Skript zu Vorlesung 4 PDF
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This document appears to be lecture notes for a philosophy of mind course. It contains discussion points related to the nature of the mind, consciousness, and possible relationships between mind and body. Keywords from the text sample include philosophy of mind and consciousness.
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Kap IV. Wir: Körper und Geist Kapitel IV. Wir: Körper und Geist [Suddenly I heard someone talking to me.] But who uttered these words? They had not frightened me. They were clearly audible to me yet I knew they did not ring out across the air...
Kap IV. Wir: Körper und Geist Kapitel IV. Wir: Körper und Geist [Suddenly I heard someone talking to me.] But who uttered these words? They had not frightened me. They were clearly audible to me yet I knew they did not ring out across the air. They came from deep inside me, from my soul. Never before had I believed or suspected that I had a soul but just then I knew I had. I knew also that my soul was friendly, was my senior in years and was solely concerned for my own welfare. For convenience I called him Joe. I felt a little reassured to know that I was not alone altogether. Joe was helping me. [The Third Policeman, Flann O‘Brien, 1967] Where is my Mind? [The Pixies] §1. Themenblitz: Philosophie des Geistes Was bin ich? Das ist eine Frage, die wohl jeden philosophisch interessierten Menschen schon beschäftigt hat. Eine erste Antwort könnte lauten: Ich bin eine Person mit Körper und Geist. Körper und Geist sind zwei wesentliche Aspekte eines Menschen, die sein Selbstbild bestimmen. Gewiss spielt bei manchem der eine Aspekt eine größere Rolle, bei mancher der andere. Aber kaum jemand kann ernsthaft von sich behaupten, einer der beiden Faktoren sei völlig irrelevant für ihn. Daher ist die Philosophie von je her um ein Verständnis von Körper und Geist bemüht, und insbesondere um ein Verständnis davon, wie sie zusammenhängen. Eine klärende Bemerkung nebenbei: Statt von Geist (im Englischen: mind) spricht man manchmal auch vom Bewusstsein, mal auch von der Psyche. Allerdings gibt es gewisse Unterschiede zwischen den Ausdrücken: Die Rede vom Geist und/oder der Psyche lässt offen, ob es vielleicht auch un- bewusste geistige Vorgänge gibt; wenn es sie gibt, umfasst der Geist/die Psyche mehr als das Be- wusstsein. Aber die Erwähnung des Bewusstseins kann hier dabei helfen, ein Missverständnis zu vermeiden. Denn man könnte vielleicht mit dem Geist erstmal nur das Denken verbinden, mit der Psyche aber das Empfinden. Im Bewusstsein spielt sich jedoch beides ab, Denken und Empfinden; in ihm finden sich Gedanken und begriffliche Vorstellungen ebenso wie Farbeindrücke, Ge- schmackseindrücke, Langeweile, Schmerzen, etc. Die Rede vom Geist ist in der Philosophie übli- cherweise so zu verstehen, dass im Geist auf jeden Fall alles drin ist, was im Bewusstsein ist, also alles bewusste Denken und Empfinden; wobei eben vielleicht noch mehr im Geist ist, wenn es nämlich auch unbewusste Gedanken und/oder Empfindungen gibt. So sollten Sie also meine Rede vom Geist im Weiteren verstehen: als Sitz von allem Denken und Empfinden. Seite 57 Kap IV. Wir: Körper und Geist Zurück zum Verhältnis von Körper und Geist. Dieses wird traditionell in der sogenannten Philo- sophie des Geistes diskutiert, wobei in dieses Gebiet auch zahlreiche andere Fragen rund ums Denken und Empfinden gehören. Hier eine Liste einiger typischer Beispiele: ▪ Was genau ist der Geist? ▪ In welchem Verhältnis steht der Geist zum Körper? - Sind Geist und Körper überhaupt verschieden, oder ist der Geist der Körper oder ein Körperteil (naheliegenderweise: das Gehirn)? - Gibt es Wechselwirkungen zwischen Körper und Geist, und wenn ja, wie und welche? - Lassen sich alle Tatsachen, die den Geist betreffen, im Rahmen der Naturwissen- schaften erklären? Wenn nein: Welche lassen sich so nicht erklären und wieso? ▪ Welche Dinge und Wesen haben einen Geist? Und ist jeder Geist gleichartig, oder gibt es wesentliche Unterschiede? - Haben Tiere Empfindungen? Spüren sie Schmerz und Freude? Und gibt es dabei Unterschiede, zum Beispiel zwischen Muscheln, Fischen und Säugetieren? - Können einige oder alle Tiere denken? Und falls sie es können: Unterscheidet sich ihr Denken von unserem, und wenn ja, wie? - Können einige Maschinen denken? Kann es ein Taschenrechner? Ein Schach- computer? Ein PC? Wenn nein: werden Maschinen je denken können? - Können Maschinen Empfindungen haben? - Haben irgendwelche anderen Dinge einen Geist? Vielleicht sogar alle Dinge, auch Steine und Blumenkohl? ▪ Was geht ab im Geist? - Gibt es neben bewussten geistigen Zuständen und Vorgängen auch unbewusste? - Welche Arten von denkrelevanten geistigen Zuständen und Vorgängen gibt es? - Welche Arten von Empfindungen gibt es? - Wie hängen verschiedene geistige Zustände und Vorgänge zusammen? Die Philosophie des Geistes ist ein weites Feld, das hier und dort in andere philosophische Gebiete übergeht: Fragen über die Natur mentaler Zustände wie Glauben und Wissen zum Beispiel führen in die Erkenntnistheorie; die Untersuchung vom Verhältnis von Körper und Geist führt schnell in Fragen der Ontologie und Metaphysik. Und schließlich hat die Philosophie des Geistes auch noch viele Berührungspunkte mit der Psychologie. In diesem Kapitel kann ich nur auf eine der Fragen in diesem Gebiet eingehen, und das auch nur sehr ausschnitthaft: Nämlich auf die für unser Selbstbild sehr wichtige Frage nach dem Verhältnis von Körper und Geist. Seite 58 Kap IV. Wir: Körper und Geist §2. Vorklärung: Identität Wenn in der Philosophie das Verhältnis von Körper und Geist erörtert wird, geht es insbesondere um die Frage: Ist der Geist identisch mit dem Körper bzw. einem Körperteil (fortan lasse ich den Zusatz oder mit einem Körperteil der Kürze halber weg; denken Sie ihn aber mit)? Daher wäre es gut, vorweg einmal zu klären, was hier mit Identität gemeint ist. Ohnehin sollte man mit dem philosophischen Verständnis von Identität vertraut sein, da dieser Begriff in vielen Debatten eine wichtige Rolle spielt. Manchmal redet man von einem Ding und von etwas, das ein zweites Ding zu sein scheint. Zum Beispiel vom Stück Kuchen, das man gleich verspeisen möchte, und vom Stück Kuchen, das eine Freundin gleich verspeisen möchte. Oder von einem Stern, den man am Morgenhimmel besonders hell hat leuch- ten sehen, und einem zweiten Stern, den man am Abend besonders hell hat leuchten sehen. Oder vom