Erziehungsberechtigte bei der Klärung und Bewältigung individueller und familienbezogener Probleme und der zugrunde liegenden Faktoren, bei der Lösung von Erziehungsfragen sowie bei Trennung und Scheidung unterstützen (§ 28, SGB VIII, 1990). Obwohl die Zahl der Kinder in Deutschland abnimmt, steigt die Inanspruchnahme von Erziehungs- und Familienberatung kontinuierlich an. Wurden 1993 noch insgesamt 197.955 (beendete) Beratungen registriert, waren es im Jahr 2006 bereits 310.561. Somit hat die Zahl der Bera- © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:38 tungen in diesem Zeitraum um 56,9 % zugenommen (Gerth & Menne, 2009). Die Fragestellungen, mit denen sich Ratsuchende an die Erziehungs- und Familienberatung wenden, sind sehr vielfältig und können sich sowohl auf akute Krisen als auch auf länger anhaltende Probleme beziehen. Typische Anlässe für die Inanspruchnahme von Beratung sind z. B. soziale Verhaltensauffälligkeiten (Aggressivität, Geschwisterrivalität), Probleme im Schul- und Leistungsbereich (Leistungsversagen, Schulschwänzen), Schwierigkeiten in der familiären Interaktion (Gesprächsverweigerung, Ablösung vom Elternhaus) oder psychosomatische Auffälligkeiten (Einnässen, Ess- und Sprachstörungen). Tabelle 20.1 gibt einen Überblick über die häufigsten Beratungsanlässe in der Erziehungsund Familienberatung. Die im Bereich der Erziehungs- und Familienberatung beschäftigten Berufsgruppen sind z. T. sehr unterschiedlich ausgebildet. Neben Psychologen und (Sozial-)Pädagogen führen auch Ärzte, Psychotherapeuten und gelegentlich auch Geistliche oder Vertreterinnen von Frauenverbänden die Beratungen durch. Auch die Art der Beratungsziele variiert sehr stark: Viele Ratsuchende begnügen sich mit einer rein informatorischen Beratung; andere möchten mithilfe intensiver Beratungsgespräche schwerwiegende Probleme lösen. Eine wichtige Aufgabe ist oft die psychodiagnostische Abklärung einer möglichen Störung, die einer professionellen Intervention (z. B. Therapie) bedarf. In Kapitel 19 wird dies exemplarisch anhand der Diagnose einer Lese-Rechtschreib-Schwäche (LRS) erläutert (Fallbeispiel »Karl«). Beratung in der Schule Sowohl auf Schüler-, Eltern- und Lehrerseite als auch aufseiten der Schule als Organisation ist in den letzten Jahrzehnten ein stetig steigender Beratungsbedarf festzustellen. Mögliche Gründe dafür sind die sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (vgl. Abschn. 13.2) und Familienkonstellationen (vgl. Abschn. 14.2), bildungspolitische Reformen sowie die starke Ausdifferenzierung der bestehenden Bildungsangebote und der damit verbundenen Notwendigkeit, individuelle Entscheidungen über mögliche Bildungswege bzw. Schullaufbahnen für jeden einzelnen Schüler zu treffen. Die von Lehrkräften, Beratungslehrern oder Schulpsychologischen Diensten praktizierten Formen schulischer Beratung und Unterstützung erfüllen unterschiedliche Funktionen: Sie unterstützen z. B. Schüler Tabelle 20.1 Anzahl beendeter Beratungen im Jahr 2006 nach Geschlecht und Anlässen der Beratung (Statistisches Bundesamt, 2007) Beratungsanlässe Männlich Weiblich Insgesamt Beziehungsprobleme 67.030 57.487 124.517 Entwicklungsauffälligkeiten 48.173 30.724 78.897 Schul-/Ausbildungsprobleme 50.670 26.682 77.352 Trennung/Scheidung der Eltern 39.315 34.782 74.097 Sonstige Probleme in und mit der Familie 32.295 31.157 63.452 Anzeichen für sexuellen Missbrauch 2.344 6.983 9.327 Suchtprobleme 3.872 2.101 5.973 Straftat des Jugendlichen/jungen Volljährigen 3.963 1.097 5.060 Anzeichen für Misshandlung 2.228 2.752 4.980 Wohnungsprobleme 1.163 1.300 2.463 173.780 136.781 310.561 Insgesamt Anmerkung: Für jeden jungen Menschen konnten bis zu zwei Anlässe der Beratung angegeben werden. 20.1 Beratung 525 © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:38 Tabelle 20.2 Beratungsanlässe in der Schule Themen Beratung von Schülern und Eltern Lernberatung Lernstrategien, Gestaltung der häuslichen Lernumgebung, Unterstützung beim Lernen durch die Eltern, spezifische Teilleistungsschwächen (z. B. LRS, Dyskalkulie) Lehrkräfte, Beratungslehrer, Berufsberater Einschulung, Versetzung, Kurswahl, Übergangsentscheidungen, Praktika, Studien- und Berufswahl Beratung bei psychosozialen und Suchtproblematiken; Erziehungsberatung Beratung von Lehrkräften Beratung in fachlichen Fragen Lehrkräfte, Beratungslehrer, Schul- und Prüfungsangst, Verhaltensauffälligkeiten, Mobbing, persönliche/familiäre Probleme, externe Beratungsdienste Suchtproblematiken Unterrichtsplanung und -gestaltung, Nutzung neuer Medien, Disziplinprobleme Lehrkräfte, Beratungslehrer, Schulpsychologen, Supervisoren Beratung bei persönlichen Problemen Burn-out, Depressionen, Lehrerangst, soziale Probleme im Lehrerkollegium Schulpsychologen, Beratungslehrer, Supervisoren, externe Beratungsdienste Organisationsentwicklung Verbesserung des Lehrangebots, Umsetzung von Bildungsstandards, Entwicklung und Umsetzung innovativer Konzepte und deren Eltern bei der Entscheidung über eine angemessene Schullaufbahn oder geben Anregungen und Hinweise zur Verbesserung des Lernverhaltens im häuslichen Umfeld. Auf diese Weise trägt das Beratungsangebot auch zur Verbesserung der Bildungschancen sowie der individuellen Förderung von Schülern bei. Pädagogische Beratung im schulischen Kontext unterstützt auch die Zusammenarbeit von Schule und Elternhaus und ist oft eine Hilfestellung für Eltern bei allgemeinen Erziehungs- und Bildungsfragen (vgl. Abschn. 14.5). Bei psychologisch schwierigeren Problemen (z. B. Suchtproblematiken, Verhaltensauffälligkeiten) arbeiten Schulen mit externen Beratungsdiensten zusammen. Auch die kollegiale Beratung von Lehrkräften untereinander stellt ein wichtiges Beratungsfeld im schulischen Alltag dar. Sie dient der gegenseitigen 526 Lehrkräfte, Beratungslehrer, Schulpsychologen, externe Beratungsdienste (Schul-)Laufbahnberatung Beratung von Schulen und Schulleitungen Personalentwicklung Entwicklung und Umsetzung von Fortbildungsplänen 20 Beratende 20 Beratung, Intervention, Supervision Schulaufsicht, Schulpsychologen, Personalentwickler Schulaufsicht, Organisationsentwickler Unterstützung z. B. bei der Planung und Gestaltung von neuen Unterrichtsmethoden oder einzelner Unterrichtseinheiten, beim Umgang mit schwierigen Schülern aber auch bei der Bewältigung persönlicher Probleme der Lehrkräfte. Beratung unterstützt auch Schulen bzw. Schulleitungen bei der Verbesserung und Individualisierung des Lehrangebots, der Umsetzung von Bildungsreformen und der Entwicklung und Verwirklichung von Innovationen. Die Beratung von Schulen im Sinne einer Organisationsberatung geschieht dabei – im Gegensatz zur Beratung von Schülern, Eltern und Lehrkräften – in der Regel durch externe Berater, die nicht aus der eigenen Schule kommen (z. B. Schulaufsicht). Tabelle 20.2 gibt einen Überblick über Beratungsanlässe, Adressaten und beratend Tätige im schulischen Kontext. © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:38 Beratung in der Hochschule Beratung in der Hochschule kann nach ihren verschiedenen Adressaten in unterschiedliche Aufgabenbereiche unterteilt werden, welche je nach Anlass von verschiedenen Personen oder Institutionen (Allgemeine Studienberatung, Studienfachberatung, Lehrende, hochschuldidaktische Zentren, externe Berater) wahrgenommen werden. Den Bereich mit der größten Nachfrage stellt die Beratung von Studierenden dar. Laut der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks im Jahr 2009 bestand bei über 60 % der Studierenden ein Beratungs- und Informationsbedarf bei mindestens einem Themenbereich (Isserstedt, Middendorff, Kandulla, Borchert & Leszczensky, 2010). Im Vordergrund stehen dabei finanzielle Themen, studienbezogene Leistungsprobleme und private Probleme der Studierenden im Hinblick auf die eigene Persönlichkeitsentwicklung bzw. ihre sozialen Beziehungen (s. Abb. 20.4). Zwei weitere wichtige Bereiche stellen die Beratung von Lehrenden und der Hochschule als Institution dar. Tabelle 20.3 gibt einen Überblick über häufige Beratungsanlässe in diesen beiden Beratungsfeldern im Kontext der Hochschule. Finanzierungsbezogene Themen Finanzierung des Studiums 22 Krankenversicherung 19 Finanzierung eines studienbez. Auslandsaufenthalts 16 Vereinbarkeit