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Christiane Schiersmann und Heinz-Ulrich Thiel

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coaching coaching process research therapy psychology

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This book explores coaching process research, examining the theory and practice of coaching in dialogue. It discusses the interplay between coaching and therapy, highlighting the role of reflection in the coaching process.

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Was wirkt eigentlich in der Beratung? Auf dem Weg zu einer allgemeinen Theorie der Beratung Christiane Schiersmann und Heinz-Ulrich Thiel In diesem Beitrag wird einleitend das zugrunde gelegte Verständnis von Beratung erläutert, demzufolge Coaching als spezifisches Beratungsformat angesehen wird....

Was wirkt eigentlich in der Beratung? Auf dem Weg zu einer allgemeinen Theorie der Beratung Christiane Schiersmann und Heinz-Ulrich Thiel In diesem Beitrag wird einleitend das zugrunde gelegte Verständnis von Beratung erläutert, demzufolge Coaching als spezifisches Beratungsformat angesehen wird. Zudem werden kurz Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Interventionsformen Beratung und Psychotherapie skizziert, da im weiteren Text auch auf Ergebnisse der Psychotherapieforschung zurückgegriffen wird, die im Vergleich zur noch recht jungen Beratungs- und Coaching-Forschung umfangreicher ist. Beratung (und Therapie) orientierten sich bislang weitgehend an sogenannten Schulen (z.B. personzentriert, systemisch, lösungsorientiert) mit spezifischen Gesprächsstilen bzw. Interventionsmethoden. Jüngere Forschungsergebnisse zeigen, dass unterschiedliche Therapiekonzepte zu vergleichbaren Ergebnissen führen und die eingesetzten Methoden nur zu einem sehr geringen Teil die Ergebnisse erklären. Dies legt die Suche nach allgemeineren Wirk- bzw. Erfolgsfaktoren für die unterschiedlichen Beratungsformate nahe. Ausführlicher eingegangen wird auf ein eigenes, theoretisch und empirisch begründetes Modell zur Gestaltung und Analyse von Beratung, das einen Beitrag zu deren weiterer Professionalisierung leisten soll. Es verknüpft das phasenorientierte Problemlösemodell mit der Theorie der Selbstorganisation sowie den ihr zugeordneten Wirkprinzipien und strebt somit eine Verzahnung von zwei (metatheoretischen) Prozessmodellen an. Außerdem wird der Reflexion als zentraler Kategorie von Beratung und Kompetenz in unserer Gesellschaft in diesem Konzept ein besonderer Stellenwert zugewiesen. Der Reflexionsprozess kann helfen, die Komplexität und Unsicherheit eines Veränderungsprozesses besser zu bewältigen. Der gewählte theoretische Bezugsrahmen ermöglicht es in der Praxis, verschiedene Beratungskonzepte für unterschiedliche Beratungsformate begründet miteinander zu kombinieren und aus einem breiten Methodenpool zu schöpfen. 177 1 Arbeitsweltbezogene Beratung 1.1 Coaching als spezifisches Beratungsformat Der Beratungsbegriff wird sehr diffus verwendet und ist nicht geschützt. Im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen steht die professionelle Beratung – ohne damit kollegiale oder informelle Beratungssettings gering zu schätzen. Eine weitere Eingrenzung besteht darin, dass die folgenden Ausführungen (bildungs- und) arbeitsweltbezogene Formate fokussieren. Von Beratung wird zudem nur dann gesprochen, wenn die Kommunikation zwischen Berater und Ratsuchenden neben der Informationsvermittlung die Reflexion von Sachverhalten im Sinne eines subjektiv bedeutsamen Lernens beinhaltet. Arbeitsweltbezogene Beratung umfasst sowohl personen- als auch organisationsbezogene Beratungsanlässe bzw. -formate, wie Abbildung 1 veranschaulicht. In der personenbezogenen Beratung handelt es sich bei den Ratsuchenden in der Regel um eine Person, bei einem Gruppensetting auch um mehrere Personen, wobei es dann ebenfalls um die je individuellen Anliegen geht. Coaching bzw. Supervision, Bildungs- und Berufs- bzw. Karriereberatung wären dafür typische Formate. Organisationsbezogene Beratung kann sich auf Teams (Teamcoaching), Abteilungen, organisationsbezogenes Coaching oder eine gesamte Organisation beziehen. Coaching als spezifisches Beratungsformat lässt sich demzufolge sowohl der personenbezogenen Beratung zuordnen, zum Beispiel wenn Individuen freiwillig einen Coach aufsuchen, als auch der organisationsbezogenen Beratung, wenn Coaching zum Beispiel ein ganzes Team oder die gesamte Führungsebene umfasst (z.B. Buner & Hankovszky, 2000). 