Rechtsgrundlagen Sozialer Arbeit - WiSe 2024/2025 PDF
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Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm
2024
Ingo Palsherm
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These lecture notes cover the legal foundations of social work, including the definition of legal concepts, methods of learning, and recommended literature for the winter semester 2024/2025 at the Technische Hochschule Nürnberg.
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Rechtsgrundlagen Sozialer Arbeit Prof. Dr. Ingo Palsherm WiSe 2024/2025 Prof. Dr. Ingo Palsherm https://elearning.ohmportal.de Moodle Seite 2 Prof. Dr. Ingo Palsherm Zu erwerbende Kompetenzen Rechtsgrundlagen Sozialer Arbeit [kenn...
Rechtsgrundlagen Sozialer Arbeit Prof. Dr. Ingo Palsherm WiSe 2024/2025 Prof. Dr. Ingo Palsherm https://elearning.ohmportal.de Moodle Seite 2 Prof. Dr. Ingo Palsherm Zu erwerbende Kompetenzen Rechtsgrundlagen Sozialer Arbeit [kennen] Verständnis der Bedeutung von rechtlichen Bestimmungen für die Praxis der Sozialen Arbeit in verschiedenen Kontexten Befähigung zur selbstständigen Rechtsanwendung in der Praxis der Sozialen Arbeit unter Berücksichtigung der entsprechenden materiell-rechtlichen und verfahrens- rechtlichen Bedingungen Kompetenzerwerb Seite 3 Prof. Dr. Ingo Palsherm Lernformen Lehrvortrag Gruppenarbeit Planspiele Übung Lernformen Seite 4 Prof. Dr. Ingo Palsherm Inhalt der Eigenleistung Studium der Rechtsvorschriften Literaturstudium Falllösungen Inhalt der Eigenleistung Seite 5 Prof. Dr. Ingo Palsherm Lehrziele des Dozenten / Lernziele der Studierenden Bloom‘sche Taxonomie zur Einteilung des Komplexitätsgrads kognitiver Lernziele Kompetenzerwerb Seite 6 aus: E. Biech (2008) S. 49 Prof. Dr. Ingo Palsherm Art der Prüfung Schriftliche Klausur von 120 Minuten (zusammen über die Veranstaltungen „Rechtsgrundlagen Sozialer Arbeit“ und „Sozialrecht“) Art der Prüfung Seite 7 Prof. Dr. Ingo Palsherm Wichtig: Bitte notieren Sie sich die Termine in Ihrem Kalender! Termine „Vormittagsgruppe“ montags, 11.30 – 13.00 Uhr, Hörsaal BB.006 „Nachmittagsgruppe“ montags, 14.00 – 15.30 Uhr, Hörsaal BB.203 Termine Seite 8 Prof. Dr. Ingo Palsherm Empfohlene Literatur Luthe/Palsherm (2013) Fürsorgerecht, 3. Aufl. Berlin Palsherm (2015) Sozialrecht, 2. Aufl. Stuttgart Papenheim/Baltes/Palsherm/Kessler (2023) Verwaltungsrecht für die soziale Praxis, 27. Aufl. Frankfurt Nomos, begr. von Stascheit (2024), Gesetze für Sozialberufe, 41. Aufl. Baden-Baden Trenczek/Tammen/Behlert/von Boetticher/Beetz (2024), Grundzüge des Rechts – Studienbuch für soziale Berufe, 6. Aufl. München Wabnitz (2021) Grundkurs Recht für die Soziale Arbeit, 6. Aufl. München Empfohlene Literatur Seite 9 Prof. Dr. Ingo Palsherm The Cornell Note Taking System nach Walter Pauk von der Cornell University 1. Aufschreiben: In der Vorlesung die Kernaussagen in der rechten großen Spalte in Telegramm-Stil-Sätzen mitschreiben. 2. Fragen: So bald als möglich sind Fragen auf der Basis der Mitschrift in die linke Spalte zu schreiben, z.B. „Was ist…?“, „Wie funktioniert…?“; Alternativ: Schlüsselbegriffe; Grund: Klären von Bedeutungen, Aufdecken von Zusammenhängen, Grundlage für kontinuierliches Arbeiten 3. Auswendig aufsagen: Rechte Spalte mit Papier verdecken und die Antworten auf die Fragen bzw. Erklärungen zu Schlüsselbegriffen in eigenen Worten laut aufsagen 4. Reflektieren: Mittels selbst gestellter Fragen über das Material nachdenken, z.B. „Was ist die Bedeutung dieser Tatsachen?