Wissenschaftssoziologie VL1-9 PDF - Überblick und Ansätze
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Dieses Dokument bietet einen Überblick über die Wissenschaftssoziologie, ihre Forschungsgegenstände und Ansätze. Es behandelt die Bedeutung von Wissenschaft für die Gesellschaft, die Analyse von Wissenschaft als sozialem Prozess und untersucht verschiedene Ansätze wie die von Ludwik Fleck und Thomas Kuhn. Das Dokument beleuchtet auch aktuelle Themen und Schwerpunkte der Wissenschaftssoziologie.
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WSoz VL01) Überblick über Forschungsgegenstände und Ansätze der Wissenschaftssoziologie 1. Warum Wissenschaftssoziologie? Wissenschaft ist v zentr. Bedeutung f. Entstehung u. Funktionsweise nahezu aller Forschungsgegenstände der Soziologie. Wissenschaftl. Wissen informiert den Ausbau gesellsch...
WSoz VL01) Überblick über Forschungsgegenstände und Ansätze der Wissenschaftssoziologie 1. Warum Wissenschaftssoziologie? Wissenschaft ist v zentr. Bedeutung f. Entstehung u. Funktionsweise nahezu aller Forschungsgegenstände der Soziologie. Wissenschaftl. Wissen informiert den Ausbau gesellschaftl. Institutionen u. Organisationen, die Entwicklung u. Bezugnahme auf soz. Normen (bspw. Geschlechternormen) u. die mat. Grundlagen v. Vergesellschaftlichung u. soz. Handelns. → Wer Gesellschaft verstehen will, sollte Wissenschaft verstehen Gleichzeitig: Resultat u. Teil soz. Prozesse → Wer Wissenschaft verstehen will, sollte Gesellschaft verstehen. Die Analyse der Entstehung u. Funktionsweise v. Wissenschaft ist für diejenigen, die Wissenschaft selber auch betreiben (und damit auch für Studierende), auch Selbstreflexion. Krause, Monika. "On sociological reflexivity." Sociological Theory 39.1 (2021): 3-18 2. Überblick wichtigste Gegenstände/Themen/Schwerpunkte 1. Wissenschaft als gesellschaftliche Institution 1a Aus- und Binnendifferenzierung der Wissenschaft Die Ausdifferenzierung der Wissenschaftn // Die Binnendifferenzierung der Wissenschaft 1b Wissenschaft als gesellschaftliche Institution Wissenschaft als Institution, Feld und Teilsystem der Gesellschaft Das Reputationssystem der Wissenschaft 2. Wissenschaft als Wissensproduktion 2a Das Labor Konstruktionen // Kontroversen // Transzendenzen 2b Die Praxis Experimentieren // Actor-Network-Theory 2c Objekte und ihre Sozialität 1. Interaktionen 3a Wissenschaft und Politik // 3b Wissenschaft und Medien 2. Aktuelle Themen der Wissenschaftssoziologie 4a Technoscience // 4b Wissenschaft und anderes Wissen //4c Governance der Wissenschaft 3. Fokus Wissenschaft als sozialer Prozess − Wissenschaftssoziologische Forschung legt Fokus nicht nur auf dem produzierten Wissen („wissenschaftliche Errungenschaften“), sondern darauf, warum und wie es produziert wurde und wie es gebraucht wird − Produziertes Wissen wird nicht betrachtet als Ergebnis einer einzigen großen Idee oder Eingebung (eines Genies), sondern als Ergebnis z.T. lange andauernder, hoch komplexer, vielschichtiger, durch eine Vielzahl unterschiedlicher Faktoren beeinflusster Entwicklungen − Auch die Transformationen, zu denen es in und durch Wissenschaft gekommen ist, werden nicht nur als abrupt (z.B. Revolution), sondern auch langsam, und nicht-linear verlaufend begriffen → Öffnung der „Black-Box—Wissenschaft (Latour 2002) Wissenschaft als Prozess, der von verschiedenen sozialen Faktoren beeinflusst ist. Diese Faktoren beinhalten: Strukturen, Prozesse, Ereignisse, Handlungen, die auf der Makro-, Meso- und Mikroebene von Gesellschaft wirken, entstehen und sich reproduzieren Zu ihnen gehören: o Soziale u. politische Systeme u. (Macht)Verhältnisse (in denen u. für deren Erhalt o. Veränderung wissenschaftl Wissen produziert wird) - (Makro, Struktur) o Zusmh v. u. Abläufe in Institutionen (Meso, Struktur und Prozess) o Alltägliche Praktiken, die in Instit. vollzogen werden o. ausserhalb davon (Handlung, Meso, Mikro) Die auf der Makro-, Mikro- und Mesoebene von Gesellschaft lokalisierbaren Strukturen, Prozesse, Ereignisse und Handlungen beeinflussen Ereignisse, Prozesse, Strukturen und Handlungen auf der Makro-, Mikro- und Mesoebene von Wissenschaft. Sie beeinflussen konkret: - Wo Wissenschaft gemacht wird (in welchen Institutionen) - Mit welchen Zielen geforscht wird - Welche Forschungsgegenstände untersucht werden Wie die Forschungsergebnisse gebraucht werden - Mit welchen wissenschaftl Praktiken (Methoden, Perspektiven, alltägliche Handlungen) geforscht wird - Welche Forschungsresultate erzielt werden - Wie die Forschungsergebnisse kommuniziert werdenie die Forschungsergebnisse gebraucht werden 4. Ausgewählte Ansätze: 4.1. Vorläufer der Wissenschaftssoziologie: Ludwik Fleck (1896–1961) Ludwik Fleck, 1896 als Sohn polnisch-jüdischer Eltern im galizischen Lwów (Lemberg) (heutige Ukraine). Studierte Medizin + arbeitete in den 1920er+1930er Jahren in der Abteilung der Inneren Medizin im Krankenhaus in Lwów + in unterschiedl. Institutionen in bakteriologischen Laboratorien. Er forschte zur Diagnose+Bekämpfung v Infektionskrankheiten insb. Typhus u Syphilis (Schnelle 1986: 3ff.; Niewöhner 2012: 65). Nach der Besetzung Lwóws durch die Nationalsozialist*innen 1941 setze er seine Forschung auch unter den schwierigen Bedingungen im jüdischen Ghetto in Lwów fort + entwickelte einen Impfstoff gegen Typhus. Als einer der europäischen Typhusspezialisten wurde er v den Nationalsozialist*innen gezwungen u.a. in den Konzentrationslagern Ausschwitz+Buchenwald Impfstoffe herzustellen (Niewöhner 2012: 65). Fleck, seine Frau+Sohn überlebten den Holocaust, setzte Forschungsarbeiten in der Medizin+ Mikrobiologie fort. Fleck setzte sich in seiner Arbeit als Mediziner und Mikrobiologe bereits früh mit wissenschaftstheoretischen Fragen auseinander und publizierte bereits 1935 in deutscher Sprache das Buch „Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv“, das heute zu den Klassikern der Wissenschaftssoziologie zählt (Egloff 2012 : 31). Das Buch zeigte während seiner Lebzeiten wenig Wirkung in der Wissenschaftsforschung. Erst nachdem Thomas S. Kuhn das Werk in seinem 1962 veröffentlichten Bestseller „Strukturwissenschaftlicher Revolutionen“ als Inspirationsquelle erwähnte, fand es mehr Beachtung (Egloff 2012: 31). Das v Fleck 1935 publizierte Werk „Entstehung u Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache“ gilt heute als Klassiker der Wissenschaftssoziologie, da es als eines der ersten „den Produktionsprozess als Praxis u nicht als lo Struktur“ untersucht (Niewöhner 2012: 66). In der Monographie setzt Fleck sich zunächst mit der Geschichte des Syphilis-Begriffs auseinander und entwickelt davon ausgehend für die Naturwissenschaften eine explizit soziologische Betrachtungsweise des Erkenntnisprozesses (Egloff 2012: 31f.). Fleck kritisiert, dass die bish Wissenschaftstheorie den Erkenntnisprozess anhand von Bspl aus der Vergangenheit untersuche. Diese würden uns aber bereits als wissenschaftl Tatsachen begegnen und ihr jeweiliger Entstehungsprozess sei nicht mehr nachvollziehbar. Fleck untersucht und reflektiert den Erkenntnisprozess daher anhand seines eigenen Arbeitsalltages als Mediziner und Mikrobiologe. Er stellt heraus, dass erkenntnistheoreti Entscheidungen im Erkenntnisprozess historisch und sozial bedingt sind (Niewöhner 2012: 66f.). Um diese soziale und historische Bedingtheit zu verdeutlichen, verwendet er die Konzepte des „Denkstils“ und des „Denkkollektivs“. Fleck beschreibt den „Denkstil“ als einen „im Wissenschaftsfeld vorherrschenden epistemischen Modus“ (Egloff 2012: 32). Dieser ist historisch geworden und entwickelt sich innerhalb von „Denkkollektiven“, welche bereits dadurch entstehen, dass mindestens zwei Personen sich gedanklich austauchen. Wissenschaftliche Erkenntnis ist somit ein sozialer/kollektiver – und kein individueller – Prozess. Fleck zeigt außerdem auf, dass wissenschaftliche Erkenntnis ein Prozess ist, in dem sowohl „esoterische“ (aus der Wissenschaft kommende) als auch „exoterische“ (gesellschaftliche) Ideen eine Rolle spielen und sich beeinflussen (Egloff 2012: 32). „Jede Erkenntnistheorie, die diese soziologische Bedingtheit allen Erkennens nicht grundsätzlich und einzelhaft ins Kalkül stellt, ist Spielerei. Wer aber die soziale Bedingtheit für ein malum necessarium, für eine leider existierenden menschliche Unzulänglichkeit ansieht, die zu bekämpfen Pflicht ist, verkennt, dass ohne soziale Bedingtheit überhaupt kein Erkennen möglich sei, ja, dass das Wort ›Erkennen‹ nur im Zusammenhang mit einem Denkkollektiv Bedeutung erhalte.“ (Fleck 1935: 59) 4.2 Thomas S. Kuhn (1922–1996) Thomas S. Kuhn ist einer der meistgelesenen Wissenschaftshistoriker und Wissenschaftstheoretiker des 20. Jahrhunderts (Hoyningen-Huene/Lohse 2012: 73). Kuhn wurde 1922 in Cincinnatti (USA) geboren und studierte zunächst Physik in Harvard. Nach seiner Dissertation wandte er sich der Wissenschaftsgeschichte und später auch der Wissenschaftsphilosophie zu (Hoyningen Huene/Lohse 2012: 75). Mit Kuhn wird eine Wende in der Wissenschaftstheorie und –philosophie verbunden. Seine Überlegungen stellten die bis dahin vorherrschend Konzeption von Wissenschaft, wie sie vom Logischen Positivismus und kritischen Rationalismus vertreten wurde, in Frage (Hoyningen- Huene/Lohse 2012: 73f.). In seinem Hauptwerk “The structure of scientific revolutions” (1962) untersucht er, wie wissenschaftliche Erkenntnisse erlangt werden und vertritt dabei eine historische Argumentationslinie. „Die Geschichte könnte, wenn man sie für eine Fundgrube von mehr als bloß Anekdoten und Chronologie hält, eine entscheidende Umwälzung des Bildes der Wissenschaft bewirken, in dem wir jetzt befangen sind.“ (Kuhn 2020: 15) Kuhn unterscheidet zwischen normaler und revolutionärer Wissenschaft und entwickelt dabei das Konzept des Paradigmas. Die normale Wissenschaft lässt sich nach Kuhn mit der fortwährenden Anhäufung wissenschaftlichen Wissens durch neue Erkenntnisse beschreiben. Neue Erkenntnisse bauen auf bereits vorhandenen Konzepten und Instrumenten auf, theoretische Grundannahmen werden nicht in Frage gestellt. Diesen theoretischen Rahmen, der in der normalen Wissenschaft als anerkannt gilt, nennt Kuhn Paradigma. Das, was Kuhn revolutionäre Wissenschaft nennt, lässt sich mit diesem Modell von der Entwicklung der Wissenschaft nicht beschreiben. Revolutionäre Wissenschaft bedeutet nach Kuhn, dass die dabei gemachten Erkenntnisse die Art und Weise, wie über ein bestimmtes Phänomen nachgedacht wird, derart verändern, dass sich das neue Wissen nicht einfach in das alte einfügen lässt bzw. kann es dem nicht einfach hinzugefügt werden. Außerdem kann das neue Wissen nicht mit dem Vokabular des „alten Wissens“ beschrieben werden noch ist dies andersherum möglich. Es kommt zu einem Paradigmenwechsel. Für die Wissenschaftssoziologie bedeutet dies u.a., dass nicht mehr das Individuum im Fokus steht, sondern wissenschaftliche Gemeinschaften und z. Bsp. Entwicklungen und Entscheidungen innerhalb eines Forschungsfeldes nicht mehr nur auf rationale Überlegungen sondern auch auf die in der Gemeinschaft geltenden epistemischen Werte zurückzuführen sind (Hoyningen-Huene/Lohse 2012: 78f. 4.3 Robert K. Merton (1910 – 2003) Robert K. Merton 1910, Meyer Robert Schkolnick Kind osteurop Einwanderer m jüd Hintergrund in Philadelphia. Wuchs in einem Armenviertel der Stadt auf, fand dort nach eigen Aussagen aber vielfältige Bildungsangebote vor (Calhoun 2010: 3). M 17J ein Stipendium f heuti Temple University, die staatl Universität in Philadelphia, u wurde v dem Soziologen George E. Simpson, bei dem er eine Assistentenstelle hatte, in die Soz eingeführt (Calhoun 2010: 4; Mackert/Steinbicker 2012: 14). Weitere Kontakte u seine herausragenden Leistungen verhalfen ihm, bald an die Harvard University zu wechseln, an der er u.a. bei Talcott Parsons studierte. Außerdem kam er in Kontakt m dem