1.2 Systemisches Kontextmodell arbeitsweltbezogener Beratung Den folgenden Ausführungen liegt ein systemisches Verständnis von Beratung zugrunde. Allerdings ist es nicht ganz einfach, aus heutiger Sicht zu definieren, was denn mit dieser Begrifflichkeit gemeint ist, denn es haben sich – mit Bezug auf sehr unterschiedliche Wissenschaftsdisziplinen von den Naturwissenschaften bis zur Soziologie – sehr unterschiedliche Ansätze herausgebildet. Das Gemeinsame dieser Ansätze ist in erster Linie darin zu sehen, dass sie das komplexe Zusammenwirken von Einflussfaktoren in den Blick nehmen und statt der Annahme linear-kausaler Zusammenhänge vor allem auf die Herausarbeitung von Wechselwirkungen, Mustern und Kontextbedingungen fokussieren. In 178 Abschnitt 3 werden zwei systemische Zugänge für ein integratives Prozessmodell von Beratung noch expliziter erläutert. Im Sinne eines solchen systemischen Verständnisses ist davon auszugehen, dass sich das Beratungssystem aus zwei unterschiedlichen Teilsystemen zusammensetzt (zum Folgenden vgl. Abb. 1). Beratende sowie Ratsuchende bringen sich mit ihrer Biografie, ihren Einstellungen, Kompetenzen und Erfahrungen sowie ihren individuellen arbeits- und lebensweltlichen Kontexten/sozialen Netzwerken (Kollegen, Vorgesetzte, Familie, Freunde) in den Beratungsprozess ein. Das beratende System stellt zusätzlich professionelle Handlungskompetenzen im Prozess zur Verfügung. Gemeinsam stellen Beratende und Ratsuchende eine für den Beratungsprozess tragfähige Beziehung her, klären Ziele, identifizieren Motive und Ressourcen für den Veränderungsprozess, entwickeln Lösungswege, planen und begleiten die Umsetzung. Es handelt sich folglich um eine Interaktion zwischen zwei Teilsystemen, die zwischenmenschlich auf gleicher Augenhöhe stattfindet. In den Beratungsprozess fließen neben den persönlichen Ressourcen der Ratsuchenden und der Beratenden organisationale Kontexte ein, auf die die Beratung wiederum zurückwirkt. Dieser Aspekt betrifft sowohl die Struktur und Kultur der Organisation, die die Beratung anbietet, als auch der Organisation, in der der Ratsuchende tätig ist bzw. sein möchte. Auch spielt es eine Rolle, ob es sich um eine freiwillig nachgefragte oder vom Betrieb „verordnete“ Beratung handelt. 179 Abbildung 1: Systemisches Kontextmodell arbeitsweltbezogener Beratung. In Anlehnung an Schiersmann & Thiel (2014, S. 54) Beratung ist ebenso in umfassendere gesellschaftliche Kontexte eingebunden – unter anderem arbeitsmarktpolitische, ökonomische, rechtliche, technologische, demografische oder interkulturelle. Mit der Dimension des gesellschaftlichen Kontexts von Beratung ist aber ebenso die Stellung bzw. Wertschätzung angesprochen, die eine Gesellschaft der Interventionsform Beratung entgegenbringt. Dies betrifft zum Beispiel die Frage, ob die Inanspruchnahme von Beratung eher als Reaktion auf persönliche Defizite oder Probleme aufgefasst wird oder aber als selbstverständliche reflexive Begleitung von Veränderungsprozessen in einer komplexen Gesellschaft. Im Hinblick auf die Gestaltung und Analyse von Beratung ist davon auszugehen, dass Beratungsanlässe in der Regel aus dem dynamischen Zusammenspiel von individuellen, organisationalen und gesellschaftlichen Entwicklungen resultieren und alle diese Faktoren in den Prozess der Beratung hineinwirken. Sich dies bewusst zu machen, vermittelt einen Eindruck von der Komplexität eines Beratungsprozesses. 180 1.3 Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Beratung und Psychotherapie Im Folgenden wird begründet, dass die Gemeinsamkeiten von Beratung und Therapie gegenüber den Differenzen deutlich überwiegen. Eine Abgrenzung wird von einigen Autoren sogar grundsätzlich infrage gestellt (z.B. Borg-Laufs, 2004, S. 636; Bamberger, 2010, S. 49; Ludewig, 2005, S. 16; Näheres zum Folgenden bei: Schiersmann, Friesenhahn & Wahl, 2015, S. 12ff.). Zunächst ist in Erinnerung zu rufen, dass es sich bei den meisten Therapie- bzw. Beratungsschulen um praktische Anwendungsfelder wissenschaftlicher Theorien bzw. Experimente handelt. So bildet zum Beispiel die Lernpsychologie die Grundlage sowohl der Verhaltenstherapie als auch der (kognitiv-)behavioralen Beratung. Die systemische (Familien-)Therapie basiert ebenso wie die systemische Beratung auf allgemeinen systemtheoretischen Axiomen sowie den kommunikationstheoretischen Überlegungen von Bateson (1981) und Watzlawick (Watzlawick, Beavin & Jackson, 1969). Ebenfalls lassen sich bei beiden Interventionsformaten vergleichbare Ziele konstatieren, die in den einzelnen Ansätzen etwas unterschiedlich akzentuiert werden, aber doch im Prinzip auf die Stärkung der Ressourcen zur Problembewältigung ausgerichtet sind – häufig auch als Hilfe zur Selbsthilfe formuliert. Darüber hinaus ist nicht zu übersehen, dass die methodische Prozessgestaltung in der Beratung und der Psychotherapie große Gemeinsamkeiten aufweist: Es wird jeweils auf gleiche Kompetenzen/Gesprächsstile zurückgegriffen – wie die Grundhaltungen in der personzentrierten Beratung, systemische oder lösungsorientierte Fragestile. Lange Zeit ging die Fachdiskussion davon aus, dass sich Beratung und Therapie durch die Dauer des Prozesses und Häufigkeit der Kontakte unterscheiden: Dieses Kriterium ist allerdings angesichts der Tatsache, dass sich auf der einen Seite zunehmend auch Kurztherapien durchsetzen und auf der anderen Seite einige Beratungsformate wie das Coaching oder die Superversion durchaus einen längeren Zeitraum und eine Vielzahl von Treffen umfassen können, ebenfalls