“, „Auf welchen Prinzipien beruhen sie?“, „Wo kann ich sie anwenden?“, „Wie fügen sie sich in mein vorhandenes Wissen ein?“ 5. Wiederholung: Jede Woche mind. 10 Min. die bisherigen Mitschriften durchsehen/nachbearbeiten. https://lsc.cornell.edu/how-to-study/taking-notes/cornell-note-taking-system/ http://w-wie-wissenschaft.blogspot.com/2010/12/mitschreiben-mit-dem-system-cornell.html Mitschriften Seite 10 Prof. Dr. Ingo Palsherm Wie lernt man „Recht“ ? (I) 1. Definition der Lernziele Lernzyklus und Lernplanung 3. Evaluation 2. Lernvorgang des Lernens Relevant ist das Basiswissen, kleine Details schaut man im Berufsleben in Literatur nach 1. Lernziel Orientierungswissen über die Rechtsordnung (zB Privatrecht + Öffentl. Recht; BGB, StGB und SGB) Methodenwissen (zB Lesen und Auslegen eines Gesetzes, Voraussetzungen und Rechtsfolge unterscheiden, Vorschrift auf Einzelfall anwenden können) Normwissen über besondere wichtige Paragraphen, ihren Regelungsort und ihren Inhalt Definitionswissen (zB herrschende Auslegung der Voraussetzungen/Tatbestandsmerkmale wichtiger Paragraphen kennen) Entscheidungswissen (zB zentrale höchstrichterlicher Entscheidungen kennen) Problemwissen (zB welche „klassischen“ Diskussionen werden zur Auslegung wichtiger Paragraphen geführt) Lernzyklus nach: Daniel Wolff, Lernen im Jurastudium, in: JuS 2023, 1089-1098 Seite 11 Prof. Dr. Ingo Palsherm Wie lernt man „Recht“ ? (II) Nicht geeignet 2. Lernen Bloßes wiederholtes Lesen („stumpfe Wiederholung“), weil kein Langzeitnutzen; bereits wenige Stunden nach dem Lesen kann nur wenig erinnert werden Geeignet Zweischrittige Lernstrategie aus Strukturierung: Eigenständig erarbeiten, verstehen und durch Verknüpfung mit vorhandenem Wissen strukturieren Gesetzestext lesen + überlegen, wie eine Voraussetzung zu verstehen ist; zunächst selbst eine Definition entwickeln + dann abgleichen mit rechtswissenschaftlicher Lehre; Bestandteile der Definition analysieren + beispielhafte Sachverhalte dafür überlegen Eigene Lernmaterialien entwickeln, zB Diagramme, Karteikarten, Mind-Maps, auch Text- Skripte; ggf. auch digitale Möglichkeiten nutzen wie selbst zu befüllende Lernsoftware mit automatischen Wiederholungssequenzen, aber nach Möglichkeit auch digitale Unterlagen handschriftlich erstellen (zB Apple Pen), da positiv für Lernprozess Abrufen und Praktizieren ( Rückmeldung zum Lernerfolg + Konsolidierung) zB nach einiger Zeit alles niederschreiben, was man noch erinnert + vergleichen mit selbst erstellter Lernunterlage Kleine Selbsttests, Quiz mit offenen Fragen in Lern-AG, Lösen eines Falls Strukturierte Wiederholung nach einem Tag, nach neun Tagen und nach einem Monat Lernzyklus nach: Daniel Wolff, Lernen im Jurastudium, in: JuS 2023, 1089-1098 Seite 12 Prof. Dr. Ingo Palsherm Nutzung eines Lerntagebuchs Nutzen Sie ein Lerntagebuch. Schreiben Sie nach jedem thematischen Abschnitt (Meilenstein / Zwischenziel) in Ihr Lerntagebuch. Beantworten Sie bei jedem Tagebucheintrag folgende Fragen: 1. Welche neuen rechtlichen Zusammenhänge (inkl. Organisation des Gelernten Paragraphen) habe ich kennengelernt? [Dabei nur die Kernaussagen aufnehmen] Vertiefung und 2. Welche Beispiele gibt es für das Gelernte bzw. welchen Ausarbeitung des Gelernten Bezug hat das Gelernte zum Alltag? 