von Studium und Erwerbstätigkeit 12 Vereinbarkeit von Studium und Kind Studium mit Behinderung/chronischer Krankheit 3 2 Studien(leistungs)bezogene Themen Arbeitsorganisation, Zeitmanagement 15 Zweifel, das Studium fortzuführen 13 Arbeits- und Konzentrationsschwierigkeiten 13 Prüfungsangst 13 Lern-/Leistungsprobleme 12 Studienabschlussprobleme 8 Probleme im persönlichen Umfeld Depressive Verstimmungen 13 Mangelndes Selbstwertgefühl 10 Partnerschaftsprobleme 7 Probleme im familiären Umfeld 7 Kontaktschwierigkeiten Probleme mit Alkohol oder anderen Drogen 4 2 Abbildung 20.4 Beratungs- und Informationsbedarf von Studierenden im Erststudium, in Prozent (Mehrfachnennungen möglich; Isserstedt et al., 2010) 20.1 Beratung 527 © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:38 Tabelle 20.3 Anlässe von Beratung der Lehrenden und der Institution Hochschule Beratung der Lehrenden Beratung zur Qualität der Lehre " Hochschuldidaktik: Verbesserung der Lehrkompetenzen der Dozenten " Unterstützung der Lehrenden in Form von Supervision bei der Reflexion ihrer Lehrpraxis Beratung bei psychosozialen Problemen " Konflikte mit Vorgesetzten oder Mitarbeitern, Mobbing " Depressionen, Burn-out Beratung der Institution Hochschule Beratung bei der Reformierung des Hochschulsystems " Einführung neuer Studiengänge und Studienabschlüsse " Festlegung von Eingangsbedingungen für bestimmte Studiengänge " Neuorganisierung des Lehrangebots durch Nutzung neuer Informations- und Kommunikationstechniken " Ermittlung und Einhaltung von Qualitätsstandards in der Lehre " Auswahl und Einsatz von Selektions- und Evaluationsinstrumenten Beratung in der Aus- und Weiterbildung Zwei der wichtigsten Beratungsfelder in diesem Kontext stellen die Berufsberatung sowie die berufliche Laufbahnberatung dar. Sie werden in Deutschland in der Regel durch die Bundesagentur für Arbeit und ihre Dienststellen angeboten, die laut Gesetz (§ 29, SGB III, 1997) den Auftrag haben, Jugendliche und Erwachsene vor Eintritt in das Berufsleben und während des Berufslebens in allen Fragen der Berufswahl und des beruflichen Fortkommens zu beraten. Wie in jedem Beratungsprozess geht es auch bei der Berufs- und Laufbahnberatung darum, Prozesse und Lösungsstrategien beim Ratsuchenden anzustoßen, die es ihm ermöglichen, autonom und reflektiert das zukünftige Berufs- und Arbeitsleben zu gestalten. Neben der Vermittlung von Informationen bezüglich verschiedener Berufs- und Studienmöglichkeiten bietet die Berufs- und Laufbahnberatung den Ratsuchenden Unterstützung bei der Realisierung eines selbstständigen Laufbahnmanagements. So werden im Rahmen des Beratungsprozesses individuelle Kompetenzen, Ziele und Wünsche des Klienten herausgearbeitet sowie die Verankerung der beruflichen Planung in seine persönliche Lebensplanung angestrebt. Im Bereich der Laufbahn- und Personalentwicklung kommen neben der Beratung häufig auch Coaching und Supervision (s. Abschn. 20.3.2) zur Anwendung (vgl. Sonntag, 1999). 20 528 20 Beratung, Intervention, Supervision Übersicht Themen der Berufsberatung Laut § 30, SGB III, 1997 befasst sich die Berufsberatung mit Fragen " zur Berufswahl, zur beruflichen Entwicklung und zum Berufswechsel, " zur Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes und der Berufe, " zu den Möglichkeiten der beruflichen Bildung, " zur Ausbildungs- und Arbeitsstellensuche, " zu Leistungen der Arbeitsförderung, " zu Möglichkeiten der Ausbildungsförderung und der schulischen Bildung, soweit sie für die Berufswahl und die berufliche Bildung von Bedeutung sind. 20.2 Intervention 20.2.1 Relevanz und Ansatzpunkte in pädagogischen Handlungsfeldern Relevanz und Zielsetzungen von Interventionen Das zielgerichtete Eingreifen in Entwicklungs- und Bildungsprozesse ist ein grundlegender Aspekt pädagogischen Handelns. Dies ist immer dann notwendig, wenn Entwicklungs- oder Bildungsprozesse ungünstig bzw. anders als erwartet verlaufen. Mithilfe von speziellen Maßnahmen sollen pädagogisch erwünschte Entwick- © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:38 lungen angeregt und Bildungsprozesse optimiert werden. Dies kann durch einen Abbau ungünstiger Verhaltensweisen oder durch einen Aufbau erwünschter Verhaltensmuster erfolgen; manchmal werden beide Änderungsrichtungen gleichzeitig verfolgt (Hager & Hasselhorn, 2000). Die gezielte Auswahl und Umsetzung von Maßnahmen zur Unterstützung günstiger Entwicklungs- und Bildungsprozesse kann unter dem Begriff »Intervention« zusammengefasst werden. Pädagogische Interventionen erfüllen mindestens drei wichtige Zwecke (s. Hascher & Schmitz, 2010): (1) Sie unterstützen erwünschte Entwicklungs- und Bildungsprozesse in der pädagogischen Praxis, (2) tragen zur Theorieentwicklung (z. B. im Bereich der Lehr- und Lernforschung) bei und (3) liefern empirisch basiertes Entscheidungswissen bei der Planung, Realisierung und Veränderung pädagogischer Maßnahmen (z. B. Einführung von Förderprogrammen). Ansatzpunkte von Interventionen Die psychologisch orientierten Interventionen können auf unterschiedlichen Ebenen pädagogischer Handlungsfelder angesiedelt sein (vgl. Abschn. 1.1.1). Sie können das Individuum betreffen und sich z. B. auf kognitive, motivationale und emotionale Aspekte der Lernprozesse der Person beziehen (Mikroebene). Außerdem können sie auf Veränderungen von Prozessen in Schulklassen, Schulen oder anderen (Bildungs-)Institutionen abzielen, z. B. durch die Einführung innovativer Unterrichtskonzepte oder die Umsetzung eines Beratungskonzepts an einer Schule (Mesoebene). Darüber hinaus können sich Interventionen auf Aspekte des Bildungssystems beziehen wie beispielsweise die Einführung von kompetenzorientiertem Unterricht oder die Umsetzung eines bundesweiten Bildungsmonitorings (Makroebene; vgl. Abschn. 19.2.1). 20.2.2 Begriffsbestimmung, Aspekte und Evaluation Definition von Intervention Der Begriff Intervention geht zurück auf das lateinische Verb »intervenire«, welches sich mit »dazwischentreten« oder »sich einschalten« übersetzen lässt. Bei einer Intervention in pädagogischen Kontexten kann es sich um eine einzelne Maßnahme handeln oder um ein Set von mehreren Maßnahmen. Die folgende Definition von Hager und Hasselhorn (2000, S. 41) nennt die wichtigsten Bestimmungsstücke einer Interventionsmaßnahme. Definition Unter Interventionsmaßnahmen verstehen wir jede Art von außengesteuerter, zielorientierter und systematischer Beeinflussung von Personen- und/oder Systemmerkmalen. Jede Interventionsmaßnahme besteht mindestens aus einer Menge zu bearbeitender Aufgaben bzw. Probleme und mindestens einer Handlungsstrategie (z. B. Instruktion, Training). Ein zentrales Unterscheidungsmerkmal von Interventionen gegenüber Beratung und Supervision ist die stärkere Außensteuerung. Bei professionellen Formen der Intervention werden die erforderlichen Maßnahmen von »außen«, d. h. von Fachleuten, geplant und umgesetzt. Beratung und Supervision hingegen erfolgen unter dem Leitsatz »Hilfe zur Selbsthilfe« – die Verantwortung für die Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen, die Veränderungen bewirken sollen, liegt bei dem Ratsuchenden bzw. dem »Supervisanden«. Auch bei der Intervention ist der Anteil der Partizipation durch die Teilnehmer ein wichtiges Kriterium für den Erfolg der Maßnahme, allerdings ist die Maßnahme vorstrukturiert bzw. vorgegeben. Die Intervention sollte auf einer fundierten Diagnostik der Ausgangssituation beruhen und auf einen erwünschten Zielzustand hinarbeiten. Das heißt, eine Intervention erfolgt in der Regel, wenn die Diagnostik der Ausgangssituation Problembereiche aufdeckt oder ungünstige Entwicklungen sichtbar macht bzw. wenn ein Defizit identifiziert wurde (vgl. Abschn. 19.1.2). Die Diagnostik sollte dabei auf die Sachverhalte jener Ebene abzielen, die durch die Intervention beeinflusst werden soll (Mikro-, Meso-, Makroebene), d. h., sie kann entweder am Individuum ansetzen, an Unterrichtsbedingungen oder institutionellen Gegebenheiten oder an der (Bildungs-)Systemebene (vgl. Abschn. 6.3.1). Der angestrebte Zielzustand sowie die Maßnahmen, die zur systematischen Beeinflussung eingesetzt werden, sollten möglichst aus empirisch hinreichend fundierten pädagogisch-psychologischen Theorien abgeleitet werden. Die theoretische Fundierung ist neben der wissenschaftlichen Wirksamkeitsüberprüfung (Evaluation; vgl. Abschn. 