als eher idealtypisch zu charakterisieren. Als Differenz zwischen beiden Interventionsformen kann vorrangig die Störungstiefe angesehen werden. Beratung ist dann angesagt, wenn die Ratsuchenden im Prinzip im Alltag handlungsfähig sind, das heißt über ausreichende Fähigkeiten zur Selbststeuerung verfügen, jedoch zu einem spezifischen Aspekt einen Klärungs- bzw. Unterstützungsbedarf formulieren. Therapie ist für Situationen angemessen, in denen die betreffende Person bei der Bewältigung ihres Alltags nachhaltig eingeschränkt ist. Dabei handelt es sich häufig um 181 existenzielle Grenzsituationen mit tiefen emotionalen Erschütterungen und dem Gefühl der Aussichtslosigkeit (Thiel, Brückner & Beck, 1991, S. 14). Als tendenzieller Unterschied kann weiter angeführt werden, dass bei der Beratung in der Regel der Informationsanteil größer ist als in der Therapie. Für Entscheidungsprozesse, die in Beratungssituationen von Bedeutung sind, benötigen die Ratsuchenden subjektiv relevantes Wissen. Aber auch hierbei handelt es sich eher um einen relativen Unterschied. So betont zum Beispiel Borg-Laufs (2004, S. 637) für die Verhaltenstherapie, dass die Klienten ihre Probleme und die Veränderungsmöglichkeiten verstehen sollen. Somit impliziert zumindest eine Verhaltenstherapie häufig auch einen hohen informativen Anteil. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen ist zu bilanzieren, dass sich konzeptionell weit mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen Beratung und Therapie identifizieren lassen. Verschiedene Autoren (z.B. Alterhoff, 1983, S. 28) vertreten sogar die Position, dass Beratung der weitere Begriff sei und Psychotherapie eher ein Spezialfall von Beratung darstelle. Daher erscheint es angemessen, bei der weiteren Argumentation auch auf die Psychotherapieforschung Bezug zu nehmen. Von ihr ging auch die Suche nach allgemeinen Wirkfaktoren aus, auf die in Abschnitt 2 näher eingegangen wird. 2 Von „Schulen“ zu Wirk- bzw. Erfolgsfaktoren Die Ausgestaltung von Beratungsprozessen basierte bislang weitgehend auf sogenannten Therapie- bzw. Beratungsschulen, zum Beispiel der personzentrierten Beratung (z.B. Rogers & Schmid, 2004), der kognitiven Verhaltensberatung (z.B. Thiel, 2003a; Borg-Laufs, 2004), systemischen Ansätzen (z.B. Schlippe & Schweitzer, 2012) oder der lösungsorientierten Beratung (z.B. Bamberger, 2010), – sofern denn das Beratungsgeschehen überhaupt theoriegeleitet erfolgt. Gegenwärtig ist das Plädoyer für einen Methoden-Mix in vielen Veröffentlichungen fast zur Selbstverständlichkeit geworden (Klein, 2005), häufig allerdings ohne Begründung und ohne Angabe der Herkunft der Versatzstücke. Die Psychotherapieforschung untermauert die Relativität der Bedeutung bestimmter Verfahren (zum Folgenden: Schiepek, Eckert & Kravanja, 2013, S. 15ff.). Metaanalysen zufolge erklären Behandlungstechniken nur einen sehr geringen Anteil der Ergebnisse (je nach Studie zwischen 15 Prozent und einem Prozent des Therapieergebnisses). Praktisch alle Therapieverfahren, die in experimentellen Vergleichen gegeneinander getestet wurden, führten zu annähernd gleichen Effekten, was in der Literatur auch als Dodo-Bird-Effekt („alle gewinnen“) bezeichnet wird. 182 Diese Befundlage führt zur Suche nach sogenannten common factors bzw. allgemeinen Wirkfaktoren, die für die Ausgestaltung und den Erfolg jeder Form von Therapie- bzw. Beratungsprozessen ausschlaggebend sind. Das Konzept der allgemeinen Wirkfaktoren wurde bereits 1936 in einer Publikation von Rosenzweig eingeführt (common component model; vgl. auch Duncan 2002). Frank hat dieses Konzept dann (1981, engl. 1961) weiter ausgearbeitet. Er vertritt die These, dass die Wirkfaktoren sich vor allem auf Prinzipien zurückführen lassen, die auch von Heilern, Schamanen oder in der Frühzeit der Medizin eingesetzt wurden. In der Folgezeit gab es verschiedene Ansätze, auf empirischer Basis Wirkfaktoren zu identifizieren. Zwei prominente Konzepte werden im Folgenden exemplarisch skizziert. Das generische Modell der Psychotherapie (generic model of psychotherapy) von Orlinsky und Howard (1987), das mehrfach erweitert wurde (Orlinsky, Rönnestad & Willutzki 2004), basiert auf der Auswertung zahlreicher Psychotherapiestudien. Das Konzept von 2004 differenziert zwischen Input-Variablen (z.B. therapierelevante Merkmale des Therapeuten und des Patienten, das Setting), Prozess-Variablen als Voraussetzungen für Veränderungen (s.u.), Output-Variablen (Erfahrungen während der Sitzung) und Outcome-Variablen (reale Veränderungen nach den Sitzungen im Alltag). Die sich wechselseitig beeinflussenden Bestandteile des therapeutischen Prozesses beinhalten einen – organisatorischen Aspekt: therapeutischer Vertrag (inkl. Behandlungsmodell des Therapeuten); – technischen Aspekt: therapeutische Maßnahmen; – interpersonalen Aspekt: therapeutische Beziehung; – intrapersonalen Aspekt: Selbstbezogenheit; – klinischen Aspekt: Veränderungen während der Sitzung. Die besten Behandlungserfolge sind nach diesem Modell dann zu