Textanalytische Methoden PDF - Literaturwissenschaft
Document Details

Uploaded by LighterShakuhachi
Universität Wien
Tags
Summary
Dieses Dokument behandelt verschiedene textanalytische Methoden, darunter Hermeneutik, Narratologie und rezeptionstheoretische Ansätze, die an der Universität Wien gelehrt werden. Es erläutert theoretische Grundlagen und Werkzeuge zur Analyse literarischer Texte und bietet einen Überblick über verschiedene Schulen und Strategien innerhalb der Literaturwissenschaft.
Full Transcript
Textanalytische Methoden „Theorie & Methode“: Theoriegebundenheit der Interpretation (theoretische Vorannahmen und methodische Ent- scheidungen als Basis der literaturwiss. Analyse) Literaturwissenschaftliche Ansätze/Methoden/Schulen (Nünning...
Textanalytische Methoden „Theorie & Methode“: Theoriegebundenheit der Interpretation (theoretische Vorannahmen und methodische Ent- scheidungen als Basis der literaturwiss. Analyse) Literaturwissenschaftliche Ansätze/Methoden/Schulen (Nünning & Nünning 2010) Textanalytische Methoden „Theorie & Methode“: Theoriegebundenheit der Interpretation (theoretische Vorannahmen und methodische Ent- scheidungen als Basis der literaturwiss. Analyse) Literaturwissenschaftliche Ansätze/Methoden/Schulen (Nünning & Nünning 2010: 18) Textanalytische Methoden Ausgewählte Ansätze/Methoden Hermeneutik zentrales method. Konzept: hermeneutischer Zirkel = dynam. Prozess von Hypo- thesenbildung und -korrektur – „Horizontverschmelzung“ (Hans-Georg Gadamer) als Methode des Verste- hens von Texten (und des In-der-Welt-Seins) – Rezeptionsästhetik Wirkungsästhetik (Berensmeyer 2010: 34) Textanalytische Methoden Narratologische Analyse Wurzeln im russischen Formalismus und Prager Strukturalismus ( auch: strukturale Textanalyse, strukturalistische Erzähltheorie) = textimmanente Methode zur Untersuchung narrativer Darstellungsverfahren und Erzählstrategien; Fokus auf textuelle Strukturen, in neueren Ansätzen auch auf kognitive und kulturelle Aspekte „Werkzeugkasten“ (tool-kit) für die Analyse (Aspekte): – Handlung – Figuren – Raumdarstellung – Zeitdarstellung – erzählerische Vermittlung – Figurenrede/Bewusstsein (Sommer 2010: 96) Textanalytische Methoden Kognitive rezeptionstheoretische Ansätze Rezeptionstheorie: Ansätze, die sich mit der Rolle der LeserInnen und ihren Akti- vitäten bei der Lektüre von (literarischen) Texten (od. Dramen, Filmen) befassen. – urspr.: Konzept „Ideale/r Leser/in“ (Iser: phänomenologischer Ansatz; Dynamik des Rezeptionsprozesses; aktiver Beitrag der LeserInnen zur Sinnkonstitution) – später: Kognitionspsychologie d. Textverstehens (Modell von van Dijk/Kintsch) Verarbeitungsstufen: Wahrnehmen von Wörtern Verstehen einzelnen Sätze (Propositionen) Vorstellung der im Text aufgebauten Situation = „Situationsmodell“ (mentales Modell) Inferenzen durch Nutzung von (Vor-)Wissens- strukturen (kulturell geprägte Schemata) Empirischer Ansatz: Formulierung von Hypothesen Versuchsaufbau (kontrollierte Bedingungen) Erfassung und Auswertung der Daten Ergebnisinterpretation explizites und differenziertes Leser-Konzept: Berücksichtigung von Lesekompetenz, Muttersprachlichkeit, Bildungsgrad, literarischem Wissen Textanalytische Methoden Computergestützte Textanalyse (Computerphilologie, Corpusanalyse) 2 Felder: – statistisch orientierte Stylometrie (z.B. Autorschaftsattribution) – inhaltsorientierte Textanalyse (Konkordanzen = Liste von Wörtern mit den dazugehörigen