Wissenschaftshistoriker George Sarton, der seine Dissertation zur Entstehung der neuzeitl Wissenschaft betreute (Mackert/Steinbicker 2012: 14f.). Merton gilt heute als Mitbegründer der mod Soziologie, ihm wird bedeutender Einfluss auf die Weiterentwicklung soziologischer Theorien als auch die Entwicklung empirische Sozialforschung zugesprochen (Calhoun 2010: 12). In seiner 1938 veröffentlichten Dissertation “Science, Technology and Society in Seventeenth Century England“ setzte Merton sich mit der Entstehung der neuzeitlichen Wissenschaft auseinander und untersucht motivationale und normative Bedingungen für wissenschaftliches Handeln. Er machte damit die Entstehung der Wissenschaft erstmals auch zu einer soziologischen Frage (Hasse 2012: 46f.). Bis dahin wurde der Fortschritt in der Wissenschaft maßgeblich einzelnen Personen zugesprochen, Merton nahm nun den gesellschaftlichen Kontext in den Blick. Damit gilt Merton als „Mitbegründer und Weggefährte“ der mod Wissenschaftssoz u hat im Folgenden die Teildisziplin durch zahlreiche Veröffentlichungen auch ü die Soziologie hinaus bekannt gemacht (Mackert/Steinbicker 2013: 88). Merton steht für das institutionalistische Programm einer Wissenschaftssoziologie (Hasse 2012: 46). Er beschäftigte sich mit der Frage nach den gesellschaftl Rahmenbed + normativ instit Prinzipien, die ermögli, dass Wissenschaft als gesellschaftl Funktionssyst ihrer Aufgabe, gesichertes Wissen zu generieren, optimal nachkommen kann (Hasse 2012: 46). In seinem vielbeachteten 1942 verfassten Artikel „Science and Technology in a Democratic Order“ beschäftigt er sich mit dem Verhältnis der Wissenschaft zur gesell Ordnung. Dies ist zum einen eine Reaktion auf das nationalsoz Deutschland u die dortige „Arisierung“ der Wissenschaft. Mit der Konzeption der Wissenschaft als instit Tätigkeitsfeld betont er dessen Autonomie und spezifischen Ethos (Mackert/Steinbicker 2013: 25f.). Merton entwickelte ein Set an Normen, anhand derer er die mod Wissenschaft charakterisiert: Universalismus (alle sollten Zugang haben zu wissenschaftl Arbeiten), Kommunismus (Wissen+Erkenntnis sind Gemeineigentum), Desinteressiertheit (Objektivität+Wertfreiheit), Organisierter Skeptizismus (kritische Prüfung aller Erkenntnisse+ nur vorläufige (Mackert/Steinbicker 2013: 91). „Merton argued that science is misunderstood as the product of individual geniuses able to break free from conventions and norms. Instead, he stressed the “ethos of science,” the normative structure specific to the field that encouraged productivity, critical thinking, and the pursuit of continually improved understanding (Merton 1938b, 1942)” (Calhoun 2010: 5f.). In seiner langjährigen Tätigkeit als Soziologe beschäftigt sich Merton auch mit der Soziologie der Soziologie, z.Bsp. mit dem Verhältnis der angewandten Sozialforschung zu Auftraggebern und Gesellschaft (Merton 1949) oder mit den Gründen für eine bestimmte Entwicklung innerhalb der Disziplin (Merton 1968) (Mackert/Steinbicker 2013: 92). 4.4 Soziologie wissenschaftlichen Wissens/die konstruktivistische Wende Mertons institutional Progr der Wissenschaftssoz wurde dafür kritisiert, dass die Entstehungsbedingungen, dass Wie wissenschaftl Wissen gewonnen wurde u die Inhalte des wissenschaftl Wissens ausgeklammert wurden. Welchen Einfluss zum Beispiel instit Wandel auf wissenschaftl Wissen hatte, fand bei ihm keine Berücksichtigung (Wehling 2017: 43f.). In 70er Jahren entsteht in Abgrenzung zu der Wissenschaftssoz Mertons daher die Soziologie wissenschaftlichen Wissens (sociology of scientific knowledge, SSK) (Wehling 2017: 43). Wichtiger Vertreter der SSK war David Bloor. 1976 veröffentlichte er das Buch „Knowledge and Social Imagery“, in dem er proklamiert, dass eine soziologische Untersuchung der Wissenschaft den Inhalt und das Wesen wissenschaftlichen Wissens zum Gegenstand hat (Wehling 2017: 44). 4.5 Die Laborstudien In 70er entwickelten sich an unterschiedlichen Orten Forschungspraktiken, die später im Feld der Science and Technology Studies (STS) unter dem Begriff Laborstudien zusammengefasst wurden (Amelang 2012: 147). Die Forscher*innen der Laborstudien interessierten sich wie die Soziologie wissenschaftl Wissens f den Konstruktionsprozess wissenschaftl Wissens, in ihrer Forschung legten sie den Fokus jedoch auf die konkreten Praktiken u Materialitäten naturwissenschaftl Erkenntnisproduktion und untersuchten diese vor Ort in den Laboren. Die Laborstudien zeichnen sich somit aus durch o ihr spezifisches Interesse am Labor, dem Ort naturwissenschaftlicher Erkenntnisproduktion, o ihr method Vorgehen; u.a. die ethnographische Idee der Fremdheit und ethnografische Beobachtungsverfahren, o ihre Ergebnisse in Form v det Beschreibungen des Herstellungsprozesses naturwissenschaftl Wissens (Amelang 2012: 148). Durch detaillierte Beschreibung der Arbeit im Labor, ermöglichen diese Studien einen Blick hinter die Labortüren, in die Black Box (Latour/Woolgar 1979), die der Erkenntnisprozess naturwissenschaftlichen Wissens bis dahin war. 4.6 Die Laborstudien: Bruno Latour/Steve Woolgar und Karin Knorr Cetina Indem die Forscher*innen u.a. beschreiben, welche Selektionen im Forschungsprozess vorgenommen, welche Entscheidungen getroffen werden, inwiefern Gelegenheiten, vorhandene Instrumente, Materialien etc. den Erkenntnisprozess beeinflussen, wird deutl, dass wissenschaftl Erkenntnisse nicht entdeckt, sondern produziert werden (Amelang 2012: 153). Einflussreiche Autor*innen der Laborstudien sind u.a. Bruno Latour und Steve Woolgar mit „Laboratory Life. The Social Construction of Scientific Facts“ (1979) und Karin Knorr-Cetina mit „Die Fabrikation von Erkenntnis. Zur Anthropologie der Wissenschaft“ (1984). In „Laboratory Life“ haben Bruno Latour (1947-2022), franz Philosoph + Soziologe, u Steve Woolgar (*1950), brit Soziologe, sich insbes m der Rolle v Instrumenten + Laborgeräten auseinandergesetzt. Sie fragen danach, wie aus einem Untersuchungsgegenstand eine wissenschaftl Aussage wird u welche Instrumente dafür notwendig sind. Diese Laborgeräte, die „Materie in Text (Zahlen, Diagramme, Kurven) umwandeln“ nennen sie inscription devices (Einschreibegeräte) (Amelang 2012: 156). Karin Knorr Cetina (*1944), österreicherische Soziologin, hebt in ihrer Studie u.a. die „lokalen u situationsspezifischen Umstände“ der Forschung hervor u betont die Besonderheiten jeder Forschungssituation. Damit verdeutlicht sie, dass Forschungsprozesse weniger rat u geplant sind als häufig dargestellt und angenommen (Amelang 2012: 154f.). 4.7 Thomas F. Gieryn (*1950) Thomas F. Gieryn (*1950) ist US-amerikanischer Soziologe. Bis 2015 Soziologieprofessor an Indiana University (USA). Forschungsinteresse: Wissenschaftssoziologie und –philosophie. Gieryn hat das Konzept „boundary-work“ entwickelt: Mit dem Konzept untersucht Gieryn die Praktiken+ Strategien, mit denen Wissenschaftler*innen ihre eigene Arbeit als wissenschaftl darstellen u diese v anderen Wissensformen o Tätigkeiten abgrenzen. “Boundary-work" describes an ideological style found in scientists' attempts to create a public image for science by contrasting it favorably to non-scientific intellectual or technical activities” (Gieryn 1983:781). Gieryn hat sich außerdem mit der Bedeutung des Ortes für die Glaubwürdigkeit und Legitimität von wissenschaftlichem Wissen auseinandergesetzt. “To locate an account is to return it to a place where it was discovered or manufactured, where it is displayed and celebrated, where it gets enacted and reproduced, where it is contested or obscured. Such places may become truth-spots – and the place itself is not merely an incidental setting where some ideas or assertions just happens to gain credibility, but a vital cause of that enhanced believability” (Gieryn 2018: 11). WSoz VL02) Verwissenschaftlichung des Sozialen 1. Überblick Definitionen 1a) Definition “Verwissenschaftlichung des Sozialen“ „Verwissenschaftlichung" des Sozialen bezeichnet also konkret die dauerhafte Präsenz humanwissenschaftlicher Experten, ihrer Argumente und Forschungsergebnisse in Verwaltungen und Betrieben, in Parteien und Parlamenten, bis hin zu den alltäglichen Sinnwelten sozialer Gruppen, Klassen oder Milieus. Unsere Alltagskonversation bietet zahlreiche Hinweise darauf, in welchem Maß wissenschaftliche Erkenntnisse als ein zwar fremdes, aber ein-baufähiges Wissen in unsere Lebenswelten eingesickert sind und dort bisweilen zu common sense trivialisiert wurden? Gerade die Leichtigkeit, mit der dies geschieht und als unproblematisch angesehen wird, zeigt, daß wir bereits auf einen langanhaltenden Prozeß der „Verwissenschaftlichung" zwischenmenschlicher Beziehungen und individueller Befindlichkeiten zurückblicken. (Raphael, 1996, S. 166) „Systematisierung von Wissen über soziale Zusammenhänge und die Etablierung spezialisierter Experten für ein steig wachsendes Arsenal von Sozialtechniken“ (Dafinger, 2020, S. 23), mit denen das soziale Leben und Interagieren von Menschen in Organisationen, Gemeinschaften und Gesellschaften beeinflusst und gesteuert wurde und wird. 1b) Kernelemente: Beteiligte Felder und Ziele Verschiedene Disziplinen und Felder sind beteiligt (nicht nur Sozialwissenschaften): Medizin, Psychologie, Pädagogik, Politikwissenschaft, Psychiatrie, Ökonomie, Anthropologie, Rechtswissenschaft, Biologie – Astrobiologie, Genetik – Zoologie, Botanik, Verhaltenswissenschaften, etc. „Das Soziale“, das diese Expert*innen als „Soziales“ erforschten und beschrieben (und dabei so benannten) umfasste Bereiche des Denkens, Fühlens und Handelns, die seit dem 19. Jahrhundert auch unter Kategorien wie „Ökonomie“, „Kultur“ „Moral“ oder „Politik“ gefasst worden sind. Ziel: Produktion von anwendbarem Wissen für das Regulierung versch. Aspekte des Sozialen („social engineering“) auf allen Ebenen: u.a. soziale Beziehungen, Ordnungen, Verhalten, Einstellungen, Gefühle (Mikro, Meso, Makro; Prozesse, Strukturen, Institutionen) Die Regulierung des Sozialen, für die wissenschaftliches Wissen produziert wurde, → betraf auch die Regulierung von dem Mensch-Technik (und Natur) Verhältnis: insb. Regulierung menschlichen Umgangs mit Technik → war eine Regulierung mit/durch Technik Wann und wo: Europa, USA, Kolonien, intensiviert im langen 19. und 20. Jh., bis heute (Kontinuitäten) − Auch schon davor und anderswo, dann und dort aber anders genannt und nicht systematisch Produziertes Wissen wurde von Zeitgenoss*innen als „wissenschaftlich“ verstanden und „die Gesellschaft“ oder „das Soziale“ betreffend – analytische Unterschied Kategorie oder Quellenbegriff Hat die Entwicklung moderner Sozialwissenschaft stark befördert Untersucht „soziale Probleme“ und sucht „Lösungen“ 1c) Kontext: “Verwissenschaftlichung des Sozialen“ als Teil versch. Historischer Basisprozesse und Entwicklungen Entstehung und Konsolidierung des modernen Sozialstaates und Wohlfahrtswesens − Bürokratisierung, - Professionalisierung Nationenbildung und Nationalismus: “Das allgemeine Gute, das sie praktisch zu befördern suchten, war selbstverständlich nationenbezogen, ja national-spezifisch. So ist es denn auch nicht verwunderlich, daß die im Namen dieses nationalen Grundkonsenses geführten beiden Weltkriege Zeiten waren, in denen das Engagement der anwendungsorientierten Wissenschaftler besonders hoch und die Fortschritte in der gesellschaftlichen Nutzung ihrer Fähigkeiten besonders groß waren.“ (Raphael, 1996, S. 183) Kolonialismus Säkularisierung Sozialdisziplinierung 2. Gebiete und Beispiele 2a) Zeit „Am Sonntag, den 30. April 1916 um 23 Uhr – waren im Deutschen Reich, in Österreich-Ungarn und in allen von deutschen Truppen besetzten Gebieten zum ersten Mal die Uhren um eine Stunde vorgestellt worden, um zu erreichen, dass weniger morgendliche Sonnenstunden verschlafen wurden. Indem die Aktivitätsrhythmen der Bevölkerung mit dem Tageslicht synchronisiert wurden, so die Idee, ließen sich Öl, Petroleum und Kohle einsparen, Ressourcen, die im Krieg unentbehrlich waren. Über hundert Jahre sind seitdem vergangen, und doch ist das Konzept nie von der politischen Agenda verschwunden.