VL 7 (Suizidalität und Supervision) PDF

Document Details

Uploaded by Deleted User

Friedrich-Schiller-Universität Jena

Prof. Dr. Gabriele Wilz

Tags

suicide prevention mental health crisis intervention psychology

Summary

This document is a lecture on suicide and psychological intervention. It covers topics like risk assessment, crisis intervention, motivational interviewing, and the importance of supporting individuals in crisis. The document is from the Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Full Transcript

Gesprächsführung, Beziehungsgestaltung und Beratung Prof. Dr. Gabriele Wilz Abteilung Klinisch-psychologische Intervention Die Inhalte dieser Präsentation sind urheberrechtlich geschützt. Eine Übernahme von Inhalten der Präsentation ist nur mit Prof. Dr. G. Wilz Ge...

Gesprächsführung, Beziehungsgestaltung und Beratung Prof. Dr. Gabriele Wilz Abteilung Klinisch-psychologische Intervention Die Inhalte dieser Präsentation sind urheberrechtlich geschützt. Eine Übernahme von Inhalten der Präsentation ist nur mit Prof. Dr. G. Wilz Genehmigung der Autorin und unter Angabe der Quelle gestattet. 1 Suizidalität Prof. Dr. G. Wilz 2 Themen der Vorlesung 1. Allgemeines 2. Risikoabschätzung 3. Akute Suizidalität 4. Exploration 5. Motivational Interviewing 6. Förderung der Selbstkontrolle 7. Festlegung des Settings 8. Zusammenfassung Prof. Dr. G. Wilz 3 Suizidalität – Begriffsbestimmung Suizid Tod aufgrund eines intentionalen, selbstschädigenden Verhaltens, das mit einem gewissen Maß an Absicht zu sterben assoziiert war. 3 Bestimmungsmerkmale gelten als zentral: (1) Die Person ist tot. (2) Das Verhalten der Person selbst führte zum Tod. (3) Die Person hatte – in gewissem Ausmaß – die Absicht, ihren eigenen Tod herbeizuführen. Eine entsprechende Intention wird entweder erschlossen oder wurde explizit zum Ausdruck gebracht. Teismann, T. (2018). In: J. Margraf& S. Schneider (Hrsg.) Lehrbuch der Verhaltenstherapie. Band 2: Psychologische Therapie bei Indikationen im Prof. Dr. G. Wilz Erwachsenenalter (S. 171-184). Berlin: Springer. 4 Arbeitspatzbedingter Suizid Welche Berufsgruppen sind besonders betroffen? 1. Medizinische Berufe (1,3- bis 3,4-fach höhere Suizidrate, Reimer et al., 2005). Gründe: Berufliche Belastung Erhöhte Prävalenzraten bei depressiven Störungen Leichter Zugang zu Medikamenten 2. Land- und Forstwirtschaft 3. Polizei 4. Streitkräfte 5. Manager/in und Banker/in Schneider, B., Lindner, R., Giegling, I., Müller, S., Müller-Pein, H., Rujescu, D., Urban, B. & Fiedler, G. (2021). Suizidprävention Prof. Dr. G. Wilz Deutschland – Aktueller Stand und Perspektiven. Deutsche Akademie für Suizidprävention e.V. (DASP). Reimer, C.,Trinkaus, S., Jurkat H.B. (2005). Suicidal Tendencies of Physicians - An Overview. Psychiatrische Praxis, 32, 381–385. 5 Suizidalität – Häufigkeit Daten des Statistischen Bundesamts für 2019: Anzahl der Suizide: 9.041 76% der Suizide wurden von Männern begangen durchschnittliches Alter von Männern zum Zeitpunkt des Suizids: 59,7 Jahre Stand: 30.11.2020 Suizide in Deutschland 2019, Statistisches Bundesamt (Destatis), 2020. In https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft- Prof. Dr. G. Wilz Umwelt/Gesundheit/Todesursachen/Tabellen/suizide.html 6 Suizidalität – Suizid und psychische Störungen Die Mehrzahl aller Menschen, die Suizid begehen, leiden an einer psychischen Störung: Depression Persönlichkeitsstörungen (Antisoziale, Borderline) Alkoholismus Schizophrenie andere psychische Störungen → Risikoerhöhung bei gleichzeitigem Vorliegen von Depression und Alkoholismus Teismann, T. (2018). In: J. Margraf& S. Schneider (Hrsg.) Lehrbuch der Verhaltenstherapie. Band 2: Psychologische Therapie bei Indikationen im Prof. Dr. G. Wilz Erwachsenenalter (S. 171-184). Berlin: Springer. 7 Suizidalität – Diagnostische (Forschungs-)Kriterien der suizidalen Verhaltensstörung nach DSM-5 (1) Die Person hat innerhalb der letzten 24 Monate einen Suizidversuch unternommen. (Beachte: Ein Suizidversuch ist ein selbstinitiierter Verhaltensablauf einer Person, die zum Zeitpunkt der Initiierung annimmt, dass der Ablauf der Handlung zu ihrem eigenen Tod führt. Der »Zeitpunkt der Initiierung« ist der Zeitpunkt, an dem das Verhalten eingetreten ist, das die Anwendung der Methode beinhaltet.) Bestimme, ob: aktuell: nicht mehr als 12 Monate seit dem letzten Versuch frühremittiert: 12 bis 24 Monate seit dem letzten Versuch American Psychiatric Association. (2013). Diagnostic and statistical manual of mental disorders (5. Aufl.), (DSM-5). Washington DC: American Prof. Dr. G. Wilz Psychiatric Pub. 8 Suizidalität – Diagnostische (Forschungs-)Kriterien der suizidalen Verhaltensstörung nach DSM-5 (2) Die Tat erfüllt nicht die Kriterien für nicht-suizidale Selbstverletzungen – d. h., sie beinhaltet keine Selbstverletzungen, die der Körperoberfläche zum Zweck der Entlastung von negativen Gefühlen, von einem kognitiven Zustand oder zur Herbeiführung eines positiven Gefühls zugefügt werden. Die Diagnose bezieht sich nicht auf Suizidgedanken oder Suizidvorbereitungen. Die Tat wurde nicht während eines Delirs oder eines Zustandes der Verwirrtheit initiiert. Die Tat wurde nicht ausschließlich aufgrund eines politischen oder religiösen Ziels ausgeführt. American