Soziologie Sitzung 5 PDF
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Summary
This document provides notes on the sociology of disability, focusing on the impact of socio-economic factors on the lives of people with disabilities and their families.
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Grundlagen einer Soziologie der Behinderung Sitzung 5: Einfluss sozio-ökonomischer Faktoren, Situation von Familien ■ Sozialpolitische Grundlage ■ 11.11.2024 Lernziele Sie können aufzeigen, inwiefern sozio-ökonomische Faktoren eine Rolle für die Auswirkungen ei...
Grundlagen einer Soziologie der Behinderung Sitzung 5: Einfluss sozio-ökonomischer Faktoren, Situation von Familien ■ Sozialpolitische Grundlage ■ 11.11.2024 Lernziele Sie können aufzeigen, inwiefern sozio-ökonomische Faktoren eine Rolle für die Auswirkungen eines Gesundheitsproblems auf die Teilhabe haben können. Sie können einige Besonderheiten und Herausforderungen für Familien im Zusammenleben mit einem Kind mit Beeinträchtigungen benennen. Sie können dieses Wissen nutzen, um Implikationen für das sonderpädagogische Handeln abzuleiten. www.uni-due.de WS 24/25 2 Behinderung und soziale Ungleichheit Häufigkeit von Behinderung ▪ Statistische Angaben zur Anzahl von Menschen mit Behinderung sind mit äußerster Vorsicht zu bewerten! ▪ Realistische Schätzungen: ca. 10 % der Gesamtbevölkerung ▪ Im Schulalter: Schätzungsweise 6% aller Kinder (Cloerkes 2007) www.uni-due.de WS 24/25 4 Stand 2020: 7,7% aller SuS haben einen sonderpädagogischen Förderbedarf (KMK 2020, XVII) www.uni-due.de WS 24/25 5 (KMK 2020, XVI) www.uni-due.de WS 24/25 6 Behinderte Menschen als Minderheit? Auch wenn die Anzahl von Menschen mit Behinderung nicht gering ist (mindestens 10% der Bevölkerung), können Menschen mit Behinderung nach sozialwissenschaftlichem Verständnis als Minderheit gelten. Wichtige Kriterien, die Minderheiten/ Minoritäten definieren, treffen auch auf die Gruppe von Menschen mit Behinderungen zu: - Unterprivilegiertheit - Isolierung - Zuschreibung von Minderwertigkeit - Generalisierung www.uni-due.de WS 24/25 (Cloerkes 2007) 7 Sozio-ökomische Bedingungen Soziale Schicht, Milieu, soziale Lage Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht wird – sehr vereinfacht ausgedrückt - bestimmt über die Kriterien - Bildung - Einkommen - Prestige des Berufs → Status www.uni-due.de WS 24/25 8 Einige Forschungsergebnisse ▪ Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich „Lernen“: ▪ stammen zu 90% aus den unteren sozialen Schichten ▪ Kinder mit Migrationshintergrund sind überproportional häufig vertreten ▪ stammen häufig aus Familien mit großer Kinderanzahl ▪ wachsen häufig in beengten Wohnverhältnissen auf ▪ Die familiäre Sozialisation ist geprägt durch mangelnde Zukunftsorientierung und einen eher restringierten statt elaborierten Sprachcode (Cloerkes 2007, 95, Begemann 2002) www.uni-due.de WS 24/25 9 Einige Forschungsergebnisse ▪ Größeres Risiko für unterschiedliche Erkrankungen in niedrigeren sozialen Schichten (Früherkennung und Vorsorge Schwangerschaft, Säuglingsalter, Vorsorgeuntersuchungen im Kindesalter): Qualität der ärztlichen Versorgung unterscheidet sich, zudem geringere Bereitschaft zur Annahme gesellschaftlicher Hilfsangebote, sprachliche Barrieren ▪ Für Beeinträchtigungen im Bereich der Sehens, des Hörens, der Sprache, der Kognition, und des Verhaltens belegen jeweils Studien, dass der Anteil an Menschen aus niedrigeren sozialen Schichten jeweils wesentlich höher liegt als ihr Anteil in der Gesamtbevölkerung (Cloerkes 2007, 96) www.uni-due.de WS 24/25 10 Der Gesellschaftstheoretische Ansatz ▪ Höhepunkt in den 70er Jahren www.uni-due.de WS 24/25 11 Modelle/ Paradigmata im Kontext von Behinderung Medizinisches Soziales/ System- Gesellschafts- Modell Interaktionistisches theoretisches Modell theoretisches Modell (z.B. ICIDH, WHO 1980) Modell (z.B. Speck 2003) (z.B. Jantzen 