Einführung in die Biologie 1 (Botanik) WS 2024
Document Details
Uploaded by DistinguishedWormhole
Universität Wien
Agnes Dellinger, Gerald M. Schneeweiß
Tags
Summary
This document is a lecture on the topic of botany. It contains an introduction to basic concepts of biology including definitions of terms such as "population" and "metapopulation" and examples of scientific research. Basic concepts of taxonomy and species characteristics and examples are also present.
Full Transcript
Einführung in die Biologie 1 Teil: Botanik WS 2024, VO 300001 Agnes Dellinger Gerald M. Schneeweiß Department Botanik und Biodiversitätsforschung Rennweg 14, 1030 Wien https://botanik.univie.ac.at Einheit 7 Wieso sind manche Gruppen artenreicher a...
Einführung in die Biologie 1 Teil: Botanik WS 2024, VO 300001 Agnes Dellinger Gerald M. Schneeweiß Department Botanik und Biodiversitätsforschung Rennweg 14, 1030 Wien https://botanik.univie.ac.at Einheit 7 Wieso sind manche Gruppen artenreicher als andere? Artkonzepte und Reproduktive Isolation Populationsdifferenzierung und Mechanismen der Artentstehung Hybridisierung und Polyploidie Wieso sind manche Gruppen artenreicher als andere? 9000 Aus: Sadava D. et al. (2019) Purves Biologie (10. Aufl.). Berlin Heidelberg: Springer https://ubdata.univie.ac.at/AC15407651 15000 100 1500 30 12000 300 1 90 700 >300000 Ebenen der Biodiversität: Taxonomische Diversität: Vielfalt unterschiedlicher Arten Genetische Diversität: genetische Vielfalt innerhalb einzelner Arten Ökosystemdiversität: Vielfalt an Biotopen und Ökosystemen Funktionale Diversität: Vielfalt an Ökosystemfunktionen z. B. Bestäubung, Samenverbreitung Artkonzepte: was ist eine Art? Nominalistisches Artkonzept: Arten existieren nicht, sie sind nur ein abstraktes, konstruiertes (menschgemachtes) Denkmodell. In der Natur existieren nur Individuen, nur sie und ihre Populationen sind echt und wichtig. Kontinuität statt Kategorien. Was ist eine Population? Eine Gruppe von Organismen derselben Art, die einen ±klar abgegrenzten geographischen Raum besiedelt und reproduktive Kontinuität über die Generationen zeigt. Metapopulation: Netzwerk von Teilpopulationen einer Population (lückige Population mit regem Genfluss durch Migration von Individuen, Sameneintrag etc.) oder Netzwerk von mehreren Populationen (mit oder ohne Teilpopulationen), die aussterben und (wieder-)besiedelt werden können. Beim klassischen Modell kann jede (Teil-)Population betroffen sein, beim Mainland-Island Schooley RL & Cosentino BJ (2016) Metapopulation dynamics (auch source-sink) Modell bleibt eine (Teil-)Population of wetland species. In: Finlayson C et al.: The Wetland Book. Springer, Dordrecht. https://doi.org/10.1007/978-94-007-6172- ständig besiedelt und ist die Quelle für die Wieder- 8_57-3 besiedlung, beim Non-Equilibrium-Modell sind die (Teil- )Populationen nicht miteinenander verbunden. Artkonzepte: was ist eine Art? Morphologisches (taxonomisches) Artkonzept: Gruppe von Populationen, die einander in ihrem Merkmalsbestand gleichen. Phyteuma ovatum (Camanulaceae) Phyteuma spicatum (Camanulaceae) https://dryades.units.it/floritaly/index.php?procedure=taxon_page&tipo=all&id=5359 https://www.wildbienen.info/pollenquellen/phyteuma_spicatum.php Das morphologische Artkonzept ist schwierig bei merkmalsarmen Gruppen (Parasiten, Protisten) und kann kryptische Arten (Arten, die sich morphologisch [noch] nicht unterscheiden lassen) nicht fassen. Artkonzepte: was ist eine Art? Morphologisches (taxonomisches) Artkonzept: Gruppe von Populationen, die einander in ihrem Merkmalsbestand gleichen Variation der Blütenfarbe in Ph. spicatum und Ph. ovatum (rechts Ph. persicifolium) Variation lässt sich oft schwer kategorisieren (wo hört eine Art „auf“ und wo „beginnt“ die nächste?), wobei statistische Methoden (z. B. Ordinationen) helfen können (→Phänetik) Hauptkomponentananalyse Abgrenzen infraspezifischer Taxa (insbesondere colorimetrischer Daten unterhalb der Unterart) oft nicht sinnvoll. Grohar MC et al. (2022) Color variation and secondary metabolites’ footprint in a taxonomic complex of Phyteuma sp. (Campanulaceae). Plants 11: 2894. https://doi.org/10.3390/plants11212894 Artkonzepte: was ist eine Art? Biologisches Artkonzept: Gruppe sich (tatsächlich oder potentiell) untereinander kreuzender Populationen, die reproduktiv von anderen solchen Gruppen isoliert ist (es entstehen keine [fertilen] Hybriden). Erfordert experimentelle Ansätze (Kreuzungsexperimente), die zeitaufwändig sind und deshalb relativ selten gemacht werden (Kombination mit molekularen Methoden der Populationsgenetik deutlich zeiteffizienter) Das biologisches Artkonzept Bromberre (Rubus lässt sich nicht auf sich fruticosus agg.) asexuell vermehrende Gruppen (z. B., Pflanzen mit Apomixis* wie Brombeeren, Löwenzahn) oder ausgestorbene Arten (hier nur das morphologische https://www.preservons-la- Artkonzept möglich) nature.fr/flore/taxon/1006.html anwenden. Löwenzahn (Taracxacum officinale agg.) https://adribenschopfotografie.blogspot.com/2013/0 5/taraxacum-officinale_2878.html *asexuelle Fortpflanzung (keine Syngamie) über Samen Artkonzepte: was ist eine Art? Biologisches Artkonzept: Gruppe sich (tatsächlich oder potentiell) untereinander kreuzender Populationen, die reproduktiv von anderen solchen Gruppen isoliert ist (es entstehen keine [fertilen] Hybriden). Mimulus (Erythranthe) lewisii wächst von 1600 m Hybriden in mittleren Höhen, wo Mimulus (Erythranthe) cardinalis aufwärts beide Arten syntopisch vorkommen kommt bis Höhen von 2000 m vor https://www.americansouthwest.net/plants/wildflowers/mimulus-lewisii2_l.html https://www.anniesannuals.com/plants/view/?id=3579 https://www.anniesannuals.com/plants/view/?id=680 Die beiden Erythranthe-Arten sind zwar morphologisch (Blütenform und –farbe) und ökologisch (Höhenerstreckung der Vorkommen, Bestäuber) verschieden, können aber fertile Hybriden bilden: eine einzige biologische Art? Platanus orientalis Reproduktive Isolation Präzygotische Reproduktionsbarrieren: Isolationsmechanismen, die vor der Befruchtung https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Platanus_orientalis_range. wirken, z. B. svg; CC BY-SA 4.0 DEED; unverändert Platanus occidentalis - unterschiedliche Verbreitungen https://www.plantmaps.com/nrm-platanus-occidentalis-american- sycamore-native-range-map Die beiden Platanen-Arten, Platanus orientalis und P. occidentalis, kommen in der Natur nie gemeinsam vor, können aber gekreuzt werden. Reproduktive Isolation Präzygotische Reproduktionsbarrieren: Isolationsmechanismen, die vor der Befruchtung wirken, z. B. - unterschiedliche Verbreitungen - unterschiedliche Phänologie Oft Kombination mehrerer Barrieren: Verbreitung und Phänologie tragen zur Reproduktiven Isolation bei Reproduktive Isolation https://www.fs.usda.gov/wildflowers/beau ty/columbines/aquilegia_pubescens.shtml Präzygotische Reproduktionsbarrieren: Isolationsmechanismen, die vor der Befruchtung wirken, z. B. - unterschiedliche Verbreitungen - unterschiedliche Phänologie - unterschiedliche Bestäuber https://www.pinterest.com/pin/135037688 810233915/ Kolibri an Aquilegia formosa und Schwärmer an A. pubescens Reproduktive Isolation https://www.fs.usda.gov/wildflowers/beau ty/columbines/aquilegia_pubescens.shtml Präzygotische Reproduktionsbarrieren: Isolationsmechanismen, die vor der Befruchtung wirken, z. B. - unterschiedliche