erwarten, wenn diese Bestandteile optimal aufeinander abgestimmt sind. Im deutschsprachigen Raum führte Grawe in den 1990er Jahren umfangreiche, nach ausgewiesenen Gütekriterien durchgeführte Sekundäranalysen zu 42 Therapierichtungen durch. In der Veröffentlichung von 1994 (Grawe et al., 1994) werden drei, in der von 2000 (Grawe, 2000, S. 87ff.), auf die im Folgenden Bezug genommen wird, vier unterschieden: – Ressourcenaktivierung Grawe geht davon aus, dass die Ressourcenaktivierung die gute Beziehung im Therapiesetting fördert, direkte Auswirkungen auf das Wohlbefinden des Ratsuchenden 183 hat und zu selbstwerterhöhenden Wahrnehmungen führt. Dies wiederum beeinflusst die eigenen Veränderungsversuche positiv. – Prozessuale Aktivierung Beim Wirkprinzip der prozessualen Aktivierung steht die unmittelbare Erfahrung des Klienten oder der Klientin im Mittelpunkt. Die Aufmerksamkeit wird auf das gelenkt, was gerade in der Ratsuchenden abläuft, was sie wahrnimmt, denkt, fühlt, tut oder vermeiden möchte. Dazu gehören auch die emotionale Beteiligung, der Umgang mit den Inhalten ihres Erlebens, der Bezug auf eigene Werte und Intentionen sowie die Aufmerksamkeit auf den Bearbeitungsprozess selbst. – Intentionsveränderung Das Wirkprinzip der Intentionsveränderung betrifft das klärungs- und motivationsorientierte Vorgehen, bei dem Ziele, Werte, Bedürfnisse und damit einhergehende Konflikte im Erleben und Verhalten des Ratsuchenden gemeinsam bearbeitet werden. Dieser Fokus ist zum Beispiel typisch für die personzentrierte Therapie bzw. Beratung. – Intentionsrealisierung Das Wirkprinzip der Intentionsrealisierung fokussiert die Umsetzung von Absichten. Der Professionelle unterstützt die Klientin dabei, durch geeignete Maßnahmen Lösungswege zu realisieren. Auf dieses Wirkprinzip setzt zum Beispiel die (kognitive) Verhaltensberatung. Grawe (2000) hat auf dieser Basis ein Modell einer allgemeinen Psychotherapie entwickelt, das eine schulenübergreifende Therapieausbildung impliziert. Greif (2008, 2015) hat die Überlegungen von Grawe und Mitarbeitenden ebenso wie auch Roth und Ryba (2016) aufgegriffen und für den Bereich des Coachings reformuliert und weiterentwickelt. 3 Integratives Prozessmodell der Beratung Die bisher dargestellten Systematiken von Wirkfaktoren sind auf der Basis umfangreicher Sekundäranalysen empirischer Studien entstanden. Auf dem angestrebten Weg zu einer allgemeinen Beratungstheorie stellt sich die Frage, wie sich Wirkfaktoren noch stärker theoretisch fundieren lassen. Im Folgenden wird dazu ein integratives Prozessmodell vorgestellt, das das Konzept des phasenorientierten Problemlösens mit der Theorie der Selbstorganisation und den zugeordneten generischen Prinzipien verknüpft und zudem die Dimension der Reflexion ins Zentrum des Beratungsverständnisses rückt. 184 Abbildung 2: Prozessmodell integrativer Beratung von Personen und Organisationen (in Anlehnung an Schiermann & Thiel, 2014, S. 99) 3.1 Phasenmodell des komplexen Problemlösens Professionelle Beratung lässt sich unter anderem dadurch charakterisieren, dass eine (ungefähre) Vorstellung darüber besteht, in welche inhaltlichen und zeitlichen (Arbeits- )Schritte sich der komplexe Prozess heuristisch strukturieren lässt. Nahezu alle personen- und organisationsbezogenen Beratungsansätze weisen dementsprechend ein mehr oder weniger explizites Phasenschema auf (z.B. Thiel, 2003b; Beisel, 2006; König & Volmer 2012). Eine transparente Ablaufstruktur für den dynamischen Prozess gibt sowohl Beratenden als auch Ratsuchenden eine gewisse Stabilität angesichts des mit Instabilität einhergehenden Veränderungsprozesses. Es ist daher naheliegend, sich der theoretisch begründeten und empirisch fundierten Problemlösepsychologie als Metatheorie zu bedienen (Dörner, Schaub & Strohschneider, 1999). Dörner (1976) definiert ein Problem durch drei Merkmale: einen unerwünschten Ausgangszustand, eine gewünschte Veränderung als Ziel und eine Wegstrecke, die unter 185 Einsatz unterschiedlicher Mittel und Methoden zurückgelegt werden muss. Dabei ist in der Beratung häufig von einem dialektischen Problemtypus auszugehen, bei dem zu Beginn weder das Ziel ganz klar noch die notwendigen Methoden auf dem Weg dahin hinreichend bekannt sind. Nach der Auftragsklärung/dem Kont(r)akt lassen sich folgende Phasen identifizieren (vgl. Abb. 2; ausführlicher dazu: Schiersmann & Thiel, 2014, S. 65ff.): – die Problemerkundung und eine mehr oder weniger intensive Analyse der Ist- Situation/Ausgangslage (Problem); – die Zielklärung und -konkretisierung (Ziele); – die Ideensammlung und Strukturierung möglicher Veränderungsschritte, alternativer Lösungswege und Maßnahmen zur Zielerreichung (Wege); – die Planung der Schritte/der Umsetzung (Planung); – die Umsetzung und Kontrolle der Durchführung (Umsetzung); – die Evaluation, Reflexion und der Transfer von Ergebnissen (Evaluation). Es handelt sich bei diesem Phasenmodell nicht um eine normativ vorgegebene und auch nicht unbedingt um eine sequenziell zu durchlaufende zeitliche