verschollenen Onkel Ludwig und vom kauzigen Nachbarn aus dem ersten Stock, dessen Gesichtszüge ein wenig an die von Onkel Ludwig erinnern. In einer solchen Situation kann man dann manchmal überrascht feststellen: Es war in Wirklichkeit nur ein Ding, von dem man geredet hat. Denn das eine Ding und das vermeintlich andere waren tatsächlich dasselbe Ding. So kann sich etwa herausstellen: Der kauzige Nachbar ist der verschollene Onkel Ludwig. Und ein Astronom hat herausgefunden, dass der Morgenstern derselbe ist wie der Abendstern. Und das Stück Kuchen, in das die Freundin gerade beißt, kann sich als das eigene herausstellen, das sie frech gemopst hat. Was man in diesen Fällen feststellt, ist, was ich mit Identität meine: Bei A und B handelt es sich um ein und dasselbe Ding. Identität im hier relevanten Sinne ist zu unterscheiden von bloßer Ähnlichkeit oder Gleichheit. Manchmal sagt man, dieses sei dasselbe wie jenes, und meint nur, dass dieses jenem gleicht bzw. dass es von derselben Art ist. Wie wenn ein Beamter zum anderen sagt: Ich habe denselben Schlips! Gemeint ist nicht: Ich habe diesen materiellen Gegenstand, der um deinen Hals hängt. Gemeint ist: Ich habe einen Schlips mit derselben Farbe/demselben Muster wie deiner. Der Unterschied zwischen Ähnlichkeit/Gleichheit und Identität tritt am klarsten zutage, wenn man Dinge zählt. Wenn Annas Kleid das gleiche wie das ihrer verstorbenen Mutter ist, dann gibt es da zwei Kleider, die denselben Schnitt und dieselbe Farbe haben. Wenn Annas Kleid identisch mit dem ihrer Mutter ist (wenn es ein und dasselbe ist), dann gibt es dort nur ein Kleid, das Anna von ihrer Mutter geerbt hat. Das Kleid wurde dann nur auf zwei Weisen beschrieben: einmal als das von Anna, einmal als das von ihrer Mutter. Aber diese zwei Beschreibungen treffen dann eben auf ein und denselben Gegenstand zu, der jetzt Anna gehört und früher ihrer Mutter gehörte. Identität hängt also eng mit dem Zählen zusammen. Daher reden Philosophen und Logikerinnen zur Deutlichkeit oft auch von numerischer Identität, also Identität der Anzahl nach. Bei numerischer Identität hat man es mit nur einem Ding zu tun, das bloß auf mehrere Weisen beschrieben wird, zum Beispiel als Morgenstern und als Abendstern, oder als Nachbar und als Onkel. Zur terminologischen Abgrenzung wird der numerischen Identität bisweilen die sogenannte qualitative Identität entgegengestellt. Damit ist der Besitz derselben Eigenschaften/Qualitäten gemeint. Bei qualitativer Identität (also: Gleichheit oder Ähnlichkeit) hat man es mit mehreren Dingen zu tun, deren Eigenschaften zum Teil identisch sind. Im Seite 59 Kap IV. Wir: Körper und Geist Alltag machen Deutschlehrer*innen den Unterschied zwischen numerischer und qualitativer Identität oft durch die Unterscheidung von demselben und dem gleichen fest. (Womit sie im Prinzip auch Recht haben, auch wenn die Unterscheidung im schnellen Dahinreden oft verwischt wird.) Identität ist eine Beziehung, in der jedes Ding zu sich selbst steht, aber zu keinem zweiten Ding. Die Identität ist daher für sich genommen eine sehr abstrakte, sozusagen inhaltsarme Beziehung. Die bloße Feststellung, dass ein bestimmtes Ding mit sich selbst identisch ist, gibt uns keinerlei erhellende Information über dieses Ding. Denn man kann dasselbe eben über jedes Ding sagen; wir erfahren nichts Spezifisches über das einzelne Ding, keine Klassifikation, die es von irgendwelchen anderen Dingen unterscheidet. Aber ein und dasselbe Ding kann uns unter verschiedenen Beschreibungen gegeben sein, oder aus verschiedenen Perspektiven. Zu erfahren, dass zwei Perspektiven/Beschreibungen auf dasselbe Ding verweisen, kann eine wichtige Entdeckung sein und bedeutsame Folgen haben. Denn solange wir denken, es handele sich um zwei Dinge, werden wir meinen, es gebe Unterschiede zwischen ihnen: Wir meinen, das eine Ding habe bestimmte Eigenschaften, die dem anderen abgehen. Wenn wir dann erkennen, dass es sich um ein und dasselbe Ding handelt, müssen wir solche Zuschreibungen widerrufen. Dann müssen wir einsehen, dass jede Eigenschaft des einen Dings automatisch auch dem vermeintlich anderen Ding zukommt. Generell gesprochen gilt folgendes Prinzip: IDENTITÄTSPRINZIP Wenn A identisch ist mit B, dann hat A jede Eigenschaft von B (und B auch jede von A). Verdeutlichen wir uns das an unseren früheren Beispielen: Einst dachte man, der Morgenstern sei ein anderer Himmelskörper als der Abendstern. Dann entdeckte ein Astronom, dass es sich um ein und denselben Stern handelt. Nach dieser Entdeckung durfte man Morgenstern und Abend- stern keine unterschiedlichen Eigenschaften mehr zuschreiben. Denn es handelt sich ja eben um nur ein Ding. Würde man sagen, der Morgenstern habe andere Eigenschaften als der Abendstern, hieße das daher, ein Ding hätte andere Eigenschaften als es selber – was keinen Sinn macht. Zweites Beispiel: Für eine Weile dachte ich, der kauzige Nachbar sähe meinem verschollenen On- kel Ludwig ähnlich, sei aber jemand anderes. Da dachte ich, es gäbe neben der äußerlichen Ähn- lichkeit gewiss auch diverse Unterschiede zwischen beiden. Ich ging davon aus, dass die beiden wohl nicht genau gleich alt seien; dass sie sicherlich verschiedene Eltern hätten; dass sie vielleicht eine andere Blutgruppe hätten; etc. Als ich dann erkannte, dass der Nachbar tatsächlich Onkel Ludwig ist, durfte ich den „beiden“ kein verschiedenes Alter mehr zuschreiben, keine verschiede- nen Eltern, keine verschiedene Blutgruppe. Denn es sind eben gar nicht zwei Menschen, sondern es ist nur einer. Der Nachbar kann nicht älter oder jünger als Ludwig sein, weil er einfach niemand anderes ist als Ludwig. In diesem Fall bedeutete das auch, dass ich schlagartig so einiges über den Nachbar wusste, was ich davor nicht wusste; zum Beispiel, wer seine Eltern sind, wo er früher gewohnt hat, etc. Alle Information, die ich über Onkel Ludwig besaß, konnte ich nun als Infor- mation über den Nachbarn behandeln. Daher hat eine Identitätsaussage manchmal sehr substan- tielle Folgen, auch wenn die Identität selbst eine sehr abstrakte und inhaltsleere Beziehung ist. Seite 60 Kap IV. Wir: Körper und Geist §3. Körperliche und geistige Eigenschaften und Wechselwirkungen Für den Auftakt möchte ich ein paar einfache Beobachtungen darüber anstellen, wie wir bisweilen über Körper und Geist reden und denken. Zunächst mal scheinen wir Körper und Geist recht verschiedene Eigenschaften und Aktivitäten zuzuschreiben: ▪ Der Geist ist der Sitz unseres Bewusstseins, Denken und Empfinden sind