“ (Kuchenbuch, 2018, S. 1) Heute: „Chronobiologen und Mediziner entdecken immer neue Nebenfolgen der Verabschiedung der „sozialen Zeit“ (Émile Durkheim) von den Zeitphasen der unbelebten Natur, die sich im Übrigen nicht nur auf den Biorhythmus auswirkt, sondern auch im Verdacht steht, das Unfallrisiko beim Autofahren im Frühnebel oder die Arbeitsbelastung in der Mittagshitze zu vergrößern.“ → Erforschung der negativen Konsequenzen einer „Manipulation gesellschaftlicher Aktivitätsphasen mit dem Ziel einer verbesserten Ausnutzung der Solarenergie −.. um nichts anderes handelt es sich bei der Sommerzeit.“ „Die Zeitumstellung, so lautete nämlich ein Argument ihrer Befürworter, werde dafür sorgen, dass mehr abendliche Freizeitaktivitäten im Freien, im Sonnenlicht stattfänden. Die Anpassung des kollektiven Aktivitätsrhythmus versprach damit effektivere Erholungsphasen und eine infolgedessen steigende Gesundheit und Produktivität der Bevölkerung. Die Sommerzeit ist so gesehen ein Atavismus des staatlichen social engineering des frühen 20. Jahrhunderts.“ (Kuchenbuch, 2018, S. 2) 2b) Schlaf // 2c) Essen // 2d) Raumplanung und Verkehr // 2e) Gesundheitsverhalten // 2f) Arbeit // 2g) Krieg 3. Gesellschaftswissen und Politik 3a) Verwissenschaftlichung des Sozialen – Politisierung der Wissenschaft „Szöllösi-Janze hat betont, dass die „Verwissenschaftlichung der Gesellschaft zugleich immer auch die Politisierung, Ökonomisierung und Medialisierung der Wissenschaft“ hervorruft. In Anlehnung an eine ältere Formulierung des Soziologen Peter Weingart hat sie hier auf das Spannungsverhältnis von „Verwissenschaftlichung der Politik“ und „Politisierung der Wissenschaften“ hingewiesen. Durch die begriffliche Parallelisierung von Verwissenschaftlichung und Politisierung hebt Szöllösi-Janze hervor, dass die Wechselbeziehung zwischen Wissenschaft und Politik in der Neueren Geschichte nicht lediglich als Expansion der Ersteren in die Letztere, sondern auch als Interaktionsprozess zwischen den beiden zu betrachten ist“ (Szöllösi-Janze, 2004, S. 297, in: Sala, 2017, S. 336.) 3b) Wissenschaft zur Lösung „sozialer Probleme“ – Problematisierende Wissenschaft Kriminalität Armut Kolonialismus Sexuelle “Devianz“ „Wahnsinn“ Migration Kulturelle Differenz 3c) Gesellschaftswissen für den politischen Umbruch Jenny d'Héricourt / Evelyne Fox-Keller / Bhimrao Ramji Ambedkar 4. Ver(sozial)wissenschaftl eines Phänomens konstruiert es als soz Phänomen // Bsp. Sozialwissenschaftliche Katastrophenforschung WSoz VL03) Strukturwandel von Universitäten aus globaler Perspektive 1. DerMythosderHumboldtschenUniversität Elemente der Idee der Humboldtschen Universität o Einheit und Freiheit von Forschung und Lehre ○ Zweckfreie, „reine“ Forschung an der Universität, o Heranbildung sittlicher Führungspersönlichkeiten durch die Universität, o Einheit aller Wissenschaften, vermittelt durch die Philosophie. „Dieser Topos der Humboldtschen Universität ist eine Erfindung des 20. Jhds. Die Zeitgenossen des 19. Jahrhunderts kannten ihn nicht, und sie sahen auch in der Gründung der Universität Berlin keine Zäsur in der Universitätsentwicklung. Untersucht man die Darstellungen in Lexikonartikeln, Staatsrechts- handbüchern und Universitätsreformschriften aus dem 19. Jahrhundert zu Funktion und Entwicklung der Universität, so werden die Schriften Wilhelm von Humboldts nicht zitiert. Die 1810 neugegründete Universität Berlin wird nicht als Vorbildmodell gehandelt“ (Paletschek 2002, S. 184). Inthronisierung der neu humanistischen Universitätsidee (1900-1910) o Publikation der Humboldt‘schen „Denkschrift ü die äußere und innere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin“ (1809/10) zwischen 1896 (Auszüge) und 1903 (vollständig) durch Bruno Gebhardt. o Popularisierung durch den protestantischen Kirchenhistoriker und einflussreichen Wissenschaftsorganisator Adolf von Harnack (ab 1911 erster Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, dem Vorläufer der heutigen MPG). o Neuherausgabe der zentr Schriften von Johann Gottlob Fichte, Friedrich Schleiermacher u Heinrich Steffens durch den Bildungspolitiker Eduard Spranger anlässl des 100-jährigen Jubiläums der Berliner Universität. „die dem positivistischen Wissenschaftsbegriff u damit auch dem Siegeszug v Naturwissenschaft u Spezialisierung zugeschrieb Defizite sollten durch eine synth idealist Wissenschaftskonzeption aufgefangen werden. Der Rückgriff auf die überzeitl humanis Universitätsidee diente bei beiden dazu, die geisteswissenschaftl Disziplinen der Philosophischen Fakultät aufzuwerten“ (Paletschek 2002, S. 194). Konsolidierung der neuhumanistischen Universitätsidee (1910-1930) o Situation Deutschlands nach dem Verlust des Ersten Weltkriegs wird mit der Niederlage Preußens gegen Napoleon verglichen: militärische Niederlage wird auf Mängel im Bildungssystem zurückgeführt. o Ablehnung der Weimarer Republik durch den Großteil der geisteswissenschaftl. orientierten Professorenschaft: „Sie vertraten häufig eine im Idealismus wurzelnde universalistische Weltsicht und verstanden sich als nationale Kulturträger, die über den Parteien und den Interessen standen“ (Paletschek 2002, S. 192). o Verdopplung der Studierendenzahlen zwischen 1910 und 1930, akademische Überfüllungskrise: „Vermassung“ und „Verweiblichung“ (20% Frauen). Gegenkonzept: neue „synthetische“ Disziplinen wie die Soziologie sollen in eine spekulative „organische Totalität“ eingebunden werden. Restauration der neuhumanistischen Universitätsidee(seit1945) o Gleichschaltung der Universitäten und Vertreibung jüdischer Gelehrter während des Dritten Reichs (1933-45) führte zu keiner neuen Universitätsidee. o Restauration nach 1945 in negativer Abgrenzung zum Nationalsozialismus sowohl in Ostdeutschland als auch in Westdeutschland. Umbenennung der (Ost-)Berliner Universität in „Humboldt-Universität“ (1948). Wiederaufgreifen von Ideen der 1920er Jahre als Strategie der Rückversicherung. o Besonders einflussreich: der deut Soziologe Helmut Schelsky (Münster), der mit „Einsamkeit u Freiheit“ (1961) ein weithin beachtetes Buch zur deut Universität verfasste: „Schelsky griff ein Postulat des Soziologen Rene König auf, das dieser bereits 1935 in Abwehr der pol Universität des Nationalsozialismus aufgestellt hatte: ‚Die Idee der Universität im deutschen Idealismus ist der normative Rahmen, vor dem alle Universitätsreform im deutschen Sinne sich auszuweisen haben wird‘“ (Paletschek 2002, S. 203). 2. Die globale Führungsrolle der Vereinigten Staaten (Abb.) Interne Organisationsstruktur der deutschen Universität o Schwache Leitung, üblicherweise 1-2 Jahre im Amt: Rektorat, Präsidium o Langsame, entscheidungsschwache Kollegialorgane: Fakultätsrat, Senat o Hierarchische Lehrstuhlstruktur: Ordinariate, Extraordinariate, Privatdozenten Aber: dezentraler Wettbewerb zwischen deutschen Kleinstaaten führt im 19. Jhd. zur Herausbildung der spezialisierten Forscherrolle und sehr gut ausgestatteter Laboratorien: Etablierung vieler neuer Forschungsfelder. Dezentraler Wettbewerb erreicht Ende des 19. Jhd. seine Grenzen: o Neue Forschungsgebiete können nicht zügig ausgebaut werden, weil die Lehrstuhl-Struktur hohe Investitionen benötigt und zugleich die Vetomacht der Ordinarien Neuerungen abbremst; neue Gebiete bleiben daher häufig bei den Privatdozenten und in den Extraordinariaten stecken. o Ausgründung von Forschungsaktivitäten in separate außeruniversitäre, staatlich finanzierte Institute: Physikalische-Technische Reichsanstalt (1887), Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (1911, Vorläuferin der heutigen MPG). (-> Abbildung) Interne Organisationsstruktur der nordamerikanischen Universität o Starke Leitung, mehrjährige und wiederholbare Amtszeiten: President, Provost o Effektive Aufsichtsräte, Gegengewicht zur starken Leitung: Board of Trustees o Kollegialorgane spielen keine herausgehobene Rolle: Faculty Assembly, Senate o Department-Struktur mit Karrieresystem: Tenure Track o Forschungsorientierte Nachwuchsausbildung: Graduate Schools o Starke Orientierung an Berufsausbildung zukünftiger Professioneller: ProfessionalSchools (Medicine, Business, Law, Engineering, Education) Zugleich: dezentraler Wettbewerb zwischen Universitäten und Bundesstaaten im 20. Jhd. verstärkt förderliche Bedingungen zur Etablierung neuer Forschungsfelder. Interne Organisationsstruktur + dezentraler Wettbewerb entfalten sich mit voller Wucht im 20. Jhd. 3. Unternehmerische Universitäten in Europa Das Konzept der „unternehmerischen Universität“ nach Burton Clarkadressiert institutionelle Schwächen der Humboldtschen Universität, die bereits Ben-David herausgearbeitet hatte: o Geringe Selbststeuerungsfähigkeit (schwache Leitung, entscheidungsträge Kollegialorgane, Dominanz mächtiger Lehrstuhlinhaber). o Abschottung im Elfenbeinturm („reine“, abstrakte Wissenschaft, Bildung als Mittel der individuellen Kultivierung und nicht der Berufsbefähigung). o Staatliche Abhängigkeit (Universitäten als nachgeordnete Behörden der Kultusministerien, Minister ernennt Professoren, Finanzierung fast ausschließlich durch staatliche Grundfinanzierung). o Traditionelles Disziplinengefüge (keine interdisziplinären Forschungszentren, wenig Aufnahmekapazität für neue Forschungsfelder). o Ausgeprägte Kultur des Kommunalismus und der Innerlichkeit (Abwesenheit einer Kultur des aktiven Individualismus, kein institutioneller Unternehmergeist). Was ist nicht mit „unternehmerische Universität“ gemeint? o Universitäten sind produzierende, profitorientierte Firmen. o Universitäten sind Hierarchien mit top-down-Steuerung. o Professoren führen nur noch Forschung durch, die wirtschaftliche Gewinne abwirft. Die „demand-response imbalance“: externe Anforderungen an die Universität übersteigen ihre Fähigkeiten, diesen gerecht zu werden. o Vervielfachung der Studierenden (quantitativ, qualitativ, sozialstrukturell). o Anspruchssteigerungen des Arbeitsmarktes (quantitativ, Spezialisierung). o Effizienzerwartungen der staatlichen Förderer (Senkung der Pro-Kopf-Kosten universitärer Ausbildung, höhere Rechenschaftspflichten). o Wissensvermehrung und Komplexitätssteigerung (quantitativ, qualitativ). Unmittelbare Folgen des Ungleichgewichts zwischen externen Anforderungen und internen Problemlösungskapazitäten: o Chronische Unterfinanzierung. ○ Entscheidungsblockaden auf allen Ebenen. (Erfolglose) Versuche der Bewältigung der institutionellen Krise: formale Differenzierung von Organisationstypen und –rollen. o Lehruniversitäten/-professoren vs. Forschungsuniversitäten/-professoren. o International relevante vs. bloß regional bedeutsame Universitäten o Fusionen und strategische Partnerschaften. Das Konzept der„unternehmerischenUniversität“ nach Burton Clark benennt empirisch beobachtbare, erfolgreiche Reaktionsmuster: o „strengthened steering core“ (starke Universitätsleitung, Entmachtung von Kollegialorganen, Einführung von Department-Strukturen). o „expanded developmental periphery“ (angewandte, problemorientierte Forschung; Universitätsausbildung als berufsbefähigend und berufsbegleitend). o „diversified funding base“ (Wachstum über Drittmittel von Stiftungen und Unternehmen sowie Studiengebühren und Alumni-Spenden). o „stimulated academic heartland“ (interdisziplinäre Forschung; trad Disziplinen + neue Forschungsfelder). o „integrated entrepreneurial culture“ (instit Unternehmergeist durchzieht ganze Universität: Department+ Verwaltung) o Ergebnis der neuen europäischen Universität? „Self-defining, self-regulating universities have much to offer. Not least is their capacity in difficult circumstances to recreate an academic community. Toward such universities, the entrepreneurial response leads the way.