Verbreitungen - unterschiedliche Phänologie - unterschiedliche Bestäuber - Unterschiedlicher Blütenbau („mechanisch“) https://www.pinterest.com/pin/135037688 810233915/ Kolibri an Aquilegia formosa und Schwärmer an A. pubescens https://www.nikonsmallworld.com/ga lleries/1980-photomicrography- competition/pollen-tubes-on-stigma- and-style-of-a-cross-pollinated- Reproduktive Isolation flower-cephaelus-ela Präzygotische Reproduktionsbarrieren: Isolationsmechanismen, die vor der Befruchtung wirken, z. B. - unterschiedliche Verbreitungen Gekeimte Pollenkörner auf der Narbe von - unterschiedliche Phänologie Palicourea elata. - unterschiedliche Bestäuber - unterschiedlicher Blütenbau („mechanisch“) - schlechteres Pollenschlauchwachstum artfremden Pollens Figure 5. Pollen tube growth after controlled hand pollinations of P. brachyceras conducted in the field. Self-pollen germination in (A) pin and (B) thrum stigmas after 16 hours of pollination. Pollen germination and pollen tubes in (C-E) pin and (F-H) thrum pistils after 8 hours of intermorph cross-pollination. Trevizan et al. 2022, Acta Botanica Brasilica, 10.1590/0102-33062020abb0058 Reproduktive Isolation Postzygotische Reproduktionsbarrieren: Isolationsmechanismen, die nach der Befruchtung wirken (a) Hybridsterblichkeit bei Samen: F1- Hybriden von Erythranthe (Mimulus) guttata × E. nudata (rechts; links im Vergleich vitale Samen). (b) Chlorose in F1-Hybriden aus E. guttata × E. nasuta (c) Nekrosis in Hybriden zwischen kupfertoleranten und kupferintoleranten Populationen von E. guttata (d) Zytoplasmatische Männliche Sterilität (cytoplasmic male sterility, CMS*) in F2-Hybriden aus E. guttata und E. nasuta: Staubbeutel einer normalen (links) und einer CMS- sterilen (rechts) Blüte (e) Nukleäre Männliche Sterilität in F2- Hybriden von E. nasuta und E. guttata: Antheren der sterilen Hybriden bilden viel, aber nicht lebensfähigen Pollen Fishman L & Sweigart AL (2018) When two rights make a wrong: the evolutionary genetics of plant hybrid incompatibilities. Annual Review of Plant Biology 69: 707-731. https://doi.org/10.1146/annurev-arplant- *CMS ist mütterlich vererbtes Merkmal (meistens vom Mitochondriengenom kodiert; 042817-040113 Mitochondrien werden bei Blütenpflanzen meistens nur via Eizelle vererbt) Reproduktive Isolation Postzygotische Reproduktionsbarrieren: Isolationsmechanismen, die nach der Befruchtung wirken Das (Bateson-)Dobzhansky-Muller-Modell Evolution von Geninkompatibilität: der Evolution von Inkompatibilität a) Klassisches Dobzhansky-Muller-Modell, Elternpopulation teilt sich in geographisch isolierte Populationen → genetische Differenzierung → Inkompatibilität zwischen abgeleiteten (rot) und ursprünglichen (schwarz) Allelen b) Genetische Differenzierung in nur einer Population kann auch zu Hybridinkompatibilität führen. → Hybridinkompatibilität kann als Neben- produkt zu neutraler oder adaptiver genetischer Differenzierung geographisch isolierter Populationen entstehen Fishman L & Sweigart AL (2018) When two rights make a wrong: the evolutionary genetics of plant hybrid Hybridsterblichkeit (hybrid inviability) – Inkompatibilität im diploiden Sporophyten incompatibilities. Annual Review of Plant Biology 69: 707-731. https://doi.org/10.1146/annurev-arplant- Hybridsterilität (hybrid sterility) – Inkompatibilität im Sporophyt oder haploiden 042817-040113 Gametophyt (gelbe Kreise) Reproduktive Isolation Postzygotische Reproduktionsbarrieren: Isolationsmechanismen, die nach der Befruchtung wirken Scopece G et al. (2008) Evolution of postzygotic reproductive isolation in a guild of deceptive orchids. The American Naturalist 171: 315-326. https://dx.doi.org/10.1086/527501 Nektartäuschblumen bei mediterranen Orchideen sind präzygotisch (Bestäuber) Anacamptis cariophora Anacamptis laxiflora nicht isoliert und können Hybriden bilden. https://www.pflanzen- deutschland.de/Orchis_coriophora.html http://www.freenatureimages.eu/Plants/Flora%20O- R/Orchis%20laxiflora/index.html# Postzygotische Isolationsmechanismen sind vorhanden, deren Stärke mit der genetischen Distanz zwischen den Elternarten korreliert. Frühe Mechanismen (Embryosterblichkeit) entwickeln sich später als spätere Mechanismen (Hybridsterilität). Reproduktive Isolation - Zusammenfassung Präzygotische Reproduktionsbarrieren: Isolationsmechanismen, die vor der Befruchtung wirken - unterschiedliche Verbreitungen - unterschiedliche Phänologie - unterschiedliche Bestäuber - unterschiedlicher Blütenbau („mechanisch“) - schlechteres Pollenschlauchwachstum artfremden Pollens Postzygotische Reproduktionsbarrieren: Isolationsmechanismen, die nach der Befruchtung wirken - Hybridsterblichkeit der Samen - Geringe Lebensfähigkeit der Hybride (F1) - Geringe Fertilität der Hybride (F1) - Geringe Lebensfähgkeit/Fertilität von Hybriden späterer Generationen (zB F2) → Da besonders nah verwandte Populationen/„Arten“ von Hybridisierung betroffen sind, werden Reproduktionsbarrieren klassisch bei „Schwesternarten“ (die zueinander nächst verwandten rezenten Arten der gleichen Gattung) untersucht. Welche Faktoren tragen zur reproduktiven Isolation bei? Zeit Reproduktive Isolation kann sich innerhalb weniger Generationen oder erst über Jahrmillionen entwickeln. Genetisch sehr unterschiedliche Artenpaare zeigen aber immer (fast) vollständige reproduktive Isolation, während junge Artenpaare tendenziell geringere reproduktive Isolation zeigen (große Variation), es korreliert also genetische Divergenz mit dem Grad reproduktiver Isolation. Aus: Sadava D. et al. (2019) Purves Biologie (10. Aufl.). Berlin Heidelberg: Springer https://ubdata.univie.ac.at/AC15407651 Blick in die Forschung: Testen verschiedener Stufen reproduktiver Isolation Die relative Wichtigkeit der unterschiedlichen Mechanismen der reproduktiven Isolation wurde bislang nur bei wenigen Arten untersucht Mimulus (Erythranthe) lewisii hybrids Mimulus (Erythranthe) cardinalis https://www.americansouthwest. https://www.anniesa https://www.anniesa net/plants/wildflowers/mimulus- nnuals.com/plants/v nnuals.com/plants/vi lewisii2_l.html iew/?id=3579 ew/?id=680 Folgende Mechanismen der reproduktive Isolation wurden ermittelt (geordnet nach Zeitpunkt des Auftretens): ökogeographische Isolation (Verbreitungskarten anhand von Herbarbelegen) Isolation durch Bestäuber (Treue der Bestäuber der jeweiligen Art in einer natürlichen Mischpopulation) Pollenkonkurrenz (im Glashaus: künstliche inter- und intraspezifische Kreuzungen und Vergleich des Samenansatzes und der Keimung von Hybriden) Fitness der Hybriden (im Glashaus: Keimung, Überlebensrate, Blührate, Biomasse, Pollenvitalität, Samenmasse) Hybridisationsrate in einer Mischpopulation (von Samen) https://www.bhsu.edu/centers/c https://www.canr.msu onservation-of-biological- Ramsey J et al. (2003) Components of reproductive isolation between the.edu/people/schemsk resources/Meet-Our- monkeyflowers Mimulus lewisii and M. cardinalis (Phrymaceae). Evolution 57: e_douglas Staff#tab_1-facultyresearchers 1520–1534. https://doi.org/10.1111/j.0014-3820.2003.tb00360.x Blick in die Forschung: Testen verschiedener Stufen reproduktiver Isolation Die relative Wichtigkeit der unterschiedlichen Mechanismen der reproduktiven Isolation wurde bislang nur bei wenigen Arten untersucht Mimulus (Erythranthe) lewisii hybrids Mimulus (Erythranthe) cardinalis