19.2) ein zentrales Qualitätskriterium für pädagogische Interventionen. 20.2 Intervention 529 © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:38 Kriterien für die Beschreibung von Interventionen Um die Vielzahl an Interventionen in pädagogischen Handlungsfeldern zu beschreiben und zu unterscheiden, ist es hilfreich, sich an Kriterien zu orientieren. Interventionen lassen sich nach den folgenden Kriterien differenzieren: " Zielsetzung " Programmkomponenten " Zugangswege " Dosis und Zeitraum der Intervention " Wirkung und Effekte Zielsetzung. Im Hinblick auf die Zielsetzung lassen sich präventive, kurative und rehabilitative Interventionen unterscheiden. (1) Präventive Interventionen zielen darauf ab, im Anschluss an die Diagnose eines Gefährdungspotenzials Maßnahmen einzuleiten, um die antizipierten unerwünschten Folgen abzuwenden. Ein Beispiel sind Deutschkurse vor der Einschulung. Es ist ein gut gesicherter Befund, dass mangelnde Sprachkenntnisse eine Gefährdung für schulischen Erfolg darstellen. Wird bei der Einschulungsuntersuchung ein sprachliches Defizit erkannt (= Gefährdungspotenzial), erfolgt die Empfehlung für eine Teilnahme an einem Sprachkurs. (2) Kurative Interventionen umfassen Maßnahmen, die darauf abzielen, einen unerwünschten Zustand zu verändern oder eine bereits eingetretene Fehlentwicklung rückgängig zu machen. Ein Beispiel für kurative Interventionen sind verhaltenstherapeutische Programme zur Reduktion von Verhaltensauffälligkeiten in der Schule, etwa dem fortlaufenden Stören im Unterricht durch eine Schülerin. Auf der Grundlage des Verstärkungsprinzips könnte die Schülerin z. B. Bonuspunkte erhalten, wenn sie innerhalb einer bestimmten Zeitspanne nicht gestört hat. Diese Punkte können später gegen eine Belohnung eingetauscht werden. (3) Rehabilitative Interventionen beziehen sich auf Maßnahmen, die eingesetzt werden, um Rückfälle in unerwünschte Verhaltensmuster zu verhindern bzw. diesen vorzubeugen. Ein Beispiel für rehabilitative Interventionen sind Trainings oder Trainingsprogramme zum Umgang mit beruflichen Belastungen für Lehrkräfte, die nach einem Burnout und dessen erfolgreicher Behandlung in den Berufsalltag zurückkehren. 20 530 20 Beratung, Intervention, Supervision Programmkomponenten. Interventionen können aus einer Kombination von Maßnahmen oder Komponenten eines umfassenden Programms bestehen: Sie können Bausteine zur Wissensvermittlung und/oder zur Vermittlung und Einübung von Handlungsstrategien enthalten oder auf die Änderung von Verhalten abzielen; zusätzlich können z. B. Komponenten zur Unterstützung der Reflexion und des Transfers sowie zur Rückmeldung von (Lern-)Fortschritten eingesetzt werden. Ein Interventionsprogramm zur Förderung der Beratungskompetenz von Lehrkräften könnte z. B. die folgenden drei Komponenten umfassen: (1) Vermittlung von Wissen, (2) Unterstützung der Selbstreflexion, (3) Rückmeldung zur Qualität der Beratungsleistung in Rollenspielen durch die Beurteilung von Peers. Diese drei Programmkomponenten können im Rahmen der Intervention gemeinsam eingesetzt werden, sie können aber auch einzeln durchgeführt bzw. in unterschiedlichen Kombinationen umgesetzt werden. Durch die Kombination der Programmkomponenten ergeben sich unterschiedliche Arten der Intervention. Zugangswege. Bezogen auf die Zugangswege lassen sich direkte und indirekte Interventionen unterscheiden. Bei einer direkten Intervention setzen die Maßnahmen z. B. direkt an den Individuen bzw. der Lerngruppe (z. B. Schulklasse) oder dem Bildungssystem an. Ein Beispiel ist ein Lernstrategietraining für Schüler mit ungünstigem Lernverhalten. Im Rahmen des Trainings werden den Schülern konkrete Lernstrategien vermittelt. Indirekte Interventionen setzen hingegen im Umfeld der Individuen oder Lerngruppen an. Dabei wird erwartet, dass durch die Veränderung des Umfeldes auch Veränderungen bei der eigentlichen Zielgruppe erreicht werden können. Für das Beispiel des Lernstrategietrainings würde dies bedeuten, dass hier z. B. die Eltern der Schüler darin geschult werden, wie sie ihr Kind beim Lernen unterstützen können. Dahinter steht die Hypothese, dass sich das Training der Eltern auch positiv auf das Lernverhalten der Schüler auswirkt. Dosis und Zeitraum der Intervention. Diese Kategorien bestimmen die Intensität und den Umfang der Maßnahme. Die Dosis kennzeichnet die Anzahl der Interventionseinheiten, z. B. die Anzahl der Trainingseinheiten bei einem Trainingsprogramm gegen Prüfungsängstlichkeit. Der Zeitraum der Intervention beschreibt die Zeitspanne, über die die Intervention durchgeführt wird, z. B. die Anzahl der Wochen, die das Trainingsprogramm gegen Prüfungsängstlichkeit dauert. Eine © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:38 die Wirkung einer Intervention ableiten. Diese können dann als Hypothesen formuliert und empirisch überprüft werden (vgl. Abschn. 4.3 und 19.1.2). Vorgehen bei der Konzeption und Durchführung von Interventionen Ein Rahmenmodell für die Konzeption und Durchführung von Interventionen findet sich bei Landmann, Schmidt und Schmitz (2010). In dem Modell werden drei Phasen unterschieden (vgl. Abb. 20.5): (1) die Phase vor der Intervention (= Konzeptionsphase), in der die Zielsetzung der Intervention formuliert wird und Inhalte und Vermittlungsstrategien ausgewählt werden, (2) die Phase während der Intervention (= Durchführungsphase), in der die Maßnahme(n) vorbereitet und durchgeführt wird/werden, und (3) die Phase nach der Intervention (= Evaluations-/ Reflexionsphase), in der die Evaluation und Reflexion der Intervention und ggf. eine Optimierung der Intervention erfolgen. Vor der Intervention (Konzeptionsphase) ▶ Zielsetzung ▶ Art und Inhalt der Intervention ▶ Vermittlungsstrategien unter Berücksichtigung der Zielsetzung, der Zielgruppe, der Rahmenbedingungen ▶ Festlegung von abhängigen Variablen zur Evaluation Während der Intervention (Durchführungsphase) ▶ Vorbereitungsphase: Zielsetzung, Planung ▶ Durchführungsphase: Prozessmanagement, prozessuale Erfolgskontrolle ▶ Abschlussphase: Transfersicherung Nach der Intervention (Evaluations-/Reflexionsphase) ▶ Evaluation ▶ Sicherung der Nachhaltigkeit der Maßnahme ▶ Reflexion ▶ Optimierung Zielgruppe (Individuum, Gruppe, Institution) Verhalten/Bereich, das/der verändert werden soll hohe Intensität liegt vor, wenn eine hohe Dosierung (= viele Trainingseinheiten) in einem kurzen Interventionszeitraum (= geringe Zeitspanne) umgesetzt wird. Wirkung und Effekte der Intervention. Beobachtbare Effekte können sofort einsetzen oder erst nach einiger Zeit auftreten (Sleeper-Effekt). Ein sofortiger Effekt ist z. B. das Ansteigen der Behaltensleistung nach einem Gedächtnistraining. Ein zeitverzögerter Effekt ist z. B. die Veränderung von Einstellungen und Überzeugungen durch eine Fortbildung. Zudem können kurzfristige, mittelfristige und langfristige Effekte von Interventionen betrachtet werden. Der kurzfristige Effekt eines Beratungstrainings für Lehrkräfte könnte die souveränere Anwendung von Gesprächsführungsstrategien in Beratungsgesprächen mit Eltern sein. Mittelfristig könnte die Intervention zu einem größeren Beratungserfolg (z. B. einer höheren Zufriedenheit der Eltern sowie der Schüler) führen, welcher sich langfristig in einer erhöhten Selbstwirksamkeit der Lehrkraft in der Beratung von Eltern auswirkt. Auf der Grundlage konzeptioneller und theoretischer Überlegungen lassen sich Annahmen über Rahmenbedingungen/Situation/Kontext Abbildung 20.5 Modell zur Konzeption und Durchführung von Interventionen (Landmann et al., 2010) 20.2 Intervention 531 © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:38 Aspekte der Wirksamkeit von Interventionen Aus wissenschaftlicher Perspektive sind insbesondere Beiträge zur Weiterentwicklung von Theorien sowie zur Bereitstellung von empirisch basiertem Entscheidungswissen für die Umsetzung von Innovationen und die Veränderung von pädagogischem Handeln von Bedeutung. Deshalb nimmt die Überprüfung der Wirksamkeit von Interventionen einen zentralen Stellenwert ein. Im Hinblick auf die Weiterentwicklung von Theorien stellen sich beispielsweise Fragen