“ 4. Die neue amerikanische Universität US-amerikanische Universitäten sind global gesehen führend, allerdings sind nur ca. 200 von 5.000 auch tatsächlich Forschungsuniversitäten: o „By any measure or set of indicators, American research universities can claim unrivaled global preeminence“ (19). o „American institutions consistently occupy seventeen of the top twenty slots in the authoritative ranking of world-class universities“ (21). Allerdings übersteigt die hohe Nachfrage nach universitären Bildungsabschlüssen das verfügbare Angebot, es gilt das Prinzip der Exklusion: o „demand for advanced teaching and research (...) has reached fever pitch and exceeds the currently available supply“ (20). o „Unable or unwilling to accommodate enrollment demand from academically qualified students, our leading institutions have, in recent decades, come to define their status through admissions practices based on exclusion“ (23). Wenn das Bildungsangebot nicht steigt, ist nach Crow/Debars (2015) die globale Führungsrolle der Vereinigten Staaten gefährdet, gerade angesichts aufstrebender Nationen, die stark in Bildung und Forschung investieren: „American higher education can no longer assume that its competitive position in the world is unassailable. Our global economic leadership is challenged by ambitious emerging nations that intend to compete by making massive investments in education and research“ (26). Fehlender Bildungsaufstieg zwischen den 1945-1954 ( frühe „Babyboomer“) und 1975-1984 (späte „Generation X“) Geborenen (Abb.): /Elterneinkommen und Immatrikulationsquoten ihrer Kinder (Abb.) Das Leitbild der Arizona State University (ASU) enthält Elemente der unternehmerischen Universität im Sinne von Clark: „stimulated academic heartland“ und „integrated entrepreneurial culture“. o Conduct Use-Inspired Research: ASU research has purpose and impact. o Fuse Disciplines: ASU creates knowledge by transcending academic disciplines. o Engage Globally: ASU engages with people and issues locally, nationally, and internationally. o Leverage our Place: ASU embraces its cultural, socioeconomic, and physical setting. o Value Entrepreneurship: ASU uses its knowledge and encourages innovation. Das Leitbild der ASU umfasst aber zugleich die Inklusion breiter Bevölkerungsschichten und damit die Transformation des bisherigen Universitätsmodells nordamerikanischer Prägung: o Enable Student Access: ASU is committed to the success of each unique student. o Be Socially Embedded: ASU connects with communities via mutually beneficial partnerships. o Transform Society: ASU catalyzes social change by being connected to social needs. Welche Erfolge hat die ASU seit dem Strategiewechsel im Jahr 2002 vorzuweisen? Beispiel: Immatrikulation nach Familieneinkommen Welche Erfolge hat die ASU seit dem Strategiewechsel im Jahr 2002 vorzuweisen? Beispiel: Durchschnittskosten pro Bildungsabschluss Welche Erfolge hat die ASU seit dem Strategiewechsel im Jahr 2002 vorzuweisen? Beispiel: eingeworbene Forschungsdrittmittel Welche Erfolge hat die ASU seit dem Strategiewechsel im Jahr 2002 vorzuweisen? Beispiel: eingeworbene Forschungsdrittmittel (Abbildungen.) 5. Zusammenfassung und Diskussion Mythos der humboldtschen Universität prägt bis heute den öffentl Diskurs in DE + ist nach Ende der globalen Führungsrolle des deut Wissenschaftssyst zum Kristallisationspunkt einer die Vergangenheit verklärenden Universitätsidee geworden. interne Organisationsstr der deut Universitätisttraditionell durch eine schwache Leitung, langsame und entscheidungsschwache Kollegialorgane sowie eine hierarchische Lehrstuhlstruktur gekennzeichnet. Dem gegen über ist die nordamerikanische Universität durch eine manageriale Leitung, verknüpft mit einer kollegialen Department-Struktur mit Karrieresystem und einer forschungsorientierten Nachwuchsausbildung in Graduate Schools geprägt. Einigeeuropäische Universitätenhabenseitden1970erJahrenReformen („unternehmerische Universität“) mit dem Ziel begonnen, die institutionellen Schwächen des traditionellen Universitätsmodells zu überwinden und sich an das US- amerikanische Organisationsmodell anzunähern. Dem gegenüber gibt es im US-amerikanischen Universitätssystem die zunehmende Tendenz sozialer Exklusion, die langfristig seine Leistungsfähigkeit beeinträchtigen könnte. Daher hat die ASU („Pionieruniversität“) die Beteiligung bislang bildungsferner Schichten erhöht und ihr Forschungs- und Lehrportfolio stärker an gesellschaftlichen Problemen orientiert. WSoz VL04) Stratifikation und Statushierarchien 1. Einführung: Universitätsrankings University Rankings: Times Higher Education 2024 (Abb.) 2. Universität und Status: Was sind „Elite“-Universitäten? Selectivity in Student Admission / „What it takes to get into the Ivy League“ Admissions decisions are on the basis of high test scores (SAT, ACT) and top-notch grades (GPAs), as part of „a holistic review process that considers quantitative and qualitative factors. Recommen- dation letters, application essays and extracurricular activities are heavily emphasized in Ivy League admissions“ (US News Report). The average undergraduate tuition & fees of Ivy League is $62,070 in the academic year 2022-2023, for graduate programs $51,850 on average. The average acceptance rate is 5.36%. The average SAT score is 1,540. The average salary after 10 years of graduation from the Ivy League is $115,938 (www.collegetuitioncompare.com, www.usnews.com). Ivy League: Princeton Univ, Columbia Univ, Harvard Univ, Yale Univ, Univ of Pennsylvania, Dartmouth College, Brown Univ, Cornell Univ. US Higher Education – Carnegie Classification 2021/Forschungsaktivität als Unterscheidungsmerkmal(Abb.) Definition: Stratifikation und Statushierarchien Status: Neben Macht und Reichtum eine der fundamentalen Dimensionen sozialer Ungleichheit (Max Weber). − Ein Verhältnis zw. soz. Gruppen,z.B.Schichten,Kasten, Berufsgruppen, Rassen/Ethnien, Gender. − Eine hierarchische Bez. zw. Individuen, die durch Unterschiede im Ansehen oder Einfluss deutl. wird. Stratifikationssystem: Diejenigen Institutionen, die soziale Ungleichheit auf einer oder mehreren Dimensionen (z.B. Status) erzeugen und aufrecht erhalten (Grusky, 2015). Anwendung auf Universitäten: − Prestige: Status v. Universitäten als Organisationen − Reputation: Status v. Wissenschaftl. Qua Anerkennung ihrer Beiträge in einem intelek. Feld (Whitley) 3. Die strukturelle Messung von universitärem Prestige „The academic caste system: prestige hierarchies in PhD exchange networks.“ /Val Burris, 2004, p. 239: „The prestige of academic departments is commonly understood as rooted in the scholarly productivity of their faculty and graduates. I use the theories of Weber and Bourdieu to advance an alternative view of departmental prestige, which I show is an effect a department’s position within networks of association and social exchange—that is, it is a form of social capital.“ PhD Exchange Network in Sociology / Faculty Placement Networks: Basic concept (Clauset et al. 2015) (Abb.) Departments of one discipline (Top): Placements for 267 computer science faculty among 10 universities, with placements from one particular university highlighted (...) (Bottom): Prestige hierarchy on these institutions that minimizes the total weight of “upward” arcs, (...) (fig. 1, pp. 2). Data summary for tenure-track faculty per discipline (Abb.) Strukturelle Messung in „Faculty Placement Studies“ Rekrutierung von Professor*innen als Status-Anerkennung zwischen Universitäten. Prestige ist kein indiv. Attribut, sondern wird v d Position in einem soz Netzwerk abgeleitet: PhD Austausch- Netzwerke als emp Basis für die Bestimmung v Prestige- Hierarchien zwischen Departments. Eine Def v Status auf der Basis von verhaltensbasierten Netzwerkdaten wird als „objektiv“ oder strukturell bezeichnet, im Gegensatz zu Status als “subjektiver“ Bewertung, z.B. auf Basis von Expertenbefragungen. US faculty production is steeply skewed (Abb.) Conclusions from earlier faculty placement studies (Burris 2004, Clauset et al. 2015). 1) Faculty placement networks provide the basis for structural measurement of university prestige (status). 2) Academic disciplines are densely connected networks of departments. 3) Faculty positions are a central resource in inter-departmental competition. 4) The recognition of university prestige reflects a structural reality of a core-periphery structure, dominated by a few nodes (“rich core structure”). 5) Social closure of academic career paths already occurs at the stage of graduate admission, with very little subsequent upward mobility. 4. Universalityofprestigehierarchiesacrossfields(USA) Wapman, K.H., Zhang, S., Clauset, A., Larremore, D.B. (2022). Nature, 610: 120-127. Ausweitung des Studiendesigns auf alle Fächer 2011-2020 Datenbasis: census of the US academic market obtained under a data use agreement with Academic Analytics Research Center (AARC) Faculty at 368 PhD-granting universities in the United States n = 295,089 faculty in 10,612 departments 07 fields in 8 domains. Universal inequality in the production of US-trained faculty / Number of faculty per field, example of social sciences domain / The 15 universities with the highest share of faculty produced / The 10 most prestigious universities in terms of placement hierarchy / Heatmap of pairwise Pearson correlations between prestige hierarchies of fields / Prestige change from doctorate to faculty job in the US faculty hiring network (ABB.) Conclusions from faculty placement studies (Wapman et al. 2022, Clauset et al. 2015). 1) Steep prestige hierarchies are universal across fields in the US- American university system. 2) A small minority of US universities train the large majority of all faculty. Overall, 80 percent of all US trained faculty were trained at just 20.4 percent of universities. 3) Faculty size plays a role, but cannot alone explain placement hierarchies. 4) Social closure of academic career paths already occurs at the stage of graduate admission, with very little subsequent upward mobility. 5) The prestigious and tightly interconnected core has higher “diffusion power” than the periphery (Morgan et al., 2018), both due to faculty placement (socialization), and through higher productivity and visibility. 5. US Präsidentschaftswahl: Anti-elitäre Propaganda mit anti-wissenschaftlichen Zielen? “Available findings do not support the conclusion of a general crisis of public trust in science but a crisis of conservative trust in science. Reaction to scientific findings is highly polarized, with Republican voters and self-identified conservatives far more likely to reject consensus scientific findings, particularly on climate change and Covid-19 response. When it comes to the question of whether the globe is warming at all, the proportion of Republicans accepting that conclusion has decreased since 2000, from about 75 percent to only about 55 percent, even as scientists have declared the fact of global warming to be ‚unequivocal.