3. Was habe ich noch nicht „so gut“ verstanden und was kann Lernprozess ich noch konkret tun, um es zu verstehen? Persönlicher 4. Wofür kann ich das Gelernte in naher und in ferner Zukunft Nutzen verwenden? Lerntagebuch nach: Nina Bach, Hochschuldidaktischer Blog v. 11.4.2019, Seite 13 Achtsamkeit lehren Prof. Dr. Ingo Palsherm Agenda Einführung in die Rechtsgrundlagen 1 Was ist Recht? 2 Was leistet Recht? 3 Warum gilt Recht? 4 Wie wird Recht angewendet? Prof. Dr. Ingo Palsherm TIPP: AUFGABE Knüpfen Sie – wenn immer möglich – an Ihnen bekannte Phänomene an! Was verstehen Sie unter „Recht“? Überlegen Sie kurz mit Ihrem Nachbarn* und geben sich dann eine Erklärung. *Selbstverständlich sind immer Studierende jeglichen Geschlechts gemeint, auch wenn aus Platzgründen auf den Folien das generische Maskulinum verwendet wird. 1 Was ist Recht? Seite 15 Prof. Dr. Ingo Palsherm „Noch suchen die Juristen eine Definition zu ihrem Begriff von Recht.“ Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, zitiert nach Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, § 2 1 Was ist Recht? Seite 16 Prof. Dr. Ingo Palsherm 1. Schritt: Wortbedeutung von „Recht“ Wer setzt das Recht? = Gesamtheit der Gesetze, Bsp. „Ganovenehre“, der allgemeinen Normen, Befehl eines Räubers Prinzipien ODER Muss Recht subjektiv sein (= Anspruch)? = berechtigter, von Rechts Wer setzt es durch? wegen zuerkannter Anspruch ODER Setzt Recht Gerechtigkeit voraus? = das, was dem Rechts- Bsp. Mauerschützen, empfinden gemäß ist „Nürnberger Gesetze“ Vgl. DUDEN, Das Bedeutungswörterbuch (20023) S. 720 1 Was ist Recht? Seite 17 Prof. Dr. Ingo Palsherm 2. Schritt: Die Theorien ≠ Natur- R Positivistischer Rechtsbegriff recht Entstehen des Rechts E durch staatliche Setzung („Gesetz“) in einem anerkannten Verfahren C oder staatliche Anerkennung der Rechtsetzung durch andere Institutionen ( „Satzung“) und H nachrangig und von geringerer Bedeutung auch durch Gerichte („Richterrecht“) zur Lückenfüllung Also: Recht als staatlich garantierte Verhaltensnorm T mit zwangsweiser Durchsetzbarkeit 1 Was ist Recht? Seite 18 Prof. Dr. Ingo Palsherm DEFINITION Also Recht ist „die Summe der geltenden, notwendig: Staatliche d.h. vom Gesetzgeber erlassenen und/oder Setzung des Rechts von den Gerichten angewendeten („gerichts- und / oder fähigen“) Normen.“ Durch- setzung des Rechts Gerechtigkeitsfrage bleibt durch hier unbeantwortet. staatlichen Zwang mit Aus: Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie (20169) § 2 Rn. 53, 59 Gerichten 1 Was ist Recht? Seite 19 …aber was ist mit der „Gerechtigkeit“ – Prof. Dr. Ingo Palsherm s. „Nürnberger Gesetze“, Mauerschützen? Radbruch‘sche Formel (I) „Der Konflikt zwischen der Gerechtigkeit und der Rechts- sicherheit dürfte dahin zu lösen sein, daß das positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, daß der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, daß das Gesetz als ,unrichtiges Recht‘ der Gerechtigkeit zu weichen hat. (…)“ Aus: Gustav Radbruch, Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, in: SJZ 1946, 105, 107. 1 Was ist Recht? Seite 20 Prof. Dr. Ingo Palsherm Radbruch‘sche Formel (II) „ (…) Es ist unmöglich, eine schärfere Linie zu ziehen zwischen den Fällen des gesetzlichen Unrechts und den trotz unrichtigen Inhalts dennoch geltenden Gesetzen; eine andere Grenzziehung aber kann mit aller Schärfe vorgenommen werden: wo Gerechtigkeit nicht einmal erstrebt wird, wo die Gleichheit, die den Kern der Gerechtigkeit ausmacht, bei der Setzung positiven Rechts bewußt verleugnet wurde, da ist das Gesetz nicht etwa nur ,unrichtiges Recht‘, vielmehr entbehrt es überhaupt der Rechtsnatur. Denn man kann Recht, auch positives Recht, gar nicht anders definieren denn als eine Ordnung und Satzung, die ihrem Sinn nach bestimmt ist, der Gerechtigkeit zu dienen.