Abfolge. Häufig ist ein „vielfältiges Hin- und Herspringen zwischen diesen verschiedenen Stationen“ bzw. Phasen erforderlich (Dörner, 2007, S. 73; Ulrich & Probst, 1991, S. 114ff. für die Organisationsberatung). So kann statt mit einer ausführlichen Diagnose der Ist-Situation auch mit der Zielklärung begonnen werden oder mit einer Sammlung konkreter Lösungsschritte in Form eines Brainstormings. Das mehrfache Durchlaufen dieser Schritte ist als iterativer Prozess zu betrachten. In Abbildung 2 werden die Phasen durch ein Netz verknüpft, das die Wechselwirkungen und längeren, zirkulären Rückkoppelungsschleifen zwischen potenziell allen Phasen darstellt. Die letztlich im Detail nicht vorhersehbare und auch nicht steuerbare Komplexität dieser Wechselwirkungen macht das Systemische im oben definierten Sinne aus. Solche Phasen können deshalb als aufgabenbezogene Erfolgs- bzw. Wirkfaktoren bezeichnet werden (Gerkhardt & Frey, 2006, S. 52). 3.2 Theorie der Selbstorganisation und die generischen Prinzipien 3.2.1 Synergetik als Theorie der Selbstorganisation Auch wenn ein systemisch konzipiertes Phasenschema für eine vorläufige Planung unverzichtbar ist, so ist doch unstrittig, dass die realen Veränderungsprozesse nicht linear, sondern sprunghaft verlaufen. Um dies angemessen abbilden zu können, wird auf die Theorie 186 der Selbstorganisation, die Synergetik rekurriert. Diese auf den Physiker Hermann Haken (1984) zurückgehende Theorie fokussiert den Prozess von Veränderungen, im Verständnis dieser Theorie als Prozess von Selbstorganisation (ausführlicher dazu: Haken & Schiepek, 2010; Schiersmann & Thiel, 2012), den der Berater unterstützen kann. Im Zentrum der Betrachtung steht die Entstehung und Veränderung von Mustern, zum Beispiel die Übergänge von Unordnung zu Ordnung oder von einer alten zu einer neuen Ordnung. In einem sich selbst organisierenden System geht es um das wechselseitige, kreiskausale Zusammenwirken vieler Elemente und Prozesse. Es wird zwischen einer mikroskopischen und einer makroskopischen Ebene unterschieden. Das System auf der mikroskopischen Ebene besteht aus sehr vielen Komponenten, zum Beispiel den psychischen Dimensionen einer Person oder den Beziehungen zwischen Mitgliedern einer Organisation. Bei hinreichender intrasystemischer Vernetzung zwischen den Elementen auf der mikroskopischen Ebene kann sich ein makroskopisches Muster herausbilden, zum Beispiel eine bestimmte Führungskultur. Dabei organisieren sich die einzelnen Teile durch kreiskausale Prozesse der positiven und negativen Rückkoppelung beziehungsweise der Selbstverstärkung minimaler Anfangsunterschiede selbst. Auf diese Weise bildet sich eine (neue) Ordnung, ein (verändertes) Muster. Dieses bindet dann die Einzelelemente ein, wodurch sich deren Freiheitsgrade drastisch reduzieren. Es liegt somit eine kreiskausale Wirkung nicht nur zwischen den Elementen des Systems, sondern auch zwischen der Mikro- und der Makroebene vor (Haken & Schiepek, 2010, S. 134). Dabei bildet jedes komplexe System eine ihm eigene Ordnung aus, ein ihm eigenes Zusammenspiel der Kräfte. Selbstorganisation setzt eine systeminterne Aktivierung von Energie (Energetisierung) voraus. Einflussgrößen, die diese inneren Wechselwirkungen der Elemente des Systems aktivieren und modulieren, werden als Kontrollparameter bezeichnet. Diese fördern die Destabilisierung von (unerwünschten) Mustern. Sobald die dadurch ausgelösten Schwingungen/Fluktuationen kritische Werte annehmen, kann sich das Systemverhalten schlagartig ändern, und es entstehen neue Muster (Haken & Schiepek, 2010, S. 80). In physikalischen Systemen stellt zum Beispiel die Veränderung der Energiezufuhr wie Licht oder Wärme einen Kontrollparameter dar. Für soziale Systeme wird die Motivation als zentraler Kontrollparameter hervorgehoben. 3.2.2 Die generischen Prinzipien Haken und Schiepek (2010) haben aus der Synergetik, der Gehirnforschung, der Chaostheorie und den Befunden der Psychotherapieforschung sogenannte generische 187 Prinzipien (generisch = erzeugend) für die Förderung sich selbst organisierender Entwicklungen abgeleitet. Aus unserer Sicht sind sie mit Wirkfaktoren bzw. -prinzipien vergleichbar und bieten eine allgemeine Orientierung für jede Intervention bzw. jede Gestaltung von Ordnungswandel – sei es Beratung, Therapie, Organisationsentwicklung oder Lernen allgemein (Haken & Schiepek, 2010, S. 628). Diese generischen Prinzipien werden im Folgenden überblicksartig erläutert (Näheres dazu bei Schiersmann & Thiel, 2012; Schiersmann, Friesenhahn & Wahl, 2015). Dabei wurden gegenüber der Darstellung von Haken und Schiepek (2010, S. 436ff., S. 628ff.; Schiepek, Eckert & Kravanja, 2013, S. 39ff.) einige Modifikationen vorgenommen. Sie resultieren im Wesentlichen daraus, dass die generischen Prinzipien in Verbindung mit dem erläuterten Phasenmodell gebracht und auf Beratung übertragen werden. – Stabile Bedingungen schaffen Die Bearbeitung der Anliegen von Ratsuchenden, das heißt der Übergang von einem alten, unerwünschten zu