Vorlesung Klinische Psychologie 1, WS 2023/24, Universität Innsbruck PDF
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Universität Innsbruck
Markus Canazei
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Summary
These notes cover a lecture on clinical psychology, specifically focusing on cognitive interventions, including systematic desensitization and exposure. The document explains concepts such as cognitive triads, thought distortions, and specific techniques. The notes are likely for students in an undergraduate clinical psychology course at the Universität Innsbruck.
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www.menti.com Zugangscode: 7659 3873 VO Klinische Psychologie I Markus Canazei WS 2023/24 Kurzwiederholung zur letzten Vorlesung Psychoedukation Wissen zur psychischen Störung und ihre Behandlungsmöglichkeiten sind wichtige Interventionsbausteine ger...
www.menti.com Zugangscode: 7659 3873 VO Klinische Psychologie I Markus Canazei WS 2023/24 Kurzwiederholung zur letzten Vorlesung Psychoedukation Wissen zur psychischen Störung und ihre Behandlungsmöglichkeiten sind wichtige Interventionsbausteine gerade zu Beginn einer Behandlung Verhaltensaktivierung die Einführung angenehmer (funktionaler) Verhaltensweisen wirkt stimmungsaufhellend und antriebsfördernd Aktivitäten- Analyse Monitoring Planung Evaluation Klinische Psychologie 1 I Canazei I 24.11.2022 Seite 2 Inhalte der Vorlesung I der kognitive Interventionsansatz II systematische Desensibilisierung & Exposition Klinische Psychologie 1 I Canazei I 24.11.2022 Seite 3 Philosophische Ideale der Lebensführung (Epikureer und Stoiker): Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen, sondern die Vorstellungen von den Dingen. So ist der Tod nichts Furchtbares sondern die Vorstellung, er sei etwas Furchtbares, das ist das Furchtbare. Gewöhne dich, jedem unangenehmen Ereignis zu sagen: Du bist nicht das, was du scheinst, sondern nur eine Vorstellung. WAS HALTEN SIE VON DIESEN AUSSAGEN? Klinische Psychologie 1 I Canazei I 24.11.2022 Seite 4 Aaron Beck (1921 – 2021) Der kognitive Interventionsansatz Kognitionen (Gedanken) sind zentral in der Entstehung, Aufrechterhaltung und Behandlung psychischer Störungen. (zentrale Idee in der kognitiven Verhaltenstherapie) Kognitionen betreffen drei Bereiche (kognitive Trias): 1 Die eigene Person negative Selbstwahrnehmung; Gefühl der Wertlosigkeit; Unfähigkeit, Lebensziele zu erreichen* 2 Die Umwelt Umwelt agiert ablehnend und enttäuschend* 3 Die Zukunft * Kognitionen bei Gegenwärtige Situation wird als nicht änderbar hingenommen* depressiver Störung. Klinische Psychologie 1 I Canazei I 24.11.2022 Seite 5 Der kognitive Interventionsansatz Kognitionen entwickeln sich über Beziehungs- und Lebenserfahrungen. Kognitionen beeinflussen körperliche Vorgänge. Kognitionen beeinflussen Gefühle. Kognitionen beeinflussen Erwartungen, Entscheidungen und Handlungen. Kognitionen beeinflussen die Wahrnehmung und Informationsverarbeitung. („Denkfehler“) Kognitionen verselbstständigen sich. („automatische [unfreiwillig, reflexhaft, stereotyp] Denkfehler“) Klinische Psychologie 1 I Canazei I 24.11.2022 Seite 6 10 typische Denkfehler (=dysfunktionale Gedanken) Willkürliches Schlussfolgern: Person folgert ohne andere Erklärungsmöglichkeit zu prüfen Übergeneralisierung: einzelne Erfahrung wird zu einer Regel gemacht Selektive Wahrnehmung: Einzelfakten werden für das Folgern herangezogen und widersprechende Fakten bleiben unberücksichtigt Selektives Verallgemeinern: Person überträgt Erfahrung/en auf andere Situationen und lässt einen möglichweise veränderten Kontext außer Acht Personalisierung: Das Ausmaß, in dem Person das Ereignis beeinflussen kann, wird überschätzt