‘ Oreskes & Conway (2022), Daedalus 151 (4): 98–123. WSoz VL05) Wissenschaft und Geschlecht // Geschlechterverhältnisse Einführung Wo + wie stoßen Wissenschaftssoziolog*innen auf das Thema „Wissenschaft und Geschlecht“? - Überall+ oft, ohne extra danach zu suchen. Auch die Prägung v Wissenschaft durch andere soz Faktoren, präsentiert sich in verschiedenen Daten auf mannigfaltige Weise. − Zsm m Faktor Geschlecht= Modi der sozialen Prägung v Wissenschaft sichtbar: Wissenschaft: > Produktion v Arbeit(sprozessen), deren Strukturen + Organisation, der soz Ungleichheit, die sich in ihr zu Erkennen gibt u durch sie reproduziert wird; Zentralität v soz Interaktion, v Kommunikation, Medien, Bedeutungszuschreibung (alles Kernthemen der Soziologie) REPETITION (2. Sitzung): Warum Wissenschaftssoziologie? Wissenschaft: zentr Bedeutung für die Entstehung und Funktionsweise nahezu aller Forschungsgegenstände der Soziologie. Wissenschaftl Wissen informiert den Ausbau gesellschaftl Institutionen + Organisationen, die Entwicklung + Bezugnahme auf soz Normen (bspw. Geschlechternormen) +die materiellen Grundlagen v Vergesellschaftlichung + sozialen Ha Grundlagen v Vergesellschaftlichung + soz Handelns. → Wer Gesellschaft verstehen will, sollte Wissenschaft verstehen → Wer Geschlechternormen- u Verhältnisse verstehen will, sollte der Frage nachgehen, welche Rolle Wissenschaft für die Entstehung, Reproduktion u Transformation dieser Normen und Verhältnisse gespielt hat. Gleichzeitig ist Wissenschaft Resultat und Teil sozialer Prozesse → Wer Wissenschaft verstehen will, sollte Gesellschaft verstehen. → Wer Wissenschaft verstehen will, sollte der Frage nachgehen, welche Rolle Geschlecht in Prozessen der Produktion wissenschaftlichen Wissens spielt Die Analyse der Entstehung und Funktionsweise von Wissenschaft ist für diejenigen, die Wissenschaft selber auch betreiben (und damit auch für Studierende), auch Selbstreflexion. Krause, Monika. "On sociological reflexivity." Sociological Theory 39.1 (2021): 3-18. → Wir können fragen: welche Rolle spielt Geschlecht in den Wissenschaftsproduktionskontexten, an denen wir mitwirken? Was ist Geschlecht? Eine Selbstverständlichkeit 1950er bis 1970er Jahre (de Beauvoir bis Oakley): Unterscheidung „soziales“ vs. „biologisches Geschlecht“ – gender vs. sex Ab 1980er Jahre: soziale Konstruiertheit auch des biologischen Geschlechts – (Butler, gender studies) Konstruktion von Geschlecht ist konstitutiv für Geschlechterverhältnisse, basiert auf Geschlechternormen (die vorgeben wie ein als „männlich“ oder „weiblich“ definierte Person sein, fühlen und handeln soll, welche (Geschlechter- )Rollen sie einnehmen soll und welche Räume ihnen offen stehe (z.B. in Wissenschaftssystemen) und welche Handlungsmacht (agency) sie darin hat und welcher Geschlechterhabitus (Bourdieu) an welche Geschlechterordnung gekoppelt ist Geschlecht als analytische Kategorie in der Untersuchung von Wissenschaft und Technik Geschlecht ist eine „nützliche Kategorie“ (Joan Scott 2010) zur Analyse von: Strukturen, Ereignissen, Akteuren, Netzwerken, Handlungen, Prozessen, aus denen Wissenschaft und Technik hervorgehen und in deren Rahmen sie benutzt werden Dazu gehören: Bestimmte Institutionen, Organisationen, historische Entwicklungen, Inhalte Wissenschaftliche Einrichtungen und Systeme mit ihren personellen Strukturen, Organisationen Abläufen und Kulturen; wissenschaftliche Praktiken; Forschungsresultate; Wissensnutzung Für alle W-Fragen: Wer produziert(e) mit welchen Zielen, wo, wie, welches Wissen/Technik und wie wird/wurde dieses Wissen/Technik von wem wozu genutzt? – Wieso so und nicht anders? Wallach Scott, Joan. "Gender: still a useful category of analysis?." Diogenes 57.1 (2010): 7-14. Technik und Wissenschaft prägen alltägliche Reproduktion von Geschlechterordnung Technische Entwicklungen prägen Geschlechterordnungen und die alltäglichen Praktiken, in denen sie reproduziert werden: z.B. Reproduktionsarbeit Geschlecht als Forschungsgegenstand – Geschlecht als Produkt von Wissenschaft und Technik Ab dem 19. Jahrhundert werden Geschlechterdifferenz bzw. Geschlechterspezifisches in der bio (inkl. biochemischen) Beschaffenheit u Funktionsweise v Menschen (u nicht-Menschen), in ihrem Verhalten, in ihrem Denken u in ihrem Fühlen zunehmend Gegenstand wissenschaftl Forschung Es kann v einer Verwissenschaftlichung v Geschlecht gesprochen werden an der Expert*innen aus unterschiedl Bereichen beteiligt waren: Medizin, Biologie, Psychologie, Soziologie etc. Die Annahme der Existenz v 2 Geschlechtern u deren Gegensätzlichkeit (Geschlechterbinarität) wird seit dem 20. Jh. wesentlich durch (va. Lebens-)wissenschaftliche Wissensbestände legitimiert Wissenschaftl Erkenntnisse sind im Zsmh v Geschlecht(zuschreibungen) u v Beschreibungen v dem was für Personen, die einem best Geschlecht zugeordnet werde normal ist, oft nicht nur deskriptiv sondern auch präskriptiv u können eine normative Funktion einnehmen. Wissenschaftl Wissen ü Geschlecht kann auch Ausgangspunkt sein für mat Praktiken der Geschlechtskörperformierung Geschlecht als sozialer Faktor in Wissenschaftsproduktion: Ausschluss, formelle Regeln Wer darf offiziell studieren? Wer kann (wie lange) studieren und forschen? Sozioökonomische und kulturelle Faktoren: care-Arbeit? Soziale Interaktionspraktiken und Habitus? Geschlecht und die Darstellung von Wissenschaft und Technik Geschlecht beeinflusste historisch wer wie (u ob überhaupt) als Wissenschaftlerin oder Erfinderin dargestellt wurde. In (populär)kulturellen Kontexten, in pädagogischen Materialien, in Wissenschaftspopularisierung (z.B. im Museum, in Wissenschaftskommunikation) aber auch in den wissenschaftsuntersuchenden wissenschaftlichen Disziplinen und Gebieten (inkl. Wissenschafts- und Technikgeschichtsschreibung) Oft Ausschluss von weiblichen (und von nicht westlichen) Forscher*innen aus Geschichtsschreibung. Wieso? – auch weil Frauen an Orten und in Weisen wissenschaftlich Tätig waren, die nicht mit „Wissenschaft“ assoziiert worden sind Gegendarstellungen. Z.B. in feministischer Science Fiction Wissenschaft und Geschlecht – Überschneidungen mit anderen Forschungsbereichen? Methoden? Welche Fachbereiche beschäftigen sich neben der Wissenschaftssoziologie noch mit dem Verhältnis Wissenschaft- Geschlecht? (u.a. Geschlechtersoziologie, Genderstudies, Geschlechtergeschichte, Kultursoziologie, Science and Technology Studies, Familiesoziologie, Migrationssoziologie) Welche Fragestellungen lassen sich mit welchen Methoden erforschen? Quantiativ? Qualitativ? WSoz VL06) Militärisch- industriell-staatliche Patronage im Kalten Krieg// Patronage und Agnotologie Patronage und Wissenschaft Patronage bedeutet, dass wissenschaftliche Forschung einen – im wörtlichen Sinne - „Patron“ hat, der Ressourcen zu ihrer Durchführung und zur Verbreitung ihrer Ergebnisse zur Verfügung stellt. Wissenschaft und Forschung generieren üblicherweise nicht die finanziellen und personellen Ressourcen, die zu ihrer Durchführung notwendig sind, die Ressourcen kommen „von außen“. Histor waren nach der Reformation die Fürstenhäuser Europas von großer Bedeutung, was die Patronage von neuen Forschungsgebieten anging, ab dem 19. Jhd. Nationalstaaten und Unternehmen (VL 1, 2). Die Zeit während des 2. WK brachte eine neue Stufe v Big Science- Patronage (Manhattan Project) hervor. Daher: die Beispiele Umwelt-, Lebens- und Sozialwissenschaften beziehen sich auf die Zeit nach 1945. Bei Patronage ist die Frage zentral, inwiefern sie mit Auflagen verknüpft, ist (Autonomie vs. Heteronomie): Geheimhaltung, disziplinäre / thematische Schwerpunktsetzung, Verwertungsbedingungen. 1. Militärische Patronage in den Umweltwissenschaften Was ist militärische Patronage? "Military patronage and the assimilation of science into the highest levels of national security and foreign policy planning – shaped the character [of] the physical environmental sciences. Indeed, earth scientists working within military organizations themselves employed the term ‘environmental sciences’ as the focus of their inquiry by the 1950s“(Doel 2003: 636). Elemente militärischer Patronage Bereitstellung v umfangreichen Forschungsbudgets, die anderen Feldern und Gebieten nicht zur Verfügung stehen. Damit verbunden: Festsetzung neuer Forschungsfragen, methodisch-technische Herausforderungen für Forschung. Vor allem in Kriegszeiten: 2. Weltkrieg und Kalter Krieg machen die geophysikalische Forschung zu einem militärisch wichtigen Gebiet, das stark gefördert wird (Wettervorhersage, Meeresoberflächen). Kalter Krieg seit den 1950er Jahren Erforschung der Arktis, physikal Eigenschaften v Schnee u Eis +radioaktivem Niederschlag (Ozeanographie). Erforschung z Verhalten u Verbreitung (atomarer) Partikel in der Atmosphäre in Folge eines Atomkrieges (Meteorologie). Patronage: die Förderung konkreter Forschungseinrichtungen, die als militärisch relevant eingestuft werden: Scripps Research Institute (CA), Lamont Geological Observatory (NY). − „Lamont’s geochemical laboratories were well equipped, in part because Lamont became a key institutional player in Project Sunshine, an AEC-led effort to secretly assess the spread of radioactivity worldwide from US atomic tests in the Pacific“ (Doel 2003: 642). Welche Auswirkungen hat militärische Patronage? Agendasetting und disziplinäre / thematische Schwerpunktsetzung: − „Patronage can shape research schools, and hence influence the production of researchers, guide the questions that researchers ask, place newly trained recruits in other leading research institutions, and affect the boundaries and core areas of larger research communities“ (Doel 2003: 640). − „In 1968, the biological sciences received just over 10% of the NSF’s [National Science Foundation] total budget, and ONR’s [Office of Naval Research] annual budgets for biology and medicine ‘represented relative neglect’ (Doel 2003: 653). Geheimhaltung von militärisch relevanten Ergebnissen: − „Geophysics, secrecy, data-collection, intelligence-gathering, and research agendas were closely interlinked because of the strategic place that the earth sciences occupied in Cold War national security policy“ (Doel 2003: 647). 2. Politische Patronage in den Sozialwissenschaften Themen der vom CCF geförderten Study Groups und Minerva Wandel der Forschung von Little zu Big Science (Derek de Solla Price). Entideologisierung des technischen Fortschritts und der nach-industriellen gesellschaftlichen Entwicklung (Daniel Bell, 1973: Post-industrial Society). Vor- und Nachteile von Marktdynamik und Planung bzw. zwischen dezentraler und zentraler Steuerung der modernen wissenschaftlichen Forschung (Alvin M. Weinberg vs. Michael Polanyi). Skandalisierung der CIA-Finanzierung im Westen "What can a free thinker say about his freedom, asked the Sunday Times of London, when he finds out that his free thought has been subsidized by a ruthlessly aggressive intelligence agency as part of the international Cold War?“ (Aronova 2014: 404). „Most of the CCF's members continued to be engaged in the organization, either knowing or suspecting its source of funding, assuming that as long as they are not dictated or controlled in their intellectual activity, they can claim their intellectual indedendence and integrity“ (Aronova 2014: 405). 3. Wirtschaftliche Patronage in den Lebenswissenschaften Gegenüberstellung von Universitätsforschung und Industrieforschung Akademische Forschung ist gemeinhin für bahnbrechende Entdeckungen und für die Entwicklung von Theorien zuständig, die die Welt erklären sollen. Industrieforschung erhält ihre Berechtigung dadurch, dass Konsumenten mit leistungsfähigen Technologien versorgt werden (z.B. Smart Phones). Die interne Organisation von Universitäten und Firmen spiegelt die unterschiedliche Ausrichtung: Fakultäten sind typischerweise entlang von Fächergrenzen organisiert, Forschungsabteilungen in Unternehmen dagegen an den jeweiligen Märkten. Was geschieht, wenn Universitäten und Firmen kooperieren? Übliche Antwortet lautet: die Firmen schränken die Freiheiten für die akademische Forschung ein (Themen, Geheimhaltung, Verwertung). Evans (2010) Antwort ist differenzierter und wird an der Unterscheidung von industrieller von staatlicher Patronage entwickelt: − Industrielle Patronage: es entsteht bahnbrechendes und disruptives Wissen, das aber weniger disziplinär vertieft und theoretisch gerahmt wird. − Staatliche Patronage: der Wissensfortschritt ist inkrementell, neue Ideen werden eher aussortiert als ausprobiert, aber das Wissen hat mehr disziplinären Tiefgang. 