Psychiatric Association. (2013). Diagnostic and statistical manual of mental disorders (5. Aufl.), (DSM-5). Washington DC: American Prof. Dr. G. Wilz Psychiatric Pub. 9 Suizidalität – Mythen und Fakten Mythen Fakten Die meisten Menschen, die sich Menschen, die über Suizid sprechen, tun umbringen, haben vorher darüber es nicht. gesprochen. Suizidale Personen sind sich sicher, dass Die Mehrheit ist ambivalent. sie sterben möchten. Suizidgedanken können wieder auftreten, Einmal suizidal, immer suizidal. müssen es aber nicht. Prof. Dr. G. Wilz 10 Suizidalität – Selbsttötungsabsichten sind als Kontinuum zu verstehen: gar nicht vorhanden Entscheidungsprozess und Vorbereitungen sind abgeschlossen. Teismann, T. (2018). In: J. Margraf& S. Schneider (Hrsg.) Lehrbuch der Verhaltenstherapie. Band 2: Psychologische Therapie bei Indikationen im Prof. Dr. G. Wilz Erwachsenenalter (S. 171-184). Berlin: Springer. 11 Suizidalität – Stadien der suizidalen Entwicklung (nach Pöldinger) Der suizidalen Handlung geht in der Regel eine präsuizidale Entwicklung voraus. Sie verläuft schematisch in 3 Stadien: (1) Erwägung (2) Ambivalenz (3) Entschluss Mit fortschreitenden Stadien wird die Möglichkeit zur Distanzierung kleiner und das Suizidrisiko steigt an. Kluge, I., Bühring, M., Illes, F. & Juckel, G. (2017). Suizidalität und Krisenintervention. In: C. Konrad (Hrsg.), Therapie der Depression (S. 141-156). Berlin: Prof. Dr. G. Wilz Springer. Pöldinger W. (1982). Erkennung und Beurteilung der Suizidalität. In: C. Reimer (Hrsg.), Suizid (S. 13-23). Berlin, Heidelberg: Springer. 12 Suizidalität – Fallvignette Die stationäre Aufnahme des 80-jährigen Herrn W. erfolgte nach stattgehabtem Suizidversuch mittels Strangulation. Herr W. berichtete im Aufnahmegespräch, dass er seit ca. 14 Tagen unter gedrückter Stimmung leide, er fühle sich überlastet, grübele den ganzen Tag und könne nachts kaum schlafen. Der Suizidversuch sei eine „Kurzschlusshandlung“ gewesen. Als Auslöser für die depressive Symptomatik berichtet Herr W., dass seine Ehefrau, mit der er seit 55 Jahren verheiratet sei, nach einem Schlaganfall schwer pflegebedürftig sei und in ein Pflegeheim gemusst habe. Seine Schwester, die im Nachbarhaus wohne, sei vor einem Monat nach langer Krankheit verstorben. Bei ihm selbst sei vor 5 Jahren ein Prostatakarzinom operativ entfernt und nachbestrahlt worden. Aktuell habe er obstipative Beschwerden und Blutauflagerungen auf dem Stuhl bemerkt und habe nun Angst, ein Rezidiv zu bekommen. Eine durchgeführte Kolo- und Gastroskopie ohne pathologischen Befund habe ihn nicht beruhigen können. Er fühle sich aktuell mit allem überfordert, fühle sich in dem großen Haus ohne seine Ehefrau alleine, einsam und hilflos. Seiner Ehefrau sei er so auch keine Hilfe mehr. Sein Sohn habe ihm angeboten, zu dessen Familie zu ziehen, er wolle jedoch niemandem zur Last fallen. Zum Zeitpunkt der Aufnahme war Herr W. zwar froh, dass der Suizidversuch gescheitert sei, da er dies seiner Familie doch nicht habe antun wollen. Er berichtete jedoch weiterhin von passiven Todeswünschen. Kluge, I., Bühring, M., Illes, F. & Juckel, G. (2017). Suizidalität und Krisenintervention. In: C. Konrad (Hrsg.), Therapie der Depression (S. 141-156). Berlin: Prof. Dr. G. Wilz Springer. 13 Suizidalität – Risikoeinschätzung männliches Geschlecht Arbeitslosigkeit Demografische Faktoren höheres Alter niedriger sozioökonomischer Status psychische Erkrankung Suchmittelstörung Diagnostische Faktoren affektive Störung Persönlichkeitsstörung Schizophrenie körperliche Erkrankung Risikofaktoren soziale Isolation/Einsamkeit Perfektionismus Hoffnungslosigkeit Wahrnehmung, eine Last für andere zu sein Psychosoziale Faktoren negative Affektivität Furchtlosigkeit vor Schmerz, Sterben und Tod Impulsivität/Aggressivität Missbrauchserfahrung in Kindheit und Jugend Suizidgedanken familiäre Suizide Geschichte suizidalen Verhaltes vorausgegangene Suizidversuche Verlusterfahrungen (z.B. finanziell, interpersonell, identitätsbezogen) akute und /oder chronische Gesundheitsprobleme Proximale Faktoren familiäre/partnerschaftliche Konflikte Entlassung aus stationärer Behandlung Teismann, T. & Dorrmann W. (2014). Suizidalität. Göttingen: Hogrefe. Prof. Dr. G. Wilz 14 Suizidalität – Risikoeinschätzung männliches Geschlecht Arbeitslosigkeit Demografische Faktoren höheres Alter niedriger sozioökonomischer Status psychische Erkrankung Suchmittelstörung Diagnostische Faktoren affektive Störung Persönlichkeitsstörung Schizophrenie körperliche Erkrankung Risikofaktoren soziale Isolation/Einsamkeit Perfektionismus Hoffnungslosigkeit Wahrnehmung, eine Last für andere zu sein Psychosoziale Faktoren negative Affektivität Furchtlosigkeit vor Schmerz, Sterben und Tod Impulsivität/Aggressivität Missbrauchserfahrung in Kindheit und Jugend Suizidgedanken familiäre Suizide Geschichte suizidalen Verhaltes vorausgegangene Suizidversuche Verlusterfahrungen (z.B. finanziell, interpersonell, identitätsbezogen) akute und /oder chronische Gesundheitsprobleme Proximale Faktoren familiäre/partnerschaftliche Konflikte Entlassung aus stationärer Behandlung Teismann, T. & Dorrmann W. (2014). Suizidalität. Göttingen: Hogrefe. Prof. Dr. G. Wilz 15 Suizidalität – Risikoeinschätzung männliches Geschlecht