“ Aus: Gustav Radbruch, Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, in: SJZ 1946, 105, 107. 1 Was ist Recht? Seite 21 Praxisfall Prof. Dr. Ingo Palsherm „Nürnberger Gesetze“ BVerfG v. 14.02.1968 – 2 BvR 557/62 „Recht und Gerechtigkeit stehen nicht zur Disposition des Gesetzgebers. Die Vorstellung, daß ein Verfassunggeber alles nach seinem Willen ordnen kann, würde einen Rückfall in die Geisteshaltung eines wertungsfreien Gesetzespositivismus bedeuten, wie sie in der juristischen Wissenschaft und Praxis seit längerem überwunden ist. Gerade die Zeit des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland hat gelehrt, daß auch der Gesetzgeber Unrecht setzen kann (…) Daher hat das Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit bejaht, nationalsozialistischen "Rechts"-Vorschriften die Geltung als Recht abzuerkennen, weil sie fundamentalen Prinzipien der Gerechtigkeit so evident widersprechen, daß der Richter, der sie anwenden oder ihre Rechtsfolgen anerkennen wollte, Unrecht statt Recht sprechen würde (…)“ 1 Was ist Recht? Seite 22 Prof. Dr. Ingo Palsherm Kategorien von weiteren “Sollensordnungen“ Unterscheide vom Recht als vorgegebener Sollensordnung: sittliche Normen (Moral / Ethik / Sittlichkeit), Grundlage im Gewissen des Einzelnen, einer Religion bzw. Weltanschauung oder der übereinstimmenden Auffassung von sittlichen Grundwerten in einer Gruppe von Menschen (= Sozialmoral) nur gesellschaftlich geforderte Regeln (= Sitte / Anstand / Bräuche und Gewohnheiten) Beachtung ohne staatlichen Zwang 1 Was ist Recht? Seite 23 Prof. Dr. Ingo Palsherm Agenda Einführung in die Rechtsgrundlagen 1 Was ist Recht? 2 Was leistet Recht? 3 Warum gilt Recht? 4 Wie wird Recht angewendet? Prof. Dr. Ingo Palsherm Funktion / Aufgabe des Rechts Gesellschaftliche Funktion des Rechts: Integration der Rechtsgemeinschaft als Hauptaufgabe „Das Recht ist ein soziales Herrschaftsinstrument, das durch Ausgleich widerstreitender Interessen den Zusammenhalt der Gemeinschaft erhalten und fördern soll. Das Recht ist mit anderen Worten ein wichtiger Bestandteil jenes gesellschaftlichen Integrationsprozesses, der als soziale Kontrolle bezeichnet wird. Die soziale Funktion des Rechts besteht damit in der Gruppenintegration.“ 2 Was leistet Recht? aus: Manfred Rehbinder (20148) Rechtssoziologie, § 6 Rn. 96 Seite 25 Prof. Dr. Ingo Palsherm Funktionenlehre von Karl N. Llewellyn Recht als Mittel zur Festigung des sozialen Zusammenhalts der Rechtsgemeinschaft durch Bereinigung von Konflikten (Reaktionsfunktion) Verhaltenssteuerung (Ordnungsfunktion) Legitimierung und Organisation sozialer Herrschaft (Verfassungsfunktion) Gestaltung der Lebensbedingungen (Planungsfunktion) Rechtspflege (Überwachungsfunktion) Vgl. Manfred Rehbinder (20148) Rechtssoziologie, § 6 Rn. 110 2 Was leistet Recht? Seite 26 Prof. Dr. Ingo Palsherm Funktionen von Recht („Lern-Skizze“) Bewahrung und Staat Legitimation der Herrschaft ( Staatsmacht) Verhaltenssteuerung Gestaltung Gesellschaft der Lebens- bedingungen Mensch Mitmensch (Gruppen- integration) Konfliktbereinigung + Rechtssicherheit 2 Was leistet Recht? Seite 27 Prof. Dr. Ingo Palsherm Überlegen Sie !!! Warum muss man