4. Diskussion und Ausblick Ohne Patronage gibt es keine wissenschaftliche Forschung. Da die Forschung selbst keine direkten Erträge abwirft, ist sie auf die Finanzierung / Unterstützung durch Förderer angewiesen. Die Patronage ist ein historisches Phänomen: Fürstenhäuser, Nationalstaat, Großunternehmen, Mäzene sind Patrone, die entscheidende Wirkung auf die Disziplinenentwicklung hatten. Staatliche Förderung ist verbunden mit Krieg und Landes- verteidigung, kommerzielle Förderung ist eng an technologische Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit geknüpft. Die einfache Gegenüberstellung zwischen akademisch freier (Universitäts-)Wissenschaft und kommerziell gebundener Forschung ist historisch nicht (!) zutreffend. Vorlesungsteil Agnotologie 1. Agnotologie. Forschungsgegenstände und -ziele Begriff Agnotologie bezeichnet die (wissenschaftsanalytische) Untersuchung der Produktion und Aufrechterhaltung von Unwissen Unwissen wird dabei nicht verstanden als ein „natürlicher“ Zustand des Nicht-Wissens, der vor dem Wissen kommt, sondern als Resultat von aktiven,intentionalen, kulturellen und sozialen Praktiken wie: − Unterdrücken von Informationen (z.B. Zensur) − Manipulatives Verbreiten falscher und irreführender Informationen (über Wissenschaft und Wissenschaftler*innen), (die als wissenschaftlich inszeniert werden) Agnotologie untersucht mit welchen politischen und ökonomischen Interessen die Produktion und Aufrechterhaltung von Unwissen verbunden war und ist Agnotologie untersucht, wie Wissenschaft an der Produktion von Unwissen beteiligt gewesen ist → In jüngeren Studien (u.a. wissenschaftsethische) Auseinandersetzung: Rolle von Wissenschaft in Bekämpfung von bewusst produziertem Unwissen → Vor allem aber: Analyse v Wissenschaft als Produzentin von Unwissen: “Science has traditionally been billed as our foremost producer of knowledge. For more than a decade now, however, science has also been billed as an important source of ignorance. Indeed, historian of science Robert Proctor has coined a new term, agnotology, to refer to the study of ignorance, a new area of inquiry, and it turns out that much of the ignorance studied in this new area is produced by science” (Kourany/Carrier 2021, 3) → Agnotologie dekonstruiert falsche/“traditionelle“ Annahmen (Narrative, Stereotypen etc.) über Funktionsweise von Wissenschaften als stets (dem Gemeinwohl dienendes) Wissen produzierend → Agnotologie beschäftigt sich mit der (epistemischen) Unsicherheit, die mit wissenschaftl. Wissen verbunden ist, weil Wissenschaftler*innen sich (gegenseitig und selber) korrigieren.: Agnotologie verfolgt wie diese Unsicherheit (von Wissenschaftler*innen) ausgenutzt wird, um Wissenschaft und Wissenschaftler*innen zu diskreditieren → Forschungsziel: agnotologische Forschung will dazu beitragen, dass Öffentlichkeit besser zwischen „gesunder Skepsis“ gegenüber wissenschaftlichen Diskursen und durch Manipulation gesäte Zweifel unterscheiden kann Genealogie der Unwissensheitsforschung hat versch Stränge. Zu den wichtigsten: feministische Studien dazu, wie: Frauen aus Geschichtsschreibung herausgeschrieben worden sind Frauen(Gesundheits)bezogenes Wissen nicht zirkulierte oder nicht produziert worden ist − Bsp. Wissen über abortive Pflanzen (Schiebinger 2004) − Bsp. Forschung zu Gesundheitsthemen die v.a. Frauen besonders betreffen (gender pain gap, undone science) Wohl Bekannteste und einflussreichste Studie: Oreskes und Conway: Merchants of Doubt, 2010 “Oreskes’ and Conway’s study reveals the often-hidden mechanisms of power that can shape science’s position and influence on public discourse and it also challenged some of the popular misconceptions of science. We are often led to assume that science provides us with absolute certainty. Yet, precisely this assumption allowed these so-called “merchants of doubt” to continuously question the scientific consensus surrounding the hazards of tobacco consumption. According to Oreskes and Conway, we should adopt a more nuanced image of science that acknowledges that science does not produce certainty, while it nonetheless produces consensus driven by standards and norms shared by the scientific community. We would then be in a better position to question which kind of doubt is based on genuine scientific interest and which one is driven by covert political and economic ones” Rathjen, Lukas, and Jonas Stähelin. "Towards a Negative History of Science: The Unknown, Errors, Ignorance, and the “Pseudosciences." Histories 2.2 (2022): 146-156, 149-150 (Hervorhebung CS). Begriff seit Mitte 1990er Jahre von verschiedenen Wissenschaftshistoriker*innen verwendet (siehe Bibliographie). 2. Merchants of Doubt In öffentl geführten Debatten zu versch. Themen – u.a. Rauchen+ Klimaerwärmung – intervenierten, insb. ab den 50er Jahren, eine Reihe profilierter Wissenschaftler und Lobbyisten durch Artikulieren, Verbreiten und Generieren von Zweifel an Forschungsmeinungen, die in relevanten scientific communities zu diesen Themen Konsens sind Diese Lobbyisten – u.a. Physiker Bill Nierenberg, Fred Seitz und Fred Singer - waren an Entwicklung von Atombombe (Manhattan Project), Satelliten und anderen militärischen Technologien beteiligt; arbeiteten in staatlichen Institutionen (insb. in Reagan Admin.); mit Verbindungen zu betroffenen Industrien, bspw. Tabakindustrie, konservativ, anti-kommunistisch; in ihren Fachgebieten anerkannt und in in einflussreichen Positionen, äußerten sich allerdings auch zu Themen jenseits dieser Gebiete; gründeten neue, ressourcenreiche Organisationen zur systematischen Diskreditierung von etablierter Forschung zu genannten Themen Modus operandi der Verkäufer des Zweifels − Anstellen von Wissenschaftler*innen, die – beraten von Industrieanwälten und Public Relations Expert*innen gezielt unliebsame Wissenschaft angreifen („science against science“). Durch: o In Frage Stellen/Anzweifeln der Robustheit von Datenlage, Schlüssigkeit von vorgebrachten Argumenten und Belegen diskreditieren als “schlechte Wissenschaft“ o Vorwurf wissenschaftlichen Fehlverhaltens (z.B. Manipulation von Daten) o In Frage Stellen/Anzweifeln der Kompetenz und Interessen der Wissenschaftler*innen „schlechte Wissenschaftler“, Kommunisten etc. − Alternative Erklärungsansätze verbreiten (Klimaerwärmung durch Vulkanausbrüche) − Betonen das Renommee der Verkäufer des Zweifels (keine Randfiguren) − Dementieren/Ausblenden des de facto existierenden, breiten wissenschaftlichen Konsens zu Themen: Klimaerwärmung. Suggerieren, dass dazu eine offene wissenschaftl Debatte m 2 „Seiten“ existieren würden. Hier auch Nutzung medialer Repräsentation, die journalistischer Norm einer ausgewogenen Berichterstattung folgt Beispiel Gesundheitsfolgen von Rauchen − Seit 1930er Jahren mobilisiert Tabakindustrie in der Produktwerbung Bilder von Wissenschaftlern um gewisse − Marken als besonders gesund darzustellen − Ab 50er Jahren zunehmende wissenschaftliche Belege für Schädlichkeit (insb. Karziogenität) von Rauchen, gegen die die Industrie systematisch Wissenschaft einsetzt − 1953: Tabakunternehmer gründen Tabacco Industry Research Committe, um Zweifel an der Aussagekraft steigender Anzahl von Studien, welche Karziogenität von Rauchen belegen, zu sähen; Durch: o Versuch durch eigene Studien gegenläufige Ergebnisse zu produzieren (alternative research) o Betonen einzl Daten aus ex Studien, die gegenläuf Schlüsse pl erscheinen lassen (cherrypicking data) − Allein im Jahr 1981 erhält committe $ 6.3 Mio. zur Finanzierung von 640 Studien (American Cancer Society und American Lung Association geben zusammen rund $ 300.000 aus im selben Jahr) − 1979 beginnt Seitz ein von R.J. Reynolds gesponsertes Programm zur Erforschung von Krebs, Diabetes und Herzerkrankungen voranzutreiben − Programme suggerieren, dass de facto eindeutig belegte, gesundheitsschädigende Wirkung wissenschaftlich umstritten sei − Effekte: Konsument*innen vertrauen etablierter wiss. Erkenntnis nicht (mehr), juristische und politische Maßnahmen zur Prävention massiv erschwer Kernelemente der Strategie, die Verkäufer des Zweifels in Debatte um Gesundheitsfolgen des Rauchens anwandten („the tabacco strategy“) werden übernommen, ergänzt und im Umgang mit anderen Themenangewandt, u. a. im Umgang mit: − Reagan‘s Strategic Defense Initiative (Star Wars): Nach Kritik von versch. Wissenschaftlern an Idee, dass USA durch neue Militärtechnologie Kalten Krieg „gewinnen“ könne“ initiiert Seitz die Gründung des George Marshall Institute. Von dort aus: Anzweifeln der Integrität von Gegner*innen des SDI durch Unterstellen von politischen Bias (durch angebliche Nähe zu linker Politik) − 1982 White House Office of Science and Technology Policiy schafft Panel zu Saurem Regen (entsteht durch industrielle Abgase, fällt z.T. nicht am Emissionsverursachungsort, sondern in anderen Ländern). Singer versucht Report des Panels zu beeinflussen und betont das wissenschaftliche Erkenntnisse zur Schädlichkeit von Saurem Regen nicht robust wären. ----> zunächst (unter Reagan) keine Maßnahmen − Singer säht Zweifel an Studien, die Verbindung zwischen (Chloroflurocarbons (CFC´s, benutzt in Sprühdosen, Klimaanlagen und Kühlschränken) und Ozonloch herstellen. Mediale Kampagne u.a. in Wallstreet Journal, in der Ozonloch Problematik als unbedeutend und wissenschaftl nicht belegt dargestellt wird. Wissenschaftler, die dazu Belege liefern werden als Kommunisten, Technologie-advers und korrupt bezeichnet. − 2. Hälfte 1980er Jahre: Tabakindustrie, Seitz und Singer starten Schmierkampagne gegen Environmental Protection Agency (EPA), als diese versucht Rauchen in Innenräumen zu regulieren aufgrund wissenschaftlich belegten Gesundheitsfolgen von Passivrauchen. Sponsoring von „Experten“, die Schädlichkeit von Passivrauchen in Frage stellen, Diskreditieren von EPA als Wissenschaft zu politischen Zwecken manipulierend, Diskreditieren der Ergebnisse als Versuch, individuelle Freiheiten einzuschränken − Seit 1960er Jahren weisen Wissenschaftlerinnen Politikerinnen auf die Beziehung Emissionen – Klimawandel hin (Beziehung im Rahmen von Armee finanzierter Forschung untersucht). 1995 Beziehung von überwiegender Mehrheit von Fachexpert*innen als wissenschaftlich belegt betrachtet, von Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), weltweit wichtigste internationale Klimaforschungsorganisation, bestätigt. − 1989: Marshall Institute – mit Singer - veröffentlicht Report, demgemäß Klimaerwärmung durch Sonne, Vulkane und Treibhausgase verursacht wird. − Singer behauptet, dass die wissenschaftliche Grundlage der IPCC Empfehlungen zu „unsicher“ wäre, um vorgeschlagene „drastische“ Maßnahmen zu rechtfertigen; Behauptungen werden in Massenkommunikationsmedien publiziert, IPCC Wissenschafler*innen veröffentlichen nur in wissenschaftlichen Zeitschriften − Direkte Attacken gegen IPCC Wissenschaftler, die deren Integrität in Zweifel ziehen: dabei werden von z.B. Ben Santer vorgenommene Änderungen an Manuskripten (vorgenommen auf Vorschläge von Gutachtern im peerreview Verfahren hin) interpretiert als Datenmanipulation − „merchants of doubt“ zeigt, dass zentrale Strategien der Produktion von Unwissen über noch heute wichtige Phänomene und Probleme (bspw. Klimaerwärmung) Ursprünge im Kalten Krieg haben 4. Weitere agnotologische Untersuchungsfelder und Ansätze Umweltverschmutzung, insb. durch Pestizide, Bienensterben “undone science“, nicht durchgeführte Forschung, wird von Aktivist*innen/sozialen Bewegungen aufgegriffen, die selber Lücke füllen und Daten produzieren Desinformation zu Covid-19 Neuere Publikationen, in denen „Agnotologie“ auch Analyse der nicht- intentionalen Entstehung von Nicht- Wissen bezeichnet WSoz VL07) Wissenschaft u soz Bewegung Teil I: Einführung u Grusätzliches 1. Definitionen, Was ist eine soz Bewegung Was soz. Bewegung ausmacht, ist in der sozialwissenschaftl Forschung umstritten (der gewichtigste, aber nicht einzige Bereich, der sich mit soz Bew beschäftigt hat) Soz Bew: org Kollektiven v Menschen, die ein gem, meist pol o soz Ziel verfolgen (wie organisiert?) Ziel ist meist (soz) Wandel (o Kontinuität?) V unten? – nicht Eliten o (son) Machträger? Traditonelle vs „neue soz Bewegung“ V „links“? V „rechts“? „Social movements are conscious, concerted, and sustained efforts by ordinary people to change some aspect of their society by using extra-institutional means. Movements are more conscious and organized than fads and fashions. They last longer than a single protest or riot. There is more to them than formal organizations, although such organizations usually play a part. They are composed mainly of ordinary people as opposed to economic elites, army officers, or politicians. They need not be explicitly political, but many are. They are protesting against something, either explicitly as in antiwar movements or implicitly as in the back-to-the-land movement which is disgusted with mon urban and suburban life.