https://www.americansouthwest. https://www.anniesa https://www.anniesa net/plants/wildflowers/mimulus- nnuals.com/plants/v nnuals.com/plants/vi lewisii2_l.html iew/?id=3579 ew/?id=680 Ermittelt wurden: 1) Der sequentielle Beitrag jeder gemessenen Komponente reproduktiver Isolation (d. h. eine Komponente kann nur mehr den Anteil an Genfluss verhindern, der nicht schon durch die vorherige(n) Komponente(n) verhindert worden ist) 2) Daraus wird die gesamte reproduktive Isolation ermittelt (skaliert zwischen 0 und 1) 3) Aus 1) und 2) wird der relative Beitrag jeder Komponente reproduktiver Isolation zur gesamten reproduktiven Isolation ermittelt. https://www.bhsu.edu/centers/c https://www.canr.msu onservation-of-biological- Ramsey J et al. (2003) Components of reproductive isolation between the.edu/people/schemsk resources/Meet-Our- monkeyflowers Mimulus lewisii and M. cardinalis (Phrymaceae). Evolution 57: e_douglas Staff#tab_1-facultyresearchers 1520–1534. https://doi.org/10.1111/j.0014-3820.2003.tb00360.x Blick in die Forschung: Testen verschiedener Stufen reproduktiver Isolation Ramsey J et al. (2003) Components of reproductive isolation between the monkeyflowers Mimulus lewisii and M. cardinalis (Phrymaceae). Evolution 57: 1520–1534. https://doi.org/10.1111/j.0014-3820.2003.tb00360.x Blick in die Forschung: Testen verschiedener Stufen reproduktiver Isolation Ramsey J et al. (2003) Components of reproductive isolation between the monkeyflowers Mimulus lewisii and M. cardinalis (Phrymaceae). Evolution 57: 1520–1534. https://doi.org/10.1111/j.0014-3820.2003.tb00360.x Die hellblaue Linie trennt präzygotische von postzygotischen Isolationsmechanismen. Ökogeograhische Isolation (Vorkommen in unterschiedlichen Höhenstufen) und Bestäuber (Bienen versus Kolibris) sind für 98% der reproduktiven Isolation verantwortlich. Postzygotische Komponenten, die für sich genommen auch relativ stark sind (z. B. Pollenkonkurrenz, Pollenvitalität, Samengewicht), tragen entsprechend nur mehr marginal zur reproduktiven Isolation bei. Bezüglich der Biomasse sind die Hybriden im Vorteil: Heterosis-Effekt: erhöhte Leistung von F1-Hybriden gegenüber den Parentaltypen (wichtig für Kulturpflanzen). Blick in die Forschung: Testen verschiedener Stufen reproduktiver Isolation Ramsey J et al. (2003) Components of reproductive isolation between the monkeyflowers Mimulus lewisii and M. cardinalis (Phrymaceae). Evolution 57: 1520–1534. https://doi.org/10.1111/j.0014-3820.2003.tb00360.x Relative contribution to the total reproductive isolation Frühe Mechanismen (Embryosterblichkeit) entwickeln sich später als spätere Mechanismen (Hybridsterilität). Blick in die Forschung: Was passiert, wenn präzygotische Isolations- mechanismen zusammenbrechen? Gómez JM et al. (2015) The silent extinction: climate change and the potential hybridization-mediated extinction of endemic high-mountain plants. Biodiversity Conservation 24: 1843–1857. https://doi.org/10.1007/s10531-015-0909-5 Überlegung: durch den menschgemachten Klimawandel verschieben sich die Verbreitungs- areale von Arten → besonders deutlich zu sehen in Gebirgen (Verschiebung der Höhenzonen über relativ kleine geographische Räume kann leichter/ schneller passieren als Verschiebung von Verbreitungsarealen über große geographische Räume (zB mitteleuropäische Art verschiebt Areal nach Nordeuropa)) → Gebirgspflanzen besonders gefährdet durch Hybridisierung mit nah verwandten Arten Blick in die Forschung: Was passiert, wenn präzygotische Isolations- mechanismen zusammenbrechen? Verschiedene Möglichkeiten beim Aufeinandertreffen zweier Arten: Gómez JM et al. (2015) The silent extinction: climate change and the potential A) Keine Hybridisierung; die hybridization-mediated extinction of endemic high-mountain plants. Biodiversity konkurrenzschwächere Art wird Conservation 24: 1843–1857. https://doi.org/10.1007/s10531-015-0909-5 zunehmend verdrängt B) Umkehr der Differenzierung: die (im Entstehen begriffenen) Arten verschmelzen C) Nicht-introgressive Hybridisierung: es bildet sich eine scharfe Hybridzone/-population D) Introgressive Hybridisierung: Gene einer Art verbreiten sich durch Hybridisierung in der anderen Art In der spanischen Sierra Nevada ist ein großer Teil der endemischen Unterarten und Arten tatsächlich oder potentiell durch Hybridisierung gefährdet. Artkonzepte: was ist eine Art? Phylogenetisches Artkonzept: Arten sind die Endglieder eines Stammbaumes, d. h. die kleinste Gruppe von Organismen, die einen gemeinsamen Vorfahren haben und sich von anderen solchen Gruppen unterscheiden. Bilden Phyteuma spicatum (weiß) und Ph. ovatum (blau) unterschiedliche Gruppen oder gemeinsam eine monophyletische Gruppe? Ausschnitt aus einem phylogenetischen Stammbaum der Gattung Phyteuma (basierend auf wenigen sequenzierten Markern): Phyteuma spicatum und Ph. ovatum sitzen gemeinsam am Schneeweiss et al. (2013) Molecular phylogenetic analyses identify Alpine Endglied einer stammesgeschichtlichen Linie, Ph. differentiation and dysploid chromosome number changes as major forces for the ovatum kann deshalb nicht als von Ph. spicatum evolution of the European endemic Phyteuma (Campanulaceae) Molecular Phylogenetics and Evolution 69: 634-652. abgetrennte Art unterschieden werden! https://doi.org/10.1016/j.ympev.2013.07.015 Artkonzepte: was ist eine Art? Phylogenetisches Artkonzept: Arten sind die Endglieder eines Stammbaumes, d. h. die kleinste Gruppe von Organismen, die einen gemeinsamen Vorfahren haben und sich von anderen solchen Gruppen unterscheiden. Bilden Phyteuma spicatum (weiß) und Ph. ovatum (blau) unterschiedliche Gruppen oder gemeinsam eine monophyletische Gruppe? Im Gegensatz zum biologischen Artkonzept stellt Hybridisierung kein Problem dar, die Abgrenzbarkeit kann aber stark vom Schneeweiss et al. (2013) Molecular phylogenetic analyses identify Alpine differentiation and dysploid chromosome number changes as major forces for the verwendeten Datensatz abhängen. evolution of the European endemic Phyteuma (Campanulaceae) Molecular Phylogenetics and Evolution 69: 634-652. https://doi.org/10.1016/j.ympev.2013.07.015 Artkonzepte: was ist eine Art? Ökologisches Artkonzept: eine Art ist eine Gruppe von Individuen, die sich eine ökologische Nische (Umweltbedingungen) teilen, Unterschiede zwischen Arten ergeben sich aus Anpassungen an unterschiedliche Umweltbedingungen. Die Glocken-Enziane Gentiana clusii (links) und G. acaulis (rechts) sind nahe verwandt und besiedeln beide alpine Magerrasen, sind aber durch das Substrat geschieden (G. clusii - Kalk vs. G. acaulis - Silikat) http://flora.nhm-wien.ac.at/Seiten-Arten/Gentiana-clusii.htm https://flora.nhm-wien.ac.at/Seiten-Arten/Gentiana-acaulis.htm Geographisch getrennte Populationen, die sich nicht kreuzen, können als gleiche Art angesprochen werden! Artkonzepte: was ist eine Art? Ökologisches Artkonzept: eine Art ist eine Gruppe von Individuen, die sich eine ökologische Nische (Umweltbedingungen) teilen, Unterschiede zwischen Arten ergeben sich aus Anpassungen an unterschiedliche Umweltbedingungen. Senecio noricus, S. disjunctus und S. carniolicus können in manchen Gebieten gemeinsam vorkommen Hülber K et al. (2015) Ecological differentiation, lack of hybrids involving diploids, and asymmetric gene flow between polyploids in narrow contact zones of Senecio carniolicus (syn. Jacobaea carniolica, Asteraceae). Ecology