sich bei Sozialer Arbeit überhaupt mit Recht befassen? Probleme: - „Schwierige“ Fachsprache - Notwendiges Abstraktionsvermögen 2 Was leistet Recht? Seite 28 …und warum Recht im Studium der Sozialen Arbeit? Aus: Trenczek/Tammen/Behlert (20113) Grundzüge des Rechts, S. 23 2 Was leistet Recht? Seite 29 …und warum Recht im Studium der Sozialen Arbeit? Aus: Trenczek/Tammen/Behlert (20113) Grundzüge des Rechts, S. 23 2 Was leistet Recht? Seite 30 …darum Recht im Studium der Sozialen Arbeit !!! Aus: Trenczek/Tammen/Behlert (20113) Grundzüge des Rechts, S. 23 2 Was leistet Recht? Seite 31 Prof. Dr. Ingo Palsherm Kompetenzbereich Rechtswissen und -anwendung Lieferung für Soziale Arbeit notwendigen Wissens durch das Recht Erklärungswissen Verständnis von Aufbau, Struktur und Funktionsweise moderner Gesellschaften rechtlicher Zusammenhalt von Gesellschaft Kontaktwissen Rechtskenntnis als Voraussetzung interdisziplinärer Teamfähigkeit und Kooperationskompetenz in arbeitsteilig organisierten Entscheidungs- prozessen zB Kommunikation in / mit Behörden und Gerichten Handlungswissen Recht als Gestaltungsinstrument zur Beeinflussung von Individuen in ihren lebensweltlichen Bezügen erfolgreiche psychosoziale Arbeit erfordert (auch) Lösung materiell-existenzieller Probleme Quelle: BAGHR 2 Was leistet Recht? Seite 32 Konsequenz: Recht und Soziale Arbeit Rechtskenntnisse sind zwingend: Beherrschung der Rechtssprache für die Kommunikation mit Behörden und Gerichten Sozialberatung „Auch die Rahmenbedingungen der Sozialen Arbeit wurden zunehmend verrechtlicht. Sozialberatung ohne Berücksichtigung der rechtlichen Rahmenbedingungen ist schlechterdings nicht denkbar“ (Werner Hesse [Geschäftsführer Der Paritätische], in: Das neue Rechtsdienstleistungs- gesetz, 2008, S. 10) „Übersetzung“ der aus Rechtsgründen nicht immer allgemein verständlichen Aussagen für das regelmäßig rechtsunkundige Klientel („Dolmetsch-Dienste“) 2 Was leistet Recht? Seite 33 Prof. Dr. Ingo Palsherm Agenda Einführung in die Rechtsgrundlagen 1 Was ist Recht? 2 Was leistet Recht? 3 Warum gilt Recht? 4 Wie wird Recht angewendet? Prof. Dr. Ingo Palsherm Arten der Rechtsgeltung Gesetzespositivismus Soll-Geltung Staatliche Setzung als Geltungsgrund Verhinderung von Chaos und rechtloser Gewalt als Geltungsgrund Überzeugungs- Ist-Geltung Geltung Geltungsverlust angezweifelter Normen Naturrecht Fundus gemeinsamer Wertbezogene Rechtsüberzeugungen auf der Grundlage anerkannter Rechtsgeltung (Gott, Natur, Grundwerte der Sozialmoral Vernunft, Macht, Gesellschaft) 3 Warum gilt Recht? Seite 35 Vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie (202011) § 8 ff. Prof. Dr. Ingo Palsherm Agenda Einführung in die Rechtsgrundlagen 1 Was ist Recht? 2 Was leistet Recht? 3 Warum gilt Recht? 4 Wie wird Recht angewendet? Prof. Dr. Ingo Palsherm Rechtswissenschaft Die Wissenschaft vom Recht – Was ist das überhaupt? 4 Wie wird Recht angewendet? Seite 37 Prof. Dr. Ingo Palsherm System der Wissenschaften Kulturwissenschaft Naturwissenschaft (Kultur = Inbegriff der vom Menschen selbst Physik, Chemie, geschaffenen Lebenswelt im Biologie, Geologie, Unterschied zur Natur) Astronomie, Medizin Sozialwissenschaft Geisteswissenschaft i.e.S. Soziale Arbeit, Soziologie, Geschichte, Sprachen, Politikwissenschaft, Mathematik Wirtschaftswissenschaft Rechts wissenschaft Textwissenschaft Angewandte Sozialwissenschaft (Christoph Engel) 4 Wie wird Recht angewendet? Seite 38 Prof. Dr. Ingo Palsherm Inhaltliche Annäherung an eine Wissenschaft Jede Wissenschaft wird geprägt durch ihren Erkenntnisgegenstand sowie ihre Arbeitsmethoden und Instrumente. Wie könnte man also Rechtswissenschaft definieren? 