danach, welche konkrete Maßnahmen geeignet sind, um die erwünschten Veränderungen zu erzielen, oder welche zusätzlichen Programmkomponenten (z. B. Reflexionsunterstützung, Feedback) die Veränderungen unterstützen. Bezogen auf die Bereitstellung von Entscheidungswissen ist zu klären, unter welchen Bedingungen eine Intervention erfolgreich sein kann (z. B. Vorwissen, Veränderungsbereitschaft, Überzeugungen) oder welchen Nutzen die Intervention im Vergleich zu den Kosten aufweist. Interventionsforschung. Diese Fragen werden im Rahmen der Interventionsforschung behandelt. Die Übergänge zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung (z. B. im Bereich der Evaluation) sind dabei häufig fließend (vgl. Leutner, 2010a). Die Interventionsforschung zielt darauf ab, die Wirkungen einer Intervention unter Einsatz wissenschaftlicher Methoden zu evaluieren und dabei systematische Variationen von Maßnahmen vorzunehmen sowie Eingangsbedingungen der Teilnehmer zu kontrollieren (vgl. Hascher & Schmitz, 2010; Leutner, 2010). Hierfür wird häufig auf die vier Ebenen der Evaluation nach Kirkpatrick (1998; s. u.) und die in Abschnitt 19.2 beschriebenen Strategien der Evaluationsforschung zurückgegriffen. Im Rahmen (quasi-)experimenteller Studien (vgl. Abschn. 4.3.4) sollen kausale Schlussfolgerungen über die Wirksamkeit der Intervention abgeleitet werden. Meistens werden Daten zu mindestens zwei Zeitpunkten (vor und nach der Intervention) in zwei Gruppen erhoben, nämlich einer Experimentalgruppe, in welcher die zu überprüfende Intervention realisiert wurde, und einer Kontrollgruppe ohne Intervention bzw. mit alternativem Treatment. Die gewonnenen Daten werden dann mithilfe statistischer Verfahren daraufhin analysiert, ob sich signifikante Unterschiede zwischen den Veränderungen in den beiden Gruppen nachweisen lassen (vgl. Abb. 20.7). Um die Wirksamkeit eines Lernstrategietrainings für Schüler zu untersuchen, könnten z. B. die Zuwächse in der Anwendung von Lernstrategien bei Schülern, die ein Lernstrategietraining erhalten haben (Experimentalgruppe), mit denen von Schülern, die ein Training zur Rechtschreibung erhalten haben (Kontrollgruppe), verglichen werden. Eine besondere Herausforderung der Interventionsforschung in realen Kontexten (z. B. in Schulklassen) ist, dass viele Bedingungen und Einflussgrößen nicht wie im Labor kontrolliert werden können. Dies muss bei der Planung und Durchführung der Intervention, aber auch der Datenerhebung (z. B. Auswahl der Instrumente, Messzeitpunkte) sowie bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden (s. Abschn. 19.2.4). Programm-Validierungsschleife Trainingserfahrungen des Lehrers Handlungskompetenzen des Lehrers Lernerfahrungen des Schülers Programm-Evaluationsschleife 20 Abbildung 20.6 Modell zur Planung der Evaluation von Interventionen (Galluzzo & Craig, 1990) 532 20 Beratung, Intervention, Supervision Ergebnisse auf Schülerseite © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:38 Ein hilfreiches Modell zur Planung der Evaluation von Interventionen wurde von Galluzzo und Craig (1990) vorgeschlagen. Ihr Modell (vgl. Abb. 20.6) berücksichtigt sowohl direkte als auch indirekte Interventionseffekte: Während sich die »Programm-Evaluationsschleife« auf die Veränderung von Handlungskompetenzen bezieht (direkte Effekte), richtet sich die »Programm-Validierungsschleife« auf nachfolgende, durch die gesteigerten Handlungskompetenzen ausgelöste indirekte Effekte. Vier Ebenen der Evaluation nach Kirkpatrick. Die Wirkungen von Interventionen sollten stets systematisch überprüft bzw. evaluiert werden. Kirkpatrick (1998) nennt hier vier Ebenen der Evaluation von Interventionen: (1) Reaktion: Erfassung von Akzeptanz/Zufriedenheit mit der Maßnahme (2) Lernen: Erfassung von Wissens- und Kompetenzzuwachs, Veränderungen in Einstellungen und Überzeugungen (3) Verhalten: Erfassung von Verhaltensänderungen und Transfer in den Alltag (4) Ergebnisse: Erfassung von Ergebnissen/Veränderungen auf Organisations- und Systemebene Diese vier Ebenen bauen aufeinander auf, d. h., wenn eine Intervention nicht positiv von den Teilnehmern bewertet wird, sind auch keine Effekte auf den folgenden Ebenen (Lernen, Verhalten, Ergebnisse) zu erwarten. Eine gewisse Zufriedenheit mit der Intervention ist demnach eine notwendige – aber nicht hinreichende – Voraussetzung für das Lernen, Verhaltensänderungen und Ergebnisse auf der Meso- und Makroebene. Die Aufschlüsselung und Betrachtung der Ergebnisse einer Intervention auf diesen vier Ebenen ermöglicht eine systematischere Interpretation und Diskussion der Befunde. Wenn eine Intervention nicht die gewünschten bzw. erwarteten Erfolge erzielt, kann eine entsprechend differenzierte Betrachtung dazu beitragen, die Intervention zu optimieren und ihre Wirksamkeit zu steigern. Folgende Fragen können gestellt werden: Waren die Teilnehmer mit der Intervention zufrieden? Kam es durch die Intervention zu einem Wissens-/Kompetenzzuwachs? Wurden durch die Intervention Verhaltensänderungen bewirkt? Welche Wirkungen konnten auf Systemebene gefunden werden? Elf Schritte der Evaluation von Interventionen. In wissenschaftlichen Evaluationen können unterschiedliche Kriterien zur Beurteilung der Wirksamkeit von Interventionen herangezogen werden, z. B. Art und Ausmaß des Leistungszuwachses (Performanzsteigerung) bei den Teilnehmern der Interventionsmaßnahme, Vergleich verschiedener Maßnahmen mit ähnlicher Zielstellung, detaillierte Untersuchungen über die Wirkungsweise (»Ursachen«) für Erfolg und Misserfolg. Hager und Hasselhorn (1995) unterscheiden in diesem Zusammenhang elf Schritte der Evaluation; diese umfassen sowohl die Betrachtung trainingsnaher Aspekte als auch weiterführende und vertiefende Analysen zur differenziellen Wirksamkeit von Interventionen: (1) trainingsnahe Performanzsteigerung (2) Performanzsteigerung trainingsferner Variablen (3) Kompetenzverbesserung (für trainingsferne abhängige Variablen) (4) Vergleich mit Konkurrenzprodukten (5) weiter Transfer auf verwandte Bereiche (6) Ausbleiben von Transfer auf nicht verwandte Bereiche (7) Transfer in den Alltag (8) Trainingswirkung in Abhängigkeit von Persönlichkeitsvariablen (9) Analyse der Wirkmechanismen (10) vertiefende Fragestellungen (11) Metaevaluation Diese elf Schritte sind zwar als eine Abfolge von evaluativen Bewertungsmaßnahmen gedacht, aber sie bauen nicht zwingend aufeinander auf. Der Nachweis eines Transfers auf verwandte Bereiche (Punkt 5) ist z. B. unabhängig von einem Vergleich mit Konkurrenzprodukten (Punkt 4). Hier ist im Vorfeld der Intervention genau zu planen, welche Evaluationsschritte im Rahmen der Studie durchgeführt werden sollen. In Abhängigkeit vom Anlass und der konkreten Zielstellung der Evaluation können die mit diesen Schritten verbundenen Evaluationskriterien als mehr oder weniger verbindlich (obligatorisch oder fakultativ) eingeschätzt werden. 20.2.3 Anwendungsfelder im pädagogischen Bereich Zentrale Anwendungsfelder Interventionen in pädagogischen Handlungsfeldern beziehen sich in der Regel entweder auf die Unterstützung von Lern- und Bildungsprozessen (z. B. in Kindertageseinrichtungen; vgl. Abschn. 