Arbeitslosigkeit Demografische Faktoren höheres Alter niedriger sozioökonomischer Status psychische Erkrankung Suchmittelstörung Diagnostische Faktoren affektive Störung Persönlichkeitsstörung Schizophrenie körperliche Erkrankung Risikofaktoren soziale Isolation/Einsamkeit Perfektionismus Hoffnungslosigkeit Wahrnehmung, eine Last für andere zu sein Psychosoziale Faktoren negative Affektivität Furchtlosigkeit vor Schmerz, Sterben und Tod Impulsivität/Aggressivität Missbrauchserfahrung in Kindheit und Jugend Suizidgedanken familiäre Suizide Geschichte suizidalen Verhaltes vorausgegangene Suizidversuche Verlusterfahrungen (z.B. finanziell, interpersonell, identitätsbezogen) akute und /oder chronische Gesundheitsprobleme Proximale Faktoren familiäre/partnerschaftliche Konflikte Entlassung aus stationärer Behandlung Teismann, T. & Dorrmann W. (2014). Suizidalität. Göttingen: Hogrefe. Prof. Dr. G. Wilz 16 Suizidalität – Risikoeinschätzung männliches Geschlecht Arbeitslosigkeit Demografische Faktoren höheres Alter niedriger sozioökonomischer Status psychische Erkrankung Suchmittelstörung Diagnostische Faktoren affektive Störung Persönlichkeitsstörung Schizophrenie körperliche Erkrankung Risikofaktoren soziale Isolation/Einsamkeit Perfektionismus Hoffnungslosigkeit Wahrnehmung, eine Last für andere zu sein Psychosoziale Faktoren negative Affektivität Furchtlosigkeit vor Schmerz, Sterben und Tod Impulsivität/Aggressivität Missbrauchserfahrung in Kindheit und Jugend Suizidgedanken familiäre Suizide Geschichte suizidalen Verhaltes vorausgegangene Suizidversuche Verlusterfahrungen (z.B. finanziell, interpersonell, identitätsbezogen) akute und /oder chronische Gesundheitsprobleme Proximale Faktoren familiäre/partnerschaftliche Konflikte Entlassung aus stationärer Behandlung Teismann, T. & Dorrmann W. (2014). Suizidalität. Göttingen: Hogrefe. Prof. Dr. G. Wilz 17 Suizidalität – Risikoeinschätzung männliches Geschlecht Arbeitslosigkeit Demografische Faktoren höheres Alter niedriger sozioökonomischer Status psychische Erkrankung Suchmittelstörung Diagnostische Faktoren affektive Störung Persönlichkeitsstörung Schizophrenie körperliche Erkrankung Risikofaktoren soziale Isolation/Einsamkeit Perfektionismus Hoffnungslosigkeit Wahrnehmung, eine Last für andere zu sein Psychosoziale Faktoren negative Affektivität Furchtlosigkeit vor Schmerz, Sterben und Tod Impulsivität/Aggressivität Missbrauchserfahrung in Kindheit und Jugend Suizidgedanken familiäre Suizide Geschichte suizidalen Verhaltes vorausgegangene Suizidversuche Verlusterfahrungen (z.B. finanziell, interpersonell, identitätsbezogen) akute und /oder chronische Gesundheitsprobleme Proximale Faktoren familiäre/partnerschaftliche Konflikte Entlassung aus stationärer Behandlung Teismann, T. & Dorrmann W. (2014). Suizidalität. Göttingen: Hogrefe. Prof. Dr. G. Wilz 18 Suizidalität – Risikoeinschätzung männliches Geschlecht Arbeitslosigkeit Demografische Faktoren höheres Alter niedriger sozioökonomischer Status psychische Erkrankung Suchmittelstörung Diagnostische Faktoren affektive Störung Persönlichkeitsstörung Schizophrenie körperliche Erkrankung Risikofaktoren soziale Isolation/Einsamkeit Perfektionismus Hoffnungslosigkeit Wahrnehmung, eine Last für andere zu sein Psychosoziale Faktoren negative Affektivität Furchtlosigkeit vor Schmerz, Sterben und Tod Impulsivität/Aggressivität Missbrauchserfahrung in Kindheit und Jugend Suizidgedanken familiäre Suizide Geschichte suizidalen Verhaltes vorausgegangene Suizidversuche Verlusterfahrungen (z.B. finanziell, interpersonell, identitätsbezogen) akute und /oder chronische Gesundheitsprobleme Proximale Faktoren familiäre/partnerschaftliche Konflikte Entlassung aus stationärer Behandlung Teismann, T. & Dorrmann W. (2014). Suizidalität. Göttingen: Hogrefe. Prof. Dr. G. Wilz 19 Suizidalität – Risikoeinschätzung Problemlösekompetenz soziale Eingebundenheit Partnerschaft/Ehe Lebenszufriedenheit (junge) zu versorgende Kinder Protektive Faktoren Vorhandensein von Gründen zu leben Schwangerschaft Hoffnung aktive Zugehörigkeit zu einer religiösen aktive Therapiebeteiligung Gemeinschaft Die Risikoeinschätzung führt zu einer subjektiven Entscheidung. Es gibt keine 100% eindeutigen Kriterien oder Sicherheit. Teismann, T. & Dorrmann W. (2014). Suizidalität. Göttingen: Hogrefe. Prof. Dr. G. Wilz 20 Suizidalität: zur Fallvignette - Risikoeinschätzung Herr W. ist ein älterer (80 Jahre), männlicher Patient mit einer schweren depressiven Episode. Bei seinem Suizidversuch hatte er mit Strangulation eine sogenannte „harte Methode“ gewählt. Er äußert ein Gefühl der Vereinsamung nach dem Auszug seiner Frau ins Pflegeheim und eine Perspektivlosigkeit: „Ich will niemandem zu Last fallen“, „Ich weiß nicht, wie es überhaupt weitergehen soll.“ Diese stellen ebenso Risikofaktoren dar wie seine schwere somatische Grunderkrankung (Resektion und Radiatio eines Prostatakarzinoms). Das Suizidrisiko dieses Patienten ist als hoch einzuschätzen. Kluge, I., Bühring, M., Illes, F. & Juckel, G. (2017). Suizidalität und Krisenintervention. In: C. Konrad (Hrsg.), Therapie der Depression (S. 141-156). Berlin: Prof. Dr. G. Wilz Springer. 21 Suizidalität – Akute Suizidalität einen Raum finden, in dem man sprechen kann Zeit nehmen effektiv zuhören „Darum ist Rettung wenn ruhig zuhören Kommunikation gelingt.