seine Hauptbe- schäftigung. Zudem ist er der Sitz der Persönlichkeit eines Menschen sowie einer Reihe intellektueller Eigenschaften: Charaktermerkmale, Vorlieben, Abneigungen, Intelligenz, Erinnerungen, Ziele, Wertvorstellungen, Traumata, etc. befinden sich im Geist. ▪ Das typische Tun eines Körpers hingegen besteht in Bewegungen, sei es von kleineren oder größeren Teilen des Körpers, sei es vom Körper als Ganzen. Seine Eigenschaften sind physischer Natur: Ausmaße, Gewicht, Stärke und Schnelligkeit etc. Darüber hinaus ist der Körper Träger physischer Krankheiten und Versehrtheiten, benötigt Nahrung und Schlaf, altert und wird schwächer, etc. In Sachen Tun und Eigenschaften scheinen sich Körper und Geist somit deutlich zu unterscheiden. Überdies können wir uns einmal fragen: Wie wissen wir vom Geist? Und wie von Körpern? Wenn man darüber nachdenkt, gewinnt man schnell den Eindruck, dass sich auch unser erkenntnisthe- oretischer Zugang zu Körper und Geist unterscheidet. Was Körper anbelangt: ▪ Unsere Umwelt ist voll von Körpern aller Art. Wir kennen diese im Allgemeinen aus der sinnlichen Wahrnehmung: Wir sehen sie, fassen sie an, hören, riechen und schmecken sie. ▪ Auch unseren eigenen Körper nehmen wir oft sinnlich wahr, indem wir an uns herunter- sehen oder uns im Spiegel betrachten, uns waschen und anziehen, unseren Bauch grum- meln hören, riechen, dass wir uns mal wieder waschen sollten, etc. ▪ Vieles über unseren Körper wissen wir aber nicht durch die auf ihn gerichtete sinnliche Wahr- nehmung, sondern dadurch, dass er bei vielen Anlässen Nervenimpulse produziert. Wenn ihm zum Beispiel Nahrung gut tun würde, verspüre ich Hunger. Wird er geschnitten, spüre ich Schmerzen; sie sagen mir, dass der Körper ein Problem hat und wo. Letzteres zeigt sich besonders plastisch daran, dass manche Gefühle direkt nach ihrem Entste- hungsort benannt sind, wie Bauchschmerzen und Zahnschmerzen. (Man sagt ja sogar, der Schmerz sei im Fuß; aber das ist wohl nicht ganz wörtlich gemeint: Der Fuß ist ja kein zweites empfindendes Subjekt neben mir, das mir seine Gefühle dann schriftlich mitteilt.) Soweit zu Körpern. Wie aber wissen wir vom Geist? ▪ Was in unserem eigenen Geist vor sich geht, nehmen wir nicht durch unsere fünf Sinne wahr: Wir sehen es nicht, hören es nicht, etc. Vielmehr sind wir sind uns unmittelbar dessen bewusst, dass wir Gedanken haben, Absichten, Empfindungen. Diese Inhalte sind unseres Geistes sozusagen direkt gegenwärtig, sobald sie da sind. (Die moderne Psycholo- gie meint freilich, uns seien nicht alle Inhalte unseres Geistes direkt gegenwärtig, da es auch unbewusste geistige Vorgänge, Vorlieben etc. gibt. Diese erschließen wir, oder ein Seite 61 Kap IV. Wir: Körper und Geist Therapeut, aus unserem Verhalten. Das ist sicher so. Aber trotzdem ist uns vieles, was in unserem Geist vor sich geht, direkt bewusst, einfach indem wir denken und empfinden.) ▪ Und wie steht es um den Geist anderer Lebewesen? Auch den kann ich nicht sinnlich wahr- nehmen. Doch er ist mir auch nicht direkt gegenwärtig: Ich empfinde nicht die Empfin- dungen anderer Lebewesen, denke nicht ihre Gedanken. Wie weiß ich also überhaupt, dass sie einen Geist haben und was in ihm vor sich geht? Ich erschließe es mir. Eine erste, wackelige Grundlage dafür ist die äußere Ähnlichkeit, die einige Wesen (z.B. Mitmen- schen; Affen) zu mir aufweisen. Das unterstützt den Schluss, dass es Wesen von der glei- chen Art sind wie ich und ebenso einen Geist haben. In einem zweiten Schritt ist vor allem das Verhalten wichtig, das ein Wesen an den Tag legt. Wenn es auf Verbrennungen mit Schreien oder auf Glücksfälle mit Grinsen reagiert, bin ich geneigt, ihm Empfindungen des Schmerzes oder der Freude zuzuschreiben. Bei Mitmenschen erkenne ich zudem, dass sie mit mir kommunizieren wollen; daher schreibe ich ihnen Gedanken und Absichten zu. So, und ähnlich, erkenne ich den Geist anderer Wesen. Insgesamt scheinen sich Körper und Geist also signifikant zu unterscheiden – in dem, was sie tun, wie sie sind und wie wir von ihnen wissen. Aber all das darf uns eines nicht vergessen machen: Gleichviel, wie sehr Körper und Geist sich unterscheiden mögen, hängen sie doch offenbar zusammen. Sie stehen nämlich in einer ständigen Wechselwirkung. So haben einerseits Einwirkungen auf meinen Körper Folgen in meinem Geist: ▪ Ich stehe vor Hieronymus Boschs Garten der Lüste, das vom Bild reflektierte Licht fällt auf meine Netzhaut (körperliche Einwirkung) und in meinem Geist entsteht ein visueller Ein- druck gefolgt vom Urteil, dass Bosch ein Meisterkünstler war (Reaktion im Geist). ▪ Ich falle hin (körperliche Einwirkung) und empfinde Schmerzen (Reaktion im Geist). ▪ Ich esse nicht (körperliche Einwirkung) und verspüre Hunger (Reaktion im Geiste). ▪ Ich habe Fieber oder nehme Rauschmittel zu mir (körperlicher Einwirkung) und denke wirre, teils bizarre Gedanken, die ich sonst nimmer denken würde (Reaktion im Geist). Andererseits haben Vorgänge in meinem Geist regelmäßig direkte körperliche Folgen: ▪ Ich entschließe mich (geistiger Vorgang), ins Museum zu gehen, und meine Beine setzen sich in Bewegung (körperliche Folge). ▪ Ich empfinde Schmerzen (Empfindung im Geiste) und lege mich hin (körperliche Folge). ▪ Ich urteile, dass ich genügend gegessen habe (geistiger Vorgang), und meine Hände hören auf, Nahrung in meinen Mund zu schaufeln (körperliche Folge). ▪ Ich denke Gedanken (geistiger Vorgang), und mein Mund formt Lautfolgen zur Mittei- lung dieser Gedanken (körperliche Folge). Soweit vorab. Gehen wir nun endlich über zur Frage: Sind Körper und Geist (numerisch) iden- tisch, oder handelt es sich um zwei verschiedene Dinge? Seite 62 Kap IV. Wir: Körper und Geist §4. Klassischer Dualismus: Körper Geist §4.a. Die dualistische Grundthese Nach den obigen Vorklärungen könnte es erstmal sehr einfach scheinen, die Frage nach der Iden- tität von Körper und Geist zu beantworten, und zwar durch folgendes Argument: P1 Körper und Geist haben verschiedene Eigenschaften. P2 Wenn Körper und Geist identisch wären, müssten sie dieselben Eigenschaften haben (siehe das IDENTITÄTSPRINZIP). K Also sind Körper und Geist nicht identisch. Die erreichte Konklusion, dass Körper und Geist nicht identisch sind, wird oft Dualismus genannt. So verstanden ist der Dualismus noch weit entfernt von einer Theorie über Körper und Geist. Dass Körper und Geist nicht identisch sind, ist erstmal nur eine Minimalinformation über ihr Verhältnis. Sie lässt viele Fragen zu diesem Verhältnis offen; etwa, ob Körper