15.5) oder auf spezifische Verhaltensweisen, die aus pädagogisch-psychologischer Perspektive als interventionsbedürftig eingestuft werden (z. B. Verhaltensauffälligkeiten, Prüfungsangst, um- 20.2 Intervention 533 © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:38 schriebene Lernstörungen). Die Interventionen können wie dargestellt auf Mikro-, Meso- oder Makroebene ansetzen und sich auf unterschiedliche Entwicklungsphasen (Säuglings- und Kleinkindalter bis höheres Erwachsenenalter) oder Bildungsphasen (Vorschule, Schule, Ausbildung/Hochschule, Fort- und Weiterbildung) der Individuen beziehen. Entsprechend weit ist das Spektrum pädagogisch-psychologischer Interventionen; es reicht von Trainingsprogrammen zu Motivation oder sozialer Kompetenz über Trainings zur Optimierung selbstregulierten Lernens bis hin zu Aspekten der Werteerziehung oder der Umsetzung von Bildungsstandards. Interventionen erfolgen in der Regel in Form von Trainingsprogrammen oder im Rahmen von Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen (s. Hascher & Schmitz, 2010; Spiel, Schober, Wagner & Reimann, 2010). Besonderheiten bei der Durchführung von Interventionen in Schule und Unterricht Bei der Durchführung von Interventionen in Schule und Unterricht sind einige Besonderheiten zu beachten. Zunächst ist es wichtig zu entscheiden, ob eine direkte Intervention erfolgen sollte, d. h. die Intervention bei der Zielgruppe direkt – also den Lehrkräften oder den Schülern – ansetzt oder ob eine indirekte Intervention geplant ist, z. B. eine gezielte Fortbildung der Lehrkräfte, um bei den Schülern bestimmte Effekte zu erzielen. Bei indirekten Interventionen besteht eine besondere Schwierigkeit darin sicherzustellen, dass die Lehrkräfte die intendierten Interventionen im Unterricht tatsächlich so wie geplant umsetzen. Hier kann es zu Abweichungen kommen, aus denen sich systematische Unterschiede in der Umsetzung der geplanten Maßnahmen ergeben können (z. B. eine Lehrkraft, die sich genau an die Vorgaben hält, und eine Lehrkraft, die immer nur Teile der Vorgaben umsetzt). Zudem ist mit sog. Moderationseffekten zu rechnen: So hat sich z. B. gezeigt, dass die Einstellungen und Überzeugungen einer Lehrkraft zu bestimmten Aspekten der Intervention (z. B. Erwartungen bezüglich deren Wirksamkeit oder Passung mit den eigenen pädagogischen Zielen) einen großen Einfluss auf die Umsetzung der Inhalte und den Transfer in den Schulalltag besitzen. Um Abweichungen von der intendierten Intervention möglichst gering zu halten, werden die Interventionsschritte in Trainingsmanualen für die Lehrkräfte möglichst konkret beschrieben, die erforderlichen Materialien werden bereitgestellt und es werden Foren oder Sprechstunden eingerichtet, in denen die Lehrkräfte noch einmal Fragen stellen können. Insgesamt sind bei indirekten Interventionen schwächere Effekte zu erwarten als bei direkten Interventionen. Weiterhin ist zu beachten, ob die Intervention in der Unterrichtszeit oder außerhalb des Unterrichts (z. B. am Nachmittag) stattfindet. Aufgrund curricularer Vorgaben ist es nicht immer ohne Weiteres möglich, Interventionen während der Unterrichtszeit durchzuführen. Wichtig ist in diesem Kontext, ob es sich um ein in den Fachunterricht integriertes bzw. auf den Fachunterricht bezogenes Programm (z. B. Programme zum Lesenlernen) oder um fächerübergreifende Aspekte (wie das selbstregulierte Lernen oder soziale Kompetenzen) handelt. An manchen Schulen werden bereits eigene Stundenkontingente für die Weiterentwicklung fächerübergreifender Kompetenzen bereitgestellt. Grundsätzlich müssen bei Interventionen für geplante Befragungen oder Beobachtungen von Schülern Einverständniserklärungen der Erziehungsberechtigten, der Schulleitung (manchmal auch der Schulkonferenz) und der zuständigen Behörden (z. B. Schulaufsicht, Ministerien) eingeholt werden. Beispiel Lehrertraining zum selbstregulierten Lernen Das Training »So unterstütze ich meine Schüler beim Lernen lernen« (Hertel, 2007) richtet sich an Mathematiklehrkräfte im Grundschulzweig, die in der 3. Jahrgangsstufe unterrichten. Ziel des Trainings ist es, Strategien zu vermitteln, mit denen Lehrkräfte das selbstregulierte Lernen ihrer Schüler fördern können. Die Konzeption erfolgte nach dem Prozessmodell der Selbstregulation (Schmitz & Schmidt, 2007). Die Intervention ist für Gruppen von 12 bis 20 Lehrkräften konzipiert und umfasst drei Einheiten. Es handelt sich 20 um eine direkte Intervention für die Lehrkräfte und eine indirekte Intervention für die Schüler. In der ersten Trainingseinheit werden allgemeine Grundlagen des selbstregulierten Lernens sowie die Aspekte Motivation, Zielsetzung und Gewohnheiten der präaktionalen Phase (vor dem Lernen) vermittelt. Die Themen Aufschieben von Aufgaben, Lernen und Bewegung, Lernen und Entspannung sowie Konzentration sind Inhalt der zweiten Trainingseinheit. Hierbei werden Strategien vermittelt, die Schüler während " 534 20 Beratung, Intervention, Supervision © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:38 des Lernens bei der Bearbeitung von Aufgaben einsetzen können (aktionale Phase). Zudem werden mathematische Problemlösestrategien (Skizze, Überschlag, Probe) vermittelt. In der letzten Einheit des Trainings werden Inhalte behandelt, die nach dem Lernen (postaktionale Phase) eine Rolle spielen, z. B. Ursachenzuschreibung, Bezugsnormorientierung und informatives Feedback. Die Evaluation der Fortbildung bezog Lehrkräfte sowie Schüler mit ein. Als Kontrollgruppe wurden Lehrkräfte, die nicht an der Fortbildung teilgenommen hatten, und ihre Schüler herangezogen. Im Prä- und Posttest wurde erfragt, wie häufig die Lehrkräfte Strategien zur Förderung des selbstregulierten Lernens im Methodeneinsatz Problemlösestrategie: Skizze 3,0 2,0 2,8 1,9 2,6 1,8 2,4 vor dem Training nach dem Training Zeitpunkt Unterricht einsetzen (Handlungskompetenz der Lehrkräfte). Die Schüler wurden vor und nach der Fortbildung ihrer Lehrkräfte zum Lernen und zu ihrem Mathematikunterricht befragt. Außerdem bearbeiteten sie einen mathematischen Problemlösetest. Es zeigte sich, dass die Lehrkräfte, die an dem Training teilgenommen hatten (Experimentalgruppe), die beschriebenen Methoden im regulären Fachunterricht häufiger einsetzten als die Lehrkräfte in der Kontrollgruppe. Auf Schülerebene zeigte sich, dass Schüler, deren Lehrkraft an der Fortbildung teilgenommen hatte, häufiger mathematische Problemlösestrategien einsetzen als Schüler in der Kontrollgruppe. 1,7 Kontrollgruppe (kein Training) Experimentalgruppe (Training) vor dem Training nach dem Training Zeitpunkt Abbildung 20.7 Methodeneinsatz im Mathematikunterricht durch die Lehrkräfte und Anwendung der Problemlösestrategie »Skizze« durch die Schüler 20.3 Supervision 20.3.1 Relevanz in pädagogischen Handlungsfeldern Supervision hat nach Petermann (1995) insbesondere für beratende, soziale, erzieherische, therapeutische und pflegende Berufe eine herausragende Bedeutung. Dies liegt u. a. daran, dass Menschen, die mit anderen Menschen eng zusammenarbeiten und diese professionell beraten oder therapieren, hohen Belastungsfaktoren ausgesetzt sind. Bei ihnen besteht auch eine höhere Gefahr an Burn-out zu erkranken als bei anderen Berufsgruppen (Bauer, Häfner, Kächele, Wirsching & Dahlbender, 2003). Supervision kann dazu beitragen, diese Belastungssituationen besser zu verarbeiten und das Risiko für Burn-out zu vermindern (Petermann, 1995; Ehinger & Hennig, 1994). Während Supervision in therapeutischen Berufen seit vielen Jahren zum Standard gehört und auch in den sozialen und erzieherischen Einrichtungen schon vermehrt Eingang gefunden hat, wird sie im schulischen Alltag bislang nur relativ selten genutzt und oft auch nicht vorbehaltslos angenommen (Palzkill, 1995). Angebote für Supervision in pädagogischen Kontexten richten sich nicht nur an Lehrkräfte, Ausbilder oder Trainer, sondern auch an Schulleiter, Schulpsychologen, Erziehungsberater oder Erzieher (Petermann, 1995). 20.3 Supervision 535 © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:38 Übersicht Adressaten von Supervision in pädagogischen Handlungsfeldern Die Zielgruppen von Supervision in pädagogischen Handlungsfeldern umfassen alle Personengruppen, bei denen professionelles Handeln auf zwischenmenschliche Beziehungen gerichtet ist und die beratend, unterrichtend, menschenführend, pflegend oder helfend tätig sind (Petermann, 1995). Dazu zählen v. a. die folgenden Personengruppen: " Schulleiter/Heimleiter " Lehrkräfte " Schulpsychologen " Erziehungsberater " Kindergartenpädagogen " Heilpädagogen " Sozialarbeiter " Hochschulmitarbeiter Die Möglichkeiten zur Nutzung von Supervision hängen für die verschiedenen Adressaten u. a. von den institutionellen Bedingungen und der Einstellung der jeweiligen Arbeitgeber ab. In bestimmten Einrichtungen (z. B. Heime oder Erziehungsberatungsstellen) gibt es feste Pläne für Supervisionen, die regelmäßig stattfinden (z. B. Fallsupervision in vierwöchigem Rhythmus oder Teamsupervision einmal im Halbjahr). In vielen Fällen wird Supervision allerdings erst auf Nachfrage (z. B. in schwierigen Situationen im Team oder mit besonderen Eltern/ Kindern) organisiert und nur kurzfristig eingesetzt. 