“ Verständnis zeigen (Carl Jaspers, 1932. S. 311) non-verbale Botschaften des Verständnisses und Respekts ehrlich und offen sprechen auf die Gefühle der Person eingehen Prof. Dr. G. Wilz 22 Suizidalität – Vorgehen bei akuten suizidalen Krisen (Drohungen oder verbale Hinweise) Situation explorieren: Ist die Person allein? / Können andere Personen dazu geholt werden? Wurden Substanzen konsumiert? Ist Selbstkontrolle möglich? Sind Suizid-Utensilien vorhanden? → Offenes und direktes Ansprechen von Suizidgedanken und Plänen Prof. Dr. G. Wilz 23 Suizidalität – Abklärung von Art und Ausmaß der Suizidgedanken und suizidalen Verhaltensweisen Eingangsfrage „Sie wirken so verzweifelt auf mich, haben Sie schon einmal daran gedacht sich das Leben zu nehmen?“ „Viele Menschen würden in Ihrer Lebenssituation am Sinn des Lebens zweifeln oder es für das Beste halten, nicht mehr zu leben. Wie ist das bei Ihnen?“ Häufigkeit, Dauer, Intensität und Auslöser aktueller Suizidgedanken „Wie sehen diese Gedanken aus?“ „Wie oft denken Sie derzeit daran, sich das Leben zu nehmen?“ „Als wie überwältigend erleben Sie diese Gedanken?“ „Was löst die Gedanken aus?“ Teismann, T. (2018). In: J. Margraf & S. Schneider (Hrsg.) Lehrbuch der Verhaltenstherapie. Band 2: Psychologische Therapie bei Indikationen im Prof. Dr. G. Wilz Erwachsenenalter (S. 171-184). Berlin: Springer. 24 Suizidalität – Exploration Spezifität der Gedanken und konkrete Planung „Haben Sie auch darüber nachgedacht, wie , wo und wann Sie sich töten werden?“ Verfügbarkeit der Mittel „Haben Sie die notwendigen Mittel zuhause?“ „Haben Sie überlegt, wie Sie die Mittel erhalten?“ Vorbereitungen und Probehandlungen „Haben Sie schon Dinge vorbereitet (z.B. im Internet nach Suizidmethoden recherchiert, Abschiedsbrief geschrieben, persönliche Sachen verschenkt, Testament verfasst) oder ausprobiert (z.B. potenziellen Suizidort aufgesucht, Seil geknüpft)?“ Teismann, T. (2018). In: J. Margraf & S. Schneider (Hrsg.) Lehrbuch der Verhaltenstherapie. Band 2: Psychologische Therapie bei Indikationen im Prof. Dr. G. Wilz Erwachsenenalter (S. 171-184). Berlin: Springer. 25 Suizidalität – Exploration Entschlossenheit / Distanz zu suizidalen Impulsen „Wie stark ist Ihre aktuelle Absicht, diesen Todeswunsch in die Tat umzusetzen?“ „Wo stehen Sie auf einer Skala von 0 bis 10, wenn 0 heißt ‚keine Absicht, die Gedanken umzusetzen‘ und 10 heißt ‚die Gedanken bei der ersten sich bietenden Gelegenheit umzusetzen‘?“ Vorangegangene Suizidversuche, abgebrochene und unterbrochene Suizidversuche „Haben Sie schon einmal versucht, sich das Leben zu nehmen?“ „Was genau haben Sie gemacht?“ „Haben Sie damit gerechnet zu sterben?“ „Wie ist es dazu gekommen, dass Sie überlebt haben?“ Teismann, T. (2018). In: J. Margraf & S. Schneider (Hrsg.) Lehrbuch der Verhaltenstherapie. Band 2: Psychologische Therapie bei Indikationen im Prof. Dr. G. Wilz Erwachsenenalter (S. 171-184). Berlin: Springer. 26 Suizidalität – Exploration Selbstverletzungen (ohne suizidale Absicht) „Haben Sie sich schon einmal oder mehrfach absichtlich selbst verletzt (ohne dass Sie hierbei sterben wollten)?“ „Auf welche Weise verletzen Sie sich selbst (schneiden, kratzen etc.)?“ Exploration unmittelbarer Suizidalität „Wie sieht es eigentlich mit suizidalen Gedanken aus, während wir gerade miteinander reden?“ „Und wenn Sie jetzt die Praxis verlassen: Was denken Sie, passiert mit Ihrem Wunsch zu sterben? “ Teismann, T. (2018). In: J. Margraf & S. Schneider (Hrsg.) Lehrbuch der Verhaltenstherapie. Band 2: Psychologische Therapie bei Indikationen im Prof. Dr. G. Wilz Erwachsenenalter (S. 171-184). Berlin: Springer. 27 Suizidalität – Motivational Interviewing Die Entscheidung der zu behandelnden Person zum Suizid soll ins Wanken gebracht werden, z.B. mittels Strategien zur Bearbeitung ambivalenter Einstellungen, wie im Rahmen des Motivational Interviewing beschrieben. 3 Phasen des Motivational Interviewing bei Suizidalität: (I) Exploration der gegenwärtigen Probleme und der Motivation zu sterben (II) Aufbau von Motivation zu leben (III) Selbstverpflichtung zu leben stärken Britton, P. C., Patrick, H., Wenzel, A., & Williams, G. C. (2011). Integrating Motivational Interviewing and Self-Dertemination Theory With Cognitive Prof. Dr. G. Wilz Behavioral Therapy to Prevent Suicide. Cognitive and Behavioral Practice, 18, 16-27. 28 Suizidalität – Motivational Interviewing (I) Exploration der gegenwärtigen Probleme und der Motivation zu sterben 1. Exploration der Gründe für das Sterben bzw. gegen das Leben „Und was ist es eigentlich genau, dass Sie im Moment sagen lässt, es ist besser für mich zu sterben? Was erhoffen und versprechen Sie sich von einer Selbsttötung?