1974) (z.B. ICF, DIMDI 2005) Behinderung als Behinderung Behinderung als Behinderung als individuelles entsteht erst im/ Resultat schulischer Produkt Merkmal durch den sozialen Leistungs- (kapitalistischer) Kontext differenzierung gesellschaftlicher Prozesse Behinderung als Behinderung als medizinische soziale Kategorie Erwartungshaltung www.uni-due.de WS 24/25 12 Der Gesellschaftstheoretische Ansatz ▪ Höhepunkt in den 70er Jahren ▪ Jantzen 1974: „Sozialisation und Behinderung“: „Behinderung kann nicht als naturwüchsig entstandenes Phänomen betrachtet werden. Sie wird sichtbar und damit als Behinderung erst existent, wenn Merkmale und Merkmalskomplexe eines Individuums aufgrund sozialer Interaktion und Kommunikation in Bezug gesetzt werden zu jeweiligen gesellschaftlichen Minimalvorstellungen über individuelle und soziale Fähigkeiten. Indem festgestellt wird, dass ein Individuum aufgrund seiner Merkmalsausprägung diesen Vorstellungen nicht entspricht, wird Behinderung offensichtlich, sie existiert als sozialer Gegenstand erst von diesem Augenblick an“ (21f.). www.uni-due.de WS 24/25 13 Der Gesellschaftstheoretische Ansatz In eigenen Worten? www.uni-due.de WS 24/25 14 „Behindert wird vor allem der, der arm ist, und wer behindert ist, wird arm. Behinderung und Armut sind eng miteinander verflochten.“ (Cloerkes 2007, 99) www.uni-due.de WS 24/25 15 Situation von Familien mit behinderten Kindern Annahme und Verarbeitung ▪ Reaktionen der Eltern auf das Wissen über die Behinderung des Kindes sind u.a. beeinflusst von ▪ ihrer Erwartungshaltung ▪ dem Zeitpunkt, zu dem sie von der Behinderung erfahren (Cloerkes 2007) www.uni-due.de WS 24/25 17 Annahme und Verarbeitung ▪ Vielschichtige emotionale Reaktionen sind möglich, u.a. ▪ Ambivalenz zwischen Zuneigung- Ablehnung ▪ Schockerleben ▪ Schuldgefühle ▪ Abwehrmechanismen (z.B. Verleugnung, Projektion der Schuld auf andere, Intellektualisierung der Behinderung, Sublimierung der Behinderung) (Cloerkes 2007) www.uni-due.de WS 24/25 18 Annahme und Verarbeitung ▪ Typischerweise verläuft der Verarbeitungsprozess der Eltern über unterschiedliche Phasen hinweg (> „Trauerarbeit“) ▪ initial eine Phase des Nicht-Wahrhaben-Wollens ▪ eine Phase mit sehr chaotischen Emotionen, Trauer, Angst, Wut ▪ schließlich eine Phase des Sich-Trennens und Neu-Findens, der Akzeptanz bzw. zumindest der Erkenntnis des Sich-Abfinden-Müssens Inwiefern kann das Wissen über derartige (Cloerkes 2007) Verarbeitungsprozesse wichtig für ihr sonderpädagogisches Handeln sein? www.uni-due.de WS 24/25 19 Diskussion Inwiefern kann das Wissen über derartige Verarbeitungsprozesse wichtig für ihr sonderpädagogisches Handeln sein? DAB-Methode: Denken, Austauschen, Besprechen www.uni-due.de WS 24/25 20 Diskussion Inwiefern kann das Wissen über derartige Verarbeitungsprozesse wichtig für ihr sonderpädagogisches Handeln sein? D(enken) für 2 Min. Machen Sie sich dabei gerne Stichpunkte. www.uni-due.de WS 24/25 21 Diskussion Inwiefern kann das Wissen über derartige Verarbeitungsprozesse wichtig für ihr sonderpädagogisches Handeln sein? D-A(ustauschen) für 3 Min. www.uni-due.de WS 24/25 22 Diskussion Inwiefern kann das Wissen über derartige Verarbeitungsprozesse wichtig für ihr sonderpädagogisches Handeln sein? D-A-B(esprechen) www.uni-due.de WS 24/25 23 Mögliche Anpassungsprobleme Desintegration: Außerfamiliäres gestörtes Verhältnis zwischen und Familie und gesellschaftlichen Institutionen und Organisationen Desorganisation: Störung der innerfamiliären Sozialbeziehungen Normalisierungsprinzip das Leben von (erwachsenen) Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen in allen Phasen so normal wie möglich zu gestalten ist. www.uni-due.de WS 24/25 24 Dynamik des Familiensystems ▪ Behinderung eines Kindes wirkt sich auf die Rollenbeziehungen innerhalb der Familie aus ▪ Um das Rollengleichgewicht innerhalb der Familie wieder herstellen