and Evolution 5: 1224-1234. https://doi.org/10.1002/ece3.1430 Artkonzepte: was ist eine Art? Ökologisches Artkonzept: eine Art ist eine Gruppe von Individuen, die sich eine ökologische Nische (Umweltbedingungen) teilen, Unterschiede zwischen Arten ergeben sich aus Anpassungen an unterschiedliche Umweltbedingungen. Senecio noricus, S. disjunctus und S. carniolicus können in manchen Gebieten gemeinsam vorkommen Quantifizierung der ökologischen Nische (auf Basis von z. B. Bodenfeuchte, Temperatur, Stickstoffverfügbarkeit ermittelt aus den Indikatorwerten der Begleitflora) Hülber K et al. (2015) Ecological differentiation, lack of hybrids involving diploids, and asymmetric gene flow between polyploids in narrow contact zones of Senecio carniolicus (syn. Jacobaea carniolica, Asteraceae). Ecology and Evolution 5: 1224-1234. https://doi.org/10.1002/ece3.1430 Artkonzepte: was ist eine Art? Ökologisches Artkonzept: eine Art ist eine Gruppe von Individuen, die sich eine ökologische Nische (Umweltbedingungen) teilen, Unterschiede zwischen Arten ergeben sich aus Anpassungen an unterschiedliche Umweltbedingungen. Senecio noricus, S. disjunctus und S. carniolicus können in Ökologische Nischen der drei Arten und ihre manchen Gebieten gemeinsam vorkommen Überlappung (Ordination von Landolt-Zeigerwerten) Quantifizierung der ökologischen Nische (auf Basis von z. B. Bodenfeuchte, Temperatur, Stickstoffverfügbarkeit ermittelt aus den Indikatorwerten der Begleitflora) → S. noricus und S. disjunctus teilen sich ökologische Nische → S. carniolicus besetzt eigene Nische Kreuzungsexperimente: S. noricus ist reproduktiv fast Hülber K et al. (2015) Ecological differentiation, lack of hybrids involving diploids, and asymmetric gene flow between polyploids in narrow contact zones of Senecio carniolicus (syn. Jacobaea vollständig von den anderen beiden Arten isoliert carniolica, Asteraceae). Ecology and Evolution 5: 1224-1234. https://doi.org/10.1002/ece3.1430 → ökologisches Artkonzept nein, biologisches Artkonzept ja? Artkonzepte: was ist eine Art? Verschiedene Artkonzepte schließen einander nicht aus, sondern betonen unterschiedliche Aspekte von Arten: Merkmalsbestand (Morphologie), reproduktive Isolation, phylogenetische Abgrenzbarkeit, ökologische Nische. Unified species concept Eine Art ist eine sich unabhängig entwickelnde Linie aus Metapopulationen (primäres Kriterium). Reproduktive Isolation, morphologische Unterschiede u. a. sind nur mehr operative Kriterien, um eine Art abgrenzen zu können; diese Eigen- schaften (SC1-SC9) können zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Divergenz auftreten und müssen nicht immer alle vorhanden sein (z. B. kryptische Arten, geringe Kreuzbarkeit). “Under all species concepts, a species is a separately evolving metapopulation lineage, but under the isolation version of the biological species concept, the lineage also has to be intrinsically reproductively isolated from other lineages; under the ecological species concept, the lineage also has to occupy a different niche; under the phenetic species De Queiroz K (2007) Species concepts and species delimitation. Systematic Biology 56: 879–886, concept, it also has to be phenetically distinguishable; under the phylogenetic species https://doi.org/10.1080/10635150701701083 concept (monophyly version), it also has to be monophyletic in terms of its component genes, organisms, or subpopulations, and so forth.” Zusammenfassung Artkonzepte: was ist eine Art? morphologisches Artkonzept: Gruppe von Populationen, die einander in ihrem Merkmalsbestand gleichen (manchmal auch taxonomisches Artkonzept genannt) biologisches Artkonzept: Gruppe sich untereinander kreuzender Populationen, die hinsichtlich ihrer Fortpflanzung von anderen solchen Gruppen isoliert ist (Dobzhansky 1937; Mayr 1942, 1963) phylogenetisches Artkonzept: Endglied einer stammesgeschichtlichen Linie (die Endverzweigung des Stammbaums; ähnlich auch „evolutionäres Artkonzept“, Simpson 1951, Wiley 1978) ökologisches Artkonzept: Gruppen von Individuen/Populationen, die gleiche ökologische Nische besetzen und miteinander konkurrieren nominalistisches Artkonzept: Arten existieren nicht, sie sind eine Fiktion! In der Natur existieren nur Individuen, nur sie und ihre Populationen sind echt und wichtig. → Artkonzepte schließen einander nicht aus, sondern betonen unterschiedliche Aspekte von Arten → Integrative, pluralistische Artkonzepte kombinieren morpho-, bio-, ökologische und phylogenetische Ansätze: Arten sind reproduktiv isolierte Zweige am Stammbaum des Lebens Das Artbildungskontinuum (speciation continuum) Die meisten Artbildungsprozesse dauern viele Generationen lang, dadurch entsteht ein Artbildungskontinuum: Das Artbildungskontinuum ist ein Kontinuum reproduktiver Isolation. (A) Fortschritt der Art- bildung und verschiedene Möglichkeiten, wie sich zwei Populationen weiterentwickeln können (B) Genomische Differenzierung gemessen via FST, einem Maß für die genetische Differenzierung von Populationen Stankowski D & Ravinet M (2021) Defining the speciation continuum. Evolution 75: 1256-1273. https://doi.org/10.1111/evo.14215 Genomische Differenzierung zwischen Populationen bedeutet Änderung der Allelfrequenzen: in Bereichen des Genoms, in denen Populationen unter- schiedliche Allele besitzen, ist genetische Differenzierung hoch (hoher FST-Wert) FST-Wert: rangiert zwischen 0 (keine Differenzierung) und 1 (hohe Differenzierung) *Allel: Varianten eines Gens; Allelfrequenz: relative Häufigkeit eines Allels Das Artbildungskontinuum (speciation continuum) Die meisten Artbildungsprozesse dauern viele Generationen lang, dadurch entsteht ein Artbildungskontinuum: Das Artbildungskontinuum ist ein Kontinuum reproduktiver Isolation. (A) Fortschritt der Art- bildung und verschiedene Möglichkeiten, wie sich zwei Populationen weiterentwickeln können (B) Genomische Differenzierung gemessen via FST, einem Maß für die genetische Differenzierung von Populationen Stankowski D & Ravinet M (2021) Defining the speciation continuum. Evolution 75: 1256-1273. https://doi.org/10.1111/evo.14215 Evolution findet statt, wenn sich die Allelhäufigkeit in einer Population ändert! Prozesse, die zur Veränderung von Allelfrequenzen führen Mechanismus Wirkung auf den Genpool Adaptiv? Natürliche Unterschiede in Fortpflanzungserfolg und Überlebensrate ja Selektion erhöhen die Frequenz gewisser Allele z.B. Individuen mit größeren Blättern produzieren mehr Samen, da sie mehr Photosynthese betreiben können und so mehr Ressourcen zur Samenproduktion zur Verfügung haben Natürliche Selektion Individuen einer Population unterscheiden sich im Genotyp aufgrund von verschiedenen Allelen (genetische Variation) → daraus resultieren Unterschiede im Phänotyp (phänotypische Variation) → Differenzen in Überlebens- und Reproduktionschancen dieser Individuen (Variation in der Fitness) → Allele werden in unterschiedlicher Häufigkeit an die nächste Generation weitergegeben. → Veränderung der Allelfrequenzen innerhalb einer Population. Formen der natürlichen Selektion: Stabilisierende Selektion: Optimum bleibt, Variabilität wird geringer Gerichtete Selektion: Optimum verschiebt sich Disruptive Selektion: es entstehen zwei Optima →wichtig für Artbildung (Speziation) Aus: Sadava D. et al. (2019) Purves Biologie (10. Aufl.). Berlin Heidelberg: Springer https://ubdata.univie.ac.at/AC15407651 