“ 2. der suizidalen Person für die Darstellung genügend Zeit geben 3. keine vorschnelle Fokussierung lebensbejahender Motive Britton, P. C., Patrick, H., Wenzel, A., & Williams, G. C. (2011). Integrating Motivational Interviewing and Self-Dertemination Theory With Cognitive Behavioral Therapy to Prevent Suicide. Cognitive and Behavioral Practice, 18, 16-27. Prof. Dr. G. Wilz Teismann, T. (2018). In: J. Margraf & S. Schneider (Hrsg.) Lehrbuch der Verhaltenstherapie. Band 2: Psychologische Therapie bei Indikationen im 29 Erwachsenenalter (S. 171-184). Berlin: Springer. Suizidalität – Motivational Interviewing (II) Aufbau von Motivation zu leben 1. Aktivierung und Exploration fortbestehender Gründe für das Leben bzw. gegen das Sterben 2. i.d.R. ist der lebenswillige Teil nur sehr klein; ABER: es muss etwas geben, ansonsten hätte die zu behandelnde Person nicht angefangen, von ihren Suizidideen zu sprechen „Gibt es einen Teil in Ihnen, der nicht für das Sterben eintritt? Einen Teil, der zweifelt und den noch etwas mit dem Leben verbindet?“ 3. lebensbejahende Aussagen verbal und nonverbal bestärken und im genauere Ausführungen bitten, sobald ein motivierender Aspekt angesprochen wird 4. Vertrauen der suizidalen Person in eigene Anpassungs- und Problemlösefähigkeit fördern, z.B. Rückblick auf Überwindung vergangener Krisen, Ansprechen persönlicher Stärken und Unterstützungsmöglichkeiten (Ressourcen aktivieren) Britton, P. C., Patrick, H., Wenzel, A., & Williams, G. C. (2011). Integrating Motivational Interviewing and Self-Dertemination Theory With Cognitive Behavioral Therapy to Prevent Suicide. Cognitive and Behavioral Practice, 18, 16-27. Prof. Dr. G. Wilz Teismann, T. (2018). In: J. Margraf & S. Schneider (Hrsg.) Lehrbuch der Verhaltenstherapie. Band 2: Psychologische Therapie bei Indikationen im 30 Erwachsenenalter (S. 171-184). Berlin: Springer. Suizidalität – Motivational Interviewing Zur Fallvignette: Erfassen von Ressourcen P: „Zuhause wartet ja sowieso niemand auf mich, seit meine Frau weg ist, was soll ich denn da noch? Ist vielleicht besser, wenn ich jetzt sterbe, dann erben meine Kinder wenigstens, und ich falle ihnen nicht mehr zur Last. Und für meine Frau ist es egal, die ist im Heim gut versorgt, selbst das hab ich ja nicht mal mehr geschafft, mich um sie zu kümmern. Dabei wollte sie nie ins Heim!“ T: „Wie viele Kinder haben Sie denn?“ P: „Drei, zwei Söhne und dann kam noch mal spät die Tochter nach. Die sind ja alle berufstätig, haben Kinder und sind so beschäftigt, für die bin ich auch nur eine Belastung.“ T: „Und gibt es auch schon Enkelkinder?“ P: „Sechs. Und in 2 Monaten kommt das erste Urenkelchen.“ Kluge, I., Bühring, M., Illes, F. & Juckel, G. (2017). Suizidalität und Krisenintervention. In: C. Konrad (Hrsg.), Therapie der Depression (S. 141-156). Berlin: Prof. Dr. G. Wilz Springer. 31 Suizidalität – Motivational Interviewing Zur Fallvignette: Erfassen von Ressourcen T: „Sehen Sie denn Ihre Familie oft?“ P: „Meine Tochter ist in München, zwei von meinen Enkeln sind in den USA zum Studieren, die sehe ich nicht so oft, aber die anderen sind ja hier in der Gegend, und die kleinen Enkelchen lieben meinen großen Garten mit der Schaukel zum Spielen, und im Sommer räubern sie immer die Erdbeeren und Kirschen, die ich anbaue.“ T: „Das hört sich wunderbar an, wäre es nicht schön, wenn Ihr Urenkelchen das auch noch erleben könnte? (…) Wie würde es denn Ihrer Familie, den Kindern und Enkeln, damit gehen, wenn Sie sich suizidieren würden?“ Kluge, I., Bühring, M., Illes, F. & Juckel, G. (2017). Suizidalität und Krisenintervention. In: C. Konrad (Hrsg.), Therapie der Depression (S. 141-156). Berlin: Prof. Dr. G. Wilz Springer. 32 Suizidalität – Motivational Interviewing (III) Selbstverpflichtung zu leben stärken 1. Ziel: Wege zu einem lebenswerteren Leben entwickeln 2. Zusammenfassung der Aspekte, die für das Sterben/gegen das Leben und für das Leben/gegen das Sterben sprechen „Es hört sich so an, als wären Sie zwischen zwei Zuständen hin – und hergerissen. Einerseits sind Sie sehr verzweifelt und haben wenig Hoffnung, dass sich Ihr Leben jemals wieder als lebenswert darstellen wird: [hier Argumente der zu behandelnden Person für das Sterben/gegen das Leben nennen]. Andererseits [hier Argumente der zu behandelnden Person für das Leben/gegen das Sterben nennen]. Zudem gibt es einen Teil in Ihnen, der daran glaubt, dass Sie [Argument, das mit Hoffnung verbunden ist]. Schließlich gibt es Momente, in denen Sie große Angst davor haben, dass ein Suizidversuch scheitern könnte. Habe ich vielleicht etwas vergessen? [...] Was nun? Wie soll es aus Ihrer Sicht weitergehen?“ Britton, P. C., Patrick, H., Wenzel, A., & Williams, G. C. (2011). Integrating Motivational Interviewing and Self-Dertemination Theory With Cognitive Behavioral Therapy to Prevent Suicide. Cognitive and Behavioral Practice, 18, 16-27. Prof. Dr. G. Wilz Teismann, T. (2018). In: J. Margraf & S. Schneider (Hrsg.) Lehrbuch der Verhaltenstherapie. Band 2: Psychologische Therapie bei Indikationen im 33 Erwachsenenalter (S. 171-184). Berlin: Springer. Suizidalität – Motivational Interviewing (III) Selbstverpflichtung zu leben stärken Therapeut/in kann beginnen, Informationen zu Behandlungsmöglichkeiten zu geben und konkrete Vorschläge zur Entschärfung der gegenwärtigen Situation machen Beachten: auf Aufnahmebereitschaft der suizidalen Person achten, sodass kein Gefühl der Einengung entsteht Britton, P. C., Patrick, H., Wenzel, A., & Williams, G. C. (2011). Integrating Motivational Interviewing and Self-Dertemination Theory With Cognitive Behavioral Therapy to Prevent Suicide. Cognitive and Behavioral Practice, 18, 16-27. Prof. Dr. G. Wilz Teismann, T. (2018). In: J. Margraf & S. Schneider (Hrsg.) Lehrbuch der Verhaltenstherapie. Band 2: Psychologische Therapie bei Indikationen im 34 Erwachsenenalter (S. 171-184). Berlin: Springer. Suizidalität – Motivational Interviewing Zur Fallvignette: Hoffnung vermitteln und Optionen aufzeigen bzw. Unterstützung anbieten T: „Herr W. ich glaube, dass Sie grade sehr verzweifelt und traurig sind und gar keinen Ausweg mehr aus ihrer Situation sehen.