und Geist in bestimmter Weise voneinander abhängen, oder auch, ob Körper und Geist aufeinander einwirken (wonach es ja sehr aussieht), und wenn ja, wie. Auch sagt uns die dualistische Minimalthese weder, was der Körper positiv gewendet ist, noch, was der Geist. So verstanden ist der Dualismus daher bestenfalls das Fundament einer Theorie von Körper und Geist, das weiter angereichert werden kann und muss. §4.b. Das Seelen-Bild Lassen Sie mich eine in der westlichen Tradition einflussreiche dualistische Konzeption von Kör- per und Geist zumindest ein bisschen mehr anreißen. Sie fasst Körper und Geist nicht bloß als nicht-identische sondern sogar als grundverschiedene Dinge auf. Die Kernidee lautet: ▪ Der Körper ist materiell und nimmt eine bestimmte Region im Raum ein, die er ausfüllt; man kann ihn anfassen, sehen, etc. ▪ Der Geist ist immateriell, er füllt keinen Raum und ist nicht sinnlich wahrnehmbar. In diesem Bild wird der Geist oft auch als Seele bezeichnet. Körper und Seele gelten hier als eigene, dem Prinzip nach voneinander getrennte Existenzen. Dennoch wird üblicherweise eingeräumt, dass sie in der praktischen Realität des menschlichen Lebens zusammenhängen, und zwar über Ursache-Wirkungsbeziehungen. Der Körper ist eine Art Instrument des Geistes, ein Werkzeug, mit dem der Geist sich in der Welt orientiert und seine Umgebung bearbeitet. Der Geist trifft Ent- scheidungen, die er mithilfe des Körpers in Handlungen umsetzt, mit welchen er auf die materielle Welt einwirkt. Zugleich sendet der Körper dem Geist Daten über die Umwelt, lässt in ihm visuelle, auditive, haptische, gustatorische und olfaktorische Eindrücke entstehen, schickt ihm Hunger- und Sättigungsgefühl, Schmerzen und Wohlgefühle, etc. Ausgangspunkt dieses Kapitels war die Frage: Was bin ich? Dualisten beantworten dies für ge- wöhnlich auf eine von zwei Weisen. Viele halten die Seele für die eigentliche Person; sie würden Seite 63 Kap IV. Wir: Körper und Geist sagen: Strenggenommen bin ich meine Seele. Andere Dualisten fassen die Person als ein Ganzes bestehend aus Körper und Seele auf. Für sie ist die Seele nur ein Teil der Person; aber wohlgemerkt ist die Seele nicht so etwas wie die Stimme des Gewissens, die sich dem Ich gegenüber zu Wort melden kann. Für keine Dualistin ist die Person, mein Ich, ein zweites denkendes Subjekt neben der Seele; vielmehr geht all mein Denken und Empfinden in der Seele vor sich. Eine weitere, öfters anzutreffende Anreicherung des dualistischen Bildes hat religiösen Charakter. Denn die Seelenvorstellung ist Teil einer christlichen Lehrmeinung zum Menschen. Ihr zufolge hat Gott die menschliche Seele und den menschlichen Körper in separaten Schöpfungsakten er- schaffen, wodurch sie eine im Prinzip voneinander unabhängige Existenz haben. Solange der Mensch lebt, ist seine Seele mit dem Körper verbunden; stirbt der Mensch, löst sich aber die un- sterbliche Seele vom Leib und existiert, denkt und empfindet ohne diesen weiter vor sich hin.4 Diese Konzeption fand im Lauf der Jahrhunderte viele Anhänger unter christlichen Gelehrten. Dadurch ging sie in christlich geprägten Ländern auch in verbreitete Grundvorstellungen über die Welt ein und erhielt auch in der Philosophie steten Rückhalt. Denn Philosophen haben ihre The- orien oft auf die christliche Lehre abgestimmt. Teils, weil sie an sie glaubten und sie durch Argu- mente unterfüttern wollten; zig Versuche vernunftbasierter Beweise der Existenz Gottes und der Unsterblichkeit der Seele legen davon Zeugnis ab. Teils aber auch, weil man ungern als Häretiker auf dem Scheiterhaufen landen wollte. Die Geschichte der praktizierten christlichen Religion ist leider allzu voll von Intoleranz und Brutalität im Umgang mit Andersgläubigen (und sogar Gleich- gläubigen, die nur in Details von der vorherrschenden christlichen Lehrmeinung abwichen). Wie dem auch sei: Religiöse Motivation für den Seelen-Dualismus, insoweit sie auf Glauben an den Gehalt heiliger Schriften beruht, möchte ich im Weiteren ausklammern. Philosophisch inte- ressant ist, ob es rationale Gründe für den Glauben an eine immaterielle Seele gibt, und gar an eine, die vom Körper im Prinzip ein unabhängiges Dasein fristet. Und solche Gründe gibt es in der Tat. Ein in der Philosophiegeschichte äußerst einflussreiches Argument verfährt wie folgt: P1 Es ist vorstellbar, dass mein Geist ohne Körper existiert. P2 Was vorstellbar ist, ist möglich. K1 Also ist es möglich, dass mein Geist ohne Körper existiert. P3 Wäre mein Geist identisch mit einem Körper, wäre es nicht möglich, dass mein Geist ohne Körper existiert. K2 Also ist mein Geist nicht mit meinem Körper identisch. Dieses Argument mündet in derselben Konklusion wie das weiter oben besprochene Argument: 4 Übrigens ist das zwar eine christliche Lehrmeinung, aber ihre Entstehungsgeschichte ist vielschichtig und beinhaltet nicht-christliche Einflüsse. Die Bibel stellt diese Konzeption von Seele und Körper, soweit ich weiß, nicht explizit vor. Vielmehr wurde die biblische Lehre um Elemente aus der altgriechischen Philosophie er- gänzt, die insbesondere aus Platons Konzeption der Seele stammen. Seite 64 Kap IV. Wir: Körper und Geist Körper und Geist haben verschiedene Eigenschaften. Also sind sie nicht identisch. Allerdings gibt es beim Argument von der Vorstellbarkeit einen wichtigen Unterschied. Es wird auch noch eine wichtige Zwischenkonklusion erzielt: Es ist möglich, dass die Seele ohne Körper existiert. Damit zeigt das Argument, wenn es durchgeht, mehr als das erste. Denn das hat als Er- gebnis bloß die Nicht-Identität von Geist und Körper. Dann könnte die Existenz des Geistes aber womöglich noch immer eine abhängige und mit Notwendigkeit an die des Körpers gebunden sein. Das gerade betrachtete Argument hingegen erklärt die Existenz der Seele zu einer unabhängigen: Dem Argument zufolge gibt es mögliche Welten, in denen eine körperlose Seele existiert. Lassen Sie mich die Bausteine des Arguments kurz kommentieren: ▪ Prämisse P1 wird durch die christliche Konzeption der unsterblichen Seele belegt. Denn gleichviel, ob diese Lehre nun wahr ist oder nicht, zeigt sie allemal die Vorstellbarkeit der unsterblichen, körperlosen Seele. ▪ Prämisse P2 scheint im Hintergrund der philosophischen Rede von Möglichkeit zu stehen. Wie in Kapitel II besprochen, spielen Überlegungen dazu, was möglich und was unmög- lich ist, eine wichtige Rolle in der Philosophie, insbesondere auch in der Logik. Aber wie begründet man, dass etwas möglich oder unmöglich ist (oder: dass es