Prozesse, die zur Veränderung von Allelfrequenzen führen Mechanismus Wirkung auf den Genpool Adaptiv? Natürliche Unterschiede in Fortpflanzungserfolg und Überlebensrate ja Selektion erhöhen die Frequenz gewisser Allele z.B. Individuen mit größeren Blättern produzieren mehr Samen, da sie mehr Photosynthese betreiben können und so mehr Ressourcen zur Samenproduktion zur Verfügung haben Genetische Zufallsbestimmte (stochastische) Änderung des Genpools nein Drift In kleinen Populationen können seltene Allele verschwinden, weil diese nicht weitergegeben werden (die Wahrscheinlichkeit der Weitergabe ist proportional zur Häufigkeit) https://evolution.berkeley.edu/bottlenecks-and-founder-effects/ Genetische Drift Flaschenhals-Effekt (bottleneck): die Populations- größe ist stark reduziert für zumindest eine Generation, in dieser Zeit werden einige Allele (insbesondere seltene) nicht Eyre-Walker A. et al. (1998) Investigation of the bottleneck leading to the domestication of maize. Proceedings of the National Academy of weitergegeben → genetische Sciences USA 95: 4441-4446. https://doi.org/10.1073/pnas.95.8.4441 Diversität nimmt ab. Relevant für z. B. domestizierte Pflanzen, gefährdete Arten. Gründereffekt (founder effect): da neu begründete Populationen meist nur von wenigen Individuen aus- https://commons.wikimedia.org/wiki /File:Founder_effect.svg; public gehen, sind am Beginn nur wenige Allele vorhanden: domian; unverändert Die Population startet also von einer geringen gene- tischen Diversität. Relevant z. B. für Neobiota oder Besiedler isolierter Inseln (peripatrische Speziation). Verbreitung über weite Distanzen und Gründereffekt Alsos IG et al. (2015) Long-distance plant dispersal to North Atlantic islands: colonization routes and founder effect, AoB Plants 7: plv036. https://doi.org/10.1093/aobpla/plv036 Prozesse, die zur Veränderung von Allelfrequenzen führen Mechanismus Wirkung auf den Genpool Adaptiv? Natürliche Unterschiede in Fortpflanzungserfolg und Überlebensrate ja Selektion erhöhen die Frequenz gewisser Allele z.B. Individuen mit größeren Blättern produzieren mehr Samen, da sie mehr Photosynthese betreiben können und so mehr Ressourcen zur Samenproduktion zur Verfügung haben Genetische Zufallsbestimmte (stochastische) Änderung des Genpools nein Drift In kleinen Populationen können seltene Allele verschwinden, weil diese nicht weitergegeben werden (die Wahrscheinlichkeit der Weitergabe ist proportional zur Häufigkeit) Genfluss Einbringen von Allelen durch Pollen- oder Samentransport nein Ist Gentransfer zwischen Populationen häufig, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich Populationen durch genetische Drift auseinander verändern, gering Auswirkungen von Ausbreitung (dispersal) und Genfluss Sessile Organismen (wie die meisten Pflanzen) sind auf Transport durch Vektoren angewiesen, um sich räumlich (zB zwischen Populationen) zu bewegen und auszubreiten (zB neue geographische Räume zu erschließen). Wir unterscheiden hier zwischen: Samentransport (z. B. durch Fruchtverbreiter oder Wind) Pollentransport (z. B. durch Bestäuber oder Wind) → Beide Mechanismen können zu Genfluss führen und können positive oder negative Auswirkungen auf adaptive Divergenz haben → Keiner der beiden Mechanismen muss Auswirkungen auf Genfluss haben (es kann zB sein, dass verbreitete Samen in einer neuen Population nie keimen oder die daraus erwachsenden Pflanzen selbst nie Samen ausbilden; es kann auch sein, dass der verbreitete Pollen in der neuen Population nicht zu Samen- bildung führt oder die Samen nie keimen) Auswirkungen von Ausbreitung (dispersal) und Genfluss Wenn sowohl Samen- als auch Pollentransfer zur Veränderung des Genpools führen, können sie positive oder negative Auswirkungen auf adaptive Divergenz haben: (1) Ausbreitung (dispersal) in andere Populationen kann zu deren Erhaltung beitragen, und sich länger haltende Populationen haben mehr Potential für adaptive Divergenz. (2) Ausbreitung kann dazu führen, dass die maximal erträgliche Populationsgröße (carrying capacity) überstiegen wird, was sich negativ auf ihre Fitness auswirkt und damit negativ auf das Potential für adaptive Divergenz (3) Erhöhte Ausbreitung führt zu 4 4 erhöhtem Genfluss (4) Erhöhter Genfluss kann über 5 5 den Austausch fehlangepasster 3 1 Allele das adaptive Potential einer Population verringern 1 1 (5) Erhöhter Genfluss kann über das Einbringen neuer Allele das 2 adaptive Potential einer 2 Population erhöhen Garant D et al. (2007) The multifarious effects of dispersal and gene flow on contemporary adaptation. Functional Ecology 21: 434-443. https://dx.doi.org/doi.org/10.1111 (Abb. verändert) Prozesse, die zur Veränderung von Allelfrequenzen führen Mechanismus Wirkung auf den Genpool Adaptiv? Natürliche Unterschiede in Fortpflanzungserfolg und Überlebensrate ja Selektion erhöhen die Frequenz gewisser Allele z.B. Individuen mit größeren Blättern produzieren mehr Samen, da sie mehr Photosynthese betreiben können und so mehr Ressourcen zur Samenproduktion zur Verfügung haben Genetische Zufallsbestimmte (stochastische) Änderung des Genpools nein Drift In kleinen Populationen können seltene Allele verschwinden, weil diese nicht weitergegeben werden (die Wahrscheinlichkeit der Weitergabe ist proportional zur Häufigkeit) Genfluss Einbringen von Allelen durch Pollen- oder Samentransport nein Ist Gentransfer zwischen Populationen häufig, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich Populationen durch genetische Drift auseinander verändern, gering Mutation Spontane Mutationen führen zur Veränderung der Allel- nein häufigkeit oder zum Entstehen neuer Allele in einer Population Mutationen in nicht-kodierenden Bereichen des Genoms sind neutral, jene in kodierenden Bereichen sind meist ±nachteilig Prozesse, die zur Veränderung von Allelfrequenzen führen Mechanismus Wirkung auf den Genpool Adaptiv? Natürliche Unterschiede in Fortpflanzungserfolg und Überlebensrate ja Selektion erhöhen die Frequenz gewisser Allele z.B. Individuen mit größeren Blättern produzieren mehr Samen, da sie mehr Photosynthese betreiben können und so mehr Ressourcen zur Samenproduktion zur Verfügung haben Genetische Zufallsbestimmte (stochastische) Änderung des Genpools nein Drift In kleinen Populationen können seltene Allele verschwinden, weil diese nicht weitergegeben werden (die Wahrscheinlichkeit der Weitergabe ist proportional zur Häufigkeit) Genfluss Einbringen von Allelen durch Pollen- oder Samentransport nein Ist Gentransfer zwischen Populationen häufig, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich Populationen durch genetische Drift auseinander verändern, gering Mutation Spontane Mutationen führen zur Veränderung der Allel- nein häufigkeit oder zum Entstehen neuer Allele in einer Population Mutationen in nicht-kodierenden Bereichen des Genoms sind neutral, jene in kodierenden Bereichen sind meist ±nachteilig Assortative Bevorzugte Paarung innerhalb desselben Phänotyps, der ja / nein Paarung Extremfall ist Inzucht (obligate Selbstbestäubung) z. B. Variation in Blütenfarben, die dann von unterschiedlichen Bestäubern bevorzugt besucht werden Auswirkungen von assortativer Paarung Werden rot- und rosablütige Formen von Phlox drummondii in einem Mischbestand ausgepflanzt, wird von Bestäubern bevorzugt jeweils nur eine Blütenfarbe angeflogen; dies ist noch stärker, wenn