20.3.2 Begriffsbestimmung und theoretischer Hintergrund Supervision kann als eine personenbezogene Form der Beratung beschrieben werden, bei der berufliche Zusammenhänge besprochen und bearbeitet werden. Rappe-Giesecke (2009, S. 3) definiert Supervision als »personenbezogene berufliche Beratung für Professionals. Ihre Aufgabe ist es, Einzelne, Gruppen oder Teams von Professionals zu individueller und sozialer Selbstreflexion zu befähigen. Ziel dieser Reflexion ist die Über- 20 536 20 Beratung, Intervention, Supervision prüfung und Optimierung des beruflichen und methodischen Handelns«. Im Gegensatz zur Intervention hat Supervision nicht das Ziel, Veränderungen explizit herbeizuführen, sondern entsprechende Prozesse anzustoßen, die eventuell zu Veränderungen führen. Von pädagogischer Supervision wird dann gesprochen, wenn diese im pädagogischen Arbeitsfeld, also in schulischen, vorschulischen und hochschulischen, aber auch außerschulischen Bildungseinrichtungen stattfindet (Jugert, 1998). Historische Entwicklung der Supervision. Die Supervision hat ihre Wurzeln in der amerikanischen Sozialarbeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts und später in der Psychotherapie. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren in amerikanischen Großstädten viele Berufsanfänger und ehrenamtlich arbeitende Personen zur Unterstützung von Einwanderern und anderen hilfsbedürftigen Personen tätig. Zur Koordination und fachlichen Begleitung dieser ehrenamtlich engagierten Mitarbeiter haben die Organisationen daher fest angestellte Supervisoren auf der Ebene eines mittleren Managements eingestellt. Die Supervision wurde zu Beginn gewissermaßen von Vorgesetzten durchgeführt. Sie beschränkte sich zunächst sowohl in der Sozialarbeit als auch in der Psychotherapie auf Fallbesprechungen im Einzelsetting (Jugert, 1998). Erst seit den 1970er-Jahren lassen sich auch verschiedene Formen der Gruppensupervision oder der kollegialen Beratung finden. Im Verlauf der 1980er-Jahre setzte sich dann die »Teamsupervision« durch, bei der Menschen aus kooperierenden Arbeitsgruppen gemeinsam beraten werden (Schreyögg, 2000). Psychologen und Psychotherapeuten wurden u. a. systematisch zu Supervisoren ausgebildet und auch in der Supervision der Sozialarbeit und in der Psychotherapie eingesetzt (Pallasch, 1991). Verbindung von »clinical supervision« und »educational supervision«. Eine wichtige theoretische Neuorientierung war die Verknüpfung von zwei traditionell getrennt durchführten Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung bzw. Supervision, nämlich Selbsterfahrung und -reflexion (clinical supervision) und Instruktion (educational supervision), die bis heute ein zentrales Kennzeichen der Balint-Gruppen darstellt (Jugert, 1998; s. Kasten). © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:38 Unter der Lupe Balint-Gruppen Der ungarische Arzt und Psychoanalytiker Michael Balint (1896–1970) hat in den 1950er-Jahren als Erster damit begonnen, berufliche Selbstreflexion und Instruktion miteinander zu verbinden. Er arbeitete ursprünglich mit Gruppen von Allgemeinmedizinern, die sich vorher gegenseitig noch nicht kannten und die über ihre alltäglichen Erfahrungen mit Klienten berichten sollten. Für die Arbeit in der Gruppe stellte Balint verbindliche Regeln auf, z. B.: " Die beruflichen Kompetenzen der Teilnehmer werden grundsätzlich anerkannt. " Es wird darauf geachtet, dass keine Abhängigkeit der Gruppenteilnehmer entsteht. " Der Fallbericht soll spontan und frei vorgetragen werden. Balint lädt dazu ein, den freien Fallbericht wie die Erzählung eines Traumes aufzufassen und die Einfälle, Assoziationen und Gedanken der Teilnehmer dazu wie freie Assoziationen zu diesem Traum in der Gruppe zu bearbeiten. Die Sammlung, Aufnahme und das VerIn Deutschland zog die Supervision erst relativ spät in die soziale Arbeit ein. Ein deutlicher Anstieg von Supervision ist erst ab den 1960er-Jahren zu verzeichnen (Jugert, 1998). Seitdem gibt es berufsbegleitende Supervision in der Bundesrepublik in verschiedenen Aufgabenfeldern. Seit den 1970er-Jahren werden auch Supervisionsausbildungen angeboten. Ende der 1980erJahre wurde die Deutsche Gesellschaft für Supervision (DGSV) gegründet. Diese hatte im Jahr 2012 über 3.700 Mitglieder und 40 angeschlossene Weiterbildungsstätten. 20.3.3 Formen der Supervision Folgende Formen der berufsbegleitenden Supervision können unterschieden werden: " Einzelsupervision, " Gruppensupervision, " kollegiale Supervision, " Teamsupervision und " Coaching (Leitungssupervision). Einzelsupervision. In der Einzelsupervision wird ein Supervisand von einem Supervisor unterstützt. Dabei stehen der Assoziationen, Einfälle usw. werden vom Leiter teilweise psychoanalytisch gedeutet und dazu genutzt, die Beziehung zwischen dem Supervisanden (Arzt) und seinem Patienten zu reflektieren und zu bearbeiten. Ein zentrales Ziel der Balint-Gruppe ist die »Beziehungsdiagnostik«. Anstelle einer Handlungsanweisung geht es darum, herauszufinden, was in der gegenwärtigen professionellen Beziehung zum Zeitpunkt des Vortragens als problematisch wahrgenommen wird. Damit war der Schritt in die Supervision in ihrer heutigen Form vollzogen. Supervision in der heutigen Form hat außer der Integration von Selbsterfahrung und Instruktion auch die Analyse der emotionalen und der institutionellen Komponente beruflicher Interaktion zu ihrer Aufgabe gemacht (Rappe-Giesecke, 1994). Die Balint-Gruppe ist inzwischen sehr verbreitet, und zwar weit über ihr ursprüngliches Feld, die Medizin, hinaus in fast allen Tätigkeitsfeldern, in denen überhaupt Supervision durchgeführt wird. orientiert sich der Supervisor an bestimmten Theorien oder psychotherapeutischen Schulen. Innerhalb der Fort- und Weiterbildungssupervision kommt die Einzelsupervision v. a. dann zum Einsatz, wenn es um die Kontrolle und Verbesserung der beruflichen Kompetenz geht (z. B. in der Ausbildung zum Therapeuten, Erziehungsberater). Der Nachteil der Einzelsupervision ist, dass sie sehr zeit- und kostenaufwendig ist. Gruppensupervision. Die Gruppensupervision findet mit Personen aus dem gleichen Berufsfeld, aber nicht zwingend aus der gleichen Einrichtung statt. Sie wird nach Belardi (1994) häufig in Anlehnung an das Konzept der Balint-Gruppenarbeit (s. Abschn. 20.3.2) in Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen oder bei der Betreuung von Praktikanten universitärer Studiengänge eingesetzt. Im Gegensatz zur Einzelsupervision erfordern die in der Gruppensupervision auftretenden gruppendynamischen Prozesse aufseiten des Supervisors zusätzliche Qualifikationen. Insgesamt kann in der Gruppensupervision auf ein reiches Repertoire an theoretischen und methodischen Möglichkeiten zurückgegriffen werden. Die Kosten-Nutzen-Relation ist bei der Gruppensupervision vergleichsweise günstig. 20.3 Supervision 537 © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:38 Unter der Lupe 20 538 Methoden der Gruppensupervision Zur Verdeutlichung des konkreten Vorgehens in einer Gruppensupervision kann exemplarisch auf zwei Methoden hingewiesen werden, die bei verschiedenen Problemen eingesetzt werden (vgl. Ehinger & Hennig, 1994). Rollenspiel. Das Rollenspiel ist eine geeignete Methode zur nachträglichen Analyse einer problematischen Situation (z. B. schwierige Interaktion mit Kollegen oder Klienten; Kritik von außen) und zur gemeinsamen Erarbeitung alternativer Handlungs- und Reaktionsmöglichkeiten. Der Vorteil des Rollenspiels liegt darin, dass es einer Realsituation so nahe kommt wie möglich. Außerdem können damit neue Verhaltensweisen und Reaktionen ausprobiert, eingeübt und zu einem späteren Zeitpunkt auf eine reale Situation übertragen werden. Rollenspiele werden entweder einer Zuschauergruppe dargeboten und dann mit der gesamten Gruppe besprochen, oder mit allen Teilnehmern einer Kleingruppe durchgeführt und nachbearbeitet. In beiden Fällen kommt es vor allen Dingen darauf an, dass vorher geklärt wird, welche Frage beantwortet werden soll, ob alle Teilnehmer selber im Spiel konkrete Erfahrungen machen sollen oder ob die Diskussion des Problems in der Großgruppe das zentrale Ziel ist. Gruppendiskussion. Diese Methode ist besonders geeignet, wenn ein Teilnehmer eine selbst erlebte schwierige Situation schildert und Lösungsmöglichkeiten für dieses Problem erarbeitet werden sollen, die auch für alle