hätte der Fall sein können oder nicht)? Sehr oft wird dafür in der Tat auf die Vorstellbarkeit bzw. Unvor- stellbarkeit eines Szenarios verwiesen. Daher scheint Prämisse P2 in der Tat plausibel. ▪ Prämisse P3 schließlich scheint sich aus dem Begriff der Identität zu ergeben. Nehmen wir an, A und B seien identisch. Dann haben wir es mit einem einzigen Ding zu tun. Zu sagen, dass A auch ohne B existieren könnte, hieße daher zu sagen, dass dieses Ding auch ohne sich selber hätte existieren können. Das aber macht keinen Sinn; womit wir einen Grund haben, Prämisse P3 zu akzeptieren. Dieses Argument hat in der Philosophie durchaus viele Anhänger*innen gefunden – und damit eben auch der Dualismus. §4.e. Probleme des Dualismus Auch wenn der Dualismus seine Anhänger*innen hatte, ist er mit Schwierigkeiten befrachtet. Sein Kernproblem besteht darin, die Ursache-Wirkungsverhältnisse zwischen Körper und Geist zu er- klären und dabei Widersprüche mit wissenschaftlichen Erkenntnissen im Bereich des Denkens zu vermeiden. Wie oben ausgeführt, bestehen zwischen Körper und Geist zahlreiche Ursache-Wirkungsverhält- nisse; mit einem Fachwort: kausale Verhältnisse. Dem Körper widerfahren Dinge, die Empfindun- gen im Geist hervorrufen, und im Geist werden Beschlüsse gefasst, die den Körper in Bewegung setzen. Wenn ein Dualist nun meint, es gebe neben dem materiellen Körper die immaterielle Seele, stellt sich die Frage, wie diese wechselseitigen Einwirkungen zustande kommen. Wie schafft es der Seite 65 Kap IV. Wir: Körper und Geist Körper, Signale in die immaterielle Seele zu senden, und umgekehrt? Der dualistische Versuch, darauf zu antworten, sollte sich zweier Punkte annehmen: ▪ Kausale Vorgänge werden in den Naturwissenschaften fortwährend untersucht und ana- lysiert. Sie sind messbar. Also müsste auch die Wechselwirkung zwischen Materie und Im- materie messbar und lokalisierbar sein. ▪ Auch kann ja offenbar nicht jeder Körper auf die eigene Seele einwirken, sondern nur der eigene Körper. Daher müssten sich Unterschiede zwischen dem eigenen Körper und ande- ren feststellen lassen, die erklären, wieso er und nicht andere auf die Seele wirken. Tatsächlich hat Descartes, ein einflussreicher Dualist, den hier bestehenden Klärungsbedarf aner- kannt und eine halbwegs konkrete Hypothese aufgestellt. Er meinte, es gebe ein spezielles Organ, das die Schnittstelle zwischen einem Körper und einer ihm zugeordneten Seele bildet – konkret gesprochen die im Hirn befindliche Zirbeldrüse. Dort müsste man also die Wechselwirkung durch Messungen nachweisen können. Diese Hypothese hat sich allerdings als biologisch haltlos erwiesen. Die Zirbeldrüse produziert bestimmte Hormone und hat dadurch einen gewissen Einfluss auf unser Gemüt. Doch weder hat sie weitreichende Lenkungsfunktion über unseren Körper; noch sammelt sie alle Nervenreize un- seres Körpers (was sie tun müsste, um der Seele über sie Bericht zu erstatten); noch lässt sich an ihr irgendeine Einwirkung einer immateriellen Seele messen. Aber nicht bloß Descartes’ konkrete Hypothese über die Geist-Körper-Kommunikation hat sich als unfundiert erwiesen. So sehr die Untersuchung des menschlichen Körpers in den vergangenen Jahrhunderten auch fortgeschritten ist, es hat sich keine Schnittstelle gefunden, über die Signale in den immateriellen Äther gesendet oder aus ihm empfangen werden. Es liegen keine Messdaten vor, die eine Einwirkung des Hirns auf etwas Immaterielles, oder die umgekehrte Einwirkung, andeuten würden. Und auch, wenn die Erforschung des Hirns noch nicht abgeschlossen ist, darf man durchaus schon jetzt feststellen: Wenn es die ständige und folgenreiche Einwirkung einer immateriellen Quelle aufs Hirn gäbe, hätte man diese bereits bemerkt. Die Hirnforschung wirft aber nicht bloß ein Problem für die angebliche Wechselwirkung des Kör- pers und der immateriellen Seele auf, sondern überhaupt für die dualistische Vorstellung, die Seele sei der eigentliche Sitz des Denkens und Empfindens. Denn die Neurobiologie macht stetig Fort- schritte dabei, Vorgänge im Bewusstsein auf Vorgänge im Hirn abzubilden. Auch kann man Be- wusstseinsinhalte – sowohl das Denken wie das Empfinden – durch Einwirkung aufs Hirn beein- flussen: Zum Beispiel kann man durch elektrische Impulse bestimmter Hirnareale Bewusstseins- inhalte hervorrufen oder Empfindungen durch Einflussnahme aufs Hirn in Form von Schmerz- mitteln und Drogen verändern. Auch die Denkfähigkeit wird direkt von Vorgängen im Hirn be- einflusst. So verringert der Einfluss von Müdigkeit (!), Stress und einigen Drogen die Konzentra- tionsfähigkeit und führt zu größerer Fehlerdichte beim logischen Denken. Der Einfluss anderer Drogen hat gegenteilige Konsequenzen und hilft beim Fokussieren und Denken. All dies scheint Seite 66 Kap IV. Wir: Körper und Geist kaum vereinbar mit der dualistischen Auffassung, das Denken und Empfinden laufe tatsächlich in der immateriellen Seele ab. Hier entsteht ferner ein Problem für die dualistische Vorstellung, dass die Seele getrennt vom Körper weiter existieren könne. Denn christliche Dualisten meinen nicht, dass die Seele bloß in einer Art gedankenlosem Koma weiterexistiert, sondern denkend und empfindend. Aber wie soll das Denken und Empfinden in einer vom Körper getrennten Seele weitergehen? Was wäre zum Beispiel dafür verantwortlich, dass die Seele diesen bestimmten und keinen anderen Gedanken hat, wenn alle neuronalen Verbindungen, die dies sonst bestimmen, nicht mehr vorhanden wären? Und was wäre z.B. dafür verantwortlich, dass eine Seele beim logischen Denken fehlerfreier und eine andere fehleranfälliger wäre, wenn die neuronale Grundlage fehlt, die dies ansonsten erklärt? Kurzum: Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Zusammenhang von Denken und Hirnpro- zessen sprechen mit großer Deutlichkeit gegen die vom Dualisten vermuteten kausalen Verhält- nisse zwischen Körper und immaterieller Seele und auch gegen die Annahme, Denken und Emp- finden fänden in der immateriellen Seele statt und könnten nach deren Trennung vom Körper weiterlaufen. §4.f. But what about the arguments? Aber auch wenn vieles gegen den Dualismus spricht, seine Vertreter*innen haben ja auch Argu- mente zu seiner Begründung aufgefahren. Sind die kritisierbar? Das erste dualistische Argument geht davon aus, dass Körper und Geist unterschiedliche Eigen- schaften haben, und schließt daraus, dass sie nicht identisch sind. Hier kann man fragen: Müssen wir die Prämisse der verschiedenen Eigenschaften akzeptieren? Motiviert