einem neuen, erwünschten Muster, geht mit Instabilität einher. Daher besteht eine zentrale Aufgabe von Beratenden darin, gemeinsam mit Ratsuchenden stabile Rahmenbedingungen für den Veränderungsprozess zu schaffen und so für strukturelle und emotionale Sicherheit bei den Beteiligten zu sorgen. Dabei geht es um eine angenehme Ausgestaltung des Settings, die Erläuterung des Vorgehens, das Abklären von Erwartungen. Ebenso geht es im Kontext dieses Prinzips um das Vertrauen des Ratsuchenden zur Beraterin (in deren Kompetenz, Glaubwürdigkeit, emotionale Standfestigkeit) sowie die Unterstützung, die der Ratsuchende aus sich selbst bezieht (Erfahrung von Selbstwirksamkeit, Zugang zu persönlichen Ressourcen). – Resonanz beachten Im Beratungsprozess angewandte Methoden und Verfahren müssen dem aktuellen kognitiv-emotionalen Zustand der Ratsuchenden entsprechen, um verstanden und aufgegriffen zu werden (Haken & Schiepek, 2010, S. 439). Hierzu zählen Körperhaltung, Sprechgeschwindigkeit, das Aufgreifen von Bildern, ideosynkratischen Begriffen oder Redewendungen. Das Finden einer angemessenen Bearbeitungstiefe bezieht sich auch auf die emotionale Dimension. – Muster des relevanten Systems identifizieren Bei diesem Prinzip geht es darum, das System zu identifizieren, auf das sich die Beratung beziehen soll. Hierzu gehört das Bestimmen von Systemgrenzen sowie das Erfassen und die Analyse der dynamischen Muster. Zur Realisierung dieses generischen Prinzips eignen sich insbesondere Visualisierungsmethoden bzw. systemische Modellierungen der 188 Ausgangssituation im Sinne der Konstruktion eines Netzwerks von Einflussfaktoren (Schiersmann & Thiel, 2016). – Ziele entwickeln/Sinnbezug herstellen Persönliche Entwicklungsziele müssen von den Ratsuchenden als sinnvoll erlebt werden und mit ihren zentralen Lebenskonzepten korrespondieren, damit die Veränderungsprozesse engagiert vorangebracht werden. – Energetisierung fördern/Kontrollparameter identifizieren Die energetische Aktivierung des Systems stellt eine zentrale Voraussetzung für Veränderungsprozesse dar. Es geht um die Herstellung motivationsfördernder Bedingungen, um die Aktivierung von Ressourcen, um die Herausarbeitung der emotionalen und motivationalen Bedeutung von Anliegen und Zielen des Ratsuchenden (Haken & Schiepek, 2010, S. 438). – Fluktuationsverstärkungen anregen Beratung zielt darauf ab, dem Ratsuchenden neue Erfahrungsmöglichkeiten zu eröffnen und unerwünschte Muster der Kognition, des Erlebens und Verhaltens zu destabilisieren. Hierzu können unterschiedliche Techniken eingesetzt werden, zum Beispiel Perspektivenerweiterung durch neue Informationen, Übungen und Rollenspiele, Verhaltensexperimente, Fokussierung auf Ausnahmen, Kraftfeldanalysen, Erarbeitung von veränderten Verständniszusammenhängen und Deutungen (Reframing) oder konfrontative Verfahren. – Symmetriebrechung unterstützen Symmetrie bedeutet in der Sprache der Synergetik, dass zwei Muster eines Systems im Zustand kritischer Instabilität potenziell mit gleicher oder ähnlicher Wahrscheinlichkeit realisiert werden können (Haken & Schiepek, 2010, S. 439). Da kleine Fluktuationen ausschlaggebend sein können, ist die Vorhersagbarkeit gering. Die Aufgabe der Beraterin besteht darin, diese kritische Instabilität zu erkennen und die Umsetzung von Elementen des neuen Musters zu unterstützen. Hierzu dienen Rollenspiele oder Pilotprojekte. Gesetzt wird dabei insbesondere auf die Intentionalität und Antizipationsfähigkeit des Menschen (z.B. über imaginierte Zustände oder die kognitive Antizipation von Verhaltensweisen). – Stabilisierung neuer Muster unterstützen Werden im Zuge des Beratungsprozesses positiv bewertete Kognitions-, Emotions- oder Verhaltensmuster erreicht, so gilt es, diese zu stabilisieren. Der Ratsuchende soll sich idealerweise mit den neuen Verhaltensweisen und Einstellungen sowie ihren Rahmenbedingungen identifizieren. Es geht darum, das neue Muster in das bestehende 189 Selbstkonzept zu integrieren und mit bestehenden kognitiv-emotionalen Schemata zu vernetzen. Maßnahmen zur Stabilisierung bzw. Generalisierung können sein: Feedbackschleifen, Wiederholungen, Variation, Nutzung in unterschiedlichen Situationen und Kontexten oder positive Verstärkung. 3.3 Verknüpfung der beiden Prozessmodelle für die Beratung Die generischen Prinzipien lassen sich aus unserer Sicht mit den Phasen des Problemlösemodells in Verbindung bringen (vgl. Abb. 2). Die drei generischen Prinzipien „Stabilitätsbedingungen schaffen“, „Resonanz beachten“ und „Energetisierung fördern“ sind über den ganzen Prozess der Beratung hinweg von zentraler Bedeutung. Den übrigen Prinzipien kommt in den verschiedenen Phasen eine unterschiedlich hohe Relevanz zu. Das Prinzip der Musteridentifizierung korrespondiert mit der Phase der Analyse der Ausgangssituation, Ziele/Sinnbezug mit der Phase der Zielklärung, Fluktuationsverstärkung mit Lösungswegen und Planung der Umsetzung, Symmetriebrechung mit Umsetzung sowie die Restabilisierung mit der Phase Evaluation/Transfer. Sowohl