sich die Farbmorphen auch in der Wuchshöhe unterscheiden → Kann zu sympatrischer Artbildung führen Weniger Hybridbildung bei hohen Wuchshöhen, Bestäuber bevorzugen entweder rote oder rosa Blüten Levin D & Watkins L (1984) Assortative mating in phlox. Heredity 53: 595–602. https://doi.org/10.1038/hdy.1984.117 https://www.applewoodseed.com/p https://www.thespruce.com/growing-phlox-drummondii-5076303 roduct/annual-phlox-red/ https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Anthophora_on_Salvia_1.jpg; CC BY-SA 3.0 DEED; unverändert Assortative Paarung: Fremdbestäubung Fremdbestäubung (Allogamie, „out- crossing“) ist häufig: Pollen von einem Individuum wird auf die Narbe eines anderen Individuums der gleichen Art gebracht. Blüten zeigen vielfach spezi- fische Anpassungen an die Bestäuber. Die Biene Anthophora dufourii auf Salvia hierosolymitana control saline Fremdbestäubung bringt höhere Fitness Samen von fremd- und selbstbestäubten Individuen von Raps in normaler (control) vs. salzhaltiger Erde (saline): generell höhere Fitness (schnelleres Wachstum, höhere Überlebensrate) der fremdbestäubten Keimlinge, Unterschiede aber besonders stark unter Umweltstress (Salzstress). Was bedeuten solche Ergebnisse in Bezug auf den Fitness von Keimlingen von Brassica rapa aus Samen nach Fremdbestäubung (dunkelgrau) und Klimawandel und häufigere Extremereignisse wie Selbstbestäubung (hellgrau) Dürreperioden (hoher Pflanzenstress)? Waller DM et al. (2008) Effects of stress and phenotypic variation on inbreeding depression in Brassica rapa. Evolution 62: 917–931. https://doi.org/10.1111/j.1558-5646.2008.00325.x https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ophrys_apifera_flower2.jpg; CC BY-SA 3.0 DEED; unverändert Assortative Paarung: Selbstbestäubung Selbstbestäubung (Autogamie i. w. S., „inbreeding“) ist auch häufig: Pollen eines Individuums kommt auf die Narbe desselben Individuums, entweder einer anderen Blüte (Geitonogamie, Nachbarbestäubung) oder derselben Blüte (Autogamie i. e. S.). keine genetische Durchmischung; kann dennoch vorteilhaft sein, z.B., wenn Bestäuber fehlen! Bei ausbleibender Fremdbestäubung können viele Pflanzen Selbstbestäubung durchführen, Das kurzlebige Hunger- so wie hier die Bienen-Ragworz (Ophrys apifera) blümchen (Draba verna) blüht zeitig im Frühjahr; Nachteil: es kommt zu keiner die Art besitzt kleine Blüten, wo durch die genetischen Durchmischung räumliche Nähe Auto- gamie leicht möglich ist. Vorteil (bei Autogamie i. e. S.): es kommt auf jeden Fall zu einer Bestäubung und damit Befruch- tung, auch wenn z. B. kein https://www.monde-de-lupa.fr/Pelouses/PagesPel/Erophila%20pg/Erophila3.html Bestäuber vorhanden ist. Blick in die Forschung: Welche Faktoren tragen zur Differenzierung von Populationen bei? Untersuchen des Einflusses von Bestäubungsmechanismus, Samenverbreitungsstrategie, Reproduktionssystem, Wuchs- form sowie Breitengrad auf Gamba D & Muchhala N (2020) Global patterns of population genetic differentiation in seed plants. Molecular Ecology 29: 3413–3428. https://doi.org/10.1111/mec.15575 (neutrale) populationsgenetische Differenzierung Maß für Populationsgenetische Differenzierung ist FST = Fixierungskoeffizient: 0 – keine Differenzierung zwischen Populationen, Genfluss uneingeschränkt möglich 1 – volle Differenzierung zwischen Populationen, kein Genfluss möglich → es könnten somit getrennte Arten entstehen! Geographische Lage (z.B. Tropen / gemäßigte Zonen), Reproduktionssystem (z.B. Selbstbestäubung, Fremdbestäubung) sowie Bestäubungsmechanismus tragen besonders zur Variation des FST-Wertes bei. Bestäubungsmechanismus ist deutlich wichtiger als Samenverbreitungsstrategie. Blick in die Forschung: Welche Faktoren tragen zur Differenzierung von Populationen bei? Bestäubung (Pollentransfer) Fruchtverbreitung (Samentransfer) Gamba D & Muchhala N (2020) Global patterns of population genetic differentiation in seed plants. Molecular Ecology 29: 3413–3428. https://doi.org/10.1111/mec.15575 Pflanzenarten, die von kleinen Insekten bestäubt werden, zeigen statistisch signifikant stärkere populationsgenetische Differenzierung (höherer FST) als Arten, die von großen Insekten, Wirbeltieren oder Wind bestäubt werden; keine Unterschiede bezüglich Differenzierung bei Bestäubung durch große Insekten, Wirbeltiere oder Wind. Keine signifikanten Unterschiede im Hinblick auf Samenausbreitung (Schwerkraft, Wind, Tiere). Blick in die Forschung: Wieso führt Bestäubung durch kleine Insekten zu stärkerer populationsgenetischer Wessinger CA (2021) From pollen dispersal to plant diversification: genetic consequences of Differenzierung? pollination mode. New Phytologist 229: 3125- 3132. https://doi.org/10.1111/nph.17073 Weniger mobile Bestäuber Mobilere Bestäuber kleine Insekten, flugunfähige Große Insekten (Schwärmer, große Säugetiere, territoriale Vögel Bienen, Hummeln), nicht territoriale (viele Kolibris), Reptilien Vögel, Fledermäuse Hypothese: Mobilität der Bestäuber hat wesentlichen Einfluss auf populations- genetische Differenzierung https://www.esa.org/blog/2018/04/vertebrate-polinator-metaanalysis/; https://mdc.mo.gov/discover-nature/field-guide/halictid-bees-sweat-bees Blick in die Forschung: Wieso führt Bestäubung durch kleine Insekten zu stärkerer populationsgenetischer Wessinger CA (2021) From pollen dispersal to plant diversification: genetic consequences of Differenzierung? pollination mode. New Phytologist 229: 3125- 3132. https://doi.org/10.1111/nph.17073 Weniger mobile Bestäuber Mobilere Bestäuber Populationen weisen sehr Populationen weisen ähnliche unterschiedliche Genfrequenzen Genfrequenzen auf (niedriger auf (hoher FST-Wert) → kein FST-Wert) → Genfluss zwischen Genfluss zwischen Populationen Populationen ist aufrecht Hypothese: Mobilität der Bestäuber hat einen wesentlichen Einfluss auf populationsgenetische Differenzierung, die auch (aber nicht immer) zur Artbildung führen kann. Blick in die Forschung: Test der Hypothese, dass Bestäubermobilität einen Einfluss auf populationsgenetische Differenzierung hat Dellinger AS et al. (2022) Population structure in Neotropical plants: Integrating pollination biology, topography and climatic niches. Molecular Ecology 31: 2264–2280. https://doi.org/10.1111/mec.16403 Vergleich von 6 Arten mit unterschiedlichen Bestäubern: 2× Bienenbestäubung - weniger mobil 2× Kolibri-Fledermausbestäubung – sehr mobil 1× Kolibri-Mäusebestäubung – mittel mobil 1× Sperlingsvogelbestäubung – sehr mobil Molekulare Daten von 5-6 Populationen je Art zur Berechnung von FST-Werten Statistische Modellierung um zu testen, ob Bestäubergruppen, geographische Distanz oder Klimadaten Einfluss auf FST-Wert haben Blick in die Forschung: Test der Hypothese, dass Bestäubermobilität einen Einfluss auf populationsgenetische Differenzierung hat Grad der Populationsstruktur korreliert nicht strikt mit der Bestäubergruppe, die beiden bienenbestäubten Arten zeigen aber deutlichere Populationsstruktur. Die populationsgenetische Differenzierung über größere geographische Distanz ist bei den bienenbestäubten Arten deutlich höher als bei den wirbeltierbestäubten Arten. Was heißt das für den Artenschutz? Populationsstruktur, co-ancestry heat maps (dunklere Farbtöne zeigen nähere Verwandtschaft an) und FST-Werte Dellinger AS et al. (2022) Population structure in Neotropical plants: Integrating pollination