habe ich sie durch den Hinweis, dass wir über Körper und Geist sehr verschiedene Dinge sagen; wir schreiben ihnen also verschiedene Eigenschaften zu. Eine naheliegende Reaktion auf das Argument bestünde darin, zu entgegnen, dass wir diese verschiedenen Zuschreibungen aus Unwissenheit machen. Denn es ist für einen wissenschaftlichen Laien ja keineswegs offensichtlich, dass sich Denken und Empfinden im Körper abspielen. Da wir zudem unterschiedliche Zugangsweisen zu selbst erlebten geistigen Vorgängen und zu beobachteten Vorgängen im Körper haben, kommen uns diese zunächst ver- schieden vor, und unser Reden über sie bildet sich vor diesem Hintergrund aus. Wenn nun unser Reden gerade vom laienhaften Eindruck geprägt ist, Körper und Geist seien ver- schieden, dann scheint es dubios, dieses Reden im Gegenzug als Beleg für die Verschiedenheit von Körper und Geist zu verwenden. Unser Reden reflektiert unsere vortheoretische Auffassung der Verschiedenheit von Körper und Geist. Doch viele vortheoretische Auffassungen sollten wir im Lichte wissenschaftlicher Theoriebildung aufgeben. Zum Beispiel können wir nicht gegen die ast- ronomische Einsicht argumentieren, dass sich die Erde um die Sonne dreht, indem wir auf die Redeweise hinweisen, die Sonne gehe auf. Und ohnehin: Was haben wir Menschen nicht mal für verquere Vorstellungen über alles Mögliche gehabt? Als Laien, aber durchaus auch in frühen Sta- Seite 67 Kap IV. Wir: Körper und Geist dien wissenschaftlicher Erkundung der Welt. Der Blitz erschien unseren Vorfahren als Zorn Got- tes; der Regenbogen als Wegweiser zum Goldschatz; die Homosexualität noch in den sechziger Jahren als Krankheit, heilbar durch Elektroschocktherapie (!); die Wünschelrute; die Sternzeichen; die Idee, Tiere wären empfindungslose Automaten; etc. etc. Was haben wir nicht alles geglaubt. Aber glücklicherweise müssen wir nicht allen Unfug immer weiterglauben. Generell verlangt uns wissenschaftlicher Fortschritt oft ab, Alltagsansichten zu hinterfragen und zu verwerfen. Das kann dann allmählich auch Niederschlag in unserer Rede finden. Je überzeugter wir durch wissenschaftliche Erkenntnisse davon sind, unser Denken bestehe in neuronalen Vor- gängen, desto mehr werden wir unsere Redeweisen anpassen und vielleicht Dinge sagen wie: Mein Hirn denkt; Denken besteht in der Bewegung sehr kleiner Materiepartikel; Schmerzen bestehen darin, dass bestimmte Neuronen im Hirn feuern. Man könnte so sprechen, und zumindest Neu- rowissenschaftler*innen tun das bisweilen auch. Aber nicht nur die passen ihre Sprache an; je leis- tungsstärker z.B. Computer werden, je besser sie im Schachspiel, in der Spracherkennung, in der eigenen Spracherzeugung werden, desto mehr sind viele Leute geneigt, ihnen Denk-Akte zuzu- schreiben und sie überhaupt zunehmend zu personifizieren. Insgesamt könnte man daher meinen, das erste dualistische Argument zeige nicht die Verschiedenheit von Körper und Geist, sondern nur, dass diese Teil unserer vortheoretischen, aber womöglich korrekturbedürftigen Weltsicht ist. Wie aber steht es mit dem zweiten dualistischen Argument? Im Kern lautet es: Körper und Geist sind verschieden, da eine körperlose Seele vorstellbar und somit möglich ist. Ein Ansatz gegen das Argument kann daher im Versuch bestehen, einen Keil zwischen Vorstellbarkeit und Möglichkeit zu treiben. Dazu sollte man sich fragen: Was genau heißt es, dass ein Sachverhalt vorstellbar ist? Gemeint sein könnte wohl Verschiedenes. Beispielsweise: Ein Sachverhalt ist vorstellbar, wenn ich glaube, er wäre möglich. Mit diesem Begriff der Vorstellbarkeit dürfte man aber aus der Vorstell- barkeit nicht auf die echte Möglichkeit schließen, sondern nur auf eine geglaubte Möglichkeit. Denn ich kann mich in vielem irren, warum also nicht auch im Glauben, dass etwas möglich ist? Gemeint sein könnte auch: Ein Sachverhalt ist vorstellbar, wenn ich ihn bei meinem gegenwärtigen Wissensstand nicht ausschließen kann. Aber auch dann dürfte man aus Vorstellbarkeit nicht auf die Möglichkeit schließen. Denn denken Sie einmal an ein Schulkind, das gerade genügend Geo- metrie gelernt hat, um zu wissen, was ein gleichseitiges Dreieck ist, und auch um zu wissen, was ein gleichwinkliges Dreieck ist. Dies Schulkind kann, solange es kein kleines Genie ist, nicht aus- schließen, dass es gleichseitige Dreiecke gibt, die nicht gleichwinklig sind. Es kann sogar glauben, es gebe solche Dreiecke, und versuchen, eines zu zeichnen. Wie lange es das aber auch versuchen mag, es wird ihm nicht gelingen. Denn jedes gleichwinklige Dreieck ist gleichseitig und umgekehrt. Das kann man mathematisch beweisen; nur das Schulkind kann das noch nicht. Diese beiden Punkte dienen hier nur der Illustration folgender Tatsache: Dass aus der Vorstell- barkeit eines Sachverhalts seine Möglichkeit folgt, gilt nicht bei jedem denkbaren Verständnis vom Vorstellbarkeitsbegriff. Da die Debatte zu Vorstellbarkeit und Möglichkeit aber sehr weitläufig Seite 68 Kap IV. Wir: Körper und Geist und verzwickt ist, verbleibe ich hier ergebnisoffen: Der Dualismus hat ein ernstzunehmendes Ar- gument aufgefahren; ob es durchschlagend ist oder nicht, muss eine tiefergehende Untersuchung der Begriffe von Vorstellbarkeit und Möglichkeit klären. §5. Physikalismus: Geist = Körper §5.a. Die Position Eines lässt sich jedenfalls nicht leugnen: Je weiter die Forschung der Neurowissenschaft voran- schreitet, desto mehr Anhänger*innen verliert der Dualismus angesichts ihrer Ergebnisse. Was aber sollte man dann zum Verhältnis von Körper und Geist sagen? Naheliegend wäre, den Geist mit dem Teil des Körpers zu identifizieren, in dem sich Denkvorgänge und Empfindungen auf körperliche Sachverhalte abbilden lassen. Das wäre das Gehirn mit seiner neuronalen Struktur. Nennen wir diese Identifikation die These des Physikalismus. Diese These allein ist noch keine umfassende Theorie von Körper und Geist. Diverse Dinge wären hier zu ergänzen. Zum Beispiel gehört zu Standardversionen vom Physikalismus auf jeden Fall auch die These: ▪ Die Identifikation des Geists mit dem Körper soll keine Auswirkungen auf bestehende naturwissenschaftliche Theorien von Körpern haben. Die Physik, Chemie und Biologie des Hirns sollen also nicht plötzlich anders gefasst werden, nur weil man Physikalist ist und den Geist mit dem Hirn identifiziert. Ein weitergehender Anspruch, den Physikalist*innen oft aufstellen, lautet: ▪ Es ist durch die Identifikation vom Geist mit dem Körper zumindest im Prinzip eine naturwissenschaftlich fundierte, vollständige