die Phasen als auch die generischen Prinzipien stellen daher Wirk- bzw. Erfolgsfaktoren für die Gestaltung und Analyse von Beratung dar. Dabei handelt es sich bei den Phasen eher um die aufgabenbezogene Dimension, bei den generischen Prinzipien eher um die sozialbezogene, das heißt um Überlegungen, wie der Berater die Bewältigung des Veränderungsprozesses fördern kann. Der entscheidende Vorteil dieses integrativen Ansatzes besteht darin, dass die Orientierung an generischen Prinzipien sowie an Phasen es erlaubt, Methoden bzw. Verfahren aus den unterschiedlichen beraterischen Schulen situationsspezifisch oder aufgrund der je individuellen Aus- bzw. Fortbildung der Beratenden einzusetzen. Dabei ist das Verhältnis zwischen Methoden/Techniken, Phasen und generischen Prinzipien mehrdeutig: Eine Methode kann sowohl der Umsetzung mehrerer Prinzipien als auch Phasen dienen, und ein Prinzip oder eine Phase kann durch verschiedene konkrete Methoden realisiert werden (Haken & Schiepek, 2010, S. 440f.). 3.4 Beratung als Reflexionsprozess Im Rahmen des Prozessmodells integrativer Beratung von Personen und Organisationen wird der Dimension der Reflexion ein zentraler Stellenwert zugewiesen. Reflexion wird in der Fachliteratur zunehmend als zentrales charakteristisches Merkmal von Beratung in verschiedenen Formaten definiert und als basale Kompetenz in unserer komplexen 190 Gesellschaft eingestuft (Tiefel, 2004, zur Erziehungs-/Familienberatung; Greif, 2008, zur ergebnisorientierten Selbstreflexion im Coaching; Moldaschl, 2010, zur reflexiven Organisationsberatung). Umso mehr verwundert es, dass zum einen nur sehr wenige einschlägige Veröffentlichungen diesen Begriff systematisch fassen und zum anderen Definition und Methodeneinsatz sehr unterschiedlich ausfallen. Reflexion setzt eine Perspektivenerweiterung durch Verstörung eingespielter Routinen des Denkens, Erlebens und Handelns voraus, um so unerwünschte Muster aufzubrechen, zum Beispiel durch systemisch-zirkuläre oder lösungsorientierte Fragen nach Ausnahmen und Visionen, durch das Hinterfragen von Generalisierungen o.Ä. sowie das Einnehmen anderer Zeit- und Wahrnehmungsperspektiven. Weiter können sich neue Sichtweisen durch die systematische Bearbeitung der verschiedenen Phasen des Problemlöseprozesses ergeben. Ebenso können die generischen Prinzipien als Bezugspunkte für die Perspektivenerweiterung herangezogen werden, insbesondere das Prinzip Zielfindung/Sinnbezug, das der Energetisierung bzw. der Fluktuationsverstärkung. Diese Perspektivenerweiterung ist dann im Hinblick darauf zu bewerten, ob es sich bei den neuen Sichtweisen um subjektiv bedeutsame bzw. nützliche Aspekte handelt. Die Bewertung erfolgt zunächst induktiv durch den Ratsuchenden, indem zum Beispiel als bedeutsam erlebte Wahrnehmungen mit dem Selbstkonzept und den bisherigen Erfahrungen abgeglichen werden. Der Berater kann zusätzlich theoriebezogene Kriterien für die Reflexion anbieten. Hierzu eignen sich zum Beispiel die von Grawe (2000, S. 385ff.) systematisierten Grundbedürfnisse (Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle, nach Lustgewinn und Unlustvermeidung, nach Bindung und nach Selbstwerterhöhung). Dabei wird davon ausgegangen, dass immer dort, wo Beratung aufgesucht wird, eine Verletzung eines oder mehrerer der Grundbedürfnisse vorliegt. Ebenso können zum Beispiel die unterschiedlichen, sogenannten neuro-logischen Ebenen nach Dilts (vgl. O’Connor & Seymour, 2000, S. 132ff.) als Orientierungspunkte für die Bewertung und Begründung herangezogen werden (Umwelt, Verhalten, Fähigkeiten, Werte/Überzeugungen, Identität und Zugehörigkeit). Reflexion kann eine retrospektive sowie eine prospektive Funktion übernehmen. So kann zum Beispiel bei der Analyse des Anliegens erörtert werden, ob die systematische Betrachtung zu einer neuen Wahrnehmung oder Einsicht führt. Im Hinblick auf die Zielkonkretisierung kann die Passung zum Selbstkonzept Gegenstand der Betrachtung werden. Die Reflexion übernimmt eine prospektive Funktion, indem auf der Grundlage von bestehenden Wissens- und Erfahrungsbeständen zukünftige Handlungen oder Veränderungen von Einstellungen in den Blick genommen werden (Gillen, 2009, S. 109). 191 In Anlehnung an Argyris und Schön (2008; Greif, 2008) lassen sich drei verschiedene Ebenen der Reflexion unterscheiden (Thiel, 2016): Bei der ersten Ebene handelt es sich um die Reflexion von konkretem Verhalten bzw. Handlungen im Rahmen vorhandener Ziele und Wertesysteme. So könnte im Coaching in Frage gestellt werden, ob das Verhalten der Führungskraft (des Coachees) gegenüber einem Mitarbeiter als angemessen angesehen werden kann. Die zweite Ebene bezieht Vorannahmen, Denkgewohnheiten, Werthaltungen des Coachees in den Reflexionsprozess ein. Das Überdenken dieser Einstellungen kann dann in einem zweiten Schritt auch Rückwirkungen auf das Verhalten haben. Die dritte Ebene thematisiert im Sinne von Batesons (1981) Konzept des Deutero-Lernens den Lernprozess selbst, das heißt, welche Erfahrungen im