Stellen im Text) z.B.: (Jannidis 2010: 124) (KWIC = keyword in context) Deduktives Vorgehen: Thesenbildung Bestimmung der Indikatoren (z.B. Satzlänge, Vokabular) Corpuszusammenstellung (Thema Urheberrecht!) Corpusvorbereitung – Metadaten (Informat. über d. Text) – Textauszeichnung (mark-up) – Lemmatisierung (+ POS tagging) Suche & statistische Auswertung Diskussion (These – Ergebnisse) Textanalytische Methoden Dekonstruktion = von Jacques Derrida entwickelte Richtung der Philosophie mit großem Einfluss auf Literatur- und Kulturwissenschaft (insbes. 1980er/1990er J.) Analyse der Sprache, des Zeichens und der Repräsentation Bedeutungsoffenheit durch variable, nie stabile Verwendungskontexte Paradoxierung, Sinn-Komplexierung Écriture = methodologischer Schlüsselbegriff; Schrift vs. Mündliche Rede als Bedingungen der kulturellen Symbol-Kommunikation Différance = Wortschöpfung (‚Differänz‘) als Hinweis auf den fortwährendes Differenzierungsprozess, dem Zeichen ihr Bedeutung generie- rendes Potenzial verdanken (insbes. binäre Oppositionen). grundlegende Bedeutungsinstabilität und Verwobenheit von Sprache „Kein Element kann je die Funktion eines Zeichens haben, ohne auf ein anderes Element, das selbst nicht einfach präsent ist, zu verweisen, sei es auf dem Gebiet der gesprochenen oder auf dem der geschriebenen Sprache. Aus dieser Verkettung folgt, dass sich jedes ›Element‹ – Phonem oder Graphem – aufgrund der in ihm vorhandenen Spur der anderen Elemente der Kette oder des Systems konstituiert. Diese Verkettung, dieses Gewebe ist der Text.“ Textanalytische Methoden Diskursanalyse = begründet vom französischen Historker und Philosophen Michel Foucault urspr. nicht als Verfahren zur Interpretation literarischer Texte Diskurs = Menge alle Äußerungen, die durch gesellschaftl. Machtmechanismen (z.B. Ausschließung, Aneignung) reglementiert und kontrolliert werden Diskursanalyse untersucht Diskurse und deren Regeln, Formen, Funktionen und Voraussetzungen Aspekte: Konstruktion und Transformation von Wissen Bedingungen der Möglichkeit von Aussagen Literatur als „Gegendiskurs“ Macht = nicht nur Regierungsmacht als Gesamtheit der Institutionen und Apparate, die die Ordnung im Staat garantieren, sondern auch ein vielfältiges System, das Kräfte organisiert und mobilisiert Rehistorisierung und kulturwissenschaftliche Fokussierung der Literaturwissenschaft (Einfluss auf New Historicism, Gender Studies und postkoloniale Literaturtheorie) Textanalytische Methoden Gesellschaftstheoretische Ansätze Grundannahme: Literatur steht im Bezug zur außertextlichen Wirklichkeit (gesellschaftlichen Strukturen) Sozialgeschichte der Literatur Karl Marx: Literatur bildet gesellschaftliche Wirklichkeit ab, in der Produktions- und Eigentumsverhältnisse (ökonomische Basis) den kulturellen Überbau bestimmen. Theodor Adorno („Kritische Theorie“): Bezug von textinterner künstlerischer Form auf die Gesellschaft Niklas Luhmann (systemtheoretisches Gesellschaftsmodell): zur Modellierung literarhistorischer Prozesse Pierre Bourdieu: sozialer Raum ist „Feld“, in dem (ökonomisches, kulturelles, soziales und symbolisches) „Kapital“ eingesetzt wird und die Akteure einen „Habitus“ (eine klassenspezifische Disposition, ein System verinnerlichter Denk- und Handlungsmuster) entwickeln und durch ihre soziale Praxis ihre Macht im Feld zu vergrößern suchen ( „literarisches Feld“). Fragestellungen: textinterne Elemente mit Bezug auf gesellschaftliche