Theorie des Geistes möglich. Der Anspruch ist naheliegend. Denn Körper werden in den Naturwissenschaften vollumfassend untersucht. Wenn der Geist mit dem Körper identifiziert wird, sollte eine vollständige naturwis- senschaftliche Theorie des Geistes möglich sein. Aus diesem Anspruch ergeben sich dann eine Reihe spezifischerer Forderungen. Zum Beispiel: ▪ Alle geistigen Zustände & Vorgänge können auf Zustände & Vorgänge abgebildet wer- den, die in bestehenden Naturwissenschaften oder ihrer Fortentwicklung erfasst werden. ▪ Die Theorie des Geistes erlaubt korrekte Prognosen (da Prognosen ein wichtiger Prüfstein naturwissenschaftlicher Theorien sind). Einschlägig wären zum Beispiel Prognosen wie: Wird Hirnareal A stimuliert, fängt die Person an, Töne zu hören. Oder, in die andere Richtung: Wenn eine Person Hunger hat, ist diese und jene Hirnaktivität beobachtbar. ▪ Die Theorie des Geistes vermittelt uns alles Wissen über den Geist, das man haben kann. Seite 69 Kap IV. Wir: Körper und Geist §5.b. Probleme und Grenzen des Physikalismus Der Physikalismus (in allen seinen Varianten) ist nicht frei von Problemen; in der Philosophie werden viele solcher Probleme besprochen. Manche betreffen Details bezüglich der genauen For- mulierung, andere betreffen grundlegende Fragen und Probleme. Ich möchte hier nur ein Problem vorstellen, das viele Philosoph*innen für besonders wichtig erachten. Es betrifft den oben erwähn- ten Anspruch des Physikalismus, dass eine vollständige naturwissenschaftlich fundierte Theorie des Geistes möglich sei. Die heutige Forschung ist noch weit von einer solchen Theorie entfernt. Aber es zeichnet sich durchaus ab, dass in der Zukunft bestimmte Teile des genannten Anspruches eingeholt werden können. Beispielsweise können wir schon jetzt verschiedene Empfindungen und Gedanken, die wir kennen, physischen Zuständen und Prozessen zuordnen. Die Zuordnung ist oft noch grob, und sie ist in jedem Fall noch sehr unvollständig. Aber anhand der bisher erzielten Ergebnisse ist ein konstanter Fortschritt auf diesem Feld erwartbar. Auch können Neurowissenschaftler*innen basierend auf den Zuordnungen bereits manchmal ver- lässliche Prognosen über die Zukunft ableiten. Beispielsweise gibt es ein berühmtes Experiment (von Benjamin Libet aus dem Jahr 1984), in dem Testpersonen sich entscheiden sollten, spontan die Hand zu bewegen. Wie ihre Entscheidung ausfällt, konnte anhand von Messungen ihrer Hirn- ströme im Voraus ermittelt werden. Tatsächlich kann man durch eine solche Messung die Ent- scheidung sogar voraussagen, bevor der Testperson selbst ihre Entscheidung bewusst wird. Frei- lich nur eine klitzekleine Zeit davor, aber eben davor. Wir sehen daher in den Neurowissenschaften die in Naturwissenschaften übliche Theoriebildung anhand von Messungen, die überdies durch neue Daten stetig voranschreitet und die gut in beste- hende Theorien der Chemie, Biologie und Mikrophysik eingebettet ist. Dennoch meinen viele Philosoph*innen, dass diese Theoriebildung eine sehr gewichtige Lücke aufweist, die sie auch nie wird schließen können. Sie vertreten die These: Keine Theorie des Geis- tes wird jemals alles Wissen über den Geist vermitteln, das man haben kann. Um zu erklären, wieso, denken Sie einmal an Fledermäuse. Diese können ihre Umgebung mithilfe von Sonarwellen erkunden. Die Neurowissenschaft kann die Mechanismen untersuchen, die dabei vor sich gehen, und eine gute Theorie über diese entwickeln. Nun stellen Sie sich vor, die Wissen- schaftler*innen legen sich mächtig ins Zeug und stellen eine vollständige Beschreibung der physi- schen Abläufe bei der Fledermauswahrnehmung zusammen. Wir kennen die Funktion und die Mechanismen; wir wissen, wie die Sonarwahrnehmung auf welchen Input reagiert etc. Aber wissen wir dann wirklich alles, was es über diese Fledermauswahrnehmung zu wissen gibt? Anscheinend nicht. Denn ein Wissen fehlt uns dann noch immer: nämlich, wie es sich anfühlt, eine Fledermaus zu sein und Dinge per Sonar wahrzunehmen. Ein solches Wissen können wir anscheinend nur dadurch erwerben, dass wir die Art von mentaler Erfahrung machen, welche die Fledermäuse ma- chen. Ob wir das jemals können, etwa durch künstliche Sonarimplantate, ist fraglich. Aber der Seite 70 Kap IV. Wir: Körper und Geist wichtige Punkt hier: Wir erwerben dieses Wissen auf jeden Fall nicht, indem wir eine naturwissen- schaftliche Theorie studieren. Wenn wir es überhaupt erwerben können, dann dadurch, dass wir bestimmte mentale Erfahrungen machen. Aber das gehört nicht zu wissenschaftlichen Theorien dazu. Diese beschreiben die Welt, sie sind kein Erlebnispark. Daher scheint es ein Wissen über den Geist von Fledermäusen zu geben, das sich aus der reinen Theoriebildung nicht erschließen lässt. Und falls Ihnen das mit den Fledermäusen vielleicht zu fremdartig und dadurch nebulös erscheint, stellen Sie sich stattdessen folgenden Fall vor: Nachdem die Menschen es mit gemeinsamer An- strengung geschafft haben, die Erdoberfläche für uns unbewohnbar zu machen, überlebt eine kleine Gruppe Menschen in unterirdischen Bunkern. In dem schummrigen Licht dieser Bunker, das unsere Augen hauptsächlich Grautöne wahrnehmen lässt, wächst Mary auf. Mary wird zu einer exzellenten Wissenschaftlerin, die sich alles verfügbare naturwissenschaftliche Wissen aneignet. Sie weiß zum Beispiel auch, dass es auf der Erde früher Blumen gab, die Rosen genannt wurden; und sie weiß über Rosen alles, was die Biologie, Chemie und Physik über sie zu sagen haben. Daher weiß sie zum Beispiel auch, dass Rosen Lichtwellen eines bestimmten Spektrums reflektieren; sie weiß, dass solche Lichtwellen in Menschen eine Sinneswahrnehmung hervorrufen und dass Men- schen diese Rot genannt haben. Aber in der Umgebung, in der sie groß geworden ist, konnte sie selber niemals eine Rotwahrnehmung erfahren. Dann, so scheint es, hat Mary trotz all des ange- häuften Wissens noch immer eine Wissenslücke: Sie weiß nicht, wie es ist, ein rotes Ding zu sehen. Dieses Wissen kann sie nicht aus dem Studium naturwissenschaftlicher Theorien allein gewinnen. Um es zu erwerben, muss sie selber eine bestimmte Sinneserfahrung machen, sie muss in passen- den Lichtverhältnissen etwas Rotes sehen. Stimmt man den obigen Überlegungen zu, scheint jede rein naturwissenschaftliche Theorie des Geistes einen blinden Fleck aufzuweisen. Denn eine solche Theorie redet über mentale Erfahrun- gen, ordnet sie physischen Vorgängen zu und erlaubt zuverlässige Prognosen, wann diese Vor- gänge und damit die zugeordneten