anderen Teilnehmer relevant sind. Eine Gruppendiskussion besteht in der Regel aus den folgenden drei Schritten: (1) Der Supervisand trägt sein Problem in die Gruppe. Der Supervisor achtet darauf, dass die zu klärende Frage kurz und möglichst präzise formuliert wird. (2) Die Gruppenmitglieder stellen Informationsund Verständnisfragen, die zur Erfassung der äußeren und inneren Wirklichkeit des Supervisanden wichtig sind. (3) Die Gruppenmitglieder äußern reihum ihre Gedanken zu dem Problem oder der Frage, ihre Wahrnehmungen, Hypothesen, Gefühle und spontane Handlungsimpulse. Der Supervisand hört aufmerksam zu und nimmt die Ideen der Gruppenmitglieder auf, ohne diese zu werten, und prüft, welche Gedanken ihm zur Problemlösung weiterhelfen. Kollegiale Supervision. Diese besondere Form der Gruppensupervision wird ohne formelle Anleitung durch einen außenstehenden Supervisor realisiert. Sie wird auch als »Intervision« bezeichnet und stammt ursprünglich aus der Psychotherapie. Mittlerweile findet sie auch in der Schule immer mehr Verbreitung, denn es hat sich gezeigt, dass die meisten alltäglichen Probleme in einer Gruppe erfahrener Kollegen, die die erforderlichen Kommunikationsformen beherrschen, in zufriedenstellender Weise bearbeitet werden können. So betrachtet, ist die kollegiale Supervision die effektivste und kostengünstigste Form der Supervision. Allerdings bestehen auch gewisse Gefahren, z. B. dass Probleme nicht gründlich genug bearbeitet werden und deshalb nicht das Qualitätsniveau einer »expertengeleiteten« Gruppensupervision erreicht wird (Fengler, 1986). Mittlerweile gibt es allerdings Trainingsprogramme, die eine gute Anleitung für Gruppen ohne externen Leiter bieten (z. B. Macha, Lödermann & Bauhofer, 2010). Teamsupervision. Bei der Teamsupervision wird eine Gruppe von Kollegen supervidiert, die in derselben Institution arbeiten und ähnliche Aufgaben zu bewältigen haben (z. B. die Erzieher in einer Kindertagesstätte). Die Teamsupervision sollte im Idealfall eine hohe Kontinuität aufweisen. Teamsupervision ist inzwischen die häufigste Form der Supervision (Belardi, 1994). Sie markiert den Weg der Supervision von der Einzelsituation über die arbeitsplatzferne Gruppensupervision bis hin zur Organisations- und Teamsupervision. Bei der Teamsupervision kommen gemeinsame Arbeitsprobleme zur Sprache, ebenso Hierarchie- und Leitungsfragen oder Beziehungsprobleme zwischen den Teammitgliedern (Jugert, 1998). Grundsätzlich spielt sich die Supervisionsarbeit innerhalb des Teams auf drei Ebenen ab: individuelles Verhalten des jeweils behandelten Einzelfalls, Teaminteraktion und Institution. Coaching (Leitungsberatung). In pädagogisch-psychologischen Kontexten bezeichnet Coaching eine besondere Form der Supervision von Personen mit Leitungs- 20 Beratung, Intervention, Supervision © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:38 funktionen. Der Begriff stammt ursprünglich aus dem sportlichen Bereich und bezieht sich auf die professionelle Unterstützung einzelner Personen bei der Bewältigung schwieriger Probleme oder der Förderung beruflicher Selbstgestaltungspotenziale. Ein häufiger Anlass für Coaching ist die selbstkritische Einschätzung von Führungskräften, den eigenen Erwartungen an die Leitungsrolle nicht gerecht werden zu können. Die Leitungssupervision soll dem Supervisanden zum einen dabei helfen, die Organisation im Sinne der Erwartungen und Anforderungen des Trägers zu führen, gleichzeitig aber auch den Erwartungen der Mitarbeiter gerecht zu werden, ihre Interessen gegenüber dem Träger zu vertreten und auch den Erwartungen des Klientels, für die die Organisation ihre Dienstleistungen anbietet, entgegenzukommen. Leitungssupervision kann daher als eine gewinnbringende Form der Einzelberatung für Personen in leitender Funktion angesehen werden. Ein wichtiger Aspekt von Coaching für Personen in Leitungsfunktionen ist zudem, dass diese eine besondere Stellung im sozialen Netzwerk einer Institution einnehmen, die ihnen oft die Offenlegung oder Diskussion persönlicher Probleme in der Gruppe der anderen Führungskräfte oder der Mitarbeiter erschwert. Unter diesen Umständen liegt es für eine Führungskraft nahe, Unterstützung bei einem Coach zu suchen, der entwe- Orientierungsphase ▶ Klärung und Strukturierung des Auftrags/Ziels ▶ Abfrage der Erwartungen der Supervisanden Informationsphase ▶ Hypothesengewinnung für das Problem ▶ Phase der Informationssammlung und Eindrucksbildung bei Supervisor und Supervisanden (Einbezug von Wahrnehmungen, Gefühlen, Assoziationen) Gewichtungsphase ▶ Ordnung, Vergleich und Systematisierung der gesammelten Informationen/Beobachtungen ▶ Akzeptierung der gesammelten Informationen/Beobachtungen Rückmeldungsphase ▶ Feedback und Austausch zu den geordneten Informationen und Bewertungen der Informationen ▶ Festlegung der Lernziele Umsetzungsphase ▶ Erarbeitung von Lösungsideen sowie Handlungs- und Reaktionsalternativen (personale, interpersonale oder systemische Lösungsideen möglich) ▶ Einüben und Anwenden der Handlungsalternativen Kontrollphase ▶ Dokumentation und Überprüfung der Veränderungen: Welche Strategien haben geholfen, welche nicht? Feedback zur Supervisionsarbeit ▶ weitere Optimierung der Veränderungen oder Entwicklung neuer Strategien Abbildung 20.8 Handlungsmodell der pädagogischen Supervision (nach Petermann, 1995) 20.3 Supervision 539 © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:38 der gar nicht in die Organisation eingebunden ist oder bei dem aus anderen Gründen damit gerechnet werden kann, dass die thematisierten Sachverhalte streng vertraulich behandelt werden. Weitere Supervisionsformen. Neben den genannten berufsbegleitenden Supervisionsformen beschreibt RappeGiesecke (2009) weitere Formen der Supervision, wie die »Ausbildungssupervision«, bei der Experten ihres Fachs den Erwerb berufsspezifischer Techniken überwachen (z. B. Chirurgie-Ausbildung) oder die »administrative Supervision« in Organisationen, bei der Fachvorgesetzte die Funktion der fachlichen Begleitung sowie der Personalführung und -entwicklung übernehmen. Phasen der Supervision Für alle Formen der Supervision gelten im Prinzip die gleichen Ablaufschritte, wenngleich ihre jeweilige Gewichtung von Fall zu Fall erheblich variieren kann. Ein von Petermann (1995) vorgeschlagenes allgemeines Modell der Supervision unterteilt den Supervisionsprozess in sechs Phasen: " Orientierungsphase " Informationsphase " Gewichtungsphase " Rückmeldungsphase " Umsetzungsphase " Kontrollphase In Abbildung 20.8 sind die Ziele und Aufgabenstellungen der einzelnen Phasen näher beschrieben. 20.3.4 Anwendungsfelder im pädagogischen Bereich Die Anwendungsfelder der Supervision im pädagogischen Bereich sind sehr vielfältig. Sie reichen von der Einzelsupervision für Lehrkräfte, Trainer, Erziehungsberater über Gruppen- und Teamsupervision in erzieherischen und pädagogischen Einrichtungen, Leitungssupervision für Führungskräfte in Bildungseinrichtungen bis hin zur Supervision für ganze Organisationen. Zur pädagogischen Supervision im schulischen Bereich zählt zudem die Supervision für den unterrichtlichen Kontext (Staub, 2004), um z. B. die didaktischen und methodischen Fertigkeiten von Lehrkräften zu unterstützen. Bei allen Anlässen und Themen ist es wichtig, dass Supervision in einem vertraulichen Rahmen stattfindet und die Schweigepflicht eingehalten wird. Nur so kann eine vertrauensvolle Atmosphäre geschaffen werden, in der auch schwierige und persönlich belastende Themen besprochen werden können. Anlässe und Themen für Supervision Die Themen, mit denen sich Supervision inhaltlich beschäftigen kann, sind ebenso vielfältig wie die Adres- Tabelle 20.4 Anlässe und Themen der Supervision in pädagogischen Handlungsfeldern Probleme und Schwierigkeiten Supervisionsform Persönliche Fragestellungen: z. B. Überforderung, Burn-out, private Probleme, berufliche Veränderungswünsche, Verbesserung der beruflichen Kompetenz in speziellen Aspekten (etwa der fachdidaktischen Kompetenz) überwiegend Einzelsupervision, aber auch Teamsupervision oder BalintGruppen Berufliche Belastungen: z. B. Konflikte mit Vorgesetzten, Kollegen, Klienten, Angehörigen von Klienten; mangelnde Kooperation, Differenzen über pädagogisches