4 Wie wird Recht angewendet? Seite 39 Prof. Dr. Ingo Palsherm DEFINITION Rechtswissenschaft Rechtswissenschaft ist der Teil der Erkenntnis- gegenstand Wissenschaft, der die rechtliche Sollensordnung betrifft. Ihre Aufgabe ist die Erforschung des Rechts Methoden / mit dem Ziel, durch Interpretation Instrumente (Auslegung) und Argumentation das Recht erläuternd darzustellen und Kritik zu üben. 4 Wie wird Recht angewendet? Seite 40 Prof. Dr. Ingo Palsherm Grundfragen der juristischen Methodenlehre 1. Wo ist bei zweifelhafter Rechtslage nach dem Recht zu suchen (= Rechtsquellenlehre)? 2. Wie geht man dabei vor (= Rechtsanwendung durch Auslegung, Subsumtion, Argumentation, Analogie und Reduktion)? 4 Wie wird Recht angewendet? Seite 41 Prof. Dr. Ingo Palsherm Rechtsquellenlehre Welche Quellen hat das Recht? – Ansätze zur Systematisierung 4.1 Rechtsquellenlehre Seite 42 Prof. Dr. Ingo Palsherm Systematisierung nach der Normenhierarchie GG Art. 6 Abs. 2 GG Bundesrecht Gesetz BGB, StGB …steht nach Art. 31 GG RVerordnung Bürgergeld-V über… Landesverfassung Bay. Verfassung Landes- Landesgesetz AGSG recht Rechtsverordnung AVSG Satzung 4.1 Rechtsquellenlehre Seite 43 Prof. Dr. Ingo Palsherm AUFGABE Sicher haben Sie schon einmal von Zivilrecht, Öffentlichem Recht und Strafrecht gehört. Wie würden Sie diese Rechtsgebiete erklären / definieren? Überlegen Sie kurz gemeinsam und geben dann eine Erklärung. 4.1 Rechtsquellenlehre Seite 44 Prof. Dr. Ingo Palsherm Systematisierung nach den Teilbereichen des Rechts Zivilrecht = Regelung der Rechtsbeziehungen zwischen den einzelnen gleichgeordneten Mitgliedern der Gemeinschaft (mit dem Hauptfall Bürger) Öffentliches Recht = Regelung des Verhältnisses des Gemeinschaftsmitglieds zu dem Gemeinwesen, in dem er lebt (Über-/Unterordnungsverhältnis) und Regelung der inneren Organisation dieses Gemeinwesens selbst Strafrecht = Regelung der Rechtsfolgen Strafe oder Maßregeln der Besserung und Sicherung bei Begehung einer Straftat 4.1 Rechtsquellenlehre Seite 45 Prof. Dr. Ingo Palsherm Systematisierung nach Regelungsinhalten des Rechts Europäisches Recht Deutsches Recht Öffentliches Recht Privatrecht Staats- und Bürgerliches Recht Verfassungsrecht Verwaltungsrecht Sonderprivatrecht Sozialrecht Handelsrecht Zuwanderungsrecht Gesellschaftsrecht … Strafrecht … Arbeitsrecht 4.1 Rechtsquellenlehre Seite 46 Prof. Dr. Ingo Palsherm Zitierweise von Rechtsnormen (an einem Beispiel) § 7 Abs. 3 [Satz 1] Nr. 3 Buchstabe c SGB II Sechstens: Name des Gesetzes Fünftens: Buchstabe, manchmal auch lateinisch abgekürzt als lit. Viertens: Nummer, im Gesetzestext oft am Anfang der Zeile mit Zahl und Punkt dahinter geschrieben Drittens: Satz, im Gesetzestext oft als hoch gestellte Zahl [hier im Beispiel entbehrlich, da nur ein Satz vorhanden] Zweitens: Absatz [sofern mehrere vorhanden], im Gesetzestext oft in Klammern geschriebene Zahl, z.B. hier (3); Alternative römischen Zahlen: III Erstens: Paragraph [manchmal aber auch Artikel genannt, z.B. beim Grundgesetz] 4.1 Rechtsquellenlehre Seite 47 Prof. Dr. Ingo Palsherm Rechtsanwendung Vorgehen bei der Anwendung von Recht 4.2 Rechtsanwendung Seite 48 Prof. Dr. Ingo Palsherm Normarten Antwort- oder Hauptnorm beantwortet eine gestellte