biology, topography and climatic niches. Molecular Ecology 31: 2264–2280. https://doi.org/10.1111/mec.16403 Aber… wie kommt es überhaupt zu reproduktiver Isolation und Artbildung? Barrieren durch Gebirge, Flüsse, Ozeane (Arten auf Inseln), Wüsten, Straßen, Städte, … geographische Distanz! https://images.nationalgeographic.org/image/upload/v1638891925/EducationHub/photos/speciation.jpg https://ib.bioninja.com.au/higher-level/topic-10-genetics-and-evolu/103-gene-pools-and-speciati/speciation.html Aber… wie kommt es überhaupt zu reproduktiver Isolation und Artbildung? Nische: die ökologische Nische beschreibt einen abstrakten, multidimensionalen „Raum“, der die Lebensbedingungen einer Art charakterisiert. Setzt sich z.B. zusammen aus: - Klima- und Boden- bedingungen, die eine Art tolerieren kann - Interaktionen mit anderen Arten, die eine Art für ihr Überleben braucht (positive Interaktionen wie mit Bestäubern) - Interaktionen, durch die die Art in ihrem Überleben eingeschränkt wird (negative Interaktionen wie mit Parasiten) Aber… wie kommt es überhaupt zu reproduktiver Isolation und Artbildung? Polymorphismen bedingen stark isolierende Mechanismen z.B. auf genetischer Ebene - Polyploidisierung – Vermehrung des Chromosmensatzes bei einigen Individuen → folglich Inkompatibilität mit diploiden Individuen - Interaktionsebene: spontane Veränderung der Blütenfarbe durch Mutation bei einigen Individuen und anschließend Präferenz durch andere Bestäuber → umstritten Blick in die Forschung: allopatrische vs. parapatrische Speziation Vargas OM et al. (2023) Allopatric speciation is more prevalent than parapatric ecological divergence in a recent high-Andean diversification (Linochilus: Asteraceae). PeerJ 11: e15479. https://doi.org/10.7717/peerj.15479 Untersuchungssystem: Gattung Linochilus (Asteraceae) in den Anden 63 Arten, alle im Páramo: natürlich baumfreie Zone (alpine Stufe) in den Anden (generell über 4000 m): inselartig Welche Rolle spielten geographische Barrieren (allopatrische Differenzierung) im Vergleich zu Anpassung an unterschiedliche Nischen (parapatrische Differenzierung) bei der Entstehung dieser Arten? Blick in die Forschung: allopatrische vs. parapatrische Speziation Vargas OM et al. (2023) Allopatric speciation is more prevalent than parapatric ecological divergence in a recent high-Andean diversification (Linochilus: Asteraceae). PeerJ 11: e15479. https://doi.org/10.7717/peerj.15479 Bei allopatrischer Artbildung (oben) müssen Schwesternarten getrennte Gebiete bewoh- nen, können (müssen aber nicht) bezüglich Ökologie unterschiedlich sein. Bei parapatrischer Artbildung (unten) müs- Vergleich der sen Arten im selben Gebiet vorkommen und Verbreitung von sich ökologisch unterscheiden (festgestellt Schwesternarten: via Blattfläche: große, breite Blätter für Kaum Überlappung erhöhte Photosynthese in dunkleren der Verbreitungs- Habitaten im Übergang Bergwald – Páramo gebiete versus mittlere bis kleine Blätter zur Vermeidung von Wärmeverlust und als Verdunstungsschutz typisch für den Páramo Blick in die Forschung: allopatrische vs. parapatrische Speziation Vargas OM et al. (2023) Allopatric speciation is more prevalent than parapatric ecological divergence in a recent high-Andean diversification (Linochilus: Asteraceae). PeerJ 11: e15479. https://doi.org/10.7717/peerj.15479 Vergleich der Blattfläche von Schwesternarten: ähnliche Blattflächen Keine ökologische Differenzierung (ähnliche Blattflächen), aber unterschiedliche, meist nicht überlappende Verbreitungsgebiete bei Schwesternarten weisen auf allopatrische Speziation als wichtigen Mechanismus hin Wie kann die Hybridbildung (z. B. nach sekundärem Kontakt) verhindert werden? https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Allopatric_Speciation_with_Reinforcement_Schematic.svg; CC BY-SA 4.0 DEED; unverändert Verstärkung der Differenzierung und der reproduktiven Isolation: Selektion gegen Hybriden und für Mechanismen, die die Bildung von Hybriden vermeiden (Reinforcement, reproductive character replacement) (a) Phlox drummondii und Ph. cuspidata besitzen hellblaue Blüten in Gebieten, wo sie nicht miteinander vorkommen, im Überlappungsbereich ihrer Verbreitung besitzt Ph. drummondii allerdings rote Blüten. (b) Blütenfarbe wird von zwei Genen kontrolliert (für Intensität, I, und Farbton, H), rot kommt durch die Kombination IIhh zustande (im Vergleich zu iiHH für die hellblaue Farbe) (c) Die Hybridiserungsrate (Samenproduktion bei einer Kreuzung von Ph. cuspidata als Pollendonor und Ph. drummondii als Pollenrezeptor) ist bei den dunkelblütigen Formen (so auch bei rot) geringer als bei den hellblütigen Formen → das Vorherrschen roter Ph. drummondii, um die Bildung von Hybriden mit Ph. cuspidata zu reduzieren. Hopkins R (2013) Reinforcement in plants. New Phytologist 197: 1095-1103. https://doi.org/10.1111/nph.12119 Aber… Hybridisierung ist häufig und Quelle von Diversität bei Pflanzen! Mitchell N et al. (2019) Correlates of hybridization in plants. Evolution Letters 3: 570–585. https://doi.org/10.1002/evl3.146 Hybridisierung korreliert positiv mit: Fremdbestäubung (auf Familienebene) Lebensdauer und Holzigkeit (wahr- scheinlich via Fremdbestäubung und/oder via Lang-lebigkeit von Hybriden) Hybridisierung korreliert negativ mit: Insektenbestäubung (biotic pollination syndrome) Keine Korrelation mit Blütensymmetrie, Größe des Verbreitungsgebietes Artbildung trotz Genflusses Bekannte Mechanismen der Artbildung mit Barrieren/ unterschiedlichen Nischen und zusätzlichem Genfluss https://www.cell.com/plant-communications/pdf/S2590-3462(23)00110-4.pdf Artbildung trotz Genflusses - Sympatrie Welche Faktoren sind verantwortlich dafür, dass sich Arten trotz fehlender räumlicher Trennung und trotz Genfluss herausbilden können? Zwei Palmenarten auf kleiner ozeanischer Insel (Lord Howe Island) – kein Platz für Allopatrie Testen fünf verschiedener Modelle der Divergenz (mit Genfluss zu verschiedenen Zeiten mit unterschiedlicher Intensität) zeigt, dass ein Modell, in dem der Genfluss seit Aufspaltung der Arten vorhanden, sich aber abgeschwächt hat, das beste ist. → Zuerst lokale Adaptation (auf unterschiedliche Substrate) mit postzygotischer reproduktiver Isolation, dann Evolution präzygotischer reproduktiver Isolation (Unterschiede in der Blütezeit) Papadopulos AST et al. (2019) Ecological speciation in sympatric palms: 4. Demographic analyses support speciation of Howea in the face of high gene flow. Evolution 73: 1996–2002. https://doi.org/10.1111/evo.13813 Artbildung trotz Genflusses – Hybridisierung? Bekannte Mechanismen der Artbildung mit Barrieren/ unterschiedlichen Nischen und zusätzlichem Genfluss Zuerst entstehen Hybridlinien (C) aus Elternarten → anschließende Reproduktive Isolation zB durch ökologische Differenzierung oder genetische Inkompatibilität kann zu stabilen Hybriden führen Rückkreuzung der Hybride in Elternarten möglich (Introgression) bis hin zu Verschwinden der Elternart (genetic swamping) https://www.cell.com/plant-communications/pdf/S2590-3462(23)00110-4.pdf Homoploid = gleichbleibende Ploidie (wie Elternarten) Artbildung in Sympatrie: Hybridarten ohne Änderung der Ploidie (Homoploide Hybridarten) am Beispiel der Sonnenblumen Langjährige Hypothese: drei Arten (Helianthus anomalus, H. deserticola, H. paradoxus) entstanden durch mehrere rezente Hybridisierungen von H. annuus und