Klinische Psychologie 1 I Canazei I 24.11.2022 Seite 7 10 typische Denkfehler Katastrophieren: Überbewertung möglicher Konsequenzen Maximieren und Minimieren: Die Bedeutung eines Ereignisses wird über- oder unterschätzt Emotionale Beweisführung: das eigene Gefühl wird als Beweis für die Richtigkeit einer Annahme herangezogen Dichotomes Denken: schwarz-weiß / alles-nichts Gedanken („immer“, „nie“, …) Sollte-Sätze: Selbstregeln, die oftmals überhöhte Standards zum Ausdruck bringen Klinische Psychologie 1 I Canazei I 24.11.2022 Seite 8 Bestandteile des kognitiven Interventionsansatz 1) Detektion von Denkfehlern 2) Veränderung der Kognitionen („kognitive Umstrukturierung“) z.B. mit Hilfe des Gedankenprotokolls (7-Spalten Technik) 3) Überprüfung der veränderten Kognitionen im Alltag („Realitätstest“) Klinische Psychologie 1 I Canazei I 24.11.2022 Seite 9 7-Spalten Technik (Gedankenprotokoll) Wissen über Denkfehler (Folie 7 & 8) bzw. Frage-Stellungen (siehe nächste Folie) unterstützen diesen Prozess „heißer Gedanke“ = Gedanke, der die intensivste Emotion auslöst Klinische Psychologie 1 I Canazei I 24.11.2022 Seite 10 9 mögliche Fragestellungen (zu 5. und 6. Spalte der 7-Spaltentechnik) Klinische Psychologie 1 I Canazei I 24.11.2022 Seite 11 7-Spaltentechnik – ein Beispiel heißer Gedanke Klinische Psychologie 1 I Canazei I 24.11.2022 Seite 12 Der kognitive Interventionsansatz Wirksamkeitsnachweise Heute kommt zumeist eine Kombination aus kognitionsverändernden und verhaltensverändernden Strategien in der Verhaltenstherapie zur Anwendung. Major Depression fast im vollständigen Schwere-Spektrum anwendbar gut geeignet zur Rückfall-Prävention in Kombination mit Medikation (bei schweren oder chronischen Depressionen) Angststörungen, u.a. generalisierte Angststörung (neben Antidepressiva ist kognitiver Ansatz die Behandlung 1.Wahl) soziale Angststörung Klinische Psychologie 1 I Canazei I 24.11.2022 Seite 13 Welche Angststörungen kennen Sie ? Klinische Psychologie 1 I Canazei I 24.11.2022 Seite 14 (Wolpe, J. (1958). Psychotherapy by reciprocal inhibition. Stanford, CA: Stanford University Press.) Systematische Desensibilisierung (Joseph Wolpe; 1958) Ziel: Abbau belastender (situations- und objektgebundener) Ängste Grundannahme: Es ist nicht möglich, gleichzeitig ängstlich und entspannt zu sein! Vermuteter Wirkmechanismen: Eine Angstreaktion ist erlernt. Eine erlernte Angstreaktion kann wieder verlernt werden, wenn in Gegenwart des angstauslösenden Reizes ein antagonistisches Verhalten (Entspannung) präsent ist. Indikation für systematische Desensibilisierung: alle Ängste, bei denen Exposition in der Realität nicht/stark erschwert stattfinden kann (z.B. Prüfungsangst) Klinische Psychologie 1 I Canazei I 24.11.2022 Seite 15 Praktischer Ablauf einer systematischen Desensibilisierung 1.Sitzung: Indikation abklären & Besprechung des Therapieablaufs & Verhaltensanalyse (Liste von angstauslösenden Situationen; möglichst konkret eruieren: was sind Auslöser und körperliche Reaktionen) 2. & 3.Sitzung: Erlernung von Entspannungsverfahren (progressive Muskelrelaxation, autogenes Training) nächste Vorlesung 3.Sitzung: Erstellung einer Angsthierarchie (Auflistung von Ängsten mit zunehmender Intensität; „keine Angst“ – „max. Angst“) ab 4.Sitzung: Pendeln zwischen Entspannung und vorgestellten angstbesetzten Situationen (= Exposition in sensu) - mit Entspannungsübung beginnen (30 sec – 2 min) - Vorstellen der ängstigenden Situation (ca. 20 Sekunden) *Situation muss intensiv vorgestellt werden, dass es auch zu körperlichen Reaktionen kommt *Klient*in gibt Zeichen, falls Angst zu groß wird - nächste Entspannungsübung - Vorstellen derselben/anderer Situation (Vorstellung derselben Situation bis