Rechtsfrage (z.B. § 19 Abs. 1 S. 1 SGB II) Hilfsnorm enthält eine Definition oder sonstige Bestimmungen bzw. Ergänzungen zu einer anderen Norm (z.B. § 8 Abs. 1 oder § 9 Abs. 1 SGB II) Gegen- oder Einwendungsnormen schließen die Rechtsfolge einer bereits geprüften Antwortnorm trotz des Vorliegens von deren Voraussetzungen wieder aus (z.B. § 31a Abs. 1 S. 1 SGB II) 4.2 Rechtsanwendung Seite 49 Prof. Dr. Ingo Palsherm Antwortnormen Zusammensetzung aus einem abstrakten Tatbestand (= verschiedene Worte die Tatbestandsmerkmale oder -voraussetzungen, die für das Eintreten der Rechtsfolge vorliegen müssen) und einer Rechtsfolge. Ihre Struktur entspricht einer WENN – DANN - Beziehung. WENN Tatbestandsmerkmale A, B, C und (…) erfüllt, DANN soll Rechtsfolge eintreten. 4.2 Rechtsanwendung Seite 50 Prof. Dr. Ingo Palsherm Norm mit „Wenn-Dann-Struktur“ WENN DANN Tatbestandsmerkmale / Rechtsfolge Voraussetzungen Beispiel: Totschlag nach § 212 StGB Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. A B C D Wann Was ist ein Was ist Wann ist Wie erfolgt die ist man Mensch? töten? man Strafzumessung? Täter? Mörder? 4.2 Rechtsanwendung Seite 51 Prof. Dr. Ingo Palsherm „Besonderheiten“ auf der Rechtsfolgenseite WENN A + B + C gegeben, DANN soll RF eintreten. VORAUSSETZUNGEN RECHTSFOLGEN im Öff. R. Tatbestand mit Gebundene Entscheidung Tatbestands- = Rechtsfolge tritt ein merkmalen (TBM) Ermessen („Kann-Norm“) = weitere Erwägungen der Behörde, damit Rechtsfolge TBM A + TBM B + TBM C …. eintritt Entschließungs- Auswahler- ermessen („Ob“) messen („Wie“) 4.2 Rechtsanwendung Seite 52 Prof. Dr. Ingo Palsherm Juristisches Denkmodell: deduktives Vorgehen Was ist = der Schluss von Deduktion? einem allgemein GESETZ Allgemeine formulierten Regelfall auf das, was im Einzelfall gelten soll EINZELFALL Besondere Wie geht Subsumtion unter Nutzung dieser eines Verfahrens der Logik Schluss? namens Syllogismus 4.2 Rechtsanwendung Seite 53 Prof. Dr. Ingo Palsherm Rechtsanwendung Prüfung, ob ein konkreter Lebenssachverhalt (= der Fall) die Tatbestandsmerkmale einer abstrakten Norm erfüllt. Also Frage, ob der Sachverhalt unter das Gesetz „passt“, d.h. ihm gleicht (= die Subsumtion). Dabei Anwendung eines Verfahrens aus der Lehre von der Logik: der sog. Syllogismus. 4.2 Rechtsanwendung Seite 54 Prof. Dr. Ingo Palsherm Syllogismus Abstraktes Beispiel für einen Syllogismus: x=y Rechtsnorm mit Tatbestand und Rechtsfolge y=z Entspricht Fallsachverhalt dem Tatbestand? –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– x=z Rechtsfolge gilt für Fallsachverhalt Begriff Tatbestand, der sowohl in Obersatz (= Rechtsnorm) als auch im Untersatz (= Fallsachverhalt) vorkommt, wird im Schlusssatz eliminiert. 4.2 Rechtsanwendung Seite 55 Prof. Dr. Ingo Palsherm Syllogismus Das berühmte Beispiel für einen Syllogismus aus der Philosophie: Ist Sokrates sterblich? Alle Menschen sind sterblich. „Rechtsnorm“ Sokrates ist ein Mensch. „Lebenssachverhalt“ –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Also ist Sokrates sterblich. „Ergebnis“ Begriff Mensch, der sowohl in Obersatz (= Rechtsnorm) als auch im Untersatz (= Fallsachverhalt) vorkommt, wird im Schlusssatz eliminiert. 