H. petiolaris. Die Arten sind öko- logisch verschieden (Sanddünen, Wüsten, Salzböden) und zeigen chromo- somale Umstrukturierungen im Vergleich zu den Elternsippen. Rieseberg L et al. (1995) Hybrid speciation accompanied by genomic reorganization in wild sunflowers. Nature 375: 313–316. https://doi.org/10.1038/375313a0 Neue Erkenntnisse: zwei unabhängige, weit zurückliegende Hybridisierungs- events, eines involvierte eine unbekannte (ausgestorbene?) Elternsippe (L1) und führte zu H. anomalus und H. deserticola, das andere zu H. paradoxus. Die Beziehungen zwischen den hybridogenen Arten werden verkompliziert durch Genfluss nach der Hybridisierung (Hybridisierung ist generell häufig in der Owens GL et al. (2023), Molecular Biology and Evolution 40: msad013. https://doi.org/10.1093/molbev/msad013 Gattung). Artbildung in Sympatrie: Chromosomale Umstrukturierungen erlauben raschen Aufbau reproduktiver Isolation Neben der hybridogenen Dünensonnenblume Helianthius anomalus hat sich im Great Sand Dunes National Park in Colorado ohne Hybridisierung, aber unter bestehendem Genfluss, in nur 10000 Jahren ein spezieller Dünenökotyp von Helianthus petiolaris herausgebildet, neben den Dünen wachsen die anderen Ökotypen dieser Art. Todesco M et al. (2020) Massive haplotypes underlie ecotypic differentiation in sunflowers. Nature 584: 602–607. https://doi.org/10.1038/s41586-020-2467-6 Artbildung in Sympatrie: Chromosomale Umstrukturierungen erlauben raschen Aufbau reproduktiver Isolation Neben der hybridogenen Dünensonnenblume Helianthius anomalus hat sich im Great Sand Dunes National Park in Colorado ohne Hybridisierung, aber unter bestehendem Genfluss, in nur 10000 Jahren ein spezieller Dünenökotyp von Helianthus petiolaris herausgebildet, neben den Dünen wachsen die anderen Ökotypen dieser Art. In gewissen Bereichen des Genoms nur limitierte Rekombinationen, sodass unterschiedliche Ökotypen trotz Rückkreuzung mit nicht adaptierten Ökotypen erhalten bleiben (weil Gene für Adaptationen an verschiedene Habitate nicht getrennt werden). Dies betrifft z. B. Fruchtgröße (c) und Blütezeit (d). Todesco M et al. (2020) Massive haplotypes underlie ecotypic differentiation in sunflowers. Nature 584: 602–607. https://doi.org/10.1038/s41586-020-2467-6 Artbildung in Sympatrie: Hybridarten mit Änderung der Ploidie (Allopolyploidie) Polyploidisierung = Erhöhung der Anzahl der Chromosomensätze Sowohl Allopolyploidie (Polyploidisierung nach Hybridisierung zweier Arten, Störung der Meiose) als auch Autopolyploidie (Polyploidisierung innerhalb einer Art) sind bei Pflanzen häufig. Polyploidisierung erlaubt sofortige (innerhalb zweier Generationen) reproduktive Isolation (postzygotisch) Aus: Sadava D. et al. (2019) Purves Biologie (10. Aufl.). Berlin Heidelberg: Springer https://ubdata.univie.ac.at/AC15407651 Artbildung durch Polyploidisierung Figure 1. Flowers, hop cones and leaves of diploid and tetraploid H. lupulus “Sybilla”: (A) female flowers of diploid (down) and tetraploid (up) plants (bar = 10 mm), (B) hop cones of diploid (left) and tetraploid (right) plants (bar = 20 mm) and (C) fully expanded leaves of diploid (left) and tetraploid (right) plants (bar = 10 mm). Viele Kulturpflanzen sind allopolyploid. Polyploide Individuen sind oft größer als diploide Individuen → Steigerung des Ertrags Leitch AR & Leitch IJ (2008) Genomic plasticity and the diversity of polyploid plants. Science 320: 481-483. https://doi.org/10.1126/science.115358 Trojak-Goluch et al. 2021: Polyploidy in Industrial Crops: Applications and Perspectives in Plant Breeding. Agronomy: https://doi.org/10.3390/agronomy11122574 Polyploidisierung und Diversifikation der Blütenpflanzen Polyploidisierung (whole genome duplication, WGD) an der Basis aller Blütenpflanzen (Epsilon), viele weitere WGDs danach, auch in den Gymno- spermen. Auf WGD folgt meist Diploidisierung (Reduktion der Genom- größe, chromosomale Umstrukturierungen). Ignoriert man alte WGDs, sind noch immer 70% der Blütenpflanzen und 95% der Farnpflanzen polyploid (viel häufiger als im Tierreich) Alix K et al. (2017) Polyploidy and interspecific hybridization: partners for adaptation, speciation and evolution in plants. Annals of Botany 120: 183–194. https://doi.org/10.1093/aob/mc x079 Polyploidisierung und Klimaveränderungen Klimaveränderungen wie z. B. Eiszeit (Pleistozän): durch wiederholtes Ausbreiten und Rückgehen der Gletscher in Europa veränderten sich die Verbreitungsgebiete von Pflanzenarten stark; während der Eiszeiten zogen sich viele Arten in Refugialräume (z. B. Balkanhalbinsel, Apenninenhalbinsel, Iberische Halbinsel) zurück, wo es vermehrt zu sekundärem Kontakt nah verwandter Arten kam, mit der Möglichkeit für Allopolyploidisierung. Vorteile von Polyploidie: oft größer und schnellerwüchsig kommen mit extremeren Klimabedingungen besser zurecht oft autonome Fortpflanzung durch Selbstbestäubung oder Apomixis → beschleunigt reproduktive Isolation und erleichtert Ausbreitung! Dufresnes C (2015) Sex-chromosome evolution of Palearctic tree frogs in space and time. PhD Thesis U Lausanne. https://www.researchgate.net/publication/322299541_Sex-chromosome_evolution_of_Palearctic_tree_frogs_in_space_and_time Blick in die Forschung: Können Polyploide andere klimatische Nischen besiedeln? Ranunculus kuepferi (Kuepfers Hahnenfuß) mit diploiden Sexuellen in den SW-Alpen (Eiszeit- refugium) und tetraploiden Apomikten im Rest der Alpen (großteils vormals stark vergletscherte Gebiete) Kollaboration der Uni Wien und der Uni Göttingen: 102 Populationen besucht Vegetationsaufnahmen (alle Pflanzen, die in 1 m² Flächen wachsen, dokumentiert) 12 Individuen pro Population vermessen und für Klimaexperimente ausgegraben In Wien: Modellierung (statistische Analyse) Kirchheimer B et al. (2016) A matter of scale: apparent niche differentiation of diploid and tetraploid plants may depend on extent and grain of analysis. Journal of Biogeography 43: 716-726. https://doi.org/10.1111/jbi.12663 der Vegetationsdaten In Göttingen: Feststellen der Ploidiestufe, Experimente in Klimaschränken mit ausgegrabenen Pflanzen (Fruchtansatz, Überlebensrate, …) Blick in die Forschung: Können Polyploide andere klimatische Nischen besiedeln? Modellierung bestätigt: klare Veränderung der klimatischen Nische von diploiden (wärmere, trockenere Standorte) zu tetraploiden (kältere, feuchtere Standorte) Populationen. Nischenveränderung besonders stark in der sympatrischen Zone: stärkere ökologische Differenzierung in Gebieten mit Sympatrie (niche displacement) Kirchheimer B et al. (2016) A matter of scale: apparent niche differentiation of diploid and tetraploid plants may depend on extent and grain of analysis. Journal of Biogeography 43: 716-726. https://doi.org/10.1111/jbi.12663 Wieso sind manche Gruppen artenreicher als andere? 9000 Aus: Sadava D. et al. (2019) Purves Biologie (10. Aufl.). Berlin Heidelberg: Springer https://ubdata.univie.ac.at/AC15407651 15000 100 1500 30 12000 300 1 90 700 >300000 Arten entstehen durch Differenzierung von Populationen, die sich an unterschiedliche Bedingungen anpassen können (Ökotypen) Geographische Barrieren und die Entwicklung reproduktiver Isolationsmechanismen sind wichtig für die Artbildung Hybridisierung und v. a. Polyploidisierung beschleunigen die Bildung neuer Arten Aber… wieso sind manche Pflanzengruppen diverser als andere? → nächste Einheit!