diese angstfrei vorstellbar ist) es folgt eine systematisch gesteigerte Reizkonfrontation (Angsthierarchie); ca. 3-5 angstauslösende Situationen pro Sitzung am Ende jeder Einheit sollte eine nicht mehr angstauslösende Situation bearbeitet sein Klient*in berichtet am Sitzungsende über erlebte Entspannung & Angstsymptome und Probleme beim Vorstellen Üblicherweise: in Summe 6-12 Sitzungen Klinische Psychologie 1 I Canazei I 24.11.2022 Seite 16 Expositionsverfahren Exposition = Konfrontation mit aversivem/ängstigendem Reiz Prinzipien der Exposition: nach ausführlicher Diagnostik und Vorbereitung wird unter therapeutischer Anleitung jene Situation aufgesucht, in denen Probleme auftreten Die Exposition erfolgt mehrfach bzw. so lange, bis subjektives Unbehagen, kognitiv-affektive Reaktionen, körperliche Reaktionen in der Situation von Klient*in nicht mehr wahrgenommen werden kann Zur Behandlung von … Angsterkrankungen (z.B. spezifische Phobien, Agoraphobie, soziale Phobie) auch: Ess-Störung, Zwangsstörung, nach Alkoholentzug, PTBS Beispiele für Expositionen: Phobien: Aufsuchen von Kaufhäusern, U-Bahnen, große Plätze, enge Räume Ess-Störung: wiederholtes Betrachten im Spiegel (bei Körperschemastörung) Betrachtung des Lebensmittels der letzten Ess-Attacke Nach Alkoholentzug: Anblick und Geruch von Alkohol, Aussetzen von Versuchungssituationen Klinische Psychologie 1 I Canazei I 24.11.2022 Seite 17 Formen der Exposition: in sensu (Situation vorstellen) – wenn reale Stimuli nicht zugänglich (z.B. Trauma, Zwangsvorstellung) in vivo (in der Realität erleben) – zumeist effektiver als „in sensu“, da intensivere Problemreaktion erfolgt in virtuo (in der virtuellen Realität erleben) – vergleichbar effektiv wie „in vivo“ Intensität der Exposition: graduell (über Angsthierarchie) – siehe systematische Desensibilisierung massiert (z.B. Flooding in vivo) – Exposition mit der am meisten angstauslösenden Situation Vorgehen bei Expositionsverfahren: (1) Diagnostische Phase: Indikation abklären, Problem/Verhaltensanalyse (2) Vorbereitung: Erklärung der Intervention und der erwarteten Wirkung (3) Intensivphase: Exposition unter Begleitung der Therapeut*in (4) Selbstkontrollphase: Durchführung der Exposition allein Klinische Psychologie 1 I Canazei I 24.11.2022 Seite 18 Exposition wird in der Praxis relativ selten durchgeführt. Warum? 1) Negative Ansichten bei Therapeut*innen weit verbreitet: unethisch Klient*in könnte dekompensieren Therapiebeziehung wird gestört Therapie wird eher abgebrochen 2) Hohes Stresserleben der Therapeut*in während Exposition Zwei mögliche Wirkmechanismen: nach wiederholter Präsentation des Stimulus ohne Zeigen von Vermeidungsverhalten erfolgt Habituation (= Abnahme der Reaktionsstärke) Gegenkonditionierung (= die bisherige Reaktion auf einen Reiz wird gegen eine andere Reaktion ersetzt) Klinische Psychologie 1 I Canazei I 24.11.2022 Seite 19 Kontraindikation von Expositionsverfahren: wenn die körperliche Aktivierung die Klient*in gesundheitlich schädigen könnte (z.B. schwere Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Atemwegserkrankungen) bei Nichteinwilligung der Klient*in in ein Expositionsvorgehen bei Psychose, Borderline-Störung, Epilepsie oder aktuellen Substanzabhängigkeit Ca. 25-50% der Klient*innen erleiden nach erfolgreicher Expositionstherapie einen Rückfall. (der Rückfall hat entweder gleichen oder neuem Angstinhalt). Klinische Psychologie 1 I Canazei I 24.11.2022 Seite 20 https://www.youtube.com/watch?v=AdMLfdPBb60&t=37s (Lancet, 2022) (weiterführende Literatur) Exposition von US Afghanistan-Veteranen mit PTBS: https://www.youtube.com/watch?v=iMeEuSdJ7EU&t=104s Klinische Psychologie 1 I Canazei I 24.11.2022 Seite 21 Mastertitelformat bearbeiten