“ (Goodwin/Jaspers: 2015: 3f.) „V [soz, Anm. d. Verf.] Bew sprechen wir erst, wenn ein Netzwerk v Gruppen u Org, gestützt auf eine kollektive Identität, eine gewisse Kontinuität des Protestgeschehens sichert, das mit dem Anspruch auf Gestaltung des gesellschaftl Wandels verknüpft ist, also mehr darstellt als bloßes Neinsagen. Ein wesentl Merkmal jeder Def v soz Bewegung ist die Kraft zur Veränderung, zumindest der Versuch, Einfluss auf soz Wandel zu nehmen: fördernd o bremsend, revolutionär, reformerisch o restaurativ. Das unterscheidet sie v Protestepisoden, v Moden u Strömungen o v Zufallskonstellationen.“ (Roth/Rucht 2008: 13) Mit Blick auf Themen einzelner Vorlesungssitzungen wichtige soz Bew: − Sozialreformbewegung - Arbeiter*innenbewegung – Frauenbewegung - Decolonize Bew − Friedensbewegung - Civil Rights Bewegung – Umweltbewegung – Querdenken 2. Das Verhältnis Wissenschaft u Soz Bewegung: Themen u Fragen für seine wissenschaftssoz Untersuchung Gebrauch v Wissenschaft durch soz Bew − Inwiefern positionieren sich soz Bew gegen einen bestimmten Gebrauch v Technik u Wissenschaft o ein bestimmtes Handeln v bestimmten Wissenschafterinnen? − Inwiefern stützen sich soz Bew in ihren politischen Forderungen auf wissenschaftliches Wissen? − Wie u wofür produzieren soz Bew wissenschaftl Wissen? Inwiefern waren o sind Wissenschaftlerinnen in soz Bew aktiv? Wie wurde das Wissen, das aus ihnen hervorgegangen ist, genutzt? Transformation v Wissenschaftssystemen u -ordnungen durch soz Bew − Entstehen durch soz Bew neue Fachgebiete? Soz Bew als Forschungsgegenstand v Sozial- u Geisteswissenschaften − Wie sind soz Bew z.B. in soz o anthropologischer Protestforschung seit den 1970er Jahren untersucht worden? Teil II: Historische u gegenwärtige Felder u Beispiele 3. Settlement Soziologie Die Settlement Soziologie stellt Verbindung zw. Wissenschaft u soz Bew dar, die sich Ende des 19. Jahrhuerts aus der Settlement Bewegung heraus entwickelt hat Entstand als Reaktion auf durch Industrialisierung hervorgerufene Armut in den Arbeitervierteln Ehrenamtl Engagierte aus privilegierteren Schichten ließen sich aufgrund emot Betroffenheit angesichts der unmenschl Lebensbed in benachteiligten Stadtvierteln nieder, um als Nachbar*innen am alltägl Leben im Viertel teilzunehmen, individuelle Unterstützung anzubieten (prominente Beispiele sind das Settlements „Toynbee Hall“ in London u das „Hull House“ in Chicago) Die Settlement Bewegung sah die kapitalistische Wirtschaftsweise u die damit einhergehende Ungleichverteilung materieller Güter als Ursache für die sich in den Arbeiterviertel zeigenden soz Probleme wie u.a. Kinderarbeit, Alkoholismus, unhygienische Behausung o wiederkehrende Epidemien. Insbesondere in den USA entwickelte die Settlement Bewegung eine eigene u vollständig elaborierte Soziologie, um die Strukturen, die diese soz Probleme verursachten, besser zu verstehen u zu verändern. Die Verbesserung der Lebenssituation der Menschen stellte damit auch die entscheidende Motivation für die wissenschaftliche Betätigung dar. Bewohner*innen durchgeführten Studien wurden teilweise in „The American Journal of Sociology“ veröffentlich. Welche Rolle kommt der Settlement Soziologie in der Wissenschaftsgeschichtsschreibung der Soziologie zu? 4. Soz Bewegung u Wissenschaftskritik im Kalten Krieg Im Kalten Krieg kommt es zu weitreichenden Transformationen in der öffentl Wahrnehmung v Wissenschaft: In den 60er J waren Wissenschaftler wichtige Heldenfiguren. In den 70er J werden sie in Massenkommunikationsmedien angegriffen. Sie werden für Krieg u Umweltverschmutzung verantwortlich gemacht u als durch die militärische u industrielle Patronage „gekauft" diskreditiert. „Over the course of the 1970s, the relationship between science and policy, between science and its publics, and between science and the questions it sought to answer uerwent substantial transformation. Much of this was influenced by the decade that preceded the 1970s. In 1960, TIME magazine hailed American scientists as their 'Men of the Year'. They were, according to the editors, the 'true 20th-century adventurers, the real intellectuals of the day'. They were, moreover, 'statesmen and savants, builders and even priests'. Their work was the engine of progress. They had touched the life of every human on the planet'. However, a short decade later, in 1970, scientists were vilified in the popular press. Science was disparaged as an integral part of 'the war/space machine', according to The Nation, deemed guilty by a hostile public of having contributed to 'war, pollution, and every manner of evil' (Moore 2009, 1)" (Egan, Survival Science, 26-27). Diese Transformationen stehen mit Wissenschaftskritik aus soz Bew in Verbindung 1960er Jahren: zunehmende Kritik an Wissenschaft u ihrer Rolle in bspw. Der Produktion v Atomwaffen durch unterschiedl Gruppen, die der Friedensbewegung, Umweltbewegung u Frauenbewegung angehören. In einigen Gruppen sind auch einzelne Wissenschaftler*innen aktiv Wissenschaftler*innen gründen solche Gruppen, v denen einige auch international – über den „Eisernen Vorhang hinweg“ operieren − z.B. International Physisicans for the Prevention of Nuclear War (ggr. 1980, USA-UDSSR), Science for the People (ggr. 1968, USA) In soz Bew engagierte o soz Bew bildende, den Status quo der Wissenschaften kritisierenden Wissenschaftler*innen sind nicht „geg Wissenschaft“, sondern setzen sich ein für eine „bessere Wissenschaft“ bzw. sind bestrebt selber „bessere Wissenschaft“ zu machen Wichtigste Kritikpunkte/Forderungen: − Wissenschaft für den Frieden u nicht für den Krieg o Kritik and „military science complex“ − Wissenschaft nicht für (kriegsführenden, „rassistischen“,„imperialistischen“) Staat o für Konzerne sondern „for the people“ − Wissenschaft, die Umwelt nicht zerstört, sondern schützt − Kritik an „männlicher“ Wissenschaft, für den „männlichen“ Atomkrieg Wichtigste Kritik/Verbesserungspunkte II: − Nicht nur Kritik an Gebrauch v wissenschaftlichen Wissen für bestimmte Zwecke wie Krieg, sondern auch an wissenschaftl Wissen selber, an Inhalten: → Kritik an biologischem Determinismus; z.B. an Vorstellung (verbreitet in gewisser kriminologischer Forschung (Vorlesung zur verwissenschaftlichung des Soz), dass bestimmte Menschen - etwa Frauen, Schwarze Menschen, indigene Menschen - aufgru ihrer biologischen (z.B. genetischen) „Disposition" zu Kriminalität neigen o nicht zu bestimmten (geistigen) Tätigkeiten befähigt wären Nicht nur Kritik an dem produzierten Wissen, sondern auch an generiertes Unwissen durch z.B. industrienahe Forschung -> Zusammenhang Agnotologie u sozr Bewegung Zusammenhang Agnotologie (letzte Sitzung) u sozr Bewegung I: − Soz Bew kritisieren die Kultur der secrecy, die Geheimhaltung v Informationen, die mit militärischer Patronage v Wissenschaft insb. in ClA Projekten einhergegangen ist: diese Intransparenz wird als mit demokratischen Werten unvereinbar bezeichnet. − Soz Bew kritisieren Verschleierung u Zensur, aber auch die Verbreitung v Fehlinformationen insbesondere über Umweltprobleme (vor allem Gefahren v Umweltverschmutzung) u Gefahren v kriegerischer u ziviler Nutzung v Nuklearenergie ---> Gegenstand agnotologischer Forschung − Gruppen wie „science for the people" formieren sich, um in ihren Aktivitäten durch Aufklärung u mit der Forderung nach Transparenz entgegenzutreten -> Agieren an Schnittstelle v Wissenschaft u Öffentlichkeit Soz Bew kombinieren - auf Basis der Kritik am Status quo der Wissenschaften - Forderung nach anderer Wissenschaft mit Forderung nach anderer Politik Forderungen kommen z.T. v Akteuren, die keine Wissenschaftler*innen sind, vor allem aber v Wissenschaftler*innen selbst Oft sind Forderungen informiert durch bekannt werdende Arbeiten v einzelnen Wissenschaftler*innen (die selber nicht unbedingt Teil v soz Bew waren). Trifft insbesondere auf Umweltbewegung zu. 5. Umweltbewegung macht Wissenschaft Ab den 1970er-Jahren wird in Gruppen, die sich im Rahmen v Umweltbewegung u insb. V „toxic struggles" (Kampf v unmittelbar Betroffenen gegen Umweltverschmutzung durch Industrie(katastrophen)) auf globaler Ebene (z.B. greenpeace) sowie auf lokaler Ebene (z.B. nach Love-Canal-Katastrophe 1978) formieren, wissenschaftliches Wissen generiert Genese u Auswerten v Daten (Boden-, Wasser u Luftproben), die Verschmutzung v Umwelt mit toxischen Substanzen belegen (sollen) Genese u Auswerten v Gesuheitsdaten (z.B. Blutuntersuchungen), Selbstbeobachtung - Protokollierung v Symptomen, welche Effekte v Umweltverschmutzung auf menschliche Gesuheit belegen (sollen): „popular epidemology" Interpretative Herstellung v Zusammenhang zw örtlicher Konzentration v Umweltverschmutzung u soz Ungleichheit: z.B. in USA „environmental racism“ (Konzentration v Umweltverschmutzung in Regionen, in denen v.a. African Americans u Native Americans leben); Forderung nach „environmental justice“. – Interpretation häufig unter Bezugnahme auf soziologische, philosophische u theologische (Ungleichheits, u Gerechtigkeit) Theorien („popular environmetal sociology“?) Soz Bewegung arbeiten in Wissensgenese auch mit Personen - z.B. Anwohnerinnen v v Verschmutzung betroffenen Gebieten zusammen, die (noch) nicht Teil v sozr Bewegung sind: „participatory science“ Soz Bew arbeiten auch mit professionellen Wissenschaftlerinnen, Politikerinnen u mit Journalistinnen zusammen 6. Soz Bewegung, Survival Science u Crisis Disciplines Im Kalten Krieg beginnt eine Dynamik zw der Formation u dem Aktivismus v soz Bew u der Entstehung neuer wissenschaftlicher Fachgebiete, die innerhalb u außerhalb universitärer Forschungs- u Bildungsinstitutionen institutionalisiert werden u die sich mit denselben Phänomenen befassen wie die soz Bew Besonders sichtbar wird diese Dynamik in der Wechselwirkung v einer öffentlichen Wahrnehmung einer zunehmend als katastrophal begriffener Umweltverschmutzung/bz bzw. eines drohendem ökologischem Kollaps u der Erstarkung v „Survival Science" im Sinne v Michael Egan (2018) Survival Science zielt auf Produktion v Wissen ab, das zur Lösung v ökologischen Problemen beitragen kann. Forschungsergebnisse v Survival Science unterstreichen gleichzeitig, dass solche ökologischen Probleme existieren, sie sehr ernst sind u dass es Surival Science braucht, um sie zu lösen Survival Science wird in Forschung unterschiedlicher, disziplinärer u interdisziplinärer Art betrieben (sowohl natur-, sozial- als auch geisteswissenschaHlich ("a mixture of science and art" Egan, 2018, 29)) Insbesondere entstehen in u zur Produktion v Survival Science neue Crisis Disciplines bzw. gewinnen bereits bestehende Fachgebiete als solche Bedeutung Zu den Crisis Disciplines gehören u.a.: Naturschutzbiologie, Umweltoxikologie, Risikoforschung o die Katastrophenforschung Mit den Crisis Disciplines werden Survival Sciences auch in die akademische Forschungslandschaft institutionalisiert