“ P: „Ja, ich weiß einfach nicht mehr weiter, ich habe das Gefühl, für mich gibt’s keine Hoffnung mehr.“ T: „Sie sind so hoffnungslos, dass Ihnen der Selbstmord gerade als einzige Lösung und als einziger Ausweg erscheint? “ P: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es noch einen anderen Weg für mich gibt.“ T: „Könnte es sein, dass Sie die anderen Wege gerade nicht mehr sehen können, weil es Ihnen so schlecht geht, wie bei einem Pferd mit Scheuklappen, das auch nur noch in eine Richtung sehen kann?“ Kluge, I., Bühring, M., Illes, F. & Juckel, G. (2017). Suizidalität und Krisenintervention. In: C. Konrad (Hrsg.), Therapie der Depression (S. 141-156). Berlin: Prof. Dr. G. Wilz Springer. 35 Suizidalität – Motivational Interviewing Zur Fallvignette: Hoffnung vermitteln und Optionen aufzeigen bzw. Unterstützung anbieten P: „Wie sollten die anderen Wege denn aussehen?“ T: „Eine schnelle Patentlösung habe ich leider auch nicht parat, aber es gibt immer mehr als nur einen Weg, auch für Sie, davon bin ich überzeugt.“ P: „Und wie soll ich den Weg oder die anderen Wege finden? Ich weiß ja nicht, ob das klappt.“ T: „Ich und meine Kollegen würden Ihnen sehr gerne dabei helfen, die anderen Wege zu finden, und auch auszuprobieren. Das ist aber nicht mehr möglich, wenn Sie sich für den Selbstmord entscheiden, denn das ist eine Art „Einbahnstraße ohne Wendemöglichkeit“.“ P: „Ja, das wäre eine endgültige Lösung ohne Zurück. Davor habe ich schon auch ein bisschen Angst. Und Sie meinen, es lohnt sich noch nach einem anderen Weg zu schauen?“ T: „Ja, auf jeden Fall lohnt sich das...“ Kluge, I., Bühring, M., Illes, F. & Juckel, G. (2017). Suizidalität und Krisenintervention. In: C. Konrad (Hrsg.), Therapie der Depression (S. 141-156). Berlin: Prof. Dr. G. Wilz Springer. 36 Suizidalität: Interventionsbeispiele zur Distanzierung „Die 5 Säulen der Identität“ (H. Petzold, 1982) 1. Körper und Gesundheit 2. Soziales Netzwerk 3. Arbeit, Leistung, Freizeit 4. Materielle Sicherheit 5. Werte Krisentagebuch Tresorübung (aus Traumatherapie) Prof. Dr. G. Wilz 37 Suizidalität – Förderung von Selbstkontrolle Strategien zur Förderung der Selbstkontrolle kommen dann zum Einsatz, wenn die zu behandelnde Person die Entscheidung, sich das Leben zu nehmen, erst einmal aufgeschoben hat. Sie sollen der Person dabei helfen, den gefassten Entschluss, am Leben zu bleiben, auch angesichts erneuter Krisen weiter verfolgen können. Zugang zu letalen Mitteln begrenzen im therapeutischen Gespräch thematisieren, wie die Verfügbarkeit potenzieller Suizidmethoden eingeschränkt werden kann angedachte Mittel sind zu verschließen, unzugänglich aufzubewahren oder gänzlich zu beseitigen Teismann, T. (2017). Krisenintervention und Suizidalität. In: E.-L. Brakemeier, & F. Jacobi, Verhaltenstherapie in der Praxis (S. 354-364). Weinheim: Beltz. Prof. Dr. G. Wilz 38 Suizidalität – Förderung von Selbstkontrolle Notfallplan erstellen Liste hierarchisch organisierter Strategien und Personen / Institutionen, die die zu behandelnde Person im Falle einer suizidalen Zuspitzung anwenden bzw. kontaktieren kann ein Notfallplan sollte beinhalten: (1) individuelle Warnzeichen einer suizidalen Krise (z.B. Agitiertheit, anhaltendes morbides Grübeln) (2) Bewältigungsstrategien, die unabhängig von anderen Personen genutzt werden können (z.B. kalt duschen, Lieblingsmusik hören, kochen, joggen, den Hund streicheln) (3) Personen und soziale Situationen aufsuchen, die einen ablenken (z.B. Cafés, Einkaufszentren, Fitnessstudios, Kirchen, Kinos) (4) Personen, die gezielt um Hilfe gebeten werden können (z.B. Freunde, Angehörige, Eltern, Partner) (5) Kontakte zu professionellen Hilfsstellen (z.B. Haus- oder Facharzt, Therapeut, Telefonseelsorge, notfallaufnehmende Klinik) Teismann, T. (2017). Krisenintervention und Suizidalität. In: E.-L. Brakemeier, & F. Jacobi, Verhaltenstherapie in der Praxis (S. 354-364). Weinheim: Beltz. Prof. Dr. G. Wilz 39 Suizidalität – Förderung von Selbstkontrolle Notfallplan erstellen Notfallplan auf einer (Visiten- oder Kartei-)Karte, die im Portemonnaie mitgeführt werden kann, notieren oder im Smartphone speichern → sollte der zu behandelnden Person jederzeit zur Verfügung stehen! Hope Kit zusammenstellen Schachtel oder Koffer, die/der mit Utensilien gefüllt wird, welche an die persönlichen Gründe für das Weiterleben erinnern (z.B. Fotos von geliebten Personen, Postkarten und Briefe von Freunden, Gedichte, CDs mit persönlich bedeutsamer Musik) an einem leicht zugänglichen Ort aufbewahren, um in Krisensituationen schnell darauf zugreifen zu können Wenzel, A., & Jager-Hyman, S. (2012). Cognitive Therapy for Suicidal Patients: Current Status. The Behavior therapist, 35(7), 121–130. Prof. Dr. G. Wilz 40 Suizidalität – Förderung von Selbstkontrolle Antisuizidvertrag Indikation: kann bei zu behandelnden Personen zum Einsatz kommen, die konkrete Suizidideen