4.2 Rechtsanwendung Seite 56 Prof. Dr. Ingo Palsherm Syllogismus Das angewandte Beispiel für einen Syllogismus: Schuldet Käufer K dem Verkäufer V den Kaufpreis? Der Käufer ist verpflichtet, dem Verkäufer den vereinbarten Kaufpreis zu zahlen (§ 433 Abs. 2 BGB). „Rechtsnorm“ K ist ein Käufer. „Lebenssachverhalt“ –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Also schuldet K dem V die Zahlung des Kaufpreises. Begriff Käufer, der sowohl in Obersatz (= „Ergebnis“ Rechtsnorm) als auch im Untersatz (= Fallsachverhalt) vorkommt, wird im Schlusssatz eliminiert. 4.2 Rechtsanwendung Seite 57 Prof. Dr. Ingo Palsherm Syllogismus ;-) Obersatz Untersatz Schlussfolgerung 4.2 Rechtsanwendung Seite 58 Prof. Dr. Ingo Palsherm Auslegung von Rechtsbegriffen Zweck der Auslegung von Rechtsbegriffen: Verstehen des Rechtsbegriffs, da oftmals keine Evidenz der „Gleichheit“ von Rechtsbegriffen in Rechtsnorm und Lebenswirklichkeit ( der „gleiche Begriff“ in Ober- und Untersatz als Voraussetzung für Syllogismus und Gewinnung des Schlusssatzes durch Eliminieren des „gleichen Begriffs“) Ziel der Auslegung: Gewinnung einer Definition für den „unklaren“ Rechtsbegriff, die die Übereinstimmung oder Nicht-Übereinstimmung zwischen Ober- und Untersatz für alle erkennbar macht. Erforderlichkeit der Auslegung: nur so weit bis die (Nicht-) Übereinstimmung des „gleichen Begriffs“ in Ober- und Untersatz offenkundig ist 4.2 Rechtsanwendung Seite 59 Prof. Dr. Ingo Palsherm Auslegung von Rechtsbegriffen Also: Notwendigkeit des Verstehens der Norm vor der Rechtsanwendung Auslegung / Interpretation von Begriffen aus dem Gesetz Vier Auslegungskriterien (= sog. Auslegungskanon nach Friedrich Carl von Savigny): Wortlaut / Wortsinn nach grammatischen Regeln und Sprachgebrauch (= grammatische Auslegung) Systematik / Zusammenhang, in dem die Norm im Gesetz steht, und das Verhältnis der auszulegenden Norm zu anderen Normen oder Gesetzen (= systematische Auslegung) Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte des Gesetzes, der Bedingungen des Entstehens und etwaiger Vorgängernormen (= historische Auslegung) Sinn und Zweck der Norm sowie Interessen, deren Ausgleich die Norm beabsichtigt (= teleologische Auslegung) Ergänzt um die Prüfung auf Übereinstimmung mit den Vorgaben der Verfassung (= verfassungskonforme Auslegung) In der Praxis durch die Gerichte 4.2 Rechtsanwendung Seite 60 Prof. Dr. Ingo Palsherm Schriftliche Ausarbeitung der Rechtsanwendung Gutachtenstil Urteilsstil 1. Hypothese 1. Ergebnis 2. Voraussetzung und 2. Begründung Definition 3. Subsumtion 4. Ergebnis In einem Rechtsgutachten wird „Gute Wörter“: „Schlechte Wörter“: in der Regel der somit, folglich, da, denn, weil, Gutachtenstil erwartet. demzufolge, nämlich infolgedessen, daher, demnach, also, damit 4.2 Rechtsanwendung Seite 61 Prof. Dr. Ingo Palsherm Lektüreempfehlungen zur Vorlesungseinheit Palsherm, Skript Einführung in das Recht Trenczek/Tammen/Behlert/von Boetticher/Beetz, Grundzüge des Rechts, 6. Aufl. 2024, Kapitel I.1 und I.3 (Recht und Gesellschaft, Grundlagen der Rechtsanwendung) Stascheit, Gesetze für Sozialberufe, Inhaltsverzeichnis Wabnitz, Grundkurs Recht für die Soziale Arbeit, 6. Aufl. 2021, Kapitel 1 bis 3 (Soziale Arbeit und Recht, Rechtsnormen, Methoden praktischer Rechtsanwendung) Nur wenn Vertiefung gewünscht: Knödler, Erfolgreich im Studium der Sozialen Arbeit Rehbinder, Rechtssoziologie, § 6 Die gesellschaftliche Funktion des Rechts Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Kapitel 2 Das Recht und seine Funktionen, § 2–4 Stickel-Wolf/Wolf, Wissenschaftliches Arbeiten und Lerntechniken, Kapitel 2 Empfohlene Lektüre Seite 62 Rechtsgrundlagen Sozialer Arbeit Prof. Dr. Ingo Palsherm WiSe 2024/2025