Über Crisis Disciplines bewirken soz Bew strukturelle Transformationen in (der Fächerlandschaft in der Wissenschaftsordnung Aber auch auf inhaltlicher Ebene nehmen über Crisis Disciplines soz Bew Einzug in universitäre Forschungslandschaft, da Crisis Disciplines z.T. Daten nutzen, die v soz Bew, bspw. v Greenpeace generiert werden Gleichzeitig beeinflusst universitäre Forschungslandschaft mit Crisis Disciplines massiv soz Bewegung Dynamik zw sozr Bewegung u Institutionalisierung neuer wissenschaftlicher Fachgebiete lässt sich nicht nur für Umweltbewegung u Survival Science des Kalten Krieges feststellen, sondern auch für: − Frauenbewegung - Decolonize Bewegung -Heutige Umweltbewegung 7. Frauenbewegung, Feminismus u Wissenschaft Aus Frauenbewegung u Feminismus kommt verstärkt ab den 1970er Jahren Forderungen, welche 1. die Funktionsweise v Wissenschaftssystemen betreffen, 2. die Auswahl v Forschungsgegenständen u 3. das produzierte Wissen selber: Forderung, dass Frauen wissenschaftliche Karrieren ermöglicht werden Forderung, dass Frauen u Geschlechterdifferenz u -verhältnisse in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen mitzuberücksichtigen sind: − Z.B. in Geschichtswissenschaft auch Geschichte v Frauen u v Geschlechterverhältnissen u kulturellen Produktion v Geschlecht (etwa durch Wissenschaft) − Z.B. in Biomedizin: Erforschung v Krankheiten nicht nur mit Männern als Modell u Standard Forderung, dass sexistische Wissensbestände - z.B. Behauptung angeblicher biologischer Minderwertigkeit - in Lehrbüchern (etwa im Medizin- o Psychologiestudium) korrigiert werden Forderungen aus der Frauenbewegung u dem Feminismus tragen zur Entstehung u Institutionalisierung v Fachgebieten wie der Geschlechtergeschichte u den Genderstudies bei Institutionalisierung v z.B. Genderstudies wird (je nach Perspektive) als die soz Bewegung stärkend o schwächend wahrgenommen Forderungen aus der Frauenbewegung trägt zur Entstehung neuer (gesetzlicher) Vorgaben für Hochschulen bei (z.B. Regelungen zu gender bezogenen „affirmative action" ("Frauenquote")) u zur Schaffung neuer Strukturen, die deren Anwendung sicherstellen sollen (Gleichstellungsbeauftragte etc.) Institutionalisierte Gleichstellung an Hochschulen wird (je nach Perspektive) als Frauenbewegung u Feminismus befördernd o schwächend wahrgenommen 8. Kolonialismus, soz Bewegung u Wissenschaft In antikolonialen (Unabhängigkeits-)Bewegung der 1940er, 1950er u 1960er Jahre spielten Wissenschaftler*innen eine wichtige Rolle, z.B. Psychiater Frantz Fanon, der psychische Folgen v Kolonialismus erforschte. - Wissenschaftliche Argumente gegen Kolonialismus Seit den 1980er-Jahren widmen sich zivilgesellschaftliche Initiativen (ab 2000er Jahren „decolonize"-Bewegung genannt) in Deutschland der geschichtswissenschaftlichen Aufarbeitung Deutschlands kolonialer Vergangenheit: Produziertes Wissen wird an Öffentlichkeit kommuniziert (in zugänglichen Publikationen, Ausstellungen, Stadtrugängen) u ist damit public history (Vorlesung Wissenschaft u Öffentlichkeit) Decolonize Bewegung setzt sich insbesondere auch mit Rolle v Wissenschaft im Kolonialismus auseinander Stößt Beschäftigung mit Kolonialgeschichte an Hochschulen an; Wechselwirkung u Überschneidung zw Kolonialismusforschung in sozr Bewegung u an Hochschulen 9. Umweltbewegung u Wissenschaft heute Auch heute: Umweltbewegung bezieht sich auf wissenschaftliches Wissen. Berufen sich auch auf Wissen/Geschichte v Verhältnis Wissenschaft-Umweltbewegung in 1970er Jahren Auch heute macht Umweltbewegung Wissenschaft: z.B. nimmt Greenpeace Bodenproben nach Explosion im Chempark Leverkusen. Berichte in Zeitung u Rufunk Seit 1990er Jahren: Forderung, dass science for the people auch by the people gemacht werden soll: „Demokratisierung" v Wissenschaft Z.T. Aufgegriffen in Idee v „citizen science"; auch problematisch: „caution is needed when viewing public participation as a panacea for solving environmental inequalities – not least, due to the ever- increasing professionalization of citizen-led processes, with participation itself “becoming a lucrative industry (Castree 2016, 411)“ (Davies/Mah 2020,12) 10. Wissenschaft, soz Bewegung u Covid-19 "The specter of post-truth has not only created a new set of environmental concerns (such as the shift toward even greater climate change denial in the USA), but has also uermined the very notion of what it means to be an expert. Rarely have science and expertise been so questioned, diminished, and vulnerable as they are today. These changes have surfaced at a time when more people than ever are able to produce and circulate their own forms of knowledge across various media platforms." (Davies/Mah, 2020, 3) Während der COVID-19 Pandemie entstehen u agieren neue soz Bew v „rechts“ (etwa „Querdenker“), die Zweifel an Aussagen v Virologinnen u Epidemologinnen streuen, unter Betonung der Provisionalität u Unsicherheit ihrer Forschungsergebnisse (ihres „crisis disciplines“ seins) − Wissenschaftler*innen direkt angreifen - Falsch- u Desinformation verbreiten Ihre Positionen werden dadurch gestärkt, dass sie auch v Präsidenten mächtiger Staaten (USA, Brasilien) vertreten werden Verbindung zw Produktionv Unwissen über Covid-19 u über z.B. Klimawandel (siehe Vorlesung Agnotologie) 11. Die (Wissenschafts- u Technik)geschichte sozr Bew “provinzialisieren“ Welche Punkte sind zu berücksichtigen, wenn die Geschichte v Wissenschaft-Technik-sozr Bew aus einer nicht- eurozentristischen, z.B. aus einer verflechtungsgeschichtlichen Perspektive analysiert wird? − In den Blick nehmen, dass bestimmtes wissenschafts- u technikbezogenes Agieren sozr Bew nicht v Westen/Norden in den Rest der Welt diffuiert ist, sondern umgekehrt verlaufende Transferprozesse auszumachen sind − Kolonialität der sozial- u geisteswissenschaftlichen Forschung selbst nicht nur berücksichtigen, sondern auch analysieren − Vorsicht mit Konzepten 12. Studierende u das Wissenschaft-Soz Bewegungs- Verhältnisse WSoz VL08) Wissenschaft und Öffentlichkeit 1. Definitionen v. Öffentlichkeit Bereich, in dem etwas allg bekannt [geworden] u allen zugänglich ist (Duden) Öffentlichkeit als soz Raum, der in einem best (hist) Kontext, durch die reflexive Zirkulation gewisser Informationen u Wissensbeständen (Diskurse) entsteht u der aus best Bez zw. Gruppen u. Individuen besteht: Vgl. Warner, Michael (2002b) ‘Publics and Counterpublics’, Public Culture , 14(1), 49–90. Zitiert in Nieto Galan, 2016, XiV − Öffentlichkeit insb. als Publikum − Beziehungen zw Produzentinnen und Adressatinnen/Empfängerinnen/Nutzerinnen v. wissenschaftl. Wissen Öffentlichkeit auch als normati Begriff: als Sphäre, zu der alle freien Zugänge haben sollen, um sich u.a. über Politik und gesellschaftl Leben – in unserem Fall über Wissenschaft - mitbestimmend auszutauschen − v.a. wichtig im „participatory turn“ im Denken ü u Bearbeiten v. dem Verhältnis Wissenschaft u Öffentlichkeit 2. Das Verhältnis Wissenschaft und Öffentlichkeit: Überblick über Themen und Fragen Wie werden Wissenschaft+Wissenschaftlerinnen v./in Öffentlichkeit wahrgenommen? Wie agieren Wissenschaftlerinnen in+gegenüber Öffentlichkeit? Wie treten sie auf? Wie werden (dabei) wissenschaftl Erkenntnisse der Öffentlichkeit vermittelt? − Kommunikation v Wissenschaft/Wissenschaftskommunikation -Wissenschaftspopularisierung („Populärwissenschaft“) 3. Öffentliche Wahrnehmung v. Wissenschaft Drastischer Veränderung in der Wahrnehmung v Wissenschaft im Kalten Krieg: Vom insges. sehr positiven Bild (Heldenverehrung) -> weit verbreiteter Wissenschaftskritik. Mit befördert durch soz. Bewegungen. Im 21. Jh. vervielfältigen sich mit neuen Medien Weisen, in denen sich Wahrnehmungen über Wissenschaft artikulieren können (aber Achtung: schon in 1950er Jahren schreiben Leserinnen z.B. in Magazinen abgedruckte Briefe, in denen sie ihre negative oder positive Einschätzung v. Wissenschaft und Wissenschaftlerinnen öffentlich Kund tun Wissenschaftler*innen sind sich in ihrem Agieren in, mit Bezug auf/in Auseinandersetzung u. in Interaktion m. Öffentlichkeit der (soz. u. pol.) Bedeutung der öffentl. Wahrnehmung v. Wissenschaft bewusst u. entscheiden sich z.T. darauf basierend, ob u. wie sie öffentlich präsent sind − „Public Intellectuals“ − Präsenz durch Medienauftritte, öffentliche Vorträge an unterschiedlichsten Anlässen, in denen nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse kommuniziert werden, sondern auch (z.T. darauf basierende) politische Meinungen und, in denen Persönlichkeit und z.T. auch Privatleben v. Wissenschaftler*innen porträtiert werden Verschiedene Katastrophen u. Krisen (z.B Covid-19 Pandemie, davor z.B. Tschernobyl) sind für die Entwicklung d. öffentl. Wahrnehmung v. Wissenschaft besonders entscheidend, da in ihnen der „Wert“, die „Funktion“ u. die Vertrauenswürdigkeit v. Wissenschaft in öffentl. geführten Debatten verhandelt wird Ansehensverlust v. Wissenschaft in der Öffentlichkeit während Kalten Krieges wird gemäß Nieto-Galan (2016, 4) in den 1980er Jahren in der „Public Understanding of Science“ (PUS)-Bewegung als Resultat allg. „wissenschaftl. Ignoranz“ der Öffentlichkeit u. als zunehmende Distanz zw Gesellschaft u Experten interpretiert PUS macht „Defizit-Model“ stark „Defizit-Model“ geht v. großer „epistemischer Inferiorität“ der breiten Öffentlichkeit aus PUS spricht sich dafür aus, dass es neue professionelle Wissenschaftskommunikator*innen braucht, die Wissen für (defizitäre) Öffentlichkeit herunterbrechen/simplifizieren, ohne dass Wissenschaft selber dav. affiziert wird Empfänger*innen v. Wissenschaft sollen das Kommunizierte unkritisch+passiv annehmen Nicht nur in der PUS Bewegung, auch vielerorts in Wissenschaftsgeschichtsschreibung ist lange Zeit eine mit dem „Defizit-Model“ übereinstimmende „traditionelle Betrachtungsweise“ v. Wissenschaftspopularisierung dominant. Dieser Betrachtungsweise gemäß: Waren für die Entwicklung moderner Wissenschaft lediglich große Genies wichtig, deren Forschung und Ergebnisse v. der angeblich ignoranten Masse passiv konsumiert wurden Diese ignorante Masse konnte– gemäß "traditioneller Sichtweisen“ Wissenschaft nicht beeinflussen/kontaminieren Wissenschaft konnte so neutral und apolitisch erscheinen (was sie nicht war) Den Idealen des PUS, dem damit verbundenen „Defizit-Modell“ und den Versuchen, darauf basierend Wissenschaftskommunikation zu betreiben, die das öffentliche Ansehen („public image“) v. Wissenschaft repariert, aber auch dem in der Geschichtsschreibung lange Zeit dominanten Bild v. Wissenschaftspopularisierung steht die tatsächliche Beschaffenheit des Verhältnisses Öffentlichkeit und Wissenschaft im Allgemeinen und die tatsächliche Funktionsweise v. Wissenschaftspopularisierung im Besonderen gegenüber; wie sie in der Forschungsliteratur (Nieto-Galan 20216) für die Geschichte moderner Gesellschaften herausgearbeitet worden ist. 4. Allgemeines zu Wissenschaftspopularisierung Wissenschaftspopularisierung vollzieht sich im Spannungsverhältnis zwischen Bildung und Unterhaltung Ist geprägt v. medialen Techniken und deren Transformationen (vom Buchdruck bis zum Kino) Konnte die Autorität, Glaubwürdigkeit und das Ansehen v. Wissenschaft stärken aber auch gefährden, trifft insbesondere auf „heterodoxe Wissenschaft“ (auch „Pseudowissenschaft“) zu wie z.B. Mesmerismus, Ufologie etc. In bestimmten historischen Kontexten waren Grenzen zwischen professionellen Wissenschaftlerinnen und Amateurinnen, zwischen Expertinnen und Laien, fließend. Popularisierung v. Wissenschaft verlief im Austausch zwischen diesen Wissenschaftlerinnen/Amateurinnen und ihrem jeweiligen Publikum. Diese Popularisierung involvierte und beförderte aber auch Austausch zwischen Wissenschaftlerinnen und Amateur*innen. Dabei wurden Grenzen gezogen, aber auch aufgelöst. Das (antizipierte!) Feedback aus der Öffentlichkeit beeinflusst Forschung (u.a. auch,