Fakten? textexterne Bedingungen (Orte, Akteure, RezipientInnen, Vermittlungsinstanzen)? Textanalytische Methoden New Historicism = von Stephen Greenblatt erarbeitetes kulturpoetisches Programm Grundannahme: Literatur und gesellschaftliche Realität sind auf vielfältige Weise gegenseitig durchdrungen beeinflusst von (Post-)Marxismus, Geschichtsphilosophie, Ethnologie Geschichte nicht als Hintergrundinformation, sondern Fokus auf wechsel- seitige Austauschprozesse und diskursive Verknüpfung Clifford Geertz (Ethnologe): „thick description“ (dichte Beschreibung): von spezifischen Beobachtungen kultureller Phänomene zu allgemeineren Aussagen auch: „Kultur als Text“ ( „cultural turn“) Erweiterung des Kanons / der Textbasis Enthierarchisierung der Literatur – Nicht-Systematisierbarkeit: „new historicism is not a repeatable methodology” Textanalytische Methoden Feministische Literaturwissenschaft und Gender Studies Ziel: Untersuchung literarischer Texte (Inhalte und Formen) in Bezug auf ihre Darstellung der Geschlechterordnung und weiblicher Figuren sowie der Bedingungen für die Produktion und Rezeption literarischer Texte in Abhängig- keit von der Kategorie Geschlecht in patriarchalisch geprägten Gesellschaften Gender Studies: Untersuchung der historisch und kulturell variablen Konstruktionen der Kategorie Geschlecht sowie der Geschlechterordnung in Diskursen und Medien – u.a. der Literatur französ. LiteraturtheoretikerInnen (Hélène Cixous, Luce Irigaray, Julia Kristeva) Judith Butler: auch biologisches Geschlecht ist sozial-diskursiv erzeugtes Konstrukt Feministische Narratologie: Fokus auf Stimme, Blick, Körperkonzepte, Agency Feministische Translationswissenschaft – Santaemilia (2005): Gender, Sex and Translation – von Flotow (2011): Translating Women – Baer & Kaindl (2018): Queering Translation, Translating the Queer: Theory, Practice, Activism Textanalytische Methoden Postkoloniale Literaturkritik = (kritische) Auseinandersetzung mit Kolonialismus und dessen Wissens- systemen und Repräsentationsmechanismen Konstruktion(en) des Eigenen und des Fremden (the Other) “analysis of cultural forms which mediate, challenge or reflect upon the relations of domination and subordination – economic, cultural and political – between (and often within) nations, races and cultures, which characteristically have their roots in the history of modern European colonialism” (Moore-Gilbert 1997: 12) Edward Said: „Orientalism“ (kulturelle Identität und Alterität) – binäre Selbst- und Fremdbilder – kulturelle Stereoptypisierung Analyse kolonialer Diskurse (Frantz Fanon) Theorien zur Hybridität (Homi Bhabha): transkulturelle Verflechtungen und psychodynamische Komplexität der wechselseitigen Abhängigkeiten zwi- schen Kolonisator und Kolonisiertem Textanalytische Methoden Kulturwissenschaftliche Ansätze Grundannahme: die kulturelle Dimension ist einem literarischen Text inhärent – und „lesbar“ „close reading“ (detaillierte Lektüre und Analyse eines Textes) ergänzt durch „wide reading“: Ko-Lektüre einer Vielzahl anderer, auch nicht-literarischer Texte, um weiteren historisch-kulturellen Kontext zu erfassen Intertextualität Dialogizität (Michail Bachtin) Interdiskursivität (Foucault) Kultur als Text (Geertz) und Zeichensystem (Kultursemiotik) Erweiterter Textbegriff: Intermedialität (Bezugnahme auf Bilder, Musik, Artefakte) in Verbindung damit: Medienwissenschaftliche Ansätze z.B. Analyse von Comics, Computerspielen, Musikvideos