Beratungsprozess für die Ratsuchenden im Hinblick auf das zukünftige eigene Denken und Handeln bedeutsam waren. Dies schließt auch den Transfer dieser Erfahrungen auf andere Bereiche ein. Häufig wird der Begriff der Selbstreflexion anstelle des Begriffs der Reflexion verwandt. Damit wird darauf fokussiert, dass es vor allem um das eigene Handeln und dessen Relation zum Selbstkonzept geht. Wichtig erscheint jedoch, diesen Aspekt um eine Kontext- bzw. Strukturreflexion zu erweitern, das heißt, die Rahmenbedingungen des eigenen Handelns zu reflektieren (Lash, 1996, S. 203ff.). Hierzu kann das systemische Kontextmodell herangezogen werden (vgl. Abb. 1). So kann zum Beispiel im Hinblick auf die Planung reflektiert werden, welche Ressourcen und Regeln im Betrieb oder im sozialen Netzwerk eine neue Lösung fördern oder behindern. Reflexion ermöglicht Akte der Selbstdistanzierung, des kritischen Denkens und den Umgang mit Unsicherheit, Instabilität angesichts von Veränderung. Der Reflexionsprozess kann als verunsichernder, aber auch kreativer Prozess charakterisiert werden (Thiel, 2016). Dadurch, dass das Neue aus Sicht des Ratsuchenden als subjektiv wichtig empfunden, explizit begründet und damit erst wirklich verstanden wird, kann es Teil eines neuen Denkens, Erlebens und Handelns, des (Selbst-)Bewusstseins werden. Die Reflexion als Fähigkeit, das eigene Denken, Erleben und Handeln – einschließlich des Kontextes – in den verschiedenen Phasen des Beratungsprozesses zum Objekt der eigenen Betrachtung zu machen, ermöglicht – zumindest situativ – einen „Metastandpunkt“ (Dörner, 1994, S. 201) im Hinblick auf die Absichts- und Handlungsregulation. Am Ende der Reflexion sollte jeweils eine Entscheidung stehen, die die Planung des weiteren Vorgehens ermöglicht. Da ein zentrales Ziel von Beratung darin gesehen wird, Reflexion zu ermöglichen und zu fördern, ist dieser Prozess in Abbildung 2 als durchgängige, für einen erfolgreichen Beratungsprozess entscheidende Dimension gekennzeichnet. Reflexion spielt im Ansatz von 192 Dörner eher am Ende des Prozesses – bei der Evaluation – eine Rolle (Dörner, 1994, S. 291), beim Ansatz der Synergetik (Haken & Schiepek 2010) wird der Begriff nicht explizit benannt. Bei den bisherigen Ausführungen wurde der Reflexionsprozess auf die Ratsuchenden bezogen. Gleichermaßen gilt diese Anforderung mit allen ihren Aspekten aber auch für Beratende. Ihre Rolle lässt sich als die eines Mitspielers in einem komplexen, nicht linear planbaren Prozess mit vielen Einflussfaktoren charakterisieren, und sie können leicht in mikropolitische Spiele eingebunden werden (Iding, 2010). Ein hohes Maß an Reflexionskompetenz aufseiten der Beratenden stellt daher eine weitere zentrale Voraussetzung für die erfolgreiche Gestaltung eines Beratungsprozesses mit Personen, Teams oder Organisationen dar. Eine Beraterin kann eigenständig die unterschiedlichen Dimensionen von Reflexion umsetzen, hilfreich ist aber die Unterstützung durch professionelles oder kollegiales Coaching, um eigene „blinde Flecken“ herauszuarbeiten. Es ist Göhlich (2011, S. 139) zuzustimmen, dass es gegenwärtig nicht mehr nur um die Reflexion als Mittel der Professionalisierung pädagogischen bzw. beraterischen Handelns geht, sondern auch um die Professionalisierung der Reflexion. 5 Fazit/Ausblick Unsere Ausführungen haben die Entwicklung von einzelnen Schulen der Beratung hin zu Wirkfaktorenmodellen thematisiert. Vor diesem Hintergrund wurde unser Heidelberger Prozessmodell integrativer Beratung skizziert. Es basiert sowohl auf dem phasenorientierten Modell der Problemlöseforschung als auch auf der Theorie der Selbstorganisation und schreibt zudem der Reflexion im Beratungsprozess einen zentralen Stellenwert zu. Die Bedeutung von zu bearbeitenden Phasen/Arbeitsschritten als eher aufgabenbezogenen Erfolgsfaktoren und die Relevanz der synergetischen Wirkprinzipien als eher sozial- emotionalen Aspekten der Beratung werden durch den Reflexionsprozess begleitet. Mit der Orientierung der Beratung an diesen beiden auf einer Metaebene angesiedelten Prozessmodellen einschließlich der Betonung von Reflexion als zentralem Bestandteil von Beratung wird der Weg zu einer allgemeinen Theorie der Beratung beschritten – jenseits von Schulen und Formaten. Ein solches Modell kann sich auf die empirischen Ergebnisse stützen, denen zufolge nicht die Methoden/Schulen im engeren Sinne den Erfolg einer Beratung ausmachen, sondern eher die allgemeineren Wirkfaktoren. Dabei besteht die Herausforderung zukünftig darin, diese angemessen zu operationalisieren und eine Plausibilität der 193 potenziellen Zuordnung von Techniken der verschiedenen Beratungsschulen zu den Wirkfaktoren zu entwickeln. Diese Orientierung hat Konsequenzen für die Beratungsausbildung. Beratende müssen demzufolge zwar über eine große Bandbreite von Techniken verfügen, sie müssen allerdings vor allem darauf achten, dass sie mit ihren Interventionen die Wirkprinzipien realisieren. 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