Konzept; Sympathie/Antipathie, Einfluss/ Macht überwiegend Einzel- oder Gruppensupervision Fallarbeit im Rahmen regelmäßiger Fallbesprechungen von Klienten oder zu schwierigen Anlässen mit einzelnen Klienten: z. B. soziale Probleme, Verhaltensauffälligkeiten, Sucht, Lernschwierigkeiten überwiegend Einzel- oder Gruppensupervision Konflikte mit Mitarbeitern, Verwaltungssystemen, Finanzgebern, Rollenkonflikte: z. B. Einführung neuer Regelungen, Kürzungen von Geldern, Schwierigkeiten unter Mitarbeitern überwiegend Leitungssupervision Veränderungen in der Organisation: z. B. Schulentwicklung, Qualitäts- überwiegend Supervision zur Organimanagement sationsentwicklung 20 540 20 Beratung, Intervention, Supervision © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:38 saten für Supervision. Tabelle 20.4 gibt eine Übersicht über einige Anlässe von Supervision in pädagogischen Handlungsfeldern. Anwendungsbeispiele für Supervision in der Schule Als Beispiele für angewandte Supervision werden zwei Konzepte aus dem schulischen Bereich vorgestellt. Das erste Konzept zielt auf die Verbesserung der Unterrichtskompetenz von Lehrkräften, das zweite auf die Prävention von Burn-out. Beide Konzepte wurden durch wissenschaftliche Begleituntersuchungen evaluiert und machen auf exemplarische Weise deutlich, dass Supervision im schulischen Kontext positive Effekte erzielen kann. Fachspezifisch-Pädagogisches Coaching zur Verbesserung der Unterrichtskompetenz. Das FachspezifischPädagogische Coaching (Content-Focused Coaching; vgl. Staub, 2004) ist ein Ansatz zur Fort- und Weiterbildung von Lehrpersonen zur Unterstützung ihres Unterrichts. Den Lehrkräften wird dabei im entsprechenden Fach ein kompetenter Coach/Mentor zur Seite gestellt. Dieser übernimmt Mitverantwortung für die Gestaltung der Unterrichtseinheit. Das unmittelbare Ziel besteht in der gemeinsamen Gestaltung eines für die Schüler möglichst optimalen Unterrichts. Das langfristige Ziel ist die nachhaltige Entwicklung von Unterrichtskompetenz. Es entsteht dabei eine Interaktion zwischen Wissenschaft und Praxis als Kooperation von theoriebasierten Settings und Werkzeugen zur Entwicklung innovativer Praxis. Coaching verweist hier auf die individualisierte und situationsbezogene Unterstützung eines Lehrers bei der Bearbeitung einer komplexen Aufgabenstellung durch eine Person, die in der Bewältigung solcher Aufgaben selbst über eine hohe Expertise verfügt. Das Coaching findet innerhalb des aktuellen beruflichen Settings als Teil der normalen Arbeit statt. Das Konzept des Fachspezifisch-Pädagogischen Coachings zielt darauf ab, die Lehrperson in ihrer Unterrichtsplanung, -durchführung und -reflexion zu unterstützen. Dies kann sowohl in dyadischen Settings als auch in verschiedenen Gruppen von Lehrpersonen umgesetzt werden. Der Ablauf lässt sich in drei Phasen einteilen: (1) Vor der Unterrichtseinheit besprechen der Coach und die Lehrkraft (Dyade) die Gestaltung des Unterrichts; diese Unterrichtsvorbereitung dient der Verständigung über Unterrichtsziele und den Lehrplan. Der Coach beteiligt sich hierbei als mit- verantwortlicher Partner. Ein guter Unterricht setzt voraus, dass die Lehrkraft gut auf den Unterricht vorbereitet ist, dass sie sich in der Materie auskennt und die Bearbeitung der Inhalte auch aus der Sicht der Lernenden durchdacht hat. Nur so wird ein an die Voraussetzungen der Schüler angepasster Unterricht möglich. (2) Der Coach ist während der Umsetzung ein aktives Mitglied im Unterrichtsgeschehen; häufig unterrichtet er mit der Lehrkraft gemeinsam oder beteiligt sich anderweitig am Unterricht (z. B. in Form von Rückmeldungen oder nützlichen Tipps). (3) Im Anschluss wird der Unterricht gemeinsam reflektiert. Bei der Nachbesprechung ist der Fokus wiederum auf den inhaltsspezifischen Lernprozess der Schüler gerichtet. Für einen Coach ist es nicht ganz einfach, zwischen aktivem Zuhören und dem Einbringen von Gestaltungsvorschlägen ein angemessenes Gleichgewicht zu finden. Außerdem muss er gleichzeitig zwei Hauptziele im Auge behalten: Einerseits geht es um die optimale Förderung der aktuell unterrichteten Schüler, andererseits soll die Unterrichtskompetenz der Lehrperson weiterentwickelt werden. Zur Ausbildung der Coaches werden beim Fachspezifisch-Pädagogischen Coaching in der Regel auch Videoaufzeichnungen von Unterricht sowie dazugehörige Vor- und Nachbesprechungen verwendet (Staub, 2004). Coaching für Lehrkräfte als Burn-out-Prävention. Das Projekt von Unterbrink et al. (2010) wurde durch das Bundesministerium für Arbeitssicherheit und Gesundheit in Auftrag gegeben und hatte das Ziel, die Gesundheitsvorsorge von Lehrkräften zu verbessern, indem ihre sozialen und emotionalen Kompetenzen gestärkt werden. Das Lehrer-Coaching nach dem sog. »Freiburger Modell« umfasst fünf Module: (1) Informationen zu Auswirkungen von Beziehungserfahrungen auf die Gesundheit; Entspannungsübungen (2) Persönliche Einstellungen: Identität und Identifikation (3) Beziehungsgestaltung zu Schülern (4) Beziehungsgestaltung mit Eltern (5) Spaltungstendenzen vs. kollegialer Zusammenhalt An der Studie nahmen Lehrkräfte aus zwei verschiedenen Schulformen (Hauptschule und Gymnasium) teil. Die Supervisionen fanden über den Zeitraum von einem Jahr statt und beinhalteten zehn Sitzungen à 90 Minu- 20.3 Supervision 541 © Dies ist urheberrechtlich geschütztes Material. Bereitgestellt von: UB Hagen Di, Okt 3rd 2023, 16:38 Depression Misstrauen 1,2 1,2 1,1 1,1 1,0 1,0 0,9 0,9 0,8 0,8 0,7 0,7 0,6 0,6 0,5 0,5 0,4 vorher nachher 0,4 Kontrollgruppe Experimentalgruppe vorher nachher Abbildung 20.9 Veränderung der Gesundheitseinschätzung bezüglich Depression und Misstrauen in der Coaching-Studie von Unterbrink et al. (2010) ten. Es zeigten sich bei den Teilnehmern der CoachingGruppe (Experimentalgruppe) im Vergleich zu den Teilnehmern, die kein Coaching erhalten hatten (Kontrollgruppe) positive Veränderungen in der subjektiven Gesundheitseinschätzung bezüglich der beiden Kriterien Depressivität und Misstrauen. Abbildung 20.9 zeigt die Ergebnisse für die Gesundheitseinschätzung für die beiden Gruppen vor und nach dem Coaching. Zusammenfassung " " " " 20 542 Powered by TCPDF (www.tcpdf.org) Die gemeinsamen Ziele von Beratung, Intervention und Supervision in pädagogischen Handlungsfeldern bestehen in der Unterstützung bei persönlichen, beruflichen und erzieherischen Problemen sowie der Optimierung von Entwicklungs- und Bildungsprozessen. In der pädagogischen Beratung werden unterschiedliche Beratungsansätze eingesetzt, z. B. klientenzentrierte, verhaltensbezogene, systemische oder lösungsorientierte Beratung. Zu den pädagogischen Anwendungsfeldern gehören die Erziehungs- und Familienberatung, die Beratung in Schule und Hochschule sowie in der Aus- und Weiterbildung. Mit dem Ziel der Erarbeitung von Lösungen für spezifische Problemfälle wird professionelle Beratung stets planvoll und von einem fachkundigen und methodisch geschulten Berater durchgeführt, der über eine Vielzahl an Kompetenzen (z. B. soziale, diagnostische, Prozess- und Gesprächsführungskompetenz sowie Fachwissen) verfügen sollte. Als pädagogische Interventionen werden Maßnahmen bezeichnet, die durch ein relativ stark von außen gesteuertes zielgerichtetes und theorie- 20 Beratung, Intervention, Supervision " " " " geleitetes Eingreifen in Entwicklungs- und Bildungsprozesse auf Individual- oder Systemebene gekennzeichnet sind und die eine Optimierung dieser Prozesse anstreben. Die Untersuchung der Wirksamkeit von Interventionen ist Gegenstand der (quasi-)experimentellen Interventionsforschung. Sie dient u. a. der Überprüfung kausaler Hypothesen bezüglich der im Rahmen der Intervention eingesetzten Maßnahmen. Supervision stellt eine personenbezogene Form der Beratung dar, bei der berufliche Zusammenhänge besprochen und bearbeitet werden, mit dem Ziel einer Reflexion und Optimierung des professionellen Handelns. Pädagogische Supervision richtet sich vorwiegend an Personengruppen, die in Bildungseinrichtungen beratend, unterrichtend, menschenführend oder helfend tätig sind. Die verschiedenen Formen der Supervision reichen von Einzelsupervision und Coaching über Gruppensupervision und kollegiale Beratung bis hin zu Teamsupervision und Balint-Gruppen.