oder Pläne geäußert haben, sich hiervon aber noch glaubhaft distanzieren können Ziel: mit der zu behandelnden Person eine tragfähige Absprachefähigkeit bezüglich der Suizidalität erreichen und einen Suizidversuch/vollendeten Suizid verhindern Als Begründung für den Vertrag sollte die Sorge um die zu behandelnde Person im Vordergrund gestellt werden. Es sollte nicht der Eintrag entstehen, die therapierende Person wolle sich lediglich juristisch absichern (was ein Antisuizidvertrag auch nicht leisten kann) Formen: mündlich (z.B. als Versprechen in die Hand) schriftlich, möglichst individuell formuliert; in 2-facher Ausführung (jede Person erhält ein Exemplar) Prof. Dr. G. Wilz 41 Suizidalität – Beispiel zur Gesprächsführung Rollenspiel: Krisenintervention 1 Prof. Dr. G. Wilz 42 überschaubarer Zeitraum der Beispiel für einen Vertragsgültigkeit, bis zur Antisuizidvertrag nächsten Therapiesitzung enthält Strategien zur Krisenbewältigung aus dem Notfallplan enthält Notfallnummern (Kluge, I., Bühring, M., Illes, F. & Juckel, G. (2017). Suizidalität und Krisenintervention. In: C. Konrad (Hrsg.), Therapie der Depression (S. 141-156). Berlin: Springer.) von der zu behandelnden und der therapierenden Person zu unterschreiben Prof. Dr. G. Wilz Suizidalität – Förderung von Selbstkontrolle Verträge und Selbstverpflichtungen „Ich werde bis zur nächsten Sitzung am …. am Leben bleiben und mein Leben auch nicht unabsichtlich in Gefahr bringen, egal, was passiert und egal, wie ich mich fühle.“ Zusätze zur Selbstverpflichtung: „Wenn es gar nicht mehr geht, dann helfe ich mir mit dem Gedanken: Meine Kinder brauchen mich noch!“ im Gespräch auch hinterfragen: „Was könnte passieren, das Sie von Ihrem Vertrag abbringen könnte?“ Prof. Dr. G. Wilz 44 Suizidalität – Festlegung des Settings Für die Entscheidung über das geeignete weitere Behandlungssetting sind von zentraler Bedeutung: das Ausmaß des akuten Schweregrades suizidaler Symptome die psychosoziale Lebenssituation der zu behandelnden Person die vorhandenen Behandlungsmöglichkeiten → Entsprechend ist darüber zu entscheiden, ob die Weiterbehandlung im ambulanten oder im stationären (geschützten) Setting stattfinden soll. Teismann, T. (2018). In: J. Margraf & S. Schneider (Hrsg.) Lehrbuch der Verhaltenstherapie. Band 2: Psychologische Therapie bei Indikationen im Prof. Dr. G. Wilz Erwachsenenalter (S. 171-184). Berlin: Springer. 45 Suizidalität – Festlegung des Settings Ambulante Weiterbehandlung falls sich eine zu behandelnde Person bei moderater Suizidalität glaubwürdig und sicher von einer Umsetzung suizidaler Gedanken distanzieren kann und absprachefähig erscheint Anpassung der therapeutischen Vorgehensweise: Erhöhung der Sitzungsfrequenz Durchführung (außer-)planmäßiger Telefonkontakte ärztliche Fachperson und Angehörige der zu behandelnden Person einbeziehen Supervision / Intervision in Anspruch nehmen Teismann, T. (2017). Krisenintervention und Suizidalität. In: E.-L. Brakemeier, & F. Jacobi, Verhaltenstherapie in der Praxis (S. 354-364). Weinheim: Beltz. Prof. Dr. G. Wilz 46 Suizidalität – Festlegung des Settings Stationäre (geschützte) Weiterbehandlung falls sich eine zu behandelnde Person nicht sicher von einer Umsetzung suizidaler Gedanken distanzieren kann bzw. nicht absprachefähig erscheint bestenfalls: suizidale Person von einer freiwilligen stationären Weiterbehandlung überzeugen andernfalls: Unterbringung gegen den Willen der suizidalen Person → rechtliche Grundlage: Psychisch-Kranken-Gesetz (PsychKG) des jeweiligen Bundeslandes Teismann, T. (2018). In: J. Margraf & S. Schneider (Hrsg.) Lehrbuch der Verhaltenstherapie. Band 2: Psychologische Therapie bei Indikationen im Prof. Dr. G. Wilz Erwachsenenalter (S. 171-184). Berlin: Springer. 47 Suizidalität – Festlegung des Settings Thüringer Gesetz zur Hilfe und Unterbringung psychisch kranker Menschen (ThürPsychKG) § 7 Voraussetzungen und Zweck der Unterbringung (1) Ein psychisch kranker Mensch kann Gegen oder ohne seinen Willen in einem psychiatrischen Fachkrankenhaus oder in der psychiatrischen Fachabteilung eines Krankenhauses untergebracht und behandelt werden, wenn und solange er infolge seines Leidens sein Leben, seine Gesundheit oder bedeutende Rechtsgüter anderer erheblich gefährdet und die gegenwärtige Gefahr nicht anders abgewendet werden kann. Die fehlende Bereitschaft, sich behandeln zu lassen, rechtfertigt für sich allein keine Unterbringung. (3) Eine gegenwärtige Gefahr im Sinne des Absatzes 1 besteht dann, wenn infolge der psychischen Erkrankung ein schadenstiftendes Ereignis bereits eingetreten ist, unmittelbar bevorsteht oder sein Eintritt zwar unvorhersehbar, wegen besonderer Umstände jedoch jederzeit zu erwarten ist nachzulesen unter: Prof. Dr. G. Wilz https://www.thueringen.de/imperia/md/content/tmsfg/abteilung6/th__ringer_gesetz_zur_hilfe_und_unterbringung_psychisch_kranker_mensch en_vom_31.12.08.pdf 48 Suizidalität – Festlegung des Settings Thüringer Gesetz zur Hilfe und Unterbringung psychisch kranker Menschen (ThürPsychKG) § 7 Voraussetzungen und Zweck der Unterbringung (4) Der Zweck der Unterbringung ist, die in Absatz 1 genannte Gefahr abzuwenden und den psychisch kranken Menschen nach Maßgabe dieses Gesetzes zu behandeln. (5) Steht der psychisch kranke