Erfahrungen auftreten. Aber sie kann keine informative Prog- nose darüber abgeben, wie es ist, bestimmte Erfahrungen zu machen, die man selber noch nicht gemacht hat. Bestenfalls kann sie das, wenn die neuen Erfahrungen bereits gemachten Erfahrun- gen sehr ähneln. Sie kann vielleicht voraussagen, dass man unter bestimmten Bedingungen einen Schmerz empfindet, den man so noch nicht empfunden hat, der sich aber von bisher empfunde- nen Schmerzen nur in der Intensität unterscheidet. Dann kann man vielleicht wissen, wie sich ein solcher Schmerz anfühlen würde, indem man von seinen bisherigen Erfahrungen abstrahiert. Aber keine Theorie wird uns wissen lassen, wie sich eine mentale Erfahrung einer Art anfühlt, wie wir sie noch nie erlebt haben; wie etwa die Sonarwahrnehmung der Fledermaus oder die Rotwahrneh- mung, die von der Erfahrungswelt eines Bunkerbewohners gar zu weit entfernt ist. Dieses wie es ist, eine bestimmte geistige Episode zu durchlaufen, wird oft auch als der phänomenale Aspekt der geistigen Episode bezeichnet. Das Problem für den Physikalismus kann man also auch folgendermaßen festhalten: Selbst eine vollumfängliche physikalische Theorie von Körper und Geist wird uns kein Wissen vom phänomenalen Aspekt geistiger Episoden verschaffen, die wir Seite 71 Kap IV. Wir: Körper und Geist nicht bereits selber erlebt haben. (Vielleicht mit der Ausnahme bestimmter Episoden, die sehr ähnlich zu solchen sind, die wir bereits erlebt haben. §5.c. Und nun? Sollte man aus den obigen Überlegungen jetzt den Schluss ziehen, der Geist sei dann wohl doch nichts Körperliches? Nicht unbedingt. Eine sozusagen versöhnliche Position hierzu sagt: Der Phy- sikalismus hat Recht, den Geist mit dem Körper zu identifizieren. Aber geistige Zustände haben die Besonderheit, dass man sie aus zwei unterschiedlichen Perspektiven betrachten kann, die sich nicht aufeinander reduzieren lassen. Wir können sie aus der Außenperspektive betrachten; dann be- greifen wir sie als Vorgänge in der physischen Welt und können sie im Rahmen naturwissenschaft- licher Theorien untersuchen. Aber geistige Zustände und Vorgänge kann man alternativ auch aus der Innenperspektive betrachten. Das tut man, indem man sich in ihnen befindet oder sie durchlebt. Dann erfährt man ihren phänomenalen Charakter, weiß, wie es ist, sich in ihnen zu befinden oder sie zu durchleben. Diese Innenperspektive ist nicht durch die naturwissenschaftliche Perspektive ersetzbar; aber es ist eine Perspektive auf dieselbe Sache, die in den Naturwissenschaften aus der Außenperspektive untersucht wird. Diese Auffassung wird manchmal als Doppelaspekt-Theorie be- zeichnet. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber für mich hat diese Auffassung einen angenehm salomoni- schen Charme. Sie gliedert den Geist in ein wissenschaftlich fundiertes Weltbild ein, lässt ihm aber auch seine Besonderheit. Seite 72 Kap IV. Wir: Körper und Geist Rekapitulation 1. Geist In der Philosophie: Der Sitz aller Gedanken & Empfindungen (bewusst & unbewusst). 2. Identität A ist genau dann mit B identisch, wenn es sich um ein und dasselbe Ding handelt. Zwei Dinge A und B sind gleich/ähnlich, wenn sie Eigenschaften gemein haben. Jedes Ding steht zu sich selbst und zu sonst nichts in der Beziehung der Identität. IDENTITÄTSPRINZIP: Wenn A identisch ist mit B, dann hat A alle Eigenschaften von B (und B alle von A). 3. Dualismus & die Seelen-Auffassung Minimalthese Der Geist ist nicht identisch mit dem Körper. Seele-These 1 Die Seele ist immateriell. Seele-These 2 Die Seele steht mit dem Körper in einer Wechselwirkung. Seele-These 3 Die Seele kann körperlos existieren. Seele-These 4 Die Seele ist das Ich, die Person. Seele-These 5 Die Seele ist unsterblich. 4. Zwei dualistische Argumente P1 Körper und Geist haben verschiedene Eigenschaften. P2 Wenn Körper & Geist identisch wären, müssten sie dieselben Eigenschaften haben. K Also sind Körper und Geist nicht identisch. P1 Es ist vorstellbar, dass mein Geist ohne Körper existiert. P2 Was vorstellbar ist, ist möglich. P3 Wären Geist und Körper identisch, wäre es unmöglich, dass der Geist körperlos existiert. K Also ist mein Geist nicht mit meinem Körper identisch 5. Problem des Dualismus Es ist keine Einwirkung eines immateriellen Geistes auf den Körper nachweisbar. Nachweisbar ist hingegen, dass im Hirn fürs Denken wesentliche Prozesse ablaufen. Daher ist mysteriös, wie eine körperlose Seele denken könnte. 6. Physikalismus Der Geist ist der Körper. Diese Identität lässt naturwissenschaftliche Theorien vom Körper unangetastet. Sie verheißt eine naturwissenschaftliche Theorie vom Geist, die uns alles Wissen über den Geist vermittelt, das man haben kann. 7. Problem des Physikalismus Keine rein naturwissenschaftliche Theorie vom Geist kann prognostizieren, wie es ist, be- stimmte geistige Erlebnisse zu haben (d.h. ihren phänomenalen Charakter). Seite 73 Kap IV. Wir: Körper und Geist Gelehrige Anmerkungen Disclaimer: Ich sollte nochmal betonen, dass die Diskussion um das Körper-Geist-Verhältnis un- gemein ausdifferenziert und verästelt ist. Ich habe in diesem Kapitel daher mit einem sehr breiten Pinsel zeichnen müssen. Was Sie in hier gelesen haben, ist als Einstieg in die Fragestellung gemeint, und nur als solcher. Aber sehr vieles muss genauer und oft auch anders dargestellt werden, wenn man tiefer in die Diskussion einsteigt. Das betrifft zum Beispiel bereits die beiden Thesen von Dualismus und Physikalismus. Denn tatsächlich wird zwischen einer ganzen Reihe dualistischer und physikalistischer Positionen unterschieden, die ich hier sozusagen über einen Kamm geschert habe. ▪ Der vorgestellte Identitätsbegriff ist Standard in moderner Logik; siehe z.B. Graeme Forbes, Modern Logic (Oxford University Press 1994). ▪ Das Vorstellbarkeitsargument ist eine vereinfachte Version eines berühmt gewordenen Ar- guments von René Descartes (Mediationen IV). Der war auch Vertreter einer Version des Du- alismus, wie sie hier vorgestellt wurde (inkl. Unsterblichkeit). ▪ Wie es ist, eine Fledermaus zu sein, diskutiert Thomas Nagel („What Is It Like to Be a Bat?“, The Philosophical Review 83, 1974). ▪ Mary stammt von Frank Jackson („Epiphenomenal Qualia“, Philosophical Quarterly 32, 1982). ▪ Es gibt zahlreiche Überblicksartikel, welche die mannigfachen Äste der Debatte über Dualis- mus und Physikalismus verfolgen; zum Beispiel auf Stanford Encyclopedia of Philosophy (wobei die dann meist für eine fortgeschrittene Leserschaft und daher voraussetzungsreich sind). Seite 74