zu können, müssen die Eltern ihre Erwartungshaltung an das Kind mit Behinderung verändern ▪ Aber auch die Rollen der anderen Familienmitglieder verändern sich: ▪ Neuorientierung der Eltern als „Eltern eines behinderten Kindes“: ▪ Instrumental-technischer Anteil der Rolle (z.B. Annahme von Hilfsmaßnahmen der Gesellschaft) ▪ Emotional-expressiver Anteil der Rolle (Verarbeitung der eigenen psychischen Reaktionen sowie Umgang mit den Reaktionen der Umwelt) (Cloerkes 2007) www.uni-due.de WS 24/25 25 Familiäre Rollen ▪ Mutter: oftmals Verstärkung der traditionellen Rolle als Hausfrau und Mutter, große physische und psychische Belastung ▪ Vater: als Gegenpol in der klassischen „Ernährer“-Rolle, oftmals eher distanzierteres Verhältnis zum behinderten Kind, weniger intensiver Kontakt mit dem Kind, ggf. Eifersucht, aber auch Chance auf verstärkten Einsatz als Elternteil und größere Gefühlsoffenheit ▪ Kind mit Behinderung: unterschiedliche problematische Rollenzuschreibungen sind möglich: gemeinsames Sorgenkind der Familie, Partnerersatz, Sündenbock ▪ Geschwister: sehr vielfältige positive und negative Auswirkungen sind denkbar, je nach Familienkonstellation (Cloerkes 2007) www.uni-due.de WS 24/25 26 Erzieherisches Verhalten ▪ Entscheidend: Frage nach der Bewältigung durch die Eltern ▪ Ungünstige Verhaltensweisen: ▪ Überbehütung ▪ Überforderung ▪ Vernachlässigung ▪ Die sozio-ökonomischen Verhältnisse (u.a. die Frage nach angemessenen Wohnverhältnissen) können sich auf die Familiensituation und die Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes auswirken (Cloerkes 2007) www.uni-due.de WS 24/25 27 Hilfen und Unterstützung für Familien ▪ Offene Hilfen: ambulante, personenbezogene, sozialen Dienstleistungen für Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen, Ziel: selbstbestimmtes Leben außerhalb stationärer Einrichtungen ermöglichen ▪ Familienentlastende/ Familienunterstützende Dienste (FED): ambulante Dienste, bieten stunden- oder tagewiese Entlastung von der Betreuung oder Pflege an ▪ Stationäre Unterbringung (Heimunterbringung): wenn die Betreuung des Kindes in der Familie nicht geleistet werden kann (Cloerkes, 2007) www.uni-due.de WS 24/25 28 Wie könnte die Umwelt reagieren und wie könnten Betroffene diese Reaktionen erleben? www.uni-due.de WS 24/25 29 Das Erleben von Umweltreaktionen Isolation und Kommunikationsbarrieren ▪ Integration des Kindes in soziale Umwelt wird schwieriger oder ganz verhindert → Abhängigkeit nimmt zu ▪ Unselbstständigkeit ▪ Überbehütung ▪ Verständigung zwischen Menschen mit und ohne Behinderung wird erschwert → Außenkontakte sind enorm wichtig für die Entwicklung www.uni-due.de WS 24/25 30 Behindertenrecht / Sozialrecht Siehe: Deutscher Bildungsserver https://www.bildungsserver.de/behindertenrecht-sozialrecht-1011-de.html www.uni-due.de WS 24/25 31 Bis zur nächsten Woche … Sie haben heute vieles über den Faktor der „Umwelt“ erfahren (sozio- ökonomische Verhältnisse, Familienstruktur, Erziehungsverhalten,… ). Inwiefern könnte dieses Wissen für Ihre alltägliche sonderpädagogische Arbeit relevant sein? www.uni-due.de WS 24/25 32 Literatur CLOERKES, G. (2007): Soziologie der Behinderten. Eine Einführung. 3. Aufl. Heidelberg: Edition S. JANTZEN, W. (1974): Sozialisation und Behinderung. Studien zu sozialwissenschaftlichen Grundfragen der Behindertenpädagogik. Frankfurt: Psychosozial. KMK (2020): Sonderpädagogische Förderung in Schulen 2011 bis 2020. Online verfügbar unter: https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/Statistik/Dokumentationen/Dok231_SoPaeFoe_2020.pdf PRETIS, M.; KOPP-SIXT, S.; MECHTL, R. (2019): ICF-basiertes Arbeiten in der inklusiven Schule. München: Ernst Reinhardt Verlag. Download der ICF-Klassifikation unter: https://www.bfarm.de/DE/Kodiersysteme/Klassifikationen/ICF/_node.html6 www.uni-due.de WS 24/25 33 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit 34