Mensch unter elterlicher Sorge oder Vormundschaft oder ist für ihn ein Pfleger oder Betreuer bestellt, dessen Aufgabenkreis die Aufenthaltsbestimmung umfasst, ist der Wille desjenigen maßgeblich, dem das Aufenthaltsbestimmungsrecht zusteht. nachzulesen unter: Prof. Dr. G. Wilz https://www.thueringen.de/imperia/md/content/tmsfg/abteilung6/th__ringer_gesetz_zur_hilfe_und_unterbringung_psychisch_kranker_mensch en_vom_31.12.08.pdf 49 Suizidalität – Festlegung des Settings Stationäre (geschützte) Weiterbehandlung Ablauf der Unterbringung: die therapierende Person kontaktiert unmittelbar den Sozialpsychiatrischen Dienst (SPDi) bzw. den Rettungsdienst oder die Polizei (Beachte: Transparenz bzgl. des eigenen Handelns gegenüber der suizidalen Person! Wenn Sie etwas tun oder vorhaben etwas zu tun, z.B. auf eine Unterbringung hinwirken, erklären Sie der suizidalen Person, was und warum Sie es tun möchten. Ehrlichkeit und Transparenz schaffen Vertrauen.) Im Eilfall erfolgt zunächst eine sofortige - nicht richterlich angeordnete - Unterbringung durch die zuständige Behörde (z.B. Gesundheitsamt (SPDi), Rettungsdienst, Ortpolizeibehörde, Ordnungsamt) für eine maximale Dauer von 24 Stunden. Eine darüber hinausgehende Unterbringung nach PsychKG erfolgt auf Grundlage einer richterlichen Entscheidung, welcher eine ärztlicher Untersuchung und eine richterliche Anhörung der suizidalen Person vorausgehen müssen. Prof. Dr. G. Wilz 50 Suizidalität – Zusammenfassung Zusammenfassung allgemeiner Empfehlungen zur Kommunikation mit suizidalen Personen Zuhören ist wichtiger als viele Worte. Sprechen Sie das Thema direkt an. Bewerten Sie nicht. Das Gespräch ist das wichtigstes Mittel in der Bewältigung suizidaler Krisen. Das Gespräch wirkt i.d.R. sehr entlastend für die suizidale Person (es besteht keine Gefahr, einen Suizid dadurch zu provozieren).Der suizidalen Person wird signalisiert, nicht alleine in der aussichtslos erscheinenden Situation zu sein. Es ist darauf zu achten, dass die Risikoabschätzung einen Gesprächs- und keinen Interview-/ Checklistencharakter hat. Die suizidale Person ernst nehmen, empathisch und echt sein, nicht vorwürflich oder bagatellisierend. Prof. Dr. G. Wilz 51 Suizidalität – Zusammenfassung Zusammenfassung allgemeiner Maßnahmen bei einer akuten suizidalen Krise Entsprechend der Situation und der Möglichkeiten Maßnahmen zum Schutz der suizidalen Person einleiten: Selbstverpflichtung Anti-Suizid formulieren für Begleitung sorgen Notfallnummern (Krisendienste) ausgeben eventuell Rückruf für eine bestimmte Uhrzeit vereinbaren; Pat. darauf hinweisen, dass Polizei informiert wird, sollte der Anruf nicht zur vereinbarten Zeit erfolgen Behörden veranlassen, die suizidale Person stationär unterzubringen (über Notfallnummer 112; bei telefonischem Kontakt auch zum Wohnsitz der suizidalen Person schicken) Prof. Dr. G. Wilz 52 Suizidalität – Beispiel zur Gesprächsführung Rollenspiel: Krisenintervention 3 Prof. Dr. G. Wilz 53 Sandford, D. M., Kirtley, O. J., Thwaites, R., & O‘Connor, R. C. (2020). The impact on mental health practitioners of the death of a patient by suicide: A Prof. Dr. G. Wilz systematic review. Clin Psychol Psychother, 2020, 1-34. 54 Sandford et al. (2020) Sandford, D. M., Kirtley, O. J., Thwaites, R., & O‘Connor, R. C. (2020). The impact on mental health practitioners of the death of a patient by suicide: A Prof. Dr. G. Wilz systematic review. Clin Psychol Psychother, 2020, 1-34. 55 Sandford et al. (2020) Sandford, D. M., Kirtley, O. J., Thwaites, R., & O‘Connor, R. C. (2020). The impact on mental health practitioners of the death of a patient by suicide: A Prof. Dr. G. Wilz systematic review. Clin Psychol Psychother, 2020, 1-34. 56 Literatur Britton, P. C., Patrick, H., Wenzel, A., & Williams, G. C. (2011). Integrating Motivational Interviewing and Self-Dertemination Theory With Cognitive Behavioral Therapy to Prevent Suicide. Cognitive and Behavioral Practice, 18, 16-27. Caplan, G. (1964). Principles of preventive psychiatry. New York: Basic Books. Cullberg, J. (1978). Krisen und Krisentherapie. Psychiatrische Praxis, 5, 25–34. Kluge, I., Bühring, M., Illes, F. & Juckel, G. (2017). Suizidalität und Krisenintervention. In: C. Konrad (Hrsg.), Therapie der Depression (S. 141-156). Berlin: Springer. Pöldinger, W. (1968). Die Abschätzung der Suizidalität. Bern: Huber. Sonneck, G., Kapusta, N., Tomandl, G. & Vorack, M. (2016). Krisenintervention und Suizidverhütung (3., korr. Auflage). Wien: Facultas Verlag. Sulz, S. & Gräff-Rudolph, U. (2019). Supervision in der Verhaltenstherapie. Kohlhammer. Teismann, T. (2017). Krisenintervention und Suizidalität. In: E.-L. Brakemeier, & F. Jacobi, Verhaltenstherapie in der Praxis (S. 354-364). Weinheim: Beltz. Teismann, T. (2018). In: J. Margraf & S. Schneider (Hrsg.) Lehrbuch der Verhaltenstherapie. Band 2: Psychologische Therapie bei Indikationen im Erwachsenenalter (S. 171-184). Berlin: Springer. Teismann, T. & Dorrmann W. (2014). Suizidalität. Göttingen: Hogrefe. Wenzel, A., & Jager-Hyman, S. (2012). Cognitive Therapy for Suicidal Patients: Current Status. The Behavior therapist, 35(7), 121–130. Prof. Dr. G. Wilz 57 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Prof. Dr. G. Wilz 58

Use Quizgecko on...
Browser
Browser